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Amnesty International Gruppe Miesbach (1431)

Impressum

Gruppe Miesbach (1431)

Spuren im Land (12): "Der Klotz am Baum"

Fussstapfen im Schnee

Müller am Baum, zwischen Miesbach und Gmund gelegen, ist heute, von einigen Kleinbetrieben abgesehen, eine Industriebrache, mit Häusern nahe der Straße, die einen vergessen lassen, dass der Weltkrieg schon geraume Zeit beendet ist. Das war nicht immer so. Zwei riesige Kamine erinnern noch an die einstige Papierfabrik, die um das Jahr 1900 immerhin 300 Beschäftigten Arbeit und Brot verschaffte. Wie es in der Arbeit zuging und wo man sich das Brot zu beschaffen hatte, davon später.

Mueller am Baum im Winter

In dieser Papierfabrik spielte sich um die Jahrhundertwende ein Konflikt ab, der in seiner Vielschichtigkeit genügend Stoff für ein spannendes Theaterstück liefern würde. Da ging es zunächst um die "Sauereien" auf geschäftlicher Ebene: Bilanzfälschung, Schmiergelder, Scheinverkäufe, feindliche Übernahme. Der Konflikt hatte jedoch auch eine menschliche Dimension: Ausbeutung, Unterdrückung, Verführung, Erpressung, Erniedrigung. Und dann ging es noch um "Sauereien" politischer Art, denn der damalige Direktor, Karl Sauer, hatte der organisierten Arbeiterschaft von Miesbach und Umgebung den Kampf angesagt. Martin Gruber, ein Redakteur der Münchner Post, ein Blatt, das der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften nahe stand, und der selber eine maßgebliche Rolle in diesem Konflikt spielte, hat den Kampf und sein Ergebnis genüsslich in einer kleinen Broschüre festgehalten, die uns das Stadtarchiv Miesbach (+ H. Hofäcker , Frau Wank) dankenswerterweise zu Verfügung gestellt hat.

Die Kontrahenten sind bereits benannt. Da standen auf der einen Seite der Fabrikdirektor Sauer und seine Erfüllungsgehilfen Holzhammer und Hofmann. Über Sauer hören wir, dass er ein "rücksichtsloser Scharfmacher" gewesen sei, der betrunken in die Fabrik kam und vor dem "keine Frauenschürze sicher war". Das tat jedoch seinem Selbstverständnis als "Wohltäter" keinen Abbruch. Als "böser Geist" der Fabrik galt Werkmeister Holzhammer. Er pöbelte die Arbeiter an, bedrohte sie schon einmal mit einem Revolver und ging die Frauen an, die sein Chef übrig gelassen hatte. Selbst Minderjährige waren vor ihm nicht sicher. Ihm "würdig zur Seite" stand der Saalmeister Hofmann, der Arbeiterinnen gerne mit Kosenamen wie "Saumensch, Lumpenmensch, Schlampe" bedachte. Auf der anderen Seite standen viele Beschäftigte der Papierfabrik, vor allem jene, die in Gewerkschaften oder im Arbeiterausschuss der Fabrik organisiert waren, sowie der erwähnte Redakteur und die beiden Gewerkschaftler Wild und Tauscheck, die von Sauer vor Gericht gezerrt wurden.

Direktor Sauer zufolge war die Papierfabrik eine "Musteranstalt", aber für die Gegenseite war sie eher ein "Zuchthaus". Bezeichnend für das Arbeitsklima war, dass sogar russische Arbeiter, die man über den "Sklavenhandel" engagiert hatte, wieder davon liefen. Am Baum wurde länger gearbeitet als von der Gewerbeordnung her erlaubt; es wurden keine Pausen zugestanden, sodass man während der Arbeit essen musste; die Sonntagsarbeit wurde nicht ordnungsgemäß abgerechnet; die Schutzvorrichtungen waren mangelhaft; es kam durch willkürliche Prämienentzüge und Strafgelder zu Lohnkürzungen. "Im Zuchthaus", so der Marktsekretär, "sei es reinlicher als in der Fabrik am Baum." Und organisierte Arbeiter wurden schikaniert, in Sippenhaft genommen und gezielt hinausgeekelt. Auf ihren Invalidenkarten wurde die Zugehörigkeit zu einer Arbeitervereinigung markiert, damit man aus den Zeugnissen erkennen konnte, dass "der Mann nicht , wie man aus dem Wortlaut entnehmen möchte, ein sehr guter Arbeiter ist, sondern ein Sozialdemokrat". Für den Zynismus der Betriebsleitung spricht eine Bemerkung Holzhammers: "Jetzt (im Sommer) müssen wir noch das Maul halten, weil die Leute uns sonst davonlaufen, aber im Winter werden wir sie dann traktieren."

