Jahresbericht 2017 – 45 Jahre Amnesty

(Landkreis) Miesbach

 

 

1. Einleitung

 

 

Für die Einleitung hat sich bei mir die Gewohnheit eingeschlichen, eine Art Neujahrsansprache zu halten. Sie erinnern sich vielleicht: Ich habe vor einem Jahr ein „Schuldbekenntnis“ abgelegt, weil ich 2015 gegen das 11. Gebot „Du sollst dich nicht der Weitschweifigkeit ergeben“ verstoßen habe – und es ist mir gelungen, den Jahresbericht von 2016 auf 74 Seiten zu „kondensieren“. Aber heuer? Na ja, schließlich war Jubiläum!

 

Zu einer zünftigen Einleitung/Neujahrsansprache gehört auch der prophetische Ausblick, und da muss man Acht geben, dass es einem nicht so ergeht, wie dem früheren Bundeskanzler Helmut Kohl, der am 31. Dezember 1986 die Ansprache von 1985 wiederholte, weil der NDR die falsche Kassette eingelegt hatte. Sie erinnern sich vielleicht noch einmal – oder holen gar den Jahresbericht von 2016 aus Ihrem Tresor, wie wir Madonna in diesen Bericht eingebaut haben. Sie hatte (anlässlich des Todes vieler Musikerlegenden) die Frage gestellt. „Kann sich das Jahr 2016 nicht endlich verp …?“ Und als dann die Silvesternacht in Istanbul mit einem schrecklichen Massaker in einem Nachtklub begann, da wurde einem klar, dass sich das Jahr 2016 noch nicht „verp…“ hatte.

 

 

 

 

 

Aber um die Jahreswende traten auch (notorische) Optimisten auf. Die „Zeit“ titelte ihren Ausblick mit „2017 wird toll“ und machte das am Verkauf von Christbäumen fest: die Deutschen hätten „29,5 Millionen Christbäume gekauft, eine Million mehr als im Krisenjahr 2008 und 200 000 mehr als im Vorjahr.“ Und die Konsumforscher der Uni in Michigan stellten einen „Anstieg des Optimismus-Index – so etwas gibt es (noch) in den USA – auf 98,7 fest, den höchsten Wert sei zwölf Jahren“.

 

Wir steuern (fürs erste) einen mittleren Kurs. Zur Eröffnung unserer Karikaturenausstellung haben wir das Jahr 2017 aus den Trümmern von Ost-Aleppo kriechen lassen

 

 

 

und dazu folgenden Vierzeiler verbrochen:

 

„Das Jahr ist neu, was gibt es her?

Wird’s weitergehen wie bisher?

Doch die Hoffnung aufs Leben ist ungebrochen:

aus Trümmern ist schon oft ein Baby gekrochen.“

 

Von Mark Twain gibt es den etwas rätselhaften Ausspruch

 

„Es gibt keinen traurigeren Anblick als einen jungen Pessimisten – mit Ausnahme eines alten Optimisten.“

 

und „den traurigen Anblick eines (moderaten) alten Optimisten“ werden sie auch wieder in diesem Jahresbericht ertragen müssen/dürfen: Auch dieser Bericht versucht wieder die Gratwanderung zwischen (bisweilen ironischer) Wahrnehmung der Wirklichkeit und (ironiefreier) Schaffung von „Gegenwelten“. Die Dichterin Mascha Kaléko hat das viel schöner gesagt:

 

„Die Nacht in der das Fürchten wohnt

Hat auch die Sterne und den Mond.“

 

 


2. Der Jahresrückblick

 

 

Januar 2017

 

 

Spinnen wir das Thema Optimismus/Pessimismus noch etwas weiter fort. Eine Juristin für Arbeitsrecht setzt „große Hoffnung in Donald Trump“. Sie geht wahrscheinlich davon aus, dass durch Maßnahmen für den Klimaschutz und die Förderung sauberer Energien neue Arbeitsplätze für illegale Einwanderer geschaffen werden, dass ausländische Firmen Schlange stehen, um ihre Niederlassungen in die USA zu verlegen und dass die Oberschicht durch eine satte Vermögenssteuer zu einer Umverteilung genötigt wird, damit der Mindestlohn erhöht und das staatliche Bildungssystem saniert werden kann. Er selber hat sich, in aller Bescheidenheit, bereits im Vorgriff als „den größten Arbeitsbeschaffer, den Gott je geschaffen hat“, bezeichnet. „Schaung’ ma amol“, würde man in Oberbayern sagen.

 

Nun sind Arbeitsplätze nicht gerade das Thema von AI, aber Trump hat sich in seiner ersten „septimana horribilis/schrecklichen Woche“ auch Sachen und Sprüche geleistet, die uns menschenrechtlich aufgestoßen haben. So gab er auf die Frage, ob er glaube, dass „Folter funktioniere“ die Antwort „Ja, absolut“. Und da er, wenn er überhaupt Prinzipien hat, dem Prinzip der Kosten-Nutzen-Rechnung folgt, kann man sich schon einmal darauf einstellen, dass der Kaltwasserverbrauch des CIA wieder nach oben gehen wird, obwohl das Waterboarding keinen Anschlag verhindert hat, aber für das Ansehen der USA ein Desaster war. Nach (derzeit noch) geltendem Völker- und US-Recht macht sich strafbar, wer einen Befehl zur Folter erteilt, aber für Trump ist das vermutlich nur ein „so genanntes Recht“.

 

Und dann kam das Einreiseverbot für Bürger aus sieben „schlechten“ muslimischen Staaten. (Wer Erdöl hat und amerikanische Waffen kauft – Saudi-Arabien, oder autokratisch regiert wird – Ägypten, ist ein „guter“ muslimischer Staat). Aber da kamen ihm ein paar „so genannte Richter“ in die Quere und hebelten sein Dekret aus. Auf den Flughäfen regierte für einige Zeit nicht Trump sondern das Chaos, das von der „SZ“ in deutlicher Anlehnung an Karl Valentins Verkehrsregelung für München wie folgt beschrieben wurde:

 

„Wer an Allah glaubt und aus Iran stammt, darf nicht nach Trump-Land, oder vielleicht doch, aber dann nur donnerstags oder vielleicht bei Vollmond.“

 

Ob die Richter schon für die Wasserfolter vorgesehen sind – „Schaung’ ma amol! Zu Trump und anderen (Polit)Greisen – Verfasser und Leser(innen) dieses Berichts sind selbstverständlich ausgenommen – ist mir ein schöner Spruch von G.B. Shaw über den Weg gelaufen:

 

„Den Alten ist nicht zu trauen. Sie haben keine Zukunft.“

 

Dumm geschaut haben Flüchtlinge, Helferkreis und Betriebe, als durch eine Dienstanweisung des bayrischen Innenministeriums die Hürden für Arbeit suchende Flüchtlinge erhöht wurden. Asylbewerber ohne gute Bleibeperspektive dürfen nicht mehr arbeiten – manche müssen ihre Stellen sogar aufgeben. Kriterium ist die Schutzquote des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge): Flüchtlinge aus Nigeria beispielsweise, von denen derzeit 9,9% anerkannt werden, müssen in den Sammelunterkünften wieder Däumchen drehen und unbedarften Passanten als „Anschauungsmaterial“ dafür dienen, dass Flüchtlinge arbeitsscheue Elemente sind. Besondere (Sumpf)Blüten hat die Dienstanweisung bei den Afghanen getrieben. Da ihre Anerkennungsquote in der Zählweise der bayrischen Regierung unter 50% lag, fielen auch sie zunächst unter das Arbeitsverbot. Als dann im Januar eine grüne Landtagsabgeordnete die Jahresquote für 2016 überprüfte und auf über 55% kam, hat auch die Regierung noch einmal nachgezählt und die Afghanen (wenn auch befristet) wieder arbeiten lassen.

 

Die Reaktionen auf das Arbeitsverbot waren eindeutig („Giftpapier“), und sie kamen auch von Stellen, die nicht gerade CSU-feindlich sind. Der CSU-Landrat im Kreis München stand „nicht überzeugt dahinter“, der Chefredakteur des „Merkur“ nannte es „unmenschlich, töricht und kontraproduktiv“, und auch von den Kirchen kam Gegenwind – nicht nur aus Sorge um den Nachwuchs für die Ministranten.

 

Auch in Sachen „verschärfte Unterbringung“ hat die CSU im Kloster Banz Klartext gesprochen, wenn man den Begriff „optimales Synergiepotential“ als Klartext bezeichnen kann. Sie meint damit, dass neben einer Einrichtung zur sicheren Unterbringung und Abschiebung von Gefährdern auch Transitzentren geschaffen werden sollen, wo „Asylbewerber unterzubringen sind, die bei der Identitätsklärung und Beschaffung von Passersatzpapieren nicht mitwirken“. Letzteres ist problematisch, wenn man bedenkt, dass man auf der Flucht einen Pass nicht nur wegwerfen sondern auch verlieren kann und es oft die Herkunftsländer sind, die sich weigern, Passersatzpapiere auszustellen (Senegal, Tunesien). Dass Gefährder sicher untergebracht werden, wenn ihre Gefährlichkeit gesichert ist, daran ist nicht auszusetzen, bedenklich ist, dass unser Asylrecht durch Wegsperren der Flüchtlinge immer mehr untergraben wird. Da sollen Flüchtlinge aus „sicheren“ Herkunftsländern in Flughafennähe untergebracht werden, damit man sie abschieben kann, bevor sie noch einen Rechtsanwalt kontaktieren konnten, und da sollen Aufnahmezentren in Libyen eingerichtet werden, wo über Asylanträge für Deutschland entschieden wird. Man kann sich jetzt schon vorstellen, wie sich die BAMF-Entscheider um diese Posten raufen werden, wo sie doch schon nicht nach Griechenland gehen! Da soll man es doch gleich so machen wie in Ungarn, wo die Regierung plant, Asylbewerber künftig generell in „Schutzhaft“ zu nehmen. Aus dem „geplant“ wurde im Februar ein „ausgeführt“: eingesperrt wegen Flucht(gefahr).

 

Sie brauchen Stoff zum entärgern? Einverstanden! Silvester in Köln ging dank massiver Polizeipräsenz (einigermaßen) friedlich über die Bühne. Die einschlägigen Nordafrikaner scheinen weitgehend weggeblieben zu sein, was man von den Opfern des Jahres 2015 auch annehmen kann. Es gab Polizeikontrollen gegen „südländisch aussehende Männer“, die einem „racial profiling/Gesichtskontrolle nach Aussehen“ verdächtig nahe kamen und, meiner Meinung nach, von den Grünen und Amnesty International etwas unüberlegt kritisiert wurden, denn, so die „SZ“:

 

„Wann je sollen Kontrollen notwendig sein, wenn nicht hier und aus diesem Anlass, ein Jahr nach den Ausschreitungen auf der Domplatte?“

 

Und es gab einen Tweet der Kölner Polizei, in dem der rassistische Begriff „Nafri“ verwendet wurde. Das klingt wie „Nazi“, bezeichnet aber die „nordafrikanischen Intensivtäter“, die aber, wie erwähnt, in dieser Nacht nicht aufgetaucht sind oder sich andernorts „amüsiert“ haben. Der Polizeipräsident hat sich für das Wort entschuldigt, die „Nafris“ des letzten Jahres für ihr Verhalten leider nicht.

 

 

Gesichtskontrolle in Köln – ausnahmsweise zu Recht

 

Auf einem Transparent am Silvesternachmittag stand der Slogan: „Take back the night/Lasst uns die Nacht zurückerobern!“ Dass es gelungen ist, freut uns. Wenn es ohne massive Polizeipräsenz gegangen wäre, hätte es uns noch mehr gefreut.

 

Als Gegenstimme ein Nachtrag vom Februar: eine UN-Expertengruppe kam zu dem Ergebnis, dass in Deutschland „racial profiling“ weit verbreitet ist und dass es bei Polizei und Justiz „institutionellen Rassismus“ gäbe. Haben sie bei AI abgeschrieben!

 

 

Die Kurznachrichten

 

 

- In Bangalore/Indien kam es in der Silvesternacht zu einer Massenbelästigung von Frauen. Der Innenminister der Provinz bezeichnete die Angriffe als „bedauerlich“ und gibt den Frauen eine Mitschuld. Sie benähmen sich „fast wie westliche Leute“, kleideten sich auch so „und dann passieren solche Dinge“.

 

 

Silvesternacht in Bangalore

 

- Man hat Deutschland schon als „Bordell Europas“ bezeichnet, aber auch in der Schweiz blüht in der Sexarbeit ein „Menschenhandel in Reinkultur“. Betroffen sind davon Frauen aus Osteuropa und Thailand. Sie werden von ihren Zuhältern verkauft, wenn sie nicht mehr genug einbringen. Wenn es zur Anzeige kommt, gibt es dafür häufig nur Bewährungsstrafen: der Beschuldigte gesteht, zahlt etwas Schmerzensgeld, und der Staatsanwalt gewährt Strafnachlass. Ein echter Deal – v.a. für den Zuhälter!

 

- In Québec/Kanada griff ein Attentäter eine Moschee an und tötete sechs Menschen während des Abendgebetes. Seine Motive sind noch unklar. War es ein islamophober Rechtsextremist oder war ihm die muslimische Gemeinde zu moderat?

 

- In Kuwait wurde ein leibhaftiger Prinz exekutiert. Er hatte einen anderen Prinzen erschossen, mit dem er eine Auseinandersetzung wegen „Motorsport- und Geschäftsangelegenheiten“ gehabt hatte. Mit ihm wurden sechs weitere Menschen gehängt, überwiegend Ausländer. Zwei von ihnen waren Hausmädchen, und das ist in arabischen Staaten ein sehr gefährlicher Beruf.

 

- Der AfD-Politiker Björn Hocke, Spezialist für Unsägliches, hat die Holocaust-Gedenkstätte in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnet. Seine nachfolgende „Entschuldigung“ auf Facebook war erwartbar: Er habe mit „Schande“ den „von Deutschen verübten Völkermord an den Juden“ gemeint. Warum er dann vorher davon gesprochen hat, dass das Land eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ brauche, bleibt schleierhaft. Aber immerhin kann man dem Ex-Geschichtslehrer jetzt um die Ohren schlagen, dass es auch für ihn einen „Völkermord an den Juden“ gegeben hat.

 


Titel des Fotos – Rast

 

Im Februar beschloss der AfD-Bundesvorstand mit knapper Mehrheit, Höcke wegen seiner Dresdner Rede aus der Partei auszuschließen. Schaung’ ma amol! Der „Merkur“ hat in seiner Karikatur ein Wortspiel mit Höckes Namen veranstaltet.

