Jahresbericht 2017 –
45 Jahre Amnesty
(Landkreis) Miesbach
1. Einleitung
Für die Einleitung hat sich
bei mir die Gewohnheit eingeschlichen, eine Art Neujahrsansprache zu halten.
Sie erinnern sich vielleicht: Ich habe vor einem Jahr ein „Schuldbekenntnis“
abgelegt, weil ich 2015 gegen das 11. Gebot „Du sollst dich nicht der Weitschweifigkeit
ergeben“ verstoßen habe – und es ist mir gelungen, den Jahresbericht von 2016 auf
74 Seiten zu „kondensieren“. Aber heuer? Na ja, schließlich war Jubiläum!
Zu einer zünftigen
Einleitung/Neujahrsansprache gehört auch der prophetische Ausblick, und da muss
man Acht geben, dass es einem nicht so ergeht, wie dem früheren Bundeskanzler
Helmut Kohl, der am 31. Dezember 1986 die Ansprache von 1985 wiederholte, weil
der NDR die falsche Kassette eingelegt hatte. Sie erinnern sich vielleicht noch
einmal – oder holen gar den Jahresbericht von 2016 aus Ihrem Tresor, wie wir
Madonna in diesen Bericht eingebaut haben. Sie hatte (anlässlich des Todes
vieler Musikerlegenden) die Frage gestellt. „Kann sich das Jahr 2016 nicht
endlich verp …?“ Und als dann die Silvesternacht in Istanbul mit einem schrecklichen
Massaker in einem Nachtklub begann, da wurde einem klar, dass sich das Jahr
2016 noch nicht „verp…“ hatte.
Aber um die Jahreswende traten
auch (notorische) Optimisten auf. Die „Zeit“ titelte ihren Ausblick mit „2017
wird toll“ und machte das am Verkauf von Christbäumen fest: die Deutschen
hätten „29,5 Millionen Christbäume gekauft, eine Million mehr als im Krisenjahr
2008 und 200 000 mehr als im Vorjahr.“ Und die Konsumforscher der Uni in
Michigan stellten einen „Anstieg des Optimismus-Index – so etwas gibt es (noch)
in den USA – auf 98,7 fest, den höchsten Wert sei zwölf Jahren“.
Wir
steuern (fürs erste) einen mittleren Kurs. Zur Eröffnung unserer
Karikaturenausstellung haben wir das Jahr 2017 aus den Trümmern von Ost-Aleppo
kriechen lassen
und
dazu folgenden Vierzeiler verbrochen:
„Das
Jahr ist neu, was gibt es her?
Wird’s
weitergehen wie bisher?
Doch
die Hoffnung aufs Leben ist ungebrochen:
aus
Trümmern ist schon oft ein Baby gekrochen.“
Von
Mark Twain gibt es den etwas rätselhaften Ausspruch
„Es
gibt keinen traurigeren Anblick als einen jungen Pessimisten – mit Ausnahme
eines alten Optimisten.“
und
„den traurigen Anblick eines (moderaten) alten Optimisten“ werden sie auch
wieder in diesem Jahresbericht ertragen müssen/dürfen: Auch dieser Bericht
versucht wieder die Gratwanderung zwischen (bisweilen ironischer) Wahrnehmung
der Wirklichkeit und (ironiefreier) Schaffung von „Gegenwelten“. Die Dichterin
Mascha Kaléko hat das viel schöner gesagt:
„Die
Nacht in der das Fürchten wohnt
Hat
auch die Sterne und den Mond.“
2. Der Jahresrückblick
Januar 2017
Spinnen
wir das Thema Optimismus/Pessimismus noch etwas weiter fort. Eine Juristin für
Arbeitsrecht setzt „große Hoffnung in Donald Trump“. Sie geht wahrscheinlich
davon aus, dass durch Maßnahmen für den Klimaschutz und die Förderung sauberer
Energien neue Arbeitsplätze für illegale Einwanderer geschaffen werden, dass
ausländische Firmen Schlange stehen, um ihre Niederlassungen in die USA zu
verlegen und dass die Oberschicht durch eine satte Vermögenssteuer zu einer
Umverteilung genötigt wird, damit der Mindestlohn erhöht und das staatliche
Bildungssystem saniert werden kann. Er selber hat sich, in aller Bescheidenheit,
bereits im Vorgriff als „den größten Arbeitsbeschaffer, den Gott je geschaffen
hat“, bezeichnet. „Schaung’ ma amol“, würde man in Oberbayern sagen.
Nun
sind Arbeitsplätze nicht gerade das Thema von AI, aber Trump hat sich in seiner
ersten „septimana horribilis/schrecklichen Woche“ auch Sachen und Sprüche geleistet,
die uns menschenrechtlich aufgestoßen haben. So gab er auf die Frage, ob er
glaube, dass „Folter funktioniere“ die Antwort „Ja, absolut“. Und da er, wenn
er überhaupt Prinzipien hat, dem Prinzip der Kosten-Nutzen-Rechnung folgt, kann
man sich schon einmal darauf einstellen, dass der Kaltwasserverbrauch des CIA
wieder nach oben gehen wird, obwohl das Waterboarding keinen Anschlag
verhindert hat, aber für das Ansehen der USA ein Desaster war. Nach (derzeit
noch) geltendem Völker- und US-Recht macht sich strafbar, wer einen Befehl zur
Folter erteilt, aber für Trump ist das vermutlich nur ein „so genanntes Recht“.
Und
dann kam das Einreiseverbot für Bürger aus sieben „schlechten“ muslimischen Staaten.
(Wer Erdöl hat und amerikanische Waffen kauft – Saudi-Arabien, oder
autokratisch regiert wird – Ägypten, ist ein „guter“ muslimischer Staat). Aber
da kamen ihm ein paar „so genannte Richter“ in die Quere und hebelten sein
Dekret aus. Auf den Flughäfen regierte für einige Zeit nicht Trump sondern das
Chaos, das von der „SZ“ in deutlicher Anlehnung an Karl Valentins
Verkehrsregelung für München wie folgt beschrieben wurde:
„Wer
an Allah glaubt und aus Iran stammt, darf nicht nach Trump-Land, oder
vielleicht doch, aber dann nur donnerstags oder vielleicht bei Vollmond.“
Ob
die Richter schon für die Wasserfolter vorgesehen sind – „Schaung’ ma amol! Zu
Trump und anderen (Polit)Greisen – Verfasser und Leser(innen) dieses Berichts sind
selbstverständlich ausgenommen – ist mir ein schöner Spruch von G.B. Shaw über
den Weg gelaufen:
„Den
Alten ist nicht zu trauen. Sie haben keine Zukunft.“
Dumm
geschaut haben Flüchtlinge, Helferkreis und Betriebe, als durch eine
Dienstanweisung des bayrischen Innenministeriums die Hürden für Arbeit suchende
Flüchtlinge erhöht wurden. Asylbewerber ohne gute Bleibeperspektive dürfen
nicht mehr arbeiten – manche müssen ihre Stellen sogar aufgeben. Kriterium ist
die Schutzquote des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge): Flüchtlinge
aus Nigeria beispielsweise, von denen derzeit 9,9% anerkannt werden, müssen in
den Sammelunterkünften wieder Däumchen drehen und unbedarften Passanten als
„Anschauungsmaterial“ dafür dienen, dass Flüchtlinge arbeitsscheue Elemente
sind. Besondere (Sumpf)Blüten hat die Dienstanweisung bei den Afghanen
getrieben. Da ihre Anerkennungsquote in der Zählweise der bayrischen Regierung unter
50% lag, fielen auch sie zunächst unter das Arbeitsverbot. Als dann im Januar
eine grüne Landtagsabgeordnete die Jahresquote für 2016 überprüfte und auf über
55% kam, hat auch die Regierung noch einmal nachgezählt und die Afghanen (wenn
auch befristet) wieder arbeiten lassen.
Die
Reaktionen auf das Arbeitsverbot waren eindeutig („Giftpapier“), und sie kamen
auch von Stellen, die nicht gerade CSU-feindlich sind. Der CSU-Landrat im Kreis
München stand „nicht überzeugt dahinter“, der Chefredakteur des „Merkur“ nannte
es „unmenschlich, töricht und kontraproduktiv“, und auch von den Kirchen kam
Gegenwind – nicht nur aus Sorge um den Nachwuchs für die Ministranten.
Auch
in Sachen „verschärfte Unterbringung“ hat die CSU im Kloster Banz Klartext
gesprochen, wenn man den Begriff „optimales Synergiepotential“ als Klartext bezeichnen
kann. Sie meint damit, dass neben einer Einrichtung zur sicheren Unterbringung
und Abschiebung von Gefährdern auch Transitzentren geschaffen werden sollen, wo
„Asylbewerber unterzubringen sind, die bei der Identitätsklärung und Beschaffung
von Passersatzpapieren nicht mitwirken“. Letzteres ist problematisch, wenn man
bedenkt, dass man auf der Flucht einen Pass nicht nur wegwerfen sondern auch
verlieren kann und es oft die Herkunftsländer sind, die sich weigern,
Passersatzpapiere auszustellen (Senegal, Tunesien). Dass Gefährder sicher
untergebracht werden, wenn ihre Gefährlichkeit gesichert ist, daran ist nicht
auszusetzen, bedenklich ist, dass unser Asylrecht durch Wegsperren der
Flüchtlinge immer mehr untergraben wird. Da sollen Flüchtlinge aus „sicheren“
Herkunftsländern in Flughafennähe untergebracht werden, damit man sie
abschieben kann, bevor sie noch einen Rechtsanwalt kontaktieren konnten, und da
sollen Aufnahmezentren in Libyen eingerichtet werden, wo über Asylanträge für
Deutschland entschieden wird. Man kann sich jetzt schon vorstellen, wie sich
die BAMF-Entscheider um diese Posten raufen werden, wo sie doch schon nicht
nach Griechenland gehen! Da soll man es doch gleich so machen wie in Ungarn, wo
die Regierung plant, Asylbewerber künftig generell in „Schutzhaft“ zu nehmen. Aus
dem „geplant“ wurde im Februar ein „ausgeführt“: eingesperrt wegen
Flucht(gefahr).
Sie
brauchen Stoff zum entärgern? Einverstanden! Silvester in Köln ging dank
massiver Polizeipräsenz (einigermaßen) friedlich über die Bühne. Die einschlägigen
Nordafrikaner scheinen weitgehend weggeblieben zu sein, was man von den Opfern
des Jahres 2015 auch annehmen kann. Es gab Polizeikontrollen gegen „südländisch
aussehende Männer“, die einem „racial profiling/Gesichtskontrolle nach Aussehen“
verdächtig nahe kamen und, meiner Meinung nach, von den Grünen und Amnesty
International etwas unüberlegt kritisiert wurden, denn, so die „SZ“:
„Wann
je sollen Kontrollen notwendig sein, wenn nicht hier und aus diesem Anlass, ein
Jahr nach den Ausschreitungen auf der Domplatte?“
Und
es gab einen Tweet der Kölner Polizei, in dem der rassistische Begriff „Nafri“
verwendet wurde. Das klingt wie „Nazi“, bezeichnet aber die „nordafrikanischen
Intensivtäter“, die aber, wie erwähnt, in dieser Nacht nicht aufgetaucht sind
oder sich andernorts „amüsiert“ haben. Der Polizeipräsident hat sich für das
Wort entschuldigt, die „Nafris“ des letzten Jahres für ihr Verhalten leider
nicht.
Gesichtskontrolle
in Köln – ausnahmsweise zu Recht
Auf
einem Transparent am Silvesternachmittag stand der Slogan: „Take back the
night/Lasst uns die Nacht zurückerobern!“ Dass es gelungen ist, freut uns. Wenn
es ohne massive Polizeipräsenz gegangen wäre, hätte es uns noch mehr gefreut.
Als
Gegenstimme ein Nachtrag vom Februar: eine UN-Expertengruppe kam zu dem
Ergebnis, dass in Deutschland „racial profiling“ weit verbreitet ist und dass
es bei Polizei und Justiz „institutionellen Rassismus“ gäbe. Haben sie bei AI
abgeschrieben!
Die Kurznachrichten
-
In Bangalore/Indien kam es in der Silvesternacht zu einer Massenbelästigung von
Frauen. Der Innenminister der Provinz bezeichnete die Angriffe als „bedauerlich“
und gibt den Frauen eine Mitschuld. Sie benähmen sich „fast wie westliche
Leute“, kleideten sich auch so „und dann passieren solche Dinge“.
Silvesternacht
in Bangalore
- Man
hat Deutschland schon als „Bordell Europas“ bezeichnet, aber auch in der
Schweiz blüht in der Sexarbeit ein „Menschenhandel in Reinkultur“. Betroffen
sind davon Frauen aus Osteuropa und Thailand. Sie werden von ihren Zuhältern
verkauft, wenn sie nicht mehr genug einbringen. Wenn es zur Anzeige kommt, gibt
es dafür häufig nur Bewährungsstrafen: der Beschuldigte gesteht, zahlt etwas
Schmerzensgeld, und der Staatsanwalt gewährt Strafnachlass. Ein echter Deal –
v.a. für den Zuhälter!
-
In Québec/Kanada griff ein Attentäter eine Moschee an und tötete sechs Menschen
während des Abendgebetes. Seine Motive sind noch unklar. War es ein
islamophober Rechtsextremist oder war ihm die muslimische Gemeinde zu moderat?
-
In Kuwait wurde ein leibhaftiger Prinz exekutiert. Er hatte einen anderen
Prinzen erschossen, mit dem er eine Auseinandersetzung wegen „Motorsport- und
Geschäftsangelegenheiten“ gehabt hatte. Mit ihm wurden sechs weitere Menschen gehängt,
überwiegend Ausländer. Zwei von ihnen waren Hausmädchen, und das ist in
arabischen Staaten ein sehr gefährlicher Beruf.
- Der
AfD-Politiker Björn Hocke, Spezialist für Unsägliches, hat die
Holocaust-Gedenkstätte in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnet. Seine
nachfolgende „Entschuldigung“ auf Facebook war erwartbar: Er habe mit „Schande“
den „von Deutschen verübten Völkermord an den Juden“ gemeint. Warum er dann vorher
davon gesprochen hat, dass das Land eine „erinnerungspolitische Wende um 180
Grad“ brauche, bleibt schleierhaft. Aber immerhin kann man dem Ex-Geschichtslehrer
jetzt um die Ohren schlagen, dass es auch für ihn einen „Völkermord an den
Juden“ gegeben hat.
Titel des Fotos – Rast
Im
Februar beschloss der AfD-Bundesvorstand mit knapper Mehrheit, Höcke wegen
seiner Dresdner Rede aus der Partei auszuschließen. Schaung’ ma amol! Der
„Merkur“ hat in seiner Karikatur ein Wortspiel mit Höckes Namen veranstaltet.
- In
der Kaserne von Pfullendorf kam es zu widerwärtigen Initiationsriten und sexuellen
Übergriffen an Rekruten, „speziellen Operationen“ gewissermaßen, denn so heißt
das Ausbildungszentrum, wo diese Übergriffe stattfanden. Leicht befremdlich war
dazu der Kommentar in der „SZ“, wo der Autor vor einer „aseptischen Bundeswehr“
warnte:
„In
einer Armee … muss Raum für das Archaische sein, für Initiationsriten und
Rituale, die von außen betrachtet womöglich seltsam wirken.“
Aha,
da hat jemand selber „gedient“! Im Februar kamen dann Dinge auf, wo man nicht so
recht sagen kann, was skandalöser ist: die Verschleppung der Aufklärung oder
die Initiationsriten selber: Die ersten Vorfälle wurden schon 2014 gemeldet,
wurden aber wegen mangelnder Beweiskraft unter den Tisch gekehrt. Dann, im
Sommer 2016, wurde eine Rekrutin gemobbt, weil sie sich weigerte, an einer
Tanzstange zu tanzen, ähnlich wie weiland Salome vor König Herodes. Soviel
„Archaisches“ wurde auch der „SZ“ zuviel. Im Februar tat sie Buße und schrieb:
„Archaische
Rituale haben in der Bundeswehr nichts verloren.“
- In
Marokko verbot die Regierung den Verkauf und Vertrieb von
Ganzkörperschleiern/Burkas. Die (inoffizielle) Begründung sind
Sicherheitsbedenken. Die Burka sei in Großstädten für kriminelle Aktionen
missbraucht worden. Die Medien fragen sich bereits, ob das bereits die Vorstufe
zu einem generellen Verbot darstellt, die Burka (und den Niqab) im öffentlichen
Raum zu tragen. Ein Nutzer (wahrscheinlich männlich) schreibt auf Facebook:
„Ich
bin für das Verbot von Make-up. Man erkennt das wahre Gesicht der Frau nicht
mehr, noch weniger als unter der Burka oder dem Niqab.“
Da
sind wir entschieden anderer Meinung!
- Diebisch
gefreut haben uns die „Kuckuckseier“, die der scheidende US-Präsident seinem
Nachfolger noch ins Nest gelegt hat. Er hat durch die Begnadigung von Chelsea
Manning einen Justizskandal zumindest etwas entschärft. Manning hatte vor
sieben Jahren Informationen über amerikanische Kriegsverbrechen im Irak an
Wikileaks weitergegeben und war deshalb 2013 wegen Verstoß gegen
Spionagegesetze zu 35 Jahren Haft verurteilt worden. Und dann hat Obama dem
Sultanat Oman zehn Häftlinge aus Guantánamo überstellt. Damit sind von den 242
Gefangenen bei Obamas Amtsantritt noch 45 verblieben. Ob Trump allerdings diese
Eier auch ausbrütet, ist mehr als fraglich. Im Wahlkampf hatte er versprochen,
das Lager „mit einigen bösen Kerlen zu belegen“, z.B. Hillary Clinton und
Konsorten. Und bei Manning lässt sich vielleicht wegen seiner
Geschlechtsumwandlung etwas drehen.
- Ob
es noch der weihnachtliche Nachhall von „Ihr Kinderlein kommet“ oder ein Vorzeichen
des nahenden Wahlkampfes ist? Die SPD hat gefordert, ein Kindergrundrecht im
Grundgesetz aufzunehmen, so wie auch der Tierschutz Verfassungsrang hat. Damit
greift sie ein Thema auf, das, so die „SZ“
„schon
so lange auf der Tagesordnung steht, dass man sich darüber wundert, dass es
immer noch da steht“.
Eine
entsprechende Verfassungsänderung soll noch in dieser Wahlperiode beschlossen
werden. Auch hier gilt unser Jahresanfangsmotto „Schaung’ ma amol!“
Februar 2017
Wie
immer führt uns der Februar an die äußerste Grenze des AI-Mandats: Wie soll man
den Fasching in einen Bericht über Menschenrechte integrieren? Man könnte
natürlich einfach sagen, dass er (der Fasching) ein solches (Menschenrecht)
ist, zumindest im Rheinland, wo Rosenmontagsumzüge witterungsbedingt schon bis
in den Mai hinein verschoben wurden. Man könnte auch an Auswüchse beim
politisch korrekten Sprachgebrauch erinnern, der aus der „Russnmass“ ein
„limonadisiertes Weissbier“ und aus dem „Negerkuss“ eine „Schokoschaumspeise“
macht. Am „Neger“ hat auch eine Facebook Userin Anstoß genommen, die den Namen
„Negerball“ für eine Faschingsveranstaltung in Kirchberg/Lk Regen als „in
höchstem Maße rassistisch“ bezeichnet hatte. Die Kirchberger wussten
nicht so recht wie ihnen geschah, denn der Erlös des Balles fließt seit Jahren
in Entwicklungsprojekte für Afrika. Selbstkritisch fügen wir hinzu, dass die
AI-Broschüre „Rassismus in uns“ auch einige Passagen enthielt, die man
(wohlwollend) als „etwas überzogene Sensibilität“ bezeichnen könnte.
Und
man könnte natürlich den Fakenews-Produzenten Donald Trump zitieren, der beim
Thema Flüchtlingsströme auf einen Vorfall hingewiesen hat, der „gestern Abend
in Schweden passiert ist“. Die Schweden haben dann aufgezählt, was er gemeint
haben könnte: die Polizei hat einen alkoholisierten Autofahrer verfolgt, bei
der Generalprobe zu einem Musikfestival gab es technische Probleme, und in
Lappland wurde wegen einer Lawine die Straße gesperrt. Ab jetzt aber ist
Schluss mit lustig: Eine Erklärung für Trumps „Schwedentrunk“ war, dass er
„Schweden“ mit „Sehwan“ in Pakistan“ verwechselt hatte, wo zwei Tage zuvor bei
einem Selbstmordanschlag mindestens 88 Menschen starben.
Es
fällt schwer herauszufinden, mit welchem Land Innenminister de Maizière
vielleicht „Afghanistan“ verwechselt hat. Andorra wäre ein sicheres
Herkunftsland, klingt aber ganz anders. Absurdistan klingt ähnlich, ist aber
kein Land. Absurd aber ist die Annahme, dass Afghanistan sicher ist. Ist ein
Land sicher, wo es nach Angaben von Pro Asyl im letzten Jahr
- in
31 von 34 Provinzen zu Kampfhandlungen gekommen ist?
- sich
neben den Taliban jetzt auch der IS etabliert hat und mit einem blutigen
Anschlag auf ein Militärkrankenhaus im „sicheren“ Kabul erneut seinen Einstand
gefeiert hat? (Wenn jetzt die Gotteskrieger gegen die Gotteskrieger antreten,
möchte ich nicht in der Haut des lieben Gottes stecken!)
-
die Zahl ziviler Opfer 2016 nach einem UN-Bericht einen neuen Höchststand erreicht
hat?
-
ein Asylbewerber aus dem Abschub im Januar bei einem Selbstmordattentat im
„sicheren“ Kabul verletzt worden ist?
Nein,
so die „SZ“: „Sicher ist am
Hindukusch nur die Lebensgefahr.“
In
Deutschland fällt das Bauchweh wegen der Abschiebungen unterschiedlich aus. Die
Innenminister in Berlin, Stuttgart und München sind sozusagen schmerzfrei: Aus
beiden Bundesländern wird abgeschoben. Doch es gibt auch Gegenpositionen und
Gegenstimmen: Fünf Bundesländer, an der Spitze Schleswig-Holstein, haben einen
(mehr oder weniger langen) Abschiebestopp verfügt, Zehntausende haben die Petition
eines bayrischen Kinderarztes unterschrieben, Kardinal Marx hat einen generelle
Abschiebung von afghanischen Flüchtlingen als „außerordentlich fragwürdig“ bezeichnet,
eine Formulierung, die aus seinem Munde fast schon an Kritik grenzt, und selbst
die Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) meinte, dass das „noch mal überlegt
werden muss“. Wenn Sie das in Bayern durchsetzen, dann steh’n wir stramm, Frau
Stamm! Aber eher kommt es dazu, dass wir von der „Abschiedskultur“ zur
„Abschiebekultur“ übergehen: Allerdings mit „Kultur“ hat beides nichts zu tun.
Die
Helferkreise haben eine eindrucksvolle Pilgerfahrt nach München gemacht und die
Bavaria auf der Theresienwiese um Beistand gebeten. Weil wir auch dabei waren,
verschieben wir das in unseren Tätigkeitsbericht.
Und
diejenigen, die direkt betroffen sind, können wir in einem Satz abtun: „Die
Flüchtlinge haben Panik“.
Gutes
Angsttraining für die Rückkehr nach Afghanistan, werden einige sagen. Damit
aber sprengen wir böhmermännisch die Grenzen des guten Geschmacks und gehen über
zu
Den Kurznachrichten
- Israel hat gleich zweimal von sich reden
gemacht, und die Rede ist voller Misstöne. Das Parlament hat wilde Siedlungen
auf palästinensischem Privatland legalisiert und damit den Fleckerlteppich
vergrößert, der dazu führen würde, dass ein Staat Palästina wie ein Schweizer
Käse aussehen würde. Für die rechten Parteien im Land ist der Beschluss der
Knesset ein weiterer Schritt zur Einverleibung des gesamten Westjordanlandes,
der Oppositionsführer sprach von einem „kranken Gesetz“ und Menschenrechtsgruppen
haben einen Petition ans Oberste Gericht angekündigt. Die „SZ“ spöttelt:
„Im
israelischen Parlament herrscht derzeit Narrenfreiheit … Am Ende findet sich
vielleicht auch noch eine Mehrheit dafür, die Zehn Gebote zu modifizieren.“
-
Und dann gab es den „Schuldspruch“ gegen Elor Asaria. Er hatte einen Palästinenser,
der vorher einen Soldaten mit einem Messer angegriffen hatte, mit einem
Kopfschuss getötet. Von Notwehr konnte keine Rede sein, denn Asaria kam elf
Minuten nach dem Messerangriff am Tatort an, und der Täter lag bereits blutend
am Boden. „Heißblütiger Mord“ würde man sagen – und damit strafverschärfend.
Das Militärgericht sah es anders: Mit 18 Monaten Gefängnis blieb es noch weit unter
dem Strafmaß, das der Staatsanwalt gefordert hatte. Trotzdem ging einer der
Verteidiger in Revision. Das Urteil spaltete das Land, aber nicht zu gleichen
Teilen. Im Juli wurde die Berufung abgelehnt. Von einem Autokonvoi seiner
Unterstützer begleitet, trat er jetzt seine Gefängnisstrafe an.
-
Russland führte uns vor, wie man mit der Opposition umzugehen hat. Der
Putin-Kritiker Alexej Nawalny wurde wegen Unterschlagung zu fünf Jahren auf
Bewährung verurteilt. Er soll eine staatliche Firma beim Holzhandel um 250 000
€ geprellt haben. Unterschlagen aber wurde eher, dass er in Ungnade gefallen
war, weil er 2011 einer der Wortführer bei den Demos gegen Wahlfälschungen war,
einen Fonds zur Bekämpfung der Korruption eingerichtet hatte und Sprüche losließ,
mit denen die Kreml-Partei als „Partei der Diebe und Gauner“ bezeichnet wurde. Ein
für Putin erfreulicher Nebeneffekt des Urteils: Nawalny darf nicht für die Präsidentschaft
kandidieren.
-
Womöglich noch schlimmer erging es Wladimir Kara-Murza, Mitglied verschiedener
Oppositionsparteien und Freund des ermordeten Boris Nemtsow. Er wurde mit
schweren Vergiftungserscheinungen ins Krankenhaus gebracht und lag einige Tage
im Koma. Schon 2015 war er wegen plötzlichen Organversagens eingeliefert
worden. Damit reiht er sich ein in eine Gruppe von Kreml-Kritikern, die in der
Regierungszeit Putins Opfer rätselhafter Vergiftungen wurden. Es grüßen die
Borgias aus dem Rom der Renaissance.
-
Auch unser neuer Freund, der philippinische Präsident Duterte, hat sich einer
Gegnerin auf die elegante Art entledigt. Die Senatorin Leila de Lima verbrachte
die letzte Nacht in Freiheit in ihrem Büro und wurde am Morgen gewissermaßen an
ihrem Arbeitsplatz verhaftet. Man wirft ihr vor, gegen Drogengesetze verstoßen
und sich als Ministerin bereichert zu haben. In Wirklichkeit ist sie wohl „die
erste politische Gefangene Dutertes“. Wegen seines brutalen Antidrogen-Krieges
hatte sie ihn als „soziopathischen Serienmörder“ bezeichnet. Auch hatte sie
sich mit Todesschwadronen befasst, bei denen Duterte eigenhändig mitgemischt
hatte. Für de Lima beginnt eine gefährliche Lebenszeit.
- Abseits
der Ruinen syrischer Städte geht das Grauen im Verborgenen weiter. In Militärgefängnissen
wie Saydnaya sollen laut Amnesty zwischen 2011 und 2015 an die 13 000 Gefangene
bei Massenhinrichtungen getötet worden sein, bis zu 115 000 Menschen sind
spurlos verschwunden. Wenn man annehmen muss, dass Assad am Tropf von Russland
und dem Iran diesen Bürgerkrieg überleben wird, kann einem speiübel werden,
denn die Verantwortung für diese Verbrechen tragen der Präsident und seine
Vertrauten persönlich. Wenn der einmal zum Strafgerichtshof nach den Haag
verfrachtet wird, sollten die Glocken läuten.
(Relativ
harmlose) Alltagsszene in Saydnaya
- Als
Reaktion auf einen rechtslastigen Diskussionsabend in den Niederlanden brach in
den Netzwerken ein Shitstorm los, der mit einem „bayerischen Bierkeller der
1930er Jahre“ verglichen wurde. Auch wir können im Februar aus dem Freistaat
einige „Bierkellerszenen“ liefern.
Elena
Roon, Vorsitzende eines AfD-Verbandes in Nürnberg, hat „ohne böse Absicht“ in einer
internen Chat-Gruppe der Partei ein Hitlerbild verbreitet. Gerahmt wird das
Bild mit der Aufschrift: „Vermisst seit 1945 … Adolf, bitte melde dich!
Deutschland braucht dich! Das Deutsche Volk!“ Als das Chatty nach einem halben
Jahr bekannt wurde, hat sie sich (nach AfD-Art) vor lauter Dementis
überschlagen.
„Reichsbürger
radikalisieren sich“ titelte der „Merkur“ einen Bericht über den bayerischen
Ku-Kux-Klan, der über 1700 Mitglieder zählen soll. Die „Nigger“, die sie bekämpfen,
sind u.a. Juden und Gerichtsvollzieher. Da werden Mails geschrieben, in denen
Juden vorgeworfen wird, per Kondensstreifen am Himmel
psychisch belastende Mittel zu verbreiten. Wenn man die Reichsbürger sieht und
hört, glaubt man das sofort. Und ein Gerichtsvollzieher wurde von der
Reichspolizei/Gestapo verhaftet und musste von der Landespolizei wieder befreit
werden. Im Landkreis Miesbach sollen etwa 100 Personen zur Szene gehören. Wir würden
damit deutlich über dem Landesdurchschnitt liegen. Da einige von ihnen auch
Waffenbesitzer sind, möchten wir uns lieber nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.
„Jeder
Zweite hadert mit Demokratie“ war der Titel, unter dem der „Merkur“ über eine
Studie der Hanns-Seidel-Stiftung berichtete. Demnach stieg in Bayern die Zahl
der Leute, die mit der Demokratie unzufrieden sind, seit 2001 von 22 auf 48
Prozent – trotz wirtschaftlich guter Lage. Da kann man nur sagen. „Die Bayern
spinnen!“
Mehr
als 48 Prozent werden dem Plan der bayerischen Regierung zustimmen, Gefährder
unbefristet in Vorbeugehaft zu nehmen, auch wenn er/sie noch nichts getan hat.
Das würde ein Prinzip unseres Rechtsstaates, nämlich die Unschuldsvermutung,
auf den Kopf stellen. Jetzt kommt natürlich sofort das „Hätten wir doch vorher
…“, aber es müsste doch noch andere Möglichkeiten geben, um solche Vögel in
Schach zu halten. Im Gefängnis werden sie sicher nicht normalisiert. Und
außerdem: „Mia san nicht Guantánamo!“
Genug
der Bayernschelte!
