2016 – Kurzfassung für eilige Leser
Wer’s bis hierher geschafft hat, landet bei einem
Schuldbekenntnis
Nein, Sie haben sich nicht verlesen! Zu Beginn der Fastenzeit hüllt sich auch der Schreiber dieser Zeilen in Sack und Asche. Von 2014 bis 2015 hat nämlich der Umfang dieses Jahresberichtes um 16 Seiten zugenommen und ist (von der Schriftgröße her bis zur Unkenntlichkeit verkleinert) bei 77 Seiten angelangt. Ein „Quantensprung“ gewissermaßen und nur noch der Flüchtlingswelle vergleichbar, die im letzten Jahr über uns hereinbrach. Und so wie sich die Stimmen in der Flüchtlingsdebatte mehren, dass wir das „nicht schaffen“ können, werden auch die Stimmen in meiner Umgebung lauter, die da meinen: „Wer soll/will denn das noch lesen?“ Und weil diese Stimmen weder von Pegida, AfD oder Horst Seehofer kommen, wird ihnen huldvoll Gehör geschenkt und Besserung/Kürzung gelobt. Nach jedem Monat des Jahresrückblicks wird ab sofort die Rubrik „Zensuropfer“ eingefügt, in der wir von Vorkommnissen berichten, über die wir nicht berichten werden. Unfair ihrerseits wäre es allerdings, wenn Sie sich bei der Lektüre auf diese Rubrik beschränken würden. Da kann ich dann nur noch sagen: „Ich kann’s auch länger!“
1. Einleitung
Ein Bild mit vielen Fragen: Wer steuert das Boot? Lässt man uns an Bord allein? Bleibt das Meer ruhig? Was wird aus dem Kind, wenn das Jahr älter wird? Hält die Schwimmweste? Wohin geht die Reise? In Russland gibt es das Sprichwort „Der Morgen ist immer klüger als der Abend.“ Bei uns ist es gerade umgekehrt: Die Antworten auf diese Fragen finden Sie im Schlusssatz des Abschnitts „Dezember“.
2. Der Jahresrückblick
Januar 2016
„Selten so geweint“, könnte man den Jahresanfang in Köln (und anderen deutschen Städten) kommentieren, wo eine Horde von Grabschern und Taschendieben über eine Unzahl von Frauen herfiel, die in Silvesterlaune über den Bahnhofsvorplatz flanieren wollten. Aus dem Flanieren wurde ein Spießrutenlauf zwischen „alteingesessenen“ nordafrikanischen Machos und Drogendealern. Vereinzelt scheinen auch Neuankömmlinge von der Balkanroute „mitgemischt“ zu haben. Ein Migrant aus Ghana brachte es voll auf den Punkt: „Das war keine Werbung für Ausländer.“ Dem ist nichts hinzuzufügen!
Hinzufügen aber sollte man einige Reaktionen auf die „Nacht der langen Finger“. So sagte ein Imam einem russischen Privatsender, „die Ereignisse seien Schuld der Frauen, weil sie halbnackt waren und Parfum trugen“. Volker Beck von den Grünen hat ihn deshalb angezeigt. Der Imam hat dann später seine Aussagen dementiert. Ob das Dementi vor oder nach der Anzeige erfolgte, wissen wir nicht. Ähnlich bescheuert hat die „Gegenseite“ argumentiert. Zwei Journalistinnen des „Tagesspiegels“ haben über „Rape Culture/Vergewaltigungskultur“ geschrieben und dabei die These vertreten, dass es auch Frauen gab, „die gar nicht Opfer geworden sind“, sondern mit ihrer Anzeige eine beschleunigte Abschiebung der Täter erreichen wollten. Der Publizist Henryk Broder wiederum hat in einem Blog die beiden Journalistinnen nach Rakka („Hauptstadt“ des IS) verwünscht, damit sie erleben können, „was Rape Culture bedeutet“. Und der „Merkur“ hat unter dem Titel „Wo sind die Feministinnen?“ nachgefragt, warum das anzügliche (Dirndl)Kompliment von Rainer Brüderle bei den Feministinnen (und den Grünen) einen Aufschrei verursacht habe, während sie bei der Schandnacht von Köln „bemerkenswert kalt“ blieben.
„Heiß“ und geschmacklos hingegen waren die Abbildungen auf den Titelseiten der „SZ“ und des „Focus“:
Da grabschten in gewisser Weise die Medien noch nach, deshalb wollen wir sie Ihnen lieber ersparen.
„Auf Armlänge bleiben“, so hat man
höhnisch und verkürzt auf die Äußerung der Kölner
Oberbürgermeisterin Henriette Reker reagiert, die gefragt worden war, wie
Frauen generell die Risiken solcher Attacken vermindern könnten. Sie sollten
die Gruppe nicht verlassen und Menschen „zu denen man kein Vertrauensverhältnis
hat, nicht zu nahe heranlassen“. Das sind Regeln, die der gesunde Menschenverstand
diktiert, und sie bieten keinen Grund, einen Shitstorm zu entfachen - und schon
gar nicht, Frau Reker zu unterstellen, sie würde die Schuld den Frauen
zuschieben. Zugegeben: Die alkoholisierten Täter der Silvesternacht hätten
die Armlänge nicht respektiert und im Karneval geschunkelt wird nicht nur
mit Personen, zu denen man ein Vertrauensverhältnis hat. Aber was wäre
erst los gewesen, wenn sie gesagt hätte: „Da kann man nichts machen.
Männer unter Alkohol sind halt so?“
Frauen auf Armlänge
– ja!
Amnesty hat diesmal (ausnahmsweise) kein Verständnis für „Sexarbeit“
gezeigt, sondern die Gewalt gegen Frauen deutlich verurteilt. Die Generalsekretärin
hat außerdem darauf hingewiesen, dass das deutsche Sexualstrafrecht „nach
dem Grundsatz ‚Nein heißt Nein!’ endlich verschärft werden
müsse. Bisher ist nämlich die Voraussetzung für eine Straftat,
dass sich die Frau gegen die Attacke des Mannes „körperlich gewehrt“
hätte, was ihr bei den üblichen Kräfteverhältnissen zwischen
den Geschlechtern nicht immer gut bekäme. Allerdings hat AI auch vor einer
„rassistischen Stimmungsmache gegen Flüchtlinge“ gewarnt, und
auch das war bitter nötig.
In Köln wurden Ausländer von einer „Bürgerwehr“ aus der Rocker- und Türsteherszene angegriffen, die Russlanddeutschen und Außenminister Lawrow gingen im „Fall Lisa“ der Mär von einem vergewaltigten
13-jährigen Mädchen auf den Leim, die wegen Schulproblemen eine Nacht bei ihrem Freund verbracht hatte. Und da darf natürlich die Frau nicht fehlen, die einem NDR-Reporter sagte: „Ob Wahrheit oder nicht, ich glaube die Geschichte.“ Dass Lutz Bachmann, der Hassprediger der Pegida, auf Facebook in einem T-Shirt mit dem Aufdruck „Rapefugees not welcome“ („Vergewaltigerflüchtlinge nicht willkommen“) auftritt, sei nur der Vollständigkeit wegen erwähnt.
Stimmung aber wurde auch gegen Politiker gemacht, die
(bis jetzt noch) als „flüchtlingsfreundlich“ gelten. So lud
Peter Dreier, Landrat von Landshut, 31 Flüchtlinge vor dem Bundeskanzleramt
ab, um gegen Merkels Flüchtlingspolitik zu protestieren. Dreier nannte
es eine „Verzweiflungstat“, die „SZ“ fand es „einfach
nur widerwärtig“. Der Bürgermeister von Gmund hat sich eher
darüber geärgert, dass ihm der Dreier zuvorgekommen ist. Nicht mehr
nur dreist hingegen war das Video von Pegida München gegen OB Dieter Reiter.
Es zeigt sein durchgestrichenes Gesicht – und dazu ertönt ein Knall.
Ein Bild, ein Strich, ein Schuss
Und dann schoss der Storch den Vogel ab. Die Vizeparteivorsitzende der AfD Beatrix von Storch hat in einer Talkshow vorausgesagt, dass Angela Merkel nach ihrem baldigen Rücktritt das Land „aus Sicherheitsgründen“ verlassen und „nach Chile oder Südamerika“ gehen könnte. Da haben wir gestutzt: Zum einen über das „oder“, zum anderen über „Chile“. Das Land liegt doch auch in Südamerika, oder (nicht)? Und wenn es schon Chile sein muss, dann sollte doch eher die Beatrix hinziehen, z.B. in die deutsche Colonia Dignidad – halt die gibt’s ja nicht mehr!
Ich weiß jetzt nicht so recht, wie ich von der Storch zu den „Gutmenschen“ komme. Doch, jetzt fällt’s mir wieder ein: Als das Wort zum „Unwort des Jahres“ gewählt wurde, haben sich viele gefragt, ob die Gutmenschen die Retter oder die Trottel der Nation seien. Zugegeben, die Grenzen sind manchmal fließend. Da wollte in Berlin ein Mitglied des Vereins „Moabit hilft“ auf die unsäglichen Zustände vor der Lageso (Landesamt für Soziales und Gesundheit) hinweisen und hat dafür einen Syrer erfunden, der während der Wartezeit vor der Lageso hohes Fieber bekommen habe und auf dem Weg ins Krankenhaus verstorben sei. Der Urheber dieses Gerüchts soll wegen seines Einsatzes für die Flüchtlinge „extrem erschöpft“ gewesen sein, was man von der Beatrix in der Talkshow nicht sagen konnte.
Wir nehmen das Wort so, wie es die Jury in Darmstadt und weite Teile der Öffentlichkeit gerade nicht nehmen wollen. Für uns ist das Wort keine Bezeichnung für die „Dummen, Naiven und Weltfremden“, sondern für die Menschen, die vielleicht nicht (immer) gut sind, aber (immer wieder) versuchen, es zu sein – ehrenamtlich und manchmal bis zur Grenze der Belastbarkeit. Mit dem Unwort kann der Gutmensch leben, mit der Unmenschlichkeit nicht.
Die Schlagzeilen
- In China macht sich wieder das Mittelalter breit. Bürgerrechtler, Feministinnen und Rechtsanwälte werden an den Pranger gestellt und als reuige Sünder gezeigt, lange bevor sie ein Gerichtsverfahren bekommen. Mit Peter Dahlin traf es auch einen Schweden. AI hat sich seiner angenommen, aber es waren wohl v.a. die „engen Kontakte“ des schwedischen Außenministeriums, die ihm inzwischen die Freilassung verschafften. Pikant ist der Fall von fünf Buchhändlern aus Hongkong. Sie wurden nacheinander von chinesischen Agenten gekidnappt und tauchten dann im Staatsfernsehen wieder auf. Die „Fünferbande“ soll ein Buch über das außereheliche Liebesleben von Parteichef Xi Jinping geplant haben. Die „SZ“ kommentiert:
„Die Repression unter Xi hat solche Ausmaße angenommen, wie seit den dunklen Tagen im Gefolge des Massakers vom Tiananmen-Platz 1989 nicht mehr.“
- Bei seinem Staatsbesuch in Rom hat man dem iranischen Präsidenten Rohani die Kapitolinischen Museen nur in einer gereinigten Fassung gezeigt. Die Venus, wegen der er eigentlich nach Rom gekommen ist, wurde in einer Kiste versteckt. Und weil es schließlich um Lieferverträge in Höhe von 17 Milliarden Euro ging, haben die Italiener beim Abendessen auch nur Mineralwasser getrunken. (Na ja, nach dem Essen wird sich der Renzi schon noch einen Grappa reingezogen haben!) Wir trauen uns natürlich auch nicht, die Venus abzubilden und nehmen mit der Mona Lisa vorlieb.
Falls Ruhani den Louvre in Paris besuchen wird
- Damit sind wir nahtlos bei der Diskussion über die Leitkultur angekommen. Die CSU möchte die Verpflichtung zur deutschen (nicht zur bayrischen!) Leitkultur in die Bayrische Verfassung aufnehmen. Sie meint damit nicht, dass Muslime zum Verzehr von Schweinsbraten angehalten oder in Lederhosen und Dirndl gezwängt werden sollen. Es gehe vielmehr um „Respekt vor Frauen, Toleranz gegenüber verschiedenen Lebensentwürfen und Deutsch als Sprache des öffentlichen Lebens“. Dagegen ist nichts einzuwenden – aber es sind Selbstverständlichkeiten und bereits in den Verfassungen abgesichert. Und den Schwimmunterricht für Mädchen kann man mit der Schulordnung durchsetzen, dem braucht man nicht gleich Verfassungsrang zu geben. Und was den „Respekt vor Frauen“ anbelangt, da hatte das bayrische Wirtshaus leitkulturell nicht immer Vorbildcharakter.
Der Bayer im Wirtshaus
- AI war im Januar nicht untätig. Wir kritisierten die Kinderarbeit in den Kobaltminen des Kongo, wo das Rohmaterial der Smartphones unserer Kinder (und Erwachsenen) gefördert wird und nahmen Stellung gegen die kurdische Regierung im Nordirak, die die arabische Bevölkerung vertreiben möchte, indem sie ihr die Häuser anzündet. In unseren Gefilden gewildert haben drei AI’ler aus München, die in Kreuth gegen die Asylpolitik der CSU protestierten. Das Landratsamt in Miesbach hatte sie zunächst hinter die Büsche verbannt, aber die Polizei hat sie dann „direkt an die Straße“ gelassen. Bei uns haben sie sich entschuldigt, dass sie uns nicht informiert haben, aber wir waren ihnen nicht sehr böse. Und wenn es nicht eine Demo gegen die CSU, sondern gegen Pegida gewesen wäre, hätten wir uns die Sache gleich zweimal überlegt. Es gibt nämlich bereits Drohbriefe gegen AI-Aktivisten, und einige Mitglieder wurden bei einer Gegendemo tätlich angegriffen. Aus Berlin kam dazu der wohlmeinende Rat:
„Bitte bildet auf den Gegendemonstrationen Bezugsgruppen. Verlasst die Demos auch nur in größeren Gruppen und meidet … unbelebte Straßen und Plätze.“
Auf dem geplanten Friedensmarsch an Ostern werden wir diesen Rat nur hinsichtlich der „Bezugsgruppen“ beherzigen.
Schweren Herzens gehen wir über zu den
Zensuropfer(n)
Wir berichten nicht über
- die sexuellen Belästigungen der Frauen in Ägypten
- die Hinrichtungen in Saudi-Arabien
- die Verwicklung des russischen Geheimdienstes (und Putins) in dem Polonium-Mord an dem Kremlkritiker Litwinenko
- die Silvesternacht in München
- die Nervigen und die Gelassenen in der Flüchtlingsdiskussion
- den Millionen-Deal des FC Bayern mit dem Flughafen von Doha/Katar
- den Leserbriefen in der Lokalzeitung
- die Lobrede der Holocaust-Überlebenden Ruth Klüger auf Deutschland und die Kanzlerin
Februar 2016
Vom Kalender her war Fasching, aber genauer hinschauen durfte man nicht.
Trotzdem – einige Meldungen Marke „Borderline“ haben wir gefunden, grenzwertig deswegen, weil man gleichzeitig lachen und den Kopf schütteln musste. In der Türkei hat die Religionsbehörde verfügt, dass das Bearbeiten der Augenbrauen und das Entfernen von Oberlippenhärchen unislamisch, ja sogar „Sünde“ sei – nur für Frauen versteht sich. Die „SZ“ fragte zu Recht: „Kann den Zupfen Sünde sein?“
Um islamische Frauen (und um unsere Rentenkasse) sorgt man sich auch in Deutschland. Da wurde in einem Leserbrief die Frage aufgeworfen, ob beim Tode eines Muslims, der mit vier Frauen verheiratet war, alle vier Witwenrente bekämen; dem deutschen Sozialstaat wäre das allemal zuzutrauen. Tatsächlich ist die Rechtslage so: Unter bestimmten Voraussetzungen bekommen alle vier Frauen diese Rente, aber jede nur ein Viertel des Regelsatzes. Offiziell ist Polygamie in Deutschland verboten, das Verbot wird aber mit so genannten „Imam-Ehen“ leicht unterlaufen.
Ein Schützenmeister in Gars/Oberbayern sorgte sich nicht um die Finanzen von Witwen, sondern um die Psyche eines Flüchtlings. Er wollte einen irakischen Asylbewerber nicht in seinem Verein aufnehmen, weil er ihm nicht zumuten wollte, an einer Waffe aktiv zu sein, da er doch aus einem Kriegsgebiet geflohen sei. Ein echter Gutmensch, dieser Schützenmeister, wenn das Schützen wirklich sein Motiv war! Der Geschäftsführer des Bayerischen Sportschützenbundes ist dann seinem Vereinskollegen seitwärts in den Rücken gefallen. Für ihn nämlich sind die Waffen (eines Schützenvereins) „Sportgeräte, keine Kriegsgeräte“. Und „Sport werde ich doch noch treiben dürfen“, sprach der Asylbewerber und ging zum Training des Basketballklubs.
Ein „Sportgerät“ war das Fahrzeug nicht mehr, dass die Steinkirchner/(Landkreis Pfaffenhofen beim Faschingszug mitführten.
Panzer gegen Asylbewerber
Die Bildunterschrift ist etwas irreführend: Die (meisten) Zaungäste haben es durchaus lustig gefunden. Nicht amüsiert war man am Tegernseer Bräustüberl über das Verhalten einiger Asylbewerber am Weiberfasching. Einer von ihnen handelte sich mit seiner „Antanzerei“ sogar einen Platzverweis durch die Polizei ein. Den Platzverweis hätten wir auch der Ilmtaler Asylabwehr gewünscht.
In München wollten sich am Haupteingang der BMW-Welt die „pick-up artists“ versammeln. Der richtige Ort für Künstler, die auf der Ladefläche von Kleintransportern ihre Kunst verrichten, oder? Sie täuschen sich: Das ist eine Gruppe selbst ernannter Aufreißer, im Vergleich zu denen gegen die Grabscher von Köln die reinsten Unschuldslämmer waren. Ihr Gründer, Daryush Valizadeh, hat beispielsweise gefordert, Vergewaltigungen auf privatem Gelände zu legalisieren. Das Treffen ist letzten Endes abgesagt/verboten worden, aber man fragt sich als Mann schon manchmal, warum es (fast) immer die Männer sind, die auf einen solchen Blödsinn kommen.
„Blödsinn“ ist in diesem Zusammenhang
natürlich das falsche Wort, und die Rubrik „Borderline“ haben
wir auch verlassen. Mit solchen Typen hätte das Unrecht tatsächlich
seine Herrschaft angetreten. Aber halt, den Begriff von der „Herrschaft
des Unrechts“ hat sich schon ein Politiker unter den Nagel gerissen. Horst
Seehofer hat in einem Interview gemeint, dass die Grenzöffnung vom 4. September
2015 dazu geführt habe, dass wir „im Moment keinen Zustand von Recht
und Ordnung“ hätten und „es eine Herrschaft des Unrechts“
sei. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass mit „es“ das
„System Angela“ gemeint ist, die einfach nicht auf ihn hören
will, obwohl er doch Volkes Stimme ist. Mit letzterem mag er nicht ganz Unrecht
haben, aber es lässt sich halt nicht leugnen, dass man nur wenige Buchstaben
austauschen muss, um vom „Unrechtsstaat“ zur „Herrschaft des
Unrechts“ zu kommen. Das hat deshalb auch zu donnernder Kritik aus den
eigenen Reihen geführt: Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt nannte die
Äußerung „nicht besonders glücklich“.
Donnervogel contra Rieseneidechse
Wir haben im letzten Jahresbericht das Verhältnis Merkel/Seehofer mit dem Foto vom Kampf zweier Komodowarane illustriert, und wir konnten der Versuchung nicht widerstehen, noch einmal das Tierreich zu bemühen. Sie sehen den Donnervogel Angela Merkel, die nur noch halbherzig ihre (Flüchtlings)Eier bewacht und die Rieseneidechse Horst Seehofer, bei der man nicht ganz sicher ist, ob er es nur auf die Eier abgesehen hat oder schon den Vogel meint.
Mit der Äußerung von Frauke Petry/AfD, dass ein Grenzpolizist „den illegalen Grenzübertritt (eines Flüchtlings) verhindern“ und dabei „notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen“ müsse, sind wir tatsächlich im Unrechtsstaat DDR gelandet. Die Äußerung von Frau Petry war mehr als „absoluter Unsinn“ (Söder), aber wie sie dann hin- und hergebogen wurde, das war mehr als ärgerlich. Sie selber bezog sich auf einen Passus im Polizeigesetz, ein Leserbriefschreiber analysierte im Detail, dass Petry nur den „Einsatz von Waffen als Ultima Ratio“ erwähnt habe, aber nicht auf Flüchtlinge schießen lassen will. Wie sagt dazu die Bibel: „Wer es fassen kann, der fasse es!“
Der 2. Vorsitzende der Polizeigewerkschaft fasste es nicht. Er meinte, Petrys Auffassung wäre durch das angeführte Gesetz nicht gedeckt:
„Voraussetzung wäre, dass jemand auf der Flucht ist, dass er sich einer Strafe entzieht. Dies sei bei einem illegalen Grenzübertritt nicht der Fall.“
Aber für Petry ist ein illegaler Flüchtling wahrscheinlich einem flüchtigen Bankräuber gleichzusetzen. Es kommt übrigens noch dicker: Bei einer Befragung halten es 29% der Deutschen für gerechtfertigt, unbewaffnete Flüchtlinge mit Waffengewalt am Grenzübertritt zu hindern. Damit ist endgültig Aschermittwoch und Zeit, Buße zu tun.
Die Schlagzeilen
- Bundesinnenminister de Maizière plant die Abschiebung von abgelehnten afghanischen Asylbewerbern in ihre Heimat. Im Höchstfall könnte es sich um 7000 Personen handeln. Das kann in Afghanistan durchaus zu einem Gedränge führen, denn nur drei von 34 Regionen des Landes gelten als sicher. Dem Minister schwant selber nichts Gutes, denn als er in Kabul dem Hubschrauber entstieg, trug er einen Stahlhelm.
- Die verbliebenen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner sind alle für eine Waschtortur an mutmaßlichen Terroristen. Rubio meint, dass man bei Terroristen nicht die gleichen Maßstäbe anlegen könne wie bei gewöhnlichen Straftätern, Cruz ist für eine „sparsame“ Handhabung, aber Trump würde nicht nur das das Waterboarding wiedereinführen, sondern auch noch „höllisch Schlimmeres“ dazu. Er hat zwar inzwischen etwas zurückgerudert, sogar behauptet, er „werde bestehende Gesetz achten“ aber trotzdem: Wenn der im Januar 2017 Präsident sein sollte, müsste sich die Welt wasserdicht anziehen.
- Pegida hatte in Dresden zu einem europaweiten Aktionstag eingeladen. Es kamen zwar nur (!) 8000 Anhänger, aber die Plakate, die sie mit sich trugen, hatten es in sich. Gut, die Aufschrift „Deutsche Frauen sind kein Willkommensgeschenk“ konnte man nach Köln noch akzeptieren, aber bei einem Plakat hörte der Spaß auf. Da stand tatsächlich. „Der Islam gehört zu Deutschland wie Scheiße auf dem Esstisch.“ Ja, geht’s denn noch? „Nein, es geht nicht mehr“, sagte sich (der ansonsten sehr besonnene) Matthias Drobinski von der „SZ“:
„ Und auch wer Angela Merkels Flüchtlingspolitik kritisch gegenübersteht, sollte diesen Typen klar machen: Ihr seid nicht das Volk, ihr seid das Pack.“
Wenn Sie meinen!
- Im Jahresbericht von 2016 hat Amnesty neben vielen anderen Trostlosigkeiten auch die „düstere Menschenrechtslage in der Türkei“ benannt. Das ist das Land, vor dessen Sultan Erdogan Deutschland (und große Teile Europas) derzeit im Staube liegen, weil er uns die Flüchtlinge vom Leib halten soll. Amnesty kritisierte die „exzessive Polizeigewalt“ und die „Repressalien gegen die Medien“. Aber im Februar trat dem Sultan das Verfassungsgericht ans Schienbein: Es verfügte die (vorläufige) Haftentlassung von zwei Journalisten der Zeitung Cumhuriyet. Erdogan reagierte wie zu erwarten war: Er akzeptierte die Entscheidung nicht und stellte die Unabhängigkeit der Justiz in Frage. (Wann er, wie die Regierung in Polen, mit dieser „Unabhängigkeit“ aufräumt, - wir werden sehen.) Der Prozess gegen die Journalisten soll im März beginnen.
- Für etwas Wirbel sorgte die Nachricht, dass ein Abgeordneter der Linken den Ex-RAF’ler Christian Klar als Webdesigner beschäftigt. Klar war wegen neunfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden und saß davon 26 Jahre ab. Er hält sich nach wie vor ans Schweigekartell der RAF, und auch die (noch in seiner Haftzeit getane) Äußerung, Schuld und Reue seien „keine Begriffe“ in dem „politischen Raum“, in dem er sich bewege, sprechen nicht gerade für ihn. Andererseits kennt unser Strafrecht keine Gesinnungsprüfung, und wer einmal das Gefängnis verlässt, sollte wieder Bürger sein.
- In den USA würde Klar noch lange sitzen. Da wurde Albert Woodfox erst nach 43 Jahren entlassen. Und die hat er in Isolationshaft verbracht. Er soll einen Gefängniswärter ermordet haben, aber die Beweislage war nicht ganz eindeutig. Jedoch das juckt in Louisiana keinen Staatsanwalt, wenn der Täter auch noch ein Black Panther ist.
- Sind wir mit Klar und Woodfox schon bei den Erfolgsmeldungen angelangt? Na ja, was bei AI halt so die Erfolgsmeldungen sind. In Saudi-Arabien wurde das Todesurteil gegen den Dichter Ashraf Rayadh aufgehoben. Er wurde zu acht Jahren Haft und 800 (!) Peitschenhieben „begnadigt“. Wenn er die bekommen sollte, hätten sie ihn genauso gut enthaupten können.