 

 

 

- In der Kaserne von Pfullendorf kam es zu widerwärtigen Initiationsriten und sexuellen Übergriffen an Rekruten, „speziellen Operationen“ gewissermaßen, denn so heißt das Ausbildungszentrum, wo diese Übergriffe stattfanden. Leicht befremdlich war dazu der Kommentar in der „SZ“, wo der Autor vor einer „aseptischen Bundeswehr“ warnte:

 

„In einer Armee … muss Raum für das Archaische sein, für Initiationsriten und Rituale, die von außen betrachtet womöglich seltsam wirken.“

 

Aha, da hat jemand selber „gedient“! Im Februar kamen dann Dinge auf, wo man nicht so recht sagen kann, was skandalöser ist: die Verschleppung der Aufklärung oder die Initiationsriten selber: Die ersten Vorfälle wurden schon 2014 gemeldet, wurden aber wegen mangelnder Beweiskraft unter den Tisch gekehrt. Dann, im Sommer 2016, wurde eine Rekrutin gemobbt, weil sie sich weigerte, an einer Tanzstange zu tanzen, ähnlich wie weiland Salome vor König Herodes. Soviel „Archaisches“ wurde auch der „SZ“ zuviel. Im Februar tat sie Buße und schrieb:

 

„Archaische Rituale haben in der Bundeswehr nichts verloren.“

 

- In Marokko verbot die Regierung den Verkauf und Vertrieb von Ganzkörperschleiern/Burkas. Die (inoffizielle) Begründung sind Sicherheitsbedenken. Die Burka sei in Großstädten für kriminelle Aktionen missbraucht worden. Die Medien fragen sich bereits, ob das bereits die Vorstufe zu einem generellen Verbot darstellt, die Burka (und den Niqab) im öffentlichen Raum zu tragen. Ein Nutzer (wahrscheinlich männlich) schreibt auf Facebook:

 

„Ich bin für das Verbot von Make-up. Man erkennt das wahre Gesicht der Frau nicht mehr, noch weniger als unter der Burka oder dem Niqab.“

 

Da sind wir entschieden anderer Meinung!

 

- Diebisch gefreut haben uns die „Kuckuckseier“, die der scheidende US-Präsident seinem Nachfolger noch ins Nest gelegt hat. Er hat durch die Begnadigung von Chelsea Manning einen Justizskandal zumindest etwas entschärft. Manning hatte vor sieben Jahren Informationen über amerikanische Kriegsverbrechen im Irak an Wikileaks weitergegeben und war deshalb 2013 wegen Verstoß gegen Spionagegesetze zu 35 Jahren Haft verurteilt worden. Und dann hat Obama dem Sultanat Oman zehn Häftlinge aus Guantánamo überstellt. Damit sind von den 242 Gefangenen bei Obamas Amtsantritt noch 45 verblieben. Ob Trump allerdings diese Eier auch ausbrütet, ist mehr als fraglich. Im Wahlkampf hatte er versprochen, das Lager „mit einigen bösen Kerlen zu belegen“, z.B. Hillary Clinton und Konsorten. Und bei Manning lässt sich vielleicht wegen seiner Geschlechtsumwandlung etwas drehen.

 

- Ob es noch der weihnachtliche Nachhall von „Ihr Kinderlein kommet“ oder ein Vorzeichen des nahenden Wahlkampfes ist? Die SPD hat gefordert, ein Kindergrundrecht im Grundgesetz aufzunehmen, so wie auch der Tierschutz Verfassungsrang hat. Damit greift sie ein Thema auf, das, so die „SZ“

 

„schon so lange auf der Tagesordnung steht, dass man sich darüber wundert, dass es immer noch da steht“.

 

Eine entsprechende Verfassungsänderung soll noch in dieser Wahlperiode beschlossen werden. Auch hier gilt unser Jahresanfangsmotto „Schaung’ ma amol!“

 

 

Februar 2017

 

 

Wie immer führt uns der Februar an die äußerste Grenze des AI-Mandats: Wie soll man den Fasching in einen Bericht über Menschenrechte integrieren? Man könnte natürlich einfach sagen, dass er (der Fasching) ein solches (Menschenrecht) ist, zumindest im Rheinland, wo Rosenmontagsumzüge witterungsbedingt schon bis in den Mai hinein verschoben wurden. Man könnte auch an Auswüchse beim politisch korrekten Sprachgebrauch erinnern, der aus der „Russnmass“ ein „limonadisiertes Weissbier“ und aus dem „Negerkuss“ eine „Schokoschaumspeise“ macht. Am „Neger“ hat auch eine Facebook Userin Anstoß genommen, die den Namen „Negerball“ für eine Faschingsveranstaltung in Kirchberg/Lk Regen als „in höchstem Maße rassistisch“ bezeichnet hatte. Die Kirchberger wussten nicht so recht wie ihnen geschah, denn der Erlös des Balles fließt seit Jahren in Entwicklungsprojekte für Afrika. Selbstkritisch fügen wir hinzu, dass die AI-Broschüre „Rassismus in uns“ auch einige Passagen enthielt, die man (wohlwollend) als „etwas überzogene Sensibilität“ bezeichnen könnte.

 

Und man könnte natürlich den Fakenews-Produzenten Donald Trump zitieren, der beim Thema Flüchtlingsströme auf einen Vorfall hingewiesen hat, der „gestern Abend in Schweden passiert ist“. Die Schweden haben dann aufgezählt, was er gemeint haben könnte: die Polizei hat einen alkoholisierten Autofahrer verfolgt, bei der Generalprobe zu einem Musikfestival gab es technische Probleme, und in Lappland wurde wegen einer Lawine die Straße gesperrt. Ab jetzt aber ist Schluss mit lustig: Eine Erklärung für Trumps „Schwedentrunk“ war, dass er „Schweden“ mit „Sehwan“ in Pakistan“ verwechselt hatte, wo zwei Tage zuvor bei einem Selbstmordanschlag mindestens 88 Menschen starben.

 

Es fällt schwer herauszufinden, mit welchem Land Innenminister de Maizière vielleicht „Afghanistan“ verwechselt hat. Andorra wäre ein sicheres Herkunftsland, klingt aber ganz anders. Absurdistan klingt ähnlich, ist aber kein Land. Absurd aber ist die Annahme, dass Afghanistan sicher ist. Ist ein Land sicher, wo es nach Angaben von Pro Asyl im letzten Jahr

- in 31 von 34 Provinzen zu Kampfhandlungen gekommen ist?

- sich neben den Taliban jetzt auch der IS etabliert hat und mit einem blutigen Anschlag auf ein Militärkrankenhaus im „sicheren“ Kabul erneut seinen Einstand gefeiert hat? (Wenn jetzt die Gotteskrieger gegen die Gotteskrieger antreten, möchte ich nicht in der Haut des lieben Gottes stecken!)

- die Zahl ziviler Opfer 2016 nach einem UN-Bericht einen neuen Höchststand erreicht hat?

- ein Asylbewerber aus dem Abschub im Januar bei einem Selbstmordattentat im „sicheren“ Kabul verletzt worden ist?

 

Nein, so die „SZ“: „Sicher ist am Hindukusch nur die Lebensgefahr.“

 

In Deutschland fällt das Bauchweh wegen der Abschiebungen unterschiedlich aus. Die Innenminister in Berlin, Stuttgart und München sind sozusagen schmerzfrei: Aus beiden Bundesländern wird abgeschoben. Doch es gibt auch Gegenpositionen und Gegenstimmen: Fünf Bundesländer, an der Spitze Schleswig-Holstein, haben einen (mehr oder weniger langen) Abschiebestopp verfügt, Zehntausende haben die Petition eines bayrischen Kinderarztes unterschrieben, Kardinal Marx hat einen generelle Abschiebung von afghanischen Flüchtlingen als „außerordentlich fragwürdig“ bezeichnet, eine Formulierung, die aus seinem Munde fast schon an Kritik grenzt, und selbst die Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) meinte, dass das „noch mal überlegt werden muss“. Wenn Sie das in Bayern durchsetzen, dann steh’n wir stramm, Frau Stamm! Aber eher kommt es dazu, dass wir von der „Abschiedskultur“ zur „Abschiebekultur“ übergehen: Allerdings mit „Kultur“ hat beides nichts zu tun.

 

 

 

Die Helferkreise haben eine eindrucksvolle Pilgerfahrt nach München gemacht und die Bavaria auf der Theresienwiese um Beistand gebeten. Weil wir auch dabei waren, verschieben wir das in unseren Tätigkeitsbericht.

 

Und diejenigen, die direkt betroffen sind, können wir in einem Satz abtun: „Die Flüchtlinge haben Panik“.

 

Gutes Angsttraining für die Rückkehr nach Afghanistan, werden einige sagen. Damit aber sprengen wir böhmermännisch die Grenzen des guten Geschmacks und gehen über zu

 

 

Den Kurznachrichten

 

 

-  Israel hat gleich zweimal von sich reden gemacht, und die Rede ist voller Misstöne. Das Parlament hat wilde Siedlungen auf palästinensischem Privatland legalisiert und damit den Fleckerlteppich vergrößert, der dazu führen würde, dass ein Staat Palästina wie ein Schweizer Käse aussehen würde. Für die rechten Parteien im Land ist der Beschluss der Knesset ein weiterer Schritt zur Einverleibung des gesamten Westjordanlandes, der Oppositionsführer sprach von einem „kranken Gesetz“ und Menschenrechtsgruppen haben einen Petition ans Oberste Gericht angekündigt. Die „SZ“ spöttelt:

 

„Im israelischen Parlament herrscht derzeit Narrenfreiheit … Am Ende findet sich vielleicht auch noch eine Mehrheit dafür, die Zehn Gebote zu modifizieren.“

 

- Und dann gab es den „Schuldspruch“ gegen Elor Asaria. Er hatte einen Palästinenser, der vorher einen Soldaten mit einem Messer angegriffen hatte, mit einem Kopfschuss getötet. Von Notwehr konnte keine Rede sein, denn Asaria kam elf Minuten nach dem Messerangriff am Tatort an, und der Täter lag bereits blutend am Boden. „Heißblütiger Mord“ würde man sagen – und damit strafverschärfend. Das Militärgericht sah es anders: Mit 18 Monaten Gefängnis blieb es noch weit unter dem Strafmaß, das der Staatsanwalt gefordert hatte. Trotzdem ging einer der Verteidiger in Revision. Das Urteil spaltete das Land, aber nicht zu gleichen Teilen. Im Juli wurde die Berufung abgelehnt. Von einem Autokonvoi seiner Unterstützer begleitet, trat er jetzt seine Gefängnisstrafe an.

 

- Russland führte uns vor, wie man mit der Opposition umzugehen hat. Der Putin-Kritiker Alexej Nawalny wurde wegen Unterschlagung zu fünf Jahren auf Bewährung verurteilt. Er soll eine staatliche Firma beim Holzhandel um 250 000 € geprellt haben. Unterschlagen aber wurde eher, dass er in Ungnade gefallen war, weil er 2011 einer der Wortführer bei den Demos gegen Wahlfälschungen war, einen Fonds zur Bekämpfung der Korruption eingerichtet hatte und Sprüche losließ, mit denen die Kreml-Partei als „Partei der Diebe und Gauner“ bezeichnet wurde. Ein für Putin erfreulicher Nebeneffekt des Urteils: Nawalny darf nicht für die Präsidentschaft kandidieren.

 

- Womöglich noch schlimmer erging es Wladimir Kara-Murza, Mitglied verschiedener Oppositionsparteien und Freund des ermordeten Boris Nemtsow. Er wurde mit schweren Vergiftungserscheinungen ins Krankenhaus gebracht und lag einige Tage im Koma. Schon 2015 war er wegen plötzlichen Organversagens eingeliefert worden. Damit reiht er sich ein in eine Gruppe von Kreml-Kritikern, die in der Regierungszeit Putins Opfer rätselhafter Vergiftungen wurden. Es grüßen die Borgias aus dem Rom der Renaissance.

 

- Auch unser neuer Freund, der philippinische Präsident Duterte, hat sich einer Gegnerin auf die elegante Art entledigt. Die Senatorin Leila de Lima verbrachte die letzte Nacht in Freiheit in ihrem Büro und wurde am Morgen gewissermaßen an ihrem Arbeitsplatz verhaftet. Man wirft ihr vor, gegen Drogengesetze verstoßen und sich als Ministerin bereichert zu haben. In Wirklichkeit ist sie wohl „die erste politische Gefangene Dutertes“. Wegen seines brutalen Antidrogen-Krieges hatte sie ihn als „soziopathischen Serienmörder“ bezeichnet. Auch hatte sie sich mit Todesschwadronen befasst, bei denen Duterte eigenhändig mitgemischt hatte. Für de Lima beginnt eine gefährliche Lebenszeit.

 

 

 

- Abseits der Ruinen syrischer Städte geht das Grauen im Verborgenen weiter. In Militärgefängnissen wie Saydnaya sollen laut Amnesty zwischen 2011 und 2015 an die 13 000 Gefangene bei Massenhinrichtungen getötet worden sein, bis zu 115 000 Menschen sind spurlos verschwunden. Wenn man annehmen muss, dass Assad am Tropf von Russland und dem Iran diesen Bürgerkrieg überleben wird, kann einem speiübel werden, denn die Verantwortung für diese Verbrechen tragen der Präsident und seine Vertrauten persönlich. Wenn der einmal zum Strafgerichtshof nach den Haag verfrachtet wird, sollten die Glocken läuten.

 

 

(Relativ harmlose) Alltagsszene in Saydnaya

 

- Als Reaktion auf einen rechtslastigen Diskussionsabend in den Niederlanden brach in den Netzwerken ein Shitstorm los, der mit einem „bayerischen Bierkeller der 1930er Jahre“ verglichen wurde. Auch wir können im Februar aus dem Freistaat einige „Bierkellerszenen“ liefern.

 

Elena Roon, Vorsitzende eines AfD-Verbandes in Nürnberg, hat „ohne böse Absicht“ in einer internen Chat-Gruppe der Partei ein Hitlerbild verbreitet. Gerahmt wird das Bild mit der Aufschrift: „Vermisst seit 1945 … Adolf, bitte melde dich! Deutschland braucht dich! Das Deutsche Volk!“ Als das Chatty nach einem halben Jahr bekannt wurde, hat sie sich (nach AfD-Art) vor lauter Dementis überschlagen.

 

„Reichsbürger radikalisieren sich“ titelte der „Merkur“ einen Bericht über den bayerischen Ku-Kux-Klan, der über 1700 Mitglieder zählen soll. Die „Nigger“, die sie bekämpfen, sind u.a. Juden und Gerichtsvollzieher. Da werden Mails geschrieben, in denen Juden vorgeworfen wird, per Kondensstreifen am Himmel psychisch belastende Mittel zu verbreiten. Wenn man die Reichsbürger sieht und hört, glaubt man das sofort. Und ein Gerichtsvollzieher wurde von der Reichspolizei/Gestapo verhaftet und musste von der Landespolizei wieder befreit werden. Im Landkreis Miesbach sollen etwa 100 Personen zur Szene gehören. Wir würden damit deutlich über dem Landesdurchschnitt liegen. Da einige von ihnen auch Waffenbesitzer sind, möchten wir uns lieber nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.

 

„Jeder Zweite hadert mit Demokratie“ war der Titel, unter dem der „Merkur“ über eine Studie der Hanns-Seidel-Stiftung berichtete. Demnach stieg in Bayern die Zahl der Leute, die mit der Demokratie unzufrieden sind, seit 2001 von 22 auf 48 Prozent – trotz wirtschaftlich guter Lage. Da kann man nur sagen. „Die Bayern spinnen!“

 

Mehr als 48 Prozent werden dem Plan der bayerischen Regierung zustimmen, Gefährder unbefristet in Vorbeugehaft zu nehmen, auch wenn er/sie noch nichts getan hat. Das würde ein Prinzip unseres Rechtsstaates, nämlich die Unschuldsvermutung, auf den Kopf stellen. Jetzt kommt natürlich sofort das „Hätten wir doch vorher …“, aber es müsste doch noch andere Möglichkeiten geben, um solche Vögel in Schach zu halten. Im Gefängnis werden sie sicher nicht normalisiert. Und außerdem: „Mia san nicht Guantánamo!“

 

Genug der Bayernschelte!