-
Die oben erwähnte Studie hat auch herausgefunden, dass die meisten Migranten
sich „in Bayern da-hoam“ fühlen, gern im Freistaat leben und sich als gut
integriert bezeichnen. Mit 9,0 von 10 bekommt das „gute Auskommen mit Menschen“
eine Bestnote. Und was die bayerische Staatspartei am meisten wundern wird: Das
politische Interesse hält sich in Grenzen, aber wenn (eingebürgerte) Migranten doch
zur Wahl gehen, machen die meisten ihr Kreuz bei der CSU.
-
In Myanmar hat die Regierungschefin Aung San Suu Kyi endlich einmal so
reagiert, wie es sich für eine Ikone der Menschenrechtsbewegung geziemt. Sie
lässt Missbruchsvorwürfe gegen vier Polizisten untersuchen, die bei einer
Razzia Dorfbewohner geschlagen und getreten haben sollen. Sie gehörten der
Minderheit der Rohingya, die vom Militär und der Mehrheitsgesellschaft in einem
Maße schikaniert werden, dass man bereits von „ethnischer Säuberung spricht. In
einem Brief haben mehr als ein Dutzend Nobelpreisträger ihrer (Preisträger)
Kollegin Tatenlosigkeit vorgeworfen.
-
Aus Russland kommt auch einmal eine gute Nachricht: Das oberste Gericht hat das
international scharf kritisierte Urteil gegen Ildar Dadin aufgehoben. Er war
wegen „unangemeldeter Proteste“ (Anti-Putin Plakate) zunächst zu drei Jahren
Lagerhaft verurteilt worden. Er war auch Ziel einer Eilaktion von AI. Nach
seiner Freilassung legte er noch eins drauf: „Ich werde weiterhin gegen das
faschistische Regime von Putin kämpfen.“
-
Mit dem Faschismus sind wir doch noch bei Erdogan und Merkel gelandet. Man hat
der Kanzlerin des Öfteren vorgeworfen, den osmanischen Sultan mit
Samthandschuhen anzufassen, aber bei ihrem letzten Besuch hat sie ihm vor
laufenden Kameras einen „Grundkurs in Staatsbürgerkunde“ verabreicht. Und so
schaut er auch drein!
Wir
hingegen wollen uns mit einer Portion Weltfluchtlyrik von Ludwig Uhland vom
Februar verabschieden und in den März hineinschauen:
Frühlingsglaube
Die
Welt wird schöner mit jedem Tag;
man
weiß nicht, was noch werden mag,
das
Blühen will nicht enden.
Es
blüht das fernste, tiefste Tal:
Nun,
armes Herz, vergiss der Qual!
Nun
muss sich alles, alles wenden!
März 2017
„O
heiliger Sankt Florian, beschütz’ uns vor dem Erdogan“, mögen einige
Bürgermeister in Deutschland gebetet haben, als der Blechtrommler vom Bosporus
seine Ministerkohorten aussandte, um bei den Auslandstürken um ein „Ja“ zu
seinem Referendum zu werben.
Während
man in den Niederlanden einer türkischen Ministerin den Zugang zum
Generalkonsulat mit Polizeigewalt verwehrt hat, haben die Behörden bei uns zu
subtileren Mitteln gegriffen. In Gaggenau/Baden-Württemberg wurde ausgeladen,
weil die Zufahrten und Parkplätze nicht ausgereicht hätten, in Köln lag kein
ordentlicher Mietvertrag vor, und in Hamburg wurde die vorgesehene Halle aus
Brandschutzgründen gesperrt. Mit letzterem lag man gar nicht so falsch, denn
was der türkische Außenminister dann von der Terrasse des Generalkonsulats
losließ, konnte man durchaus als „Brandrede“ bezeichnen.
Die
Klage eines deutschen Bürgers gegen den Wahlkampfauftritt des türkischen
Ministerpräsidenten in
Oberhausen
führte dann zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Die Klage
wurde zwar als „unzulässig“ zurückgewiesen, weil „der deutsche Kläger durch
einen türkischen Redner nicht in seinen Grundrechten betroffen ist“, aber damit
hörte die Urteilsbegründung nicht auf. Vertreter ausländischer Regierungen
könnten sich nicht auf deutsche Grundrechte berufen, und es sei Sache der
Bundesregierung zu entscheiden, ob ein Auftritt in „amtlicher Funktion“ erwünscht
sei oder nicht.
Und
da gibt es doch eine Menge Gründe, warum solche Wahlkampfauftritte eher unerwünscht
sind. Da wird für eine Verfassungsänderung getrommelt, die die Grundrechte in
der Türkei noch weiter einschränkt, da werden Regierungskritiker und Nein-Sager
eingeschüchtert oder weggesperrt, da werden die Türken in Deutschland polarisiert
– und da wird gegen das türkische Wahlgesetz verstoßen, denn, so Artikel 94/A,
„im Ausland … kann kein Wahlkampf betrieben werden“.
Erdogan
hat auf die unfeine Art auf die Auftrittsverbote reagiert. Den Deutschen warf
er „Nazi-Praktiken“ vor, den Niederländern einen „verkommenen Charakter“. Und
die Europäer hat er wie folgt gewarnt:
„Wenn
ihr euch weiterhin so benehmt, wird morgen kein einziger Europäer, kein
einziger Westler auch nur irgendwo auf der Welt sicher und beruhigt einen
Schritt auf die Straße setzen können.“
Da
hat er vielleicht ein Buch über den Geheimbund der Assassinen gelesen, die im
Mittelalter neben sunnitischen Muslimen auch prominente Kreuzfahrer ermordeten
– und danach Haschisch konsumierten.
Diese
Zeilen wurden zwei Tage vor dem Referendum geschrieben, und die (westlichen)
Medien wiederholen unermüdlich, dass der Ausgang offen ist. Ich glaube, es wird
ein Heimspiel für Erdogan, würde mich aber freuen, wenn ich mich täuschen
sollte. Der türkische Blogger, der in der „SZ“ die „Türkische Chronik“
schreibt, zitiert einen Spruch, der in letzter Zeit oft in den sozialen
Netzwerken geteilt wurde:
„Du
wirst in dem Referendum gefragt, ob du ein Idiot bist oder nicht. Und du wirst
diese Frage mit ja oder nein beantworten.“
Im
April zeigte sich dann, dass ich mich mit dem „Heimspiel“ getäuscht hatte. Erdogan
kam nur auf 51,37% - aber er gewann, nicht zuletzt mit den Stimmen der Türken,
die in Deutschland (und anderen europäischen Ländern) leben. Die Schlagzeile
der „Bild“ – „Deutsche Türken verhelfen Erdogan zum Wahlsieg“ ist trotzdem eher
postfaktisch einzuordnen: Es gab zwar etwa 416 000 Ja-Stimmen (63,07%), aber um
Zünglein an der Waage zu sein, fehlte doch noch eine ganze Million. Die
Wahlbeteiligung in Deutschland lag bei 48,73%, was bedeutet, dass letzten Endes
nur (?) 29% für die Machterweiterung Erdogans gestimmt haben.
Dem
Kommentar im „Merkur“ ist dennoch nichts hinzuzufügen:
„…
hat das Referendum noch ein deutsches Problem offenbart: das alarmierende
Verhalten der Deutsch-Türken, die bequem in einer Demokratie leben, aber der
Heimat eine Diktatur einbrocken. … Doch zugleich müssen sich auch die Deutschen
fragen, ob in Sachen Integration, Bildung und demokratischer Teilhabe nicht zu
viele Fehler gemacht wurden.“
Der
Blogger der „Türkischen Chronik“ sollte sich besser nicht erwischen lassen,
sonst geht es ihm wie dem Journalisten Deniz Yücel, der seit zwei Monaten in
Untersuchungshaft sitzt und dem man „Propaganda für eine terroristische
Vereinigung“ vorwirft. Da ihn Erdogan auch als „deutschen Agenten“ bezeichnet
hat, stellt sich natürlich die Frage, ob mit den Terroristen nicht die
Bundesregierung gemeint ist.
Im
„Merkur“ gab es zu Yücel einige Leserbriefe, die andeuteten, dass sie es gar
nicht so „furchtbar“ fänden, dass man ihn endlich hinter Schloss und Riegel gesetzt
hat. Yücel hatte 2011 in der „taz“ den Artikel „Super, Deutschland schafft sich
ab“ geschrieben, der, wenn die Zitate stimmen, vom Niveau her an das
Erdogan-Gedicht von Böhmermann erinnert. Trotzdem stehen wir voll hinter dem
Appell von Bundespräsident Steinmeier an die Adresse Erdogans: „Und geben Sie
Yücel frei!“
Erdogan
ist sicher nicht der Typ, der im Alter noch ein Poesiealbum führt, aber der
Satz von Wilhelm Raabe würde gut in ein solches passen:
„Wer
milde ist,
nicht
leicht zürnt und,
zürnt
er leicht,
sich
dessen im nächsten Augenblick schämt,
dem
sind die Götter auch milde.“
Kaum
geschämt hat sich ein Politiker, der für Schlagzeilen in der Flüchtlingspolitik
sorgte. Orban in Ungarn hat die Einwanderung als „trojanisches Pferd des
Terrorismus“ bezeichnet – und großzügig übersehen, dass der Großteil der
Flüchtlinge nicht den Terror transportiert, sondern vor ihm davonläuft. Und
dabei verwendet er mit seiner Warnung vor „ethnischer Vermischung“ ein
Vokabular, das in deutschen Ohren, wenn auch nicht in denen von Frauke
Petry/AfD, verdächtig nach Vergangenheit klingt. Aber angesichts der derzeitigen
Gastfreundlichkeit der ungarischen Rechten ist eine großflächige Vermischung
von christlichen Pustakriegern und syrischen Muslimas nicht zu befürchten.
In
Orbans „Transitzonen“ hat der europäische Gerichtshof für Menschenrechte herumgestochert.
Er hat die Verlegung von acht Jugendlichen und einer schwangeren Frau gestoppt
und (reichlich unbedarft) die Frage gestellt, ob in den Tansitzonen „besonderen
Bedürfnissen Asylsuchender Rechnung getragen werde und ob das dafür notwendige
Fachpersonal vorhanden sei“. Der Fraktionschef von Orbans Partei hat daraufhin
angeregt, über einen Austritt aus der Europäischen Menschenrechtscharta
nachzudenken, und alle Welt hat sich gewundert, dass die Ungarn überhaupt noch
Mitglied sind.
Zugenommen
hat die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen (überwiegend evangelische)
Geistliche wegen Kirchenasyl in – dreimal dürfen Sie raten – Bayern. Angeblich
sind wir derzeit das einzige Bundesland, wo solche Ermittlungen wegen „Beihilfe
zum unerlaubten Aufenthalt“ angestellt werden. Bekannt wurde der Fall einer
Pfarrerin in Hassfurt/Unterfranken, die vier afghanischen Flüchtlingen
Kirchenasyl gewährt hatte. Ihre Gemeinde reagierte mit einer Solidaritätsdemo,
die Bischöfe (beider Konfessionen) waren wegen der Ermittlungen „verstimmt“ bis
„ungehalten“ und verteidigten das Kirchenasyl als „humanitäre Notlösung“. Die
meisten Verfahren werden zwar wegen „Geringfügigkeit“ eingestellt, aber ihr
Charakter als Warnschuss vor den Bug der Kirchen ist nicht zu übersehen. Wir
schließen uns dem Appell des Bayerischen Flüchtlingsrates an Justizminister
Bausback an und fordern ihn auf, „seine Wachhunde zurückzupfeifen“.
Pfarrerin
Doris Otminghaus und Flüchtling Hasib
Die Kurznachrichten
-
In russischen Städten ging die „Generation Putin“ zu Tausenden auf die Straße –
gegen Putin, Medwedew und Korruption – und für einen Anteil am Kuchen, der in
den 90-er Jahren v. a. an die Oligarchen und „bisnismen“ verteilt worden war.
Es waren viele junge Leute darunter, die noch nicht erlebt hatten, wie Putin
mit den Demonstranten des Winters 2011/12 umgesprungen ist. Jetzt haben sie es
erlebt.
Viele
Demonstranten hatten gelbe Entchen dabei wie sie die Miesbacher vom alljährlichen
Entenrennen am Sommerfest der evangelischen Gemeinde kennen. Aber in Russland waren
die Tierchen Symbol für die Raffgier von Regierungschef Medwedew. Dieser hatte
sich bei seiner Luxusdatscha ein aufwendiges Entenhäuschen bauen lassen.
-
Rechtzeitig zum Frauentag sprach der Europäische Gerichtshof ein seltsames
(wenn auch vorläufiges) Urteil zum Tragen von Kopftüchern am Arbeitsplatz bei
privaten Unternehmen. Danach „können Arbeitgeber das Tragen eines Kopftuchs untersagen,
wenn weltanschauliche Zeichen generell in der Firma verboten sind und wenn es
gute Gründe gibt. Wünsche von Kunden reichen dagegen nicht aus.“ Waren aber im
Falle einer französischen Software-Designerin mit ein
Grund für die Klage vor dem Gericht! Das Urteil könnte unliebsame Folgen haben:
Die Firmenchefin müsste demnach ihre schicke Halskette mit dem Goldkreuz ablegen,
deutsche Firmen werden sich fragen, ob man die prinzipielle Erlaubnis, am
Arbeitsplatz Kopftuch zu tragen, nicht noch weiter einschränken könnte, und das
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, das 2015 das Tragen von Kopftüchern an
deutschen Schulen (auch für eine Lehrerin) erlaubt hat, wird stärker unter
Druck geraten, seine „Toleranzkultur“ aufzugeben.
Zum
Trost für die vor Gericht unterlegene Software-Designerin eine Karikatur:
-
In Österreich kam es zu einem Schlagabtausch zwischen der (grenzsatirischen)
Schriftstellerin Stefanie Sargnagel und der „Neuen Kronen Zeitung“, die in der
Produktion von Geschmacklosigkeiten die „Bild“ bei weitem übertrifft. Die
Details dieser Kontroverse möchten wir Ihnen ersparen und stattdessen auf eine
Studie des britische „Guardian“ hinweisen. Die Studie hat belegt, dass „acht
seiner zehn in den Online-Kommentaren am meisten gestalkten und beleidigten
Autoren Frauen – und die anderen beiden schwarz sind“.
- In
China häufen sich Berichte, dass inhaftierte Anwälte gefoltert werden. Das hat
elf Länder, darunter Deutschland, veranlasst, einen Brief an die chinesische
Regierung zu schreiben mit der Aufforderung, diesen Vorwürfen nachzugehen.
Ursprünglich war ein gemeinsamer Brief aller 28 EU-Länder geplant, was jedoch
am Veto Ungarns scheiterte. Vermutlich wird sich der Orban den Rücken
freihalten wollen, damit er in seinen Transitzonen Flüchtlinge foltern kann.
-
Marie Collins, Symbolfigur für den Kampf gegen Kindesmissbrauch und selber das
Opfer eines Priesters, ist aus der päpstlichen Kommission für den Schutz der
Kinder ausgetreten, weil sie darüber „frustriert“ ist, dass Mitglieder der Kurie
„sich weigern, die Empfehlungen der Kommission umzusetzen oder mit ihr zusammenzuarbeiten“.
Frau Collins hat die Glaubenskongregation im Visier, aber wer den ausgeprägten
Reformeifer dieser Institution kennt, wird ihr das nicht abnehmen. (Vorsicht:
Ironie!)
-
Mitglieder des Asyl-Helferkreises in Irschenberg haben einen Brief an einige
Unionspolitiker geschrieben, in deren Ländern afghanische Flüchtlinge mit
gesteigerter Unruhe auf ihren Koffern (und Plastiktüten) sitzen.
CSU-Generalsekretär Scheuer hat ihnen über das Servicebüro der Partei eine
Antwort zukommen lassen. Deren Inhalt können wir uns sparen: Herr Scheuer würde
zwar derzeit in Afghanistan mit seinen Kindern keine Sommerferien verbringen
(Fake!), aber „Rückführungen nach Afghanistan werden weiterhin vollzogen“
(Fakt). Aber ein echter Gruselschocker war das Bild, das sein Büroscherge
angefügt hat.
Das
mit dem „Freunde werden in der Heimat Bayern“ hat vielleicht nicht ganz funktioniert,
aber ein wenig mehr „Wanderlust“ könnte den Flüchtlingen nicht schaden, oder? Übrigens
- die beiden Flüchtlinge, die Anlass des Briefes waren, haben im Mai einen
Flüchtlingsstatus erhalten. Ällabätsch!
Das
passt doch gut als Überleitung zu der alten Erich-Kästner-Frage: „Herr Weigl,
wo bleibt das Positive?“ Kommt schon!
-
Ein vierjähriges Flüchtlingsmädchen von der Elfenbeinküste hat in Italien
ihre Mutter wieder bekommen. De Frau war geflohen, um ihre Tochter die „Beschneidung“
zu ersparen, hatte sie in Tunesien in die Obhut einer Freundin gegeben und
war in ihre Heimat zurückgekehrt, um Geld zu besorgen. Die Freundin ging mit
dem Mädchen auf ein Schlauchboot und wurde von der italienischen Küstenwache
gerettet, die Mutter, wieder in Tunesien, wartete dort auf einen Pass, um
nach Italien einreisen zu können. Als der Pass endlich kam, billigte Italien
binnen 24 (!) Stunden die Zusammenführung.
Oumoh mit
Mutter
Am
Flughafen sind viele Tränen geflossen. Ich glaube, wir wären auch nicht „trocken“
geblieben.
-
Bleiben wir bei den Kindern. In Kolumbien wurden nach dem Friedensschluss
Farc-Rebellen in so genannte Befriedungszonen umgesiedelt. Dort scheint „die
Liebe den Hass ersetzt“ zu haben, denn 114 ehemalige Farc-Guerilleras sind
schwanger.
Babyboom
bei der Guerilla
Bei
aller Freude über den Babyboom sollte man nicht verschweigen, dass in manchen
Regionen ein Machtvakuum entstanden ist, dass es dort zu „gezielten Tötungen“
(durch wen auch immer) kommt und dass im Jahre 2016 an die 127 Bürgerrechtler ihr
Leben verloren haben.
-
In Deutschland sollen jetzt die Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden.
Damit wären die Kinder (endlich) den Tieren rechtlich gleichgestellt. Kritiker
dieses Vorhabens sprechen von Symbolpolitik und „Gesetzeslyrik“, aber das Kinderhilfswerk
hat konkrete Fälle zusammengetragen, um aufzuzeigen, wie sich eine solche Verankerung
im Alltag auswirken würde. Da könnte beispielsweise die 11-jährige Shejla
verlangen, dass sie angehört und miteinbezogen werden muss, wenn die
Stadtverwaltung ihren Lieblingsspielplatz umbauen (oder „umwidmen“) möchte.
In
den Frühling entlassen möchte ich Sie mit einem Kalenderspruch von Joseph
Wittig, der Sie daran erinnern soll, dass ein AI-Jahresbericht nur einen Teil
der Wirklichkeit wiedergibt.
„Die
Erde ist es wert, der Anfang des Himmels zu sein.“
April 2017
„Vögel
singen in einer Welt,
die
krank, lieblos, ungerecht ist.
Vielleicht
haben sie Recht.“
Wie
Sie sich denken können, war das wiederum als Frühlingsgruß gedacht, aber das
mit dem „Recht haben“ kann man anzweifeln, wenn man sieht, in welcher Welt die
Vögel im April gesungen haben.
Mit
Zwitschern in Molltönen werden sie die Veröffentlichung der Kriminalstatistik
2016 begleitet haben. Es stiegen die Gewaltkriminalität um 6,7%, und der Anteil
von tatverdächtigen Zuwanderern gar um 52,7%, wobei ausländerrechtliche
Verstöße nicht eingerechnet wurden. Es gibt dazu zwar wenig zu beschönigen,
aber wir wollen es (bei aller Betroffenheit) trotzdem versuchen, schon weil es
an den „Stammtischen“ nicht versucht wird: Viele ausländische Tatverdächtige
sind junge Männer, bei denen auch bei deutschen Altersgenossen eine höhere
kriminelle Energie festzustellen ist, Gewalt in den Asylunterkünften ist mit
durch die Wohnverhältnisse bedingt, und eine höhere Zahl von Zuwanderern wirkt
sich auch auf die Kriminalstatistik aus. Im Landkreis Miesbach gab es fast 19%
mehr Straftaten; davon gingen 8,5% auf das Konto von Migranten. Ob der
Vorschlag des Polizeipräsidenten, eine „kommunale Sicherheitswacht“
einzuführen, der Königsweg zur Prävention ist, wagen wir zu bezweifeln. Da
stimmen wir dem bündigen Kommentar des „Merkur“ zu: „Sicherheit ist kein Job
fürs Ehrenamt.“ Obwohl einen Kandidaten für die Bürgerwehr hätten wir schon:
einen jungen Holzkirchner, der im Vollrausch in der BOB eine Schülergruppe aus
Kapstadt/Südafrika angepöbelt und angegriffen hat – wenn er wieder einmal nüchtern
ist.
Und
weil wir schon in Holzkirchen sind: Beim Frühlingsfest im Mai zog die Polizei
eine „ernüchternde Gesamtbilanz“, wobei das Wort „ernüchternd“ nicht ganz frei
von Ironie ist. Die Zahl der Körperverletzungen stieg von vier (im Vorjahr) auf
elf, die Zahl der Hausverbote von neun auf zwanzig. Jetzt schauen wir mal, ob
da die Volksfeste in Hausham, Gmund und Miesbach noch „mithalten“ können.
Bei
einem anderen Kommentar des „Merkur“ erheben wir Einspruch. Unser besonderer
Freund, Chefredakteur Anastasiadis, hat eine Glosse unter dem Titel
„Deutschland brutal“ verfasst und im ersten Absatz „eine Reihe von
spektakulären Gewalttaten“ der letzten Zeit erwähnt. Und sieh da: Alle Täter
hatten einen Migrationshintergrund. So ein (günstiger) Zufall!
Bayerns
Bürger reagieren adäquat. Sie rüsten auf – Gott sei Dank, nicht alle! Die Zahl
der Waffenbesitzer steigt wieder an, denn im Osternest lag für Papa ein kleiner
Waffenschein. Dieser Entwicklung kann man natürlich auch ein Positivum
abgewinnen: Es ist besser, die deutschen Kleinwaffenexporte gehen nach Bayern
als nach Mexiko.
Und
unter Tränen gelacht haben wir über zwei Zeitungsüberschriften: Im „Merkur“
hieß es „Jeder achte Miesbacher bewaffnet“, und die „SZ“ titelte „Als Miesbach
wie Chicago war“. Was war geschehen? Das Landratsamt hatte zunächst von 12 518
Waffenbesitzern im Landkreis gesprochen, später aber die Zahl stark nach untern
korrigiert: Es gibt 2523 Waffenbesitzer, die insgesamt 12 518 Waffen besitzen.
Man kann sich jetzt aussuchen, ob man mehr Angst vor der ersten oder vor der
zweiten Zahl hat. Eine (notorische) Leserbriefschreiberin hat Angst – in „der
verkehrten Welt von Miesbach“. Der „Zuzug von etlichen neuen Mitbürgern“ habe
dazu geführt, dass „Miesbach kein Ort mehr ist, an dem man sich sicher fühlt“.
Wir fühlen uns eher vor ihr nicht mehr sicher, ganz gleich, ob sie bewaffnet
ist oder nicht.
Auch
beim Flüchtlingsthema geht es eher „kalt und lieblos“ zu. Es war kein
Aprilscherz, als nach einer Landtagsanfrage der Grünen die Zahl der
Suizidversuche von Flüchtlingen in Bayern bekannt wurde. Mit 162 Fällen, vier
davon tödlich, hat sich die Zahl gegenüber den Vorjahren mehr als verdreifacht.
Einen Zusammenhang mit der (Abschiebungs)Politik der Staatsregierung wies das
Sozialministerium als „haltlosen und ehrverletzenden Vorwurf“ zurück.
Einen
solchen Vorwurf erhoben die privaten Hilfsorganisationen gegen die europäische
Grenz- und Küstenwache Frontex. Die wirft ihnen vor, mit den Schleusern
zusammenzuarbeiten und durch ihre Tätigkeit (erst) den Anreiz zur Flucht zu
schaffen, kurz ein Pull-Faktor zu sein. Ein Staatsanwalt in Sizilien deutete gar
an, dass sie ihre Kosten zum Teil durch Geld aus dem Schleusergeschäft decken
könnten. Um den Push-Faktor, d.h. den Drang der Flüchtlinge, einen schlimmen
Ort (Libyen) zu verlassen, final auszuschalten, haben einige Rechtspopulisten
ein einfaches Rezept: absaufen lassen. Dazu zwitschern unsere Vögel freilich
nicht, da kreischen höchstens die Möwen. Derzeit werden von den NGOs über ein
Drittel der Rettungsaktionen durchgeführt. Frontex sollte froh darüber sein,
dass nicht noch mehr Trümmer (und Leichen) im Wasser treiben.
Flüchtlingszahlen
sinken
Von
schlimmen Orten hat auch Papst Franziskus gesprochen, aber, wie das seine Art
ist, hat er das Aufnahmezentrum auf der Insel Lesbos gleich mit einem KZ verglichen.
Die Unterkünfte in Deutschland hat er, auf Nachfrage eines deutschen
Journalisten hin, ausdrücklich ausgenommen. Trotzdem wurde auch in deutschen
Medien sein „fahrlässiger Sprachgebrauch“ kritisiert. Die Zustände auf Lesbos
regen uns weniger auf.
Die Kurznachrichten
- Präsident
Trump hatte ein Damaskus-Erlebnis der anderen Art: Als Reaktion auf einen
Giftgasangriff auf die Stadt Chan Scheichun/Syrien, schickte er 59
Marschflugkörper gegen den syrischen Flughafen, von dem aus die Gasbomber
(mutmaßlich) gestartet waren. Die Russen, die ebenfalls auf diesem Gelände
stationiert sind, wurden vorher gewarnt. Vielleicht fiel deshalb Putins
Reaktion relativ floskelhaft aus. Mit dem „Verstoß gegen das Völkerrecht“ hat
er sogar Recht; nur verschweigt er, dass der UN-Sicherheitsrat blockiert ist,
weil Russland Beschlüsse gegen das syrische Regime durch sein Veto verhindert.
Wir verzichten (wohlweislich) auf die Diskussion, wer jetzt eine „rote Linie“ überschritten
hat und begnügen uns mit einer Karikatur, die auch etwas die Rolle der EU in
diesem Konflikt widerspiegelt. Wir schauen ihn uns lieber im Fernsehen an.
- In
Ägypten sind am Palmsonntag zwei Anschläge in und vor koptischen Kirchen verübt
worden, die 40 Personen das Leben kosteten. Wie im Irak und in Syrien sind christliche
Kirchen bedroht, die es hier schon gab, bevor der Islam entstand. Der
Botschaft, die der Islamismus aussendet, „Wer bleibt, muss sterben“, sollten
nicht nur die europäischen Christen, sondern auch die europäischen Muslime
entgegentreten, denn, so die „SZ“
„Es
ist schließlich ihre Religion, die hergenommen wird, um Menschen im Namen
Gottes umzubringen“.
Wir
sollten aber auch, angesichts der wachsenden Islamfeindschaft in Europa,
bedenken, „dass die Religionsfreiheit unteilbar ist“.
Im
Mai gab es erneut ein Blutbad an koptischen Christen. Sie starben in einem
Ausflugsbus, der sie ins Kloster des Hl. Samuel bringen sollte. Der
Klosterheilige erlebte 641 die arabische Invasion Ägyptens, die Täter des
Jahres 2017 könnten ägyptische Arbeitsmigranten sein, die radikalisiert aus den
Golfstaaten zurückkehren.
Ende eines
Ausflugs
- An
der Uni in Mardan/ Pakistan haben Studenten einen Kommilitonen verprügelt, erschossen
und aus dem Fenster geworfen, angeblich weil er Gott gelästert habe. Dann wurde
bekannt, dass er kurz vor seinem Tode der Universitätsleitung Missmanagement
und andere Verfehlungen vorgeworfen hatte. Deshalb wurde der Verdacht geäußert,
dass die Hintermänner in der Verwaltung zu suchen seien, denn wer in Pakistan
einen Gegner aus dem Weg räumen will, braucht oft nur den Vorwurf der Gotteslästerung
zu fabrizieren.
-
Unter dem Hashtag „Der Sturz der Äthioperin“ kursierte auf Twitter ein Video
von der Verzweiflungstat eines äthiopischen Dienstmädchens in Kuwait. Ihre
„Herrin“ habe sie umbringen wollen, sie sei aus dem Fenster geklettert und habe
sich an der Balkonbrüstung festgekrallt – im siebten Stockwerk. Anstatt ihr zu
helfen, hat sie die Chefin gefilmt, wie sie abgestürzt ist. Reality TV pur! Das
Mädchen hat wie durch ein Wunder überlebt. Eine einheimische Journalistin
kommentierte den Fall:
„Wenn
das keine Debatte über unseren Umgang mit Dienstpersonal auslöst, dann weiß ich
nicht was sonst.“
Die
Chefin soll jetzt vor Gericht stehen, ein Zeichen dafür, dass der Druck durch
die sozialen Netzwerke inzwischen so stark ist, dass solche Vorfälle nicht mehr
so still unter den Teppich gekehrt werden können.
Es
wird Zeit, die dunklen Randzonen der islamischen Welt zu verlassen und sich der
Welt der Christen zuzuwenden, wo die Vögel auch nichts zu zwitschern haben.
- In
Arkansas/USA war ein Exekutions-Marathon angesagt, weil für eine Substanz des
Giftcocktails im April das Haltbarkeitsdatum ablief. Das war nicht weiter
verwunderlich, denn Arkansas hatte schon seit mehr als elf Jahren die Todesstrafe
nicht mehr vollstreckt. Da scheint man sich dann gesagt zu haben, wenn man das
Mittel schon einmal angeschafft hat, …! Und so wurden „nach einem verkürzten
Zeitplan“ innerhalb von acht Tagen vier Hinrichtungen vollzogen. Bei der
letzten Hinrichtung scheint allerdings auch das Verbrauchsdatum des Giftes
überschritten worden zu sein, denn Journalisten bezeugten, dass der Delinquent
„gelitten“ habe. Eine Bundesrichterin ordnete eine Autopsie an, der Gouverneur
lobte den „funktionierenden Rechtsstaat“ – wegen der Hinrichtungen, nicht wegen
des Eingriffs der Richterin.
- Den
„funktionierende Rechtsstaat“ erlebte einmal mehr der Deutsche Jens Söring, der
seit 31 Jahren in Virginia/USA einsitzt. Bei einer Untersuchung des Blutes am
Tatort stellte sich heraus, dass es von zwei Männern und nicht von Söring
stammte. Dennoch lehnte die Bewährungskommission eine Entlassung auf Bewährung
ab. In den Fall hat sich auch der (republikanische!) Sheriff Chip Harding
eingearbeitet. Er kam zu einem vernichtenden Urteil über die Beweiserhebung:
„Fast
jedes Beweisstück, das damals von der Staatsanwaltschaft angeführt wurde, war
fehlerhaft, unseriös oder wissenschaftlich widersprüchlich.“
- Der
AI-Bericht für das Jahr 2016 tendiert bei der Todesstrafe nicht zur „Entwarnung“.