Ashraf Fayad
- Und in Rumänien ist ein erstmals ein Folterchef, Alexandru Visinescu, rechtskräftig verurteilt worden – nach mehr als 25 Jahren und im Alter von 90 Jahren. Der konnte den Ruhestand sicher länger genießen als die Opfer, die sein „Vernichtungsregime“ überlebt haben.
- Ach ja, da gab’s auch noch Präsident Obama, der sich wieder einmal an ein Versprechen erinnerte, das er vor acht Jahren gleich bei Amtsantritt abgegeben hatte, nämlich das Lager Guantánamo zu schließen. Sein Plan hat keine Aussicht auf Verwirklichung und ist wohl eher als Nadelstich für den Kongress gedacht, wo die Republikaner die Mehrheit haben. Mit der Schließung werden wir wohl auf Donald Trump warten müssen. War nur ein Scherz und obendrein kein guter!
Zensuropfer
Wir berichten nicht über
- die „Unhöflichkeiten“, die sich die mexikanische Regierung beim Besuch von Papst Franziskus anhören musste –zu Recht, damit keine Missverständnisse aufkommen!
- die Hinrichtung des nordkoreanischen Armeechefs wegen „politischer Abtrünnigkeit“
- die Hinwendung chinesischer Männer zur Zweitfrau/Konkubine
- die Desinformationspolitik der russischen Staatsmedien gegen Deutschland (Vergleich der Nacht von Köln mit der Reichskristallnacht)
- die Entscheidung des Parlaments von Texas, Studenten zu erlauben, bewaffnet in die Hörsäle zu kommen.
Mit dieser Nachricht aus dem Wilden Westen wollen wir uns endendgültig vom Fasching (und vom Februar) verabschieden.
März 2016
„Kein Scherz im März“, war der Rücktritt des schwarzen Pfarrers Olivier Ndjimbi-Tshiende in Zorneding, den „Erfahrungen in der letzten Zeit“ veranlasst hatten, um seine Versetzung einzugeben. Diese „Erfahrungen“ bezogen sich auf Morddrohungen, die er seit November 2015 in schriftlicher und mündlicher Form erhalten hatte.
Ein Pfarrer haut ab.
Auslöser des Konflikts war die Reaktion des Pfarrers auf einen Artikel der (einschlägig vorbelasteten) CSU-Ortsvorsitzenden Sylvia Boher im „Zorneding Report“ der Partei. Sie hatte die Flüchtlinge als „Invasoren“ beschrieben, sich über die Hilfsbereitschaft der Deutschen mokiert (und damit wohl auch die 150 Mitglieder des Zornedinger Helferkreises im Visier) und über die Ossiprotestanten Gauck und Merkel hergezogen. Zum Forum seiner Replik hatte der Pfarrer dann aber nicht die Unscheinbarkeit des Pfarrbriefes, sondern die Predigt in der Christmette gewählt, dort gegen Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit angesprochen und eine „Hymne auf Frau Dr. Merkel“ verlesen. Dann ging das „Gezerre“ – der Name Zorneding kommt von „zerren/roden“ – richtig los: CSU-Vize Johann Haindl ging frontal den „Neger“ an, Frau Boher wurde als Ortsvorsitzende zurückgetreten, der Pfarrer erhielt die Einladungen zur Ortsveränderung („Ab nach Auschwitz!“) und warf im März das Handtuch.
Im Gefolge dieses Konflikts kam es zu einigen Kommentaren, die es wert sind, der Nachwelt überliefert zu werden.
- Der Pragmatiker: „Eine Rücktrittsforderung (Frau Boher blieb zunächst einmal Gemeinderätin) kann man schließlich nur aussprechen, wenn diese Erfolg versprechend sei.“
- Die Manipulatorin: „Schon Papst Franziskus hat von der ‚arabischen Invasion’ gesprochen.“ (Er hat sie aber auch als Chance gesehen.)
- Der Stammtisch: „Der (Pfarrer) hat halt nicht her passt nach Zorneding.“ Er hätte „ein bisserl reißfesteres Nervenkostüm haben“ sollen.
- Der Leserbrief: „Unser Land wird nicht von Flüchtlingen überschwemmt, sondern von der braunen Brut untergraben.“
- Die Mediatorin aus der Landespolitik: „Wir müssen es wieder schaffen, eine größere Toleranz gegenüber verschiedenen Standpunkten zu erreichen.“
- Die Philosophin (zum Rücktritt des Pfarrers): „Im Leben gibt es immer wieder Ankünfte und Gehen. Das ist ein normaler Prozess.“
Die Meinung der Philosophin machte sich auch ihre Partei zueigen, die im April auf einer Sitzung des Bezirksvorstandes Frau Boher aus ihren Ämtern in Bezirk und Landkreis „verabschiedete“. An ihrem Mandat als Gemeinderätin hält sie allerdings „kategorisch“ fest.
Das „bunte Zorneding“ hat sich mit einer Lichterkette vom Pfarrer verabschiedet. Aber da war er schon weg.
3000 „bunte“ Zornedinger
Bringen wir die traurige Geschichte zu ihrem juristischen Ende. Die Morddrohungen (und die „Einladung nach Auschwitz“) kamen von einem Rentner aus München, der schon „einschlägig vorbestraft“ war. Zum ersten Prozesstermin erschien er nicht, weil er zum Augenarzt musste, im November wurde er zu zehn Monaten Haft auf Bewährung und zu einem Bußgeld für den Münchner Verein „Bunt statt braun“ verurteilt. Da ist er relativ gut weggekommen, aber wir wollen davon ausgehen, dass ihm von Zeit zu Zeit seine Diabetis das Gehirn vernebelt.
Aus meiner Kindheit ist mir noch der Schlager „Mama ist aus Kuba, Kuba …“ in Erinnerung. Diese meine Kindheit liegt schon weit zurück, aber nicht so weit, wie der letzte Besuch eines amerikanischen Präsidenten auf der Nachbarinsel Kuba. Der liegt 88 Jahre zurück, und so alt bin ich nun auch wieder nicht. (Ob George W. Bush, Donald Rumsfeld und Dick Cheney mal des Nachts auf Guantánamo vorbeischauten, wissen wir nicht!) Aber „besser spät als nie“, hat sich Obama gesagt und dabei an seinen Platz in den Geschichtsbüchern gedacht.
Der Präsident kam mit großem Gefolge, er hatte sogar seine Schwiegermutter dabei. Die Begeisterung der Bevölkerung hingegen hielt sich (zunächst einmal) in Grenzen. Das war zum einen auf den Platzregen während des Stadtrundgangs zurückzuführen, zum anderen auf die Staatspolizei, die noch am Nachmittag vor Obamas Ankunft die Straßen dahingehend „gereinigt“ hatte, dass sie Dutzende von Demonstranten festnahm, u.a. Berta Soler, die Anführerin der „Damen in Weiß“, die jeden Sonntag nach dem Besuch des Gottesdienstes freie Wahlen und den Rücktritt von Raúl Castro fordern und deshalb meistens zu spät (d.h. nach einer Verhaftung) zum Mittagessen heimkommen.
Die Menschenrechte auf Kuba waren das wichtigste Thema im Hintergrund der Gespräche – da wo auf dem Foto der Dschungel herrscht.
Obama und Castro im Dschungelcamp
Obama hatte (zuhause) die Unterdrückung der Dissidenten kritisiert, auf Kuba für Demokratie und Meinungsfreiheit geworben und war (nach langem Rätselraten) vor seinem Rückflug mit 13 Oppositionellen zusammengetroffen – wahrscheinlich auf dem Flugplatz, damit er leichter fliehen konnte. Raúl Castro hat in seiner Gegenrede auf Menschenrechtsverletzungen in den USA (Guantánamo, Gesundheitsfürsorge) hingewiesen und betont, dass es in Kuba keine politischen Gefangenen gäbe. (AI geht für 2015 von 8000 Verhaftungen aus.) Und im übrigen könne sich Obama, und das natürlich in diplomatischer Sprache, die Menschenrechte …!
Aber so wie wir die Zornedinger Lichterkette ein wenig isoliert ans Ende unseres Berichtes gestellt haben, wollen wir auch hier eine positive Bilanz ziehen. Che Obamas „Yes, we can“ könnte auf lange Sicht (und ohne Trump als Präsident) den Amerikanern ein neues Urlaubsparadies erschließen und den Kubanern mehr Wohlstand und mehr Freiheit bringen.
Neue Zeiten in Kuba
Gereist ist auch unser Bundespräsident – nach China. Was bei diesem Besuch für die Wirtschaft heraussprang, ist nicht unser Thema. Menschenrechtlich war die Bilanz etwas widersprüchlich: Wenn von Gauck kritische Worte drohten, musste die Presse vor der Türe bleiben und bei seiner Rede an der Uni von Shanghai hat er die „harte Wahrheit“ über Menschenrechtsverletzungen in einen Bericht über seine Diktaturerlebnisse in der DDR gepackt - aber es bedurfte nicht viel Fantasie von Seiten seiner Zuhörer, diese Erlebnisse auf China zu beziehen, immer vorausgesetzt., die Übersetzer haben an gewissen Stellen der Rede keine Kunstpausen eingelegt. Andererseits hingegen, ist es ihm gelungen, – und das (angeblich) an der Staatssicherheit vorbei – Menschenrechtsaktivisten und Bürgerrechtsanwälte zu treffen, die sich von ihm „beeindruckt“ zeigten. Anwälte sind derzeit bevorzugte Ziele von Xi Jinpings Repressionspolitik, und in Pekinger Juristenkreisen kursiert schon der Spruch, dass „jetzt schon die Anwälte der Anwälte der Anwälte“ verhaftet werden.
Da derzeit die Balkanroute geschlossen ist, was unser Innenminister mit großer Erleichterung aber ganz scharf kritisiert, möchten wir uns in diesem Monat auf Nachrichten beschränken, die unter die Rubrik „Vermischtes aus der Multikultiwelt“ fallen. Da ist zunächst der Sicherheitsbericht des bayrischen Innenministeriums wo Joachim Herrmann (zu seinem Leidwesen?) feststellen musste, dass der Freistaat 2015 eher noch sicherer geworden ist – wenn da nicht die 35 Georgier wären, die als kriminelle Bande durch die Lande zögen. Da erscheint eine Muslima voll „maskiert“ vor einem Gericht in München und lüftet ihren Schleier erst, als ihr die Richterin androht, sie abführen zu lassen. Zuvor hatte man ein Gutachten eines Rechtsgelehrten aus Saudi-Arabien eingeholt, der bestätigte, „dass das Ablegen des Niqab vor Justizorganen aufgrund von Notwendigkeiten und Schadensverhinderung erlaubt sei“. Sehen wir auch so!
In der Burka vor Gericht – geht nicht!
Die Zeitschrift „Eltern“ hat zu ihrem 50. Geburtstag eine Jubiläumsausgabe herausgebracht. Eines der Titelbilder zeigt eine Muslima mit Kopftuch. Das löste einen Shitstorm gegen die Redaktion aus, deren Mitglieder „alle an die Wand gestellt werden sollten“. Sehen wir nicht so!
Shitstorm gegen „Eltern“
In der Gewissensfrage des „SZ-Magazins“ befasste sich eine Zuschrift mit einer Szene in der Münchner
S-Bahn. Dort „hörte man einen lauten Knall wie von einem Schuss. Aus einer Gruppe von älteren Schülern dann eine laute Stimme: ‚Endlich ein Flüchtling weniger.’ Allgemeine Heiterkeit in der Gruppe.“
Der Verfasser der Zuschrift stellte sich die Frage: „Hätte ich die Gruppe darauf ansprechen sollen?“ Wir meinen: „Ja, und wie!“
In Bayern ist die Landesausstellung heuer in Aldersbach. Passend zum Thema „Bier in Bayern“ hat man in Straubing ein Gebräu kreiert, der das bayrischen Reinheitsgebot aufs gröbste verletzt. Das Bier trug den Namen „Grenzzaun Halbe“ und war beileibe nicht als Willkommenstrunk für Flüchtlinge gedacht. Zitat aus dem „Merkur“:
„Der Name (auf der Flasche) war in altdeutscher Frakturschrift gedruckt, als Haltbarkeitsdatum war der 9. November angegeben, der Jahrestag der Reichspogromnacht. Außerdem kostete das das Bier, inklusive Pfand, 88 Cent – in rechten Kreisen ein Zahlencode für ‚Heil Hitler’.“
Das Bier wurde inzwischen vom Markt genommen, und der Chef der Brauerei hat eingeräumt, er habe sich etwas „blauäugig“ verhalten. „Braunäugig“ wäre angebrachter!
- Bleiben wir beim Bier! Beim Gmunder Starkbierfest hat der Fastenprediger Florian Oberlechner auch das Thema „Flüchtlingskrise“ nicht ausgespart. „Das kann was werden“, wird man sich da denken. Doch es kam anders als man denkt! Der Redner sagte zu den Fluchtursachen:
„Freiwillig nehmen die das nicht auf sich. Ich glaub’, dass die wenigsten wegen den McDonalds-Gutscheinen im ‚Merkur’ zu uns kommen.“
und erhielt am Ende seines Vortrags stehende Ovationen.
- Da machten die Anwohner des Hotels Bastenhaus in Tegernsee, welches das LRA Miesbach als Flüchtlingsunterkunft anmieten möchte, schon ein anderes Fass auf. Sie fürchten um den Wert ihres Anwesens, „schätzen den Preisverfall fürs Ferienhaus gar auf 40 Prozent“. Das muss man doch noch sagen dürfen: Der Verteilungskampf trifft gerade auch die Oberschicht.
Da loben wir uns (ohne Ironie) den Feuerwehrverband, der eine Kampagne gestartet hat, um anerkannte Flüchtlinge als Mitglieder zu gewinnen. Auf dem Werbefoto sind einige ausgeprägte Migrantengesichter, aber in der 2. Reihe scheint man einige Personen mit Ruß „nachgeschwärzt“ zu haben. Sei’s drum: Mit dieser „Fotomontage“ sind wir einverstanden.
Willkommen bei der Feuerwehr
Und zuletzt, aber das gehört nicht in den Bereich „Kuriositäten“, das Bild von Papst Franziskus am Gründonnerstag.
Fußwaschung für Flüchtlinge
Unter den „Aposteln“ waren übrigens nicht nur Frauen, sondern auch Muslime. Seinen Kardinälen wäscht er lieber den Kopf.
Die Schlagzeilen
- Der Serbenführer Radovan Karadzic, mitverantwortlich u.a. für das Massaker von Srebrenica, wurde in Den Haag zu 40 Jahren Haft verurteilt. Reue hat er nie gezeigt, aber im Gefängnis hat er sich ordentlich betragen. Das könnte mit dazu beitragen, dass er nach 20 Jahren wieder freikommt und als „Gigant des serbischen Volkes“ – so ein orthodoxer Bischof – im Triumphzug nach Serbien zurückkehren kann. Von Srebrenica aber sollte er sich lieber fernhalten!
- Ein russisches Gericht hat die ukrainische Pilotin Nadja Sawtschenko zu 22 Jahren Haft und 400 Euro Geldstrafe verurteilt. Die Haftstrafe, weil sie angeblich in der Ostukraine am Tod zweier russischer Fernsehleute mitschuldig sei, die Geldstrafe, weil sie widerrechtlich die russische Grenze überschritten habe. Peinlich (für das Gericht) ist nur, dass ein Zeuge nicht gehört wurde, der Sawtschenko schon gefangen haben soll, bevor der Beschuss der Fernsehleute erfolgte und ihr Grenzübertritt wohl eher ein Kidnapping war.
- Der Jahresbericht von Amnesty International zeichnet ein düsteres Bild der Menschenrechte: neue und alte Konfliktherde, Hilflosigkeit in der Flüchtlingspolitik, ethnische und religiöse Intoleranz, Gefährdung von Menschenrechtlern. Hoffnungsschimmer? Die afrikanische Union hat 2016 zum Jahr der Menschenrechte in Afrika erklärt. Ob das bis zur Boko Haram in Nigeria durchdringt?
- Die US-Waffenlobby hat auf den AI-Bericht auf ihre Art reagiert. In einer unsicheren Welt ist es wichtig, schon die Kleinkinder für Schusswaffen zu interessieren. Deshalb hat man einige Märchen umgeschrieben, der Großmutter im „Rotkäppchen“ ein Gewehr gegeben und den Text angepasst:
„Oh, wie der Wolf es hasste, wenn Familien gelernt hatten, sich selbst zu verteidigen!“
Wenn Oma die Knarre rausholt
- Schließen aber wollen wir den Monat mit einem Frauenfoto und der (rhetorischen) Frage: Würden Sie sich zu diesen Damen ins Flugzeug setzen? Wir schon!
Cockpit ja, Auto nein
Zensuropfer
- Schuldspruch für Ex-Rebellenchef Pierre Bemba/Kongo
- Hochkonjunktur für Wasserwerfer in der Türkei
- Justizterror in Ägypten
- Ende des Straßenkinder-Projekts San Anián/Ecuador
April 2016
„Das zwischen uns kann ja nichts Ernstes werden’, sagte der 2. April zum 31. März“.
Mit diesem Aphorismus hat uns die Schweizer Lyrikerin Brigitte Fuchs das Stichwort für einen (eher unlustigen) Aprilscherz geliefert. Es geht um das Schmähgedicht von Jan Böhmermann zu (Un) Ehren von Recep Erdogan. Sie brauchen jetzt Ihre Kinder nicht rauszuschicken, denn wir haben nicht vor, das Gedicht zu zitieren. Wir beschränken uns vielmehr darauf, das Rankenwerk zu beschreiben, dass sich um dieses „satirische Gesamtkunstwerk“ gelegt hat, denn davon passt einiges zum 1. April:
- Der deutsche Botschafter in der Türkei, Martin Erdmann, soll sich mit dem Gedanken tragen, im türkischen Außenministerium ein Gästezimmer anzumieten, weil er von Februar bis April schon mehrmals einbestellt worden war. Zu seinem 2. Pflichtbesuch führte ein Beitrag in der Sendung „Extra 3“, in der ein Lied mit dem Titel „Erdowie, Erdower, Erdogan“ abgespielt wurde. Der Präsident, offensichtlich ein bekennender Nena-Fan, war irritiert, weil er darin eine Verballhornung des Liedes „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ sah. Auch die Zeile „Er lebt auf großem Fuß, der Protz vom Bosporus“, scheint ihm etwas aufgestoßen zu haben.
- Dann kam der Böhmermann, und der Erdmann musste erneut antanzen. Hat ja auch sonst nichts zu tun, dort hinten in der Türkei. Wir halten es natürlich nicht mit dem türkischen Vize-Ministerpräsidenten, der von einem „schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ sprach (und damit das Gedicht und nicht den Völkermord an den Armeniern gemeint hat), aber der Kommentar in der „SZ“ zur Reaktion Böhmermanns auf die Schaukelpolitik der Kanzlerin (Merkel habe ihn „filetiert“) ist uns irgendwie sympathisch. Da heißt es:
„Er (Böhmermann) hat es auch geschafft, dass kaum mehr einer sagen mag, dass er das blöde Gedicht gar nicht so gut findet – aus Angst davor, dann als reaktionär zu gelten.“
- Doch - einer hat sich getraut: Der CDU-Abgeordnete Detlev Seif las das Gedicht in Gänze im Bundestag vor, damit man erkennen könne, dass da eine Person „in ihrer Ehre ganz klar angesprochen“ würde. Böhmermann reagierte auf seine Weise: Er beantragte „die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten wegen Verstoßes gegen Paragraf 103 StGB“. (Majestätsbeleidigung) Ob er mit der „Majestät“ Erdogan oder sich selbst gemeint hat, können wir getrost offen lassen.
- Kanzlerin und Bundesregierung haben in der Affäre einen knallharten Kurs gefahren. Da war dem Gedicht zunächst ein „bewusst verletzender“ Inhalt angelastet worden, dann bedauerte Merkel, dass ihre persönliche Bewertung etwas zähle, was sie nicht vermutet hätte. Und schließlich wurde die Staatsanwaltschaft ermächtigt, Ermittlungen gegen Böhmermann fortzusetzen und zwar auf der Basis des Paragrafen 103, den man vorhabe abzuschaffen. Diese Ermächtigung hätte man sich sparen können, da Erdogan seinerseits schon eine Beleidigungsklage eingereicht hatte. Aber das zeigt halt erneut, wie stark wir inzwischen bei der Türkei am Tropf hängen.
- Hoffentlich wirkt sich dieses Abhängigkeitsverhältnis nicht auf die Richter aus. Sie könnten vom Gesetz her immerhin zwischen drei Monate und fünf Jahren Gefängnis verhängen. Davor sollten sie sich hüten, denn wie wir Erdogan einschätzen, wird er dann gleich noch die Auslieferung in die Türkei verlangen. Bei ihm kommt nämlich der Appetit mit dem Essen. Das haben auch die Dresdner Sinfoniker verspürt, denn die EU hat auf Betreiben des türkischen Botschafters die Werbung für ein Konzertprojekt zum Völkermord an den Armeniern eingestellt.
Karikatur zum Export freigegeben
- Und wenn unser Beitrag zu sehr nach Satire klingt, dann bedenken Sie bei der Lektüre, was Claus von Wagner im Mai bei der Verleihung des Dieter-Hildebrandt-Preises gesagt hat:
„Danke für Ihren Mut, eine Satire-Veranstaltung zu besuchen (hier: einen Text zu lesen), die (hier: der) noch nicht vom türkischen Staatspräsidenten freigegeben wurde.“
Und, übrigens, wenn schon jemand Grund hat „beleidigt“ zu sein, dann sind das eher Landsleute von Erdogan, mit den Journalisten an der Spitze. Wer in den Redaktionen und Fernsehanstalten nicht die Heldentaten des Präsidenten besingt, findet sich schnell an anderen Orten wieder.
Neues aus Sultan Erdogans Reich
Da wurde die regierungskritische Zeitung „Zaman“ zunächst unter Zwangsverwaltung gestellt und dann von der Polizei gestürmt, da wurden zwei Fernsehanstalten ihre Satellitenfrequenzen entzogen und Hochschullehrer verhaftet, weil sie eine Erklärung zur Kurdenfrage unterschrieben hatten. Böse erging es auch zwei Journalisten der Zeitung „Cumhuriyet“. Ihnen wird Spionage und Vorbereitung eines Staatsstreiches vorgeworfen, weil sie in einem Bericht angedeutet hatten, dass eine Waffenlieferung der Türkei in Richtung Syrien nicht (wie die Regierung behauptete) an die dortigen Turkmenen, sondern an den IS gegangen sein könnte. Im Februar verfügte das Verfassungsgericht wegen unzureichenden Tatverdachts ihre Entlassung aus der U-Haft, im Mai wurden sie dann zu fünf Jahren Haft verurteilt. Auf dem Weg zur Urteilsverkündung wurde dann auf Chefredakteur Dündar geschossen. Sein Kommentar zum Attentat hätte ihm in Deutschland ein Verfahren wegen (angedeuteter) „Majestätsbeleidigung“ eingebracht.
„Ich kenne den Attentäter nicht, aber ich weiß sehr genau, wer ihn dazu ermutigt und mich zur Zielscheibe gemacht hat.“
Ob der Erdogan daraufhin ins Taschentuch/Kissen oder gar in den Teppich gebissen hat wie schon einer vor ihm, wissen wir nicht.
Er plant übrigens auch eine Aufhebung der Immunität von 138 Abgeordneten, was im Parlament zu stürmischen Szenen geführt hat. Im Juni hat das Parlament der Aufhebung mit einer Zweidrittelmehrheit zugestimmt und damit die Jagdsaison auf mehr als ein Viertel der Abgeordneten, v.a. auf Mitglieder der kurdischen HDP-Fraktion, eröffnet.
Jetzt geht’s zur Sache!
Wir kommentieren mit dem „Gstanzl der Woche“, das (ausnahmsweise) diesmal recht gut gelungen ist:
„Es daad nia an Streit gebn,
und ois gaab a Ruah,
wenn da oane nix sogat
und da ander hört zua.“
Nachtrag: Beim Korrekturlesen kam ich zu der Einsicht, dass der Kontroverse Böhmermann/Erdogan zuviel der Ehre/Zeilen zuteil wurde. Für meine Geschwätzigkeit bitte ich um Verzeihung.
Und damit zu den Schlagzeilen:
Die Schlagzeilen/Kurzgeschichten
- Beim Freispruch für Vojislav Seselj, einem Chefdemagogen des Jugoslawienkrieges, hat sich das Tribunal in den Haag anscheinend vom Aschenputtel-Prinzip „die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen“ leiten lassen. Nachdem wir den einen (Karadzic) verdonnert haben, soll der andere (Seselj) frei ausgehen, denn sein Traum von einem „Großserbien“ sei „ein politischer, kein krimineller Plan“ gewesen. Und Aufrufe zur ethischen Säuberung (Kein Kroate dürfe „Vukovar lebendig verlassen“) sollten nur „die Moral der serbischen Truppen heben“und seien womöglich eine Form humanitärer Hilfe gewesen. Die dritte Richterin der Kammer, Flavia Lattanzi, die von ihren Kollegen überstimmt wurde, erhob den Vorwurf, ihre Kollegen hätten viele Beweise der Anklage missachtet und stattdessen Argumente des Angeklagten übernommen. Das stimmt mit der Beobachtung von Ex-Richter Wolfgang Schomburg überein, dass es zwischen dem Angeklagten und dem vorsitzenden Richter, Jean-Claude Antonetti, zu einem „eher freundschaftlichen Dialog“ gekommen sei und dass man in diesem Verfahren „keinen Fehler ausgelassen“ habe. Der Chefankläger möchte in Berufung gehen. Wir auch!