Ein besonderes Kapitel scheinen die so genannten "Wohlfahrtseinrichtungen" gewesen zu sein: der Konsumladen und die Betriebswohnungen. In der Konsumanstalt herrschte Kaufzwang, die Lebensmittel waren teurer als anderswo, die Wurstwaren haben gestunken, das Bier war im Sommer kaum zu trinken. Wer sich aber beim Wirt frisches Bier holen ließ, dem wurde bis zur Hälfte seines Monatsverdienstes von der Prämie abgezogen. Auch die Betriebswohnungen waren eher eine "Wohltat" für den Besitzer als für die Mieter. Für 12 Familien gab es 12 Zimmer, und "wer den Abort benützte, musste nicht selten, da er nicht zu oft geleert wurde, die Exkremente erst niederstampfen, um für seine Entleerung Platz zu schaffen". Einem alten Mann, dessen Söhne (fälschlich) bezichtigt wurden, an einer Wirtshausschlägerei beteiligt gewesen zu sein, wurde die Wohnung gekündigt, und dem Wirt wurde von Sauer verboten, ihm eine zu vermieten. Dabei scheint der damalige Bürgermeister der Gemeinde Wies, und Eigentümer der Wirtschaft am Baum, eine wenig rühmliche Rolle gespielt zu haben.

Die Beschwerden, die gegen die Fabrikleitung in Baum vorgebracht wurden, kamen nicht nur von den Beschäftigten und Gewerkschaften. Fabrikinspektoren klagten darüber, dass Vereinbarungen über die Abstellung von Mängeln nicht eingehalten wurden, Polizisten stellten heraus, dass über andere Papierfabriken keine Klagen kämen und ein Beamter des Bezirksamtes forderte (vergeblich), dass die Prämienabzüge rückgängig zu machen seien und bezeichnete Sauer gegenüber den Konsumladen als "eine nette Wohltätigkeitsanstalt".

"Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil", sagte man sich damals in Miesbacher Arbeiterkreisen und schritt zur Gegenwehr. Im Sommer 1905 wurde im Baderwirt eine Arbeiterversammlung einberufen, auf der die "russischen Zustände" in der Papierfabrik eingehend besprochen wurden, In der Folge brachte die Münchner Post zwei Artikel unter der Überschrift "Eine Musteranstalt" und "Der Sauerwurm", in denen die Zustände am Baum aber auch das bewegte Vorleben Sauers beleuchtet wurden. Zur Verleumdungsklage gegen Gruber musste Sauer vom Aufsichtsrat der Fabrik geradezu gedrängt werden, aber da die Zeugenaussagen "vernichtend" waren, zog Sauer seine Klage wieder zurück. Die "ziemlich bedeutenden Kosten wurden dem Kläger überbürdet".

Da die Einstellung des Verfahrens keine personellen Konsequenzen zur Folge hatte, berief der Gewerkschaftsverein Miesbach für Sonntag, 25. November 1906 eine öffentliche Versammlung in den Waitzingersaal ein. "Wohl 1000 Personen folgten dem an sie ergangenen Rufe", – obwohl es nicht an Versuchen gefehlt hatte, die Versammlung zu verhindern. Die Zeitungen berichteten sehr unterschiedlich über die Versammlung. Für die "Münchener Post" war es ein "imposantes und nachhaltiges Volksgericht", für die Lokalzeitungen, die in den Augen der "Post", eher "reellen Geschäftsinteressen" verbunden waren, sprich: auf Unternehmerseite standen, war es ein "Haberfeldtreiben" der schlimmeren Art. Doch zeigen sich in der Berichterstattung von "Miesbacher Anzeiger" und "Schlierach-Bote" (eine Zeitung, die zwischen den 1890er Jahren und dem 1. Weltkrieg existierte) bemerkenswerte Widersprüche. So räumte der "Anzeiger" durchaus ein, dass es am Baum "unleidliche Zustände" gäbe, die es verständlich machten, dass viele Arbeiter jetzt "den Weg zur Organisation" gehen würden, dass aber der 2. Teil der Veranstaltung, der sich mit dem (un) sittlichen Vorleben Sauers beschäftigte, eher aus "dreckigen Details" bestand. Der "Schlierach-Bote" hingegen ging auf die Zustände in der Fabrik kaum oder gar nicht ein und behauptete, dass "solche Art der Propaganda den Gewerkschaften wie der sozialdemokratischen Partei einen schlechten Dienst erweisen" würde. Und während der "Anzeiger" bemerkte, dass die Mehrzahl der Besucher den Enthüllungen "mit freundlichem Schmunzeln" lauschte, hat beim "Schlierach-Boten" der "größte Teil der Versammlung ein solches Vorgehen entschieden missbilligt". Da war man wohl auf zwei verschiedenen Veranstaltungen.