Es wurden zwar ein Drittel weniger Todesurteile vollstreckt, aber deutlich mehr
Todesurteile ausgesprochen. Schlechte Aussichten für 2017!
-
Wie Sie gemerkt haben, sind wir bei Nachrichten angekommen, die in den Augen
von AI positiv angehaucht sind. Außenminister Gabriel ist bei seinem Besuch in
Israel auch mit Bürgerrechtsorganisationen zusammengetroffen, unter ihnen die
Organisation „Breaking the Silence“, die Zeugenaussagen von kritischen Soldaten
über Regelverstöße von Armeeangehörigen in Gaza oder den besetzten Gebieten
sammelt. Premierminister Netanjahu hat ihn deswegen ausgeladen, aber
Staatspräsident Rivlin hat ihm die Hand gedrückt. Die „Welt“ hat sich für
Netanjahu entschieden: „Gabriel hat Israel ins Gesicht gespuckt.“ Nein, hat er
nicht – weder im wörtlichen noch im übertragenen Sinn!
- Präsident
Trump hat sich da einen Monat später schon „diplomatischer“ verhalten. In
Saudi-Arabien hat er das Thema „Menschenrechte“ ausgeklammert (weiß Gott, ob er
weiß, was das genau ist!) und in Israel hat er zwar von einem „ultimativen
Deal“ für einen Friedensschluss zwischen Israel und Palästina gesprochen, aber
so wenig dazu gesagt, dass man glauben könnte, er habe mit „Deal“ doch wieder den
Waffenhandel gemeint. Wir warten deshalb noch eine Weile, bis wir unsere
Meinung zu Trump revidieren und halten es vorerst noch mit den AI-Mitgliedern
von London, die sich auf dem folgenden Bild so schön verkleidet haben.
-
An Fahrt gewinnt eine Protestbewegung von Frauen in der arabischen Welt. Es
geht um die Abschaffung von Gesetzen, die einem (männlichen) Vergewaltiger
Straffreiheit versprechen, wenn er im Nachhinein sein (weibliches) Opfer
heiratet. Ägypten und Marokko haben den betreffenden Artikel bereits
abgeschafft, in Jordanien hat sich das Kabinett (und im August auch das
Parlament) für eine Abschaffung ausgesprochen, und im Libanon hat eine NGO an
der Strandpromenade von Beirut eine denkwürdige Installation geschaffen.
Brautkleider
ohne Braut
-
Im ostfriesischen Emden hat ein Busfahrer einer (schwangeren) Niqab-Trägerin
die Mitnahme verweigert. Mir wäre auch lieber, sie würde den Niqab zu den
Brautkleidern in Beirut dazuhängen, aber zu Fuß gehen sollte sie nicht müssen.
So wenig wie sie durch die Augenschlitze sieht, könnte sie leicht ins Stolpen
geraten.
-
Schließen möchten wir mit zwei Meldungen, die die Vögel nicht gerade fröhlich aber
doch gelassen zwitschern lassen, so wie Vögel halt auf menschliche Dummheit reagieren.
Der leidige Kopftuchstreit hat zu einer Retourkutsche geführt, die (mindestens)
genau so dämlich ist, wie das Kopftuchverbot an der Schule: Jetzt wurde einer
evangelischen Lehrerin in Berlin untersagt, ein Kreuz an ihrer Halskette zu
tragen.
-
Und in Limburg wurde das Kinderlied „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ wieder
in das Glockenspiel am Rathausturm aufgenommen, aus dem man es auf Betreiben
einer Veganerin vorübergehend entfernt hatte.
Fazit
April: Ob die Vögel Recht haben, weiß ich nicht, aber ich liebe es, wenn sie singen.
Mai 2017
Im
2. Buch Samuel heißt es: „Den Menschen aber möchte ich nicht in die Hände fallen.“
Und wenn man sich manche Regierungen, Gruppen, ihre Anführer und deren „ausführende
Organe“ (Terroristen) so ansieht, dann möchte man ihnen tatsächlich nicht „in
die Hände fallen“. Damit bin ich bei der Bundeswehr angekommen, auf die, das
sei vorausgestellt, man wegen der „Menschen“, die Samuel meint, (immer noch) nicht
verzichten kann. Das hindert mich allerdings nicht, die diesbezüglichen
Ereignisse im Mai als eine Art Retourkutsche zu fahren, weil ich dieser
Institution die (bisher) schlimmsten Jahre meines langen Lebens verdanke. Ich
werde mich natürlich nicht auf alle Verästelungen des Problems einlassen,
sondern mich auf einige Aussagen und Vorkommnisse beschränken, die mir nicht
nur als Ex-Wehrpflichtiger, sondern auch als AI’ler aufgefallen sind, um nicht
zu sagen aufgestunken haben.
-
Da wurde der Oberleutnant Franco A. festgenommen, der zusätzlich zu seinem
Gehalt auch Sozialhlfe als syrischer Asylbewerber einkassierte. In seinem
Taschenkalender scheint man eine Todesliste mit Anschlagplänen auf Politiker
gefunden zu haben, deren Ausführung er dann in seiner Eigenschaft als
Asylbewerber vorgenommen hätte, um Flüchtlinge in Misskredit zu bringen. Wie er
den monatelangen Pendelverkehr zwischen seinem Standort Illkirch und seiner
Asylunterkunft in Erding bewerkstelligt hat, bleibt ein Rätsel – zumindest für
die Öffentlichkeit, weniger wohl für einige seiner „Kameraden“ in Illkirch.
Dazu passt, dass Fahnder in dieser Kaserne ein Sturmgewehr mit eingeritztem
Hakenkreuz gefunden haben. Rätselhaft bleibt auch, warum die Masterarbeit, die
Franco A. 2013 abgeliefert hatte, keine Konsequenzen hatte. Der Text wurde
schon damals als „radikalnationalistischer, rassistischer Appell“ mit Merkmalen
einer Verschwörungstheorie“ gewertet, aber entweder nicht ganz ernst genommen
oder als Beweis für die „Meinungsvielfalt in der Truppe“ akzeptiert.
- Ausgehend
von Illkirch, wo man nicht nur eine rechte Zelle, sondern auch einen Besprechungsraum
mit Devotionalien aus dem 2. Weltkrieg „ausgehoben“ hat, ist man auch in
anderen Kasernen fündig geworden. Das hat die Verteidigungsministerin veranlasst,
darauf hinzuweisen, dass „die Wehrmacht, mit Ausnahme einiger herausragender
Einzeltaten im Widerstand, in keiner Form traditionsstiftend für die Bundeswehr
sein könne“. Das Spektrum der Kommentare darauf reichte von dümmlich über
problematisch zu bedenkenswert. Eine Abgeordnete der CDU rief auf Twitter auf,
(jetzt erst recht) Wehrmachtsfotos zu posten, eine Leserbriefschreiberin
kritisierte, dass durch die Beschränkung auf die „Einzeltaten“ der deutschen
Widerständler die „tapfer kämpfenden Soldaten“ zu kurz kämen, und ein Leitartikel
der „SZ“ erinnerte daran, dass „die Wehrmacht auch ein williges Instrument des
Vernichtungskrieges war“.
-
Der Wehrbeauftragte hat 2016 unter der Rubrik „Extremismus, Antisemitismus,
Fremdenfeindlichkeit“ immerhin 63 Vorfälle gemeldet, aber es war der Fall von
Franco A., der von der Leyen dazu brachte, in der Bundeswehr von einem
„Haltungsproblem“ und von „Führungsschwäche auf mehreren Ebenen“ zu sprechen.
Diese Aussagen hat sie bereits mehrfach relativiert. Wir aber teilen die
Meinung einer anderen Leserbriefschreiberin: „Ursula von der Leyen hat keinen
Grund, sich bei der Truppe zu entschuldigen“ – zumindest nicht in dieser Sache!
Die SPD sieht sie (wahlkämpferisch) als „Sicherheitsrisiko“, aber das
Sicherheitsrisiko liegt diesmal auf der Gegenseite, den Francos von Illkirch
und Neubiberg.
-
Kennen Sie die Namen „Beerfelde, Paasche, Schoenaich, Endres“? Ich kannte sie
auch nicht. Es handelt sich um Offiziere, die sich in der Weimarer Republik
hinter die Demokratie und gegen einen neuen Krieg gestellt haben. Die Kasernen
der Bundeswehr waren (und sind) nach Generälen der Wehrmacht benannt. Hier ein
Vorschlag, wenn wieder eine Umbenennung ins Haus steht.
Zum
Mai gehört der Maibaum und zum Maibaum die Leitkultur. „Wir sind Maibaum nicht
Burka“, würde de Maizière formulieren. Steigen wir in Folge aus den Niederungen
der Leitkultur zum Gipfel des Maibaums empor.
Der Innenminister hat zehn Thesen zur
deutschen Leitkultur vorgelegt. Dazu gehören Selbstverständlichkeiten („Wert
der Algemeinbildung“) Banalitäten („Erben unserer Geschichte“) und Prinzipien,
die bereits vom Grundgesetz abgedeckt sind („Mehrheitsprinzip und
Minderheitenschutz“). Manche Thesen sind eher einem Benimmbuch entsprungen:
„Wir geben uns zur Begrüßung die Hand.“ Da fällt mir nicht nur ein eingefleischter
Salafist ein, der sich weigert, Frauen die Hand zu schütteln, sondern auch ein
Miesbacher Pfarrer, der gesagt hat. „In Oberbayern gibt man sich nicht die Hand.“
Beim Salafisten hätte ich meine Zweifel, aber der Pfarrer stand sicher nicht
außerhalb der Leitkultur. Vorsichtig aber zutreffend hat eine Parteifreundin de
Maizières ihre Bedenken formuliert:
„Es
geht um eine Leitkultur, bei der sich Menschen mit und ohne
Einwanderungsgeschichte angesprochen fühlen.“
Wenn
ein Flüchtling also den „Gewinn der Fußballweltmeisterschaft“ nicht in sein
„kollektives Gedächtnis“ aufnehmen möchte, oder gar bei einem solchen Turnier
mit der Mannschaft seines Herkunftslandes sympathisiert, gehört er trotzdem zu
Deutschland – wenn er/sie denn will.
„Die
Zeit“ hat sich in Form einer Satire über die deutsche Identität und ihre
Widersprüche Gedanken gemacht:
„Komplimente
ans weibliche Geschlecht gelten als unsittliche Annäherung. Komplimente ans
männliche Geschlecht gelten als unsittliche Annäherung. Komplimente an den Hund
werden akzeptiert.“ Und:
„Sich
beschweren ist ein Zeichen von Lebensfreude. Etwas ‚auf gut Deutsch’ sagen
heißt: schimpfen.“ – z. B. über die leidigen Debatten zur Leitkultur.
Es
ist Mai, also auf zum Maibaum! Da ist an manchen Orten „leitkulturell einiges
ins Rutschen geraten“. In Rimbach/Lk Cham hatte der Vorsitzende des Trachtenvereins
den Maibaum auf seinem Grundstück angekettet, um ihn vor Dieben zu schützen.
Diese machten sich mit einem Bolzenschneider ans Werk. Als er sie auf frischer
Tat ertappte, drosch der Trachtlerchef mit einer Schneeschaufel auf zwei der
Diebe ein. Geklaut wurde der Baum trotzdem – entgegen dem Ehrenkodex, dass
nicht geklaut werden drauf, wenn jemand die Hand drauf hat. Die Diebe aber behaupteten,
dass ihr Gegner die Hand nicht auf dem Baum, sondern auf der Schaufel hatte. Da
die Verhandlungen über die Ablöse an den „gniggadn Rimbacher“ scheiterten,
steht im Dorf jetzt ein Ersatzbaum. Ja, ja, ich weiß schon selber, dass das an
sich nicht in einen AI-Bericht gehört, aber vielleicht haben Sie sich trotzdem
amüsiert.
Nicht
amüsiert, sondern richtig gefreut hat mich die Aktion des Bayerischen Bündnisses
für Toleranz. Da wurden in 30 Gemeinden des Freistaates unter dem Motto
„Gemeinsam gut aufgestellt“ Maibäume aufgerichtet, mit denen explizit für mehr
Toleranz geworben wird. Dabei waren auch Orte, wo Nazis vergeblich versucht
hatten, Fuß zu fassen. Und dabei waren auch viele Flüchtlinge, wie schon vor
zwei Jahren in Miesbach.
Maibaum für Toleranz in Stammheim am Main
Die Kurznachrichten
-
In Bayern wächst der Widerstand gegen das harte und widersinnige Vorgehen von
Staatsregierung und Ausländerbehörden gegen Asylbewerber. Ein Arzt im Landkreis
Rosenheim klagte die Ausländerbehörde an, weil ein kleines Kind während der
Abschiebungsprozedur schwer traumatisiert worden ist. Unternehmer klagten
darüber, dass es an Planungssicherheit fehle, da in den südlichen Teilen der
Republik die 3+2 Regelung (3 Jahre Ausbildung plus 2 Jahre Bleiberecht) nicht
konsequent respektiert werde. Sozialarbeiter sammelten 2100 Unterschriften,
weil man ihnen androhte, die Förderung für die Asylarbeit zu kürzen, wenn sie
die Flüchtlinge beim Thema Abschiebung zu intensiv aufklären. Da ist es neben
der Peitsche nur das Zuckerbrot, dass die Helferkreise endlich einen Termin im
Innenministerium bekamen, zweieinhalb Monate nach der spektakulären Demo am
Fuße der Bavaria.
-
Eine entsetzliche Gewalttat ereignete sich in Prien: eine Afghanin wurde vor
den Augen ihrer Kinder von einem „Landsmann“ erstochen. Ob ihn ihre Konversion
zum Christentum gestört hat oder ihre „lackierten Fingernägel“ weiß man noch
nicht genau. Die Frau galt als „Musterbeispiel für geglückte Integration“,
leider kein Vorbild für radikalisierte (oder gestörte) Moslems, aber ein
Vorgeschmack, was Frauen in Afghanistan erwartet, wenn die Taliban wieder an
die Macht kommen.
-
Dass auch Muslima über Sadogene verfügen, hat man beim „Sturz der Athiopierin“
gesehen. In Brüssel hielten sich im Jahre 2008 acht Prinzessinnen aus Abu Dhabi
junge Frauen als Sklavinnen. Sie mussten sieben Tage pro Woche und rund um die
Uhr bereitstehen, oder besser bereitliegen, denn sie mussten des Nachts vor dem
Schlafzimmer ihrer Herrinnen schlafen. Verbale Beschimpfungen als „Hündin,
Nutte, Kuh“ waren an der Tagesordnung. Ihre Anwälte bezahlten die „Damen“
besser als ihre Dienstboten, und so gelang es, den Prozess fast 10 Jahre zu
verschleppen. Die Prinzessinnen haben sich inzwischen nach Abu Dhabi verzogen
und werden dort das Urteil voller Angst erwarten. Im Juni wurden sie dann „wegen
Menschenhandels und erniedrigender Behandlung ihrer Angestellten“ zu einer
Geldstrafe und zu 15 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Leider haben wir
von ihnen keine Fotos gefunden. Sonst hätten wir einen Steckbrief erstellt.
-
Barbarisch sind aber auch die Aufnahmerituale in die Studentenverbindungen der amerikanischen
Universitäten. In Pennsylvania/USA wurde der Student Timothy Piazza gedemütigt
und abgefüllt. Er fiel die Treppe hinunter und verletzte sich schwer. Wer ihm
helfen oder gar den Notdienst rufen wollte, wurde weggeschubst und beschimpft.
Die Mitstudenten wollten das „auf ihre Weise“ regeln. Wenig später war Piazza
tot. Acht Studenten müssen sich jetzt wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht
verantworten. Das war er einmal!
Timothy
Piazza
Bevor
Sie wieder sagen, „Aha, America first“, blättern Sie zurück zum Januar. Da ging
es um Rituale in Pfullendorf/Deutschland.
-
In der Provinz Aceh/Indonesien wurden zwei Homosexuelle zu 85 Peitschenhieben
verurteilt. Abscheulich sind nicht nur die Strafe, sondern auch die Umstände
ihrer Verhaftung. Eine sogenannte Bürgerwache drang in ihr Zimmer ein, zerrte
die beiden aus dem Bett und übergab sie den Behörden. Für die politische
Führung in Aceh war das ein weiterer Kraftakt, um sich als Bollwerk der Scharia
zu profilieren. Dazu passt, dass der christliche Gouverneur von Djakarta wegen
„Blasphemie“ zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde und zuvor als
Angeklagter natürlich die Wahl verloren hat. Der Grund, warum er angeklagt
wurde, hätte Mohammed (hoffentlich) die Haare zu Berge getrieben. Das Land ist
auf keinem guten Weg.
-
Für uns in Deutschland ist das Vorgehen der Bürgerwehr ein mahnendes Beispiel,
dass man sich die Einführung einer Sicherheitswacht gut überlegen sollte. Sie
würde mit Sicherheit nicht in Schlafzimmer eindringen, aber im Vorfeld könnten
sich schnell wieder Leute tummeln, die in anderen Zeiten gute Blockwarte gewesen
wären. Solche Tugendwächter sind z.B. in Berg am Laim/München beheimatet. Sie
hatten ein Ehepaar beobachtet, das aus einem Flaschencontainer Pfandflaschen im
Wert von 1,44€ herausgefischt hatten. Da muss doch die Polizei her! Und auch
ein diensteifriger Staatsanwalt! Der Richter aber lehnte eine Verurteilung
wegen Diebstahls ab, weil „kein messbarer Schaden“ entstanden sei. Für den
Staatsanwalt war der Schaden durchaus messbar, und er legte sofort Beschwerde
ein. Auch diese wurde verworfen. Aber man fragt sich schon: Hat die
Staatsanwaltschaft nichts Anderes zu tun? Und: Wer bezahlt die Verhandlungskosten?
Nein, nicht der Staatsanwalt, sondern der Steuerzahler.
-
Während es sich hier um ein Bagatelldelikt handelte, hatte sich ein Gericht in
Istanbul mit einem Mord zu befassen, der fälschlicherweise immer noch als
Ehrenmord bezeichnet wird. Da hatten in Berlin 2005 drei Brüder in einer
konzertierten Aktion ihre Schwester ermordet. Nur der jüngste musste ins
Gefängnis, die beiden anderen, wahrscheinlich die Anstifter, wurden zunächst
aus Mangel an Beweisen freigesprochen und setzten sich vor einer zweiten
Verhandlungsphase in die Türkei ab. Auch dort blieb die Beweislage dünn, nicht
zuletzt deswegen, weil die Hauptzeugin nicht vor Gericht erschien. Sie lebt in
Deutschland im Zeugenschutzprogramm und hatte wohl keine Lust, der Frau ins
Grab zu folgen. Die Zeugen, die in Istanbul zu Wort kamen, zeichneten das Bild
netter Brüder. Eine verkehrte Welt: Die (echten) Zeugen müssen sich verstecken,
und die Täter, Unschuldsvermutung hin oder her, laufen frei herum.
-
Wir wenden uns leichteren Themen zu. Die Trump-Damen Melania und Ivanka traten
in Saudi-Arabien ohne Kopftuch auf. Der König hat der First Lady sogar kurz die Hand geschüttelt und übernimmt damit
eine Forderung der deutschen Leitkultur. Was tut man nicht alles, wenn man
dafür für 109 Milliarden Waffen bekommt! Hier das Foto vom unkoscheren
Handschlag, verbunden mit einem Seitenhieb auf deutsche Politikerinnen: So
geht’s auch!
Hi, King
Salman
- In
Nigeria empfing Präsident Buhari 82 Chibok-Mädchen, die von Boko Haram im
Austausch gegen inhaftierte Kämpfer freigelassen worden waren. Man hätte jetzt
ein Foto zeigen können, auf dem zumindest jedes vierte Gesicht den Ansatz eines
Lächelns zeigt. Wir aber wählen ein Foto, das widerspiegelt, was die Frauen
durchgemacht haben und was sie, trotz der vollmundigen Versprechen des
Präsidenten noch erwartet. Und einige mögen daran denken, dass sich 113 von
ihnen noch immer in der Gewalt der Entführer befinden.
Heimkehr
ins Ungewisse
Da
fällt einem die „Geschichte vom jungen Krebs“ ein, die der Auto Gianni Rodari
mit folgendem Satz beendet:
„Wir
können ihm/ihnen nur eine „Gute Reise“ wünschen.“
Juni 2017
„Wir
wollen sie zu Land ausfahren
bis
nach Afghanistan,
dort
lauern keine Gefa-a-ahren
nur
ein paar Ta-aliban.“
Mit
dieser leicht abgeänderten (textlich eher abfallenden) Version des bekannten
Liedes aus der Jugendbewegung wollen wir das Hauptthema dieses Monats
einführen: die missglückte Abschiebung des Afghanen Asef N. aus einer
Berufsschule in Nürnberg. Als er zu Unterrichtsbeginn von der Polizei in
Gewahrsam genommen wurde, setzten sich 20 Berufsschüler vor dem Streifenwagen auf
die Straße und verhinderten so die Abfahrt. Aus 20 Schülern wurden 50, dann
300. Die Sache eskalierte, oder wie die Polizei später sagte „lief aus dem
Ruder“: die Polizei setzte Hunde ein (auf dem Foto noch mit Maulkorb), benutzte Schlagstöcke und
Pfefferspray, die Demonstranten warfen Flaschen und Fahrräder (!).
Polizeieinsatz
in Nürnberg
Dann
wurde Asef abgeführt, war aber am nächsten Tag wieder auf freiem Fuß, da die Abschiebung
wegen des Terroranschlags auf die deutsche Botschaft in Kabul ausgesetzt wurde
und das Landgericht Nürnberg einen Antrag auf Abschiebehaft ablehnte.
Die
sicheren Bereiche in Afghanistan
Nun
zu den „Begleitumständen“ des Vorfalls, einige unschön und bedauerlich, einige
widersprüchlich oder absurd:
-
Asef soll bei seiner Festsetzung gesagt haben: „Ich bin in einem Monat wieder
da. Und dann bringe ich Deutsche um.“ Der Satz scheint gefallen zu sein, aber
nicht recht zu seinem sonstigen Verhalten zu passen. Die Sozialpädagogin, die
ihn schon lange kennt, bezeichnet ihn als „jungen Mann, fast alte Schule, der
älteren Damen die Tür aufhält“.
- Die
Eskalation soll weder von den Berufsschülern noch von der Polizei ausgegangen
sein. Da war wieder der „linksautonome Block“ am Werk, der offensichtlich in
der Nähe des Tatorts stationiert war und nach einem Anruf eines „Mitblockers“ aufmarschierte.
- Bei
den Polizisten gab es neun Verletzte, aber auch die Schüler bekamen „ihre
Schürfwunden und Prellungen“ ab.
-
Den Bescheid, dass er abgeschoben werden sollte, hat Asef offensichtlich erst
beim Abschiebeversuch bekommen. Der Nürnberger Polizeipräsident rechtfertigte
den Einsatz an der Schule damit, dass es nur ein kurzes „Zeitfenster“ bis zum
geplanten Abflug gegeben habe, das Landgericht hingegen war (bei der Zurückweisung
des Antrags auf Abschiebehaft) der Meinung, dass das „Zeitfenster“ eher dafür
zu kurz war, dass der Schüler keine Möglichkeit hatte, gegen den Bescheid
Widerspruch einzulegen.
- In
der Bewertung des Einsatzes gab es naturgemäß erhebliche Differenzen. Die CSU
sprach vom „umsichtigen und klugen“ Handeln der Polizei, Vertreter der SPD
bezeichneten eine Abschiebung aus dem Klassenzimmer als „schlichtweg
unmenschlich“, lehnten aber auch ein „Schulasyl“ ab, der „Merkur“ attestierte (in
der Frühzeit der Berichterstattung) der Politik „wenig Fingerspitzengefühl“, und
die „SZ“ hob die Zivilcourage der Schüler hervor. Sie haben die Wahl!
- Worüber
wir aber wieder gemeinsam den Kopf schütteln könnten, ist die Erläuterung des
Innenministeriums, dass sich der Einsatz gar nicht wirklich an einer Schule
abgespielt habe. Es habe sich zwar um die Räume einer Schule gehandelt, aber
nicht um einen Schüler. Asef sei nämlich Besucher einer Integrationsklasse
gewesen, und das sei „keine Ausbildung im eigentlichen Sinne“. Geht’s noch?
Im
Juli kam dann die Meldung, dass das BAMF einen Asylfolgeantrag des Afghanen
zugelassen habe. Damit sei seine Abschiebung erst einmal abgewendet. Da werden
die verletzten Polizisten und Demonstranten sich gefragt haben: Hätte man das
nicht früher …?“ Im Januar 2018 kam dann die Retourkutsche der Justiz. Gegen
Asef wurde „Anklage wegen Widerstands gegen Vollzugsbeamte und einer Reihe
anderer Delikte“ erhoben. Zu dieser Anklage möchten wir mangels Informationen
kein Urteil abgeben, aber die Bewertung seines Anwalts möchten wir Ihnen (schon
wegen seiner sprachlichen Brillanz) nicht vorenthalten: Es bestehe in dieser
Sache „ein erheblicher Ermittlungseifer, der bis ins Innenministerium reicht“.
Derzeit
(also im Juni) gibt es ein Abschiebemoratorium für Afghanistan. Man wartet zwar
nicht die Entwicklung der Lage, wohl aber einen Bericht des Auswärtigen Amtes
ab. Es ist zu hoffen, dass man dort auch das Interview mit dem Journalisten
Ahmed Rashid gelesen hat, der auf die Frage
Was geschieht mit einem abgeschobenen Flüchtling, der nach
drei oder vier Jahren wieder an der Tür seines Elternhauses klopft?“ wie folgt
antwortete:
„Das
ist die absolute Katastrophe. Diese jungen Männer haben ihre Familien alle
Ersparnisse gekostet, um die Flucht zu finanzieren. … Und jeder im Dorf weiß
es, dass einer nach Europa gezogen ist, weil seine Eltern Geld bei den Verwandten
und den Nachbarn geliehen haben. … Genauso wenig bleibt geheim, dass einer
abgeschoben wurde. Das erfahren dann auch die Taliban.“
Im
Juli kamen dann Augenzeugenberichte, die den Polizeieinsatz etwas „im Gegenlicht“
sahen. Zur Eskalation sei es erst gekommen, als die Polizei gewaltsam begann,
die Schüler aus einer Sitzblockade zu zerren. Von Linksautonomen habe man
nichts gesehen, und die Fahrräder, die man angeblich „geworfen“ habe, seien bei
der Rangelei umgefallen. Die Augenzeugen waren zwei Pfarrerinnen und ein Dekan
– halt „die üblichen Verdächtigen“.
Ganz
unschuldig, zumindest aus Sicht eines Amtsgerichtes, scheinen die Demonstranten
auch nicht gewesen zu sein, denn einer von ihnen wurde wegen Körperverletzung,
Widerstandes gegen die Staatsgewalt und versuchter Gefangenenbefreiung zu einer
Bewährungsstrafe und zu 450 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Hoffentlich
muss er die nicht auf dem Polizeirevier ableisten, wo der Polizist Dienst tut,
der beim Einsatz den „Teil eines Zahnes“ eingebüßt hat. Aber ob man ihn
deswegen gleich fünf Monate in Untersuchungshaft halten muss? Da bestand wohl
Fluchtgefahr – nach Afghanistan!
Die Kurznachrichten
- Die
Hanns-Seidel-Stiftung hat in einer großen Studie Einstellungen und Fertigkeiten
der „Asylsuchenden in Bayern“ untersucht. Wenn man sich die Berichte von „Merkur“
und „SZ“ ansieht, lag der Schwerpunkt der Studie eher auf den Defiziten der
Asylbewerber. Viele von ihnen sind Analphabeten (Irakerinnen), haben eine
patriarchalische Einstellung gegenüber Frauen (Eritreer), kritisieren den
großen „Einfluss der Juden auf der Welt“ (Muslime), haben wenig Verständnis für
unser Demonstrationsrecht (Iraker). Andererseits kamen viele Syrer mit einem
abgeschlossenem Studium (14%). Ob der Wunsch der Afghanen, ihre Zukunft in
Deutschland zu finden (83%), von uns Deutschen eher als „Benefit“ oder als
Defizit gewertet wird, lasse ich mal offen.
- Ein
Fall, dessen Bewertung einer Gratwanderung gleicht, ereignete sich in
Arnschwang/Oberpfalz. Da erstach ein Afghane in einer Sammelunterkunft einen
fünfjährigen Buben, wahrscheinlich weil er sich vom Lärm der spielenden Kinder
gestört fühlte. Der Mann war wegen Brandstiftung vorbestraft und sollte eigentlich
abgeschoben werden. Da er im Gefängnis zum Christentum konvertierte, wurde ein
Abschiebeverbot erlassen, weil er in Afghanistan in Lebensgefahr geschwebt
hätte. Innenminister Herrmann hat gesagt, dass die Gefahr wohl nicht von einer
vom (afghanischen) Staat verhängten Todesstrafe ausgehen würde. Und eine
Hinrichtung durch die Taliban sei noch in Kauf zu nehmen. Nein, letzteres hat er natürlich nicht
gesagt, vielleicht aber mitgemeint oder zumindest „Volkes Stimme“ zum Ausdruck
gebracht.
Auch
die Großkirchen bekamen natürlich ihr Fett weg: Sie würden eine Art „Konversion
light“ anbieten und ignorieren, dass sich Kandidaten nur deshalb taufen lassen,
um der Abschiebung zu entgehen. Kirchenvertreter antworteten, die Bewerber
würden sorgfältig auf ihre Motive hin geprüft und bekämen „schon im Erstgespräch
gesagt, dass die Taufe kein Bleiberecht verschaffe“. Zuzustimmen ist der „SZ“:
„Der
Mann hätte ins Gefängnis oder eine geschlossene Psychiatrie gehört und nicht in
eine Flüchtlingsunterkunft. Als Muslim wie als Christ.“
-
Die Innenminister haben sich auf ein verschärftes Gesetz zur Inneren Sicherheit
geeinigt und sind dabei etwas über das Ziel hinausgeschossen. Jetzt soll man
auch die „Sechs- bis 14-Jährigen“ fingerabdrücklich erfassen dürfen. Initiator
soll der bayrische Innenminister Joachim Herrmann gewesen sein, der sich auftragsgemäß
(und wahlkampfbedingt) immer mehr zum Hardliner entwickelt. Wenn der einmal
Bundesinnenminister ist, geht es auch den Babys an den Kragen.
- Jetzt
ist es aber Zeit, über den deutschen Tellerrand zu schauen, die anderen Länder
werden doch, hoffentlich, auch ihre Probleme haben. Gegen die niederländische
Regierung hat ein Gericht in Den Haag ein differenziertes Urteil gefällt.