- Da war ein Amtsrichter aus Hof nicht so zimperlich. Er verurteilte einen Iraker, der eine Frau sexuell belästigt hatte, zu dreieinhalb Jahren Haft und blieb damit noch über dem Strafmaß, das von Staatsanwalt und Nebenkläger gefordert wurde – was selten vorkommt. Der Richter habe (wohl angesichts der Vorfälle in Köln) ein „Mahnmal“ setzen wollen, für das, was in Deutschland gar nicht gehe. Der Verteidiger, der (wie wir) das Verhalten des Irakers als „Sauerei“ bezeichnete, fragte sich dennoch, ob der Richter dieses „Mahnmal“ auch errichtet hätte, wenn der Angeklagte ein Deutscher gewesen wäre.
- Bleiben wir beim Sex(ualstrafrecht): Es kommt selten vor, dass ein Gesetz schon praktisch eingestampft ist, bevor es rechtskräftig wird. Das aber droht (zu Recht) dem Gesetz zur Reform des Sexualstrafrechts. Vom Justizminister nur halbherzig verteidigt, wurde es in erster Lesung zerlegt, überwiegend (und verständlich) von weiblichen Abgeordneten. Dass ihre männlichen Kollegen am selben Strang ziehen, setzen wir einmal voraus! Es wird wohl darauf hinauslaufen, worauf es (mit und ohne Köln) hinauslaufen sollte: „Nein heißt Nein!“ Man fragt sich nur, warum man so lange herumgeeiert hat. Für die Rechtsausleger im Internet ist das keine Frage: Die Verhinderer waren die Abgeordneten mit Migrationshintergrund. Sie meinen, das wäre jetzt zu dick aufgetragen? Als im Mai ein Psychopath in Grafing einen Mann niederstach wurde aus dem Täter Paul H. im Netz ein Rafik Y. – ein gestörter Islamist, der 2015 in Spandau erschossen wurde.
- Zum Rahmenthema „traurige Aprilscherze“ gehört auch eine Meldung aus den USA. In Louisiana drohen einem Ladendieb 20 Jahre Haft, weil er Schokoriegel im Wert von 31 Dollar mitgehen ließ. Jacobia Grimes ist Wiederholungstäter und gilt deshalb als „unbelehrbar“. Solche Täter können nach dem sogenannten „three-strike law“ – beim Baseball muss der Spieler nach dem 3. Fehlschlag vom Feld – aus dem Verkehr gezogen werden – und im Gefängnis, wo bekanntermaßen der pädagogische Effekt am größten ist, endlich „belehrt“ werden, dass man für Schokoriegel auch bezahlen muss.
- Auch AI ging im April nicht die Arbeit aus. Die Organisation
warf der Türkei vor, geflüchtete Syrer wieder in ihr „Heimatland“
zurückzuschieben. Wenn das stimmt, dann würden die (nach dem EU-Vertrag)
aus Griechenland rückgeführten Syrer nicht in einen sicheren Drittstaat
gelangen. Aber vielleicht löst sich das Problem auf „elegante“
Art. Man könnte ja die Türkei umgehen und den Syrern in Griechenland
gleich einen Direktfahrschein nach Aleppo in die Hand drücken. Protestiert
hat AI auch gegen die zunehmende Polizeigewalt in Rio de Janeiro. Dort wurden
im Jahre 2015 mindestens 307 Menschen von Polizisten getötet, und in den
ersten drei Monaten dieses Jahres stieg die Zahl der Fälle noch einmal
um 10 Prozent an. Der Kampf gegen willkürliche Polizeigewalt und Diskriminierung
der „Unberührbaren“ in Indien bestimmt auch das Leben von Henri
Tiphagne. Er hat ihm schon oft Prügel und Haftstrafen eingebracht, und
deshalb ist es recht und billig, dass man seinen Einsatz gegen das Kastenwesen
auch einmal honoriert. Henri Tiphagne erhielt 2016 den Menschenrechtspreis von
AI-Deutschland.
Ehepaar Tiphagne bei der Preisverleihung
- „Adieu, Adolf!“ hat eine Twitterin ihren Kommentar zu einer Entscheidung des Tegernseer Stadtrates getitelt, der Adolf Hitler (und Paul von Hindenburg) nach 83 Jahren die Ehrenbürgerschaft aberkannt hat. „Wir wollen keinen Raum für Spekulationen lassen“, gab der Bürgermeister als Begründung an. Er hätte statt „Spekulationen“ auch „Heldenverehrung“ sagen können. Wir wollen auch nicht spekulieren, warum sich manche Gemeinden mit ihrem Nazierbe so schwer tun, aber auch nicht unterschlagen, dass Tegernsee im April die Gemeinde mit der höchsten Asylbewerberdichte im Landkreis war.
- Die Autovermietung Buchbinder hat in bemerkenswerter Weise auf eine Meldung reagiert, dass bei einer Pegida-Kundgebung in München einer ihrer Transporter anrückte. Buchbinder hat versprochen, “… alle Mieteinnahmen, die im Zusammenhang von … Pegida-Kundgebungen entstanden sind, an die Flüchtlingshilfe München zu spenden“ und „Mieter zu sperren“, die ihre Fahrzeuge auf solchen Kundgebungen verwenden. Der Shitstorm von rechts ließ nicht auf sich warten, für uns ist die Reaktion ein Beispiel für „wehrhafte Demokratie“.
- „Lebenszeichen aus der Hölle“ strahlte der amerikanische Fernsehsender CNN aus, als er ein Video mit 15 entführten Mädchen aus Chibok/Nigeria zeigte. Ursprünglich waren es 276, aber einige konnten entkommen, und von anderen befürchtet man, dass sie als Selbstmordattentäterinnen endeten. Auch wenn Nigerias Regierung Zweifel an der Echtheit der Aufnahme hat, da sich „das Aussehen der Mädchen kaum verändert hat“, ist es für die Eltern ein erster Hoffnungsschimmer. Aber auch nicht mehr: Die Meldung hielt sich im Netz zwei Tage, dann war wieder Funkstille. Aber im Mai wurde eine Schülerin in einem Waldgebiet gefunden. Sie hatte ein kleines Kind bei sich und war traumatisiert. Jetzt sind es nur(?) noch 218. Im Juni bekam die junge Frau dann einen Namen und ein Gesicht. Es handelt sich um Amina Ali Nkeki. Sie hatte 764 Tage in Gewahrsam von Boko Haram verbracht, ist wahrscheinlich einem Milizionär „zugeteilt“ worden und muss jetzt zusehen, wie sie in einer Gesellschaft zurechtkommt, die die Mädchen als „IS-Bräute“ führt.
Amina Ali Nkeki
- Das Flüchtlingsproblem schien sich im April wieder ins westliche Mittelmeer zu verlagern, aber fast noch tiefer rührte uns das Schicksal der Menschen, die den Panama-Papieren zu entkommen suchten.
Das Elend dieser Welt
Zensuropfer
- Der Papst auf Lesbos
- Affäre Regeni: Ein italienischer Student in Ägypten zu Tode gefoltert
- DNA-Test beweist: 33 Jahre unschuldig in Haft (Virginia/USA)
- Islamisten ermorden liberale Intellektuelle in Bangladesch
- Druck auf Christen in der Türkei wächst: Kirchen in Diyarbakir enteignet
Zum Abschluss aber noch ein besinnlicher Aprilspruch von Brigite Fuchs:
„Am 1. April sind alle Schafe hinter dem Wolf her. Doch der fällt auf sowas nicht rein.“
Mai 2016
„Der Mai ist gekommen, die AfD schlägt aus“, so könnte man das schöne Frühlingsgedicht von Emanuel Geibel für die unschöne Aussage von Alexander Gauland abwandeln, die er in einem Gespräch mit zwei Journalisten der der „FAZ“ über Jérôme Boateng gemacht haben soll: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht zum Nachbarn haben.“ Als daraufhin der Wohnungsmarkt in Gaulands Heimatort Potsdam in Bewegung geriet
und die AfD-Spitze witterte, dass mit der Attacke auf einen angehenden Fußballeuropameister die Oberhoheit über die Stammtische verloren gehen könnte, begann die AfD mit ihrer üblichen „Rückführungsaktion“: Auf die Provokation folgte die Teilamnesie von Herrn Gauland („Ich kann mich nicht erinnern.“) und die Entschuldigung von Frau Petry, die Boateng als „Klasse-Fußballer“ bezeichnete. Ob sie gleich noch in Boatengs Nachbarschaft umziehen wollte, erwähnte sie aber nicht.
Auch Pegida, die Sturmtruppe der AfD, hat sich des Fußballs angenommen, und zwar unter dem (Spiel entscheidenden) Aspekt der „Kinderschokolade mit Migrationshintergrund“. Da hatte der Schokohersteller Ferrero eine Sonderedition mit Kinderfotos der deutschen EM-Spieler herausgegeben, und natürlichen waren auch Nichtarier wie Jérôme Boateng darunter.
Boateng auf Ferrero (nicht Ferrari)
Die „Pegida BW-Bodensee“ zwitscherte auf Facebook, „dass vor Nichts mehr Halt“ gemacht werde und rief zum Boycott des Produktes auf. Auch hier kam postwendend das Dementi: „Pegida-BW Bodensee ist seit Juni 2015 kein offizieller Ableger von Pegida mehr“, sagte Pegida-Chef Lutz Bachmann. Hauptsache man ist im Gespräch, ob offizielle oder inoffiziell ist Nebensache.
Wenn man den Boycott auf die Mannschaft ausdehnen würde, hätte man plötzlich eine andere AfD, die Alternative Aufstellung für Deutschland. Ob die reinrassigen Spieler allerdings zu dritt gewinnen würden, ist eine andere Sache.
EM-Team mit der AfD Genehmigung
PS.: Im Juni wurde Boateng übrigens als einziger deutscher (?) Spieler in die Topelf der Gruppenphase aufgenommen.
Passt da die Sorge des Präsidenten der deutschen Ärztekammer mit dem typisch deutschen Namen Frank Ulrich Montgomery dazu, der im „Focus“ vor den mangelnden Deutschkenntnissen ausländischer Ärzte gewarnt hat und den fiktiven Fall einer Patientin an die Wand malte, die ihren Blinddarm verliert, weil der aufnehmende „Das ist nur blinder Alarm“ sagt, der ausländische Kollege aber „Blinddarm“ versteht? Wir finden, es passt dazu.
Machen wir einen „Großen Sprung“ nach China. (Die Metapher dient uns hier als holprige Überleitung, aber von 1958 bis 1961 initiierte Mao Zedong eine Kampagne, die zur „größten Hungerkatastrophe der Menschheit“ führte.) Dort wäre am 16. Mai der 50. Jahrestag des Beginns von Maos Kulturrevolution zu feiern gewesen. Darauf hat man von der Parteiführung her tunlichst verzichtet. Zum einen ist Erinnerung an solche Epochen ein Tabu und was bei uns „Vergangenheitsbewältigung“ ist, läuft in China als „historischer Nihilismus“, zum andern bietet diese Zeit unsäglicher Grausamkeiten keinen Grund zum Feiern.
Das sehen die Neomaoisten anders: Sie huldigten „der Sonne, deren Strahlen nie versiegen“ (Mao) auf einer Galaveranstaltung in der Großen Halle des Volkes. Eintrittspreis: 60 Euro aufwärts, 56 Go-go Girls inbegriffen. Die Veranstaltung veranlasste eine Nachfahrin eines Opfers der Kulturrevolution zu einem offenen Brief an die Parteiführung, in dem sie den Organisatoren „schwere Verstöße gegen die Parteidisziplin“ vorwarf. Als dann noch die Verwaltung der Volkshalle zerknirscht zu Protokoll gab, von den Veranstaltern des Konzerts, „betrogen“ worden zu sein, hatte China ein echtes Maogate: das mitveranstaltende „Propaganda- und Erziehungsamt für sozialistische Kernwerte des Zentralen Propagandabüros“ war nämlich eine reine Erfindung. Die Wiederbelebung des Maokultes ist es leider nicht: der öffentliche Pranger für Andersdenkende, heute in Form eines Auftritts im Staatsfernsehen, war schon in der Kulturrevolution ein beliebtes Instrument.
Dem Grundsatz der Partei „Vergessen ist besser als Erinnern“ fiel auch ein Opfer des Massakers auf dem Platz des himmlischen Friedens (1989) zum Opfer. Der Arbeiter Miao Deshun war zu einer 30-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, weil er angeblich einen brennenden Korb auf einen Panzer geworfen hat – und jedermann weiß, welchem Explosionspotential ein Panzer durch einen brennenden Korb ausgesetzt ist. Er gehört zu den 1602 registrierten Häftlingen des „Zwischenfalles“ und soll der letzte von ihnen sein, der noch im Gefängnis hockt. Bei der Haftdauer hat die Arbeiterpartei KP ihrem Namen alle Ehre gemacht: Wer Student und prominent war, wurde schon nach wenigen Jahren entlassen, wer Arbeiter und zudem unbekannt war, durfte länger auf Staatskosten leben. Miao Deshi soll inzwischen spindeldürr und schizophren sein.
Wenn es wirklich sein Foto ist, sieht er heute wohl nicht mehr so aus.
Die Schlagzeilen
- In den USA fordert Terminator Donald Trump, auch an Schulen das Tragen von Schusswaffen zu erlauben. Da werden es sich die Lehrer zweimal überlegen, ob sie noch schlechte Noten geben können. Wer als Lehrer einen Schüler erschießen will, kann sich (für „mindestens 5000 Dollar“) die Pistole von George Zimmermann ersteigern, der vor vier Jahren „in Notwehr“ einen mit einer Kapuze bewaffneten Teenager (und Afroamerikaner) erschoss.
- In Bayern wird nach den Ereignissen in Köln kräftig aufgerüstet, bisher allerdings erst mit Dingern, für die der kleine Waffenschein ausreicht: Schreckschuss-, Reizgas- und Signalwaffen. So wurden im Februar und März über 12000 dieser Waffenscheine neu ausgestellt. Die Polizei sieht diesen Trend mit großer Sorge: Sie befürchtet, „dass viele Situationen durch Schreckschusswaffen eskalieren könnten“. Der Rentner aus Bad Kissingen, der mit einer solchen Waffe durch das offene Fenster auf eine Rallye schoss, hatte zwei Promille im Blut und einen Waffenschein.
- Etwas größer aber in ähnlicher Funktion eingesetzt war der Panzerwagen mit der Aufschrift „Ilmtaler Asylabwehr“, den ein Carnevalsverein auf seinem Faschingszug in Steinkirchen/ LK Pfaffenhofen mitführte. Dem Anfangsverdacht der „Volksverhetzung“ schloss sich die Staatsanwaltschaft nicht an. Der Panzerwagen könne auch als „Beitrag zur politischen Diskussion“ verstanden werden. War er sicher nicht, genauso wenig wie die Grapschereien am Kölner Hauptbahnhof einen Beitrag zur Diskussion über die Verschärfung des Sexualstrafrechts liefern wollten. Aber gut, Menschen kamen in Steinkirchen nicht (direkt) zu Schaden! Und der Zugleiter hat versprochen“, er werde so was nicht wieder tun“. Wir glauben es bis Fasching 2017!
- Jetzt noch einige „gute AI-Nachrichten“. Das sind Nachrichten, die oft die Vergangenheit oder die Zukunft der „guten Nachricht“ ausklammern. AI reibt sich beispielsweise befriedigt die Hände, wenn es langjährige Diktatoren oder brutale Militärs schließlich doch erwischt hat. So wurde Hissène Habré, der Ex-Diktator Tschads und „Pinochet Afrikas“, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Vergewaltigung und sexuelle Sklaverei zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Zum ersten Mal wurde damit ein ehemaliger Staatschef im Namen des gesamten Kontinents zur Rechenschaft gezogen – und das vor einem afrikanischen Gericht.
- Die ukrainische Pilotin Nadja Sawtschenko, über deren Verurteilung wir im März berichtet haben, wurde freigelassen – im Austausch mit zwei mutmaßlichen russischen Soldaten, die es Moskau zufolge aber gar nicht gibt, außer sie haben sich entschlossen, im Kampfgebiet Ostukraine ihren Urlaub zu verbringen. Wie die Sawtschenko dann bei ihrer Heimkehr getönt hat, lässt für die Zukunft (und für ihre eigene) nichts Gutes ahnen.
„Ich bringe nicht die Toten zurück, aber ich bin weiter dazu bereit, der Ukraine mein Leben auf dem Schlachtfeld zu opfern.“
Wäre es eine Nummer kleiner nicht auch gegangen?
Pilotin mit Kampfeslust
Anfang Dezember hat sie dann selber einen Deal eingefädelt, der zwei Ukrainerinnen die Freiheit brachte. Dazu hatte sie sich auf eigene Faust mit zwei Separatistenführern getroffen, was bei ukrainischen Politikern gar nicht gut ankam. Insbesondere Staatschef Poroschenko wird insgeheim bereuen, dass er sie nicht noch ein paar Jährchen in einem russischen Gefängnis weiterschmoren ließ.
- In Borlänge/Schweden entstand ein Foto, das entfernt an den legendären Einzelkämpfer erinnert, der sich im Mai 1989 auf dem Tian’anmen-Platz in Peking den Panzern entgegenstellte. In Borlänge hat sich die Afro-Schwedin Tees Asplund mit der Mandela-Faust Hunderten von Neonazis entgegengestellt. Tees ist 1,63 Meter groß und nur 50 Kilo schwer. Nach einer Schubserei und einem Blickduell wurde sie von der Polizei weggebracht und fuhr anschließend wieder nach Hause.
Davida gegen Goliath
- Und dann gilt es noch eines Mannes zu gedenken, der vielen Menschen das Leben gerettet hat und bei uns das Bewusstsein geschaffen hat, dass man Flüchtlinge nicht einfach absaufen lassen darf. Rupert Neudeck, Gründer von Cap Anamur, ist am 31. Mai nach einer Herzoperation gestorben. Die „SZ“ schließt ihren Nachruf mit den Worten:
„Wenn es in diesen Zeiten so etwas wie einen Heiligen gibt – dann war er einer.“
- Und damit sind wir fugenlos beim „Hl. Vater“ Franziskus angelangt. Als man ihm heuer den „Karlspreis zu Aachen“ verlieh, lautete der letzte Satz seiner Dankesrede:
„Ich träume von einem Europa, von dem man nicht sagen kann, dass sein Einsatz für die Menschenrechte an letzter Stelle seiner Visionen stand.“
Preis mit Folgen
Und mit der Zeichnung dazu sind wir bereits beim Brexit im Juni angelangt.
Zensuropfer
- Pharmakonzern Pfizer/USA untersagt die Verwendung seiner Produkte (Narkosemittel) für die Vollstreckung der Todesstrafe
- Hohe Dunkelziffer bei Folter und Verschleppungen in der Ostukraine
- Hohe Haftstrafen für Angehörige der „Operation Condor“ – 33 Jahre nach Ende der Militärdiktatur in Argentinien
- Erdinger Landrat ersetzt bei Flüchtlingen das Bargeld durch eine Chipkarte – die in mehreren Bereichen und Geschäften nicht funktioniert
- Friedensaktivist Daniel Berrigan gestorben
Juni 2016
Der Juni ist bekanntlich nach der römischen Göttin Juno benannt, die sich der Göttervater Jupiter als 2. Frau zulegte – nachdem er seine erste Frau getötet hatte. Juno galt als Göttin der Geburt, der Ehe und der Fürsorge, aber bei den Silvestervorfällen in Köln und Hamburg scheint sie weggeschaut zu haben, wie einige Polizisten auch.
Ihre Fürsorgepflicht (für Frauen) verletzt, hat Juno auch in Katar, wo eine Niederländerin (nach eigenen aber durchaus glaubwürdigen Angaben) zuerst mit K.o.-Tropfen betäubt, dann in einer fremden Wohnung vergewaltigt und schließlich wegen „außerehelichen Geschlechtsverkehrs“ zu einer einjährigen Haftstrafe auf Bewährung samt Geldstrafe verurteilt wurde. Nach Zahlung der Geldstrafe (750 Euro) und drei Monaten Haft wurde sie des Landes verwiesen. Der (höchst) mutmaßliche Täter erhielt 140 Peitschenhiebe – 100 für unerlaubten Sex und 40 für Alkoholkonsum. Da sollten sich England und Russland gut überlegen, ob sie an der Fußball WM von 2018 teilnehmen sollen: die Fans dieser Länder sind ja nicht gerade als Temperenzler bekannt.
Sex und Alkohol waren auch die Bestandteile des Dramas, das sich an der „Eliteuniversität“ Stanford/USA abgespielt hat. Dort kam ein Student vor Gericht, der (mit dem üblichen Partypegel der Studentenfeiern) auf dem Campus eine (alkoholisierte) bewusstlose Frau sexuell missbraucht hatte. Fast noch bedrückender als die Tat selbst waren zwei Briefe, die durch die sozialen Medien gereicht wurden. Der eine Brief stammte vom Opfer selbst: Die junge Frau beschrieb darin die entwürdigenden Untersuchungen, die sie über sich ergehen lassen musste und die seelischen Wunden, die die Tat bei ihr hinterlassen hatte. Der andere Brief stammte vom Vater des Täters: Er bittet darin um eine milde Strafe für seinen Sohn, denn der sei seit dem Gerichtsverfahren nicht mehr derselbe. Und jetzt kommt’s!
„Man sieht es in seinem Gesicht, an seinem Gang. Sein Leben wird nie so sein, wie er es sich erträumt Und wofür er so hart gearbeitet hat. Das ist ein hoher Preis, den er für die 20 Minuten Action bezahlen muss.“
Aber es geht noch weiter! In einem Land, das (auf dem Papier) eines der strengsten Sexualstrafrechte der westlichen Welt hat, erhielt der Täter nur sechs Monate, weil sich der Richter bei einer längeren Haftstrafe Sorgen um dessen Zukunft gemacht hätte.
Ein „Fortschritt“ war, dass die Tat überhaupt vor Gericht kam, die Universität den Täter vom Campus verbannte, die Öffentlichkeit sich hinter der Frau versammelte und eine Professorin von Stanford juristische Schritte gegen den Richter ankündigte.
Gut hingeschaut hat Juno, als dann im Juli im Bundestag das neue Sexualstrafrecht beschlossen wurde. Während die Verschärfung des Vergewaltigungsparagraphen – „Nein heißt nein“, ganz gleich, ob das „Nein“ durch Gegenwehr, Worte, Weinen oder Gesten zum Ausdruck gebracht wird – einstimmig verabschiedet wurde, gab es bei den Neuregelungen zur sexuellen Belästigung („Grapschen/Vergewaltigung aus der Gruppe“) Gegenstimmen aus der Opposition. Es sei „verfassungswidrig“, Leute zu bestrafen, die zwar Teil der Gruppe waren, aber an der Straftat nicht direkt beteiligt waren. Aber „indirekt“ reicht auch schon aus.
Schlagkräftige Überzeugungsarbeit
Auch wenn Politiker, Ausländerämter (und Helferkreise) immer noch damit beschäftigt sind, erleichtert aufzuatmen, weil derzeit nicht so viele Flüchtlinge kommen, sind letztere nicht von der Bildfläche verschwunden. Hier eine bunte Mischung von Meldungen zum Thema Flucht und Integration:
- Die Flüchtlinge bleiben auch deswegen aus, weil immer mehr von ihnen auf der Fahrt von Libyen und
Ägypten nach Italien ertrinken. Die Schlepper scheinen die Fahrtkosten reduziert zu haben, packen dafür aber mehr Flüchtlinge in seeuntüchtigere Boote. Ihr Geld machen sie auch anderweitig: In einer Flüchtlingsunterkunft im Allgäu lebt ein 11-jähriger Somalier, dem man auf der Flucht eine Niere entnommen hat.
- Unter dem Titel „Die enthemmte Mitte“ wurde eine Studie der Uni Leipzig vorgestellt. Ihr zufolge haben zwar weniger Menschen ein rechtsextremes Weltbild, aber dafür nehmen die Ressentiments gegen Muslime, Flüchtlinge und Schwule zu. Immerhin waren 41,4% der Befragten mit der Aussage „Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden“ einverstanden. Und die Leipziger sollen nicht nur Sachsen sondern auch Bayern befragt haben! Zu ergänzen ist, dass die These vom „Extremismus der Mitte“ sehr umstritten ist, und die Studie abwechselnd als „belanglos“ und „alarmistisch“ bezeichnet wurde. Aber sei es wie es ist: Wir teilen die Meinung des Theologen Paul Zulehner, der sagt, „dass nicht das christliche Abendland, sondern das Christliche im Abendland zu retten sei“.
- Damit sind wir unversehens bei der Diskussion um die bayrische Leitkultur angelangt. Im Gesetzesentwurf der Staatsregierung wird von den Flüchtlingen viel gefordert und wenig angeboten. Und besonders schwer tut man sich bei der Beschreibung „des Brauchtums, der Sitten und Traditionen“, die zum Kernbestand des Bayerntums zählen. Bis das geklärt ist, haben wir einen anderen Vorschlag:
Bayrische Leitkultur
- Schließen möchten wir diesen Abschnitt mit einer Schlagzeile aus Minden: SYRISCHER FLÜCHTLING GIBT GEFUNDENE 50 000 EURO AB. Der Syrer hatte von einer karitativen Einrichtung einen Schrank bekommen, beim Aufbau ein Geheimfach mit 50 000 Euro (+ Sparbücher über 100 000 Euro) entdeckt und beim Ausländeramt abgegeben. Jetzt ist nur noch zu hoffen, dass der Besitzer kein AfD-Mitglied ist, denn der würde ihm den Finderlohn verweigern, weil dieser ja schon mit den Sozialleistungen für Asylbewerber abgegolten wäre. Wir kommen später noch einmal darauf zurück.
Die Schlagzeilen
Wir gehen vor von dunkelschwarz bis kunterbunt.
- In Birstall/Nordengland wurde die Labour-Abgeordnete Jo Cox auf offener Straße und am helllichten Tage ermordet. Der Täter soll bei seiner Tat „Britain first“ („Großbritannien zuerst“) gerufen haben, aber was er tat, war das Allerletzte, was ein Mensch tun kann. Wir wollen Frau Cox mit einem Bild in Erinnerung behalten. Den Brexit, den weder sie noch ihr Tod verhindern konnten, wollen wir lieber vergessen.