 

- Die oben erwähnte Studie hat auch herausgefunden, dass die meisten Migranten sich „in Bayern da-hoam“ fühlen, gern im Freistaat leben und sich als gut integriert bezeichnen. Mit 9,0 von 10 bekommt das „gute Auskommen mit Menschen“ eine Bestnote. Und was die bayerische Staatspartei am meisten wundern wird: Das politische Interesse hält sich in Grenzen, aber wenn (eingebürgerte) Migranten doch zur Wahl gehen, machen die meisten ihr Kreuz bei der CSU.

 

- In Myanmar hat die Regierungschefin Aung San Suu Kyi endlich einmal so reagiert, wie es sich für eine Ikone der Menschenrechtsbewegung geziemt. Sie lässt Missbruchsvorwürfe gegen vier Polizisten untersuchen, die bei einer Razzia Dorfbewohner geschlagen und getreten haben sollen. Sie gehörten der Minderheit der Rohingya, die vom Militär und der Mehrheitsgesellschaft in einem Maße schikaniert werden, dass man bereits von „ethnischer Säuberung spricht. In einem Brief haben mehr als ein Dutzend Nobelpreisträger ihrer (Preisträger) Kollegin Tatenlosigkeit vorgeworfen.

 

 

 

- Aus Russland kommt auch einmal eine gute Nachricht: Das oberste Gericht hat das international scharf kritisierte Urteil gegen Ildar Dadin aufgehoben. Er war wegen „unangemeldeter Proteste“ (Anti-Putin Plakate) zunächst zu drei Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Er war auch Ziel einer Eilaktion von AI. Nach seiner Freilassung legte er noch eins drauf: „Ich werde weiterhin gegen das faschistische Regime von Putin kämpfen.“

 

- Mit dem Faschismus sind wir doch noch bei Erdogan und Merkel gelandet. Man hat der Kanzlerin des Öfteren vorgeworfen, den osmanischen Sultan mit Samthandschuhen anzufassen, aber bei ihrem letzten Besuch hat sie ihm vor laufenden Kameras einen „Grundkurs in Staatsbürgerkunde“ verabreicht. Und so schaut er auch drein!

 

 

 

Wir hingegen wollen uns mit einer Portion Weltfluchtlyrik von Ludwig Uhland vom Februar verabschieden und in den März hineinschauen:

 

Frühlingsglaube

 

Die Welt wird schöner mit jedem Tag;

man weiß nicht, was noch werden mag,

das Blühen will nicht enden.

Es blüht das fernste, tiefste Tal:

Nun, armes Herz, vergiss der Qual!

Nun muss sich alles, alles wenden!

 

 

März 2017

 

 

„O heiliger Sankt Florian, beschütz’ uns vor dem Erdogan“, mögen einige Bürgermeister in Deutschland gebetet haben, als der Blechtrommler vom Bosporus seine Ministerkohorten aussandte, um bei den Auslandstürken um ein „Ja“ zu seinem Referendum zu werben.

 

 

 

Während man in den Niederlanden einer türkischen Ministerin den Zugang zum Generalkonsulat mit Polizeigewalt verwehrt hat, haben die Behörden bei uns zu subtileren Mitteln gegriffen. In Gaggenau/Baden-Württemberg wurde ausgeladen, weil die Zufahrten und Parkplätze nicht ausgereicht hätten, in Köln lag kein ordentlicher Mietvertrag vor, und in Hamburg wurde die vorgesehene Halle aus Brandschutzgründen gesperrt. Mit letzterem lag man gar nicht so falsch, denn was der türkische Außenminister dann von der Terrasse des Generalkonsulats losließ, konnte man durchaus als „Brandrede“ bezeichnen.

 

Die Klage eines deutschen Bürgers gegen den Wahlkampfauftritt des türkischen Ministerpräsidenten in

Oberhausen führte dann zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Die Klage wurde zwar als „unzulässig“ zurückgewiesen, weil „der deutsche Kläger durch einen türkischen Redner nicht in seinen Grundrechten betroffen ist“, aber damit hörte die Urteilsbegründung nicht auf. Vertreter ausländischer Regierungen könnten sich nicht auf deutsche Grundrechte berufen, und es sei Sache der Bundesregierung zu entscheiden, ob ein Auftritt in „amtlicher Funktion“ erwünscht sei oder nicht.

 

Und da gibt es doch eine Menge Gründe, warum solche Wahlkampfauftritte eher unerwünscht sind. Da wird für eine Verfassungsänderung getrommelt, die die Grundrechte in der Türkei noch weiter einschränkt, da werden Regierungskritiker und Nein-Sager eingeschüchtert oder weggesperrt, da werden die Türken in Deutschland polarisiert – und da wird gegen das türkische Wahlgesetz verstoßen, denn, so Artikel 94/A, „im Ausland … kann kein Wahlkampf betrieben werden“.

 

Erdogan hat auf die unfeine Art auf die Auftrittsverbote reagiert. Den Deutschen warf er „Nazi-Praktiken“ vor, den Niederländern einen „verkommenen Charakter“. Und die Europäer hat er wie folgt gewarnt:

 

„Wenn ihr euch weiterhin so benehmt, wird morgen kein einziger Europäer, kein einziger Westler auch nur irgendwo auf der Welt sicher und beruhigt einen Schritt auf die Straße setzen können.“

 

Da hat er vielleicht ein Buch über den Geheimbund der Assassinen gelesen, die im Mittelalter neben sunnitischen Muslimen auch prominente Kreuzfahrer ermordeten – und danach Haschisch konsumierten.

 

Diese Zeilen wurden zwei Tage vor dem Referendum geschrieben, und die (westlichen) Medien wiederholen unermüdlich, dass der Ausgang offen ist. Ich glaube, es wird ein Heimspiel für Erdogan, würde mich aber freuen, wenn ich mich täuschen sollte. Der türkische Blogger, der in der „SZ“ die „Türkische Chronik“ schreibt, zitiert einen Spruch, der in letzter Zeit oft in den sozialen Netzwerken geteilt wurde:

 

„Du wirst in dem Referendum gefragt, ob du ein Idiot bist oder nicht. Und du wirst diese Frage mit ja oder nein beantworten.“

 

Im April zeigte sich dann, dass ich mich mit dem „Heimspiel“ getäuscht hatte. Erdogan kam nur auf 51,37% - aber er gewann, nicht zuletzt mit den Stimmen der Türken, die in Deutschland (und anderen europäischen Ländern) leben. Die Schlagzeile der „Bild“ – „Deutsche Türken verhelfen Erdogan zum Wahlsieg“ ist trotzdem eher postfaktisch einzuordnen: Es gab zwar etwa 416 000 Ja-Stimmen (63,07%), aber um Zünglein an der Waage zu sein, fehlte doch noch eine ganze Million. Die Wahlbeteiligung in Deutschland lag bei 48,73%, was bedeutet, dass letzten Endes nur (?) 29% für die Machterweiterung Erdogans gestimmt haben.

 

Dem Kommentar im „Merkur“ ist dennoch nichts hinzuzufügen:

 

„… hat das Referendum noch ein deutsches Problem offenbart: das alarmierende Verhalten der Deutsch-Türken, die bequem in einer Demokratie leben, aber der Heimat eine Diktatur einbrocken. … Doch zugleich müssen sich auch die Deutschen fragen, ob in Sachen Integration, Bildung und demokratischer Teilhabe nicht zu viele Fehler gemacht wurden.“

 

Der Blogger der „Türkischen Chronik“ sollte sich besser nicht erwischen lassen, sonst geht es ihm wie dem Journalisten Deniz Yücel, der seit zwei Monaten in Untersuchungshaft sitzt und dem man „Propaganda für eine terroristische Vereinigung“ vorwirft. Da ihn Erdogan auch als „deutschen Agenten“ bezeichnet hat, stellt sich natürlich die Frage, ob mit den Terroristen nicht die Bundesregierung gemeint ist.

 

Im „Merkur“ gab es zu Yücel einige Leserbriefe, die andeuteten, dass sie es gar nicht so „furchtbar“ fänden, dass man ihn endlich hinter Schloss und Riegel gesetzt hat. Yücel hatte 2011 in der „taz“ den Artikel „Super, Deutschland schafft sich ab“ geschrieben, der, wenn die Zitate stimmen, vom Niveau her an das Erdogan-Gedicht von Böhmermann erinnert. Trotzdem stehen wir voll hinter dem Appell von Bundespräsident Steinmeier an die Adresse Erdogans: „Und geben Sie Yücel frei!“

 

Erdogan ist sicher nicht der Typ, der im Alter noch ein Poesiealbum führt, aber der Satz von Wilhelm Raabe würde gut in ein solches passen:

 

„Wer milde ist,

nicht leicht zürnt und,

zürnt er leicht,

sich dessen im nächsten Augenblick schämt,

dem sind die Götter auch milde.“

 

Kaum geschämt hat sich ein Politiker, der für Schlagzeilen in der Flüchtlingspolitik sorgte. Orban in Ungarn hat die Einwanderung als „trojanisches Pferd des Terrorismus“ bezeichnet – und großzügig übersehen, dass der Großteil der Flüchtlinge nicht den Terror transportiert, sondern vor ihm davonläuft. Und dabei verwendet er mit seiner Warnung vor „ethnischer Vermischung“ ein Vokabular, das in deutschen Ohren, wenn auch nicht in denen von Frauke Petry/AfD, verdächtig nach Vergangenheit klingt. Aber angesichts der derzeitigen Gastfreundlichkeit der ungarischen Rechten ist eine großflächige Vermischung von christlichen Pustakriegern und syrischen Muslimas nicht zu befürchten.

 

In Orbans „Transitzonen“ hat der europäische Gerichtshof für Menschenrechte herumgestochert. Er hat die Verlegung von acht Jugendlichen und einer schwangeren Frau gestoppt und (reichlich unbedarft) die Frage gestellt, ob in den Tansitzonen „besonderen Bedürfnissen Asylsuchender Rechnung getragen werde und ob das dafür notwendige Fachpersonal vorhanden sei“. Der Fraktionschef von Orbans Partei hat daraufhin angeregt, über einen Austritt aus der Europäischen Menschenrechtscharta nachzudenken, und alle Welt hat sich gewundert, dass die Ungarn überhaupt noch Mitglied sind.

 

 

 

Zugenommen hat die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen (überwiegend evangelische) Geistliche wegen Kirchenasyl in – dreimal dürfen Sie raten – Bayern. Angeblich sind wir derzeit das einzige Bundesland, wo solche Ermittlungen wegen „Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt“ angestellt werden. Bekannt wurde der Fall einer Pfarrerin in Hassfurt/Unterfranken, die vier afghanischen Flüchtlingen Kirchenasyl gewährt hatte. Ihre Gemeinde reagierte mit einer Solidaritätsdemo, die Bischöfe (beider Konfessionen) waren wegen der Ermittlungen „verstimmt“ bis „ungehalten“ und verteidigten das Kirchenasyl als „humanitäre Notlösung“. Die meisten Verfahren werden zwar wegen „Geringfügigkeit“ eingestellt, aber ihr Charakter als Warnschuss vor den Bug der Kirchen ist nicht zu übersehen. Wir schließen uns dem Appell des Bayerischen Flüchtlingsrates an Justizminister Bausback an und fordern ihn auf, „seine Wachhunde zurückzupfeifen“.

 

 

Pfarrerin Doris Otminghaus und Flüchtling Hasib

 

 

Die Kurznachrichten

 

 

- In russischen Städten ging die „Generation Putin“ zu Tausenden auf die Straße – gegen Putin, Medwedew und Korruption – und für einen Anteil am Kuchen, der in den 90-er Jahren v. a. an die Oligarchen und „bisnismen“ verteilt worden war. Es waren viele junge Leute darunter, die noch nicht erlebt hatten, wie Putin mit den Demonstranten des Winters 2011/12 umgesprungen ist. Jetzt haben sie es erlebt.

 

 

 

Viele Demonstranten hatten gelbe Entchen dabei wie sie die Miesbacher vom alljährlichen Entenrennen am Sommerfest der evangelischen Gemeinde kennen. Aber in Russland waren die Tierchen Symbol für die Raffgier von Regierungschef Medwedew. Dieser hatte sich bei seiner Luxusdatscha ein aufwendiges Entenhäuschen bauen lassen.

 

- Rechtzeitig zum Frauentag sprach der Europäische Gerichtshof ein seltsames (wenn auch vorläufiges) Urteil zum Tragen von Kopftüchern am Arbeitsplatz bei privaten Unternehmen. Danach „können Arbeitgeber das Tragen eines Kopftuchs untersagen, wenn weltanschauliche Zeichen generell in der Firma verboten sind und wenn es gute Gründe gibt. Wünsche von Kunden reichen dagegen nicht aus.“ Waren aber im Falle einer französischen Software-Designerin mit ein Grund für die Klage vor dem Gericht! Das Urteil könnte unliebsame Folgen haben: Die Firmenchefin müsste demnach ihre schicke Halskette mit dem Goldkreuz ablegen, deutsche Firmen werden sich fragen, ob man die prinzipielle Erlaubnis, am Arbeitsplatz Kopftuch zu tragen, nicht noch weiter einschränken könnte, und das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, das 2015 das Tragen von Kopftüchern an deutschen Schulen (auch für eine Lehrerin) erlaubt hat, wird stärker unter Druck geraten, seine „Toleranzkultur“ aufzugeben.

 

Zum Trost für die vor Gericht unterlegene Software-Designerin eine Karikatur:

 

 

 

- In Österreich kam es zu einem Schlagabtausch zwischen der (grenzsatirischen) Schriftstellerin Stefanie Sargnagel und der „Neuen Kronen Zeitung“, die in der Produktion von Geschmacklosigkeiten die „Bild“ bei weitem übertrifft. Die Details dieser Kontroverse möchten wir Ihnen ersparen und stattdessen auf eine Studie des britische „Guardian“ hinweisen. Die Studie hat belegt, dass „acht seiner zehn in den Online-Kommentaren am meisten gestalkten und beleidigten Autoren Frauen – und die anderen beiden schwarz sind“.

 

- In China häufen sich Berichte, dass inhaftierte Anwälte gefoltert werden. Das hat elf Länder, darunter Deutschland, veranlasst, einen Brief an die chinesische Regierung zu schreiben mit der Aufforderung, diesen Vorwürfen nachzugehen. Ursprünglich war ein gemeinsamer Brief aller 28 EU-Länder geplant, was jedoch am Veto Ungarns scheiterte. Vermutlich wird sich der Orban den Rücken freihalten wollen, damit er in seinen Transitzonen Flüchtlinge foltern kann.

 

- Marie Collins, Symbolfigur für den Kampf gegen Kindesmissbrauch und selber das Opfer eines Priesters, ist aus der päpstlichen Kommission für den Schutz der Kinder ausgetreten, weil sie darüber „frustriert“ ist, dass Mitglieder der Kurie „sich weigern, die Empfehlungen der Kommission umzusetzen oder mit ihr zusammenzuarbeiten“. Frau Collins hat die Glaubenskongregation im Visier, aber wer den ausgeprägten Reformeifer dieser Institution kennt, wird ihr das nicht abnehmen. (Vorsicht: Ironie!)