Niederländische UN-Truppen (Dutchbat) waren in Srebrenica/Bosnien stationiert,
wo sich 1995 mit 8000 Opfern „der erste Völkermord auf europäischem Boden nach
dem 2. Weltkrieg“ ereignet hatte. Die Dutchbat wurde lediglich für den Tod der
350 Bosnier verantwortlich gemacht, die sich direkt auf dem Gelände des
UN-Hauptquartiers befanden. Mit der Auslieferung an die Serben wurde die Anweisung
des niederländischen Verteidigungsministeriums ignoriert, „möglichst viele
Menschen zu retten“. Die Niederländer sahen sich damals einer serbischen
Übermacht gegenüber und erhielten keinerlei Unterstützung, weder zu Land noch
aus der Luft. Nur wer selber bereit ist zum Heldentod, der werfe den ersten
Stein.
-
Keine moralischen Bedenken haben wir, um die Ernennung von Gina Haspel zur Vizechefin
des CIA zu kommentieren. Die Dame war vorher Chefin eines CIA-Gefängnisses in
Thailand und persönlich anwesend, als der Pakistani Abu Subaida innerhalb eines
Monats 83 Mal dem Waterboarding unterzogen wurde. Subaida gilt heute nicht mehr
als Topterrorist, sitzt aber immer noch in Guantánamo, die Haspel („Trumps Darling“)
hat Karriere gemacht, wird aber voraussichtlich nie (als Insassin) nach
Guantánamo kommen, auch wenn deutsche Anwälte gegen sie inzwischen Strafanzeige
wegen Folter gestellt haben.
Hier
ist schon mal (in vorauseilendem Optimismus) das Foto für ihren Steckbrief.
Gina Haspel
- Auch
am unteren Ende der „Achse des Bösen“ geht es nicht menschenfreundlicher zu.
Der amerikanische Student Otto Warmbier war 2016 in Nordkorea festgenommen
worden, weil er aus seinem Hotel ein politisches Plakat mitnehmen wollte. In
einem Schnellverfahren wurde er zu 15 Jahren Haft verurteilt. Jetzt wurde er
aus „humanitären Gründen“ freigelassen, im Wachkoma in die USA zurückgebracht
und ist sechs Tage nach seiner Rückführung gestorben. Nordkorea zufolge ist er schon
im März 2016 an einer Lebensmittelvergiftung erkrankt und nach Einnahme einer
Schlaftablette ins Koma gefallen. Die Eltern Warmbiers sind der Meinung, dass
er eher ins Koma geprügelt worden ist.
Warmbier
beim Kotau im Scheinprozess
- In
Moskau hat ein Gericht fünf Angeklagte schuldig gesprochen, die 2016 den
Oppositionspolitiker Boris Nemzow ermordet haben sollen. Es gibt berechtigte
Zweifel, ob man nicht nach dem Sprichwort „Die Kleinen hängt man, …“ verfahren
ist, denn als Auftraggeber für den Mord hat man den Chauffeur eines tschetschenischen
Militärs vorgeschlagen, und so stellt sich „die Frage, warum ein
tschetschenischer Chauffeur einen solchen Hass auf einen russischen
Oppositionspolitiker entwickelt haben soll“.
-
Jetzt zu ein paar sonnigeren Nachrichten; schließlich war Sommeranfang. Bei den
Imamen regt sich zaghaft aber glaubwürdig der Widerstand gegen den islamistischen
Terror. In Großbritannien verweigerten mehr als 130 von ihnen den Attentätern
von London und Manchester das traditionelle Bestattungsgebet, bei dem um
Vergebung für die Taten des Verstorbenen und für seinen Eintritt ins Paradies
gebetet wird. Das Paradies, wenn es eins gibt, möchten wir diesen Paranoikern
nicht auf Dauer verweigern, aber ein paar Jährchen in den mittleren Etagen der
Dschahannam/Hölle sei ihnen von Herzen vergönnt.
Und
in Deutschland sind bei einem Friedensmarsch unter dem Motto „Nicht mit uns“ in
der Kölner Innenstadt immerhin 1000 bis 3500 Muslime (und Freunde) auf die
Straße gegangen, um gegen den islamistischen Terror zu protestieren. Man hatte
10 000 Teilnehmer erwartet, aber es war heiß und obendrein noch Ramadan. Wenig
Verständnis aber gab es dafür, dass der Moscheeverband Ditib seine Teilnahme
verweigerte, entweder weil er keine entsprechenden Direktiven aus Ankara bekam
oder weil der Marsch von liberalen Muslimen organisiert wurde, „Typen“ wie die
Frauenrechtlerin Seyran Ates, die einige Tage später in Berlin (im Saal einer
evangelischen Kirche) die liberale Ibn-Rushd–Goethe-Moschee gründete. Mal
sehen, wie lange sie (ohne Kopftuch) die Fatwas überlebt.
Friedensmarsch in Köln
-
In Rom haben unter Vermittlung der Basisgemeinde Sant’Egidio die Regierung der
Zentralafrikanischen Republik und die Rebellengruppen des Landes ein Friedensabkommen
unterzeichnet. Wie in Kolumbien bleiben wir auf Beobachtungsstation.
Männer
unter sich
Auf
dem Foto fehlen die Frauen und Kinder, die in einem Bürgerkrieg sehr wohl vorkommen
– als Opfer! Im August eskalierte dann wieder die Gewalt, ein UN-Sprecher sah
darin „frühe Alarmzeichen für einen Völkermord“.
-
Opfer waren auch die „Seligen Märtyrer von Dachau“, für die die Erzdiözese München-Freising
nun einen jährlichen Gedenktag ausgerufen hat. Es handelt sich um 200
Geistliche, die im KZ Dachau ihr Leben gelassen haben. Wenn man ihre
Lebensläufe und Schicksale liest – polnische Herkunft, Verweigerung des Hitlergrußes,
mutige Predigten, Fluchthelfer, Prügel, Typhus, Giftspritze -, fällt es einem
nicht leicht, an folgenden Spruch zu glauben:
„Das
Gute scheint immer
das
Schwächere zu sein
und
doch erhält es die Welt.“
Hoffen wir, dass uns die Welt auch im Juli erhalten
bleibt!
Juli 2017
Sie
hätten es im Juli gern etwas ruhiger gehabt? Ich auch. Und deshalb bin ich
nicht bei einer Demo in Hamburg mitgelaufen, oder auf einem
Flüchtlingsrettungsschiff vor der libyschen Küste mitgefahren oder beim
Protestmarsch von Ankara nach Istanbul mitmarschiert. Nein, ich hätte gehofft,
dass sich die Vorhersage eines (in der Region ansässigen) „Gebrauchsphilosophen
und Abreißkalenderverlegers“ erfüllen würde, der (leicht abgeändert) gemeint
hat:
„Kommt
der Juli, sind das Wetter
und
die meisten Leute netter.“
Nun, das Wetter hätte es ja getan, aber, wie schon
Karl Valentin sagte:
„Der
Mensch ist guat, aber de Leit’ san schlecht!“
In
Hamburg, beim G20 Gipfel, hatten wir es beim Aufmarsch einiger Politiker und
die Polizei beim Aufmarsch einiger Demonstranten eher mit den Leuten als mit
den Menschen zu tun. Da ich, wie gesagt, nicht vor Ort war, beschränke ich mich
auf einige „Schlaglichter“, eine Metapher, die man leider wörtlich nehmen muss.
Da ist zum ersten das Spektrum der Schlagzeilen:
- Es begann mit einem gewissen Verständnis für
Menschen, die eine solche Veranstaltung und den Auftritt einiger Politiker
nicht protestlos hinnehmen wollten („Platz
dem Zorn“).
- Dann
kam das Entsetzen über die Straßenschlachten, die brennenden Autos, die geplünderten
Geschäfte („Es war wie im Krieg“).
- Dann
kam die Abrechnung mit den Linksautonomen, die sich „aus ganz Europa“ zu einer
Steinwurfolympiade verabredet hatten und durch ihre Gewaltbereitschaft den
rechten Parteien (gewollt oder ungewollt) einige Stimmen einbringen werden („Selbstverwirklichung – nur einen Steinwurf
entfernt“). Im englischen
bezeichnet man diese Typen als „lunatic fringe/extreme Randgruppe“ und den „altlinken“
Rechtsanwalt, der die Randalierer kritisiert hatte, weil sie „ihren eigenen
Kiez und nicht die (wohlhabenden) Stadtteile verwüstet“ hätten, kann man ruhig
mit dazu nehmen.
-
Und schließlich kam die Abrechnung mit der Polizei und der Justiz, die die Zahl
der verletzten Polizisten dramatisiert, eigenes „Fehlverhalten“ beschönigt und
die falschen Demonstranten in U-Haft genommen haben sollen („Endlich etwas Offenheit“).
Erwähnenswert
sind aber auch die Ereignisse, die zwar nicht zur Randale führten aber dennoch
ein Skandal sind.
-
Da war zum einen die mehr als dürftige Berichterstattung über die friedlichen Demos,
u.a. die Nacht unter dem Motto „Lieber tanz’ ich als G20“ und die Demo „Hamburg
zeigt Haltung“ mit 60 000 Teilnehmern, darunter sogar ein unauffälliger (reuiger
oder in Schach gehaltener) Schwarzer Block.
-
Und da war der „Ertrag“ des Gipfels, die Kosten-Nutzen Analyse gewissermaßen:
ein mauer Kompromiss über Freihandel und Protektionismus und ein vages Versprechen
Trumps, das Pariser Klimaabkommen nicht (sofort) platzen zu lassen. Das
angemessene Bildmaterial ist die Karikatur.
Gut hamburgerisch: Soll und Haben nach G20
Dazu
passend eine Satire aus der „SZ“: Horst
Seehofer hat angeboten, dass der Freistaat Bayern „künftig als Alleinausrichter
aller G20 Gipfel auftreten soll, da es die anderen einfach nicht im Kreuz
hätten“.
Was
sich im April schon angedeutet hat, wurde im Juli von der EU in „klare Richtlinien“
gegossen: den NGOs, die im Mittelmeer in diesem Jahr 40% aller Rettungsaktionen
von Flüchtlingen durchführten, soll ein „Verhaltenskodex“ vorgeschrieben werden
– schließlich sei ihre Präsenz vor der libyschen Küste die entscheidende
Fluchtursache für Nigerianer und Eritreer (Satire!).
Fairerweise ist zu sagen, dass man vor dem letzten Schritt, die Rettungsschiffe
der NGOs in eine Zuschauerrolle zu zwingen, vor deren Augen die Flüchtlinge
„unbehelligt“ absaufen können, (noch) zurückgeschreckt ist, aber einige
Forderungen auf diesem Verhaltenskodex bewegen sich in Nähe der Gürtellinie.
-
Die Boote der NGOs sollen nicht mehr in libysche Gewässer fahren dürfen. Da die
Qualität der Schleuserboote immer schlechter wird, werden es viele von ihnen gar
nicht mehr in internationale Gewässer schaffen.
-
Der Kodex verlangt, dass bewaffnete Polizisten an Bord gehen dürfen, (angeblich)
„um Ermittlungen über Menschenhandel und Schlepper zu führen“. „Ärzte ohne
Grenzen“ sieht darin ein Sicherheitsrisiko.
-
NGOs sollen gerettete Flüchtlinge nicht mehr an größere Schiffe übergeben
dürfen, sondern sie eigenhändig in Malta oder Italien abliefern. Damit wären
sie (die NGOs) für einige Zeit aus dem Verkehr gezogen – und könnten keine Dummheiten
machen, z.B. weitere Flüchtlinge retten (Satire!).
Dann
haben sich die Ereignisse überschlagen: Die meisten NGOs weigerten sich, den
Kodex zu unterschreiben, Libyen hat seine Hoheitsgewässer um ein „Such- und
Rettungsgebiet/SRA“ erweitert, Italien rüstet die libysche Küstenwache auf,
damit Flüchtlinge leichter in die „gastfreundlichen“ libyschen Flüchtlingslager
zurückgebracht werden können, die „Iuventa“, das Schiff der NGO „Jugend Rettet“
wird von den italienischen Behörden wegen angeblicher Zusammenarbeit mit
Schleppern beschlagnahmt, NGOs stellen ihre Rettungsarbeit ein, weil die SRA
für sie tatsächlich zu einem „Sicherheitsrisiko“ wird – und: die Zahl der
Flüchtlinge hat im Monat Juli drastisch abgenommen. Und viele bei uns werden
sagen: „Schau’ her, geht doch!“, aber einige werden sich fragen: „Und wo sind
sie geblieben?“ Und da tauchte aus heiterem Himmel im August der Name einer
Stadt auf, von der bisher viele Flüchtlingsboote gestartet waren, Sabratha. Da
scheint ein mächtiger Milizen- und Schleuserchef mit seiner „Brigade 48“ die
Seiten gewechselt haben und dafür zu sorgen, dass die Flüchtlingsboote nicht mehr ablegen. Es besteht der
Verdacht, dass ihm die EU den Verdienstausfall ersetzt – direkt oder über die
Regierung in Tripolis.
Wenn
wir die Frage stellen „Wo sollen sie bleiben?“ haben wir zwei Lösungen anzubieten.
Die erste Lösung ist wohl nur mit Hilfe eines gigantischen Seebebens zu verwirklichen:
Man müsste Italien direkt an Libyen andocken und die beiden Staaten wie schon
zur Kolonialzeit wieder unter einem übergeordneten Gesichtspunkt vereinigen.
Die Touristenattraktionen Italiens müsste man dann halt nach Osteuropa
verlegen. Da sind sie sicher willkommener als Flüchtlinge.
Die
2. Lösung kommt von Gerald Knaus, von der Denkfabrik „Europäische
Stabilitätsinitiative“, die schon das Türkei-Abkommen entworfen hat. Er
empfiehlt, mit Herkunftsländern wie Nigeria einen Deal abzuschließen: Sie
müssten ihre Staatsangehörigen, die bei uns nicht asylberechtigt sind, wieder
zurücknehmen und erhalten im Gegenzug das Angebot, dass die EU ihnen jährliche
Kontingente (gemeint sind Menschen!) einräumt, die fair auf alle Staaten der EU
verteilt werden. Klingt vernünftig, aber der Orban und der Kurz werden dann
wohl zum Exit blasen.
Gefreut
hat uns, dass der libyschen Küstenwache ein Verbündeter im östlichen Mittelmeer
abhanden gekommen ist. Cypern hat ein Schiff der rechtsextremen „Identitären
Bewegung“ festgesetzt, das vor der libyschen Küste die NGOs überwachen und Flüchtlingsboote
zerstören wollte – die Flüchtlinge am besten gleich mit (Satire!). Das Schiff fuhr unter
mongolischer Flagge, und in die Mongolei sollte man die Besatzung (und deren
Geldgeber) auch gleich schicken.
Wir
halten kurz den Atem an, denn jetzt kommt wieder Erdogan. Zum Jahrestag des Putsches
hielt er eine martialische Rede, in der er versprach, „den Verrätern den Kopf
abzureißen“. Nun den Kopf hat man ihnen gelassen, aber ihre Bewegungsfreiheit
ist stark eingeschränkt: Schon im Juni wurde Taner Kilic, der Vorstandsvorsitzende
von AI-Türkei festgenommen, weil er eine App genutzt haben soll, die auch bei
Gülen-Anhängern beliebt ist, und im Juli traf es Idil Eser, die Direktorin der türkischen AI-Sektion. Sie wurde mit neun
weiteren Menschenrechtlern, darunter der Deutsche Peter Steudtner, von einem
Workshop weg verhaftet. Das Thema des Workshops war nicht etwa „Wege zu einem
erfolgreichen Putsch“ sondern „Digitale Sicherheit und Informationsmanagement“.
Das ist kein Thema, das man auf Anhieb als subversiv bezeichnen würde, aber in
der Türkei kann man derzeit für alles und jedes verhaftet werden. Deshalb
sollten sich gerade die Sachsen von dem Land fernhalten.
Für
Amnesty ist das eine unerfreuliche Premiere: „Zum ersten Mal in der Geschichte
von Amnesty sitzen zwei führende Vertreter der Organisation im selben Land in
Haft – in der Türkei.“
Die
Autorin Oya Baydar hat Erdogan mutig die Leviten gelesen. Da wir nicht wissen,
wie lange sie noch schreiben (oder lesen) darf, wollen wir sie kurz zu Wort
kommen lassen:
„Als
ich Sie (Erdogan) reden hörte, wurde mir wieder klar, dass all die Ungerechtigkeiten, diese Welle des Leids, die so zufällig,
so willkürlich über uns hereinbricht, ausschließlich von Ihnen und Ihren
Befehlen verursacht wurde.“
Die Kurznachrichten
- China
hat den Nobelpreisträger Liu Xiaobo freigelassen – zum Sterben. Zuvor hatten
die beiden westlichen Ärzte, die man im Endstadium seiner Erkrankung eingeflogen
hatte, ein mutiges Bulletin veröffentlicht. Liu sei sehr wohl transportfähig,
wenn die Verlegung sofort geschähe – und es gäbe „zusätzliche Optionen“ bei der
Behandlung. Letzteres mag die Behörden bewogen haben, mit einer Verlegung
lieber noch ein paar Tage zu warten. Auf einer Pressekonferenz nach der
Seebestattung trat Lius älterer Bruder auf. Er kam in Shorts und dankte der
Partei für die Organisation der Bestattung.
Der leere
Stuhl von Oslo
-
In Grosny/Tschetschenien wurden nach einer Verhaftungswelle, die im Januar nach
einem Angriff auf Sicherheitskräfte begonnen hatte, mindestens 27 Menschen hingerichtet
– ohne Anklage oder Gerichtsverfahren. Der Republikchef Kadyrow, der für Putin
schon manche „Drecksarbeit“ übernommen haben soll, war nicht darunter.
-
Die britische Journalistin Sarah Afshar hat einen Film über Assads
Foltergefängnisse gemacht und damit den AI-Bericht vom Februar in Bilder
gesetzt. Ein Überläufer mit dem Decknamen Cäsar, der im Auftrag der Regierung
Fotos von den Opfern gemacht hat, hat diese aus Syrien herausgeschmuggelt. Dazu
kamen Kassiber, die auf abenteuerliche Weise entstanden sind.
- Ein
deutliches Lebenszeichen von der türkischen Opposition kam vom „Marsch für Gerechtigkeit“,
der den (bisher eher farblosen) Chef der CHP, Kemal Kilicdaroglu, über eine
Strecke von 420 Kilometern von Ankara nach Istanbul führte – zu Fuß
wohlgemerkt. Bei der Schlusskundgebung in Istanbul sollen mehrere hunderttausend
Menschen gewesen sein; so viele kann der Erdogan beim besten Willen nicht (auf
einmal) verhaften. Inzwischen soll die CHP sogar zaghafte Fühler zur
pro-kurdischen HDP ausgestreckt haben. So was ergibt sich zwangsläufig, wenn
die Abgeordneten gemeinsam im Gefängnis hocken.
Marsch für
Gerechtigkeit
Die Handbewegung Kilicdaroglus gilt nicht dem Führer Erdogan.
- Von
der Türkei nach Wien – aber auch auf deutsche Autobahnen. In Wien lief eine hochschwangere
Frau in eine Straßenbahn. Während sich das Rettungsteam (vergeblich) um sie
bemühte, schwoll die Menge der Gaffer auf 250 an. Einige von ihnen behinderten
die Polizei und das Team, weil man ja schließlich ein Foto von der sterbenden
Frau machen müsse. Das sei vom demokratischen Recht auf Informationsbeschaffung
abgedeckt. Und dann kam ein Satz, der einen zweifeln lässt, ob die Menschheit
im Sommer wirklich „netter“ wird: „Wir sind hier nicht in der Türkei! Bei uns
gibt es keine Zensur.“
Wenn
man, wie jetzt geplant, auf den Straßen Sichtschutzwände gegen Gaffer und
Poller gegen Terroristen aufstellt, bekommen wir so viele verkehrsberuhigte
Zonen, dass wir die Stinkediesel auch noch verkraften können.
August 2017
„Ja,
für eine Fahrt ans Mittelmeer,
gäb
ich meine letzten Mittel her …“
war
ein Schlager aus dem Jahre 1955. Ich setze ihn an den Anfang dieses Artikels,
um bei Ihnen um gutes Wetter anzuhalten. Eines der Hauptthemen des Monats Juli,
„die Fahrt (der Flüchtlinge) ans Mittelmeer“ wird sich nämlich wiederholen.
Zwar werde ich mich bemühen, die Sache fortzuschreiben, aber wenn Sie aus dem
Thema flüchten wollen, dann tun Sie es. Sie als Leser/in können das – ganz ohne
Zwang und Schleuser.
So ging es weiter:
-
Vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages kam ein Gutachten, dass die
EU-Mitgliedsstaaten völkerrechtlich verpflichtet seien, bei der Rettung von
Menschen in Seenot zusammenzuarbeiten, auch mit zivilen Schiffen. Auch eine
Rückführung geretteter Flüchtlinge nach Libyen sei illegal. Die Verantwortung
für Flüchtlinge kann also nicht durch Einrichtung von Hotspots in Libyen, und
das wären tatsächlich „heiße Flecken“, abgegeben („outgesourct“) werden.
-
Mein Freund Anastasiadis/„Merkur“ gibt zu bedenken, dass die Rettungstätigkeit
der NGOS erst dazu führt, dass sich Flüchtlinge auf die lebensgefährliche
Überfahrt begeben. Er schreibt:
„Wer
nennt die Namen jener, die am Ende vergeblich auf die Rettungsversprechen der
Seenothelfer vertrauten?“
Kommentar
zum Kommentar - geschenkt!
- Ein
Bestandteil des Verhaltenskodex für die NGOs ist, dass sie ihre Finanzierung
offen legen müssen. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn bei der
Libyentour des italienischen Innenministers Marco Minniti, auf der er sich die
Mithilfe von Milizen, Stammesältesten und Politikern bei der Drosselung des
Flüchtlingsstromes erkaufte, ist mit Sicherheit Schmiergeld geflossen, und auch
der französische Präsident musste Geld in die Hand nehmen, um mit dem Chef der
libyschen Übergangsregierung ein Abkommen zur Bekämpfung der Schlepperbanden
auszuhandeln. Wo das Geld herkam (EU?), davon hat man nichts gehört!
-
Der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz Kardinal Bassetti hat davor
gewarnt, mit Menschenschmugglern zusammenzuarbeiten. Er mag da auch die
Organisation „Jugend Rettet“ gemeint haben, der man vorwirft, sich zur Aufnahme
von Flüchtlingen mit den „Lieferanten“ abzusprechen. Diesbezügliche Informationen
hatte ein V-Mann geliefert, den man an Bord eines anderen Rettungsschiffes
geschmuggelt hatte, von dem aus er die Iuventa mit dem Fernglas bei einer
Flüchtlingsübergabe beobachtete und davon einige (unklare) Fotos machte. Von
einer Kehrtwende der Kirche in Sachen „Seerettung“ zu sprechen, ist allerdings
etwas voreilig: die Flüchtlingsfachstelle der Bischofskonferenz bescheinigte
den privaten Helfern, dass sie Aufgaben erledige, die eigentlich „Pflicht der
europäischen Staaten“ wäre.
Übrigens
gibt es auch eine GO, die mit den Schleppern zusammenarbeitete – aber das gibt
es wirklich nur in der Karikatur.
-
Das eingangs erwähnte Gutachten ist nicht das Papier wert, auf das es gedruckt
wurde: die Flüchtlinge werden in Libyen in Lagern „unter KZ-ähnlichen
Verhältnissen“ zurückgehalten, und die Hotspots werden in den Planungen der EU
immer weiter nach Süden (Niger, Tschad) versetzt – bis sie schließlich auf
Mandelas Gefängnisinsel Robben Island bei Kapstadt angesiedelt werden.
-
Einziger Lichtblick: Frau Merkel ist (plötzlich oder wieder einmal) offen für
Einwanderer-Kontingente aus Afrika. Da könnte man dann sogar für Seehofer eine
„Obergrenze“ einführen. Aber diese Idee tauchte erst mit den Nachwehen der
Septemberwahlen auf.
Die
anderen Meldungen mit Migrationshintergrund hängen nicht mit der „Fahrt ans
Mittelmeer“ zusammen. Fangen wir mit einer Großtat an, die mutmaßlich einem
eher „hässlichen Deutschen“ anzulasten ist:
-
In Daiting/Lk Donau-Ries warf ein afghanischer Flüchtling einen Kontoauszug in
den Papierkorb der Sparkassenfiliale. Er hatte für seine siebenköpfige Familie
1780,35 € abgehoben, den „Regelsatz“ für einen Monat. Der Auszug blieb nicht,
wo er war, er wurde herausgefischt und auf Facebook gepostet, mit vollem Namen
der Familie, IBAN und SWIFT. Die ersten Wut-Kommentare ließen nicht lange auf
sich warten. Wir verzichten auf einen Abdruck, denn Unbekannte haben die Daten
genutzt, um Waren per Nachnahme zu bestellen.
-
Die AfD hat neben anderen „Foltermaßnahmen“ gefordert, dass das individuelle
Recht auf Asyl in Deutschland abzuschaffen sei. Auch für uns gelte die Maxime
„Deutschland first“. Nach den Septemberwahlen stellt die Partei zwar noch nicht
den Präsidenten/Bundeskanzler, aber sehr weit davon sind sie in Sachsen und
Niederbayern nicht mehr entfernt.
-
Deutschland schiebt de facto keine Asylbewerber mehr nach Ungarn ab, weil ihnen
dort, so eine Gerichtsentscheidung, eine „erniedrigende und unmenschliche
Behandlung“ drohe. Zum Ausgleich hat man die Abschiebungen nach Griechenland
wieder aufgenommen. dort seien die Flüchtlinge inzwischen von den Lagern auf
Hotels verteilt worden (Satire!)
-
Im März haben wir Ihnen ein Foto der Pfarrerin Otminghaus mit ihrem Schützling
Hasib A. präsentiert. Nach acht Monaten im Kirchenasyl hat er jetzt subsidiären
Schutz erhalten und darf (bis auf weiteres) in Deutschland bleiben. Auf der
Allgäuer Festwoche hat auch Ministerpräsident Seehofer moderate Töne beim
Kirchenasyl angestimmt, die „Wachhunde seines Justizministers (gewissermaßen)
zurückgepfiffen“. Bayern werde keinen „Sonderweg“ gehen, sondern mit den
anderen Bundesländern das Kirchenasyl respektieren – bis eine „saubere
rechtliche Lösung“ gefunden ist, denn, so Seehofer:
„Ich
habe immer darauf hingewiesen, dass für uns in Bayern an erster Stelle die
Humanität steht.“
-
Kröten schlucken nicht schützen mussten die Grünen, als Boris Palmer, der
Oberbürgermeister von Tübingen, ein Buch mit einem Titel vorstellte, den wir so
in Deutschland noch nie gehört haben: „Wir
können nicht allen helfen.“ Es soll angeblich nicht ausländerfeindlich
sein, aber einige Leser werden sich wohl auf Kapitel beschränken, die eher
braun als grün daherkommen. Da lauten die Überschriften:
„Von
Obergrenzen und Belastungsgrenzen“
„Wie
kriminell sind Ausländer?“
„
Augen zu nutzt nix: Junge Männer verändern unser Land.“
„Und
eine Karriere in der Politik verändert den Menschen“, könnte man jetzt erwidern,
aber die Pointe wäre etwas billig. Man kann einem Oberbürgermeister nicht
verdenken, dass er auch negative Erfahrungen in seine Bilanz einfließen lässt,
aber bei seiner Wort- und Themenwahl sollte er doch beachten, dass er auch
Leute bedient, die schon darauf gewartet haben, dass „es jetzt auch schon die
Grünen sagen“. Aber um zu urteilen, müsste man das Buch erst einmal gelesen
haben!
-
Von der Bertelsmann-Stiftung kam eine neue Studie zur Integration von Muslimen
in Europa heraus, die vom „Merkur“ unter dem Titel „Integrations-Meister
Deutschland?“ besprochen wurde. Wir ignorieren einmal das Fragezeichen dieses
Titels (Defizite bei den Muslimas, Radikalisierung der Attentäter) und beschränken
uns auf die positiven Aussagen der Studie. Danach kommt Deutschland bei der
Integration auf dem Arbeitsmarkt recht gut weg. Es gibt beispielsweise keine
Unterschiede zu Nichtmuslimen, was die Vollzeitstellen und die (niedrige)
Arbeitslosenrate betrifft. Und was die „Parallelgesellschaften“ angeht: 96 %
der Muslime fühlen sich Deutschland mindestens genauso verbunden wie ihrem
Heimatland und pflegen soziale Kontakte zu Andersgläubigen. Diese Parallelgesellschaften
mag es in manchen Stadtvierteln geben, aber wir Deutschen tragen auch unseren
Teil dazu bei: 19% der Deutschen, also nicht nur Herr Gauland, geben an, keine
Muslime als Nachbarn haben zu wollen.
Die Kurznachrichten
-
Wir müssen noch einmal auf H: Gauland zurückkommen, auch wenn er es nicht wert
ist. Er hat auf die fragwürdige Äußerung von Aydan Özoguz, der Integrationsbeauftragten
der Bundesregierung, mit einem Wort reagiert, das zum Sprachschatz des
Untermenschen gehört. Frau Özoguz hatte im Mai in einem (anfechtbaren) Beitrag
zur Leitkultur-Debatte geschrieben, dass „eine spezifisch deutsche Kultur
jenseits der Sprache schlicht nicht identifizierbar“ sei. Es gäbe eher eine
Vielzahl von Regionalkulturen, die nicht zuletzt von Einwanderern geprägt
wurden. Diese Äußerung griff Gauland auf einer Wahlkampfveranstaltung im
Eichsfeld auf und sagte seinen Zuhörern, die „vereinzelt mit Jubelrufen“
reagierten:
Ladet
sie mal ins Eichsfeld ein und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur
ist. Danach kommt sie hier nie wieder her, und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen
können.“
Dem sollte die Nahles „eins …“.
Özoguz im Unterricht und Gauland nach der „Entsorgung“
-
Die „Zeit“ untertitelte einen Kommentar zu einem Urteil für einen G-20
Randalierer wie folgt:
„Ein
Hamburger Amtsrichter setzt durch eine harte Strafe endlich ein Zeichen –
leider ein falsches.“
Ein
junger Niederländer wurde wegen „schweren Landfriedensbruchs“ und „gefährlicher
Körperverletzung“ zu zwei Jahren und sieben Monaten Gefängnis verurteilt. Die
sieben Monate hat man ihm draufgesattelt, damit die Strafe nicht zur Bewährung
ausgesetzt werden kann. Der junge Mann hatte zwei leere Bierflaschen auf einen
Polizeibeamten geworfen. Das geht nicht und gehört geahndet. Als er dann festgenommen
wurde, „leistete er Widerstand, indem er sich in die Embryonalstellung
zusammenrollte und die Muskeln anspannte“. Um darin eine „gefährliche
Körperverletzung“ zu erkennen, muss man schon viel Fantasie haben. Zur
Ergänzung: Das Strafmaß von 31 Monaten wird verhängt bei Raub, Drogenhandel und
Kindsmissbrauch in besonders schweren Fällen. Wir teilen die Meinung der SZ,
wenn sie schreibt: „Die Justiz verliert das Maß.“
An
die Adresse der gewalttätigen Demonstranten aber sei gesagt: Es wäre besser,
statt mit leeren Flaschen auf Polizisten zu werfen, ihnen zwei volle Flaschen
anzubieten.