Schon einen Tag später erfolgte eine Solidaritätserklärung von 90 Beschäftigten der Papierfabrik, in der Direktor Sauer bescheinigt wurde, dass er die Belegschaft gut behandle und dass sie "mit solchen Minierarbeiten (!)" nichts zu tun haben wollten. In der nachfolgenden Verhandlung über die Beleidigungsklage Sauers gegen den Redakteur Gruber und die Gewerkschaftler Wild und Tauscheck, die auf der Versammlung gesprochen hatten, stellte sich dann heraus, dass mehrere Unterzeichner gar nicht auf der Versammlung gewesen seien, weil man ihnen die Teilnahme verboten hätte, und "dass sie gar nicht gelesen hätten, was sie da unterschrieben". Peinlich für Sauer war auch die Zeugenaussage des Mannes, den man damit beauftragt hatte, die Reden mit zu stenografieren. Er musste auf Befragung hin einräumen, dass es zu "Verwechslungen" gekommen sein könnte, "da er in der Versammlung einen ungünstigen Platz hatte, schlecht hört und kurzsichtig sei". Wie gesagt, genügend Stoff für ein Volkstheater!

Die Entscheidungsschlacht, im Kinojargon der Showdown, fand dann vor dem Amtsgericht München I statt. Direktor Sauer stellte am 9. Januar 1907, wiederum "auf Drängen des Aufsichtsrates", Beleidigungsklage gegen die drei Redner. Werkmeister Holzhammer schloss sich der Klage an. Zur Hauptverhandlung im November 1907 wurden über 50 Zeugen geladen. Der Verlauf sei wie folgt zusammengefasst: Die Beweisaufnahme führte zu einem Rollentausch – aus den beiden Klägern werden Angeklagte, aus den drei Angeklagten Ankläger. Die Vorwürfe gegen Sauer und Holzhammer werden weitgehend bestätigt – sowohl von Zeugen aus der Belegschaft, wie auch von Amtspersonen. Die Entlastungsaussagen fallen vage oder widersprüchlich aus. Allerdings drängt sich der Eindruck auf, dass es den Klägern weniger deswegen an den Kragen ging, weil sie die Belegschaft unmenschlich behandelt hatten, sondern weil sie sich wiederholt wie skrupellose "Lüstlinge" verhalten hatten. (Originalton: Verteidiger Bernheim) So sagte beispielsweise die

Zeugin aus, dass sie von Sauer verführt worden sei und dass sie, als sie die Alimente einforderte, von ihm "mit Schimpfnamen belegt worden wäre, mit denen er sonst nur seine Frau zu belegen pflegte".

Das Urteil war eindeutig: Gruber und Tauscheck wurden freigesprochen, Wild wegen formaler Beleidigung zu 30 Mark Geldstrafe verurteilt, das "Strafminimum". Die Kosten wurden, wieder einmal "dem Kläger überbürdet". Damit aber nicht genug: Das Gericht begründete sein Urteil damit, dass es sich nicht um Beleidigung sondern um "eine äußerst scharfe Kritik" gehandelt habe, und zwar an Leuten, die es "an jenem moralischen Auftreten fehlte, das ein Arbeiter von seinem Vorgesetzten erwarten kann". Der Aufsichtsrat der Fabrik hat (endlich!) auf das Urteil reagiert: Sauer und Holzhammer mussten zum 1. Februar 1908 gehen.

Die "Münchener Post" schloss mit einem flammenden Aufruf an die Arbeiterschaft: "Die Organisation hat nach einem harten Kampf gesiegt. Ihren weiteren Ausbau auch in Friedenszeit nicht zu vergessen, sei auch ferner unsere oberste Sorge."

Hart ist auch der Kampf, den heute Gewerkschaftler im Iran, Simbabwe, Guatemala, Kolumbien und Mexiko zu führen haben, und die Repressalien, denen sie ausgesetzt sind, sind ungleich brutaler als damals in der Papierfabrik am Baum. Allen bedrohten, misshandelten, eingesperrten und getöteten Gewerkschaftlern sei dieser Artikel gewidmet.

Folge 13: "Es war doch schon fast vorbei."