 

- Mitglieder des Asyl-Helferkreises in Irschenberg haben einen Brief an einige Unionspolitiker geschrieben, in deren Ländern afghanische Flüchtlinge mit gesteigerter Unruhe auf ihren Koffern (und Plastiktüten) sitzen. CSU-Generalsekretär Scheuer hat ihnen über das Servicebüro der Partei eine Antwort zukommen lassen. Deren Inhalt können wir uns sparen: Herr Scheuer würde zwar derzeit in Afghanistan mit seinen Kindern keine Sommerferien verbringen (Fake!), aber „Rückführungen nach Afghanistan werden weiterhin vollzogen“ (Fakt). Aber ein echter Gruselschocker war das Bild, das sein Büroscherge angefügt hat.

 

 

 

Das mit dem „Freunde werden in der Heimat Bayern“ hat vielleicht nicht ganz funktioniert, aber ein wenig mehr „Wanderlust“ könnte den Flüchtlingen nicht schaden, oder? Übrigens - die beiden Flüchtlinge, die Anlass des Briefes waren, haben im Mai einen Flüchtlingsstatus erhalten. Ällabätsch!

 

Das passt doch gut als Überleitung zu der alten Erich-Kästner-Frage: „Herr Weigl, wo bleibt das Positive?“ Kommt schon!

 

- Ein vierjähriges Flüchtlingsmädchen von der Elfenbeinküste hat in Italien ihre Mutter wieder bekommen. De Frau war geflohen, um ihre Tochter die „Beschneidung“ zu ersparen, hatte sie in Tunesien in die Obhut einer Freundin gegeben und war in ihre Heimat zurückgekehrt, um Geld zu besorgen. Die Freundin ging mit dem Mädchen auf ein Schlauchboot und wurde von der italienischen Küstenwache gerettet, die Mutter, wieder in Tunesien, wartete dort auf einen Pass, um nach Italien einreisen zu können. Als der Pass endlich kam, billigte Italien binnen 24 (!) Stunden die Zusammenführung.

 

Oumoh mit Mutter

 

Am Flughafen sind viele Tränen geflossen. Ich glaube, wir wären auch nicht „trocken“ geblieben.

 

- Bleiben wir bei den Kindern. In Kolumbien wurden nach dem Friedensschluss Farc-Rebellen in so genannte Befriedungszonen umgesiedelt. Dort scheint „die Liebe den Hass ersetzt“ zu haben, denn 114 ehemalige Farc-Guerilleras sind schwanger.

 

 

Babyboom bei der Guerilla

 

Bei aller Freude über den Babyboom sollte man nicht verschweigen, dass in manchen Regionen ein Machtvakuum entstanden ist, dass es dort zu „gezielten Tötungen“ (durch wen auch immer) kommt und dass im Jahre 2016 an die 127 Bürgerrechtler ihr Leben verloren haben.

 

- In Deutschland sollen jetzt die Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden. Damit wären die Kinder (endlich) den Tieren rechtlich gleichgestellt. Kritiker dieses Vorhabens sprechen von Symbolpolitik und „Gesetzeslyrik“, aber das Kinderhilfswerk hat konkrete Fälle zusammengetragen, um aufzuzeigen, wie sich eine solche Verankerung im Alltag auswirken würde. Da könnte beispielsweise die 11-jährige Shejla verlangen, dass sie angehört und miteinbezogen werden muss, wenn die Stadtverwaltung ihren Lieblingsspielplatz umbauen (oder „umwidmen“) möchte.

 

In den Frühling entlassen möchte ich Sie mit einem Kalenderspruch von Joseph Wittig, der Sie daran erinnern soll, dass ein AI-Jahresbericht nur einen Teil der Wirklichkeit wiedergibt.

 

„Die Erde ist es wert, der Anfang des Himmels zu sein.“

 

 

April 2017

 

 

„Vögel singen in einer Welt,

die krank, lieblos, ungerecht ist.

Vielleicht haben sie Recht.“

 

Wie Sie sich denken können, war das wiederum als Frühlingsgruß gedacht, aber das mit dem „Recht haben“ kann man anzweifeln, wenn man sieht, in welcher Welt die Vögel im April gesungen haben.

 

Mit Zwitschern in Molltönen werden sie die Veröffentlichung der Kriminalstatistik 2016 begleitet haben. Es stiegen die Gewaltkriminalität um 6,7%, und der Anteil von tatverdächtigen Zuwanderern gar um 52,7%, wobei ausländerrechtliche Verstöße nicht eingerechnet wurden. Es gibt dazu zwar wenig zu beschönigen, aber wir wollen es (bei aller Betroffenheit) trotzdem versuchen, schon weil es an den „Stammtischen“ nicht versucht wird: Viele ausländische Tatverdächtige sind junge Männer, bei denen auch bei deutschen Altersgenossen eine höhere kriminelle Energie festzustellen ist, Gewalt in den Asylunterkünften ist mit durch die Wohnverhältnisse bedingt, und eine höhere Zahl von Zuwanderern wirkt sich auch auf die Kriminalstatistik aus. Im Landkreis Miesbach gab es fast 19% mehr Straftaten; davon gingen 8,5% auf das Konto von Migranten. Ob der Vorschlag des Polizeipräsidenten, eine „kommunale Sicherheitswacht“ einzuführen, der Königsweg zur Prävention ist, wagen wir zu bezweifeln. Da stimmen wir dem bündigen Kommentar des „Merkur“ zu: „Sicherheit ist kein Job fürs Ehrenamt.“ Obwohl einen Kandidaten für die Bürgerwehr hätten wir schon: einen jungen Holzkirchner, der im Vollrausch in der BOB eine Schülergruppe aus Kapstadt/Südafrika angepöbelt und angegriffen hat – wenn er wieder einmal nüchtern ist.

 

Und weil wir schon in Holzkirchen sind: Beim Frühlingsfest im Mai zog die Polizei eine „ernüchternde Gesamtbilanz“, wobei das Wort „ernüchternd“ nicht ganz frei von Ironie ist. Die Zahl der Körperverletzungen stieg von vier (im Vorjahr) auf elf, die Zahl der Hausverbote von neun auf zwanzig. Jetzt schauen wir mal, ob da die Volksfeste in Hausham, Gmund und Miesbach noch „mithalten“ können.

 

Bei einem anderen Kommentar des „Merkur“ erheben wir Einspruch. Unser besonderer Freund, Chefredakteur Anastasiadis, hat eine Glosse unter dem Titel „Deutschland brutal“ verfasst und im ersten Absatz „eine Reihe von spektakulären Gewalttaten“ der letzten Zeit erwähnt. Und sieh da: Alle Täter hatten einen Migrationshintergrund. So ein (günstiger) Zufall!

 

Bayerns Bürger reagieren adäquat. Sie rüsten auf – Gott sei Dank, nicht alle! Die Zahl der Waffenbesitzer steigt wieder an, denn im Osternest lag für Papa ein kleiner Waffenschein. Dieser Entwicklung kann man natürlich auch ein Positivum abgewinnen: Es ist besser, die deutschen Kleinwaffenexporte gehen nach Bayern als nach Mexiko.

 

Und unter Tränen gelacht haben wir über zwei Zeitungsüberschriften: Im „Merkur“ hieß es „Jeder achte Miesbacher bewaffnet“, und die „SZ“ titelte „Als Miesbach wie Chicago war“. Was war geschehen? Das Landratsamt hatte zunächst von 12 518 Waffenbesitzern im Landkreis gesprochen, später aber die Zahl stark nach untern korrigiert: Es gibt 2523 Waffenbesitzer, die insgesamt 12 518 Waffen besitzen. Man kann sich jetzt aussuchen, ob man mehr Angst vor der ersten oder vor der zweiten Zahl hat. Eine (notorische) Leserbriefschreiberin hat Angst – in „der verkehrten Welt von Miesbach“. Der „Zuzug von etlichen neuen Mitbürgern“ habe dazu geführt, dass „Miesbach kein Ort mehr ist, an dem man sich sicher fühlt“. Wir fühlen uns eher vor ihr nicht mehr sicher, ganz gleich, ob sie bewaffnet ist oder nicht.

 

Auch beim Flüchtlingsthema geht es eher „kalt und lieblos“ zu. Es war kein Aprilscherz, als nach einer Landtagsanfrage der Grünen die Zahl der Suizidversuche von Flüchtlingen in Bayern bekannt wurde. Mit 162 Fällen, vier davon tödlich, hat sich die Zahl gegenüber den Vorjahren mehr als verdreifacht. Einen Zusammenhang mit der (Abschiebungs)Politik der Staatsregierung wies das Sozialministerium als „haltlosen und ehrverletzenden Vorwurf“ zurück.

 

Einen solchen Vorwurf erhoben die privaten Hilfsorganisationen gegen die europäische Grenz- und Küstenwache Frontex. Die wirft ihnen vor, mit den Schleusern zusammenzuarbeiten und durch ihre Tätigkeit (erst) den Anreiz zur Flucht zu schaffen, kurz ein Pull-Faktor zu sein. Ein Staatsanwalt in Sizilien deutete gar an, dass sie ihre Kosten zum Teil durch Geld aus dem Schleusergeschäft decken könnten. Um den Push-Faktor, d.h. den Drang der Flüchtlinge, einen schlimmen Ort (Libyen) zu verlassen, final auszuschalten, haben einige Rechtspopulisten ein einfaches Rezept: absaufen lassen. Dazu zwitschern unsere Vögel freilich nicht, da kreischen höchstens die Möwen. Derzeit werden von den NGOs über ein Drittel der Rettungsaktionen durchgeführt. Frontex sollte froh darüber sein, dass nicht noch mehr Trümmer (und Leichen) im Wasser treiben.

 

 

Flüchtlingszahlen sinken

 

Von schlimmen Orten hat auch Papst Franziskus gesprochen, aber, wie das seine Art ist, hat er das Aufnahmezentrum auf der Insel Lesbos gleich mit einem KZ verglichen. Die Unterkünfte in Deutschland hat er, auf Nachfrage eines deutschen Journalisten hin, ausdrücklich ausgenommen. Trotzdem wurde auch in deutschen Medien sein „fahrlässiger Sprachgebrauch“ kritisiert. Die Zustände auf Lesbos regen uns weniger auf.

 

 

Die Kurznachrichten

 

 

- Präsident Trump hatte ein Damaskus-Erlebnis der anderen Art: Als Reaktion auf einen Giftgasangriff auf die Stadt Chan Scheichun/Syrien, schickte er 59 Marschflugkörper gegen den syrischen Flughafen, von dem aus die Gasbomber (mutmaßlich) gestartet waren. Die Russen, die ebenfalls auf diesem Gelände stationiert sind, wurden vorher gewarnt. Vielleicht fiel deshalb Putins Reaktion relativ floskelhaft aus. Mit dem „Verstoß gegen das Völkerrecht“ hat er sogar Recht; nur verschweigt er, dass der UN-Sicherheitsrat blockiert ist, weil Russland Beschlüsse gegen das syrische Regime durch sein Veto verhindert. Wir verzichten (wohlweislich) auf die Diskussion, wer jetzt eine „rote Linie“ überschritten hat und begnügen uns mit einer Karikatur, die auch etwas die Rolle der EU in diesem Konflikt widerspiegelt. Wir schauen ihn uns lieber im Fernsehen an.

 

 

 

- In Ägypten sind am Palmsonntag zwei Anschläge in und vor koptischen Kirchen verübt worden, die 40 Personen das Leben kosteten. Wie im Irak und in Syrien sind christliche Kirchen bedroht, die es hier schon gab, bevor der Islam entstand. Der Botschaft, die der Islamismus aussendet, „Wer bleibt, muss sterben“, sollten nicht nur die europäischen Christen, sondern auch die europäischen Muslime entgegentreten, denn, so die „SZ“

 

„Es ist schließlich ihre Religion, die hergenommen wird, um Menschen im Namen Gottes umzubringen“.

 

Wir sollten aber auch, angesichts der wachsenden Islamfeindschaft in Europa, bedenken, „dass die Religionsfreiheit unteilbar ist“.

 

Im Mai gab es erneut ein Blutbad an koptischen Christen. Sie starben in einem Ausflugsbus, der sie ins Kloster des Hl. Samuel bringen sollte. Der Klosterheilige erlebte 641 die arabische Invasion Ägyptens, die Täter des Jahres 2017 könnten ägyptische Arbeitsmigranten sein, die radikalisiert aus den Golfstaaten zurückkehren.

 

 

 

Ende eines Ausflugs

 

- An der Uni in Mardan/ Pakistan haben Studenten einen Kommilitonen verprügelt, erschossen und aus dem Fenster geworfen, angeblich weil er Gott gelästert habe. Dann wurde bekannt, dass er kurz vor seinem Tode der Universitätsleitung Missmanagement und andere Verfehlungen vorgeworfen hatte. Deshalb wurde der Verdacht geäußert, dass die Hintermänner in der Verwaltung zu suchen seien, denn wer in Pakistan einen Gegner aus dem Weg räumen will, braucht oft nur den Vorwurf der Gotteslästerung zu fabrizieren.

 

- Unter dem Hashtag „Der Sturz der Äthioperin“ kursierte auf Twitter ein Video von der Verzweiflungstat eines äthiopischen Dienstmädchens in Kuwait. Ihre „Herrin“ habe sie umbringen wollen, sie sei aus dem Fenster geklettert und habe sich an der Balkonbrüstung festgekrallt – im siebten Stockwerk. Anstatt ihr zu helfen, hat sie die Chefin gefilmt, wie sie abgestürzt ist. Reality TV pur! Das Mädchen hat wie durch ein Wunder überlebt. Eine einheimische Journalistin kommentierte den Fall:

 

„Wenn das keine Debatte über unseren Umgang mit Dienstpersonal auslöst, dann weiß ich nicht was sonst.“

 

Die Chefin soll jetzt vor Gericht stehen, ein Zeichen dafür, dass der Druck durch die sozialen Netzwerke inzwischen so stark ist, dass solche Vorfälle nicht mehr so still unter den Teppich gekehrt werden können.

 

Es wird Zeit, die dunklen Randzonen der islamischen Welt zu verlassen und sich der Welt der Christen zuzuwenden, wo die Vögel auch nichts zu zwitschern haben.

 

- In Arkansas/USA war ein Exekutions-Marathon angesagt, weil für eine Substanz des Giftcocktails im April das Haltbarkeitsdatum ablief. Das war nicht weiter verwunderlich, denn Arkansas hatte schon seit mehr als elf Jahren die Todesstrafe nicht mehr vollstreckt. Da scheint man sich dann gesagt zu haben, wenn man das Mittel schon einmal angeschafft hat, …! Und so wurden „nach einem verkürzten Zeitplan“ innerhalb von acht Tagen vier Hinrichtungen vollzogen. Bei der letzten Hinrichtung scheint allerdings auch das Verbrauchsdatum des Giftes überschritten worden zu sein, denn Journalisten bezeugten, dass der Delinquent „gelitten“ habe. Eine Bundesrichterin ordnete eine Autopsie an, der Gouverneur lobte den „funktionierenden Rechtsstaat“ – wegen der Hinrichtungen, nicht wegen des Eingriffs der Richterin.