Blumen für Jo Cox
- „Opfer der Gier“ – Unter diesem Titel wies die „SZ“ auf einen Bericht der NGO „Global Witness“ hin. Er dokumentiert, dass im vergangenen Jahr weltweit so viele Umweltaktivisten getötet wurden wie nie zuvor. Oft handelte es sich dabei um Ureinwohner, die ihr Land vor skrupellosen Konzernen schützen wollten. Die meisten Morde bleiben unaufgeklärt.
Opfer der Gier auf den Philippinen
- Im Iran wurden 35 Studentinnen und Studenten zu 99 Peitschenhieben verurteilt. Sie hatten ihre Abschlussprüfung mit Alkohol und „in unangemessener Kleidung“ gefeiert. Wenn man da an die Fêten der Realschulen und Gymnasien denkt, kann man (trotz mancher Bedenken) nur sagen: Lieber am nächsten Tag einen Kater im Kopf als Striemen am Rücken.
- Wüst beschimpft wurden in verschiedenen Situationen Bundespräsident Gauck und ZDF-Reporterin Neumann. Der Präsident wurde wegen seiner Haltung zur Flüchtlingskrise mit „Volksverräter“ begrüßt, und Frau Neumann sah sich einem Shitstorm ausgesetzt, nachdem sie als Frau (!) das EM-Spiel Italien gegen Schweden kommentiert hatte. Und wie hat sie der Sportchef des Senders gegen die Pöbeleien verteidigt? „Diese Frau steht ihren Mann.“
Gauck in Sebnitz
- Im Hallenbad von Neutraubling/bei Regensburg har der Bürgermeister ein Burkini-Verbot erlassen. Badegäste hätten sich von einer Muslima, die am Frauenbadetag in der Ganzkörpermontur ins Wasser gestiegen sei, gestört gefühlt und überdies fordere die dortige Badeordnung aus hygienischen Gründen „eine allgemein übliche Badebekleidung“.
Anstößige Bademode
Zur Klarstellung: Ich persönlich halte den Burkini für Blödsinn, aber ein Verbot ist noch blöder, weil dadurch viele Muslimas gar nicht zum Baden kämen.
- Auch mit Wasser, aber mit viel zu viel Wasser, hat die nächste Meldung zu tun. Niederbayrische Städte wie Simbach wurden von verheerenden Überflutungen heimgesucht, und es dauerte Tage, bis der Schlamm wieder von den Straßen geräumt war. Die Simbacher hatten im vergangenen Herbst Tausende von Flüchtlingen empfangen und erlebten jetzt, dass ihnen ihre Hilfsbereitschaft vergolten wurde.
Asylbewerber beim Einsatz in Simbach
- Und ein sichtbares Zeichen setzten auch die 4000 Teilnehmer einer Menschenkette in München, die mit bunten Regenschirmen gegen Hass und Rassismus demonstrierten. die Schirme waren ursprünglich symbolisch gedacht, mussten aber im Regenwetter ihre üblichen Dienste leisten. AI war natürlich mit von der Partie, aber in Miesbach gab’s statt Regenschirmen Gummibärchen. Doch davon später!
Tausend bunte Regenschirme
Gestorben ist Anfang des Monats eine Frau, die mit viel Courage und Beharrlichkeit mit den „Frauen in Schwarz“ in Holzkirchen für eine friedlichere Welt gekämpft hat.
Zensuropfer
- Im Bundesrat (noch) keine Mehrheit für sichere Herkunftsstaaten Marokko, Algerien und Tunesien
- „Kritik in Geschenkpapier“ – Merkels 9. Besuch (!) in China
- Kontroverse um Tests von Medikamenten an Demenzkranken
- Obama empfängt den Dalai Lama – aber nicht im Oval Office
- Eric Holder, der ehemalige US-Generalstaatsanwalt/Justizminister, hat sich voller Anerkennung zu den Enthüllungen Edward Snowdens geäußert
Juli 2016
Von einer „Heldin der Lyrik“ findet man folgende Zeilen im Netz:
„Grüß Gott! Erlaubt mir, dass ich sitze.
Ich bin der Juli, spürt ihr die Hitze? …“
Das Ehepaar, das da schlaflos (aber sicher) im Bett sitzt, spürt nicht die Hitze des Sommers, sondern den Verlust der Normalität.
Deutschland, ein Sommer-Albtraum
Eine Stafette des Terrors hat Frankreich und Deutschland erfasst – von Aleppo ganz zu schweigen, denn dort ist der Terror seit Wochen Normalität. Die Täter scheinen, bevor sie erschossen werden, ihren Nachfolgern die Äxte, Messer, Bomben und Pistolen weiterzureichen, und viele von ihnen sagen nicht „Grüß Gott!“, sondern schreien „Gott ist groß!“
- In Nizza wurden am französischen Nationalfeiertag 84 Menschen getötet, als ein Lastwagen im Zickzack an einer Menschenmenge entlang raste, die zu einem Feuerwerk gekommen waren.
- Im Regionalexpress von Würzburg nach Treuchtlingen ging ein 17-jähriger Afghane mit Axt und Messer auf die Fahrgäste los. Vier Touristen aus Hongkong wurden verletzt, auf der Flucht ging er auch noch auf eine Passantin los. Der Täter lebte seit kurzem bei einer Pflegefamilie, hatte Aussicht auf eine Lehrstelle, galt als „ruhig und ausgeglichen“, doch „wie’s da drinnen aussah“, wusste niemand so recht. Da hilft kein Reden um den heißen Brei herum: Integrationsbemühungen können scheitern – genauso wie die Resozialisierung von deutschen Jugendlichen. Der Jugendliche scheint einen „Führungsoffizier“ gehabt zu haben, der ihm riet, mit einem Auto in eine Menschenmenge zu fahren. Das hat er abgelehnt, „weil er noch keinen Führerschein habe“. Aber verboten ist bei uns nicht nur das Schwarzfahren, sondern auch die Menschenjagd!
- Schnell geschossen, und mit verheerenden Folgen, hat der Attentäter vom Olympiaeinkaufszentrum/OEZ in München. Er hatte Jugendliche über Facebook zum Imbiss bei McDonalds ins OEZ eingeladen und dann neun Menschen erschossen. Die meisten Opfer hatten einen Migrationshintergrund und waren Muslime.
In der Stadt kam es zu ergreifenden Trauerfeiern und das bewegendste Gebet kam von Dhahri Hajer vom Muslimrat München.
„Beschütze diese schöne Stadt
und ihre Bewohner, beschütze Deutschland. Und bewahre es davor, in einen
Kreislauf des Hasses und der Gewalt zu verfallen.“
Trauerfeier
- Und wiederum zwei Tage später ermordeten zwei Islamisten einen Pfarrer in Saint-Etienne-du-Rouvray/Normandie während des Gottesdienstes. Der islamische Dachverband in Frankreich rief daraufhin die Muslime auf, am darauf folgenden Sonntag die christlichen Gottesdienste in den Kirchen zu besuchen.
- Zwei Tage später zündete ein Syrer in Ansbach eine Rucksackbombe vor einem Weinlokal. Er verletzte
15 Menschen und tötete sich selbst. Geplant hatte er, die Bombe bei einem Musikfestival hochgehen zu lassen, aber man ließ ihn nicht rein, weil er keine Eintrittskarte hatte. Am nächsten Tag marschierten die Neonazis auf. Auf ihren Plakaten stand: „Kriminelle Ausländer raus“, aber das Wort „kriminell“ war bis zur Unleserl chkeit verkleinert. Flüchtlinge hingegen forderten „Frieden für alle!“ - offensichtlich auch für die Neonazis. Ausländer raus“, aber das Wort „kriminell“ war bis zur Unleserlichkeit verkleinert. Flüchtlinge hingegen forderten „Frieden für alle!“ - offensichtlich auch für die Neonazis.
Brauchen Sie etwas Entspannung? Können wir nicht bieten, außer das Kopfschütteln über die Dummheit der Menschen hilft Ihnen, die Grausamkeit der Menschen zu verdrängen.
- Als die Polizei den Attentäter von Würzburg aufgestöbert hatte, soll er mit der Axt auf sie losgegangen sein und wurde erschossen. Renate Künast/Grüne twitterte nahezu zeitgleich die Frage: „Wieso konnte der Angreifer nicht angriffsunfähig geschossen werden?“ Eine solche Frage ist natürlich nicht „niederträchtig“ („Merkur“), aber klüger wäre es gewesen, wenigstens den Untersuchungsbericht abzuwarten.
- In München wurden kurze Zeit nach dem Massaker Bilder ins Netz gestellt. Zu sehen: Leichen und meterlange Blutspuren. Die Bilder stammten von einem Anschlag in einem Einkaufszentrum in Südafrika.
- Und in Ansbach wurde eine Flüchtlingshelferin von einer älteren Frau angemacht: „Wegen dieser Scheiß-Asylanten müssen wir jetzt Angst haben. Wegen Euch Gutmenschen haben wir die jetzt hier.“
Gehen wir von Europa in die Türkei. Oder ist das nicht mehr Europa? Am 15. Juli kam es dort zu einem Militärputsch, nicht der erste im Lande, aber der erste Militärputsch, der scheiterte. Als Privatperson habe ich sofort an eine Inszenierung durch Erdogan geglaubt: Die Vorbereitung war dilettantisch, das „Cui bono?/Wem nützt es“ (bei einem Fehlschlag) lag auf der Hand - Erdogan sprach selber von einer „Gunst Gottes“ -, und die Verhaftungslisten sollen schon in den Schubladen gelegen haben. Als Gruppensprecher von AI (und mangels Beweisen) muss ich allerdings auf den weiteren Ausbau dieser Verschwörungshypothese verzichten, und das nicht nur, weil wir von ganz oben (aber nicht von Erdogan) ein Mail erhalten haben, das man bei oberflächlichem Lesen fast schon als „Maulkorberlass“ bezeichnen könnte. Wir sind gehalten, bei Äußerungen zur Menschenrechtslage in der Türkei „einen ausgewogenen Rahmen“ zu wahren und alles zu vermeiden, was wie eine „Verteidigung des Putschversuches“ klingen könnte. Das haben wir aus der Rückschau auch nicht vor, denn dafür gab es zu viele Opfer, und die Alternative Gülen würde eine Wahl zwischen Pest und Cholera bedeuten.
AI hat deutlich die Zahl der Verhaftungen, die menschenunwürdige Unterbringung vermeintlicher Putschisten, Foltervorwürfe in Polizeigewahrsam und Verweigerung von Rechtsbeistand verurteilt und arbeitet wohl deshalb „in einer extrem schwierigen Sicherheitslage“. Es mag gut sein, dass nach den „Bienenzüchtern“ bald die Mitglieder der türkischen AI-Sektion dran sind.
Verhaftungswelle in der Türkei
Da passt die Meldung, dass Mario Gomez wegen der „politischen Situation“ nicht mehr zu seinem Verein in Istanbul zurückkehren möchte. Vielleicht hat er aber auch Angst, dass auch deutsche Profifußballer gefährdet sind.
Die Schlagzeilen
- In Pakistan wurde Quandeel Baloch von ihrem Bruder ermordet. Sie kämpfte für die Gleichberechtigung der Frauen und hat immer wieder Fotos ins Netz gestellt, die sie im Schwimmbad oder Fitnessstudio zeigten. Die Bilder waren nach westlichen Standards eher zurückhaltend - nach dem Standard der Pornofreaks unter den pakistanischen Männern übrigens auch. Kurz vor ihrem Tod stellte Quandeel noch einen Appell an ihr Land ins Internet: „Es ist an der Zeit sich zu wandeln, denn die Welt wandelt sich.“ Die „SZ“ kommentierte:
„Sie wird nun nicht mehr erleben können, ob ihr Aufruf je Realität werden wird.“
Quandeel Baloch (+)
- Die Realität wird vollends zum Albtraum, wenn man die haarsträubende Meldung aus Indien liest, wo eine Studentin, die vor drei Jahren sexuell missbraucht wurde, erneut Opfer einer Gruppenvergewaltigung wurde. Und zwei der Täter waren damals schon beteiligt. Sie leben derzeit gegen Kaution auf freiem Fuß. Da kann man nur noch singen. „Money makes the men go round.“
- Dass von den „westlichen Standards“ nicht zuviel ins Land kommt, war für die Bassidsch-Milizen im Iran der Anlass, 100 000 Satellitenschüsseln zu zerstören. Ob unsere Fernsehprogramme die „Moral und Kultur“ einer Gesellschaft untergraben, sei dahingestellt. Da aber 70% der Iraner „untergraben“ werden wollen, hat sogar der Kulturminister gefordert, das Verbot, das Ausland zu empfangen, aufzuheben.
Sendestörung im Iran
- Das Bild des Monats kommt Baton Rouge/Louisiana. Der „Merkur“ hat dafür (ironisch oder gedankenlos) den Titel „US-Polizisten sorgen sich um ihre Sicherheit“ gewählt. Letztere scheint in jenem Augenblick nicht gefährdet zu sein, aber der Fairness halber muss man hinzufügen, dass im Juli in Dallas/Texas und Baton Rouge auch amerikanische Polizisten erschossen wurden.
Davida gegen Goliath (2)
Zensuropfer
- Symbolisches Tribunal in Den Haag verurteilt den Massenmord von 1965 (!) in Indonesien
- Neuer Rekordwert bei Rüstungsexporten (aus Bayern)
- Durchbruch bei Friedensgesprächen über Kolumbien im Juni - im Juli schon wieder gefährdet.
- Kirchenasyl in Regensburg
- fragwürdiger Polizeieinsatz gegen eine Demonstrantin bei einer Anti-Pegida Sitzblockade in München.
An sich reicht’s für einen Monat, aber nachdem so viel von mordenden Amokläufern, Terroristen und Machos die Rede war, möchten wir Sie/uns mit einem Text von Heinrich Heine der Frage aussetzen, wieweit wir selber im Alltag von Mordimpulsen geleitet werden. Zum Lachen ist der Text nicht gerade, aber ein leichtes Schmunzeln ist gestattet.
„Ich habe die friedlichste Gesinnung. Meine Wünsche sind: eine bescheidene Hütte, ein Strohdach, aber ein gutes Bett, gutes Essen, Milch und Butter, sehr frisch, vor dem Fenster Blumen, vor der Tür einige schöne Bäume, und wenn der liebe Gott mich ganz glücklich machen will, lässt er mich die Freude erleben, dass an diesen Bäumen etwa sechs bis sieben meiner Feinde aufgehängt werden. Mit gerührtem Herzen werde ich ihnen vor ihrem Tode alle Unbill verzeihen, die sie mir im Leben zugefügt – ja man muss seinen Feinden verzeihen, aber nicht früher, als bis sie gehenkt werden.“
August 2016
Warm ist das Wasser im August,
zum Baden hätt’ sie große Lust.
Doch darf es kein Burkini sein,
sonst schreitet schnell die Staatsmacht ein.“
So geschehen im Frankreich des 21. Jahrhunderts, als 26 Gemeinden den Burkini verboten haben. In der Folge kam es, als Polizisten dieses Verbot durchsetzten, zu staatlich verordneten Stripteaseszenen am Strand.
Polizeikontrolle am Strand
Die Bürgermeister beriefen sich auf das Prinzip des Laizismus, die Freiheit der Staatsmacht von religiösem Einfluss und sahen im Burkini eine Strandbekleidung, die „auf ostentative Weise die Zugehörigkeit zu einer Religion zum Ausdruck bringt“. Auch berief man sich auf die wegen der islamistischen Attentate „angespannte Stimmung“, in der muslimische Badebekleidung als Provokation empfunden werden könnte.
Als sich die Badesaison dem Ende zuneigte, hat der französische Staatsrat das Burkiniverbot gekippt. Ein solcher Eingriff in die persönliche Freiheit sei nur erlaubt, wenn konkrete Gefahr drohe. „Der bloße Verweis auf eine vergiftete Stimmung genüge da nicht.“ Und die Bürgermeister dürften keine Badebekleidung verlangen, welche die „Laizität“ respektiert.
Was sind wir Deutschen da tolerant! Blättern sie mal zum Juni zurück: Burkiniverbot in Neutraubling „aus hygienischen Gründen“. Da waren die französischen Bürgermeister noch ehrlicher. Es soll ja bei uns Leute geben, die den Burkini mit der Burka verwechseln, aber soweit ich weiß, ist noch keine Muslima mit der Burka zum Baden gegangen oder im Burkini vor Gericht erschienen.
Die Burka und der Niqab sind auch bei uns Streitobjekt geworden. Dabei kam es zu Überspitzungen, die umgekehrt proportional zur Anzahl der Burkaträgerinnen in Deutschland sind. Man geht von bis zu 300 aus. Da schrieb ein Anhänger des Burkaverbotes lapidar: „Die Burka steht für die Taliban.“ Nein, steht sie nicht: Einige der Trägerinnen sind wegen der Taliban aus Afghanistan geflohen. Am anderen Ende steht eine Muslima, die mit dem Argument „Jeder soll selbst entscheiden, wie er oder sie sich kleidet“, ein Verbot ablehnt, und mit den Worten schließt:
„Sogar, wenn die Entscheidung, die Burka zu tragen, keine eigene, sondern fremdbestimmt ist, so ist es letztlich auch die eigene Entscheidung, sich das gefallen zu lassen.“
Nun, da möchte ich nicht wissen, wie der Ehemann, der seiner Frau die Burka vorschreibt, reagieren wird, wenn sie sich das nicht mehr gefallen lässt.
Die Politiker führten die Diskussion auf unterschiedlichem Niveau: Die CSU, wer hätte das gedacht?, und einige Leute aus der Schwesterpartei forderten ein strenges Verbot, lnnenminister de Maizière meinte zu Recht, dass „man nicht alles verbieten könne, was man ablehnt“, und die Innenministerkonferenz beschloss ein „Burkaverbot light“, das sich auf Einrichtungen des öffentlichen Dienstes (Schulen, Gerichte), den Straßenverkehr und Demonstrationen beschränkt. Damit könnte man leben – auch die Inhaber der Luxusgeschäfte in der Maximilianstraße in München, wo voll verschleierte Touristinnen, die einzigen (nennenswerten) Burkaträgerinnen Münchens, viel Geld ausgeben.
Nicht verkneifen können wir uns ein Foto aus den 60er Jahren – und das nicht wegen des VW-Käfers, der erwartungsvoll im Hintergrund steht.
Damals „herrschte (in Teilen der arabischen Welt) ein Klima des Aufbruchs und der Selbstermächtigung, wie es Jahrzehnte später im Arabischen Frühling aufblitzte. Und verschwand“.
„Selbstermächtigung“ in einem negativen Sinn ist ein gutes Wort, um zu einigen (Un)Kostproben aus der Hass-Sprache und den Hass-Taten gegen Flüchtlinge, Politiker und Helfer überzuleiten. Es ist kaum zu glauben, was sich manche Leute da herausnehmen, im Netz sogar unter Klarnamen.
- „Frontex sofort beenden. Je mehr Migranten ersaufen, desto eher begreifen selbst afrikanische Ziegenhirten, dass es sich nicht lohnt, nach Europa aufzubrechen.“ (AfD Kreisverband Rottweil-Tuttlingen)
- In Selb stellte ein Ladeninhaber ein Schild mit der Aufschrift ‚Asylanten müssen draußen bleiben’ in sein Schaufenster. Das Schild glich formal dem Hundeschild vor Metzgereien. Der Geschäftsmann wurde zu einer Geldstrafe wegen „Volksverhetzung“ verurteilt, das ‚Volk’ im Netz nahm ihn in Schutz: „Er hat halt gerade kein anderes Schild zur Hand gehabt.“
- Unter derselben Anklage kam auch ein Haushamer vor Gericht, der in Facebook gefordert hatte, „die Asylanten nach Syrien auszuliefern und an die Wand zu stellen“. Wie beides gleichzeitig möglich ist, hat er nicht erklärt.
- Da hört sich der Protestschrei des Landrates von Neustadt an der Waldnaab fast schon wieder lustig an. Konfrontiert mit seinem Namen neben einem hölzernen Stinkefinger auf einem Fensterbrett und der Unmenge an Hasspost, die er wegen der Flüchtlinge bekommt, ist ihm der Kragen geplatzt: „Ja, … bin ich denn hier eigentlich für jeden der Depp?“ fragte er auf Facebook.
Kurz vor Schulanfang hat der BLLV, die größte Lehrerorganisation in Bayern, ein Manifest gegen die „Verrohung der Sprache“ vorgelegt. Da heißt es:
„Wir erleben eine Aggressivität, eine Sprache des Hasses, der Geringschätzung und Diskriminierung, persönliche Beleidigungen, bewusste Kränkungen und Ausgrenzung in Wort und Schrift.“
Simone Fleischmann, die Präsidentin des BLLV hatte natürlich auch die Hass-Sprache gegen die Flüchtlinge im Auge, aber unmittelbarer Anlass war eine Schmiererei vor einer bayrischen Dorfschule. Da war von „Drecksschule, Lehrergesindel und Untermenschen“ die Rede.
Als ehemaliger Angehöriger des ‚Lehrergesindels’ komme ich zu den Schlagzeilen.
Die Schlagzeilen
- Im amerikanischen Wahlkampf hat Donald Trump zur Erschießung von Hillary Clinton aufgerufen. Nein, so kann man das natürlich nicht sagen. Er hat nur gemeint, dass Bürger, die ihr Recht auf Waffenbesitz verteidigen, das sie im Second Amendment/2. Zusatzartikel zur Verfassung garantiert sehen, „vielleicht etwas (tun) könnten.“
Jagdszenen in Washington
Clinton möchte den Waffenbesitz strenger regulieren, damit keine Waffen mehr in die Hände von Kriminellen, Terrorverdächtigen und mental labilen Menschen (wie der NRA/Waffenvereinigung) geraten.
- Die Staatsanwaltschaft in der Türkei hat für den Prediger Gülen, der als Anstifter des Putsches angesehen wird, eine Haftstrafe von 2000 Jahren gefordert. Das wäre etwa solang, wie die west- und oströmischen Kaiser und die osmanischen Sultane zusammen regiert hätten.
- In Chile sind ein früherer Offizier und ein Ex-Militärpolizist zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Sie wurden beschuldigt, im September 1973 elf Oppositionelle entführt und ermordet zu haben.
- In Guantánamo kamen 15 Häftlinge frei und durften in die Vereinigten Arabischen Emirate ausreisen. Damit sank die Zahl der verbliebenen Häftlinge auf 61. Für 19 von ihnen wäre bereits die Entlassung bewilligt, wenn sich Aufnahmeländer finden würden. Wie wäre es denn mit den USA? Wäre eine Geste der Reue darüber, dass man, im Eifer des Gefechtes, vielleicht doch einige Leute aus Versehen eingesperrt und aus Gewohnheit 15 Jahre festgehalten hat.
- Malaysia will in Zukunft einen Vergewaltiger nicht mehr ungestraft davonkommen lassen, nur weil er inzwischen sein Opfer geheiratet hat.
- Und zum Schluss einen Nachtrag zum Stellenwert der Kleider- und Bartordnung der Islamisten: Als in Syrien die Stadt Manbidsch aus der Herrschaft des IS befreit wurde, schnitten sich die männlichen Bewohner die Bärte ab und verbrannten die weiblichen Bewohner ihre Niqabs.
Weg mit dem Niqab!
Zensuropfer
- neue Hinweise auf die Unschuld von Jens Söring, Häftling in Dillwyn/Virginia
- Legende von nächtlichen Flugbewegungen zur Einschleusung syrischer Flüchtlinge
- Urteil in München: lebenslänglich für zwei hochrangige Geheimdienstler des früheren Jugoslawien wegen Ermordung eines kroatischen Regimekritikers in Wolfratshausen (1983)
Und als Vorschau auf den September: ein Jahr danach
Willkommenskultur noch intakt
September 2016
In seltener Eintracht kommentierten „SZ“ und „Merkur“ die verbale Wende in Merkels Flüchtlingspolitik. Ihr „Wir schaffen das“ sei fast zu einer „Leerformel“ geworden, die sie „am liebsten kaum noch wiederholen möchte“. Für Chefredakteur Anastasiadis vom „Merkur“ war das eine „Reue-Rede“, und ihre (widersprüchlichen) Äußerungen zur Schließung der Balkanroute und zur Notwendigkeit von weiteren Rückführungsabkommen – noch nicht gerade mit der ganzen Welt, aber beispielsweise mit Afghanistan – bezeichnete er „als Rolle rückwärts“. Für die Bebilderung seines Triumphgeheuls sorgte dann die „SZ“.
Wenn wundert es dann, dass jetzt die Geister aus der Flasche entweichen, auf die Horst Seehofer schon vor einem Jahr keinen „Stöpsel mehr kriegen“ konnte? Aber Seehofers Geister waren natürlich die Flüchtlinge, die Geister, die wir hier meinen, sind bei der AfD und beim harten Kern der CSU. Beispiel Obergrenze! Innenminister Herrmann möchte sie bei 200 000 Flüchtlingen pro Jahr sehen, AfD-Vize Gauland meint: „Wenn sie bei 100 läge, könnte man sicherlich darüber reden.“ Da sein Volks- und Parteigenosse Poggenburg zu Jahresanfang noch eine Null-Grenze gefordert hatte, ist das eine Steigerung, die in Prozenten ausgedrückt, zu Unendlich tendiert. Frage an mathematisch Höherbegabte: Auf wie viele Flüchtlinge käme da Minister Herrmann, wenn er bei dieser Steigerungsrate mithalten würde? Da war Kardinal Marx schon etwas „bescheidener“: Er forderte zwar auch eine Reduzierung der Flüchtlingszahlen, ist aber gegen eine „fiktive Zahl“, denn, so fragt man sich, was täten wir, wenn eine schwangere Frau Flüchtling 200 001 wäre?