In Bayern
(aber nicht nur da) sollen britische Verhältnisse hergestellt werden. Der Innenminister
plant eine deutlich verstärkte Videoüberwachung im Nahverkehr, in Einkaufszentren
und auf öffentlichen Plätzen. Ich werde mich hüten, hier Stellung zu beziehen,
denn auch ich bin froh, wenn man denjenigen findet, der mich auf der Treppe zur
U-Bahn runtergestoßen hat, aber die folgende Karikatur möchte ich Ihnen nicht
vorenthalten. Passt auch irgendwie zu Gauland (und Nahles) dazu!
-
Verlassen wir Deutschland - über Nordkorea! Wussten Sie schon, dass 624
Nordkoreaner mit temporären Arbeitsgenehmigungen in EU-Ländern beschäftigt
sind, abgeschottet, streng bewacht, mit einer Arbeitszeit von 62 Stunden/Woche
und 70€ Lohn im Monat? Und dass 2016 auch 54 von ihnen in Deutschland tätig
waren? Die Arbeitgeber zahlen natürlich mehr, aber das kassiert die Regierung
Nordkoreas. Irgendjemand muss ja das Nuklearprogramm finanzieren.
Und
dann gab es einige Fälle, die das Kernmandat von AI in seiner ganzen Breite
abdeckten:
- Politische Gefangene: In Venezuela wurde
nachts der Oppositionsführer Leopoldo López abgeholt. Er war zum Symbol des
Kampfes gegen die Diktatur von Nicolás Maduro geworden, der derzeit den Ruf des
Sozialismus in Lateinamerika in den Graben fährt. In China steht der Blogger
und Performer Wu Gan vor Gericht, der mit spektakulären Aktionen Todeskandidaten
und Vertreibungsopfer verteidigt und die Justiz bloßgestellt hatte. Er wolle
„Schweine schlachten“ sagte er und meinte damit „Machtmissbrauch aufdecken“.
Deshalb wählte er als Deckname das Pseudonym „Supervulgärer Schlachter“. Ihm
drohen bis zu 10 Jahre Haft.
Leopoldo
López, Wu Gan
- Todesstrafe: Im Iran wurde Alireza Tajiki
hingerichtet. Er soll 2012 einen Freund vergewaltigt und ermordet haben. Zum
Zeitpunkt der Tat war er 15 Jahre alt. Sein Geständnis war mutmaßlich der
Folter geschuldet. Die Hinrichtung von zur Tatzeit Minderjährigen ist ein
klarer Verstoße gegen UN-Konventionen, die auch der Iran ratifiziert hat.
Trotzdem sollen noch 89 minderjährige Straftäter in den Todestrakten iranischer
Gefängnisse einsitzen.
Alireza
Tajiki
- Folter: In Papua-Neuguinea ist es leicht,
eine Hexe zu werden. Da sterben die Leute nicht an Herzinfarkt oder am
Aidsvirus, da fährt ein böser Geist in einen Menschen, bevorzugt in eine Frau,
und der ist dann für den Tod verantwortlich. Und da man den Geist nicht direkt
zu fassen kriegt, wird das Medium „behandelt“ – und oft auch verbrannt.
- Verschwindenlassen: Da sind wir wieder
mitten in Deutschland. In Berlin wurde auf offener Straße der Vietnamese Trinh
Xuan Thanh, ehemaliger Parteifunktionär und Geschäftsmann entführt, mutmaßlich
vom vietnamesischen Geheimdienst. Man wirft ihm Veruntreuung öffentlicher
Gelder vor, was nicht ganz von der Hand zu weisen ist, denn er konnte seine
Geliebte immerhin im Sheraton-Hotel unterbringen. Der Hauptgrund, warum er in
Ungnade gefallen ist, dürfte aber eher darin liegen, dass er Opfer eines
Machtkampfes zwischen Reformern und China-treuen Hardlinern geworden ist. Eine
zusätzliche Pikanterie erhält das ganze, weil wahrscheinlich auch das BAMF in
die Affäre verwickelt ist. Ein Vietnamese, der dort seit 26 Jahren als
Entscheider tätig ist, könnte dem Geheimdienst nützliche Informationen aus dem
Ausländerzentralregister geliefert haben. Einer der mutmaßlichen Entführer, der
den Wagen für das Kidnapping angemietet hatte, wurde von Tschechien
ausgeliefert und sitzt in U-Haft, zwei vietnamesische Diplomaten, denen man
wegen ihrer Immunität nicht weiter an die Wäsche konnte, wurden ausgewiesen.
Trinh erschien „mit einem aufgedunsenen Gesicht“ im vietnamesischen
Staatsfernsehen und erklärte, dass er freiwillig nach Vietnam zurückgekehrt
sei. Ihm droht schlimmstenfalls die Todesstrafe.
Ein
Zwangsauftritt im Fernsehen
Sie
werden es nicht glauben, aber es gibt auch (relativ) gute Nachrichten:
-
In Chile sind 24 ehemalige Offiziere und Geheimdienstler wegen Verbrechen während
der Pinochet-Diktatur zu Haftstrafen verurteilt worden. Hat zwar 27 Jahre gedauert,
aber schneller wie wir mit unseren letzten Naziprozessen waren die Chilenen
allemal.
-
Tunesien hat am 13. August den Weltfrauentag gefeiert und punktgenau wichtige
Gesetze verabschiedet. Strafbar sind jetzt Vergewaltigung in der Ehe und
sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Abgeschafft wie in Jordanien wird auch
die „Wiedergutmachungshochzeit“, ein Begriff, der zwar klingt wie aus 1001er
Nacht, aber den unschönen Brauch beschreibt, dass der Vergewaltiger straffrei bleibt,
wenn er sein Opfer heiratet. Und der Präsident strebt eine Reform des
islamischen Erbrechts an, in dem bisher die männlichen Erbberechtigten den
doppelten Anteil bekamen. In Jordanien wurde die Strafe für Ehrenmorde verschärft:
der „schwere Zorn“ eines Mannes gilt nicht mehr als strafmildernd.
-
Freudentränen gab es am Düsseldorfer Flughafen, als die 15-jährige Nepalesin
Bivsi Rana, die vor zwei Monaten aus dem Schulunterricht geholt und zusammen
mit ihren Eltern abgeschoben worden war, wieder einreisen durfte. In Duisburg
hatten ihre Mitschüler, Lehrer und Politiker Protestveranstaltungen und Benefizkonzerte
organisiert, auf Petitionen 50 000 Unterschriften gesammelt und schließlich den
NRW-Integrationsminister weich geklopft. In drei Jahren, wenn Bivsi Abitur
macht, muss neu verhandelt werden. Der Vermieter hatte der Familie die alte
Wohnung freigehalten.
Flughafen
Düsseldorf
Bei
manchen Personen, die in diesem Bericht vorkommen, z.B. der/die Kontoauszugssammler(in),
fällt mir ein böses Wort ein: „Es gibt manche Leute, die gäbe es besser nicht.“
Aber es gibt auch die anderen, bei denen man sagt: „Es ist gut, dass es dich
gegeben hat.“ Verstorben ist Ruth Pfau, die 57 Jahre in Pakistan gewirkt hat
und maßgeblich dazu beitrug, dass die Lepra im Land 1996 erstmals unter
Kontrolle war. Der Titel eines ihrer Bücher lautete: „Wenn du die große Liebe
triffst. Das Geheimnis meines Lebens.“ Ihre große Liebe waren die Blinden und
die Kranken.
Ruth Pfau
Beschließen
möchte ich dieses Augustepos mit einem Abschnitt aus einer Glosse zum Thema
„Höflichkeit“. Sie passt auch, um wenigsten im Ansatz AI-relevant zu bleiben,
zum Burkaverbot in Österreich, das am
1.
Oktober in Kraft getreten ist.
Im
Oberland erzählt man sich vom angeblichen Lapsus eines Hotellerie-Azubis, der
mangelnde Erfahrung mit arabischen Touristinnen durch Höflichkeit kompensiert
haben soll – „Guten Abend, darf ich Ihnen die Burka abnehmen?“
September 2017
Mein Sommer ist ein Ränkespiel
Und meine Schönheit trifft ins Hirn
Mein Mal des Stolzes auf der Stirn
Ist jedem dumpfen Mann zuviel.
Die harten Seelen klopf ich weich
Mit lustvolldüstren Spinnenweben
Ich bin nicht zart und dennoch reich
An zärtlich-tiefen Liebesleben.
Sie
ahnen wahrscheinlich schon, warum wir diese Verse von Shakespeare als Einstieg
in den September gewählt haben. Nein, wir haben nicht vor – Achtung Wortspiel!
– aus dem September einen Sextember
zu machen. Und wir berichten auch nicht über das Oktoberfest, wo solche „Vorkommnisse“
des öfteren zum „Nachglühen“ gehören. Unsere „dumpfen Männer“ sind männliche
Flüchtlinge aus einigen Regionen, die bei Sexualdelikten überdurchschnittlich
oft als Tatverdächtige auffallen. Vergewaltigungen in Höhenkirchen und an einem
See bei Rosenheim, Belästigungen von Frauen auf einer Kirchweih bei Bamberg
haben eine Kriminalstatistik „unterfüttert“, die das bayrische Innenministerium
kurz vor dem Wahltermin präsentiert hat. Die ersten Zahlen waren schockierend: Im
1. Halbjahr 2017 kam es in Bayern demzufolge zu 685 Vergewaltigungen, eine Steigerung
um 48%; Flüchtlinge waren in 126 Fällen
tatverdächtig, eine Steigerung um 91%.
Die
2. Zahlen, die gab es eine Woche später, waren immer noch erschreckend, sahen aber
etwas anders aus. Man hatte im Ministerium, wissentlich oder unwissentlich, Vergewaltigungen
und sexuelle Nötigung zusammengeworfen, und so wurden aus einer Steigerung um
48% eine Steigerung um 5%, und aus den 126 Fällen tatverdächtiger Flüchtlinge,
die in Vergewaltigungen verwickelt sein sollen, deren 17. Sie sehen, dass wir
uns ein „nur noch“ gespart haben, denn das sind immer noch 17 zu viel, von den
Nötigungen ganz zu schweigen.
Aber
damit müssen wir leben: Mit den Flüchtlingen kamen nicht nur aufrechte
Familienväter, freundliche Frauen und integrationswillige Kinder, sondern auch
ein Bodensatz von Männern, die „lustvolldüster“ veranlagt oder durch die
Diskrepanz zwischen offener Gesellschaft und beengten Wohnverhältnissen kriminalisiert
worden sind. Diesem Bodensatz muss man, um im Jargon seines „Betätigungsfeldes“
zu bleiben, mit rechtsstaatlichen Mitteln „richtig an die Wäsche“. Aber eins
muss man schon noch sagen: Dass verordnete Untätigkeit durch Verweigerung oder
Entzug der Arbeitserlaubnis das Sicherheitsrisiko erhöhen könnten – das sollte
sich gerade die bayrische Regierung hinter die Ohren schreiben.
Die
„SZ“ hat in einem Leitartikel mit dem Titel „Berechtigte Sorge“ einen markanten
Schlusssatz gesetzt:
Die
Rechte der Frauen sind genauso schutzbedürftig wie die Rechte der Flüchtlinge.“
Diese
Rechte gelten gleich im Doppelpack für Nigerianerinnen, die, so die
Frauenrechtsorganisation SOLWODI, auf dem Weg nach Italien oder bereits in
ihrer Heimat von Menschenhändlern zu einem Voodoo-Schwur gezwungen werden. Der
Schwur verpflichtet sie zur Prostitution. Damit müssen sie Reise- und andere
Kosten in überzogener Höhe an die Schlepper zurückzahlen, andernfalls wird
ihnen und ihren Familien mit dem Tod gedroht. SOLWODI fordert für sie ein
Bleiberecht in Deutschland – so sie es denn bis zu uns schaffen -, weil es in
Italien kaum staatliche Hilfen gibt.
Die
Rechnung der bayrischen Staatsregierung, mit dem wahlnahen Zeitpunkt der
Veröffentlichung der Kriminalitätsstatistik und der damit verbundenen
Gegenmaßnahmen, der AfD das Wasser abzugraben, ist bekanntlich nicht
aufgegangen: Viele Bürger wollen Köpfe rollen sehen – im übertragenen und
manchmal auch im wörtlichen Sinne.
Wir
kehren in den September zurück,
wenn auch nicht zum „milden Ton des Herbstes“. Der Unruheherd des Monats war
Myanmar, wo in der Provinz Rakhine der Konflikt zwischen dem Militär und der muslimischen
Minderheit der Rohingyas eskalierte. An die 600 000 Rohingyas flüchteten nach
Bangladesch, 320 000 von ihnen Kinder, viele von ihnen traumatisiert.
Rohingya-Kinder im Flüchtlingslager
Dann
hat man bis Mitte Oktober nicht mehr viel gehört, bis Meldungen über die
katastrophalen Zustände in den Flüchtlingslagern von Bangladesch -„Eine
Toilette für Hunderte von Menschen“ – die Weltöffentlichkeit daran erinnerte,
dass Bangladesch kein reicher Golfstaat ist. Es kam zu einer UN-Geberkonferenz,
die (wider Erwarten und in atemberaubender Geschwindigkeit) 340 Millionen
US-Dollar sammelte.
Was
war geschehen? Im August hatten radikale Rohingyas, die sich ironischerweise
„Salvation Army/Heilsarmee“ nennt, eine Reihe von Polizeistationen angegriffen
und mehrere Sicherheitskräfte getötet. Das Heil brachten sie nicht, denn für
das Militär war das eine günstige Gelegenheit, um die Jagdsaison auf die
Rohingyas zu eröffnen. Es wurde gemordet, vertrieben und niedergebrannt. Die
buddhistische Mehrheitsgesellschaft hatte nichts dagegen, denn die „Bengalis“,
wie die Rohingyas in Myanmar genannt werden, werden als Fremdkörper der
Gesellschaft gesehen, obwohl sie schon seit mehr als 200 Jahren im Lande sind. Die
„Räumungsoperation“ des Militärs ging so gründlich vonstatten, dass der
UN-Hochkommissar von einem „Paradebeispiel für ethnische Säuberungen“ sprach.
Im
Zuge dieser Ereignisse büßte eine Ikone ihren Glanz ein, die als
„Paradebeispiel ethischer Sauberkeit“ gegolten hatte, die de-facto
Regierungschefin Aung San Suu Kyi. Zunächst hüllte sich die Lady in vornehmes
Schweigen, dann redete sie die Not der Rohingyas klein: Es habe (seit einiger
Zeit) keine „Säuberungsoperationen des Militärs mehr gegeben, und mehr als 50
Prozent der Dörfer von Muslimen seien noch „intakt“. Und als ihr endlich das
Wort Menschenrechte über die Lippen kam, überging sie schamhaft die Rolle des
Militärs und stellte die (eher rhetorische) Frage, was zu dem Exodus nach Bangladesch
geführt habe. Aber wenn auch nur die Hälfte der Gräuelgeschichten wahr sind,
welche die Flüchtlinge erzählen, ist die Antwort klar: „It’s the army,
stupid./Es ist die Armee, du Blödian.“
Im
November schwieg sich auch die Organisation südostasiatischer Staaten/Asean zu
den Rohingyas aus. Es wurde zwar Hilfe für „betroffene Gemeinden“ in der
Fluchtregion gefordert, aber den Namen der Volksgruppe vermied man wie der
Teufel das Weihwasser. Kurz darauf besuchten westliche Außenminister ein
Flüchtlingscamp. Ein sichtlich betroffener Sigmar Gabriel sprach von einer „katastrophalen
Lage“ und machte spontan weitere 20 Millionen Soforthilfe locker. Wenige Tage
später wurde zwischen Bangladesch und Myanmar eine Absichtserklärung
unterzeichnet, die vorsieht, dass Rohingyas nach Myanmar zurückkehren dürfen,
wenn sie ein Papier unterschrieben, dass sie freiwillig zurückkehrten, und zwar
in ihre Heimatdörfer - von denen einige abgefackelt worden waren. Eine
Bestätigung, dass sie auch freiwillig geflüchtet seien, hat man ihnen (bisher)
noch nicht abverlangt. Wie schon der Name „Absichtserklärung“ besagt: Es bleibt
abzuwarten.
Die Kurznachrichten
- Obwohl
genetisch ein halber Niederbayer bin, hat das Wahlergebnis
der AfD meine heiße Liebe zu dieser Region etwas abgekühlt. Die haben ja in
Deggendorf mehr Stimmen bekommen als in Bayrischzell, Fischbachau und
Irschenberg. Und das will was heißen! Ich will aber hier keine politische
Analyse betreiben, sondern eine Verkäuferin in Deggendorf zitieren, die (angeblich)
nicht selber AfD gewählt hat, aber genau weiß, warum sie fast 18 Prozent der
Zweitstimmen geholt hat. „It’s the refugees, stupid!“ Und es ärgert halt die
Leute, „dass die
Afrikaner Markenunterwäsche tragen, Calvin Klein, das habe sie selbst gesehen.
Bei denen säßen die Jeans so weit unten.“
Wo
Deggendorfer Verkäuferinnen den lieben langen Tag so hinschauen!
-
Fake News über Bekleidung ist auch das Bild zu „Burkas in Deutschland“, das
seit 2016 auf rechten Seiten kursiert.
Deutschland im Jahre 2050
Ist
gut gemacht, zeigt aber in Wahrheit – leere Bussitze.
-
Weiter geht’s mit unserem Shitstorm gegen (böse)
Facebook-Nutzer. Da hat einer von ihnen der Grünen Renate Künast gepostet, dass
„man dich köpfen sollte“. Das ist an sich die Aufforderung zu einer Gewalttat
und somit strafbar. Frau Künast hat Anzeige gestellt, die von der Berliner
Staatsanwaltschaft wie folgt abgelehnt wurde: Die in Rede stehende Äußerung sei
zwar abstoßend, sie lasse aber nicht erkennen,
„dass
ihr ehrbeeinträchtigender Charakter von vornherein außerhalb jedes in einer
Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes stand“.
Ich
verstehe das einerseits nicht, aber andererseits so, dass man sie köpfen darf.
- Irgendwie
passt dazu, dass das Bundesverwaltungsgericht dem Oberbürgermeister in
Düsseldorf verboten hat, während einer fremdenfeindlichen Demo das Licht im
Rathaus und an öffentlichen Gebäuden abzuschalten. Man sollte nicht urteilen,
ohne die Urteilsbegründung zu kennen, aber man fühlt sich doch an Zeiten
erinnert, wo Vertreter der deutschen Justiz auf dem rechten Auge blind waren,
-
Mehr Glück mit der Justiz hatte da der Erzbischof von Bamberg. Ein Facebooker
hatte gepostet, dass „dieses ganze Politiker- und Pfaffengesindel korrupte
Verbrecher seien und liquidiert gehöre“. Er wurde zu einer Geldstrafe von 4000,-€
verdonnert. Ein bisschen gemeinnützige Arbeit zusätzlich, z.B. als Ministrant,
hätten auch nicht geschadet.
-
Recht bekommen hat AI durch einen UN-Bericht, der dem deutschen Staat vorwarf,
zu wenig gegen den „Alltagsrassismus“ zu tun, dem v.a. Menschen afrikanischer Herkunft
ausgesetzt sind. Ich stand ja, wie schon einmal erwähnt, der Rassismuskampagne
von AI im Jahre 2016 etwas skeptisch gegenüber, weil auch harmlose Fragen wie
„Woher kommen Sie?“ als potentiell rassistisch gewertet wurden. Aber wenn’s
sogar die UN sagt, wird schon was dran sein.
-
In Moskau ist mit großem Tamtam ein Denkmal für Michail Kalaschnikow enthüllt
worden. Sein Sturmgewehr hat Russland schon viele Devisen eingebracht. Es ist
so leicht zu bedienen, dass es Warlords gerne auch Kindersoldaten in die Hand
drücken. Ob Kalaschnikow deswegen schon „die beste Verkörperung des russischen
Menschen darstellt“, wie der Kultusminister bei der Einweihung sagte, wagen wir
zu bezweifeln. Da es uns selten gelingt, auch moderne Kunst in unseren Bericht
einzubauen, möchten wir Ihnen das Denkmal nicht vorenthalten.
Was
Sie auf dem Foto nicht sehen können, ist eine Leerstelle zu Füßen des Denkmals.
Da befand sich unter den diversen Kalaschnikow-Modellen auch der Bauplan des
deutschen Sturmgewehrs 44, mit dem die Wehrmacht in den Krieg gegen die
Sowjetunion gezogen war.
-
Zum Thema „Krieg“ passt auch die Karikatur, die Papst Franziskus auf seinem Besuch
in Kolumbien zeigt.
Papst Franziskus auf dem Kreuzweg in Kolumbien
Das
Land ist auf einem guten Weg zu einer „wichtigen Neuerung, es mit einem Leben
in Frieden zu probieren“. Der Papst hat es geschafft, Täter und Opfer in einem
Gespräch zusammenzubringen, aber die Gegner des Friedensprozesses (im
Hintergrund links) beharren auf ihrer Version von „Wahrheit und Gerechtigkeit“,
die da heißt: „die Guerilla ins Kittchen“. Ein Wunder hat sein Besuch in jedem
Fall bewirkt: Am Tage seiner Ankunft in Bogotá ist in der Stadt niemand
ermordet worden.
-
In Tunesien legte die Regierung in Sachen Frauenrechte noch eins drauf. Die Muslimas
im Lande dürfen jetzt einen Nicht-Muslim zum Mann nehmen, ohne dass er vorher
zum Islam konvertieren muss. Muslimischen Männern stand es natürlich frei, eine
andersgläubige Frau zu ehelichen. Was sagen konservative Kleriker zu dieser
Neuerung? Sie sind dagegen, weil sie meinen, dass ein muslimischer Mann seiner
Frau ihren Glauben ausleben lässt. Dese Toleranz sei von einem
nicht-muslimischen Mann nicht zu erwarten. Da muss man erst mal draufkommen.
-
Die wichtigste Meldung für Frauen und die deutsche Autoindustrie kommt aus Saudi-Arabien:
Ab Juni 2018 dürfen Frauen in diesem Lande Auto fahren. Es war allerdings nicht
herauszufinden, ob sie auch ohne männliche Begleitung ans Steuer dürfen. Saudische
Männer posten (präventiv) unter dem Hashtag „Fahr, aber ramm’ mich nicht“ Fotos
von schweren Unfällen, aber Kenner der Verkehrsszene erwarten einen deutlichen
Rückgang der Unfallziffer, die in Saudi-Arabien bisher extrem hoch (weil
ausschließlich männlich) ist.
Frau am
Steuer – endlich!
Wir wünschen Gute Fahrt.
Oktober 2017
Den
Monat Oktober stellen wir zunächst unter das Motto „Das gibt’s doch nicht!“
bzw. unter seinen Gegenläufer „Und ob’s des gibt!“ Begleiten Sie uns auf einer
Reise von Peking nach Holzkirchen, über Zwischenstationen, die von schrecklich
bis kurios reichen, aber selten erfreulich sind.
-
China rühmt sich seit neuestem seiner „aufgeklärten Demokratie“ und betrachtet
das westliche System als „altersschwach“. Und altersschwach sind für die
chinesischen Behörden auch unsere Vorstellungen von Menschenrechten und von der
Zensur. Aber anstatt unser natürliches Ableben abzuwarten, geht Peking
aggressiv gegen den Westen vor. Wenn der UN-Menschenrechtsrat in Genf über
China redet, werden Zeugen eingeschüchtert und Experten ausgeschlossen,
australische Universitäten werden mit Geld und Ideologie überschwemmt, und
westliche Verlage werden gezwungen, kritische Artikel auf ihren chinesischen Webseiten
zu entfernen. So hat beispielsweise der deutsche Verlag Springer Nature Themen
wie Tibet, Kulturrevolution oder das Tianmen-Massaker von seiner Webseite
tilgen müssen. Und was im Netz nicht mehr einsehbar ist, hat bekanntlich nicht
stattgefunden.
-
Beim Stichwort „Massaker“ sind wir in Las Vegas gelandet. Dort hat ein
Psychopath 59 Menschen bei einem Musikfestival erschossen. Die Reaktion auf
diese Gewalttat war in Teilen sehr amerikanisch. Obwohl eine knappe Mehrheit
der US-Bürger schärfere Waffengesetze befürwortet, nannte Trumps Sprecherin die
Debatte „verfrüht“, verloste eine Freikirche im Bundesstaat Mississippi als
Hauptgewinn zwei AR-15 Sturmgewehre, die auch im Arsenal des Todesschützen
vertreten waren, und tauchte natürlich wieder das (namensgerechte)
Totschlagargument auf: „Gegen einen schlechten Menschen mit einer Waffe hilft
nur ein guter Mensch mit einer Waffe.“ Aber dann kam es zu einer kleinen
„Revolution“: Die „nationale Waffenvereinigung/NRA“, die Weltmeister des
Lobbyismus, sprach sich für „zusätzliche Beschränkungen“ bei so genannten Bump
Stocks aus, Vorrichtungen, die aus halbautomatischen Waffen Maschinengewehre
machen.
Bump stock
– selbstgebaut
-
Aber bevor wir Deutsche von unserem moralischen Hochsitz auf die Amerikanerhinunterschauen,
sollten wir uns dem Bericht der Heimatzeitung zuwenden, die der Eröffnung des
Schießkinos in Irschenberg immerhin eine halbe Seite gewidmet hat. Da können in
einem Raum „Jäger und Polizisten realitätsnah ihre Treffsicherheit trainieren.
Und das sogar mit scharfer Munition“. Problematischer ist der andere Raum. Da
können Laien auch ohne Waffenschein mit Lasergewehren spielen. Hoffen wir, dass
sie dabei nicht auf den Geschmack kommen! AI-Lk Miesbach jedenfalls wird einer
(noch zu gründenden) IRA/Irschenberger Rifle Association nicht beitreten.
-
Der Übergang ist zugegeben etwas hart, aber auf Malta wurde nach Mafia-Art eine
Journalistin ermordet, die ihre Nase in Korruption, Steuerhinterziehung, Geldwäsche,
Drogenhandel und Prostitution gesteckt hatte, alles Bereiche, wo die
„ehrenwerte Gesellschaft“, aber auch gewisse Politker, nicht gerne gestört
werden. Das Auto von Daphne Caruana Galizia wurde in die Luft gesprengt. Auch
in Europa gibt es noch politische Morde. Und die Mafia hat einen großen
Briefkasten auf dem Steuerparadies Malta, zusammen mit 70 000 anderen Firmen.
Daphne
Caruana Galizia – ein Sterbebild
Im
Dezember hat man dann zehn Verdächtige festgenommen, aber sieben von ihnen gegen
Kaution gleich wieder freigelassen. Man geht davon aus, dass es sich bei den
drei im Knast Verbliebenen möglicherweise um die ausführenden Täter handelt.
Die Drahtzieher des Anschlags bleiben unbekannt; wahrscheinlich haben sie die Kautionen
bezahlt.
-
In Indien hat ein Gericht ein mutiges Gesetz gegen Kinderehen erlassen. Wenn
ein Mann mit seiner minderjährigen Braut/Frau (?) Sex hat, wird das als
Vergewaltigung gewertet. Sie wird damit einem unverheirateten Mädchen
gleichgestellt, das bei einer Vergewaltigung vor Gericht gehen kann. Man
erhofft sich durch das Urteil eine abschreckende Wirkung auf Kinderehen, die
zwar rechtlich untersagt sind, deren Verbot aber vielfach unterlaufen wird, da
es vom Staat nicht durchgesetzt wird und hanebüchene Traditionen entgegenstehen.
So gibt es einen (von Klerikern propagierten) Hinduglauben, dass „die Familie
besonderen göttlichen Segen erfährt, wenn die Tochter noch vor der Menstruation
verheiratet wird“. Für die Mädchen wird der „göttliche Segen“ oft zum
lebenslangen Trauma.
-
Politische Gefangene gibt es für uns Deutsche anderswo – „weit hinten in der Türkei“.
Wenn es da nicht Mehmet Yesilcali gäbe, der seit insgesamt zweieinhalb Jahren
in Untersuchungshaft ist und derzeit mit neun Gesinnungsgenossen in der JVA
Stadelheim einsitzt, weil sie Mitglieder der türkischen kommunistischen Partei sind,
die bei uns zwar vom Verfassungsschutz beobachtet wird, aber nicht verboten
ist. Yesilcali wurde in der Türkei gefoltert, in Stadelheim scheint er
gesundheitlich „am Ende“ zu sein. Die Psychiaterin vom Behandlungszentrum
Refugio hat ihre Tätigkeit aufgegeben, da sie „das Risiko eines Suizids nicht
auf sich nehmen möchte“. Das OLG München soll klären, ob die Partei eine gefährliche
Terrororganisation ist, aber das hätte man doch seit dem Prozessbeginn vor eineinhalb
Jahren hinkriegen müssen. Nach Ansicht vieler Ermittler „ist der Prozess fragwürdig,
weil es sich um kleine Fische handelt und weil die Beweislage dünn ist“.
-
Die Münchner Polizei ärgerte sich, dass ihre Wiesn-Bilanz von einem Tweet verdreht
wurde. Da spricht man von einer Zunahme der Raubdelikte um 700%, verschweigt
aber die absoluten Zahlen: Es war ein
Delikt 2016 und acht Delikte in diesem
Jahr; das wären dann sogar 800%. Beim Anstieg der Sexualdelikte, wen wundert
das, hat der Tweet ähnlich unsaubere Zahlen ausgespuckt.
- Wie
hätte da die Grüne Renate Künast reagiert, die zu den bevorzugten Zielscheiben
der Fakerszene gehört? Die hat einige ihrer Faker ausfindig gemacht und dann
bei ihnen geklingelt. Und „manchmal wurden es richtig gute Gespräche“. Chapeau,
Frau Künast!
- Der
Schriftsteller Dogan Akhanli, türkischstämmig aber deutscher Staatsbürger,
wurde zwei Monate in Spanien festgehalten, weil sich Interpol unbedarft (oder
auch nicht) vor den Karren Erdogans spannen ließ. Die spanische Justiz hat der
Jagd der Türkei auf den linken Aktivisten (fürs erste) ein Ende gesetzt und den
Auslieferungsantrag abgelehnt. Der Empfang Akhanlis in Düsseldorf wurde von
einem Zwischenfall überschattet: Ein Mann ruft ihm auf türkisch
„Vaterlandsverräter“ zu. Ein AI-Mitglied kommentiert die Szene auf bayrisch:
„Dann soll er halt runtergeh, wenn der Erdogan an Job für eahm hot.“ Der Rest
der Gruppe hat volles Verständnis für diese fremdenfeindliche Äußerung.