 

- Den „funktionierende Rechtsstaat“ erlebte einmal mehr der Deutsche Jens Söring, der seit 31 Jahren in Virginia/USA einsitzt. Bei einer Untersuchung des Blutes am Tatort stellte sich heraus, dass es von zwei Männern und nicht von Söring stammte. Dennoch lehnte die Bewährungskommission eine Entlassung auf Bewährung ab. In den Fall hat sich auch der (republikanische!) Sheriff Chip Harding eingearbeitet. Er kam zu einem vernichtenden Urteil über die Beweiserhebung:

 

„Fast jedes Beweisstück, das damals von der Staatsanwaltschaft angeführt wurde, war fehlerhaft, unseriös oder wissenschaftlich widersprüchlich.“

 

 

 

- Der AI-Bericht für das Jahr 2016 tendiert bei der Todesstrafe nicht zur „Entwarnung“. Es wurden zwar ein Drittel weniger Todesurteile vollstreckt, aber deutlich mehr Todesurteile ausgesprochen. Schlechte Aussichten für 2017!

 

 

 

- Wie Sie gemerkt haben, sind wir bei Nachrichten angekommen, die in den Augen von AI positiv angehaucht sind. Außenminister Gabriel ist bei seinem Besuch in Israel auch mit Bürgerrechtsorganisationen zusammengetroffen, unter ihnen die Organisation „Breaking the Silence“, die Zeugenaussagen von kritischen Soldaten über Regelverstöße von Armeeangehörigen in Gaza oder den besetzten Gebieten sammelt. Premierminister Netanjahu hat ihn deswegen ausgeladen, aber Staatspräsident Rivlin hat ihm die Hand gedrückt. Die „Welt“ hat sich für Netanjahu entschieden: „Gabriel hat Israel ins Gesicht gespuckt.“ Nein, hat er nicht – weder im wörtlichen noch im übertragenen Sinn!

 

- Präsident Trump hat sich da einen Monat später schon „diplomatischer“ verhalten. In Saudi-Arabien hat er das Thema „Menschenrechte“ ausgeklammert (weiß Gott, ob er weiß, was das genau ist!) und in Israel hat er zwar von einem „ultimativen Deal“ für einen Friedensschluss zwischen Israel und Palästina gesprochen, aber so wenig dazu gesagt, dass man glauben könnte, er habe mit „Deal“ doch wieder den Waffenhandel gemeint. Wir warten deshalb noch eine Weile, bis wir unsere Meinung zu Trump revidieren und halten es vorerst noch mit den AI-Mitgliedern von London, die sich auf dem folgenden Bild so schön verkleidet haben.

 

 

 

- An Fahrt gewinnt eine Protestbewegung von Frauen in der arabischen Welt. Es geht um die Abschaffung von Gesetzen, die einem (männlichen) Vergewaltiger Straffreiheit versprechen, wenn er im Nachhinein sein (weibliches) Opfer heiratet. Ägypten und Marokko haben den betreffenden Artikel bereits abgeschafft, in Jordanien hat sich das Kabinett (und im August auch das Parlament) für eine Abschaffung ausgesprochen, und im Libanon hat eine NGO an der Strandpromenade von Beirut eine denkwürdige Installation geschaffen.

 

 

Brautkleider ohne Braut

 

- Im ostfriesischen Emden hat ein Busfahrer einer (schwangeren) Niqab-Trägerin die Mitnahme verweigert. Mir wäre auch lieber, sie würde den Niqab zu den Brautkleidern in Beirut dazuhängen, aber zu Fuß gehen sollte sie nicht müssen. So wenig wie sie durch die Augenschlitze sieht, könnte sie leicht ins Stolpen geraten.

 

- Schließen möchten wir mit zwei Meldungen, die die Vögel nicht gerade fröhlich aber doch gelassen zwitschern lassen, so wie Vögel halt auf menschliche Dummheit reagieren. Der leidige Kopftuchstreit hat zu einer Retourkutsche geführt, die (mindestens) genau so dämlich ist, wie das Kopftuchverbot an der Schule: Jetzt wurde einer evangelischen Lehrerin in Berlin untersagt, ein Kreuz an ihrer Halskette zu tragen.

 

- Und in Limburg wurde das Kinderlied „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ wieder in das Glockenspiel am Rathausturm aufgenommen, aus dem man es auf Betreiben einer Veganerin vorübergehend entfernt hatte.

 

Fazit April: Ob die Vögel Recht haben, weiß ich nicht, aber ich liebe es, wenn sie singen.

 

 

Mai 2017

 

 

Im 2. Buch Samuel heißt es: „Den Menschen aber möchte ich nicht in die Hände fallen.“ Und wenn man sich manche Regierungen, Gruppen, ihre Anführer und deren „ausführende Organe“ (Terroristen) so ansieht, dann möchte man ihnen tatsächlich nicht „in die Hände fallen“. Damit bin ich bei der Bundeswehr angekommen, auf die, das sei vorausgestellt, man wegen der „Menschen“, die Samuel meint, (immer noch) nicht verzichten kann. Das hindert mich allerdings nicht, die diesbezüglichen Ereignisse im Mai als eine Art Retourkutsche zu fahren, weil ich dieser Institution die (bisher) schlimmsten Jahre meines langen Lebens verdanke. Ich werde mich natürlich nicht auf alle Verästelungen des Problems einlassen, sondern mich auf einige Aussagen und Vorkommnisse beschränken, die mir nicht nur als Ex-Wehrpflichtiger, sondern auch als AI’ler aufgefallen sind, um nicht zu sagen aufgestunken haben.

 

- Da wurde der Oberleutnant Franco A. festgenommen, der zusätzlich zu seinem Gehalt auch Sozialhlfe als syrischer Asylbewerber einkassierte. In seinem Taschenkalender scheint man eine Todesliste mit Anschlagplänen auf Politiker gefunden zu haben, deren Ausführung er dann in seiner Eigenschaft als Asylbewerber vorgenommen hätte, um Flüchtlinge in Misskredit zu bringen. Wie er den monatelangen Pendelverkehr zwischen seinem Standort Illkirch und seiner Asylunterkunft in Erding bewerkstelligt hat, bleibt ein Rätsel – zumindest für die Öffentlichkeit, weniger wohl für einige seiner „Kameraden“ in Illkirch. Dazu passt, dass Fahnder in dieser Kaserne ein Sturmgewehr mit eingeritztem Hakenkreuz gefunden haben. Rätselhaft bleibt auch, warum die Masterarbeit, die Franco A. 2013 abgeliefert hatte, keine Konsequenzen hatte. Der Text wurde schon damals als „radikalnationalistischer, rassistischer Appell“ mit Merkmalen einer Verschwörungstheorie“ gewertet, aber entweder nicht ganz ernst genommen oder als Beweis für die „Meinungsvielfalt in der Truppe“ akzeptiert.

 

 

 

- Ausgehend von Illkirch, wo man nicht nur eine rechte Zelle, sondern auch einen Besprechungsraum mit Devotionalien aus dem 2. Weltkrieg „ausgehoben“ hat, ist man auch in anderen Kasernen fündig geworden. Das hat die Verteidigungsministerin veranlasst, darauf hinzuweisen, dass „die Wehrmacht, mit Ausnahme einiger herausragender Einzeltaten im Widerstand, in keiner Form traditionsstiftend für die Bundeswehr sein könne“. Das Spektrum der Kommentare darauf reichte von dümmlich über problematisch zu bedenkenswert. Eine Abgeordnete der CDU rief auf Twitter auf, (jetzt erst recht) Wehrmachtsfotos zu posten, eine Leserbriefschreiberin kritisierte, dass durch die Beschränkung auf die „Einzeltaten“ der deutschen Widerständler die „tapfer kämpfenden Soldaten“ zu kurz kämen, und ein Leitartikel der „SZ“ erinnerte daran, dass „die Wehrmacht auch ein williges Instrument des Vernichtungskrieges war“.

 

- Der Wehrbeauftragte hat 2016 unter der Rubrik „Extremismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit“ immerhin 63 Vorfälle gemeldet, aber es war der Fall von Franco A., der von der Leyen dazu brachte, in der Bundeswehr von einem „Haltungsproblem“ und von „Führungsschwäche auf mehreren Ebenen“ zu sprechen. Diese Aussagen hat sie bereits mehrfach relativiert. Wir aber teilen die Meinung einer anderen Leserbriefschreiberin: „Ursula von der Leyen hat keinen Grund, sich bei der Truppe zu entschuldigen“ – zumindest nicht in dieser Sache! Die SPD sieht sie (wahlkämpferisch) als „Sicherheitsrisiko“, aber das Sicherheitsrisiko liegt diesmal auf der Gegenseite, den Francos von Illkirch und Neubiberg.

 

- Kennen Sie die Namen „Beerfelde, Paasche, Schoenaich, Endres“? Ich kannte sie auch nicht. Es handelt sich um Offiziere, die sich in der Weimarer Republik hinter die Demokratie und gegen einen neuen Krieg gestellt haben. Die Kasernen der Bundeswehr waren (und sind) nach Generälen der Wehrmacht benannt. Hier ein Vorschlag, wenn wieder eine Umbenennung ins Haus steht.

 

 

 

Zum Mai gehört der Maibaum und zum Maibaum die Leitkultur. „Wir sind Maibaum nicht Burka“, würde de Maizière formulieren. Steigen wir in Folge aus den Niederungen der Leitkultur zum Gipfel des Maibaums empor.

 

 Der Innenminister hat zehn Thesen zur deutschen Leitkultur vorgelegt. Dazu gehören Selbstverständlichkeiten („Wert der Algemeinbildung“) Banalitäten („Erben unserer Geschichte“) und Prinzipien, die bereits vom Grundgesetz abgedeckt sind („Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz“). Manche Thesen sind eher einem Benimmbuch entsprungen: „Wir geben uns zur Begrüßung die Hand.“ Da fällt mir nicht nur ein eingefleischter Salafist ein, der sich weigert, Frauen die Hand zu schütteln, sondern auch ein Miesbacher Pfarrer, der gesagt hat. „In Oberbayern gibt man sich nicht die Hand.“ Beim Salafisten hätte ich meine Zweifel, aber der Pfarrer stand sicher nicht außerhalb der Leitkultur. Vorsichtig aber zutreffend hat eine Parteifreundin de Maizières ihre Bedenken formuliert:

 

„Es geht um eine Leitkultur, bei der sich Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte angesprochen fühlen.“

 

Wenn ein Flüchtling also den „Gewinn der Fußballweltmeisterschaft“ nicht in sein „kollektives Gedächtnis“ aufnehmen möchte, oder gar bei einem solchen Turnier mit der Mannschaft seines Herkunftslandes sympathisiert, gehört er trotzdem zu Deutschland – wenn er/sie denn will.

 

„Die Zeit“ hat sich in Form einer Satire über die deutsche Identität und ihre Widersprüche Gedanken gemacht:

 

„Komplimente ans weibliche Geschlecht gelten als unsittliche Annäherung. Komplimente ans männliche Geschlecht gelten als unsittliche Annäherung. Komplimente an den Hund werden akzeptiert.“ Und:

 

„Sich beschweren ist ein Zeichen von Lebensfreude. Etwas ‚auf gut Deutsch’ sagen heißt: schimpfen.“ – z. B. über die leidigen Debatten zur Leitkultur.

 

Es ist Mai, also auf zum Maibaum! Da ist an manchen Orten „leitkulturell einiges ins Rutschen geraten“. In Rimbach/Lk Cham hatte der Vorsitzende des Trachtenvereins den Maibaum auf seinem Grundstück angekettet, um ihn vor Dieben zu schützen. Diese machten sich mit einem Bolzenschneider ans Werk. Als er sie auf frischer Tat ertappte, drosch der Trachtlerchef mit einer Schneeschaufel auf zwei der Diebe ein. Geklaut wurde der Baum trotzdem – entgegen dem Ehrenkodex, dass nicht geklaut werden drauf, wenn jemand die Hand drauf hat. Die Diebe aber behaupteten, dass ihr Gegner die Hand nicht auf dem Baum, sondern auf der Schaufel hatte. Da die Verhandlungen über die Ablöse an den „gniggadn Rimbacher“ scheiterten, steht im Dorf jetzt ein Ersatzbaum. Ja, ja, ich weiß schon selber, dass das an sich nicht in einen AI-Bericht gehört, aber vielleicht haben Sie sich trotzdem amüsiert.

 

Nicht amüsiert, sondern richtig gefreut hat mich die Aktion des Bayerischen Bündnisses für Toleranz. Da wurden in 30 Gemeinden des Freistaates unter dem Motto „Gemeinsam gut aufgestellt“ Maibäume aufgerichtet, mit denen explizit für mehr Toleranz geworben wird. Dabei waren auch Orte, wo Nazis vergeblich versucht hatten, Fuß zu fassen. Und dabei waren auch viele Flüchtlinge, wie schon vor zwei Jahren in Miesbach.

 

 


Maibaum für Toleranz in Stammheim am Main

 

 

Die Kurznachrichten

 

 

- In Bayern wächst der Widerstand gegen das harte und widersinnige Vorgehen von Staatsregierung und Ausländerbehörden gegen Asylbewerber. Ein Arzt im Landkreis Rosenheim klagte die Ausländerbehörde an, weil ein kleines Kind während der Abschiebungsprozedur schwer traumatisiert worden ist. Unternehmer klagten darüber, dass es an Planungssicherheit fehle, da in den südlichen Teilen der Republik die 3+2 Regelung (3 Jahre Ausbildung plus 2 Jahre Bleiberecht) nicht konsequent respektiert werde. Sozialarbeiter sammelten 2100 Unterschriften, weil man ihnen androhte, die Förderung für die Asylarbeit zu kürzen, wenn sie die Flüchtlinge beim Thema Abschiebung zu intensiv aufklären. Da ist es neben der Peitsche nur das Zuckerbrot, dass die Helferkreise endlich einen Termin im Innenministerium bekamen, zweieinhalb Monate nach der spektakulären Demo am Fuße der Bavaria.

 

- Eine entsetzliche Gewalttat ereignete sich in Prien: eine Afghanin wurde vor den Augen ihrer Kinder von einem „Landsmann“ erstochen. Ob ihn ihre Konversion zum Christentum gestört hat oder ihre „lackierten Fingernägel“ weiß man noch nicht genau. Die Frau galt als „Musterbeispiel für geglückte Integration“, leider kein Vorbild für radikalisierte (oder gestörte) Moslems, aber ein Vorgeschmack, was Frauen in Afghanistan erwartet, wenn die Taliban wieder an die Macht kommen.

 

- Dass auch Muslima über Sadogene verfügen, hat man beim „Sturz der Athiopierin“ gesehen. In Brüssel hielten sich im Jahre 2008 acht Prinzessinnen aus Abu Dhabi junge Frauen als Sklavinnen. Sie mussten sieben Tage pro Woche und rund um die Uhr bereitstehen, oder besser bereitliegen, denn sie mussten des Nachts vor dem Schlafzimmer ihrer Herrinnen schlafen. Verbale Beschimpfungen als „Hündin, Nutte, Kuh“ waren an der Tagesordnung. Ihre Anwälte bezahlten die „Damen“ besser als ihre Dienstboten, und so gelang es, den Prozess fast 10 Jahre zu verschleppen. Die Prinzessinnen haben sich inzwischen nach Abu Dhabi verzogen und werden dort das Urteil voller Angst erwarten. Im Juni wurden sie dann „wegen Menschenhandels und erniedrigender Behandlung ihrer Angestellten“ zu einer Geldstrafe und zu 15 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Leider haben wir von ihnen keine Fotos gefunden. Sonst hätten wir einen Steckbrief erstellt.