Und dann entwich der Flasche Andreas Scheuer, Generalsekretär der CSU. Der sagte der „Mittelbayrischen Zeitung“:
„Das Schlimmste ist ein Fußball spielender ministrierender Senegalese. Der ist drei Jahre in Deutschland – als Wirtschaftsflüchtling – den kriegen wir nie wieder los.“
Nun gehört es zum Anforderungsprofil jedes Generalsekretärs, in die Wadeln zu beißen, aber mit dieser Äußerung hat er sich eher selber ans Bein gepieselt. Kardinal Marx war „verärgert“, Ratsvorsitzender Bedford-Strohm „schockiert“. Wütend sind neben den Oberministranten aber auch manche Fußballtrainer, die sich um Integration von Flüchtlingen bemühen.
die „Black Bears“ von Grafing
Und es ist ja nicht so, dass Senegalesen nicht abgeschoben werden, aber die Gründe, warum eine Abschiebung schwierig ist, liegen nicht in ihrer Einbindung in kirchliche Strukturen und Sportvereinen. Sie erhalten nämlich von ihrem Heimatland nur dann einen (Reise)Pass und die Wiederaufnahme, wenn sie bereit sind, freiwillig zurückzukehren. Das tut natürlich kaum einer! Wer aber abgeschoben wird, dem wird die Rückkehr verweigert, und er muss (illegal) bleiben oder sich in ein anderes Land absetzen. Aber solche Details interessieren H. Scheuer nicht!
In Dresden ging man gleich noch härter zu Sache. Als „Vorübung“ auf die Pöbeleien am 3. Oktober explodierte vor dem Eingang der Fatih-Moschee ein Sprengsatz. Der Imam und seine Familie, die in dem Gebäude auch wohnen, blieben unverletzt. Das Magazin „Eigentümlich Frei“, von der Tendenz her der Neuen Rechten zuzuordnen, hat linke Kreise für das Attentat verantwortlich gemacht, was mehr als „eigentümlich“ ist. Der „Merkur“ hingegen hat (geradezu prophetisch) Klartext gesprochen:
„Auch wenn die Motive längst nicht geklärt sind, zum Vorschein kommt das, was den Freistaat (Sachsen) seit Monaten in den Schlagzeilen hält: Die hässliche Fratze von Fremdenfeindlichkeit und rechter Gewalt.“
Für die rechte Szene waren natürlich der Krawall in Bautzen ein gefundenes Fressen, denn da schien zum ersten Mal, von Köln einmal abgesehen, die Gewaltbereitschaft von 20 Asylbewerbern auszugehen. Endlich haben die einmal angefangen! Die 80 Einheimischen hingegen haben „Zivilcourage“ gezeigt und „ihre Kommune verteidigt“. Was gesichert scheint ist, dass es in Bautzen schon lange ein (mit viel Alkohol gepflegtes) „Aggressionspotential“ auf beiden Seiten gibt, dass sich an jenem Abend jugendliche Asylbewerber, die den Kornmarkt räumen sollten, der Polizei widersetzten und wohl auch die erste (leere) Flasche warfen, und die Rechten sich schon im vorab verabredete hatten, um die „Ausheimischen“ mal richtig aufzumischen. Der Polizeidirektor sprach ausführlich über die Übergriffe der UMAs (Unbegleitete Minderjährige Asylbewerber), hielt sich aber bei der Beschreibung der „Verteidigungsmaßnahmen“ der Gegenseite vornehm zurück. Die hätten halt „ein paar Bier“ getrunken und seien dann „eventorietiert“ unterwegs gewesen.
„Eventorientiert“ aber zunächst eher stationär waren die Teilnehmer am 3. Münchner Flüchtlingscamp, die (zu Recht) gegen die jahrelange Unterbringung in Sammelunterkünften, gegen Eintrittshürden zum Arbeitsmarkt und die Beschränkung des Familiennachzugs protestierten und (wirklichkeitsfremd) ein Bleiberecht für alle forderten. Derzeit sind sie zu Fuß zum Bundesamt nach Nürnberg unterwegs. Man kann jetzt durchaus mit der „SZ“ der Meinung sein, dass das Camp „die falsche Aktion am falschen Ort“ sei, aber was sich da in der Südkurve der Allianz-Arena abspielte, war schon bemerkenswert., wenn man bedenkt, wie schwierig es ist, für ein Bayernspiel Karten zu bekommen.
Bayern-Fans und die Flüchtlinge am Sendlinger
Tor
Eine andere Gruppe von „Protestanten“ traf sich in Landsberg zum Streik der Flüchtlingshelfer. Die wollten für 24 Stunden ihre (ehrenamtliche) Arbeit niederlegen, um gegen mangelnde Unterstützung von Seiten der Behörden zu protestieren. Konkret wurde dabei der Helferkreis aus Erding, wo sich der dortige Landrat viel auf seinen Kommunalpass einbildet, der den Flüchtlingen das Bargeld vorenthält, der aber in bestimmten Geschäften/Situationen nur funktioniert, wenn die Helfer mit ihrem Bargeld einspringen. Wir haben übrigens nichts gehört, ob aus dem Landkreis Miesbach jemand nach Landsberg gefahren ist. Vielleicht waren die beim Empfang des Landtages, der auf diese Weise und hoffentlich anders als der Erdinger Landrat, den Helfern „auf Augenhöhe“, seinen Dank abstatten wollte.
Das (vorläufige) Schlusswort zu diesem Abschnitt soll der Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger gehören, die es aufgegeben hat, „den Wunderwuzzi“ zu finden, „der Europa von der Kehrtwende nach rechts wegbringt“:
„Ich dachte, wenn ich für Menschen schreibe, die nicht meiner Meinung sind, …, wenn man denen also mit Witz die Welt erklärt, dann kann man sie für Freundlichkeit und Menschlichkeit gewinnen. Aber das war ein großer Irrtum.“
Die Schlagzeilen – wie üblich von dunkel bis (etwas) heller arrangiert
- Welche Stadt erhielt 2006 als 2. Stadt nach Mekka den Titel „Hauptstadt der Islamischen Kultur“? Welche Stadt wird vom syrischen Tourismusministerium unter der Bezeichnung „Stadt des Willens“ immer noch
(oder schon wieder) als Urlaubsziel angepriesen? Und welche Stadt hieße derzeit besser wieder „Halab“ – aramäisch „die Graue“?
Aleppo - Es war einmal eine Stadt
Selbst UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, sonst eher ein Meister diplomatischer Wortführung, nahm sich kein Blatt vor den Mund, als er in der Generaldebatte auf Syrien zu sprechen kam:
„Anwesend in diesem Saal sind Vertreter von Regierungen, die Gräueltaten ignoriert, erleichtert, finanziert, die daran teilgenommen oder sie sogar geplant und ausgeführt haben. … Viele Gruppen haben unschuldige Zivilisten getötet – keine mehr als die syrische Regierung.“
An die Russen hat er sich dann doch nicht herangetraut!
- In Istanbul, bisher eine Stadt des friedlichen Miteinanders gerade auch für Frauen unterschiedlicher Bekleidung, ändert sich das Klima – v.a. für die Frauen. So wurde einer Frau in (knappen) Shorts im Bus ein Tritt gegen den Kopf verpasst. Der Täter: „Wer Shorts trägt, hat kein Recht zu leben.“ Die Justiz verhörte den Mann, ließ ihn aber wieder laufen. Erst ein Shitstorm veranlasste seine Festnahme. Angeklagt wurde er aber nicht wegen Körperverletzung, sondern wegen „Hass und Feindseligkeit“. Für solche „Delikte“ wird er nicht ins Gefängnis gehen. Wir hätten ihm Sozialarbeit in einem Frauenhaus verordnet.
- Fast so schlecht wie den türkischen Frauen geht es nach Meinung von Lajos Kósa, Fraktionschef der Regierungspartei Fidesz in Ungarn den deutschen Männern. Wegen des Ansturms von jungen männlichen Flüchtlingen, die sich deutsche Frauen nähmen, „müssten deutsche Männer nun in ihrer Not Chinesinnen … heiraten, was das Migrationsproblem verdoppele“. Verdoppelt hat sich bei solchen Schauermärchen allerdings nur unsere Schadenfreude, dass der Volksentscheid in Ungarn über die Flüchtlingspolitik der EU dann im Oktober mangels Beteiligung gescheitert ist.
- Unser „helleren“ Töne fangen paradoxerweise mit zwei Beerdigungen an. Gestorben ist Schimon Peres, Israels Ex-Präsident, „moralischer Leuchtturm“ des Landes“ und Friedensnobelpreisträger mit Rabin und Arafat. Vergleichen muss man ihn mit Moses, dem es auch nicht vergönnt war, das Gelobte Land zu betreten, aber so nahe wie mit Peres und Rabin ist man dem Frieden in Palästina seit 70 Jahren nicht gekommen. Ich erinnere mich noch, als uns der israelische Reiseführer 1993 in Jericho von den Friedensgesprächen in Oslo berichtete: Da stürzten nicht gerade die Mauern ein, aber der Bus mit einem Haufen von ziemlich bigotten Katholikinnen brach in hellen Jubel aus.
- Gestorben ist auch Max Mannheimer, einer der letzten Zeitzeugen des Holocaust. Er hat 30 Jahre seines Lebens nach Auschwitz und den Außenlagern von Dachau damit verbracht, die Erinnerung wach zu halten, damit „das durch Menschen Geschehene nicht mit der Zeit in Vergessenheit gerät“ (Herodot). Seine erste Ehe dauerte nur vier Monate.
Hochzeitsfoto 1942
- Dachau nicht überlebt hat Pater Engelmar Unzeitig. Er wurde von der Gestapo abgeholt, weil er sich für die Juden eingesetzt hatte, setzte sich in Dachau für die Russen ein, die in der Lagerhierarchie ganz unten standen, steckte sich an Typhus an, als er sich freiwillig für den Pflegedienst in der Krankenstation meldete. Er starb acht Wochen vor der Befreiung. „Abgang durch Tod“ war auf dem Totenschein vermerkt. Jetzt wurde er in Würzburg selig gesprochen. Wir sind, mit dem lieben Gott, mit der Ehrung einverstanden.
- Schließen wir mit einem Telegramm an einen König. Hunderte von Frauen in Saudi-Arabien forderten von ihrem König die Abschaffung der Vormundschaft, die sie zwingt, zum Heiraten, zu Reisen und zur Aufnahme eines Studiums oder Berufes vorher die Erlaubnis des Ehemanns oder des nächststehenden männlichen Verwandten einzuholen. Zuvor hatten sie in einer Petition gefordert, der König solle „ein Alter für ihre Volljährigkeit festlegen“. Das liegt derzeit noch zwischen 40 Jahren und Grabesruhe. Die Petition mit 14 700 Unterschriften traf am königlichen Hof ein und erhielt die Wartemarke 8004000000. Ob die Telegramme am Schreibtisch des Monarchen oder gleich im Papierkorb gelandet sind, wissen wir nicht. Aber wir ziehen den Hut/das Kopftuch in Respekt vor dem Mut der Frauen.
Zensuropfer
- 161 Kinderbräute in Bayern
- Erstmals Haftstrafe für Zerstörung von Weltkulturerbe
- Human Rights Watch: „Routinemäßige Misshandlung“ in ägyptischen Gefängnissen
- Priestermorde in Mexiko
- Alternativer Nobelpreis u.a. an syrische Weißhelme
Und es war schon mehr als tragische Ironie, dass drei dieser Weißhelme nur einen Tag nach Verleihung des Preises in Aleppo ihr Leben verloren.
Brauchen Sie etwas Aufmunterung? Kann ich Ihnen nicht verdenken. Wie wär’s mit folgendem Spruch von Jean Dutourd?
„Die wahren Optimisten sind nicht überzeugt,
dass alles gut gehen wird.
Aber sie sind überzeugt,
dass nicht alles schief gehen kann.“
Oktober 2016
Da unser erstes Thema im „(un)goldenen Oktober“ eine Zeitspanne von 52 Jahren umfasst, sei ihm ein Spruch von Pater Josef Cascales vorausgestellt:
„Über die Vergangenheit jammern,
von der Zukunft träumen
und die Gegenwart verschlafen:
Das ist der Bankrott des Lebens.“
Wegen des Bürgerkriegs in Kolumbien gäbe es viel zu jammern und zu träumen, aber so wie es aussieht gibt es gute Chancen, „die Gegenwart nicht zu verschlafen“.
Der Konflikt hatte sich in den 1960er Jahren an Landraub und sozialer Ungerechtigkeit entzündet und hat bis heute dank der abwechselnd verrichteten Gräueltaten von linken Rebellen, rechten Paramilitärs, Armeeangehörigen und der Drogenmafia mindestens 220 000 Menschen das Leben gekostet. Hier eine Chronik der laufenden Ereignisse im Jahre 2016:
- August 2016: In Kuba wird ein Waffenstillstand unterzeichnet. Präsident Juan Manuel Santos twittert: „Die Waffen schweigen. Der Krieg mit den Farc ist vorbei.“
- September 2016: In Cartagena/Nordkolumbien wird der Friedensvertrag unterzeichnet. Präsident Santos und Farc-Chef Rodrigo Londono/alias Timochenko benutzen dabei einen Kugelschreiber, der aus einer Gewehrkugel gefertigt ist. Auf dem Kugelschreiber steht: „Unsere Vergangenheit wurde mit Kugeln geschrieben, die Bildung wird unsere Zukunft schreiben.“
Kolumbien feiert (vorzeitig) den Frieden
- Oktober 2016: Der Friedensvertrag wird in einem Referendum mit knapper Mehrheit und bei geringer Wahlbeteiligung abgelehnt. Knackpunkt ist die weitgehende Straffreiheit für die Guerilleros. Sie brauchen nicht ins Gefängnis, sondern kommen in den Genuss „alternativer Sanktionen“, d.h. sie kommen unter Hausarrest oder müssen Sozialarbeit leisten. Letzteres wäre keine schlechte Idee, wenn man die Paramilitärs und Armeeangehörigen gleich hinzunehmen würde, denn gemeinsamer Straßenbau und Altenpflege würden andere Gemeinschaftserlebnisse ermöglichen als der Bürgerkrieg. Den Ausschlag für die Ablehnung gab übrigens die Bevölkerung der Städte, die vom Bürgerkrieg am wenigstens betroffen war. Jetzt muss weiter verhandelt werden, aber der Waffenstillstand bleibt in Kraft – bis Ende Oktober.
- Oktober 2016: Präsident Santos erhält den Friedensnobelpreis – verdient, wenn auch (wieder einmal) auf Vorschuss. Dazu meinte ein norwegischer Historiker lakonisch: Die Jury „ist in der Vergangenheit schon größere Risiken eingegangen“.
- Oktober 2016: (Wieder)Aufnahme der Verhandlungen mit der 2. Guerillagruppe ELN in Ecuador.
- Dezember 2016: Der Kongress billigt den Friedensplan einstimmig, Kritiker boykottierten die Sitzung. Auf eine Volksabstimmung hat der Präsident diesmal (wohlweislich) verzichtet.
Hoffentlich muss Syrien nicht 52 Jahre auf den Frieden warten!
Unfriedlich (wenn auch nicht blutig) ging’s auch zu in „Sachsen, wo die Pegidisten auf den Bäumen wachsen“: Ihr Chef Lutz Bachmann hatte anlässlich der Einheitsfeier in Dresden zu einer „Raucherpause“ eingeladen, aber statt Zigaretten Trillerpfeifen und Ohrstöpsel an sein Demovolk verteilt. Von der Polizei hatten sie nichts zu befürchten. Ein Beamter (ausnahmsweise aus Niedersachsen) hatte ihnen einen „erfolgreichen Tag“ gewünscht, und der Abstand zwischen pöbelndem „Volk“ und den Ehrengästen, die zum Gottesdienst gingen, war von den Ordnungshütern so reduziert worden, dass der Gang zur Frauenkirche zu einem Spießrutenlauf wurde, bei dem die Frau des sächsischen Wirtschaftsministers in Tränen ausbrach. Die schärfste Kritik an der Polizei kam von den Kollegen. Der Sprecher der „Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten“ kommentierte:
„Der Dresdner Einsatz stellt ein kühn kalkuliertes einsatztaktisches Vorgehen dar, um die Spielräume der Pegida einschließlich relevanter Neonazis möglichst groß zu machen.“
So etwas hätten wir von AI uns nie zu sagen getraut!
Bundestagspräsident Lammert ist in seiner Festrede auch auf die „Pfeifen“ vor der Semperoper eingegangen. Sie hätten
„offenkundig nicht das geringste Erinnerungsvermögen daran, in welcher Verfassung sich dieses Land befunden hat, bevor die deutsche Einheit möglich wurde“.
Gegenrede von Norbert Lammert
In Sebnitz/Sachsen ereignete sich auch ein hässlicher Angriff auf drei syrische Flüchtlingskinder – vom Alter her (5, 8, 11) noch keine Konkurrenten auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Sie wurden von drei Jugendlichen geschlagen und mit dem Messer bedroht. Der mutmaßliche Rädelsführer ist 14. Dass in Leipzig ein 2. Anschlag auf das Wahlkreisbüro der CDU-Abgeordneten Bettina Kudla verübt wurde, sei hier erwähnt, um zu zeigen, dass es in Sachsen auch linke „Vollzeitpsychopathen“ gibt. Frau Kudla wird jetzt verstärkt dafür eintreten, dass die ‚“Umvolkung“ der Deutschen beschleunigt und alle Linken ausgewiesen werden.
Und dann passierte den wackeren Sachsen noch die beiden „Pannen“ im Umgang mit dem terrorverdächtigen Syrer Albakr. Er entkam der Polizei, als er in Chemnitz festgenommen werden sollte. Er war als Flüchtling gekommen und hatte deshalb (verständlicherweise) mehr (Weg)Laufpraxis als die Beamten in ihren schweren Sicherheitswesten. Bei seinem Selbstmord in Leipzig aber hört das Verständnis auf. Obwohl er als hochgradig suizidgefährdet galt, wurde er (nach „Bild“) nur einmal pro Stunde kontrolliert. Sein Tod wurde v.a. deshalb bedauert, weil damit eine mögliche Informationsquelle verloren ging.
Festgenommen wurde Albakr übrigens von drei Landsleuten, die ihn verpackungsgerecht der Polizei übergaben. Der Hinweis, dass er einen Anschlag auf einen „großen Berliner Flughafen“ plane, kam übrigens vom NSA – dem wir hier (ausnahmsweise) einmal dankbar sind. Und als im November eine Gruppe mutmaßlicher Terroristen in NRW und Niedersachsen aufflog, nutzt man Informationen eines zurückgekehrten IS-
Kämpfers. Nun, ist es ja nicht von Schaden, mutige Mitbürger, hilfsbereite Nachrichtendienste und reuige Islamisten zur Verfügung zu haben, aber irgendwann fragt man sich schon, was der deutsche Bundesnachrichtendienst noch leistet. Das fragt sich inzwischen auch die Regierung, denn nächstes Jahr soll das Budget des BND massiv aufgestockt werden, und er soll eigene Satelliten bekommen, die dann über Sachsen kreisen.
Nein, jetzt reicht’s mit der Sachsenschelte, denn auch im anderen Freistaat ist nicht alles so christlich und sozial, wie es der Name der immerwährenden Regierungspartei eigentlich erwarten lässt.
Da veröffentlichten Soziologen der LMU München eine Studie, wo die Haltung der Bayern zu Flüchtlingen und Minderheitsgruppen untersucht wurden. Als Ergebnis kam heraus, dass es zwar keine generelle Ausländerfeindlichkeit gibt, dass aber einzelne Gruppen massiv abgewertet werden – und dass diese Abwertung kein rechtes Randphänomen ist, sondern „sich durch die ganze Gesellschaft zieht“. Am schlechtesten kommen Muslime weg: 56% der befragten 1731 bayrischen Haushalte zeigen ihnen gegenüber eine ablehnende Einstellung.
Was man zur derzeitigen Liberalitas Bavariae noch herausgefunden hat:
- Männer sind schwulenfeindlicher als Frauen.
- Katholiken sind muslimfeindlicher als Protestanten.
- Nicht-Akademiker haben mehr Vorurteile gegen Flüchtlinge als Akademiker.
- Ältere Menschen sind rassistischer als jüngere.
Nur bei 2% der 18- bis 30-Jährigen gibt es Rassismus in „mittlerer“ Intensität. Das mag sicher damit zu tun haben, dass jüngere Leute in Schule, Arbeitsplatz und Freizeit öfter mit Migranten zusammenkommen und nicht ängstlich an ihnen vorbeihuschen.
Dazu passt ein Foto mit Mitarbeitern der Baufirma Strasser (Schleichwerbung durchaus beabsichtigt):
Streik auf den Baustellen
Ob der Anwalt von Qurban den Behörden beweisen kann, dass sich der Afghane doch ernsthaft um Papiere bemüht hat, steht derzeit noch dahin. Aber sein Fall zeigt auf, dass es höchste Zeit ist, neben der Schiene „Asylrecht“ auch ein modernes „Einwanderungsrecht“ einzuführen. Inzwischen soll seine Arbeitserlaubnis verlängert worden sein.
Dazu passt auch der Sonderweg, den Bayern wieder einmal einschlägt, um ein Integrationsgesetz zu unterwandern. Um Betrieben Rechtssicherheit zu ermöglichen, hat der Bund beschlossen, ein 3+2 Programm einzuführen. Azubis, die bereits eine Ausbildung begonnen haben, sollten nach diesen drei Jahren noch weitere zwei Jahre weiterbeschäftigt werden und in diesem Zeitraum vor Abschiebung geschützt sein. Dieses Bleiberecht soll aber nur dann erteilt werden, wenn „konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen“. Die bayrischen Behörden sind nun gehalten, diesen Halbsatz restriktiv auszulegen, so dass schon eine Vorladung bei der Ausländerbehörde als „konkrete Maßnahme“ gelten soll. Die Wirtschaft ist sauer.
„Willkommen im Klub, Philippinen“ kann man nur noch sagen, wenn man aus sicherer Entfernung die Amokläufe von Präsident Duterte verfolgt. Dass er den Papst und Barack Obama als „Hurensöhne“ bezeichnet hat, ist mehr als schlechte Kinderstube, aber wie er den Krieg gegen die Drogen führt, gehört vor den Strafgerichtshof. Mehr als 3300 Philippiner, - v.a. Slumbewohner, an die Bosse traut er sich nicht ran, sollen bei Razzien der Polizei oder durch obskure Auftragskiller schon getötet worden sein. Originalton Duterte:
„Vergesst die Menschenrechte! … Ihr Drogenhändler, Straßenräuber und Nichtstuer geht besser. Denn ich werde euch umbringen. Ich werde euch alle in die Bucht von Manila werfen und an die Fische verfüttern.“
Als Zeitgenosse verzichtbar, würde man sagen. Aber dann schreibt ein Sozialethiker in „Publik-Forum“, dass Duterte Reformen im sozialen Bereich nicht nur versprochen sondern bereits angegangen ist, dass er in kurzer Zeit eine Feuerpause mit den bewaffneten Guerillas erreicht hat, dass das Volk sehr stolz auf ihn ist, dass er bei aller Kritik an seinem brachialen Vorgehen im Drogenkrieg auf der Unterstützung der Kirchen bauen kann – und dass die kritische Berichterstattung in den westlichen Medien mit auf der Tatsache beruhen könnte, dass sich Duterte politisch aus der Abhängigkeit von den USA lösen möchte. Wir blicken noch nicht durch, aber wir bleiben dran.
Die Schlagzeilen
- Saudi-Arabien hat in Sanaa/Jemen eine Trauerfeier genutzt, um den Bestattern gleich noch etwas Mehrarbeit zu ermöglichen. Dem Luftangriff fielen mehr als 200 Menschen zum Opfer. Teile der saudischen Kampfflugzeuge werden übrigens nach wie vor von Deutschland geliefert. Da werden die matten Augen der überlebenden Stuka/Sturzkampfpiloten des 2. Weltkrieges aufleuchten: „Deutsche Bomber (oder deren Teile) treffen halt immer noch am besten.“
- Amnesty kritisierte das Anti-IS Bündnis in Syrien. Die Vorsichtsmaßnahmen zum Schutze der Zivilbevölkerung seien oft unzureichend. Seit September 2014 seien bis zu 300 Zivilisten getötet worden. Und einige Angriffe könnten als „unverhältnismäßig bis willkürlich“ bezeichnet werden. Da werden Sie natürlich sofort und zu Recht sagen: Und Assad und die Russen in Aleppo, und die Massaker des IS beim Kampf um Mossul? Sind schlimmer, aber jeder tote Zivilist ist einer zu viel.
- Köln liegt auch in Argentinien. In der Hauptstadt Buenos Aires traten Tausende von Frauen eine Stunde lang in Streik, um gegen die Machogesellschaft zu protestieren. Das Motto der Frauen: „Wenn unser Leben nicht zählt, dann produziert doch ohne uns.“ Auslöser war die Ermordung der 16-jährigen Lucía Pérez.
Plakat zur Demonstration
- Der uigurische Menschenrechtler Ilham Tohti erhielt den Martin-Ennal Preis, der von zehn weltweit bedeutenden Menschenrechtsgruppen gemeinsam verliehen wird. Tohti hat „zwei Jahrzehnte lang daran gearbeitet, den Dialog zwischen Uiguren und Han-Chinesen zu fördern“ und sich von Anfang an von jeder Gewalt distanziert. Seine Kontakte zu „ausländischen Gruppen und Individuen“ brachte ihm den Vorwurf des „Separatismus“ und eine lebenslange Haftstrafe ein. Aber „Kontakte zu ausländischen Gruppen“ suchen doch auch die Firmenjäger, die deutsche Schlüsselindustrien aufkaufen. Warum werden die nicht eingesperrt?
- In den USA ist einer gestorben, den wir in der aufziehenden Ära Trump dringend gebraucht hätten: der Friedensaktivist Tom Hayden. Was er von den 1960er Jahren gesagt hat, wird vielleicht auch für die nächsten vier Jahre gelten:
„Selten, wenn überhaupt in der amerikanischen Geschichte, hat eine Generation mit größeren Idealen begonnen und traumatischere Enttäuschungen erlebt als die, die in den kurzen Jahren zwischen 1960 und 1968 lebte.“
Allerdings muss man die „Ideale“ durch „Illusionen“ ersetzen.