Unsere
Interpol-Schelte müssen wir allerdings relativieren, denn schon 2014 hatte die
Behörde alle Staaten aufgefordert, Fälle von politischer Verfolgung zu melden.
Dann würde man diese von der Fahndungsliste streichen. Aus Deutschland aber kam
nichts, obwohl man wusste, dass die türkischen Vorwürfe gegen Alkanli
(„Raubüberfall auf eine Wechselstube“) fingiert waren.
-
Ich habe Ihnen am Anfang eine „Reise bis Holzkirchen“ versprochen. Und da
landen wir beim Kuhglockenstreit. Den wollen wir nicht weiter kommentieren,
aber die Karikatur dazu ist gar zu schön. So richtig reinpassen tut sie leider
nicht, denn der Großteil der vorausgegangenen Meldungen wird durch das Wort
„Rindvieh“ nicht abgedeckt. Aber sie liefert Entspannung!
Entspannung
gab es auch „weit hinten in der Türkei“. Der Prozessauftakt gegen Peter
Steudtner, die zwei AI-Aktivisten und die anderen Menschenrechtler begann und endete
mit einem Paukenschlag des Staatsanwalts. Er verfügte die Freilassung
der(meisten) Angeklagten „unter Auflagen“, aber überraschenderweise
beinhalteten die Auflagen kein Ausreiseverbot, sodass die beiden Ausländer
ausreisen durften. Zur Fortsetzung des Prozesses im November waren sie zwar
vorgeladen, aber da haben sie sich aus sicherer Entfernung aufs Daumendrücken
beschränkt.
Weniger
gut verlief diese Fortsetzung für ihre türkischen Mitangeklagten. Taner Kilic
bleibt in U-Haft, obwohl seine Verteidiger die Vorwürfe gegen ihn „minutiös
zerlegten“, und auch die anderen Angeklagten müssen am 31. Januar 2018 zur 3.
Runde antanzen. Für Kilic, der beschuldigt wird, die Gülen-lastige App ByLock
auf seinem Handy zu haben, muss sich die türkische Justiz etwas Neues einfallen
lassen, denn im Januar 2018 stellte sich heraus, dass man ByLock ohne Wissen
der User auf deren Geräte installiert hatte. Die 1800 Beamten, die man gefeuert
und inhaftiert hatte, sollen innerhalb von zehn Tagen auf ihre Posten zurückkehren
dürfen – aber ohne Haftentschädigung, versteht sich. Mal sehen, welches
Vergehen man jetzt für Kilic aus dem Hut zaubert!
Steudtner
ist frei
Jetzt
ist es aber an der Zeit, das „Wunder von Istanbul“ zu erklären. Da hat nämlich
Altkanzler Gerhard Schröder seine guten Beziehungen zu Erdogan spielen lassen,
und der hat dem Staatsanwalt etwas ins Ohr geflüstert. Wen wundert es deshalb,
dass man sich in Deutschland fragt, was der Altkanzler auf dem Altenteil
verloren hat, bzw. ob er als Aufsichtsratsvorsitzender bei Rosneft zur Gänze
ausgelastet ist? Der Karikaturist hätte da schon einen Vorschlag:
Oder
könnte man ihn als Vermittler einsetzen, wenn es doch noch (einmal) zu Verhandlungen
über eine Jamaika-Koalition kommt? Als SPD-Mann wäre er ja neutral genug.
Und
er hätte bei seinem Besuch gleich noch bei zwei anderen deutschen Staatsbürgern
vorbeischauen können, die seit mehreren Monaten festgehalten werden, Deniz
Yücel und Mesale Tolu. Frau Tolu hat einen ergreifenden Brief an ihren
zweijährigen Sohn geschrieben, der mehrere Monate mit ihr in einer Sammelzelle
lebte.
„Egal
unter welchen Umständen wir unser Leben in Zukunft führen werden, ob
eingesperrt oder in Freiheit, ich werde immer bei dir sein und alles Mögliche
tun, damit du glücklich bist. … Womöglich wirst du dich an diese Zeiten (im
Gefängnis) nicht erinnern können. Dass du mit Plastikflaschen Bowling gespielt
… und aus Brot Figuren geknetet hast. Daher hoffe ich, dass wir irgendwann
diesen Brief gemeinsam lesen und uns über dieses ‚Erlebnis’ unterhalten werden.“
In
der Flüchtlingspolitik war die „Obergrenze“ das Wort des Monats. Nur so benannt
durfte sie nicht werden, da wurde fröhlich rumgeeiert: Im Kompromisspapier der
Union war von einer „Zahl von 200 000 Menschen“ die Rede, die Grünen sprachen
in den Sondierungsgesprächen gar von einem „atmenden Rahmen“. Da blieb uns die
Luft weg.
Wo Obergrenzen wirklich nötig wären, hat ein
Leserbriefschreiber aufgelistet:
„Obergrenzen
für Managergehälter und Banker-Boni;
Obergrenzen
für Transfersummen im Fußball;
Obergrenzen
für Mieten;
Obergrenzen
für Raser;
Obergrenzen
für Schadstoff-Emissionen aller Art.“
Und
was tut man dann mit Flüchtlingen, die nicht zählen können oder wollen?
Und
da in diesem Bericht der Oktober schon wieder mehrere Seiten umfasst, sei auch
hier eine Obergrenze gesetzt.
November 2017
Gar
„garstig“ kann das Wetter im November sein. Das Wort hieß ursprünglich „ranzig,
verdorben“ und hat mit seinem Bedeutungswandel zu „widerwärtig, ekelhaft,
unfreundlich“ seine Reputation eher noch verschlechtert. Das Wort versteht
heute kaum noch jemand, aber die Wirklichkeit, die es beschreibt, ist
allgegenwärtig. Und so wollen wir mutig den Monat mit der Rubrik „Garstiges aus
dem In- und Ausland“ beginnen, nicht weil wir eine obsessive Lust auf die
Schattenseiten des Daseins haben, sondern weil wir an Ereignisse erinnern
wollen, die man aus Gewissensgründen oder aus Interesse an politischer Hygiene (was
immer das heißen mag) nicht so schnell vergessen sollte.
Beginnen
wir mit dem Ausland:
- Ein
Ableger des IS tötete im Nordsinai bei einem Anschlag auf eine Moschee 235
Menschen. Der Angriff galt den Sufisten, die von sunnitischen Extremisten als Ungläubige
betrachtet werden, mutmaßlich auch deswegen, weil im Sufismus pazifistische
Strömungen vertreten sind. Und mit Pazifismus hat der
IS bekanntlich nichts am Turban.
Was von
den Opfern übrig blieb
- Religiöser
Fanatismus hat in Pakistan Justizminister Zahid Hamid zum Rücktritt gezwungen. Er
wollte damit seiner Ermordung wegen Gotteslästerung zuvorkommen. Den Rücktritt
kann man ihm also nicht verdenken! Man hatte Hamid vorgeworfen, aus dem Antrittseid
der Parlamentarier das Wort „Mohammed“ herausgestrichen zu haben. Das war eine Falschmeldung,
in Wirklichkeit sollte der Kandidat den „Glauben an die uneingeschränkte Finalität
des Prophetentums Mohammads“ nicht mehr „schwören“ sondern nur noch „erklären“,
aber sie genügte, um Pakistan in eine Staatskrise zu treiben. Von der Relevanz
des Problems her gesehen, wird der Christ an eine Frage erinnert, die man
Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert unterschoben hat: Wie viele Engel passen
auf eine Nadelspitze? Es gab keine finale Antwort, aber zum Rücktritt wurde
Thomas nicht gezwungen.
- Präsident
Trumpel hat seinem Namen wieder einmal alle Ehre gemacht. Die Zusammenkunft mit
dem philippinischen Staatschef Duterte ähnelte dem Treffen zweier Komplizen.
Als Duterte von seinem Drogenkrieg berichtete, der mit unglaublicher Brutalität
geführt wird, soll Trump „vor allem mitfühlend genickt“ haben. Das Mitgefühl
galt sicher nicht den Opfern. Die einzige „Unstimmigkeit“ ereignete sich
zwischen den Pressesprechern. Trumps Sprecherin glaubte gehört zu haben, der
Präsident habe im Zusammenhang mit dem Drogenkrieg die Menschenrechte „kurz“
angesprochen, was ihr aber sofort den Widerspruch ihres philippinischen Kollegen
einbrachte:
„Es
gab keine Erwähnung von Menschenrechten. Es gab keine Erwähnung von außergerichtlichen
Hinrichtungen.“
Trotz
dieses Freud’schen Versprechers, dann gibt es ja „außergerichtliche Hinrichtungen“,
glauben wir eher dem Philippinen als der Sprecherin
von Trump.
Gruppenbild
mit Dame
-
Die VW-Tochter in Brasilien soll der Militärdiktatur (1964-1985) zugearbeitet
haben. Man habe die Gesinnung von Mitarbeitern ausspioniert, die Ergebnisse dokumentiert
und dann der politischen Polizei zugespielt. Der Werkschutz habe politische
Verhaftungen auf dem Werksgelände zugelassen, auch wenn kein Haftbefehl vorlag.
Der Konzern sei dazu nicht gezwungen worden, sondern „habe mitgemacht, weil er
das so wollte“. Wenn mein Volkswagen jetzt auch noch einen Diesel wäre, müsste
ich ihn glatt zurückgeben!
„Garstigkeiten“,
Seehofer würde sagen „Schmutzeleien“ gab es aber auch im Inland:
-
Am Münchner Hauptbahnhof machten zwei Italiener Scherzfotos von einem schlafenden
Obdachlosen, zündeten dann seine Plastiktüte an und hauten ab, als das Feuer
auf seine Kleidung übergriff. Im letzten Moment wurde er von Passanten
gerettet. Gefasst wurden die Zündler, als die Polizei die Bilder der Überwachungskameras
veröffentlichte. Wir halten es ja eher mit der Privatsphäre, aber, wie gesagt, in
einem solchen Falle muss man wohl akzeptieren, dass an öffentlichen Plätzen ein
„großer Bruder“ über uns wacht. Die Täter gaben an, nur „aus Jux und Tollerei“
gehandelt zu haben.
- Politisch
aufgeladen war eine Tat, die sich in Altena/NRW ereignete. Der dortige Bürgermeister
Andreas Hollstein wurde durch eine Messerattacke verletzt. Sein Angreifer
schrie: „Sie lassen mich verdursten und holen 200 Flüchtlinge nach Altena.“ Die
Stadt hatte ihm das Wasser (nicht aber den Alkohol) abgedreht, und er machte
dafür die Flüchtlinge verantwortlich. Altena hatte im Sommer 2015 freiwillig
100 Menschen über die Zuteilungsquote hinaus aufgenommen und erhielt im Mai
2017 den „Nationalen Integrationspreis“. Beim Täter hat die Integration
offensichtlich nicht funktioniert.
- Unbelehrbar
und unbedarft ist eine alte Dame aus Vlotho bei Bielefeld. Ursula Haverbeck
hatte mehrmals den Holocaust geleugnet und wurde nach einem Slalomlauf durch
mehrere Gerichte in Detmold zu 14 Monaten Haft wegen Volksverhetzung verurteilt.
Geld scheint sie genügend zu haben (oder zu bekommen), denn sie wird erneut in
Berufung gehen. Die Dame ist 89 Jahre alt, damit fällt als Alternative zum Gefängnis
der Sozialdienst aus, aber ein Pflichtbesuch im KZ Bergen-Belsen (auf eigene
Kosten!) würde sie zwar nicht bekehren, aber vielleicht doch ein bisschen
irritieren.
Auf
dem Foto schaut sie aus wie eine ergraute BdM-Führerin, deshalb ziehen wir es
vor, Ihnen die „Polit-Putze“ Irmela Mensah-Schramm zu präsentieren, die seit
nunmehr 30 Jahren in Berlin Nazi-Schmierereien entfernt oder übersprüht.
Irmela in
Aktion
- Die
deutschen Innenminister haben für sich und eine Flüchtlingsgruppe neben Afghanistan
ein weiteres sicheres Urlaubsgebiet entdeckt. In Regionen wie um Aleppo/Syrien
sei es „mittlerweile wieder relativ sicher“. Man könne sich also auf „den
Einstieg in den Ausstieg aus dem generellen Abschiebestopp für Syrer“ einstellen.
Und auch die Sache mit der Familienzusammenführung lässt sich ohne weitere
„Überfremdung“ lösen, denn, so die CSU-Politiker, denen es um die rechte Flanke
geht, die Syrer, die bei uns angekommen sind, „könnten doch jederzeit zu ihren
Familien zurückkehren, der Krieg sei ja praktisch aus“.
Dazu
meint ein bissiger Kommentar in der „SZ“:
„Wenn
man das hört, dann kriegt man richtig Ehrfurcht vor den Vätern des
Grundgesetzes, die Moral und christliche Werte selbst in Zeiten hochgehalten
haben, als ihr Land völlig am Boden lag.“
Die Kurznachrichten
- Auch
wenn es derzeit auch im Vatikan rundgehen soll, wird Papst Franziskus doch erleichtert
gewesen sein, nach seiner heiklen Asienreise wieder in seinem römischen Gästehaus
gelandet zu sein. Die Reise führte ihn zunächst nach Myanmar, wo er mit einem
Problem konfrontiert wurde, dass man sonst nur von Film und Bühne kennt. Er
durfte nämlich ein Wort mit einem bestimmten Anfangsbuchstaben, in diesem Falle
das R-Wort, nicht verwenden, eine Zensurmaßnahme, die einem Direktsprecher wie
Franziskus gar nicht behagen dürfte. Gebeten darum hatten ihn auch die dortigen
Kirchenvertreter, die Angst hatten, die Buddhisten würden dann über die
Christen herfallen. Immerhin sprach er von der „Achtung der Identität jeder ethnischen
Gruppe“. Deutlicher wurde er erst in Bangladesch, wo er nach einem Treffen mit
Rohingyas den Satz produzierte, der ihm in Myanmar im Hals stecken geblieben
war: „Die Anwesenheit Gottes heißt heute auch Rohingya.“
Merke:
Auch ein Franziskus muss manchmal diplomatisch sein, und Buddhisten sind auch nicht
mehr so friedfertig wie ihr Ruf.
-
Im Gegensatz zu Franziskus hat eine Handvoll Tibet-Aktivisten bei einem Fußballspiel
in Mainz Flagge gezeigt, und zwar die von Tibet. Und das bei einem Spiel der
chinesischen U-20 Mannschaft. Die verließ daraufhin den
Platz und kehrte erst zurück, als die Fahnen wieder eingerollt waren. Zur
Strafe verlor sie das Spiel mit 3.0. Und der DFB hat die restlichen Spiele abgesagt.
Dazu
passend „das Rätsel von Weimar“: Die Stadt hatte im Juni dem zu lebenslanger
Haft verurteilten Uiguren Ilham Tohti den Menschenrechtspreis verliehen.
Postwendend brachte die chinesische Botschaft in Berlin ihr „höchstes
Missfallen“ zum Ausdruck und forderte die Rücknahme der Entscheidung. Als
Weimar nicht klein beigab, setzte man die Hacker in Marsch und die Webseite,
auf der Preis und Preisträger beschrieben war, wurde gelöscht. Das Netz für die
eigene Bevölkerung zu sperren und es weltweit zu bedrohen, sind für China die
zwei Seiten derselben Medaille.
Wenn
man so sieht, wie China sich anschickt, den Westen in Sachen Meinungsfreiheit
feindlich zu übernehmen, dann wünscht man sich nicht den Bau der Seidenstraße
bis zum Hafen von Düsseldorf, sondern die Erhöhung der Mauer um China herum –
auch wenn das die deutsche Industrie gar nicht gerne hört.
-
In Simbabwe ist der Langzeitherrscher Robert Mugabe vom Militär und vom
Ex-Vizepräsidenten Mnangagwa weggeputscht worden. Um Mugabe ist es nicht schade,
aber für die Nachfolge gilt das Motto der Bremer Stadtmusikanten -„Etwas Besseres
als den Mugabe findest du überall“ leider nicht. Der Vizepräsident hat den
Beinamen „das Krokodil“ und war in den 80er Jahren verantwortlich für ein
Massaker mit Tausenden von Toten. Und seine Clique ist genauso scharf auf Beute
wie Mugabes Frau Grace, der man die Beinamen „Gucci Grace“ und „First Shopper“
verliehen hat. Es ist bis jetzt ein „Putsch unter Dieben“.
-
Vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag kamen gleich zwei Nachrichten, die
von AI und den Hinterbliebenen der Opfer (wenn auch nicht von den Tätern) positiv
bewertet werden. Ratko Mladic, verantwortlich für das Massaker von Srebrenica (1995),
wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Witwen reagierten mit dem Siegeszeichen,
In
Serbien hingegen werden nach den Kriegsverbrechern bereits Gebäude benannt. Der
Weg des Landes nach Europa ist noch weit.
Ein
hartes Ende nahm die Bestätigung des Urteils gegen den bosnisch-kroatischen
General Slobodan Praljak, dem man u.a. die Verantwortung für die Misshandlung
von bosnischen Gefangenen und die Zerstörung von Kulturgut (Brücke von Mostar)
vorgeworfen hatte. Er nahm vor laufenden Kameras ein Fläschchen mit Zyankali
und starb im Krankenhaus. Das kroatische Parlament legte für ihn (aber auch für
die Kriegsopfer) eine Schweigeminute ein.
-
Erfolgreicher als ihr Verein waren zwei Fans von 1860 München, die sich bis um
europäischen Gerichtshof hochklagten, weil sie 2007 von nicht identifizierbaren
Polizisten verprügelt worden waren – in ihren Augen grund- und schuldlos. Der
Gerichtshof forderte jetzt die Kennzeichnung von Polizisten durch Nummern an
ihren Uniformen, eine Forderung, die AI seit mehreren Jahren erhebt und in acht
Bundesländern praktiziert wird. Der Innenausschuss des bayrischen Landtags
Bayern lehnte (mehrheitlich) ab mit der Begründung, dass jeder Polizeieinsatz
sowieso lückenlos dokumentiert werde. Dabei hatte Straßburg auch moniert, dass
beim Einsatz von 2007 „die entscheidenden Videobänder verschwunden seien“.
-
Die #MeToo-Debatte ist von Hollywood jetzt auch auf Deutschland übergeschwappt,
und auch bei uns zeigte sich, dass viele Übergriffe gegen Frauen geschluckt und
unter den Teppich gekehrt wurden, dass Männer sich bei Witzen auf die Schenkel
klopften, über die Frauen ganz und gar nicht lachen konnten. Aber wenn die
feministische Theologie auch nur zur Hälfte Recht hat, droht uns Männern beim
Jüngsten Gericht eine böse Überraschung.
- In
München fand eine AI-Veranstaltung „Poeten für die Menschenrechte“ statt, wo
auch ein Gedicht gelesen wurde, das es wert wäre, beim Volkstrauertag rezitiert
zu werden.
Kriegerdenkmal
Weißt
du noch? fragt die alte Frau.
Weiß
ich noch was? fragt das Kriegerdenkmal.
Meine
Tränen damals, sagt die alte Frau.
Was
für Tränen? fragt das Kriegerdenkmal.
Ach,
vergiss es! sagt die alte Frau.
Hab
ich doch schon! sagt das Kriegerdenkmal.
Damit
sei der „garstige“ November 2017 abgeschlossen. Im Denglischen würde man sagen:
„Er ist good wider.“
Dezember 2017
Wenn
Sie sich jetzt bei der Lektüre erhoffen, dass wir Sie in Weihnachtsstimmung
versetzen, müssen wir Sie enttäuschen. Aber wir werden versuchen, die Nachrichten
wieder einmal abzustufen – von ganz schlimm über schrecklich bis lächerlich.
Zu
Beginn ein Zitat aus der „Zeit“:
„Die
Szene ist nur eine halbe Minute kurz, und doch lang genug, um einen Abgrund zu offenbaren.
Ein Video, in Libyen bei Nacht gedreht. In der Dunkelheit steht eine Gruppe
afrikanischer Männer. Auf der Schulter des einen landet die Hand eines
hellhäutigen Mannes. Er sagt auf Arabisch: ‚Große, starke Jungs für die
Feldarbeit.’ …“
Sie
ahnen es schon. Wir sind wieder auf einem Sklavenmarkt. Die Sklaverei wurde ja
immer wieder spektakulär abgeschafft, aber ausgestorben war sie nie. Aber mit
der Einrichtung von Sklavenmärkten hat das 21. Jahrhundert nahtlos an das 19. Jahrhundert
angeknüpft.
Der
hellhäutige Auktionator war (wahrscheinlich) kein EU-Beamter, aber
(gewinn)beteiligt am Erlös der Sklavenmärkte sind wir Europäer allemal. Das
wurde auch in einem AI-Bericht herausgestellt, in dem die EU-Mitgliedsstaaten
als „Komplizen eines kriminellen Systems“ bezeichnet wurden. Sie würden das
libysche Innenministerium (durch Finanzhilfen) unterstützen, Flüchtlinge in Haftzentren
zu verbringen, wo man sie so schlecht behandeln würde, dass viele von ihnen
gerne wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren würden. Diesem Wunsch
versuchen UN und EU durch „gesichtswahrende“ Rückführungen zu entsprechen. Bis
Ende des Jahres sollen 15 000 Flüchtlinge auf freiwilliger Basis nach Nigeria,
Gambia und Guinea zurückgeflogen werden. Da man schätzt, dass in Libyen zwischen
400 000 und einer Million Flüchtlinge festsitzen, werden die Sklavenmärkte noch
lange keine Nachschubprobleme haben.
Flüchtlinge in einem libyschen Haftzentrum
Sie
sehen hier nur Männer, was aber nicht heißt, dass keine Frauen „auf dem Markt“ sind.
Es
soll in China Städte geben, wo die Hunde den Himmel anbellen, wenn er sich
einmal zeigt, weil sie gar nicht mehr wissen, was ein blauer Himmel ist.
Deshalb kam die Nachricht vom Januar 2018, dass die Menschen in Peking wieder
durchatmen können, etwas überraschend. Beigetragen haben günstige Witterungsverhältnisse
und die ersten Erfolge der staatlichen Anti-Smog Politik, aber auch die brutale
Vertreibung von Wanderarbeitern, die in ihren Quartieren noch mit Kohle
heizten. Das folgende Bild zeigt keinen Flohmarkt!
Der
Maler Hua Yong hat mit dem Handy den Abriss der Häuser gefilmt,
Sicherheitskräfte und Wanderarbeiter interviewt und seine Videos ins Netz
gestellt, wo sie meist umgehend gelöscht, aber immerhin noch
100
000 Mal aufgerufen wurden. Yong wurde in einer nächtlichen Aktion verhaftet, hat
aber seiner Tochter vor der Festnahme noch eine Videobotschaft hinterlassen: Er
tue das alles,
„damit
unser Land ein besseres wird. Ein Land, in dem Bürger Menschen sein dürfen. Ein
Land, in dem man sich traut, im hellen Licht der Sonne und auf offener Straße
die Wahrheit zu sagen.“
Bei
solchen Botschaften hat man volles Verständnis, dass Staatschef Xi Jinping auf
der Welt-Internet-Konferenz die Zensur des Netzes verteidigt hat.
Und
dann erreichte uns eine Weihnachtsbotschaft, und das
aus China. Hua Yong wurde gegen Kaution und unter strengen Auflagen
freigelassen. Ob man ihm das Handy gelassen hat, ist zu bezweifeln.
Bleiben
wir noch kurz bei den Staatsoberhäuptern. Skrupellos Präsident Kuczynski in
Peru, der seinen Vorgänger Fujimori (sehr) vorzeitig aus der Haft entlassen
ließ, weil er mit den Stimmen von Fujimoris Sohn die Amtsenthebung wegen
Korruption abwenden konnte. Zur Erinnerung: Fujimoris Konzept der Armutsbekämpfung
soll dazu geführt haben, dass Zehntausende von Ureinwohnerinnen
zwangssterilisiert wurden.
Berechnend
Präsident Putin in Russland, dem die Wahlkommission den kleinen Gefallen tat, Alexej
Nawalny von einer Kandidatur zur Präsidentschaft auszuschließen. Grundlage war
ein dubioses Verfahren gegen Nawalny wegen Betrugs, aber der Betrug erfolgte eher
durch die Justiz und die Wahlkommission.
Unbedacht,
um es schonend zu formulieren, Präsident Trump in den USA, der mit seiner
Anerkennung von Jerusalem als Israels Hauptstadt noch mehr „Feuer und Wut“ in
den Nahen Osten brachte. Politisch gesehen ein „Hohlkopf“, hat ihn ein
deutscher Chefredakteur genannt.
Die Kurznachrichten
- Gegen
Jahresende hat ein (angeblich) 15-jähriger Afghane in Kandel/Südpfalz seine
15-jährige deutsche Ex-Freundin erstochen. Da sträuben sich die Haare und noch
mehr. Die Tat ist natürlich ein „gefundenes Fressen“ für die Befürworter einer
Abschiebung nach Afghanistan, aber bei allem Grauen über die Tat, gibt es doch
auch Zweifel an der Behauptung, dass nur „Straftäter, Gefährder und
Identitätsverweigerer“ abgeschoben werden. Pro Asyl und Flüchtlingsrat betonen,
wie schwer es für Afghanen ist, von Deutschland aus zu einem Identitätsnachweis
zu kommen, dass schon wegen Bagatelldelikten abgeschoben werde – und dass auch
„völlig unbescholtene, gut integrierte Afghanen zurückgeschickt wurden“. Dass
die rigide Abschiebungspaxis zu steigenden Selbstmordziffern unter afghanischen
Flüchtlingen führe, wird vom bayrischen Innenministerium wieder einmal als
„ehrverletzender Vorwurf“ zurückgewiesen.
- Wie
schnell man sich doch täuschen kann! Da titelt die „SZ“ einen Artikel über den
Fahndungsaufruf der Hamburger Polizei zu den Plünderern und Landfriedensbrechern
des G-20 Gipfels „Die Methode Barbie“. Da habe ich
sofort an Klaus Barbie, den „(Nazi)Schlächter von Lyon“, gedacht. Nun, so
schlimm war’s nicht. Die „SZ“ bezog sich auf das Fahndungsfoto einer
17-Jährigen, die in der „Bild“ zur Krawall-Barbie“ ernannt worden war. Dass
hier das Prinzip verletzt wurde, Minderjährige vor den Scheinwerfern der Öffentlichkeit
zu schützen, war einer der Kritikpunkte, der gegen die Aktion vorgebracht
wurde. Es wurden aber auch Zweifel laut, ob die Behauptung der Polizei, „jeder
der 104 Personen sei mindestens eine Straftat zuzuordnen“ in allen Fällen
haltbar sei, und ob nicht schon „die Nähe einer Person zu einem
strafrechtlichen Geschehen“ ausgereicht hatte, um in die Galerie aufgenommen zu
werden. Die Polizei begegnete der Kritik mit Erfolgsmeldungen: Es seien
zahlreiche Hinweise und erste Geständnisse eingegangen.
Damit
wir uns recht verstehen: Wir stehen voll dahinter, dass die Täter dingfest gemacht
und (angemessen) bestraft werden, legen aber Wert auf Verhältnismäßigkeit. Es
handelte sich schließlich nicht um die RAF-Täter der 1970er Jahre.
- Im
Dezember ging das Foto der 16-jährigen Palästinenserin Ahed Tamini ins Netz,
und man kann darüber streiten, ob es verdient, ein „Foto des Jahres“ zu werden.
Ahed hatte gegen die Besatzungspolitik der Israelis demonstriert und war dabei
handgreiflich geworden. Der israelische Soldat hatte auf den Faustschlag nicht
reagiert, der Staat aber schon. Ahed wurde festgenommen, Amnesty forderte ihre
sofortige Freilassung, der israelische Bildungsminister wünschte sich (zu
Weihnachten), dass Ahed (und ihre Cousine) „ihr Leben im Gefängnis beenden“.
Mädchen
gegen Soldat
- Eine
Erfolgsmeldung à la AI kam aus Argentinien. Ein Gericht urteilte 54 Angeklagte
ab, die während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 Menschen verschwinden
ließen, gefoltert oder aus dem Fugzeug geworfen haben. Es wurde 29 Mal eine
lebenslängliche Freiheitsstrafe verhängt. Im Gerichtsgebäude spielten sich beim
Public Viewing beklemmende Szenen ab, die zeigten, wie stark der Prozess die
argentinische Gesellschaft polarisierte: In einem Saal feuerten ehemalige
Offiziere ihre Kameraden mit Victory-Zeichen an, eine Etage tiefer skandierten
die Familien der Opfer „Mörder, Mörder!“ Dem Richter gelang es nicht, Ruhe herzustellen,
sodass „sein Urteilsspruch eher ein Urteilsschrei“ war.
-
Zarte Enstspannungssignale sandte die Türkei in Richtung Deutschland ab. Der
Schweriner David Britsch wurde nach sechs Monaten aus der Abschiebehaft entlassen.
Er hatte nach Jerusalem pilgern wollen, um ein Friedenszeichen zu setzen. Die
Gründe für seine Festnahme sind bis heute nicht bekannt. Wir vermuten stark,
dass man in ihm die Vorhut eines neuen Kreuzzuges gegen den Islam sah. Auf
freiem Fuß ist auch die deutsche Journalistin Mesale Tolu, die es auf sieben
Monaten Haft brachte. Sie darf nicht ausreisen, und ihr Prozess soll im April
weitergehen. Aber vielleicht hat Deutschland bis dahin der Türkei das Panzerzubehör
geliefert.
- Sie
merken, der Ton lockert sich, wie zu Beginn des Monats versprochen. Wir werden
allerdings nur kurz über die Preppers, die neuesten Mitglieder im deutschen
Gagaklub, berichten, die sich auf einen Zusammenbruch staatlicher Strukturen damit
vorbereiten (engl.: prepare), Vorräte an Lebensmitteln und Waffen anzulegen.
Vor wem sie Angst haben und gegen wen sie vorgehen wollen, ist noch nicht ganz
klar, aber das linke Spektrum sollte sich zur Sicherheit schon einmal warm
anziehen.
-
Bleiben wir bei der Melange von Witz und AI-Nachrichten. In Ägypten wurde die
Sängerin Sheril Abdel Wahab vor Gericht gestellt und mit einem Auftrittsverbot
belegt. Sie hatte ihrem patriotischen Song „Hast du aus dem Nil getrunken?“
einen Zusatz beigegeben, und der lautete: „Lieber nicht. Ihr könntet
Bilharziose (eine durch Wasserverschmutzung verursachte Wurmkrankheit)
bekommen. Trinkt Evian. Das ist besser.“ Sie hatte damit Ägypten beleidigt. Man
kann sich schon vorstellen, was sie bei einer Haftstrafe zu trinken bekommt.