 

- Barbarisch sind aber auch die Aufnahmerituale in die Studentenverbindungen der amerikanischen Universitäten. In Pennsylvania/USA wurde der Student Timothy Piazza gedemütigt und abgefüllt. Er fiel die Treppe hinunter und verletzte sich schwer. Wer ihm helfen oder gar den Notdienst rufen wollte, wurde weggeschubst und beschimpft. Die Mitstudenten wollten das „auf ihre Weise“ regeln. Wenig später war Piazza tot. Acht Studenten müssen sich jetzt wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht verantworten. Das war er einmal!

 

 

Timothy Piazza

 

Bevor Sie wieder sagen, „Aha, America first“, blättern Sie zurück zum Januar. Da ging es um Rituale in Pfullendorf/Deutschland.

 

- In der Provinz Aceh/Indonesien wurden zwei Homosexuelle zu 85 Peitschenhieben verurteilt. Abscheulich sind nicht nur die Strafe, sondern auch die Umstände ihrer Verhaftung. Eine sogenannte Bürgerwache drang in ihr Zimmer ein, zerrte die beiden aus dem Bett und übergab sie den Behörden. Für die politische Führung in Aceh war das ein weiterer Kraftakt, um sich als Bollwerk der Scharia zu profilieren. Dazu passt, dass der christliche Gouverneur von Djakarta wegen „Blasphemie“ zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde und zuvor als Angeklagter natürlich die Wahl verloren hat. Der Grund, warum er angeklagt wurde, hätte Mohammed (hoffentlich) die Haare zu Berge getrieben. Das Land ist auf keinem guten Weg.

 

- Für uns in Deutschland ist das Vorgehen der Bürgerwehr ein mahnendes Beispiel, dass man sich die Einführung einer Sicherheitswacht gut überlegen sollte. Sie würde mit Sicherheit nicht in Schlafzimmer eindringen, aber im Vorfeld könnten sich schnell wieder Leute tummeln, die in anderen Zeiten gute Blockwarte gewesen wären. Solche Tugendwächter sind z.B. in Berg am Laim/München beheimatet. Sie hatten ein Ehepaar beobachtet, das aus einem Flaschencontainer Pfandflaschen im Wert von 1,44€ herausgefischt hatten. Da muss doch die Polizei her! Und auch ein diensteifriger Staatsanwalt! Der Richter aber lehnte eine Verurteilung wegen Diebstahls ab, weil „kein messbarer Schaden“ entstanden sei. Für den Staatsanwalt war der Schaden durchaus messbar, und er legte sofort Beschwerde ein. Auch diese wurde verworfen. Aber man fragt sich schon: Hat die Staatsanwaltschaft nichts Anderes zu tun? Und: Wer bezahlt die Verhandlungskosten? Nein, nicht der Staatsanwalt, sondern der Steuerzahler.

 

- Während es sich hier um ein Bagatelldelikt handelte, hatte sich ein Gericht in Istanbul mit einem Mord zu befassen, der fälschlicherweise immer noch als Ehrenmord bezeichnet wird. Da hatten in Berlin 2005 drei Brüder in einer konzertierten Aktion ihre Schwester ermordet. Nur der jüngste musste ins Gefängnis, die beiden anderen, wahrscheinlich die Anstifter, wurden zunächst aus Mangel an Beweisen freigesprochen und setzten sich vor einer zweiten Verhandlungsphase in die Türkei ab. Auch dort blieb die Beweislage dünn, nicht zuletzt deswegen, weil die Hauptzeugin nicht vor Gericht erschien. Sie lebt in Deutschland im Zeugenschutzprogramm und hatte wohl keine Lust, der Frau ins Grab zu folgen. Die Zeugen, die in Istanbul zu Wort kamen, zeichneten das Bild netter Brüder. Eine verkehrte Welt: Die (echten) Zeugen müssen sich verstecken, und die Täter, Unschuldsvermutung hin oder her, laufen frei herum.

 

- Wir wenden uns leichteren Themen zu. Die Trump-Damen Melania und Ivanka traten in Saudi-Arabien ohne Kopftuch auf. Der König hat der First Lady sogar kurz die Hand geschüttelt und übernimmt damit eine Forderung der deutschen Leitkultur. Was tut man nicht alles, wenn man dafür für 109 Milliarden Waffen bekommt! Hier das Foto vom unkoscheren Handschlag, verbunden mit einem Seitenhieb auf deutsche Politikerinnen: So geht’s auch!

 

 

Hi, King Salman

 

- In Nigeria empfing Präsident Buhari 82 Chibok-Mädchen, die von Boko Haram im Austausch gegen inhaftierte Kämpfer freigelassen worden waren. Man hätte jetzt ein Foto zeigen können, auf dem zumindest jedes vierte Gesicht den Ansatz eines Lächelns zeigt. Wir aber wählen ein Foto, das widerspiegelt, was die Frauen durchgemacht haben und was sie, trotz der vollmundigen Versprechen des Präsidenten noch erwartet. Und einige mögen daran denken, dass sich 113 von ihnen noch immer in der Gewalt der Entführer befinden.

 

Heimkehr ins Ungewisse

 

Da fällt einem die „Geschichte vom jungen Krebs“ ein, die der Auto Gianni Rodari mit folgendem Satz beendet:

 

„Wir können ihm/ihnen nur eine „Gute Reise“ wünschen.“

 

 

Juni 2017

 

 

„Wir wollen sie zu Land ausfahren

bis nach Afghanistan,

dort lauern keine Gefa-a-ahren

nur ein paar Ta-aliban.“

 

Mit dieser leicht abgeänderten (textlich eher abfallenden) Version des bekannten Liedes aus der Jugendbewegung wollen wir das Hauptthema dieses Monats einführen: die missglückte Abschiebung des Afghanen Asef N. aus einer Berufsschule in Nürnberg. Als er zu Unterrichtsbeginn von der Polizei in Gewahrsam genommen wurde, setzten sich 20 Berufsschüler vor dem Streifenwagen auf die Straße und verhinderten so die Abfahrt. Aus 20 Schülern wurden 50, dann 300. Die Sache eskalierte, oder wie die Polizei später sagte „lief aus dem Ruder“: die Polizei setzte Hunde ein (auf dem Foto noch mit Maulkorb), benutzte Schlagstöcke und Pfefferspray, die Demonstranten warfen Flaschen und Fahrräder (!).

 

 

Polizeieinsatz in Nürnberg

 

Dann wurde Asef abgeführt, war aber am nächsten Tag wieder auf freiem Fuß, da die Abschiebung wegen des Terroranschlags auf die deutsche Botschaft in Kabul ausgesetzt wurde und das Landgericht Nürnberg einen Antrag auf Abschiebehaft ablehnte.

 

 

Die sicheren Bereiche in Afghanistan

 

Nun zu den „Begleitumständen“ des Vorfalls, einige unschön und bedauerlich, einige widersprüchlich oder absurd:

 

- Asef soll bei seiner Festsetzung gesagt haben: „Ich bin in einem Monat wieder da. Und dann bringe ich Deutsche um.“ Der Satz scheint gefallen zu sein, aber nicht recht zu seinem sonstigen Verhalten zu passen. Die Sozialpädagogin, die ihn schon lange kennt, bezeichnet ihn als „jungen Mann, fast alte Schule, der älteren Damen die Tür aufhält“.

 

- Die Eskalation soll weder von den Berufsschülern noch von der Polizei ausgegangen sein. Da war wieder der „linksautonome Block“ am Werk, der offensichtlich in der Nähe des Tatorts stationiert war und nach einem Anruf eines „Mitblockers“ aufmarschierte.

 

- Bei den Polizisten gab es neun Verletzte, aber auch die Schüler bekamen „ihre Schürfwunden und Prellungen“ ab.

 

- Den Bescheid, dass er abgeschoben werden sollte, hat Asef offensichtlich erst beim Abschiebeversuch bekommen. Der Nürnberger Polizeipräsident rechtfertigte den Einsatz an der Schule damit, dass es nur ein kurzes „Zeitfenster“ bis zum geplanten Abflug gegeben habe, das Landgericht hingegen war (bei der Zurückweisung des Antrags auf Abschiebehaft) der Meinung, dass das „Zeitfenster“ eher dafür zu kurz war, dass der Schüler keine Möglichkeit hatte, gegen den Bescheid Widerspruch einzulegen.

 

- In der Bewertung des Einsatzes gab es naturgemäß erhebliche Differenzen. Die CSU sprach vom „umsichtigen und klugen“ Handeln der Polizei, Vertreter der SPD bezeichneten eine Abschiebung aus dem Klassenzimmer als „schlichtweg unmenschlich“, lehnten aber auch ein „Schulasyl“ ab, der „Merkur“ attestierte (in der Frühzeit der Berichterstattung) der Politik „wenig Fingerspitzengefühl“, und die „SZ“ hob die Zivilcourage der Schüler hervor. Sie haben die Wahl!

 

- Worüber wir aber wieder gemeinsam den Kopf schütteln könnten, ist die Erläuterung des Innenministeriums, dass sich der Einsatz gar nicht wirklich an einer Schule abgespielt habe. Es habe sich zwar um die Räume einer Schule gehandelt, aber nicht um einen Schüler. Asef sei nämlich Besucher einer Integrationsklasse gewesen, und das sei „keine Ausbildung im eigentlichen Sinne“. Geht’s noch?

 

Im Juli kam dann die Meldung, dass das BAMF einen Asylfolgeantrag des Afghanen zugelassen habe. Damit sei seine Abschiebung erst einmal abgewendet. Da werden die verletzten Polizisten und Demonstranten sich gefragt haben: Hätte man das nicht früher …?“ Im Januar 2018 kam dann die Retourkutsche der Justiz. Gegen Asef wurde „Anklage wegen Widerstands gegen Vollzugsbeamte und einer Reihe anderer Delikte“ erhoben. Zu dieser Anklage möchten wir mangels Informationen kein Urteil abgeben, aber die Bewertung seines Anwalts möchten wir Ihnen (schon wegen seiner sprachlichen Brillanz) nicht vorenthalten: Es bestehe in dieser Sache „ein erheblicher Ermittlungseifer, der bis ins Innenministerium reicht“.

 

Derzeit (also im Juni) gibt es ein Abschiebemoratorium für Afghanistan. Man wartet zwar nicht die Entwicklung der Lage, wohl aber einen Bericht des Auswärtigen Amtes ab. Es ist zu hoffen, dass man dort auch das Interview mit dem Journalisten Ahmed Rashid gelesen hat, der auf die Frage

 

Was geschieht mit einem abgeschobenen Flüchtling, der nach drei oder vier Jahren wieder an der Tür seines Elternhauses klopft?“ wie folgt antwortete:

 

„Das ist die absolute Katastrophe. Diese jungen Männer haben ihre Familien alle Ersparnisse gekostet, um die Flucht zu finanzieren. … Und jeder im Dorf weiß es, dass einer nach Europa gezogen ist, weil seine Eltern Geld bei den Verwandten und den Nachbarn geliehen haben. … Genauso wenig bleibt geheim, dass einer abgeschoben wurde. Das erfahren dann auch die Taliban.“

 

Im Juli kamen dann Augenzeugenberichte, die den Polizeieinsatz etwas „im Gegenlicht“ sahen. Zur Eskalation sei es erst gekommen, als die Polizei gewaltsam begann, die Schüler aus einer Sitzblockade zu zerren. Von Linksautonomen habe man nichts gesehen, und die Fahrräder, die man angeblich „geworfen“ habe, seien bei der Rangelei umgefallen. Die Augenzeugen waren zwei Pfarrerinnen und ein Dekan – halt „die üblichen Verdächtigen“.

 

Ganz unschuldig, zumindest aus Sicht eines Amtsgerichtes, scheinen die Demonstranten auch nicht gewesen zu sein, denn einer von ihnen wurde wegen Körperverletzung, Widerstandes gegen die Staatsgewalt und versuchter Gefangenenbefreiung zu einer Bewährungsstrafe und zu 450 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Hoffentlich muss er die nicht auf dem Polizeirevier ableisten, wo der Polizist Dienst tut, der beim Einsatz den „Teil eines Zahnes“ eingebüßt hat. Aber ob man ihn deswegen gleich fünf Monate in Untersuchungshaft halten muss? Da bestand wohl Fluchtgefahr – nach Afghanistan!

 

 

Die Kurznachrichten

 

 

- Die Hanns-Seidel-Stiftung hat in einer großen Studie Einstellungen und Fertigkeiten der „Asylsuchenden in Bayern“ untersucht. Wenn man sich die Berichte von „Merkur“ und „SZ“ ansieht, lag der Schwerpunkt der Studie eher auf den Defiziten der Asylbewerber. Viele von ihnen sind Analphabeten (Irakerinnen), haben eine patriarchalische Einstellung gegenüber Frauen (Eritreer), kritisieren den großen „Einfluss der Juden auf der Welt“ (Muslime), haben wenig Verständnis für unser Demonstrationsrecht (Iraker). Andererseits kamen viele Syrer mit einem abgeschlossenem Studium (14%). Ob der Wunsch der Afghanen, ihre Zukunft in Deutschland zu finden (83%), von uns Deutschen eher als „Benefit“ oder als Defizit gewertet wird, lasse ich mal offen.

 

- Ein Fall, dessen Bewertung einer Gratwanderung gleicht, ereignete sich in Arnschwang/Oberpfalz. Da erstach ein Afghane in einer Sammelunterkunft einen fünfjährigen Buben, wahrscheinlich weil er sich vom Lärm der spielenden Kinder gestört fühlte. Der Mann war wegen Brandstiftung vorbestraft und sollte eigentlich abgeschoben werden. Da er im Gefängnis zum Christentum konvertierte, wurde ein Abschiebeverbot erlassen, weil er in Afghanistan in Lebensgefahr geschwebt hätte. Innenminister Herrmann hat gesagt, dass die Gefahr wohl nicht von einer vom (afghanischen) Staat verhängten Todesstrafe ausgehen würde. Und eine Hinrichtung durch die Taliban sei noch in Kauf zu nehmen. Nein, letzteres hat er natürlich nicht gesagt, vielleicht aber mitgemeint oder zumindest „Volkes Stimme“ zum Ausdruck gebracht.