Ab jetzt heißt es, sich warm anziehen (und das nicht nur wegen der Jahreszeit) – oder wie Thomas de Maizière eine schusssichere Weste tragen.
Der Innenminister in einem sicheren Herkunftsgebiet
Zensuropfer
- Afrikanische Staaten verlassen das Weltstrafgericht
- Eskalation der Gewalt in der DR Kongo
- „Annas Brief“ aus Milbertshofen – diesmal nicht an den „lieben Gott“
- Bürgerkrieg in Garmisch?
- Diözesanrat kritisiert Provokationen von Politikern und Hass-Mails als „Unkultur der Niveaulosigkeit“
- Die Jesidinnen Nadia Murad und Lamia Adschi Baschar erhalten den Sacharow-Preis
November 2016
Wir versuchen, es diesmal ruhiger anzugehen. Es reicht ja schon der Monat an sich, um depressiv zu werden. „Ruhiger?“, werden Sie sagen, da gab’s doch Wahlen in den USA, und gewonnen hat ein Kandidat, der uns und der Welt die Hammelbeine noch lang ziehen wird.
„Sieg heil“ – oder so ähnlich
Aber Präsident wird er erst im Januar, und vielleicht wirkt bis dahin schon das Gebet des Kurienkardinals Pietro Parolin, der versprochen hat, für Trumps „Erleuchtung“ zu beten.
Und so werden wir es in diesem Monat mit anderen Nachrichten auch halten: ausklammern, abwiegeln, schön reden – kurz: „Augen zu und durch!“
Fangen wir an mit der „Mauer von Neuperlach“. Da hat man eine 40m lange und 4m hohe Gabionenwand errichtet, die als Lärmschutz der Anwohner gegen die Geräuschkulisse dienen soll, die unbegleitete Flüchtlinge auf ihrem Bolzplatz erzeugen. („Erzeugen werden“ muss man sagen, denn noch sind sie nicht da!) Wir haben dieses geopolitisch bedeutsame Ereignis – auch die Russen waren da - nur aus der Ferne verfolgt, aber einige Fakten und Postfakten der Reaktionen und Berichterstattung sollen doch festgehalten werden.
- Der Drohnenflieger, dessen Aufnahmen das Mauerbeben ausgelöst haben, stellte sich die Frage, warum ein Emissionsschutz entlang der Auffahrt zur A8 nur drei Meter hoch ist.
- Die „SZ“ wurde nicht müde, Stimmen einzufangen, die den multikulturellen Charakter des Stadtteils betonten. Da hatte man fast den Eindruck, dass der Reporter in der Nähe wohnt und Neuperlach die Gebärmutter aller Helferkreise ist.
- Und dann gab es die Schmierereien an den Hauswänden der Anwohner. Man mag ja (aus der Ferne) ihr Ruhebedürfnis etwas überzogen finden, aber deswegen sind sie noch keine „Drecksfaschos“ und „Nazis“.
- Zu guter Letzt kamen die Aktionskünstler, bauten einen Checkpoint Ali auf und schenkten Rotkäppchen-Sekt aus. Das fanden die einen „geschmacklos aber notwendig“, die anderen „geschmacklos und bedenklich“, weil an der Mauer in Berlin Menschen zu Tode gekommen sind.
Übrigens – die Wand hat 200 000 € gekostet.
Passend zum Lutherjahr hat die Waffenfabrik Heckler & Koch ihre Lieferstrategie bei Neugeschäften reformiert. Sie will „nur noch solide Länder beliefern, also zweifelsfrei demokratisch, eindeutig nicht korrupt und in der Nato oder Nato-nah“. Solche Länder, es soll sie tatsächlich geben, werden als „grüne“ Länder bezeichnet. Der Standort der Firma liegt zwar im grünen Baden-Württemberg, aber es ist wohl eher davon auszugehen, dass man sich am Grün der Verkehrsampel orientiert hat. Die Türkei hat es nur zu „gelb“ gebracht. die werden erst wieder beliefert, wenn sie wieder aus dem „Warschauer Pakt“ mit Putin ausgetreten ist. Den Saudis aber möchte man die fehlenden Gewehrbauteile („golden parts“) für ihre Waffenfabrik gerne noch liefern, nicht weil das Land „zweifelsfrei demokratisch“ ist, sondern weil es sich nicht um ein Neugeschäft handelt. Bisher ist die Bundesregierung gegen diese Lieferung, weil man beim Waffenexport andere Prioritäten setzt.
Empfindliches Gleichgewicht beim Waffenexport
Der SPD-Chef fuhr Anfang des Monats nach China und hat bei seinem Besuch „die Samthandschuhe abgelegt“. Er hat seine Gastgeber zwar nicht als „Schlitzaugen“ bezeichnet, sich aber mit Menschenrechtlern getroffen und die Regierung mit „kalkulierte Eskalation“ kritisiert. Die relativ offenen Worte sind wahrscheinlich nicht darauf zurückzuführen, dass Gabriel sich vor seinem Besuch noch einmal den Artikel 8 (Anspruch auf Rechtsschutz) der UN-Menschenrechtserklärung zur Brust genommen hat, sondern weil der Haussegen in den Wirtschaftsbeziehungen derzeit etwas schief hängt. Die Chinesen wollen bei uns nämlich Spitzentechnologie aufkaufen und keine Fußballklubs. Die könnten sie gerne haben.
Der Freistaat Sachsen ist bisher im Jahresbericht recht schlecht weggekommen, deshalb soll auch er von unserer versöhnlichen Grundstimmung im November profitieren, denn es gibt auch das „gute Sachsen“. Beispiel: Friedersdorf/Oberlausitz. Da spielte sich zunächst das übliche Ritual ab: Aufruhr vor Ankunft der Flüchtlinge, „Brandbeschleunigung“ durch AfD-Leute, Beruhigung der Gemüter, als keine Monster sondern Menschen kamen. Dann hat sich ein ehemaliger Hotelier als Heimleiter beworben, der sein Programm wie folgt zusammengefasst hat: „Wir betreuen ein bisschen mehr, als vorgeschrieben ist (Großeinkauf beim örtlichen Milchwerk), dafür fordern wir auch ein bisschen mehr (Sauberkeit, Mülltrennung)“. Dann hat eine Pfarrerin eine Bastelgruppe gegründet, die sich jetzt sogar schon in kirchlichen Räumen treffen darf, weil der Kirchenvorstand gemerkt hatte, dass sie keine Bomben basteln. Und schließlich setzte eine Abiturientin (mit Migrationshintergrund) ein Gegenzeichen zur Facebook-Gruppe „Friedersdorf wehrt sich“, indem sie die Initiative „Friede hilft!“ gründete und Sprachkurse organisierte. Wie heißt es doch so schön in der Zuhälterballade der Dreigroschenoper: „Es geht auch anders, doch so geht es auch.“
Und noch eine Sächsin hat positive Schlagzeilen gemacht: Steffi Brachtel erhielt in Berlin einen Preis für Zivilcourage. Sie hilft in ihrer Heimatstadt Freital, einer Brutstätte von Rechtsextremisten, bei der Integration von Flüchtlingen und bekämpft Hass-Kommentare auf Facebook mit Fakten und Argumenten. Das Leben ist dadurch für sie nicht leichter geworden.
Steffi Brachtel
Auslöser für ihr Engagement war ein Post, den ihr ein Facebook-Freund geschickt hatte. Da fragt ein Sohn seinen Vater, warum es in „Star Wars“ keine Moslems gäbe. Der Vater antwortet: „Weil Star Wars in der Zukunft spielt.“ Wir haben Ihnen diese Kostprobe von Facebook-Humor mitgeliefert, um zu zeigen, wie (hinter)listig sich Rassismus in die Köpfe schleicht. Man lacht (mit), bis einem nach einiger Zeit die Zielrichtung und Tragweite dieses „Witzes“ aufgeht.
Wir haben uns bis jetzt bemüht, den Monat November etwas geruhsamer anzugehen. Für das was folgt, können wir das nur mehr bedingt versprechen. Es folgen:
Die Schlagzeilen
- In Minsk/Weissrussland ist wieder ein Todesurteil vollstreckt worden. Die EU hat vor kurzem ihre Sanktionen gegen das Land aufgehoben, weil politische Gefangene freigelassen worden waren. Da hätte man besser noch etwas warten sollen. Dafür gibt es etwas Hoffnung für Ex-Präsident Mursi/Ägypten. Das höchste Revisionsgericht des Landes hat wegen „mangelhafter Beweise“ das Todesurteil aufgehoben und eine Neuverhandlung angeordnet.
- In der Türkei ging Erdogans Feldzug gegen alles, was nach Opposition riecht, munter und mit Brachialgewalt weiter.
„Politische Lynchjustiz“ in Diyarbakir
Diesmal waren Politiker der Kurdenpartei HDP an der Reihe, aber auf einer Karikatur wird bald schon auch „beim Reinigungs- und Toilettenpersonal, bei den Müllfahrern, den Kammerjägern, Bademeistern, Straßenkehrern und Bienenzüchtern“ aufgeräumt.
- In Moskau haben die Behörden ohne Vorwarnung das Büro von AI geschlossen. Doch, so was gab es dort, und das schon seit 20 Jahren! Die russischen Kollegen haben angeblich ihre Miete nicht pünktlich bezahlt. Wer’s glaubt, soll doch gleich rüber gehen. Hinter der Schließung steckt möglicherweise ein AI-Bericht über den politischen Gefangenen Ildar Dadin, der in einem Brief an seine Frau die systematischen Prügelattacken durch Wärter des Straflagers Nr. 7 erwähnt hatte. Wenn man jetzt noch hinzufügt, dass Putin im Dezember eine neue Kategorie von Weltkulturerbe geschaffen hat,
Wird Aleppo jetzt zum Weltkulturerbe?
dann versteht man, dass Russland den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verlassen möchte.
- Der Tod eines Polizisten durch die Kugel eines „Reichsbürgers“ im Oktober hat auf eine Randgruppe der Gesellschaft aufmerksam gemacht, die uns gerade noch gefehlt hat. „Reichsbürger“ erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat an und behaupten, das Deutsche Reich bestehe bis heute fort. Bevor man sie aber als „arme Irre“ abtut, die eine Gesellschaft als rechten Ballaststoff mitzuschleppen hat, muss man allerdings wissen, dass einige von ihnen bis an die Zähne bewaffnet sind und den Weg in die Reihen der Polizei gefunden haben. Und wer etwas befremdet reagiert hat, als auf der AI-Unterschriftsliste gegen Rassismus auch der „institutionelle Rassismus der Polizei“ erwähnt wurde, wird etwas weniger befremdet reagieren, wenn er/sie hört, dass derzeit bundesweit 15 Disziplinarverfahren – sechs davon in Bayern - gegen mutmaßliche Reichsbürger in Polizeiuniform laufen. Wer genau also auf der folgenden Karikatur vor der Türe steht, ist nicht ganz ausgemacht.
Personalkontrolle oder Kollegentreff?
- Und weil wir schon in der Geisterbahn sind, gleich noch ein Foto zur Talkshow von Anne Will.
Nora Illi – oder auch nicht
Zensuropfer
- Hassmails gegen den Erzbischof von Bamberg
- US-Deserteur scheitert mit Asylklage
- Pro-kurdische Schriftstellerin Asli Erdogan (!) droht lebenslange Haft
- Dubai: Vergewaltigungsopfer droht Anklage wegen „außerehelichem Sex“
- Gewalt zuhause und Gewalt gegen Lehrer
Jetzt sind wir am Ende dieses Monats stimmungsmäßig doch wieder abgesackt. Deshalb noch ein weiser Spruch von Jean Paul Sartre:
„Vielleicht gab es schönere Zeiten,
aber diese ist die unsere.“
Dezember 2016
„Auch Journalisten werden älter
und geraten damit leichter in Endzeitstimmung.
Aber dafür, was im Jahre 2016 und gerade im Weihnachtsmonat passiert,
braucht es keine Altersdepression.“
Nein, braucht es wirklich nicht! Aber weil wir im Weihnachtsmonat Depressionen weder erzeugen noch verstärken wollen, legen wir die blutigsten Ereignisse (Mordfälle, Attentate) einfach unter „Zensuropfer“ ab. Irgendwie muss man sich ja unter dem Christbaum einrichten.
In der christlichen Tradition ist Weihnachten ein Geburtsfest mit anschließender Flucht nach Ägypten. Die Flucht von Maria und Josef war nicht ganz freiwillig, und auch die Abschiebung der ersten abgelehnten
Asylbewerber nach Kabul erfolgte unter Zwängen. Man musste gegenüber der AfD endlich Flagge zeigen. So hat es die Bundesregierung freilich nicht gesagt. Sie hat die Abschiebung mit der Sicherheitslage in Afghanistan gerechtfertigt: Die sei „insgesamt volatil“, weise aber „regionale Unterschiede“ auf. Sofort stürzen wir uns aufs Fremdwörterlexikon. „Volatil“ bedeutet „veränderlich, flüchtig“. Da drängt sich natürlich ein maues Wortspiel auf: Man wird doch noch Flüchtlinge in eine „flüchtige“ Sicherheitslage abschieben dürfen! Aber „volatil“ heißt auch „dampfförmig“: Da assoziiert man „Pulverdampf“, und das trifft die Lage schon besser. Wie kann man Leute in ein Land abschieben, wo nicht einmal (amerikanische) Botschaften und (deutsche) Generalkonsulate sicher sind und ausländische Politiker mit Helm und Splitterschutzweste aus dem Helikopter steigen?
Erste Abschiebung nach Afghanistan
Auch der „Merkur“ hat Bauchweh, und die „SZ“ kommentiert:
„Es soll, das ist das Signal, künftig nicht mehr lang gefackelt werden. … Wenn aber nicht mehr lang gefackelt wird, bleibt das Recht auf der Strecke. Abschiebung in ein Land, in dem das Leben gefährdet ist, ist verboten; so sagt es die Genfer Flüchtlingskonvention.“
„Scheltsilivovaschdistwa“ heißt „Fröhliche Weihnachten“ auf russisch, aber fröhlich war nur Assad, als ihm Putin sein Geschenk überreichte: den zerstörten Osten Aleppos.
Bei der Karikaturenausstellung im Januar 2017 haben wir zu diesem Bild folgenden Vers verbrochen:
Der Putin hat zur Heiligen Nacht,
dem Assad ein besond’res Geschenk gemacht.
„Aleppo ist frei, nur ein bisschen kaputt.
Jetzt frag’n ma an Trump, ob er’s wieder aufbauen tut.“
Kommentiert wurde die Eroberung der östlichen Stadtviertel so, als ob man das Ereignis von zwei verschiedenen Planeten aus beobachtet hätte. Putin sprach von der „größten humanitären Rettungsaktion der Neuzeit“, die UN-Menschenrechtskommission vom „Wegschmelzen jeglicher Humanität“. Rebellen scheinen Zivilisten an der Flucht gehindert zu haben, Regierungstruppen scheinen Hunderte von Männern zwischen 30 und 50 Jahren eliminiert zu haben. Eine UN-Kommission hat jetzt den Auftrag, die syrischen Kriegsverbrechen zu dokumentieren, aber dabei wird es bleiben: Syrien unterwirft sich nicht der Rechtssprechung des Internationalen Gerichtshofes, und ein Sondertribunal wird durch die Vetomacht Russlands und Chinas verhindert werden.
Was ist das für eine Welt, die solche Idole hat!
Mein liebster Weihnachtsmann
Die Schlagzeilen
- Unter dem Titel „Aufzeichnung aus dem Kälteloch“ berichtete die türkischen Schriftstellerin Asli Erdogan auf erschütternde Weise von ihrer Haft:
„Woran man sich aber nicht gewöhnt, ist die Kälte. man gewöhnt sich auch nie an diese Autos, mit denen Gefangene transportiert werden, … man gewöhnt sich nicht daran, dass man die Erde und die Bäume nicht mehr sieht, dass man nicht mehr den Menschen anfassen kann, den man liebt. Man gewöhnt sich nicht an die sehr langen Gefängnisnächte, von denen jede eine Spielart der Hölle ist.“
Frau Erdogan wurde Ende des Monats entlassen – bis der Prozess im März fortgesetzt wird.
- In Alabama/USA hat der Todeskandidat Ronald Smith bei seiner Hinrichtung noch 13 Minuten lang gehustet und stoßweise geatmet. Die Behörden hatten ein Beruhigungsmittel eingesetzt, das bei Hinrichtungen schon mehrfach versagt hatte. In der „Zeit“ wurde die Hoffnung laut, „der Fall könnte die Debatte über umstrittene Hinrichtungsmethoden erneut anfachen“. Donald Trump hat darauf getwittert: „Dann lassen wir halt das Beruhigungsmittel ganz weg.“ Nein, hat er nicht – aber hätte er!
- In Indonesien wurde der christlicher Gouverneur von Jakarta der Gotteslästerung bezichtigt. Er hatte im Wahlkampf erwähnt, dass seine Gegner einen Vers aus dem Koran nutzten, um ihm Stimmen zu rauben. Die islamistische Vereinigung „Patriotische Rechtsanwälte“ hatte zusätzlich eine Klage auf Entschädigung (für die wirtschaftlichen Nachteile, die den Muslimen durch die angebliche Gotteslästerung entstanden seien) eingereicht, aber diese Teilklage wies ein Gericht in Jakarta zurück. Der Prozess wegen Blasphemie aber geht weiter.
- Von zwei recht unterschiedlichen Veranstaltungen ist aus München zu berichten. Gemeinsam haben sie nur, dass sie in die Nacht/den frühen Morgen hinein andauerten und dass der Alkohol eine gewisse Rolle spielte. Der Landtag diskutierte 16 Stunden lang mit Freibier aus dem Notausschank über das Integrationsgesetz. Wir machen es kürzer und wünschen dem Gesetz eine „Gute Reise zum Bundesverfassungsgericht“.
- Wie wichtig aber und wie steinig der Weg zur Integration ist, zeigte sich an einem Vorfall, der sich schon Ende Oktober im Münchner Rathaus ereignete, der aber jetzt erst öffentlich wurde. Die Stadt lädt jedes Jahr 18-Jährige zu einer Party ins Rathaus ein, und diesmal kam es zu zwei Übergriffen (Antanzen, Grapschen) durch Flüchtlinge. Eine der betroffenen Frauen hatte lange gezögert, ob man das überhaupt öffentlich sagen dürfe, wohl weil sie nicht als fremdenfeindlich dastehen wollte. Wir sind mit dem Kommentar in der „SZ“ der Meinung, dass so etwas auf den Tisch muss, wenn möglich sofort. Gerade auch die Helferkreise haben die Aufgabe, „den neuen Mitbürgern die Regeln klar zu definieren, die es hier einzuhalten gilt“. Und die Stadt München wird sich überlegen müssen, wie man bei einer solchen Party den Alkohol verdünnen kann.
- Schließen wir mit zwei Frauen, denen noch Schlimmeres passiert ist und die die Kraft gefunden haben, Stimmen der Opfer zu sein. Nadia Murad und Lamia Adschi Baschar prangern seit ihrer Flucht die Verbrechen des IS an den Jesiden an und erhielten im Europaparlament den Sacharow-Preis für Menschenrechte. Wir gratulieren!
Nadia und Lamia
Zensuropfer
- Mord in Freiburg
- Attentat auf einem Berliner Weihnachtsmarkt
- Anschlag auf eine koptische Kirche in Kairo
- Massaker in einem Nachtklub in Istanbul
Madonna hat mit einer sehr drastischen Wortwahl das Jahr 2016 zu den Akten gelegt. Sie hat dabei auf den Tod so vieler Künstlerkollegen angespielt, aber man kann ihren Wunsch (für Leser über 20 etwas entschärft) auch auf das Jahr als solches beziehen:
„Möge das Jahr 2016 sich endlich verp….. !“
Es folgt, weitaus versöhnlicher
3. Der Tätigkeitsbericht: Das AI-Jahr im Landkreis Miesbach
Auch in diesem Jahr haben wir wieder „Menschenrechtsarbeit aus sicherer Entfernung“ betrieben. Weder hat man uns wie der AI-Gruppe in Moskau das Büro geschlossen – wir hätten auch keines -, noch hat uns die bayerische Staatsregierung als „Gefährder“ in Haft genommen, was uns in der Türkei durchaus hätte passieren können.
Wunschzettel an das türkische Christkind
Und weil kaum eine Entfernung sicherer ist als die vom Schreibtisch fangen wir wieder an mit unseren
3.1 Schreibtischtaten
Eilaktion zu Saudi-Arabien (Januar)
Das Land, das im Vorjahr noch händeringend nach Henkern gesucht hatte, hat jetzt offensichtlich seinen Personalstand soweit aufgestockt, dass man gleich 47 Personen an einem Tag hinrichten konnte. Die meisten Delinquenten sollen Verbindung zu Al-Qaida gehabt haben, aber der schiitische Scheich Nimr Baqir al-Nimr und drei weitere Glaubensgenossen wurden gleich mit erledigt. Sie hatten 2011 an Protesten gegen das sunnitische Königshaus teilgenommen und politische Reformen gefordert. Unter den Anklagepunkten: „Ungehorsam gegen den König“. Das reichte – auch noch im 21. Jahrhundert!
U-Listen für Yecenia Armenta/Mexiko (März)
Yecenia hatte uns schon am Tag der Menschenrechte 2015 beschäftigt. Damals hatten wir für sie 130 Postkarten an den Miesbacher Kirchentüren verteilt. Die Frau war gefoltert worden, um ihr eine Teilnahme an der Ermordung ihres Mannes nachzuweisen. Das „Geständnis“ musste sie mit verbundenen Augen unterschreiben. Wir kamen diesmal nur auf 43 Unterschriften, aber Yecenia kam im Juni (trotzdem) frei – nach fast vier Jahren. Der Staatsanwaltschaft wurden vom Richter schwere Verstöße gegen die Prozessordnung vorgehalten, die Folterer blieben (bisher) unbehelligt.
Yecenia Armenta – in besseren Tagen (?)
Petition gegen die Hinrichtung von (zur Tatzeit) Minderjährigen
(April)
Von 2005 bis 2015 wurden im Iran mindestens 74 (Ex-)Jugendliche hingerichtet. Das Land setzt sich damit in Gegensatz zur Kinderkonvention, die sie (natürlich) selbst unterschrieben hat. Wie das denn? Das iranische Strafgesetz erlaubt es, Mädchen schon ab neun Jahren und Buben ab 15 Jahren zum Tode zu verurteilen. Die Kinderkonvention beinhaltet ein absolutes Verbot von Personen unter 18. Was nun? Man wartet halt ab, bis …
„Alles Gute zum Geburtstag“
Petition für schwangere Mädchen in Sierra Leone (April)
Da hat sich die Regierung zur Hebung der Moral etwas Besonders/besonders Dummes einfallen lassen. Sichtlich schwangeren Mädchens wurde verboten, an reguläre Schulen zu gehen und zentrale Prüfungen abzulegen, die es ermöglichen, weiterführende Bildungseinrichtungen zu besuchen. Im „Beiprogramm“ dazu Schwangerschaftstests von der eher unfeinen Art. Da muss man auch wissen, dass die wenigsten Mädchen freiwillig schwanger geworden sind, sondern dass die sexuelle Gewalt während der Ebola-Krise eher noch zugenommen hat und Sexualkunde an Schulen einen Stellenwert besitzt, wie sie ihn in Deutschland zur Kaiserzeit hatte. Wir haben 48 Unterschriften gesammelt, die meisten davon in einer Hebammenpraxis – aber uns auch die Frage gestellt, wie die Willkommenskultur für schwangere Mädchen noch vor 50 Jahren an deutschen Schulen ausgesehen hat. Die Schwangerschaftstests (in Sierra Leone!) sollen inzwischen abgeschafft sein.
Briefaktion für Homa Hoodfar (Juni)
Die kanadisch-iranische Professorin, deren Hauptgebiet die Gender-Forschung ist, wurde im Juni im Iran verhaftet. Man warf ihr vor, durch „feministische Unterwanderung“ die öffentliche Ordnung zu untergraben. Ihre Verhaftung stand im Einklang mit der harten Linie, die derzeit im Land gegen Frauenaktivistinnen verfolgt wird. Die Revolutionsgarden sehen Gefahr im Verzug, denn in Teheran häufen sich Haaransätze unter dem Hidschab. Frau Hoodfar wurde im September „aus humanitären Gründen“ freigelassen. Entscheidend war wohl der Druck der kanadischen Regierung.
Brief an die indonesische Botschaft (Juni)
Auch bei der Forderung an Indonesien, auf die Hinrichtung von 14 Drogenhändlern zu verzichten, hatten wir mächtige Verbündete: Bundesregierung, EU und den UN-Generalsekretär. Die Hinrichtungskommandos sind trotzdem aufmarschiert. Für den Präsidenten ist eine harte Drogenpolitik eine Schritt auf dem Weg zu „einer besseren Welt“, aber die Todesstrafe ist (wie überall) eher Ausdruck der Hilflosigkeit als ein Mittel der Abschreckung.
Briefaktion für Kamal Foroughi/Iran
Der Irano-Brite H. Foroughi wurde 2011 zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, sieben Jahre wegen angeblicher Spionage und noch eins drauf wegen Alkoholbesitz. Da wäre wohl ein Großteil der Iraner dran. Er leidet an grauem Star auf beiden Augen und läuft Gefahr, blind zu werden. Wir erinnerten den Justizminister, dass man Leute im Alter von Foroughi (77) vom Gesetz her nach Verbüßung eines Drittels der Strafe bedingt freilassen könnte. Der Minister hat sich bisher nicht daran erinnert.