Und
wissen Sie, dass man Denis Yücel u.a. „Aufstachelung zum Hass zwischen den Volksgruppen“
vorwirft? Er soll folgende Anekdote verbreitet haben:
„Ein
Türke und ein Kurde, beide zum Tode verurteilt, werden nach ihrem letzten
Wunsch gefragt. Der Kurde möchte ein letztes Mal seine Mutter sehen; der Wunsch
des Türken ist, dass der Kurde seine Mutter nicht mehr sehen darf.“
-
Damit haben Sie sich redlich ein Ende des Dezembers verdient. Und da soll’s
dann fast weihnachtlich werden! Das Komitee, das alljährlich den
Friedensnobelpreis verleiht, hat einen würdigen Preisträger gefunden. In einer
Welt, wo wieder Atomwaffen getestet werden, wo man sich brüstet, den größeren
„Knopf“ zu haben und schon wieder die Überlegung herumgeistert, wie man als
erster zum Erstschlag kommt, ist Ican die richtige Adresse. Die Organisation
hat maßgeblich am UN-Vertrag zur Abschaffung von Atomwaffen mitgewirkt, der von
122 Staaten, nicht aber von den Atommächten, unterzeichnet worden ist. Letztere
blieben folgerichtig auch der Verleihung fern. Deutschland und andere
Nato-Staaten übrigens auch. Mit von der Partie aber war Setsuko Thurlow, eine
Überlebende des Atombombenabwurfs auf Hiroshima.
Die
Preisträgerinnen und die Überlebende
3. Der Tätigkeitsbericht: das
AI-Jahr im Landkreis Miesbach
3.1 Das Titelbild
„Kaum
zu bremsen“ wäre leicht übertrieben, wenn wir unsere Einstellung bei der Gründung
von AI-Miesbach im Oktober 1972 zu beschreiben hätten, aber ein bunter Haufen
waren wir – und sind es auch geblieben. Abgebildet sind die Schüler, die damals
mitmachten; der Gründervater Heinrich Skudlik, die Gründermutter Traut
Hebestreit und die anderen Mitkämpfer waren schon etwas älter.
Im
´Jahre 2017 wäre es also angebracht gewesen, den Balkon des Miesbacher Rathauses
zu besteigen, mit Fanfarenklängen den halbrunden Geburtstag von AI-Miesbach
anzukündigen und spektakuläre Erfolge und sensationelle Events in Aussicht zu
stellen. Das scheiterte aber schon daran, dass das Rathaus in Miesbach keinen
Balkon hat, und auch sonst wurde es ein normales AI-Jahr ohne Spektakel und
Sensationen, aber doch mit einigen Schlaglichtern, die sich sehen lassen
konnten. Und außerdem ging unser letztjähriger Wunsch an das türkische
Christkind in Erfüllung und wir wurden „nicht von Erdogan verhaftet“, ganz im Gegensatz
zu den zwei Vorstandsmitgliedern von AI-Türkei.
Und
weil kein Platz sicherer ist als der heimische Schreibtisch, fangen wir wieder
an mit unseren
3.2 Schreibtischtaten,
die zwar ohne Risiken begangen aber von Hoffnungen
begleitet sind.
Neujahrswünsche an die Baha’i und
den Ehemann von Narges Mohammadi/Iran (Januar)
Wir
wurden davor gewarnt, bei den Postkarten religiöse Motive zu verwenden und
angehalten, keine politischen Forderungen zu erheben. Damit steigen die
Chancen, dass die Karten durchkommen. Der Wunsch „Ich hoffe, es geht ihnen gut“
verursachte massive Schluckbeschwerden.
Briefaktion für Ali Shariati/Iran
(Januar)
Ali
Shariati ist/war ein politischer Gefangener, der wegen Teilnahme an einer
Protestaktion gegen Säureanschläge auf Frauen zu fünf Jahren Haft verurteilt
worden ist. Das ist mehr als die Säurattentäter bekämen. Da geht nämlich das Gerücht
um, dass es sich um selbst ernannte Sittenwächter handelt, die Frauen bestrafen,
wenn sie gegen die Kleiderordnung verstoßen. Als wir von Shariati erfuhren, war
er schon 67 Tage im Hungerstreik. Ob er ihn überlebt hat, war nicht
herauszufinden.
Briefaktion für Muhammad
Bekzhanov/Usbekistan (März)
Für
AI ein alter Bekannter und mit 17 Jahren Haft „einer der am längsten
inhaftierten Journalisten der Welt“. Festgenommen wegen „staatsfeindliche
Straftaten“/Herausgabe einer regierungskritischen Zeitung, wurde sein Strafmaß
zweimal verlängert, weil er angeblich gegen Gefängnisvorschriften verstoßen
habe. Im April wurde er mit drei Monaten „Verspätung“ freigelassen.
Einsatz für Itai Dzamara/Simbabwe
(April)
Der
Journalist Itai Dzamara hatte schon im Oktober 2014 Präsident Mugabe zum
Rücktritt aufgefordert, aber da war die Zeit noch nicht reif, bzw. das Militär
noch nicht bereit. Als er dann auch noch auf einer Demo der Oppositionsbewegung
sprach, war er fällig. Im März 2015 wurde er bei einem Friseurbesuch verhaftet
und ist seither „unbekannt verzogen“. Auf einem Foto erkannte ihn seine Frau
(nur) an den Füßen. Wir schrieben an die Botschaft und sandten
Solidaritätspostkarten an seine Frau, die derzeit in Südafrika lebt. Die Hoffnung
der Familie ruht jetzt auf dem neuen Präsidenten Mnangagwa, der eine Politik
der Versöhnung angekündigt hat, aber wohlweislich nicht auf die
Menschenrechtsverletzungen der Mugabe Ära einging, an denen er aktiv beteiligt
war. „Ruhen“ ist deshalb eher wörtlich gemeint.
Itai Dzamara
Erkin Musaev/Usbekistan (April)
Zur
Abwechslung (und Rechtfertigung unserer Existenz) mal eine Erfolgsmeldung:
festgenommen im Januar 2006, in unfairen Verfahren wegen „Landesverrat und
Amtsmissbrauch“ zu 20 Jahren Haft verurteilt, im Gefängnis einen Monat lang
seine tägliche Tracht Prügel bezogen, ein erzwungenes Geständnis – der normale
Leidensweg eines politischen Gefangenen halt. Im August 2017 wurde er dann
entlassen, durch einen Gnadenakt des neuen Präsidenten und nach einer massiven
Briefkampagne von AI. Ein Erfolg? Immerhin wurden ihm neun Jahre Gefängnis
erspart. Sein Dankesbrief verdient den Abdruck.
„
Ich möchte allen Aktivisten und Aktivistinnen von Amnesty International und
allen anderen, … meinen größten Dank aussprechen. Meine Freilassung ist
tatsächlich ein großer Sieg, und euer Beitrag dazu ist von unschätzbarem Wert.
Ich möchte betonen, dass sich das Verhalten der Straflagerverwaltung mir
gegenüber veränderte, nachdem viele Unterstützungsbriefe geschrieben wurden.
Das Personal wurde vorsichtiger im Umgang mit mir, und mir wurde leichtere
Arbeit zugeteilt. …“
Erkin
Musaev
Post aus Honduras (April)
Im
März 2016 wurde in Honduras Berta Cáceres, Umweltaktivistin und Gründerin der
Indigenenorganisation Copinh, in ihrem Haus ermordet. Die Täter wurden nie ermittelt,
aber man hätte nicht lange suchen müssen, denn Bertas Name soll „an der Spitze
einer Todesliste der Armee“ gestanden haben. Die Botschaft in Berlin reagierte
auf unseren Brief knallhart und glasklar:
„…
Wir versichern Ihnen, dass sobald wir sachdienliche Informationen zu diesem
Fall erhalten, wir Ihnen diese unverzüglich zuschicken werden.“
Wir
warten auf die Sendung wie „auf Godot“.
Berta
Cáceres (+)
Briefe nach Griechenland (Mai)
In
Griechenland gibt es einen Alternativen Minister für Bürgerschutz, und der
wäre, schon vom Namen her, für „Alternativen“ zur gegenwärtigen Unterbringung
von Flüchtlingen zuständig. Da gibt es beispielsweise das Lager Elliniko bei
Athen: Zeltleben seit mehr als einem Jahr, mehr als mangelhaft sanitäre
Verhältnisse, Frauen und Mädchen Opfer sexueller Gewalt. In einem Brief
forderten wir diese Alternativen ein. Verteilt wurde er auf einem Webinar zum
Thema Asyl, und von den 16 Besuchern nahmen 15 einen Brief mit. Im Juni wurde
dann mit der Räumung des Lagers begonnen, sie sollte bis Juli (oder Jahresende)
abgeschlossen sein.
Online-Petition für Taner Kilic/Türkei (Juni)
Die
Nachricht schlug in AI-Kreisen wie eine Bombe ein. Der Vorsitzende von
AI-Türkei war mit 22 anderen Anwälten verhaftet worden, weil man ihnen, wie
bereits erwähnt, die Nutzung einer Messenger-App vorwirft, die unter Anhängern
der Gülen-Bewegung sehr beliebt sein soll. Erinnert ein wenig an das Profil
eines Tatverdächtigen, „der jemand kennt, der den Täter kennen soll“. Wir
hockten uns (vom sicheren Schreibtisch aus) vor den Computer und
unterzeichneten die Online-Petition - bisher vergebens, denn Kilic war nicht unter
den Leuten, die im Oktober (vorläufig) freigelassen wurden.
Fortsetzung der Petition (Juli)
Einen
Monat später traf es die „Istanbul 10“ um Idil Eser und Peter Steudtner.
Briefaktion für Kilic (November)
Sie
müssen Nachsicht für unsere Hartnäckigkeit haben, aber immerhin ist es das
erste Mal, dass es in einem Land gleich zwei AI-Vorstandsmitglieder „erwischt“
hat. Im Gegensatz zu Steudtner und Eser wurde Kilic weder vorläufig noch
sonstwie freigelassen. Wir schrieben an den Justizminister und wiesen ihn auf
gewisse Defizite seiner Amtsausübung hin, nämlich, dass man Leute wegen
„haltloser Anschuldigungen“ nicht einsperren darf. Von Briefen an Erdogan
selbst hat AI abgeraten; er gilt offensichtlich als „beratungsresistent“.
Idil Eser und Taner Kilic
Briefaktion für iranische
Menschenrechtsverteidiger (Dezember)
Die
Aktion war bereits ein Vorgriff auf die Großkampagne des Jahres 2018, wo es um
bedrohte Menschenrechtsverteidiger(innen) geht. Der Iran unternimmt seit 2013
einen wahren „Crackdown“/scharfer Zugriff auf diese Gruppe, und die Schikanen,
denen sie ausgesetzt sind, hat man direkt von der Gestapo übernommen: lange
Gefängnisstrafen, Überwachung, Drohungen, Belästigung, Verhöre und Folter. Der
Brief ging an den Leiter der iranischen UN-Delegation in Genf, aber in der
Vollversammlung wird er ihn wohl nicht verlesen haben. Unter den sechs
namentlich genannten MRVn war übrigens auch Narges Mohammadi, die wir seit zwei
Jahren betreuen/zu betreuen versuchen.
Bilanz
Unter
dem Strich ist sie nicht gerade überwältigend: tapferes Geschrei gegen Wände
und vergebliches Warten auf das Echo. Aber da habe ich ein Zitat mit
Überlebenspotential gefunden – gewissermaßen eine positive Chaostheorie.
„Sandkörner
machen den Berg,
Minuten
das Jahr
flüchtige
Gedanken ewige Taten.
Haltet nichts für Kleinigkeiten.“
3.3 Veranstaltungen und
Vermischtes
Karikaturenausstellung: „Verzerrte
Wirklichkeit – die Welt von
2006 – 2017“ (Januar – Februar)
Unser
Jubiläumsjahr wollten wir mit einem richtigen Paukenschlag beginnen: die dritte
Staffel unserer Karikaturenreihe, mit der wir Mitte der 80er Jahre begonnen
haben. Die Stadtbücherei freute sich über die Objekte, die sich wohltuend von
den üblichen AI-Themen abhoben, weil die Tristesse oft erst beim zweiten Blick ins Auge sticht. Zum Motto
der Ausstellung „Verzerrte Wirklichkeit“ trug Bernard Brown ein „Wahres
Geschichtchen“ von Erich Kästner vor, in der im Jahre 1948 ein Gegner des 3.
Reiches in eine Szene geriet, wo Statisten, die in einem Film als SS-Männer
mitwirkten, ihm gegenüber so auftraten, als wären sie wirklich von der SS.
Wir
hatten eine Fülle von Karikaturen zusammengetragen, deren Spektrum von (damals)
aktuellen Themen, zu politischen und gesellschaftlichen Dauerbrennern reichte
und natürlich auch die Galerie von Dumpfbacken und Bösewichtern mit einschloss,
von denen einige schon seit Jahren die Welt belasten, und andere erst seit
kurzem aus der Versenkung erstanden sind, wo sie besser verblieben wären. Eine
kurze Kostprobe haben sie schon in der Einleitung bekommen.
Nun
zurück zum Paukenschlag: den „Schlag“ haben wir als Veranstalter bekommen. Zum
einen hatten wir (trotz gebündelter IT-Intelligenz unter den Anwesenden)
Probleme mit der Technik, dann kamen nur 16 Besucher, davon die Hälfte
AI-Mitglieder, in der Spendenkasse waren satte neun Euro, und bei den Führungen
an den drei Donnerstagen wurde die Lesestunde des Gruppensprechers nur einmal
unterbrochen . Da kamen gleich fünf Leute – vier davon Bekannte des Gruppensprechers,
aber (dennoch) voll interessiert.
Aber
nun zur „Pauke“: Mit der Band Hacklinger hatten wir fetzige Musik ohne jegliche
Verzerrung, die den Gruppensprecher zu folgender Bewertung mitriss: „Wer
vorbeigegangen ist, euch gehört hat und jetzt nicht reinkommt, dem ist nicht zu
helfen.“
Als
Besucher Nummer 17 kam ein gut gelaunter Pressefotograf, der das Foto so inszenierte,
als würden sich die Besucher vor der Mona Lisa drängen und eine Erwähnung im
Kalender der Kulturvision.
Wir
danken der Stadtbücherei, den Aufhängern Siegi Komm und Thomas Fischer und den
Musikern Anschi Hacklinger, Marion Dimbath und Stefan Noelle.
Weltgebetstag der Frauen (März)
Da
traf sich (leider gut), dass das Zielland heuer die Philippinen waren. Unter dem
Motto „Was ist denn fair?“ wollte man ein Zeichen gegen die Ausbeutung von
Mensch und Natur setzten. Wir haben das Thema
„Ausbeutung“ zu „Auslöschung des Menschen“ erweitert und eine Petition gegen
die Wiedereinführung der Todesstrafe ausgelegt. Auf den Veranstaltungen in
Miesbach und Hausham kamen 20 Unterschriften zusammen, wobei sich an einem Ort
die AI-Frau „mühsam von Kaffeetisch zu Kaffeetisch hanteln musste“. Als wir
dann noch weitere Gruppen „belästigten“, kamen immerhin 70 Unterschriften
zusammen.
Obwohl
die Petition mit Nachdruck betonte, dass weltweit auch 88 philippinische Arbeitsmigranten
auf ihre Hinrichtung warten, wurde die Wiedereinführung der Todesstrafe noch im
März vom Parlament gebilligt, der Senat hatte bis Juli noch nicht entschieden.
Präsident Duterte aber möge sich vorsehen: Er brüstet sich damit, Kriminelle
eigenhändig vom Motorrad aus erschossen zu haben.
Internationaler Frauentag (März)
Wir
nutzten ihn, um auf den Fall der argentinischen Umweltaktivistin Milagro Sala
hinzuweisen, die seit Januar 2016 in Haft ist und der man „Betrug, Veruntreuung
von öffentliche Geldern, kriminelle Verschwörung“ vorwirft, kurz, die üblichen
Delikte halt, die Umweltaktivistinnen weltweit begehen. Obwohl ein UN-Gremium
und der Interamerikanische Gerichtshof die Inhaftierung als „willkürlich“
bezeichnet hatten, saß sie bis Dezember 2017 im Gefängnis. Dann wurde ihre Haft
zu Hausarrest herabgestuft und der Anklagepunkt „Bedrohung zweier
Polizeibeamter“ fallengelassen. Weihnachten sollte sie bei ihrer Familie
verbringen dürfen, „um ihre körperliche Unversehrtheit zu garantieren“. Wir
sammelten 38 Unterschriften - von Männern und Frauen.
Reaktionen auf den Jahresbericht
von 2016
Die
Reaktion auf unseren Jahresbericht war durchwegs positiv, vielleicht auch deswegen,
weil ich ihn im Verhältnis zum Vorgänger um satte drei Seiten gekürzt hatte.
Geärgert hat uns allerdings die Zusammenfassung im „Merkur“, wo die Misserfolge
genüsslich ausgeschlachtet wurden. So nahm der „Flop“ mit den Firmlingen einen
ganzen Absatz ein, während unser Kraftakt mit dem AI-Mobil an der Berufsschule,
wo wir versuchten, 16 Schulklassen (!) mit dem Anti-Rassismus Virus zu impfen, unerwähnt
blieb. Da hatte man offensichtlich zu früh mit dem Lesen aufgehört. Nach einem
guten Gespräch mit der Redakteurin einigten wir uns darauf, dass wir die
Zusammenfassung in Zukunft selber schreiben sollten. Da werden wir dann selektiv vorgehen! Ansonsten, und
das ist keine „vorauseilende Schleimspur“, sind wir mit unserem Pressecho recht
zufrieden – wenn wir nicht gerade unter den Spamfilter fallen.
Gelacht
habe ich über die Karte eines AI-Mitglieds, der den Bericht in einem Zug in der
Badewanne gelesen hat. Da dies volle zwei Stunden gedauert hat, sah sich seine
Frau veranlasst, nachzuschauen, ob er nicht ertrunken ist. Gefreut hat uns ein
Kommentar aus Tölz: „Es st erstaunlich, was ihr auf die Beine gestellt habt.“
Und wir haben mit Genugtuung registriert, dass die kirchlichen Jugendverbände
für ihre Begegnung in der Osternacht unser Motto vom „Brücken bauen“ gewählt
haben.
Helferkreiskundgebung an der
Bavaria (März)
Es
war fast wie beim Einzug der Wiesenwirte, als die mehr als tausend Asylhelfer
in bunter Kleidung über die (leere) Theresienwiese wallfahrten und sich bei
strahlendem Föhnwetter und unter dem wohlwollenden Blick der Bavaria auf deren
Stufen postierten. Anlass für die Kundgebung waren die drohenden Abschiebungen
nach Nigeria und Afghanistan und der steigende Frust in den Helferkreisen über
Arbeitsverbot und Repressalien der Behörden. Die Flüchtlinge waren stark
vertreten – und wesentlich jünger als die Mehrzahl der deutschen Teilnehmer,
die eher an eine 50+ Gesellschaft erinnerten. In 200 Meter Entfernung drehten
die Insassen einer Polizeistreife die Daumen, der bayrische Innenminister hatte
eine wichtigere Einladung angenommen; er war beim Fischessen in Oberfranken.
Der „Merkur“ schrieb einen Kommentar unter dem Titel „Aufrichtige Anerkennung“
(für die Helferkreise!)“ und reagierte regelrecht empört auf das Verhalten des
Ministers:
„Herrmanns
Absage mit der Begründung, er habe keine Zeit, war wie eine Ohrfeige.“
Zu Füßen der Bavaria
Webinar: Der afrikanische Exodus
(März – Mai)
Das
katholische Bildungswerk lud uns ein, an einem vierteiligen Webinar zur
Migration aus Afrika teilzunehmen, und da wir (fast) überall dabei sind, wo „de
Musi spuit“ und uns die Vermittlung von Informationen zur
Flüchtlingsproblematik sehr am Herzen liegt, sagten wir zu, übernahmen die
Plakatierung und ließen uns ansonsten bedienen. In diesen Webinaren werden Referenten
live zugeschaltet, halten einen Vortrag und stehen dann für eine ausgedehnte
Fragestunde zur Verfügung, zu der die Fragen digital eingereicht werden. Dazu
braucht es eine funktionierende Technik, und es war für uns ein Aha-Erlebnis
(aber keine Genugtuung!), dass die Technik auch bei anderen Veranstaltern nicht
funktioniert. Als die Dozentin zur entscheidenden Frage „Was tun gegen den Migrationsdruck“?
ansetzte, wurden wir vom Netz abgehängt. Die
20
Besucher machten aus der Not eine Tugend und gestalteten ihre eigene
Diskussion, die recht lebhaft verlief, obwohl nur Insider gekommen waren.
Zum
Webinar 2 kamen dann 41 Besucher, zwei davon mit Afrika-Erfahrung. Die Technik
funktionierte (fast) reibungslos, die Referentin, eine Senegalesin, die in Marburg
tätig ist lieferte eine fundierte Analyse der „Hintergründe der Migration am
Beispiel Senegal“ und vertrat dezidiert die Position einer Afrikanerin, die „zwischen
zwei Welten lebt“. Dazu gehörten eine positive Bewertung der Migration als
Entwicklungshilfe (Geldrücksendungen) und eine negative Sicht auf die
Entwicklungshilfe von Staaten oder Organisationen. Stoff genug für eine lange
Diskussion, nicht zuletzt mit (intelligenten) Fragen aus Miesbach und naiven
Fragen von anderswo: „Was können wir tun, um die Potentaten zu entfernen“? Die
Waffenlieferungen hat sie in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Insgesamt aber
- eine gelungene Veranstaltung.
Zum
Webinar 3 kamen dann nur mehr 16 Besucher. Und das war gut so – hätte ich gesagt.
Eine andere Besucherin formulierte noch schärfer und sprach von „Thema
verfehlt“. Es gab aber auch Stimmen, die die „klare Kante“ lobten, und mehrheitlich
wurde auch dieser Abend mit „gut“ bewertetet. Auffällig war (wiederum für mich)
die Diskrepanz zwischen viel versprechenden Gliederungspunkten („Vision einer
Einwanderungsgesellschaft“) und deren schwacher Ausgestaltung. („Strauß warnt
vor Kanakenflut“).
Das
Webinar 4 fiel dann aus.
Wir
würden unter dem Strich das Webinar als gelungenes Experiment bezeichnen –
nicht zuletzt wegen des guten Besuches, und wir danken dem Kreisbildungswerk,
dass es uns mitmachen ließ.
Ostermarkt in Fischbachau (März)
Da
sind wir immer in erlesener Gesellschaft, sowohl was das Angebot an Waren und
an Publikum anbelangt. Es verkaufen und kommen viele
nette Leute, unter ihnen viele bekannte Gesichter, denen wir es schwer machen,
an unserem Stand vorbeizugehen, ohne etwas mitzunehmen. Der Kauf selber fällt
dann nicht mehr schwer, denn wir haben ein buntes Sortiment, gestiftet und
gefertigt von den „üblichen Verdächtigen“: den Damen Haller, Schreiber,
Schmalhofer-Jacobi, Besenrieder, Schneckenburger, Wiegert, und den Herren
Bracher, Schmucker, Mittmann und Holzfurtner. Wir danken von Herzen.
Neben
dem geschäftlichen Teil lief aber auch noch eine menschliche Komponente mit.
Dazu gehörte die Gewissheit, dass man nach zwei Stunden Standdienst fest mit
einer Ablösung rechnen konnte, und dazu gehörten eine Reihe von Gesprächen, die
sich mit AI befassten.
-
Da kam eine Frau, die gleich zum Einstieg loslegte, dass „sie sich in letzter
Zeit
über
AI geärgert hätte“. Warum? hat sie (Gott sei Dank!) nicht mehr gewusst.
-
Und da kam ein Mann, der über sein (früheres) Engagement bei AI so gesprochen
hat, als wäre es eine Jugendsünde gewesen. Trotzdem hat er uns fünf Ostereier abgekauft.
Danken
möchten wir auch der Organisatorin Christa Winkler, die uns kein Standgeld abverlangt,
sondern sogar noch 50€ gestiftet hat. Damit kamen wir auf stolze 530€ - und das
ist bei uns immer Netto.
Unser
Auftritt beim Ostermarkt
Ostermarsch 2017
Denn
vor dem Osterhas, da kommt der Ostermarsch – und nicht nur der Osterstau.
In
Miesbach ist beides zusammengetroffen, denn die 300 Teilnehmer haben bei diesem
„Bündnis für eine offene Gesellschaft“, wie der „Merkur“ so schön getitelt hat,
den Einkaufsverkehr etwas beeinträchtigt. Mitmarschiert ist ein breites
Spektrum von „Gutmenschen“ (kirchliche Gruppierungen, Parteien mit ihrem Jungvolk,
Flüchtlinge), und die Stimmung war so gut, dass wir auch das Putin-Plakat und
die gelegentlichen antikapitalistischen Aufschreie der (drei) Vertreter der
Linkspartei in Kauf nahmen. Nicht (oder kaum) in Erscheinung trat die CSU, aber
die bayrische Staatspartei „demonstriert nicht, sondern regiert“. AI hingegen
war mit zehn Leuten stark vertreten. Wir waren „gegen Rassismus und für
Flüchtlingsschutz“ und schleppten im Tosen des Windes ein Banner mit, das so
groß war, dass wir dezent am Ende des Zuges marschierten, um die bescheideneren
Plakate der anderen Gruppen nicht zu verdecken.
Die
Redebeiträge und Grußworte an den drei Stationen waren von unterschiedlicher Qualität
– aber v.a. zu lang. Es war deshalb niemand böse, weil kein Beitrag von AI gekommen
ist – am allerwenigsten wir selber. Im Gedächtnis blieb die Rede der BDKJ-Vorsitzenden
Lisi Maier, Ex-Gymnasiastin aus Miesbach, die engagiert die Knackpunkte der
Welt und unserer Gesellschaft auf den Punkt brachte. Weitaus schärfer und polemischer
war das „Haberfeldtreiben“ der Edelweißpiraten: Zwar musste (und konnte) man mit
manchen Formulierungen nicht einverstanden sein („denn der schlimmste
Terrorist, besorgter Bürger, das bist du“), aber schon die Arbeit, die sie sich
mit der Dichterei gemacht haben, verdient Respekt, und wir drucken gerne eine
der (harmloseren) Strophen ihres Gedichtes ab.
„Uns’re
Bundeskanzlerin meinte mit „Wir schaffen das!“
Keine
Angst vor Terrorismus, keine Macht dem Fremdenhass.
Doch
dann kamen die Gerüchte, und dann gab’s ein Attentat.
Das
könnte Wählerstimmen kosten, was politisch Folgen hat.“
Wir
danken den Organisatoren des Marsches, insbesondere Hermann Kraus und Christine
Negele, für die optimale Vorbereitung und Durchführung des Marsches, freuten
uns, dass wir mitlaufen durften und wünschen, mit Lisi Maier, „dem Bündnis noch
viele Jahre“.
SPD-Empfang in Geretsried (April)
Bernard
Brown konnte auf das Schicksal zweier iranischer Gewerkschaftler, Ismail Abdi
und Jafar Azimzadeh hinweisen, die zu mehrährigen Haftstrafen verurteilt worden
waren. Ihre Vergehen: Kontakte ins Ausland, Gründung einer illegalen Gruppe,
Störung der nationalen Sicherheit – man kann es schon nicht mehr hören! Auf den
Petitionslisten kamen immerhin 40 Unterschriften zusammen. Abdi soll im Mai
2016 schon einmal gegen Zahlung einer Kaution von 100 000 Dollar freigekommen
sein, wurde aber im Dezember 2016 wieder festgenommen. Auch Azimzadeh hatte
2016 nach Beendigung seines Hungerstreiks Hafturlaub bekommen, der nach wenigen
Monaten wieder unsanft beendet wurde. Drehtürhäftlinge gewissermaßen!
Infostand in Miesbach (Juni)
Wir
hängten uns an die bayernweite Kampagne „Journalismus ist kein Verbrechen“ an
und wurden von München (und von der Weltlage der Pressefreiheit) überreichlich
mit Material ausgestattet. Besonders unter den Nägeln gebrannt hat uns
natürlich die Türkei, und so fangen wir mit der Karikatur eines türkischen Zeitungskiosks
an.
In
unserem breiten Sortiment gab es zu unterschreiben und abzuschicken:
- Petitionsliste
für Itai Dzamara, Journalist verschwunden in Simbabwe (24 Unterschriften)
-
Petitionsliste für Larysa Schiryakova/Weißrussland (46 Unterschriften)
-
Briefe für die „Istanbul 10“ um Idil Eser (21)
-
Karten für die türkische „Staatsterroristin“ Asli
Erdogan, nein, nicht für Recep,
und
für den ägyptischen Fotojournalisten Shawkan. (86)
Die
„Ausbeute“ klingt nicht überwältigend und es gab, wie immer, „teilweise interessierte
Leute“ und solche, die in respektvoller Entfernung an uns vorbeischlichen. Aber
wann haben wir nach einem Infostand je vernommen, dass „es heute eine Freude
war, am Infostand zu stehen“? – und das nicht zuletzt deswegen, weil sich das
Publikum durchwegs gut informiert zeigte. Und dann kam auch noch der Fotograf
vom „Merkur“ vorbei und wählte für sein Foto einen Augenblick, wo am Stand das
Leben pulsierte.
Infostand
in Miesbach
Aber
wenn der Recep vorbeigekommen wäre, hätte er uns seine Meinung zu den
gefangenen Journalisten gesteckt:
„Schaut
Freunde, hier sind die Zahlen: Von den 177 Menschen, die sagen, sie seien als Journalisten
verhaftet worden, besitzen nur zwei einen Presseausweis. Einer sitzt im
Gefängnis, weil er einen Mord begangen hat, der ganze Rest, weil er
Verbindungen zum Terrorismus hat. … Glaubt ihr den Unterlagen unserer Regierung
oder den verbreiteten Lügen?“
Ehrlich
gesagt, Freund Recep, wir glauben den Lügen!
Sommerfest (Juli)
Unser
Fest wir diesmal, Gott sei Dank, nicht wie letztes Jahr von einem Amoklauf
verdüstert.
Gedenkfeier am Marktplatz (September)
An
sich gab es nichts zu feiern, nur zu gedenken. Vor drei Jahren wurden in der
Stadt Iguala/Mexiko 43 Lehramtskandidaten, die sich auf dem Weg zu einer Demo
nach Mexiko-City befanden, von der örtlichen Polizei (mutmaßlich auf Befehl des
Bürgermeisters) entweder gleich eigenhändig erschossen oder (mutmaßlich) der
Mafia übergeben, die die Überlebenden auf einer Müllhalde „erledigte“, und die Asche
der Leichen (mutmaßlich) in einem Fluss entsorgte. In Mexiko sind zwar solche
Hinrichtungen an der Tagesordnung, aber der Fall erregte dennoch landesweit
Aufsehen, weil er „ein Schlaglicht warf auf die engen Verbindungen zwischen
Politikern, Polizisten und Verbrechern“. Die Häufung der „Mutmaßlichkeiten“
weist natürlich darauf hin, dass der Fall noch nicht aufgeklärt ist.