 

Auch die Großkirchen bekamen natürlich ihr Fett weg: Sie würden eine Art „Konversion light“ anbieten und ignorieren, dass sich Kandidaten nur deshalb taufen lassen, um der Abschiebung zu entgehen. Kirchenvertreter antworteten, die Bewerber würden sorgfältig auf ihre Motive hin geprüft und bekämen „schon im Erstgespräch gesagt, dass die Taufe kein Bleiberecht verschaffe“. Zuzustimmen ist der „SZ“:

 

„Der Mann hätte ins Gefängnis oder eine geschlossene Psychiatrie gehört und nicht in eine Flüchtlingsunterkunft. Als Muslim wie als Christ.“

 

- Die Innenminister haben sich auf ein verschärftes Gesetz zur Inneren Sicherheit geeinigt und sind dabei etwas über das Ziel hinausgeschossen. Jetzt soll man auch die „Sechs- bis 14-Jährigen“ fingerabdrücklich erfassen dürfen. Initiator soll der bayrische Innenminister Joachim Herrmann gewesen sein, der sich auftragsgemäß (und wahlkampfbedingt) immer mehr zum Hardliner entwickelt. Wenn der einmal Bundesinnenminister ist, geht es auch den Babys an den Kragen.

 

 

 

- Jetzt ist es aber Zeit, über den deutschen Tellerrand zu schauen, die anderen Länder werden doch, hoffentlich, auch ihre Probleme haben. Gegen die niederländische Regierung hat ein Gericht in Den Haag ein differenziertes Urteil gefällt. Niederländische UN-Truppen (Dutchbat) waren in Srebrenica/Bosnien stationiert, wo sich 1995 mit 8000 Opfern „der erste Völkermord auf europäischem Boden nach dem 2. Weltkrieg“ ereignet hatte. Die Dutchbat wurde lediglich für den Tod der 350 Bosnier verantwortlich gemacht, die sich direkt auf dem Gelände des UN-Hauptquartiers befanden. Mit der Auslieferung an die Serben wurde die Anweisung des niederländischen Verteidigungsministeriums ignoriert, „möglichst viele Menschen zu retten“. Die Niederländer sahen sich damals einer serbischen Übermacht gegenüber und erhielten keinerlei Unterstützung, weder zu Land noch aus der Luft. Nur wer selber bereit ist zum Heldentod, der werfe den ersten Stein.

 

- Keine moralischen Bedenken haben wir, um die Ernennung von Gina Haspel zur Vizechefin des CIA zu kommentieren. Die Dame war vorher Chefin eines CIA-Gefängnisses in Thailand und persönlich anwesend, als der Pakistani Abu Subaida innerhalb eines Monats 83 Mal dem Waterboarding unterzogen wurde. Subaida gilt heute nicht mehr als Topterrorist, sitzt aber immer noch in Guantánamo, die Haspel („Trumps Darling“) hat Karriere gemacht, wird aber voraussichtlich nie (als Insassin) nach Guantánamo kommen, auch wenn deutsche Anwälte gegen sie inzwischen Strafanzeige wegen Folter gestellt haben.

 

Hier ist schon mal (in vorauseilendem Optimismus) das Foto für ihren Steckbrief.

 

 


Gina Haspel

 

- Auch am unteren Ende der „Achse des Bösen“ geht es nicht menschenfreundlicher zu. Der amerikanische Student Otto Warmbier war 2016 in Nordkorea festgenommen worden, weil er aus seinem Hotel ein politisches Plakat mitnehmen wollte. In einem Schnellverfahren wurde er zu 15 Jahren Haft verurteilt. Jetzt wurde er aus „humanitären Gründen“ freigelassen, im Wachkoma in die USA zurückgebracht und ist sechs Tage nach seiner Rückführung gestorben. Nordkorea zufolge ist er schon im März 2016 an einer Lebensmittelvergiftung erkrankt und nach Einnahme einer Schlaftablette ins Koma gefallen. Die Eltern Warmbiers sind der Meinung, dass er eher ins Koma geprügelt worden ist.

 

 

Warmbier beim Kotau im Scheinprozess

 

- In Moskau hat ein Gericht fünf Angeklagte schuldig gesprochen, die 2016 den Oppositionspolitiker Boris Nemzow ermordet haben sollen. Es gibt berechtigte Zweifel, ob man nicht nach dem Sprichwort „Die Kleinen hängt man, …“ verfahren ist, denn als Auftraggeber für den Mord hat man den Chauffeur eines tschetschenischen Militärs vorgeschlagen, und so stellt sich „die Frage, warum ein tschetschenischer Chauffeur einen solchen Hass auf einen russischen Oppositionspolitiker entwickelt haben soll“.

 

- Jetzt zu ein paar sonnigeren Nachrichten; schließlich war Sommeranfang. Bei den Imamen regt sich zaghaft aber glaubwürdig der Widerstand gegen den islamistischen Terror. In Großbritannien verweigerten mehr als 130 von ihnen den Attentätern von London und Manchester das traditionelle Bestattungsgebet, bei dem um Vergebung für die Taten des Verstorbenen und für seinen Eintritt ins Paradies gebetet wird. Das Paradies, wenn es eins gibt, möchten wir diesen Paranoikern nicht auf Dauer verweigern, aber ein paar Jährchen in den mittleren Etagen der Dschahannam/Hölle sei ihnen von Herzen vergönnt.

 

Und in Deutschland sind bei einem Friedensmarsch unter dem Motto „Nicht mit uns“ in der Kölner Innenstadt immerhin 1000 bis 3500 Muslime (und Freunde) auf die Straße gegangen, um gegen den islamistischen Terror zu protestieren. Man hatte 10 000 Teilnehmer erwartet, aber es war heiß und obendrein noch Ramadan. Wenig Verständnis aber gab es dafür, dass der Moscheeverband Ditib seine Teilnahme verweigerte, entweder weil er keine entsprechenden Direktiven aus Ankara bekam oder weil der Marsch von liberalen Muslimen organisiert wurde, „Typen“ wie die Frauenrechtlerin Seyran Ates, die einige Tage später in Berlin (im Saal einer evangelischen Kirche) die liberale Ibn-Rushd–Goethe-Moschee gründete. Mal sehen, wie lange sie (ohne Kopftuch) die Fatwas überlebt.

 

 


Friedensmarsch in Köln

 

- In Rom haben unter Vermittlung der Basisgemeinde Sant’Egidio die Regierung der Zentralafrikanischen Republik und die Rebellengruppen des Landes ein Friedensabkommen unterzeichnet. Wie in Kolumbien bleiben wir auf Beobachtungsstation.

 

 

Männer unter sich

 

Auf dem Foto fehlen die Frauen und Kinder, die in einem Bürgerkrieg sehr wohl vorkommen – als Opfer! Im August eskalierte dann wieder die Gewalt, ein UN-Sprecher sah darin „frühe Alarmzeichen für einen Völkermord“.

 

- Opfer waren auch die „Seligen Märtyrer von Dachau“, für die die Erzdiözese München-Freising nun einen jährlichen Gedenktag ausgerufen hat. Es handelt sich um 200 Geistliche, die im KZ Dachau ihr Leben gelassen haben. Wenn man ihre Lebensläufe und Schicksale liest – polnische Herkunft, Verweigerung des Hitlergrußes, mutige Predigten, Fluchthelfer, Prügel, Typhus, Giftspritze -, fällt es einem nicht leicht, an folgenden Spruch zu glauben:

 

„Das Gute scheint immer

das Schwächere zu sein

und doch erhält es die Welt.“

 

Hoffen wir, dass uns die Welt auch im Juli erhalten bleibt!

 

 

Juli 2017

 

 

Sie hätten es im Juli gern etwas ruhiger gehabt? Ich auch. Und deshalb bin ich nicht bei einer Demo in Hamburg mitgelaufen, oder auf einem Flüchtlingsrettungsschiff vor der libyschen Küste mitgefahren oder beim Protestmarsch von Ankara nach Istanbul mitmarschiert. Nein, ich hätte gehofft, dass sich die Vorhersage eines (in der Region ansässigen) „Gebrauchsphilosophen und Abreißkalenderverlegers“ erfüllen würde, der (leicht abgeändert) gemeint hat:

 

„Kommt der Juli, sind das Wetter

und die meisten Leute netter.“

 

Nun, das Wetter hätte es ja getan, aber, wie schon Karl Valentin sagte:

 

„Der Mensch ist guat, aber de Leit’ san schlecht!“

 

In Hamburg, beim G20 Gipfel, hatten wir es beim Aufmarsch einiger Politiker und die Polizei beim Aufmarsch einiger Demonstranten eher mit den Leuten als mit den Menschen zu tun. Da ich, wie gesagt, nicht vor Ort war, beschränke ich mich auf einige „Schlaglichter“, eine Metapher, die man leider wörtlich nehmen muss. Da ist zum ersten das Spektrum der Schlagzeilen:

 

 - Es begann mit einem gewissen Verständnis für Menschen, die eine solche Veranstaltung und den Auftritt einiger Politiker nicht protestlos hinnehmen wollten („Platz dem Zorn“).

 

- Dann kam das Entsetzen über die Straßenschlachten, die brennenden Autos, die geplünderten Geschäfte („Es war wie im Krieg“).

 

 

 

- Dann kam die Abrechnung mit den Linksautonomen, die sich „aus ganz Europa“ zu einer Steinwurfolympiade verabredet hatten und durch ihre Gewaltbereitschaft den rechten Parteien (gewollt oder ungewollt) einige Stimmen einbringen werden („Selbstverwirklichung – nur einen Steinwurf entfernt“). Im englischen bezeichnet man diese Typen als „lunatic fringe/extreme Randgruppe“ und den „altlinken“ Rechtsanwalt, der die Randalierer kritisiert hatte, weil sie „ihren eigenen Kiez und nicht die (wohlhabenden) Stadtteile verwüstet“ hätten, kann man ruhig mit dazu nehmen.

 

- Und schließlich kam die Abrechnung mit der Polizei und der Justiz, die die Zahl der verletzten Polizisten dramatisiert, eigenes „Fehlverhalten“ beschönigt und die falschen Demonstranten in U-Haft genommen haben sollen („Endlich etwas Offenheit“).

 

Erwähnenswert sind aber auch die Ereignisse, die zwar nicht zur Randale führten aber dennoch ein Skandal sind.

 

- Da war zum einen die mehr als dürftige Berichterstattung über die friedlichen Demos, u.a. die Nacht unter dem Motto „Lieber tanz’ ich als G20“ und die Demo „Hamburg zeigt Haltung“ mit 60 000 Teilnehmern, darunter sogar ein unauffälliger (reuiger oder in Schach gehaltener) Schwarzer Block.

 

 

 

- Und da war der „Ertrag“ des Gipfels, die Kosten-Nutzen Analyse gewissermaßen: ein mauer Kompromiss über Freihandel und Protektionismus und ein vages Versprechen Trumps, das Pariser Klimaabkommen nicht (sofort) platzen zu lassen. Das angemessene Bildmaterial ist die Karikatur.

 

 


Gut hamburgerisch: Soll und Haben nach G20

 

Dazu passend eine Satire aus der „SZ“: Horst Seehofer hat angeboten, dass der Freistaat Bayern „künftig als Alleinausrichter aller G20 Gipfel auftreten soll, da es die anderen einfach nicht im Kreuz hätten“.

 

Was sich im April schon angedeutet hat, wurde im Juli von der EU in „klare Richtlinien“ gegossen: den NGOs, die im Mittelmeer in diesem Jahr 40% aller Rettungsaktionen von Flüchtlingen durchführten, soll ein „Verhaltenskodex“ vorgeschrieben werden – schließlich sei ihre Präsenz vor der libyschen Küste die entscheidende Fluchtursache für Nigerianer und Eritreer (Satire!). Fairerweise ist zu sagen, dass man vor dem letzten Schritt, die Rettungsschiffe der NGOs in eine Zuschauerrolle zu zwingen, vor deren Augen die Flüchtlinge „unbehelligt“ absaufen können, (noch) zurückgeschreckt ist, aber einige Forderungen auf diesem Verhaltenskodex bewegen sich in Nähe der Gürtellinie.

 

- Die Boote der NGOs sollen nicht mehr in libysche Gewässer fahren dürfen. Da die Qualität der Schleuserboote immer schlechter wird, werden es viele von ihnen gar nicht mehr in internationale Gewässer schaffen.

 

- Der Kodex verlangt, dass bewaffnete Polizisten an Bord gehen dürfen, (angeblich) „um Ermittlungen über Menschenhandel und Schlepper zu führen“. „Ärzte ohne Grenzen“ sieht darin ein Sicherheitsrisiko.

 

- NGOs sollen gerettete Flüchtlinge nicht mehr an größere Schiffe übergeben dürfen, sondern sie eigenhändig in Malta oder Italien abliefern. Damit wären sie (die NGOs) für einige Zeit aus dem Verkehr gezogen – und könnten keine Dummheiten machen, z.B. weitere Flüchtlinge retten (Satire!).

 

Dann haben sich die Ereignisse überschlagen: Die meisten NGOs weigerten sich, den Kodex zu unterschreiben, Libyen hat seine Hoheitsgewässer um ein „Such- und Rettungsgebiet/SRA“ erweitert, Italien rüstet die libysche Küstenwache auf, damit Flüchtlinge leichter in die „gastfreundlichen“ libyschen Flüchtlingslager zurückgebracht werden können, die „Iuventa“, das Schiff der NGO „Jugend Rettet“ wird von den italienischen Behörden wegen angeblicher Zusammenarbeit mit Schleppern beschlagnahmt, NGOs stellen ihre Rettungsarbeit ein, weil die SRA für sie tatsächlich zu einem „Sicherheitsrisiko“ wird – und: die Zahl der Flüchtlinge hat im Monat Juli drastisch abgenommen. Und viele bei uns werden sagen: „Schau’ her, geht doch!“, aber einige werden sich fragen: „Und wo sind sie geblieben?“ Und da tauchte aus heiterem Himmel im August der Name einer Stadt auf, von der bisher viele Flüchtlingsboote gestartet waren, Sabratha. Da scheint ein mächtiger Milizen- und Schleuserchef mit seiner „Brigade 48“ die Seiten gewechselt haben und dafür zu sorgen, dass die Flüchtlingsboote nicht mehr ablegen. Es besteht der Verdacht, dass ihm die EU den Verdienstausfall ersetzt – direkt oder über die Regierung in Tripolis.

 

 

 

Wenn wir die Frage stellen „Wo sollen sie bleiben?“ haben wir zwei Lösungen anzubieten. Die erste Lösung ist wohl nur mit Hilfe eines gigantischen Seebebens zu verwirklichen: Man müsste Italien direkt an Libyen andocken und die beiden Staaten wie schon zur Kolonialzeit wieder unter einem übergeordneten Gesichtspunkt vereinigen. Die Touristenattraktionen Italiens müsste man dann halt nach Osteuropa verlegen. Da sind sie sicher willkommener als Flüchtlinge.

 

 

 

Die 2. Lösung kommt von Gerald Knaus, von der Denkfabrik „Europäische Stabilitätsinitiative“, die schon das Türkei-Abkommen entworfen hat. Er empfiehlt, mit Herkunftsländern wie Nigeria einen Deal abzuschließen: Sie müssten ihre Staatsangehörigen, die bei uns nicht asylberechtigt sind, wieder zurücknehmen und erhalten im Gegenzug das Angebot, dass die EU ihnen jährliche Kontingente (gemeint sind Menschen!) einräumt, die fair auf alle Staaten der EU verteilt werden. Klingt vernünftig, aber der Orban und der Kurz werden dann wohl zum Exit blasen.