Brief an Obama (Oktober)
Den „Tag gegen die Todesstrafe“ haben wir uns dieses Jahr etwas „gemütlicher“ eingerichtet. Da sind wir normalerweise in Holzkirchen auf der Straße, aber heuer waren wir von unserem Busmarathon in Miesbach zu erschöpft für größere Aktionen. Wir beließen es mit einem Brief an Präsident Obama – von „lahmer Ente zu lahmer Ente“ gewissermaßen. Wir erinnerten ihn darin an eine seiner ersten Amtshandlungen im Jahre 2009, als er entschied, Guantánamo zu schließen, und die „high-value detainees/Topdschihadisten“ vor ein ordentliches Gericht zu stellen. Außerdem forderten wir ihn auf, auch in deren Fällen die Anwendung der Todesstrafe auszuschließen. Obama wird den Brief hoffentlich an Trump weitergeben. Uns hat er nur indirekt geantwortet, als er im Dezember ankündigte, ca. 20 Häftlinge in verschiedene Länder zu entlassen, was die „Belegschaft“ von Guantánamo auf etwa vier Fußballmannschaften reduzieren würde. Trump hat auf dieses „Abschiedsgeschenk“ wie erwartet reagiert: Er werde dort nach seinem Amtsantritt niemanden mehr entlassen, sondern das Lager mit einigen „bad dudes/üblen Typen“ auffüllen. Hoffentlich ist da nicht die Hillary Clinton gemeint.
Briefe an Politiker auf den Philippinen (Dezember)
Dort wollten Senat und Repräsentantenhaus am 13. Dezember über die Wiedereinführung der Todesstrafe beraten und abstimmen. AI hat die Politiker daran erinnert, dass das Land erst 2006 die Todesstrafe abgeschafft hatte und eine Wiedereinführung gerade auch philippinische Gastarbeiter in Ländern mit Todesstrafe stärker gefährden würde. An Präsident Duterte zu schreiben haben wir verzichtet: Er hatte sich gebrüstet, selber schon einen bestechlichen Beamten aus dem Flugzeug gestoßen zu haben.
Briefmarathon 2016 (Dezember)
Wir haben den Abonnenten unserer Monatsbriefe eine zusätzliche Weihnachtspost beschert und ihnen auch noch einen Fall aus dem diesjährigen Briefmarathom mitgegeben. Besonders bedrückend: die Situation in Malawi und anderen afrikanischen Ländern, wo Albinos verfolgt und getötet werden.
3.2 Veranstaltungen, „… und Action!“
Ausstellung „Asyl ist (und bleibt) Menschenrecht“ (Januar/Februar)
Trotz den Ereignissen in Köln (und gerade deswegen) hielten wir an unserer Ausstellung fest, merkten aber schon im Vorfeld, dass die Stimmung dem Thema gegenüber eher „gegenläufig“ war. Plakate hingen (vereinzelt) nur wenige Tage oder wurden weggerissen, und die 30 Leute, die zur Eröffnung kamen, waren die üblichen Verdächtigen. Aber immerhin mussten sie zum Veranstaltungsort nicht durch eine Reihe von Pegidisten oberbayrischen Aussehens Spießruten laufen. Nicht angetretenist auch die Miesbacher Prominenz, obwohl in der neu renovierten Stadtbücherei für sie farbige Sessel bereitgestanden hätten.
Die Musik kam von der Band „Afasia-music“ unter Leitung von Ludwig Pschierl, eine sympathische Gruppe aus drei zugewanderten Schwarzafrikanern und drei eingeborenen Haushamern, die das Gerede von „Multikulti ist tot“ Lügen straften, denn der „spannenlange Hanserl“ und die nigerianischen Kirchengesänge gingen reibungslos ineinander über.
„Afasia-music“ in full swing
Rechtsanwalt Hubert Heinhold hielt in gewohnter Klarheit und Eindeutigkeit eine Gegenrede zur herrschenden Grundstimmung: Die Schutzbestimmungen für Flüchtlinge gelten auch nach Köln weiter, die Obergrenze ist Fiktion („Was tun mit Flüchtling 200 001?“), Fluchtursache ist auch die EU-Wirtschaftspolitik – und Europa wäre ohne Asylrecht eine „kalte Gesellschaft“.
Am Ende hat jemand die Frage gestellt: „Wie ist denn die Stimmung gegenüber Asylbewerbern?“, und da muss man ehrlicherweise zugeben, dass Pro Asyl, AI und Helferkreise für die öffentliche Meinung weniger repräsentativ sind als die Leserbriefschreiber der Lokalzeitung. Die vorherrschende Luftströmung ist der Gegenwind.
Umso dankbarer sind wir der Stadt Miesbach, Frau Bott von der Stadtbücherei, dass sie solche Ausstellungen ermöglichen. Und der Dank geht natürlich auch an die Musiker, den Referenten und die AI-Mitglieder (Thomas, Kilian, Siegi), die die Ausstellung gehängt haben.
AI-Kleindemo bei Wildbad Kreuth (Januar)
Da wollten einige AI-Aktivisten aus München anlässlich der CSU-Neujahrsparty gegen deren Asylpolitik protestieren, machten aber die Erfahrung, dass das nicht so gerne gesehen wird – außer man ist mit einem Platz auf einer Weißachinsel oder auf der Königsalm zufrieden. Nach einigem Vorgeplänkel mit dem Landratsamt Miesbach hat man ihnen dann ein umzäuntes Gehege auf dem Parkplatz zugewiesen, wo sie sich „wie Tiere im Zoo“ präsentieren durften.
Der Initiator hat sich nachträglich bei uns dafür entschuldigt, dass er uns nicht vorab informiert hat, aber ich habe ihm mit leichter Schamröte auf den Wangen wie folgt zurückgemailt:
„Also das Wichtigste gleich vorneweg: Etwas überrascht, dass ihr uns nicht mit eingespannt habt, war ich schon – aber böse ganz und gar nicht. Ich bin nämlich (schon vom Alter her) kein Demotyp, und ähnliches gilt für mindestens die Hälfte der Gruppe. Wir sind froh darüber, dass ihr uns die Arbeit abgenommen habt und werden euch drei lobend in unserem Jahresbericht 2016 erwähnen.“ Was hiermit und gleich zweimal geschehen ist!
AI-Sitzung vom 19. Februar
Eine Sitzung wie alle AI-Sitzungen? Wie alle? Nein! Neuer Anwesenheitsrekord! Es waren gleich zwölf Leute da. Und strotzend vor Kraft und Tatendrang beschlossen wir, etwas zu tun, was in unserer Gruppengeschichte bisher erst einmal passiert ist: bei der AI-Jahresversammlung einen Antrag einzureichen. Dieser bestand, im Gegensatz zu vielen anderen Anträgen, nur aus drei Sätzen. Hier der Hauptsatz:
„Außer bei Fällen der Zwangsprostitution (des Menschenhandels) sollte Amnesty International die Situation der Prostituierten nicht zu ihrem Anliegen machen.“
Der Antrag scheint bei der Antragskommission für eine gewisse Unruhe gesorgt zu haben, denn sie legte zur Abstimmung noch einmal alle Beschlüsse vor, die 2015 zur „Sexarbeit“ verabschiedet worden waren. Unser Antrag wurde dann „bei vielen Pro-Stimmen und einigen Enthaltungen abgelehnt“. Von der Nachbargruppe in Rosenheim erhielten wir Zuspruch: „… einer der wenigen sinnvollen Anträge zur Jahresversammlung“.
PS.: Wenn man dann aber einen Artikel über die Behandlung von Prostituierten von Seiten ihrer Zuhälter liest, merkt man, dass die Situation dieser Frauen durchaus ein „Anliegen von AI“ sein muss. Zur Erinnerung: Im umstrittenen Papier von 2015 zur Sexarbeit ging es v.a. um deren Entkriminalisierung (gegenüber staatlicher Gewalt), aber das mit einer Wortwahl, die einen zornigen Münchner AI’ler zu der Bemerkung veranlasste, hier sei „AI vor den Lobbyisten der Sexindustrie eingeknickt“.
Ostermarkt in Fischbachau (März)
Wir wurden gewohnt freundlich und mit einer großzügigen Spende empfangen. Das Geschäft florierte, und die 1. Schicht ging mit 300,- Euro in die Mittagspause. Renner waren die Ostereier von Maria Schneckenburger und die Astgabelvieher von Eugen Schmucker. Ihnen und den anderen Spendern und den Damen vom Missionskreis unseren herzlichen Dank. Am Sonntag flaute das Geschäft etwas ab, vereinzelt wurde sogar über AI gesprochen, und wir wurden einige Jahresberichte los. Mit 580,- € haben wir das Vorjahresergebnis deutlich übertroffen.
Ostermarkt in Fischbachau
Treffen mit Firmlingen (März)
In der Vergangenheit ging’s bei diesen Treffen recht lebhaft zu, aber diesmal waren die Jugendlichen sehr zurückhaltend: Selbst die Brezen blieben im Korb. Man hatte den Eindruck, dass sie halt da waren, weil sie „ein Projekt belegen“ mussten. Als das Gespräch auf Asylbewerber kam, steuerte einer die Story vom ausgerasteten Somalier im Landratsamt bei, ein anderer meint (zögerlich), dass schon „auch ein paar nette Leute“ dabei seien, und ein dritter hatte auf dem Funcourt sogar einmal Direktkontakt. Ein Mädchen, nennen wir sie Sabrina, war besonders schweigsam. Sie reagierte auch nicht, als ich das Foto von der Kinderehe im Jemen herumreichte und den flachen Witz losließ, dass „sie jetzt schon drei Jahre verheiratet wäre“. Spätestens da merkte ich, dass sich der Hl. Geist heute bei einem anderen Projekt aufhielt. Für das Treffen mit den Asylbewerbern acht Tage später kein gutes Vorzeichen!
Ich sollte mich nicht täuschen, aber die Schuld lag auch bei mir. Ich hätte die eingeladenen Asylbewerber einsammeln und am Händchen in die Gemeinschaftsunterkunft führen müssen. Um 16.00 Uhr waren die sechs Firmlinge pünktlich da, die vier Asylbewerber aber trudelten zwischen 16.10 und 16.55 ein. Gott sei Dank war Blaise Katunda da, der die lange Wartezeit mit einem deutsch-französischen Referat über das kongolesische Erziehungssystem überbrückte. Da merkten die Firmlinge, was Reden heißt. Wirklich beeindruckt waren sie von Goitom, der eindrucksvoll seinen Fluchtweg aus Eritrea schilderte.
Alles in allem ein Flop, der sich anscheinend bis zu den Firmlingen von 2017 herumgesprochen hat, denn die haben heuer auf die Brezenparty von AI verzichtet.
Ostermarsch (März)
Entschuldigung! Hieß es da nicht im Januar, dass wir keine Demotypen sind. Irrtum - demonstrieren können wir auch! Die AI-Gruppe war mit etwa zwölf Mitgliedern beim Ostermarsch vertreten, der in Miesbach nach 21 Jahren Pause heuer wieder einmal stattfand und 170 Leute auf die Beine brachte. Unser Banner „Keine Waffenexporte in Spannungsgebiete“ fand sich an prominenter Stelle im Artikel des „Merkur“, und Bernard Brown hielt eine derart eindrucksvolle Rede, dass die bayrische Grenzpolizei von ihrem Vorhaben Abstand nahm, Flüchtlingsabwehrkanonen nach Österreich zu liefern.
AI am Ostermarsch
Mit das meiste Aufsehen hat das Friedensgedicht der Edelweißpiraten hervorgerufen, und weil es wohlweislich in den Artikeln der beiden Lokalzeitungen unter den Tisch gefallen ist, wollen wir wenigstens ein Strophe hier abdrucken:
„Da stehen sie dann dumm herum, sie gröhlen und sie johlen,
sie schützen die Verbrecher und sie schreien Hetzparolen.
Sie nennen sich Besorgte Bürger, da kann ich nur lachen,
bei solchen Bürgern da muss eher ich mir Sorgen machen.“
Abordnung ans Streetlife-Festival (Juni)
An sich wollten wir ja nur den AI-Bus besichtigen, der uns im September überrollen sollte, aber wie das bei den Münchner AI’lern so üblich ist, wird man gleich für einen ganzen Nachmittag vereinnahmt. „Man“ waren in diesem Fall zwei Mitglieder unserer Jugendgruppe und, im Falle von Tätlichkeiten, als „Verstärkung“ die Eltern Wiegert. Letzteres war aber nicht nötig, denn Deborah und Bernadette scheinen sich bei ihrem Ersteinsatz mit Bravour geschlagen zu haben: Bernadette bemalte mit den Kindern Stofftaschen und verteilte Luftballons, Deborah sammelte 34 Unterschriften für die Petition „Menschenrechte in Indien“ und setzte sich dabei den „markigen Sprüchen“ einiger junger Männer aus. Dabei war mit Abstand die blödeste Bemerkung: „Nein, (d.h. unterschreibe nicht) ich brauche noch ein Land, das für mich billig Sachen herstellt.“
Da scheint sich die Großstadt von der Kleinstadt zu unterscheiden. Wer uns in Miesbach ignoriert oder gegen uns ist, macht einen Bogen um den Infostand, in München geht man auch auf Konfrontation. Chapeau – vor dem Einsatz unserer Mädchen!
Infostand in Miesbach (Juni)
Diesmal konkurrierten wir nicht mit den Zeugen Jehovas am Nebentisch, sondern mit dem Trachtenmarkt am Marktplatz, der ein neues Publikum an unseren Stand brachte – oder daran vorbeigehen ließ. Vorneweg aber ein Erlebnis, das gut zu unserem Banner „Flüchtlingsschutz“ passt: Wir bekommen nämlich selber Asyl und zwar in dem Häuschen der „Waitzinger Freunde“, wo am nächsten Tag das Maßkrugschieben stattfinden soll. Wir danken für die komfortable Unterkunft.
Vier gegen einen: Infostand in Miesbach
Wir selber schieben keine Maßkrüge, sondern sammeln Unterschriften gegen rassistische Gewalt, bieten Briefe und Karten für Folteropfer an und locken die Kinder mit Gummibärchen an. Bei der Vorbereitung ist uns dazu der Slogan „Bayern isst bunt“ (mit zwei Gummibärchen als ‚ss’) eingefallen, und auf den waren wir mächtig stolz.
Weniger stolz waren wir auf die Verteilung der Briefe (3) und Karten (nicht viel mehr). Die Unterschriftsaktion lief etwas besser, aber die Begleitkommentare zum Thema „Flüchtlinge“ spiegelten das ganze Spektrum der Infostandpoesie wieder, vom ablehnenden „Passt scho!“ über das „Ich muss das Frühstück heimbringen, …, sonst gern.“ zum „Es sind wirklich arme Hund’, was die durchg’macht hab’n.“
AI in der Mitte der Gesellschaft
Zwei USA-Aktionen in München (Juni, Juli)
Deborah hat Stadtluft gewittert und nahm gleich noch an zwei weiteren Aktionen der Münchner teil. Vom Anti-Todesstrafen Stand gibt es ein schönes Foto:
Am Unabhängigkeitstag war neben Deborah auch „Deborah-Mama“ (so der Bezirksrundbrief) vertreten. Die beiden Wiegert-Damen entwickeln sich zusehends zu Miesbachs Geheimwaffen für die Großstadt. Und standfest musste man sein bei dieser Aktion vor dem US-Konsulat, denn ein Besucher hat das Megaphon sogar mit einem Taschenschirm attackiert.
Sommerfest der Grund- und Mittelschule (Juli)
Da ähneln wir ein wenig dem Stammgast bei Leichenschmäusen, aber wir waren eingeladen. Es war ein schönes Fest, für das wir altes Material aufpoliert hatten. So kam beispielsweise die Schauwand „Dafür sind sie alt genug“ wieder zu Ehren, die wir mit Fotos von Kindersoldaten, Kinderarbeit, Entführung, Flucht und Mädchen an der Schule bestückt hatten. Auch versuchten wir, die vom Infostand übrig gebliebenen Gummibärchen loszuwerden.
Das Foto hat uns übrigens unser freundlicher Nachbar vom „Weißen Ring“ geschossen, der zu Beginn des Festes auch nicht sehr ausgelastet war. Wir hatten leider versäumt, Nintendo zu bitten, bei uns ein Pokémon zu platzieren. In der 2. Schicht, die vom Alter her besser zu einem Schulfest passte, gab es recht positive Reaktionen. Und zehn Leute nahmen unsere Broschüre „Schluss mit der Todesstrafe für Jugendliche im Iran“ mit.
AI-Sommerfest (Juli)
Unser eigenes Sommerfest ging leider nicht unbeschwert über die Bühne, obwohl wir diesmal neben Hedi Schmid den berühmten Grillmeister Leon Walther engagiert hatten. Nach getaner Arbeit unterhielt er sich dann angeregt mit Baschir, unserem Gast aus Afghanistan, der froh war, einen Gesprächspartner gefunden zu haben, zu dem er nicht ‚Sie’ sagen musste. Aber als wir dann auf unser jüngstes Gruppenmitglied Emma Heinhold anstoßen wollten, kam die Nachricht vom Amoklauf am Olympiazentrum. Wie heißt es so hart im Alten Testament: „Es gibt eine Zeit zum Gebären, und es gibt (leider auch) eine Zeit zum Töten.“
Das AI-Mobil am Beruflichen Zentrum (September)
Thomas voll im Einsatz
Am Foto merken sie schon, dass wir mit dieser Aufgabe an unsere Grenzen gestoßen sind, aber auch, dass wir sie (die Aufgabe) grandios gemeistert haben.
Die Vorschulung (natürlich ein Workshop) hielt, zumindest nach Ansicht der älteren Generation, nicht, was der Referent vollmundig versprochen hatte, nämlich uns Argumente für/gegen aufmüpfige Berufsschüler zu liefern. Er konzentrierte sich auf den „Rassismus in uns“, und das hörten wir gar nicht gerne. Alleingelassen wurden wir aber nicht. Mitglieder der Münchner Menschenrechtsgruppe, Angelika und eine Mitstreiterin, die bis von Wasserburg anreiste, lieferten ein eindrucksvolles Orientierungsspiel, wo sich die Schülerinnen und Schüler mit „einem Schritt nach vorn“ auf einer Diskriminierungs- und Armutsskala platzieren konnten. Und sie übernahmen die Hälfte der Einsätze bei den (16!) Klassenbesuchen. Dazu kam eine engagierte und sympathische Busbegleiterin, die sich voll in unseren gemeinsamen Lernprozess einbrachte. Wir danken von Herzen.
Die Vorgeschichte: Da hat die rührige Angelika Kasper vom Regionalbüro (mit Wissen des Gruppensprechers aber nicht der Mitglieder) angefragt, ob die Berufsschule Interesse an einem Aufenthalt des AI-Mobils zum Thema „rassistische Gewalt“ hätte. Und siehe da: die Schulleitung biss an, wohl als einzige Berufsschule in Oberbayern, Südbayern und Gesamtbayern. Dafür unsere uneingeschränkte Hochachtung! Nun wäre es übertrieben zu sagen, dass wir mit Begeisterung auf diese Einladung reagiert hätten, „Entgeisterung“ wäre angebrachter gewesen.
AI-Mobil vor BSZ
Unsere Gruppe hatte sich mit Herzklopfen aber gründlich vorbereitet, ein Spiel erstellt, wo sich Rassisten, Unentschlossene und Antirassisten ihre Ecke aussuchen konnten und in einem Nebenraum eine Karikaturenausstellung aufgebaut, die wir meistens im Schnelldurchgang absolvieren mussten – die aber während der ganzen Woche unangestastet blieb.
Und damit sind wir bei der Atmosphäre angelangt, die während dieser Woche vorherrschte. Es gab zwar vereinzelt provokante Bemerkungen, Widersprüche und gelangweilte Passivität, aber das Gesamtklima war eher von Interesse und Wohlwollend geprägt. Das hatte natürlich auch damit zu tun, dass wir als Diskutanten
Diskussion im Bus
und Showmaster über uns selber hinauswuchsen
Bernard in Aktion
Hier einige Erlebniszitate:
- „Die zweite Gruppe am Vormittag war eine Schreinerklasse. … Diese Gruppe wollte nur die Zeit totschlagen und war, trotz wiederholter Versuche, zu keiner konstruktiven Mitarbeit zu bewegen.“
- „Unsere 2. Gruppe am Nachmittag waren ebenfalls Schreiner. … Einige hatten bereits Kontakt zu Asylbewerbern, und die Arbeit mit dieser Gruppe hat großen Spaß gemacht. Ein Schüler hat so engagiert auf unsere Fragen geantwortet, dass ich ihm vorgeschlagen habe, die Plätze zu tauschen.“
- „Bei uns ist es wirklich gut gelaufen. Wir hatten zuerst die Bankazubis, die ganz fantastisch mitmachten. … Es war eine Freude mit den Schülern. … Am Vorabend hatten wir ein flaues Gefühl, aber das wäre nicht nötig gewesen. alles lief gut.“
- „Ganz herzlich bedanke ich mich … für die Aktionstage zum Thema Menschenrechte. Die Rückmeldungen waren sehr gut. Die Aktion war eine große Bereicherung und ein Gewinn für die Jugendlichen. (Martin Greifenstein, Schulleiter)
Er hat uns dann für 2017 wieder eingeladen, aber zum Ausschnaufen brauchen wir wohl mehr als ein Jahr.
Nachtrag: In unserem Eckenspiel haben wir zwei Situationen aufgeführt, die ein Nachspiel hatten.
- In Selb wurde ein Metzgermeister zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er das Hundeschild mit der Aufschrift „Asylanten müssen draußen bleiben“ in sein Schaufenster gestellt hatte. Eine Passage der Urteilsverkündung muss man sich allerdings auf der Zunge zergehen lassen. Der Richter nannte die Sache eine „Dummheit“ und fügte hinzu: „Sie hätten ohne Probleme an ihre Tür schreiben können. Asylanten haben hier nichts zu suchen – ohne den Hund.“ Wir ersparen uns die Richterschelte und drucken dafür eine Karikatur zur Beziehungskiste Merkel – Seehofer ab.
Schwesterliche Fürsorge am CSU-Parteitag
- In Minden hat ein syrischer Flüchtling in einem Schrank Sparbücher und 50 000 € gefunden – und es am Ausländeramt abgegeben. Wir haben dem im Spiel hinzugefügt, dass ihm der Besitzer den Finderlohn mit der Begründung verweigert habe, dass er bei uns schon jede Menge Sozialhilfe bezogen hätte. Die Schülergruppe missbilligte geschlossen das (fiktive) Verhalten des Besitzers. In der Wirklichkeit kam es zu einem glücklichen Ende: die Familie, der das Geld zustand, bezahlte dem Syrer den Führerschein – Bargeld wäre mit seiner Sozialhilfe verrechnet worden.
Ausstellung: „Fakten und Fiktionen in der Flüchtlingsdebatte“ (September)
Die Fachstelle für Demokratie in München hat uns großzügig mit Großplakaten und Ansichtskarten zum Flüchtlingsproblem versorgt. Die Bilder sind gut gemacht, wenn auch etwas holzschnittartig, und von der Message/Botschaft her so formuliert, dass man dem Stammtisch Paroli bieten kann. Die Ausstellung war jeden 2. Tag im Veranstaltungskalender der Zeitung, aber wenn man das Infomaterial betrachtet, das liegen geblieben ist, wurde sie vom Publikum der Stadtbücherei weitgehend ignoriert. Die gehen anscheinend nicht zum Stammtisch. Wir bedanken uns trotzdem bei der Bücherei, dass wir das Thema „Flüchtlinge“ noch einmal präsentieren durften.
Dia-Kulturreise: „Syrien – die Wiege der Menschheit“ (November)
Der Abend wurde von unserem Veranstaltungspartner Volkshochschule veranstaltet, aber wir waren stark vertreten. Der Referent, der mit wunderschönen Fotos von einer Reise im Jahre 2010 aufwartete, war sich durchaus bewusst, dass er irgendwie aus der Zeit gefallen war, denn die Blicke, Seufzer und Kommentare („fast alles kaputt“) der anwesenden syrischen Flüchtlinge bewiesen, dass das Land derzeit eher die „Bahre der Menschheit“ ist.
Infoabend: „Religionsfreiheit – ein bedrohtes Menschenrecht“ (November)
Wir hatten als Referent diesmal „einen großen Fisch“ an Land gezogen, Matthias Drobinski, den Religionsexperten der „SZ“, der in seinen Artikeln die Religionen und ihre Vertreter kritisch begleitet, aber als engagierter Christ immer wieder durchblicken lässt, dass die Kirchen auch heute noch etwas zu sagen haben. Nach einem Gang durch die Geschichte der Religionsfreiheit und ausgehend von der Prämisse, dass Religionsfreiheit eine „Zumutung“ ist, kam er dann schnell, für manche Zuhörer zu schnell, auf aktuelle Themen zu sprechen: auf Burkaverbot, Beschneidung, Kruzifixurteil, auf die Tatsache, dass hinter religiösen Auseinandersetzungen oft wirtschaftliche Motive und ethnische Konflikte hausen und auch auf den gegenwärtigen Zustand des „Islam“, wo er auf die junge Generation setzt, die den Islam aus der Krise führen könnte.
Die Diskussion dauerte dann mit 90 Minuten doppelt so lange wie das Referat und reichte von der Religionsfreiheit als evolutionäres Konzept, über Burka und Nonnentracht zu Religionsfreiheit in der DDR und Afghanistan. Da kamen dann auch afghanische Flüchtlinge zu Wort. Am Ende blieb der Referent noch eine Weile umlagert und so ging ihm die Zeit verloren, die er vorher durch Schnelligkeit eingespart hatte. Aber davon abgesehen war es ein toller Abend, der den 40 Zuhörern sicher im Gedächtnis bleiben wird.
Wir wurden 37 Karten für Baha’i-Führer los, die im Iran inhaftiert sind und konnten auch einige Broschüren und Journale zum Thema des Abends unter die Leute bringen. Unseren Ko-Partnern VHS und Bildungswerken danken wir fürs Mitmachen und für die Arbeitsentlastung.