Zu
der „Feier“ am Marktplatz, in die auch das wöchentliche Friedensgebet der
Kirchen integriert war, kamen etwa 35 Besucher. Leon Walther spielte auf dem
Saxophon das Protestlied „Guantanamera“ – passend, weil es auch die weibliche
Form von „Guantánamo“ ist – und dann verlasen wir die Namensliste der 43 Studenten
und zündeten für jeden von ihnen ein Licht an. Und es ging uns schon sehr nahe,
als wir ihre Kurzbiografien vernahmen:
- Benjamin Ascencio Bautista: wurde
„Vielfraß“ genannt, weil er einmal alle Kekse alleine aß
- Israel Jacinto Lugardo: war
ein guter Junge und kam an die Schule voller Träume und Hoffnungen
Die
Forderung der Angehörigen „Lebendig habt ihr sie uns genommen, lebendig wollen
wir sie zurück“ konnten wir leider nicht erfülllen.
Bundestagswahl 2017 (September)
Um
es gleich vorweg zu nehmen, wir haben nicht gewonnen. War eigentlich auch nicht
beabsichtigt. Über Mails stellten wir in unserer Kampagne „Misch dich ein für
Menschenrechte“ sechs Forderungen an Bundestagsabgeordnete, u.a. „Kein Platz
für Rassismus, Rüstungsexporte besser kontrollieren, Menschenrechte ins
Kabinett“. Forderung 4 „Privatsphäre schützen“ wurde dann gegen uns verwendet,
denn die Abgeordneten wurden teilweise mit 70 gleich lautenden Mails „zugemüllt“
– der Ausdruck stammt von einem Betroffenen aus dem Landkreis - und reagierten
genervt. Ob unsere Aufdringlichkeit der Grund ist, warum die ersten
Sondierungen gescheitert sind, glauben wir eher nicht. Und immerhin: 28
Abgeordnete reagierten auf unsere Mailattacke, die Vertreter zweier bayrischer
Parteien reagierten nicht. Sie dürfen raten welche?
Infostand in Holzkirchen (Oktober)
In
den vergangenen Jahren war der Marktplatz von Holzkirchen der günstigere
Standort, aber diesmal kamen wir dort nicht an das „Rekordergebnis“ von
Miesbach heran. Thema war wiederum die Bedrohung der Pressefreiheit, und die
Opfer dieser Bedrohung waren die gleichen wie in Miesbach (Dzamara, Shawkan,
Erdogan, die „Istanbul 11“). Wir wurden 24 Karten los und sammelten 24
Unterschriften.
Die
Standbesatzungen machten ihre üblichen Erfahrungen - frustrierend, erheiternd,
ermutigend – und verarbeiteten sie in den (langen) Pausen. Es kam ein Mann, der
meinte „Braucht ma ned“, eine Frau wollte wissen, wie sie ins Tegernseer Tal
komme, ein Ehepaar sagte, „Für Amnesty unterschreiben wir alles“. Und dann gab
es eine Frau, die in der Türkei Urlaub machen wollte und Angst hatte, auf eine
Liste zu kommen, die ihr am Flughafen Probleme bereiten könnte. Wir verzichten
auf eine Wertung und stellen lediglich fest, dass Erdogans Drohungen auch bei
uns Wirkung zeigen.
Das
Foto zeigt, dass wir uns die Stimmung nicht verderben ließen.
Infostand
in Holzkirchen
Poeten für die Menschenrechte
(Oktober)
Nein,
wir waren das nicht, obwohl zutrauen …? Die Veranstaltung fand am Marienplatz
in München statt, was dazu führte, dass eine Lesung gegen die Turmglocken des
Alten Peters angehen musste. Es traten 20 Poeten aus vier Ländern auf, die
Abordnung aus Miesbach gehörte nicht zu den Dichtern, sondern war unter den ca.
100 Besuchern – war aber vorher noch von einer Gruppenjury auf ihre literarischen
Kenntnisse hin geprüft worden. Eine Kostprobe haben wir Ihnen bereits mit dem
„Volkstrauertag“ gegeben. Hier noch das Gedicht
Gelobtes Land
Wo
nach der Ankunft
die
Herkunft
die
Zukunft nicht überschattet.
Geburtstagsfeier am Gymnasium
(Oktober)
Wir
waren ausverkauft, und das war kein Wunder, denn mit unserem Aufgebot hätten
wir bei der Verleihung der Grammy Awards und des Salzburger Stiers mitwirken
können. Da war zunächst der Miesbache JazzChor unter Leitung von Hennes Hering,
präzise, gefühlshaltig, temperamentvoll – und von einer ansteckenden
Sangesfreude. Am Ende ihres Auftritts hatte das Publikum tatsächlich „Fire“
gefangen.
Dann
kamen die NouWell Cousines, drei von ihnen (voll emanzipierte) Abkömmlinge der Biermösl
Blasn, die mit gefühlvollen irischen Liebesliedern, rassigen Puztaklängen und
frechen G’stanzeln mit Lokalbezug die Stimmung weiter anheizten. Und dann der
Wortmagier Gerhard Polt mit seinem dritten (!) Auftritt für
AI-Miesbach.
Beeindruckend seine Wandlungsfähigkeit, wenn er seinen „Gedanken“ irrlichternd
durch den Saal schweifen ließ, den Nachbarn Ranftl vorführte, über den Mistkerl
Jason schimpfte und einen indischen Pfarrer über den Glaubensverfall in
Oberbayern lamentieren ließ –auf englisch mit Neuhauser Akzent.
Aber
bevor das alles passierte, hatte das Publikum schon einige (wenn auch kurze)
Reden über sich ergehen lassen müssen. Paul Fertl, 2. Bürgermeister und treuer
Besucher unserer Veranstaltungen, übermittelte das Grußwort der Stadt mit einer
Spende von 100€, würdigte emphatisch die Menschenrechtsarbeit von AI und gab
der Gruppe den schönen Spruch von Bertold Brecht mit auf den Weg: „Wer kämpft,
kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ Der Gruppensprecher
führte die „Überlebensfaktoren“ von AI-Miesbach auf: das Engagement der
Mitglieder, die große Anzahl von Spendern und Lieferanten, die starke
Vernetzung mit Miesbacher Institutionen. Mit einem Rückgriff auf den russischen
Dissidenten Amalrik, der 1970 eine Streitschrift unter dem prophetischen Titel
„Kann die Sowjetunion das Jahr 1984 erleben?“ veröffentlichte, wagte er einen
Ausblick auf Geburtstag Nummer 50 und schloss, ans Publikum gewandt, mit der
Aussage: „Das liegt, biologisch gesehen, auch an Ihnen“.
Am
Infostand, wo das Gedränge nicht so dicht war, wie vor dem Getränkeausschank
der 11. Klassen, kam es zu einigen Begegnungen, die leider im Sande verliefen.
Ein junger Mann verließ den Stand „erschlagen von der Unzahl an Lesematerial“,
und eine Frau bekannte, dass sie „eigentlich schon längst bei uns mitmachen
wollte, sich aber zu alt dazu fühle“. Das würden unsere 70+ Leute nicht so
sehen.
Einen
Tag später tauchten wir dann als „rührige AI-Gruppe“ bei der katholischen Samstagabendmesse
in der Predigt auf, nicht unpassend wie Pontius Pilatus im Credo, denn Pfarrer
Winkler predigte über das „Grundgesetz der Christen“.
Webinar: Terror und Gewalt
(November – Januar)
Ermutigt
durch den „Publikumsandrang im Frühjahr“, folgten wir auch diesmal der
Einladung des Bildungswerkes. Die Volkshochschule war mit an Bord, aber auf die
Zahl der Besucher hatte das leider keine Auswirkungen. Beim Webinar 1 waren wir
zu fünft, alles Mitglieder von AI. Die Referentin sprach über ein brandaktuelles
Thema, die „Politikfelder Innere Sicherheit, Migranten und Terrorismus im
Widerstreit“, aber der Funke sprang nicht so recht über, weil sie viel mit
Zahlen arbeitete und alles vom Blatt ablas; auch perspektivisch war es eher ein
Proseminar für Studenten ihrer Polizeihochschule. Etwas überzeugender dann die
Diskussion.
Ein
gelungener Abend war das Webinar 2 zum Thema „Transnationaler Terrorismus“.
Begriffe wurden klar und verständlich abgegrenzt, das Ziel des IS deutlich
benannt: „… den Westen (durch Attentate) so zu verunsichern, dass man dem
Nachbarn nicht mehr traut“. Die Botschaft kam unverblümt und beklemmend: der
Terrorismus ist Teil unsere Risikogesellschaft und „absolut wirksame“
Gegenmittel gibt es nicht.
Das
Webinar 3 „Frieden im Kalifat?“ fand am Nikolaustag statt. Ich war einer der
drei Besucher, und meine erste Reaktion war: die Referentin gehört in den Sack
gesteckt. Sie war zwar sehr kompetent, setzte aber (oder deswegen) zu viel
voraus und sprach wie ein MG vom IS. Die Mitarbeiterin vom KBW fühlte sich am
Ende „wie erschlagen, obwohl ich gerade von der Uni gekommen bin“. Und das ist
ja nicht gerade der Sinn einer Veranstaltung über „Terror und Gewalt“.
Der
Fairness halber muss ich hinzufügen, dass ich nach keinem Webinar so lange
Notizen gemacht habe – es ist also doch etwas hängen geblieben. Und erwähnenswert
ist auch die Antwort, die auf unsere Frage „Wie sollen wir mit den
Rückkehrerinnen vom IS umgehen?“ gegeben wurde. Da meinte die Referentin optimistisch:
„Auch
wenn sie voll verschleiert gehen, sollte man ihnen mit Freundlichkeit begegnen,
dann merken sie, dass nicht alle bei uns böse sind. Und: wer eine Ideologie angenommen
hat, kann sie auch wieder loswerden.“
Briefmarathon 2017 (November – Dezember)
Da
haben wir uns weitgehend ausgeklinkt. Die Briefe sollten „gebündelt mit einem
Kurier befördert werden“, und selbst die Poststelle in Miesbach wusste nicht,
wo man einen Kurier auftreiben könnte. Und die Postkarte für ein Opfer von
Polizeigewalt in Jamaika war so armselig gestaltet, dass wir uns damit nicht
unter die Leute trauten.
Adventsmarkt (Dezember)
Zuvorderst
der Dank an die Bürgerstiftung, die den Markt wieder hervorragend organisiert
hatte und ein Kompliment an unsere Schichtdienstler/innen, v.a. jenen, die beim
Schneesturm dran waren. Unsere Lieferanten waren die gleichen wie beim Ostermarkt,
deshalb noch einmal ein herzliches Dankeschön, verbunden mit dem Wunsch, das
Christkindl möge ihnen (zur
Abwechslung) auch einmal was schenken. Mit unseren Weihnachtsplätzchen hatten
wir starke Konkurrenz, und was davon nach dem Trocknungsprozess am
Abend
noch übrig blieb, mussten wir größtenteils selber aufessen. Hoffentlich ist
nächstes Jahr wieder schlechtes Wetter! Hauptattraktion wäre dieses Jahr eine
100-jährige Krippe gewesen, die Herr Schmucker aus Familienbeständen gestiftet
hat. Der Konjunktiv „wäre“ steht deshalb, weil die Krippe zwar nostalgische
Gefühle („So eine hatten wir auch!“) aber leider kein Geld locker machte. Das
Angebot steht auch für 2018.
Wenn
Sie aber jetzt meinen, „schlechtes Wetter, nasse Sachen, da kann ja nichts
laufen“, täuschen Sie sich: Wir haben 950€ eingenommen, etwas mehr als letztes
Jahr und sind damit ganz groß zum Essen gegangen. Nein, sind wir natürlich nicht!
Adventsmarkt
– fast wie bei Hänsel und Gretl
Tag der Menschenrechte (Dezember)
Da
gingen wir wieder den „Miesbacher Weg“, der uns wie seit Jahren an die
Kirchentüren führte. Wir verteilten noch einmal Postkarten für Shawkan, der es
offensichtlich wegen seiner angegriffenen Gesundheit nötiger hat denn je, dass
man sich für seine Freilassung einsetzt. Wir wurden insgesamt 230 Karten los, nicht
zuletzt deswegen, weil in der evangelischen Kirche Landesbischof Bedford-Strom zu
Gast war.
Hier
der Augenzeugenbericht einer Verteilerin:
„Pfarrer Sergel kündigte unsere Aktion
höchstpersönlich an, und das mit den Worten, dass die Verteilung von Postkarten
am Tag der Menschenrechte in dieser Kirche schon ‚Tradition’ sei. Da uns am Ende
die Karten ausgingen, musste der Landesbischof ohne Karte nach Hause fahren.
Aber dafür konnte ich mich bei der Verabschiedung noch kurz mit ihm über AI
unterhalten. AI ist ihm schon lange vertraut, seine Mutter habe bereits vor
Jahrzehnten AI-Appelle unterschrieben, und er habe zum Tag der Menschenrechte
einen Text ins Internet gestellt.“
Vor
der katholischen Kirche kam es zu einigen Situationen, die das AI-Jahr etwas
humorvoll abrunden sollen. Der erste Kunde trat gleich mit einem schroffen „Und
wer gibt uns etwas? auf. Ob er meine Antwort „Uns fehlt ja nichts“ noch
registriert hat, weiß ich nicht. Ein zweiter Kunde streckte erwartungsvoll die
Hand aus, aber als er hörte, dass da nichts zu holen, sondern etwas mit 90 Cent
zu frankieren sei, hat er sie schleunigst wieder zurückgezogen.
Das
ist der Vorteil langjähriger AI-Tätigkeit: Man ist über so etwas nicht mehr
irritiert, sondern amüsiert. So sind wir eben, wir Menschen!
Das
meint übrigens auch Charlie Brown.
3.4 Todesstrafe – nein danke!
Von
einigen Kampagnen haben wir schon berichtet. Hier unsere sehr gemischten
Nachrichten zur Kampagne gegen die Todesstrafe:
Eilaktion für Ahmadreza
Djalali/Schweden-Iran (Februar)
Unter
den Fällen, wo Menschen von der Todesstrafe bedroht sind, gehört der von Dr.
Djalali zu den schockierendsten. Djalali ist Arzt für Katastrophenmedizin, lebt
in Schweden und war auf Dienstreise in seinem Heimatland. Im April 2016 wurde
er verhaftet – ohne Haftbefehl versteht sich, und der Spionage für Israel
bezichtigt. Als er sich weigerte, ein Geständnis zu unterschreiben, drohte man
ihm, den Anklagepunkt „Feindschaft zu Gott“ mit anzuhängen, denn darauf stehe
dann (garantiert) die Todesstrafe. Im Oktober wurde er zum Tode verurteilt.
Über den Vorwurf, er habe bei seiner Spionagetätigkeit „die Korruption auf Erden“
verbreitet, kann man nur lachen: Da wären im Iran die Revolutionsgarden und die
religiösen Stiftungen auch gleich aufzuhängen. Eher wird umgekehrt ein Schuh
daraus: Djalali scheint sich geweigert zu haben, für den Iran zu spionieren. Das
Urteil wurde im Dezember bestätigt, die Verteidigung durfte kein Entlastungsmaterial
vorlegen.
„Erfolg“ für Hamid Ahmadi/Iran (Februar)
Ahmadi
war als im Jahre 2008 als 17-Jähriger in eine Messerstecherei mit tödlichem
Ausgang verwickelt gewesen. Seither wurde er in drei Verfahren zum Tode
verurteilt, obwohl er zur Tatzeit minderjährig war. Im Februar erfuhr seine
Familie, dass man „alle Pläne für seine Hinrichtung aufgegeben“ habe. Es ist
anzunehmen, dass internationaler Druck eine Rolle gespielt hat. Ob man ihm die
neun Jahre Haft (und Angst) auf sein jetziges Strafmaß anrechnet, ist nicht
bekannt.
Wiedereinführung der Todesstrafe/Malediven (März)
Wie
auf den Philippinen liebäugelt man auf der „Palastinsel“/den Malediven mit der
Wiederbelebung der Todesstrafe, die dort seit 1952 nicht mehr vollstreckt
worden ist. Vorgegeben wird die öffentliche Sicherheit, aber böse Zungen
behaupten, man möchte damit die Touristinnen treffen, die im Bikini zum baden
gehen. Kein (böser) Scherz aber ist, dass die Malediven Bekleidungsvorschriften
haben, die einen bei zu viel nackter Haut leicht ins Gefängnis bringen können.
Unser Protestbrief wurde dahingehend beantwortet, dass im Juli die Todesstrafe
reaktiviert wurde – auch für zur Tatzeit Minderjährige.
Hinrichtungsrausch in Saudi-Arabien (Juli)
Saudi-Arabien
hatte vor einigen Jahren per Annonce Henker gesucht. Jetzt scheinen sich
genügend gemeldet zu haben, denn, nach AI, befindet das Land sich „seit Juli
2017 im Exekutionsrausch. Im Durchschnitt wurden jede Woche fünf Personen
hingerichtet.“ Offensichtlich will man auch auf diesem Gebiet mit dem
Regionalkonkurrenten Iran Schritt halten.
Sensation im Iran (September)
Der
Iran hingegen wartete im September mit einer Sensation auf: Es wurde die
Todesstrafe gegen Dealer aufgehoben. Der Grund für die Maßnahme: Sie brachte
nicht das „erwünschte Ergebnis“, denn noch nie gab es im Lande soviel
Missbrauch von Drogen. Eine Presseerklärung mit dem Wortlaut „Wir teilen heute
die Meinung von AI, dass die Todesstrafe keine abschreckende Wirkung hat“,
haben wir allerdings vermisst.
Petition zur Abschaffung der Todesstrafe in Ghana (Dezember)
Auch
dieses Land hält sich, gegenläufig zum Trend in Westafrika, ein Hintertürchen
für den Henker offen. Obwohl seit 1993 niemand mehr hingerichtet wurde und die
Verfassungsrevisionskommission schon 2012 die Abschaffung empfohlen hatte, befanden
sich Ende 2016 148 Gefangene in den Todeszellen. AI hätte gehofft, dass sich
zum 60. Jahrestag der Unabhängigkeit das Land ein entsprechendes Geschenk
machen würde. Dass es ausblieb, haben auch die 30 Leute bedauert, die unsere Petition
unterschrieben.
Bilanz
Wenn man im Netz „Abschaffung der Todesstrafe 2017“
eingibt, findet man nur das Land Hessen, das sich anschickt, ein Überbleibsel
der Nachkriegsverfassung zu tilgen. Alle anderen Daten stammen aus dem Jahre
2016. An sich teilen wir als linientreue AI-Mitglieder den Optimismus der Organisation,
dass der Trend hin zur Abschaffung geht, nicht aber die Zuversicht, dass dieser
Trend irreversibel ist. Wir werden weitermachen, bis auch der Vatikan die
Todesstrafe abgeschafft hat. Nein, das war schon 1864.
3.5 Die Finanzen
Von
Karl Kraus gibt es das bissige Wort: „Wer ohne Zwang die Wahrheit sagt,
verdient keine Nachsicht.“ Auch wir nehmen
Zuflucht zur Notlüge, wenn wir über unsere Finanzen berichten: Wir nagen hier als
Gruppe am Hungertuch, haben von der Zentrale in Berlin schon öfter den
Gerichtsvollzieher geschickt bekommen, sind aber auch in den Panama Papers
aufgetaucht, weil wir Millionen auf den Cayman Islands gebunkert haben. Sie
werden es nicht glauben, aber an der Lüge über die Panama Papers hängt noch am
meisten Wahrheit dran. Natürlich haben wir keine Millionen eingenommen und auch
nichts verschoben, aber finanziell stehen wir recht gut da – dank unserer
treuen Spender, Förderer und Lieferanten. Wie klingt es doch so schön (schmalzig)
in der Schubertmesse: „Nur danken kann ich, mehr doch nicht.“
Der
Dank schließt aber auch einen Mann mit ein, der unsere Gelder seit 45 Jahren
(!) verwaltet. In einem früheren Jahresbericht habe ich einmal nachgezählt, wie
viele Finanzminister die Bundesrepublik in 45 Jahren verschlissen hat, und da
sind inzwischen einige dazu gekommen. Unser „Juliusturm“, das war der Spitzname
von Fritz Schäffer, deutscher Finanzminister in den 50er Jahren, heißt
Siegfried Komm, und wenn Sie auch beim Lesen dieses Berichts noch nie
applaudiert haben, dann tun Sie es jetzt.
3.6 Vermischtes
Beim
Danke sagen an Gruppenmitglieder kommt man auch an Thierry Nédélec und Bernard
Brown nicht vorbei. Thierry stellt seit Jahrzehnten – fast hätte ich „Jahrhunderten“
geschrieben – die monatlichen „Briefe gegen das Vergessen“ zusammen und
„belästigt“ dazu unsere Übersetzerinnen Rachel Bull und Irene Scherm. Bernard arbeitet
sich seit Jahren an seinen Iranfällen ab und ist seit längerer Zeit der
einzige, der noch zu Bezirksversammlungen in München geht. Dann gibt es die
Leute mit Spezialaufgaben (Plakate, Eintrittskarten, Asylrecht, Todesstrafe)
und die Kontaktfrauen, die zu den Treffen gehen, wo der Gruppensprecher nicht
hin will. Wenn wir jetzt noch jemand finden, der wieder einmal zur
Jahresversammlung fährt, ist unser Glück vollkommen.
Und
nicht zu vergessen ist Monika Wiegert, die unser Schaufenster zur (Unter)Welt,
den Schaukasten in der Unterführung am Stadtplatz, mit viel kreativer Energie betreut.
4. Spuren im Land (15)
Passend
zum Reformationsjubiläum möchten wir einen Text abdrucken, der 2014 beim
Themenabend „Miesbach – Ort der Migration“ verlesen wurde. Es ist die fiktive
Geschichte der Gerbersfrau Anna Leder in den Jahren 1563 bis 1584, als Miesbach
mehrheitlich protestantisch war.
„Sie wollten uns
wieder katholisch machen“
Natürlich fragt man sich am
Ende seiner Tage, ob es richtig war, seine Heimat zu verlassen, sich von den
Verwandten zu trennen, ein bescheidenes aber gesichertes Leben aufzugeben – um
der neuen Lehre willen, die uns „das reine Wort Gottes, die evangelische
Freiheit!“ verkündete. Ja, ich war eines dieser „halsstarrigen Weiber“, die,
zusammen mit den Dienstboten, standhaft in der neuen Lehre verblieben, während
die Männer schon mit dem Beichtzettel zum neuen Richter liefen, um von der
Handels- und Gewerbesperre, die der überaus fromme Herzog Wilhelm V. über die
Grafschaft Hohenwaldeck verhängt hatte, befreit zu werden. „Er sei mit der
Ausfertigung der Beichtzettel überladen“, klagte der Hilfspriester von
Parsberg, „weil die Zahl der Übergetretenen bereits die 400 überstiegen“. „Die
Miesbacher“, so der damalige Pfarrer Maurer, „wollen mit Gewalt fromm werden“.
Mit der Gewalt hatte er nicht Unrecht.
Warum wir die „bayrische
Religion“, so nannte der Herzog den katholischen Glauben, verlassen hatten, kam
ja nicht von ungefähr. Selbst die Visitationen der Bischöfe und Päpste stellten
bei den Priestern einen Tiefstand an religiösen Kenntnissen und eine
lasterhafte Lebensführung fest. Ich erinnere mich, als unser Prediger Abraham
Preu in der Schlosskapelle zu Wallenburg in heiliger Erregung, aber nicht ganz
frei von Schadenfreude, aus dem Bericht eines herzoglichen Beamten vorlas: „Die
Priester liegen Nacht und Tag in Weinhäusern, … spielen mit Wirfeln und Karten,
… schelten und fluchen wie die Landsknecht, treiben Unzucht mit Wort, Geberden
und Werken.“
Aber es waren gar nicht so
sehr die Missstände der alten Kirche, die uns abstießen, sondern die Freiheiten
der neuen Lehre, die uns zu ihr hinzogen. Sie erlaubte uns das Abendmahl unter
zwei Gestalten gemäß der Einsetzung Christi, eine Beschränkung der
Fastengebote, und den Priestern die Ehe. Für eine gute Beichte genügte die
ehrliche Reue, auf die Aufzählung der einzelnen Sünden konnte man verzichten.
Und mit Begeisterung hörten wir Luthers Psalmen in deutscher Sprache und sangen
seine Lieder.
Das Zusammenleben der
Konfessionen in der Herrschaft war nicht einfach. Es gab zwar keine Hinrichtungen
von uns Ketzern wie dem Vernehmen nach in Wasserburg, aber die Prediger, die
der neuen Lehre anhingen, hatten einen schweren Stand, obwohl sich unser Graf
Wolf Dietrich offen zu ihr bekannte. Aber sein Vater hatte zu Augsburg den
Salzburger Vertrag unterschrieben, der die Unabhängigkeit von Bayern an die
Bedingung knüpfte, dass „in der religion und Ceremonien kain neierung oder
enderung vorzunehmen sei“. Das führte dazu, dass auf Geheiß des Herzogs immer
wieder verdächtige Prediger abgesetzt und des Landes verwiesen wurden. Dem
Grafen zwang er Priester der alten Lehre auf, die aber meist so schnell wieder
gingen, wie sie gekommen waren. Unsererseits, und wir waren in Miesbach und
Parsberg schon in der
Überzahl, gingen wir mit den
Katholischen nicht gerade zimperlich um: Die Priester hat man bis in die Wohnung
verfolgt, sie während der Predigt unterbrochen und einen Fahnenträger beim
Bittgang geschlagen. Das ging so weit, dass einer der Pfarrer um seine
Entlassung bat, weil er „an diesem heillosen Ort (Parsberg) seine Gesundheit
eingebüßt habe“.
Mein Mann Jakob Leder, er war
von Beruf Gerber, mahnte immer wieder zur Zurückhaltung. Er kaufte weiterhin
bei katholischen Händlern ein und trat den Heißspornen entgegen, wenn sie
wieder einmal eine katholische Prozession stören wollten. Er wusste genau, dass
sich der Herzog solche Vorfälle melden ließ und ahnte, dass Wilhelm nur darauf
wartete, unser „schwachgläubiges Volk“ wieder zum katholischen Glauben
zurückzuführen.
Im Jahre 1583 schlug er dann
zu. Im Juni forderte er seinen Bruder, den Bischof von Freising, auf, gegen den
protestantischen „Unrat“ vorzugehen. Der Bischof verfügte, dass kein Ketzer
mehr in geweihter Erde begraben werden dürfe, nur katholische Paten zur Taufe
zugelassen seien und Brautpaare nur dann getraut werden könnten, wenn sie
vorher gebeichtet und kommuniziert hätten. Im November rückten dann von Weyarn
aus 100 „wohlstaffierte Leute“ in Miesbach ein: Von der Kanzel wurde den
Widerspenstigen der Kirchenbann angedroht, auf dem Kirchplatz die Gewerbe- und
Handelssperre verkündet. Vergeblich protestierte der Richter. Der Graf ließ
sich nicht blicken, obwohl er uns für seine Schreiben an Bischof und Herzog
manchen Kreuzer abgeknöpft hatte.
Die Sperre wurde mit aller
Härte durchgeführt. An der Grenze der Grafschaft wurden „sektische“ Händler
abgewiesen, und in Miesbach verkaufte man uns keine Lebensmittel mehr. Was tun?
Gehorsam zur alten Lehre zurückkehren wie die Mehrheit unserer Glaubensgenossen
oder auswandern wie der Richter und der Gerichtsschreiber? Mein Mann und ich
beschlossen, zunächst einmal abzuwarten. Vielleicht würde im Laufe des nächsten
Jahres die Sperre gelockert, da ja auch katholische Untertanen unter ihr zu
leiden hatten. Deshalb verschaffte sich mein Mann den Beichtzettel, während ich
mich weiterhin an den Sonntagen nach Wallenburg schlich, um in der
Schlosskapelle den lutherischen Prediger zu hören. Tatsächlich entspannte sich
die Lage, und wir schöpften wieder Hoffnung.
Doch im Mai 1584 schlug der
Herzog ein zweites Mal zu: der Bann wurde erneuert, die Handelssperre verschärft.
Meinem Mann wurde der Gewerbeschein nicht verlängert, weil man mich wegen
meiner sonntäglichen Spaziergänge nach Wallenburg beim neuen Richter denunziert
hatte. Wir beschlossen zu verkaufen und nach Regensburg zu gehen. Und da hatten
wir noch Glück im Unglück. Wir Gerber wohnten in Miesbach zusammen in einer
Straße, und da der Nachbar für seinen Sohn ein eigenes Gewerbe suchte, zahlte
er einen guten Preis. An der Grenze der Grafschaft hatten wir noch den Spott
der Grenzwächter zu überstehen, die uns „alsdann gar zum Teufel“ wünschten.
In Regensburg trafen wir auf
alte Bekannte aus der Grafschaft, die sich schon vor zwei Jahren zum Wegzug
entschlossen hatten. Mein Mann baute sich ein neues Gewerbe auf, und mit den
Kindern erging es uns ein wenig wie dem Grafen Wolf Dietrich: einer unserer
Söhne blieb der neuen Lehre treu, der zweite trat in die Dienste des
Fürstbischofs und musste katholisch werden, die Töchter heirateten brave
Regensburger Bürger, die sich scherzhaft über die „Halsstarrigkeit“
beschwerten, die ihre Weiber offensichtlich von ihrer Mutter geerbt hatten.
Miesbach spielte übrigens noch
einmal in unser Leben hinein. Georg II, der Sohn Wolf Dietrichs, der in der
neuen Lehre verblieben war, war in erster Ehe mit Maria von Degenberg
verheiratet. Sie starb 1609 und wurde in Regensburg beerdigt. Zu ihrem
Begräbnis kam eine Gruppe aus Miesbach, die dort immer noch im Geheimen an der
neuen Lehre festhielt. Als der Herzog von dieser Reise nach Regensburg erfuhr,
legte er beim damaligen Grafen Protest ein. Die beteiligten Bürger mussten in
München Abbitte leisten.
Das eine aber weiß ich am Ende
meiner Tage: Vor Gott werde ich einmal keine Abbitte zu leisten haben.
5. Schlussakkord
Aus unserem
Jubiläumsjahr verabschieden möchten wir uns mit einem verspäteten Neujahrswunsch
und der Aussicht auf eine bessere Welt.
Neujahrswunsch 2018
Kontaktadressen und Kontonummer
Fritz Weigl, Wallenburger Straße 28 d, 83714
Miesbach
Tel.: 08025/3895, Fax: 08025/998030,
Mail:fritz.weigl@gmx.de
Bernard Brown, Carl-Weinberger-Str. 5, 83607
Holzkirchen
Tel.: 08024/3502,
Mail:bernard.brown@web.de
Homepage: http://www.amnesty-miesbach.de
Bank für Sozialwirtschaft (BfS) Köln, IBAN: DE 233
70 20 50 0000 80 90 100
Verwendungszweck: Gruppe 1431 Miesbach (Gruppennummer unbedingt mit angeben)