Adventsmarkt (Dezember)
„Business as usual/das übliche Geschäft“ könnte man sagen, aber damit fiele zuviel unter den Tisch: die gute Organisation des Marktes durch die Bürgerstiftung, die reibungslose Ablösung bei unseren Verkaufsschichten, die auch beim scheußlichen Wetter am Sonntag (mit und ohne Glühwein) durchhielten und v.a. die beispiellose Großzügigkeit unserer „Lieferanten“, die uns jetzt schon jahrelang ihre Waren und Arbeitszeit überlassen. Wir danken den Damen Schmalhofer-Jacobi und Schreiber, dem Fischbachauer Missionskreis, den Herren Bracher, Schmucker, Holzfurtner und Fritz Haller, der in diesem Jahr leider verstorben ist. Dank gebührt aber auch den (weiblichen) Gruppenmitgliedern, die unser Sortiment durch leckere Weihnachtsplätzchen bereichert haben. Gott sei Dank, konnte der Gruppensprecher Restbestände erwerben, sodass es bei ihm, was noch nie der Fall war, bis in den Januar hinein Weihnachtsplätzchen gab. Die Standgebühr bezahlten wir aus der Portokasse, denn die Einnahmen beliefen sich auf 850,- €.
Randbemerkungen zum Marktgeschehen:
- Dank einer Meldung in der Tagesschau, dass Giraffen vom Aussterben bedroht sind, setzte ein Run auf die Giraffen und Giraffoiden von H. Schmucker ein, so als wollte man sich wenigstens noch ein hölzernes Exemplar der bedrohten Spezies sichern.
- Eine ältere Frau interessierte sich für unseren Picasso und die Weihnachtskrippe. Ihr Sohn, der vielleicht schon an das Ausräumen der Wohnung dachte, war gegen den Kauf. „Ich brauche kein Kripperl.“ Sie gingen weiter, aber sie kamen zurück: Picasso und Krippe wechselten den Besitzer. „Do wird de Mo wieder schimpfa“, meinte die Frau.
Postkartenaktion an den Kirchentüren (Dezember)
Eine Woche nach dem „Tag der Menschenrechte“ (10. Dezember) hatten wir unseren letzten Auftritt, bevor wir uns für vier Wochen in den Winterschlaf verzogen. Wir bezogen Stellung vor den Kirchentüren, wurden von Pfarrer(in) und Seelsorgeteam freundlich angekündigt und verteilten noch einmal die Postkarten für die Baha’i-Führer. Die Kommentare, die wir hörten, waren „widersprüchlich“: Eine Frau konnte „mit den Baha’i nichts anfangen“, nahm die Karte aber trotzdem mit, ein anderer Kirchenbesucher meinte, „es sei gut, dass wir uns auch für nicht-christliche Religionsgemeinschaften einsetzten“. Und einer ging vorbei und sagte: „Hilft ja doch nichts!“
Der Mann hat leider nicht ganz Unrecht, aber im Mai 2016 bekam Fariba Kamalabadi, eine der inhaftierten Baha’i, Hafturlaub und durfte fünf Tage das Gefängnis verlassen.
Wir wurden etwa 220 Karten los – und kamen damit (bei vorsichtiger Schätzung) an jeden dritten Gottesdienstbesucher heran. Die verbliebenen 30 Karten haben wir an die Baha’i-Gemeinde in Holzkirchen weitergegeben.
Freiheit für die Baha’i Führer
3.3 Die Fälle
WOZA-Frauen/Simbabwe
Wie schon im letzten Jahr haben wir uns nicht um die WOZA-Frauen gekümmert. Sie scheinen aber durch ihre Berühmtheit unter einem Schutzschirm zu agieren. Beides aber kann sich bald ändern. In Simbabwe beginnt es zu brodeln. Das Land war einst der „Brotkorb des südlichen Afrikas“, heute ist jeder dritte Einwohner auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Da kommt natürlich eine Geburtstagtorte von 92 Kilo, die sich Präsident Mugabe zum 92. Geburtstag anfertigen ließ nicht besonders gut an. Ein Viertel der Bevölkerung ist auf Arbeitssuche nach Südafrika abgewandert, und im Lande formiert sich die Opposition. Eine Großdemonstration im August, vom Obersten Gerichtshof genehmigt, wurde von der Polizei gewaltsam aufgelöst. Ein Pastor erinnerte mit folgenden Worten an die Kämpfer gegen die britische Kolonialherrschaft:
„Wenn sie sehen könnten, was aus ihrem Land geworden ist, würden sie ihr Blut zurückverlangen.“
Es könnte also bald wieder Arbeit geben, und wir werden aus der Ferne und mit unseren bescheidenen Möglichkeiten so gut es geht mitmischen.
Narges Mohammadi/Iran
Hier sei zunächst an Abolfazl Abedini Nasr erinnert, der unsere Gruppe einige Jahre „begleitet“ hat. Wir haben im letzten Jahresbericht erwähnt, dass „er im September 2014 auf Hafturlaub gewesen zu sein scheint, dass er wohl aber jetzt wieder hinter Schloss und Riegel sitzt – so wie wir die Brüder kennen.“ Dazu haben wir zu Jahresbeginn Informationen erhalten, die zwar für Nasr erfreulich, aber kein Ruhmesblatt für AI sind. Wir haben nämlich erst über die „Internationale Gesellschaft für Menschenrechte“ erfahren, dass „Nasr im Juni 2014 (!) in den Hafturlaub entlassen und noch immer nicht ins Gefängnis zurückbeordert worden ist“. Darauf wurde der Fall geschlossen. Wenn man Nasr im Internet aufruft, findet man auf einer AI-Seite folgende Meldung: „Nasr verbüßt derzeit … eine zwölfjährige Freiheitsstrafe.“ Kein Chapeau!
Trotzdem haben wir einen neuen Fall übernommen. Es handelt sich um Narges Mohammadi, eine der bekanntesten (und verfolgtesten) Menschenrechtlerinnen im Iran. Die verhängten Haftstrafen gegen sie summieren sich auf 16 Jahre, d.h. von 2012 bis 2028. Ihre Delikte entsprachen dem Strafmaß – nicht! „Propaganda gegen das Regime“/Mitglied in einer Menschenrechtsgruppe, „Gründung einer verbotenen Gruppierung“/Mitarbeit in einer Anti-Todesstrafengruppe, „Verschwörung gegen die Islamische Republik“/Kontakt zur EU-Außenbeauftragten, usw.
Frau Mohammadi ist schwer krank, aber wie man sie auf dem Krankentransport und im Krankenhaus behandelte, war nicht viel besser als im Gefängnis. Ihre Beschwerde brachte ihr eine weitere Anklage wegen „Beamtenbeleidigung“ ein. Mit ihren zwei Mädchen durfte sie 2015 einmal telefonieren. Sie mussten ins Ausland zu ihrem Vater ziehen, weil sich im Iran niemand um sie kümmern konnte/wollte.
Unsere Briefe, in denen wir eine fachärztliche Behandlung, Kontakt zu einem Anwalt ihrer Wahl und ihre sofortige und bedingungslose Freilassung forderten, blieben - dreimal dürfen Sie raten - bisher unbeantwortet.
3.4 Die Kampagnen
Kampagne gegen rassistische Gewalt
Die Kampagne hatte zwei Seiten, die wir unterschiedlich gewichteten. Zum einen ging es um Schutz von Flüchtlingsunterkünften, Ermittlung rassistischer Motive bei Straftaten und Behinderung von Ermittlungen durch den „institutionellen Rassismus bei Polizei und Justiz“. Um letzteres nachzuweisen, hat AI die „Einäugigkeit“ bei der Untersuchung der NSU-Morde angeführt, aber wenn man das Verhalten der Dresdener Polizei am Tag der deutschen Einheit 2016 betrachtet und mit Betroffenheit zur Kenntnis nimmt, dass allein in Bayern zehn „Reichsbürger“ bei der Polizei sind, gewinnt der Vorwurf des „institutionellen Rassismus“ an Substanz. Mit der Definition dieses Begriffs haben wir uns etwas schwer getan: Er besagt sicher nicht, dass alle Polizisten und Justizbeamten Rassisten sind, wohl aber, dass diese Institutionen etwas „anfälliger“ sind, als eine christliche Basisgemeinde. Und Beispiele von Opfern rassistischer Gewalt, die von den Behörden in Stich gelassen wurden oder von Straftaten, wo bei der Ermittlung oder Verfolgung rassistische Motive unter den Tisch gefallen sind, hat AI zu Genüge dokumentiert. Von daher wurden die 60 Unterschriften, die wir gesammelt haben, zu Recht geleistet.
Nicht gelungen ist es AI, die Listen mit den insgesamt 102 000 Unterschriften „physisch zu übergeben“, d.h. die Innenministerkonferenz hat uns nicht empfangen. Und nur bei einer unserer Forderungen ist etwas in Bewegung geraten.
„Bei einschlägigen Straftaten besteht jetzt die Pflicht für Polizei und Justiz, Anzeichen auf rassistische Motive nachzugehen und diese einschließlich der Opferperspektive zu dokumentieren“.
Zum Thema „Polizei“ passt auch ein Erlebnis, das ein Gruppenmitglied im Januar 2017 auf einer Anti-Pegida Demo in München hatte. Er stand friedlich hinter einer (friedlichen) Antifa-Gruppe, als plötzlich ein Trupp Polizisten amokläufig durch die Reihen raste und ihn überrannte. Nach einem Anruf beim Polizeipräsidium erhielt er eine Entschuldigung. Wir werden die Augen weiter offen halten.
Schwerer getan haben wir uns, wie bereits erwähnt, mit dem 2. Thema der Kampagne „Nimm Rassismus persönlich“, wo wir u.a. aufgefordert wurden „unsere eigenen Stereotypen, Vorurteile und Sprachgewohnheiten kritisch zu hinterfragen“. Das trieb seltsame Sumpfblüten: Die Frage an einen Flüchtling „Woher kommst du/kommen Sie?“ könnte da bereits „Rassismus im Alltag“ sein. – Nein, ist es (noch) nicht!
Kampagne gegen die Todesstrafe
Gegenläufig zu den vergangenen Jahren fällt die Bilanz 2016 negativer aus. Die Anzahl der Hinrichtungen nahm um 54 % zu, darunter sind Länder, die seit längerer Zeit niemand mehr hingerichtet hatten (Bahrain). Die Türkei erwägt eine Wiedereinführung, und Länder wie Nauru und die Fidschi-Inseln, die sie 2016 abgeschafft haben, werden diese negative Bilanz nicht entscheidend aufhellen. Zum „Welttag gegen die Todesstrafe“ am 10. Oktober bemerkte AI lakonisch:
„In fast allen Weltregionen erlebt die Todesstrafe eine Renaissance als Instrument zur Bekämpfung von Bedrohungen der Sicherheit durch Terrorismus.“
Ein Selbstmordattentäter, wenn er Humor hätte, würde da nur lachen: „Wenn mich da einer hinrichten will, mache ich es vorher schon selber!“
3.5 Vermischtes
Reaktionen auf den Jahresbericht 2015
Ein bisschen Selbstbespiegelung müssen Sie uns erlauben: Wir schreiben ja nicht für ein Geheimarchiv, sondern für ein Publikum – ein Publikum, das freundlicherweise auch reagiert, und zwar positiv. Und auf Lob reagieren wir wie Kinder - sehr empfänglich.
- Der „Merkur“ hat korrekt aber gedämpft berichtet: „Miesbacher amnesty international blickt auf einige Aktionen zurück.“
- Ein Leser hat uns das Briefporto geschickt und dann den Bericht „(fast) in einem Zug gelesen“. Das ist eine satte Leistung.
- Ein anderer hat eine Karte mit einem Kletterfrosch (nach oben!) geschickt, uns für das Engagement gedankt und mit einem „Weiter so!“ geschlossen. „We’ll try our very best.“
- Eine Leserin schreibt: „Sehr spannend, wird von Jahr zu Jahr besser.“ Wo das noch hinführen soll!
- Ein weiterer Leser „teilt zwar nicht restlos die Meinung von AI“ – wir auch nicht! -, spricht uns aber seine Hochachtung aus, dass wir „angesichts der Weltbefindlichkeit noch Vertrauen und Optimismus aufbringen“.
Das wiederum fällt uns leichter, wenn wir solche Rückkoppelungen erfahren.
- Gar nicht amüsiert waren wir über ein Mail, das uns der grimmige Thor Hammer im August geschickt hat. Hier eine Kotzprobe:
„Ihre Organisation unterstützt so genannte „Flüchtlinge“ und angebliche „Asylbewerber“ (mit wenigen Ausnahmen aus beträchtlichen, veruntreuten Steuergeldern). sind sie eigentlich noch ganz bei Trost?“
Wir sind es, beim Toren Hammer ist das zu bezweifeln.
Die Jugendgruppe
Auch da geht es teilweise um Feedback. Aber das Wichtigste zuerst: Es gibt sie noch – und das schon seit mehr als zwei Jahren. Ihre rührige Sprecherin, Deborah Wiegert, hat im November eine Art Zwischenbilanz gezogen: Leute gehen weg zum Studieren, neue kommen dazu, und mit denen muss man immer wieder bei Null anfangen. Und das macht es schwer, so eine Gruppe zusammenzuhalten. Kann man sich vorstellen, ist aber nicht zu ändern: Jugendliche sind halt nicht alt und sesshaft.
Aber immerhin: die Gruppe war beim AI-Mobil und am Adventsmarkt vertreten und hat wiederholt in München mitgemischt. In Miesbach haben sie einen Filmabend gegen Rassismus organisiert und die Flme „ID without colour“ und „Angst isst Seele auf“ gezeigt. Es kamen 15 Jugendliche, mehr als bei unseren letzten 15 Infoabenden.
Wir würden uns freuen, wenn’s weiterginge, aber wir sind schon jetzt dankbar, dass es die Gruppe gibt – oder gegeben hat. Aber das ist jetzt schon fast ein Nachruf!
Der Schaukasten
Zu Miesbachs „Verborgenen Orten“ gehört die Unterführung am Stadtplatz. Vielleicht wird sie morgens und mittags von den Schulkindern genutzt, aber sonst sieht man selten Leute dort. Dabei birgt sie eine von Miesbachs Sehenswürdigkeiten, den Schaukasten von AI. Von Monika Wiegert liebevoll betreut, könnte man dort sehen, wie man mit Menschenrechtsthemen ein Schaufenster dekorieren kann. Schauen Sie mal vorbei auf dem Weg zu Elisabeths „Platzerl“ – und bleiben Sie auch stehen.
Die Monatsbriefe/Briefe gegen das Vergessen
Die Monatsbriefe sind eine Abo der besonderen Art. Es gibt nichts zu gewinnen und auch keine Freikarten für ein AI-Event. Aber sie können Menschen helfen, die im Gefängnis keine medizinische Versorgung erhalten, von der Todesstrafe bedroht sind oder wegen politischer Äußerungen oder „Lappalien“ langjährige Gefängnisstrafen erhalten. Sie werden bei uns von Thierry Nédélec betreut, der unsere Übersetzerinnen Rachel Bull (Englisch) und Irene Scherm (Spanisch) mit Arbeit versorgt. Sie sind zwar jetzt seit vielen Jahren bei uns „angestellt“, könnten aber von ihrem „Gehalt“ nicht leben. Das tendiert nämlich gegen Null. Wir können ihnen nur ein herzliches Dankeschön sagen.
Bei einem Fall haben wir eine Art Vorzensur ausgeübt. Es handelte sich um eine französische Transfrau, der man die offizielle Anerkennung der von ihr gewünschten Geschlechtsidentität verweigert. Wir haben Verständnis für ihre Probleme, vertreten aber die Meinung, dass wir Fälle zur sexuellen Orientierung nur dann aufgreifen sollten, „wenn massive Folgen auftreten“ würden, z.B. die Androhung der Todesstrafe für Homosexuelle in Uganda. Wir haben es unseren Abonnenten deshalb freigestellt, im Falle der Französin tätig zu werden.
Antwort kam nur eine zurück. Eine Institution des EU-Rates reagierte auf unsere Forderung, die Situation der Flüchtlinge in den informeIlen Lagern Griechenlands (Idomeni) zu verbessern. Man hat versprochen, Soforthilfe zu leisten und an die Mitgliedstaaten appelliert, durch ein Umsiedlungsprogramm die Belastung Griechenlands zu reduzieren. Was aus dem Programm geworden ist, wissen Sie selber.
Besser funktioniert jetzt die Fortschreibung der Fälle über die Briefaktion hinaus. Wenn Sie diese Briefe
abonnieren, erhalten Sie zweimal im Jahr ein „Update“, wie sich die Fälle weiterentwickelt haben. Für 2016 ist die Bilanz durchaus positiv: Bei den sechs aufgeführten Fällen gab es immerhin vier Freilassungen – zwei davon auf Bewährung bzw. gegen Kaution.
Die Finanzen
Wie schon so lange, verfasse ich diese Rubrik mit zwei „Federn“, wobei die eine nicht wissen darf, was die andere schreibt. Mit Feder 1 beschreibe ich die Fakten: Siegi Komm ist seit 45 Jahren unser grundsolider Finanzminister; beides soll ihm der Söder erst einmal nachmachen. Unser Jahresbeitrag beträgt 2300,- Euro, und wir haben noch nie einen Zahlungsbefehl aus Berlin bekommen oder Verzugszinsen zahlen müssen. Aber damit bin ich schon da, was Feder 2 zu schreiben hat. Da handelt es sich eher um Wünsche: Es geht uns, vorsichtig ausgedrückt, finanziell nicht schlecht, und wir würden diesen Status gerne beibehalten. Deshalb möchten wir alle Beitragsmitzahler bitten, uns auch in Zukunft mit einer Summe zu unterstützen, die über Ihren Sparzinsen liegt. Und wir möchten uns für die Spenden des letzten Jahres aufrichtig – herzlich – überschwänglich bedanken!
Kontaktadressen und Kontonummer
Fritz Weigl, Wallenburger Straße 28 d, 83714 Miesbach
Tel.: 08025/3895, Fax: 08025/998030,
Mail:fritz.weigl@gmx.de
Bernard Brown, Carl-Weinberger-Str. 5, 83607 Holzkirchen
Tel.: 08024/3502,
Mail:bernard.brown@web.de
Homepage: http://www.amnesty-miesbach.de
Bank für Sozialwirtschaft (BfS) Köln, BLZ 370 205 00
Konto-Nr. 80 90 100, Gruppe 1431 (Gruppennummer unbedingt mit angeben)
4. Schluss – als Ergänzung zu Madonna
Lassen wir das erste Schlusswort einem Mann, über den 2016 ein toller Film gemacht worden ist, Fritz Bauer, der Jurist, der in den 1960er Jahren die Auschwitz-Prozesse in Gang gebracht hat. In einem Aufsatz über Schopenhauer griff er dessen Zweifel darüber auf, dass „das Prinzip Hoffnung eine Lebenslüge sein könnte“ und meinte:
„Selbst wenn die Hoffnung tatsächlich eine Lebenslüge ist – ohne sie wäre die Unmenschlichkeit in der Welt nicht zu überwinden.“
Dazu passt auch das folgende Schlusswort Nummer zwei.
5. Spuren im Land (14): Miesbach in Yad Vashem
Wir freuen uns, dass wir Ihnen heuer wieder einmal eine Fortsetzung unseres Textprojektes bieten können. Verdanken tun Sie das den Recherchen von Hermann Kraus, der auf Martha Schleipfer-Schörghofer, einer „Gerechten unter den Völkern“ gestoßen ist. Er hat auch den Text geschrieben. Wir danken.
Die Geschichte beginnt am „Neuen jüdischen Friedhof“ im Norden Münchens, etwa zwischen den U-Bahn-Stationen Alte Heide und Studentenstadt. Auf diesem Friedhof liegen u.a. auch Kurt Eisner, der erste bayerische Ministerpräsident (seit 1919) und Max Mannheimer (seit 2016).
Der Friedhofwärter: Karl Schörghofer
Dort war in den dreißiger Jahren der evangelische Österreicher Karl Schörghofer der Friedhofsverwalter. Er hat mit seiner Frau Katharina und seinen Kindern Karl jun. und Martha auch dort gewohnt. Schörghofer hat seit 1943 wiederholt Juden auf dem Friedhofsgelände und in der angrenzenden Baumschule versteckt. Ende Februar 1945, nach 14 Monaten im Versteck, wurden sieben versteckte Personen – drei Männer und vier Frauen – von einem Spitzel an die Gestapo verraten. Die meisten konnten rechtzeitig fliehen, zwei wurden verhaftet. Den Schörghofers wurde für den Fall einer erneuten Hilfsaktion für Juden mit der Deportation ins KZ Dachau gedroht, trotzdem fand einer der Geflüchteten erneut Unterschlupf bei ihnen. Für eine seiner Schützlinge, die 12-jährige Herta Neuburger, fand er eine besonders pfiffige Lösung. Seine Tochter Martha, inzwischen verheiratete Schleipfer, wohnte auf einem abgelegenen Bauernhof nahe Miesbach. Dorthin brachte er das Mädchen.
Hertha Neuburger und ihre Familie
Über die Vorgeschichte der Herta Neuburger wissen wir gut Bescheid, denn das Mädchen (geb. 1932) lebt noch und zwar in Tampa (Florida). Sie ist nun 84 Jahre alt, und hat vor einigen Jahren ein ausführliches Interview dazu gegeben. Sie ist in einer wohlhabenden Familie aufgewachsen, der Vater hatte einen Ledergroßhandel in der Münchner Bayerstraße. Sie lebten auf dem Lande, mit Hausmädchen und Chauffeur. Aber 1935 hatte das ein Ende. Die Familie zog in die Stadt, ohne Angestellte. Kurz nach der Reichspogromnacht 1938 kam der Vater Moritz Neuburger nach Dachau. Er kehrte 1939 krank zurück und starb 1941. Die Mutter war allein mit ihrer jüngsten Tochter Herta, die beiden älteren Geschwister mussten zur Zwangsarbeit.
Ausweisung in den Tod
Etwa Anfang 1944 bekam die Familie die Anweisung zur „Umsiedelung in den Osten“, in zwei Tagen. Am zweiten Tag gab es mittags einen Luftangriff. Die Familie war im Keller. Das Haus darüber fiel in Schutt und Asche. Die Hausverwalterin, die von der Ausweisung wusste, erklärte den Behörden, die Familie sei dabei getötet worden. So waren sie fürs erste gerettet, mussten aber von Keller zu Keller flüchten und sich aus Suppenküchen ernähren. Die Behörden haben aber dann doch irgendwie erfahren, dass die Familie noch lebt. Die Neuburgers waren erneut bedroht. Der Bruder flüchtete in die Berge zu einem Bauern. Die Schwester Regina wurde auf der Straße gefasst und nach Theresienstadt gebracht. Die Mutter war oft tagelang weg auf Nahrungs- und Verstecksuche. Da kam ein Mann zu Herta und sagte, sie solle in der Nacht zum jüdischen Friedhof kommen – zu Karl Schörghofer. Herta Neuburger kannte ihn von der Beerdigung des Vaters her und ging hin.
Versteck in Ableiten/Irschenberg
Mit einer Verwandten von Schörghofer fuhr sie dann mit der Bahn nach Miesbach. Sie kam zu einem „einzeln stehenden Bauernhof auf einem Hügel“. Der Besitzer lebte nicht dort, aber drei Frauen mit ihren Kindern, darunter auch Martha Schleipfer-Schörghofer. Sie hatte damals zwei Söhne, einer sechs Monate und einer vier bis fünf Jahre alt. Mit dem älteren Sohn ging die Mutter immer in den Wald, wenn Leute kamen, aus Angst, er würde etwas „verraten“. Es gab weder fließendes Wasser noch elektrisches Licht. Das Großstadtmädchen musste mit dem Waschbrett am Bach waschen. Trotzdem beklagt sie sich nicht über diese Zeit: „Martha machte mich zu einer guten Hausfrau“. Sie sagte, erst später sei ihr klar geworden, wie groß das Risiko war, das Martha Schleipfer-Schörghofer für sie auf sich genommen hat. Wir haben inzwischen von der Tochter von Frau Schleipfer-Schörghofer erfahren, dass es sich bei dem Bauernhof um Ableiten/Irschenberg handelt.
Happy End
Nach der Kapitulation hat Hertas Bruder ein Versteck von SS-Leuten in den Bergen an die Amerikaner verraten und bekam dafür ein Motorrad und einen Passierschein für Oberbayern. Er hat von Schörghofer erfahren, wo seine Schwester Herta versteckt ist, und sie dort abgeholt. Beide sind dann zu ihrer Mutter gefahren. Die Schwester Regina hatte Theresienstadt überlebt und kam im Juli 1945 zurück. Sie war damit eine „Displaced Person“ und konnte in die USA einreisen, die anderen (noch) nicht. Sie hielten sich mit Schwarzmarkt-Handel über Wasser. Am Ende kamen aber doch alle in die Vereinigten Staaten. Herta Neuburger heiratete Salomon Pila und lebt heute in Tampa (Florida).
„Gerechte unter den Völkern“
Am 7. November 1967 wurden Karl und Katharina Schörghofer und ihre Kinder Karl jun. und Martha von Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet. Für sie wurde in der Gedenkstätte nahe Jerusalem in der „Allee der Gerechten“ ein Baum gepflanzt und ein Gedenkstein angebracht. Auf der Inschrift steht über den Vater: „Ein jüdisches Waisenmädchen rettete er durch Unterbringung bei seiner Tochter Martha in Miesbach.“ Hier in Miesbach wusste bis vor kurzem niemand, dass in der Nähe ein jüdisches Mädchen versteckt war und dadurch gerettet wurde. Erst durch eine Schautafel im neu errichteten NS-Dokumentationszentrum in München wurden wir darauf aufmerksam.
Martha Schleipfer-Schörghofer
Karl Schörghofer soll zur Rettung der Herta Neuburger gesagt haben:
„Ich weiß, dass ich mein Leben gefährde, aber alles hat seinen Preis. Wenn jemand seine Mitmenschen retten will, muss er bereit sein, sein eigenes Leben zu riskieren.“
Und im jüdischen Talmud steht:
„Wer auch nur ein Leben rettet, rettet die ganze Welt"
(Mishnah, Sanhedrin 4:5)
Quellen:
Interview mit Herta Pila: http://digital.lib.usf.edu/content/SF/S0/02/20/00/00001/F60-00033.pdf
http://www.raoulwallenberg.net/saviors/german2/karl-schorghofer-924/