 

Gefreut hat uns, dass der libyschen Küstenwache ein Verbündeter im östlichen Mittelmeer abhanden gekommen ist. Cypern hat ein Schiff der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ festgesetzt, das vor der libyschen Küste die NGOs überwachen und Flüchtlingsboote zerstören wollte – die Flüchtlinge am besten gleich mit (Satire!). Das Schiff fuhr unter mongolischer Flagge, und in die Mongolei sollte man die Besatzung (und deren Geldgeber) auch gleich schicken.

 

Wir halten kurz den Atem an, denn jetzt kommt wieder Erdogan. Zum Jahrestag des Putsches hielt er eine martialische Rede, in der er versprach, „den Verrätern den Kopf abzureißen“. Nun den Kopf hat man ihnen gelassen, aber ihre Bewegungsfreiheit ist stark eingeschränkt: Schon im Juni wurde Taner Kilic, der Vorstandsvorsitzende von AI-Türkei festgenommen, weil er eine App genutzt haben soll, die auch bei Gülen-Anhängern beliebt ist, und im Juli traf es Idil Eser, die Direktorin  der türkischen AI-Sektion. Sie wurde mit neun weiteren Menschenrechtlern, darunter der Deutsche Peter Steudtner, von einem Workshop weg verhaftet. Das Thema des Workshops war nicht etwa „Wege zu einem erfolgreichen Putsch“ sondern „Digitale Sicherheit und Informationsmanagement“. Das ist kein Thema, das man auf Anhieb als subversiv bezeichnen würde, aber in der Türkei kann man derzeit für alles und jedes verhaftet werden. Deshalb sollten sich gerade die Sachsen von dem Land fernhalten.

 

 

 

 

Für Amnesty ist das eine unerfreuliche Premiere: „Zum ersten Mal in der Geschichte von Amnesty sitzen zwei führende Vertreter der Organisation im selben Land in Haft – in der Türkei.“

 

Die Autorin Oya Baydar hat Erdogan mutig die Leviten gelesen. Da wir nicht wissen, wie lange sie noch schreiben (oder lesen) darf, wollen wir sie kurz zu Wort kommen lassen:

 

„Als ich Sie (Erdogan) reden hörte, wurde mir wieder klar, dass all die Ungerechtigkeiten, diese Welle des Leids, die so zufällig, so willkürlich über uns hereinbricht, ausschließlich von Ihnen und Ihren Befehlen verursacht wurde.“

 

 

Die Kurznachrichten

 

 

- China hat den Nobelpreisträger Liu Xiaobo freigelassen – zum Sterben. Zuvor hatten die beiden westlichen Ärzte, die man im Endstadium seiner Erkrankung eingeflogen hatte, ein mutiges Bulletin veröffentlicht. Liu sei sehr wohl transportfähig, wenn die Verlegung sofort geschähe – und es gäbe „zusätzliche Optionen“ bei der Behandlung. Letzteres mag die Behörden bewogen haben, mit einer Verlegung lieber noch ein paar Tage zu warten. Auf einer Pressekonferenz nach der Seebestattung trat Lius älterer Bruder auf. Er kam in Shorts und dankte der Partei für die Organisation der Bestattung.

 

 

Der leere Stuhl von Oslo

 

- In Grosny/Tschetschenien wurden nach einer Verhaftungswelle, die im Januar nach einem Angriff auf Sicherheitskräfte begonnen hatte, mindestens 27 Menschen hingerichtet – ohne Anklage oder Gerichtsverfahren. Der Republikchef Kadyrow, der für Putin schon manche „Drecksarbeit“ übernommen haben soll, war nicht darunter.

 

- Die britische Journalistin Sarah Afshar hat einen Film über Assads Foltergefängnisse gemacht und damit den AI-Bericht vom Februar in Bilder gesetzt. Ein Überläufer mit dem Decknamen Cäsar, der im Auftrag der Regierung Fotos von den Opfern gemacht hat, hat diese aus Syrien herausgeschmuggelt. Dazu kamen Kassiber, die auf abenteuerliche Weise entstanden sind.

 

 

 

- Ein deutliches Lebenszeichen von der türkischen Opposition kam vom „Marsch für Gerechtigkeit“, der den (bisher eher farblosen) Chef der CHP, Kemal Kilicdaroglu, über eine Strecke von 420 Kilometern von Ankara nach Istanbul führte – zu Fuß wohlgemerkt. Bei der Schlusskundgebung in Istanbul sollen mehrere hunderttausend Menschen gewesen sein; so viele kann der Erdogan beim besten Willen nicht (auf einmal) verhaften. Inzwischen soll die CHP sogar zaghafte Fühler zur pro-kurdischen HDP ausgestreckt haben. So was ergibt sich zwangsläufig, wenn die Abgeordneten gemeinsam im Gefängnis hocken.

 

 

Marsch für Gerechtigkeit

 

Die Handbewegung Kilicdaroglus gilt nicht dem Führer Erdogan.

 

- Von der Türkei nach Wien – aber auch auf deutsche Autobahnen. In Wien lief eine hochschwangere Frau in eine Straßenbahn. Während sich das Rettungsteam (vergeblich) um sie bemühte, schwoll die Menge der Gaffer auf 250 an. Einige von ihnen behinderten die Polizei und das Team, weil man ja schließlich ein Foto von der sterbenden Frau machen müsse. Das sei vom demokratischen Recht auf Informationsbeschaffung abgedeckt. Und dann kam ein Satz, der einen zweifeln lässt, ob die Menschheit im Sommer wirklich „netter“ wird: „Wir sind hier nicht in der Türkei! Bei uns gibt es keine Zensur.“

 

Wenn man, wie jetzt geplant, auf den Straßen Sichtschutzwände gegen Gaffer und Poller gegen Terroristen aufstellt, bekommen wir so viele verkehrsberuhigte Zonen, dass wir die Stinkediesel auch noch verkraften können.

 

 

August 2017

 

 

„Ja, für eine Fahrt ans Mittelmeer,

gäb ich meine letzten Mittel her …“

 

war ein Schlager aus dem Jahre 1955. Ich setze ihn an den Anfang dieses Artikels, um bei Ihnen um gutes Wetter anzuhalten. Eines der Hauptthemen des Monats Juli, „die Fahrt (der Flüchtlinge) ans Mittelmeer“ wird sich nämlich wiederholen. Zwar werde ich mich bemühen, die Sache fortzuschreiben, aber wenn Sie aus dem Thema flüchten wollen, dann tun Sie es. Sie als Leser/in können das – ganz ohne Zwang und Schleuser.

 

So ging es weiter:

 

- Vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages kam ein Gutachten, dass die EU-Mitgliedsstaaten völkerrechtlich verpflichtet seien, bei der Rettung von Menschen in Seenot zusammenzuarbeiten, auch mit zivilen Schiffen. Auch eine Rückführung geretteter Flüchtlinge nach Libyen sei illegal. Die Verantwortung für Flüchtlinge kann also nicht durch Einrichtung von Hotspots in Libyen, und das wären tatsächlich „heiße Flecken“, abgegeben („outgesourct“) werden.

 

- Mein Freund Anastasiadis/„Merkur“ gibt zu bedenken, dass die Rettungstätigkeit der NGOS erst dazu führt, dass sich Flüchtlinge auf die lebensgefährliche Überfahrt begeben. Er schreibt:

 

„Wer nennt die Namen jener, die am Ende vergeblich auf die Rettungsversprechen der Seenothelfer vertrauten?“

 

Kommentar zum Kommentar - geschenkt!

 

- Ein Bestandteil des Verhaltenskodex für die NGOs ist, dass sie ihre Finanzierung offen legen müssen. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn bei der Libyentour des italienischen Innenministers Marco Minniti, auf der er sich die Mithilfe von Milizen, Stammesältesten und Politikern bei der Drosselung des Flüchtlingsstromes erkaufte, ist mit Sicherheit Schmiergeld geflossen, und auch der französische Präsident musste Geld in die Hand nehmen, um mit dem Chef der libyschen Übergangsregierung ein Abkommen zur Bekämpfung der Schlepperbanden auszuhandeln. Wo das Geld herkam (EU?), davon hat man nichts gehört!

 

- Der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz Kardinal Bassetti hat davor gewarnt, mit Menschenschmugglern zusammenzuarbeiten. Er mag da auch die Organisation „Jugend Rettet“ gemeint haben, der man vorwirft, sich zur Aufnahme von Flüchtlingen mit den „Lieferanten“ abzusprechen. Diesbezügliche Informationen hatte ein V-Mann geliefert, den man an Bord eines anderen Rettungsschiffes geschmuggelt hatte, von dem aus er die Iuventa mit dem Fernglas bei einer Flüchtlingsübergabe beobachtete und davon einige (unklare) Fotos machte. Von einer Kehrtwende der Kirche in Sachen „Seerettung“ zu sprechen, ist allerdings etwas voreilig: die Flüchtlingsfachstelle der Bischofskonferenz bescheinigte den privaten Helfern, dass sie Aufgaben erledige, die eigentlich „Pflicht der europäischen Staaten“ wäre.

 

Übrigens gibt es auch eine GO, die mit den Schleppern zusammenarbeitete – aber das gibt es wirklich nur in der Karikatur.

 

 

 

- Das eingangs erwähnte Gutachten ist nicht das Papier wert, auf das es gedruckt wurde: die Flüchtlinge werden in Libyen in Lagern „unter KZ-ähnlichen Verhältnissen“ zurückgehalten, und die Hotspots werden in den Planungen der EU immer weiter nach Süden (Niger, Tschad) versetzt – bis sie schließlich auf Mandelas Gefängnisinsel Robben Island bei Kapstadt angesiedelt werden.

 

- Einziger Lichtblick: Frau Merkel ist (plötzlich oder wieder einmal) offen für Einwanderer-Kontingente aus Afrika. Da könnte man dann sogar für Seehofer eine „Obergrenze“ einführen. Aber diese Idee tauchte erst mit den Nachwehen der Septemberwahlen auf.

 

Die anderen Meldungen mit Migrationshintergrund hängen nicht mit der „Fahrt ans Mittelmeer“ zusammen. Fangen wir mit einer Großtat an, die mutmaßlich einem eher „hässlichen Deutschen“ anzulasten ist:

 

- In Daiting/Lk Donau-Ries warf ein afghanischer Flüchtling einen Kontoauszug in den Papierkorb der Sparkassenfiliale. Er hatte für seine siebenköpfige Familie 1780,35 € abgehoben, den „Regelsatz“ für einen Monat. Der Auszug blieb nicht, wo er war, er wurde herausgefischt und auf Facebook gepostet, mit vollem Namen der Familie, IBAN und SWIFT. Die ersten Wut-Kommentare ließen nicht lange auf sich warten. Wir verzichten auf einen Abdruck, denn Unbekannte haben die Daten genutzt, um Waren per Nachnahme zu bestellen.

 

- Die AfD hat neben anderen „Foltermaßnahmen“ gefordert, dass das individuelle Recht auf Asyl in Deutschland abzuschaffen sei. Auch für uns gelte die Maxime „Deutschland first“. Nach den Septemberwahlen stellt die Partei zwar noch nicht den Präsidenten/Bundeskanzler, aber sehr weit davon sind sie in Sachsen und Niederbayern nicht mehr entfernt.

 

- Deutschland schiebt de facto keine Asylbewerber mehr nach Ungarn ab, weil ihnen dort, so eine Gerichtsentscheidung, eine „erniedrigende und unmenschliche Behandlung“ drohe. Zum Ausgleich hat man die Abschiebungen nach Griechenland wieder aufgenommen. dort seien die Flüchtlinge inzwischen von den Lagern auf Hotels verteilt worden (Satire!)

 

- Im März haben wir Ihnen ein Foto der Pfarrerin Otminghaus mit ihrem Schützling Hasib A. präsentiert. Nach acht Monaten im Kirchenasyl hat er jetzt subsidiären Schutz erhalten und darf (bis auf weiteres) in Deutschland bleiben. Auf der Allgäuer Festwoche hat auch Ministerpräsident Seehofer moderate Töne beim Kirchenasyl angestimmt, die „Wachhunde seines Justizministers (gewissermaßen) zurückgepfiffen“. Bayern werde keinen „Sonderweg“ gehen, sondern mit den anderen Bundesländern das Kirchenasyl respektieren – bis eine „saubere rechtliche Lösung“ gefunden ist, denn, so Seehofer:

 

„Ich habe immer darauf hingewiesen, dass für uns in Bayern an erster Stelle die Humanität steht.“

 

- Kröten schlucken nicht schützen mussten die Grünen, als Boris Palmer, der Oberbürgermeister von Tübingen, ein Buch mit einem Titel vorstellte, den wir so in Deutschland noch nie gehört haben: „Wir können nicht allen helfen.“ Es soll angeblich nicht ausländerfeindlich sein, aber einige Leser werden sich wohl auf Kapitel beschränken, die eher braun als grün daherkommen. Da lauten die Überschriften:

 

„Von Obergrenzen und Belastungsgrenzen“

„Wie kriminell sind Ausländer?“

„ Augen zu nutzt nix: Junge Männer verändern unser Land.“

 

„Und eine Karriere in der Politik verändert den Menschen“, könnte man jetzt erwidern, aber die Pointe wäre etwas billig. Man kann einem Oberbürgermeister nicht verdenken, dass er auch negative Erfahrungen in seine Bilanz einfließen lässt, aber bei seiner Wort- und Themenwahl sollte er doch beachten, dass er auch Leute bedient, die schon darauf gewartet haben, dass „es jetzt auch schon die Grünen sagen“. Aber um zu urteilen, müsste man das Buch erst einmal gelesen haben!

 

- Von der Bertelsmann-Stiftung kam eine neue Studie zur Integration von Muslimen in Europa heraus, die vom „Merkur“ unter dem Titel „Integrations-Meister Deutschland?“ besprochen wurde. Wir ignorieren einmal das Fragezeichen dieses Titels (Defizite bei den Muslimas, Radikalisierung der Attentäter) und beschränken uns auf die positiven Aussagen der Studie. Danach kommt Deutschland bei der Integration auf dem Arbeitsmarkt recht gut weg. Es gibt beispielsweise keine Unterschiede zu Nichtmuslimen, was die Vollzeitstellen und die (niedrige) Arbeitslosenrate betrifft. Und was die „Parallelgesellschaften“ angeht: 96 % der Muslime fühlen sich Deutschland mindestens genauso verbunden wie ihrem Heimatland und pflegen soziale Kontakte zu Andersgläubigen. Diese Parallelgesellschaften mag es in manchen Stadtvierteln geben, aber wir Deutschen tragen auch unseren Teil dazu bei: 19% der Deutschen, also nicht nur Herr Gauland, geben an, keine Muslime als Nachbarn haben zu wollen.

 

 

Die Kurznachrichten

 

 

- Wir müssen noch einmal auf H: Gauland zurückkommen, auch wenn er es nicht wert ist. Er hat auf die fragwürdige Äußerung von Aydan Özoguz, der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, mit einem Wort reagiert, das zum Sprachschatz des Untermenschen gehört. Frau Özoguz hatte im Mai in einem (anfechtbaren) Beitrag zur Leitkultur-Debatte geschrieben, dass „eine spezifisch deutsche Kultur jenseits der Sprache schlicht nicht identifizierbar“ sei. Es gäbe eher eine Vielzahl von Regionalkulturen, die nicht zuletzt von Einwanderern geprägt wurden. Diese Äußerung griff Gauland auf einer Wahlkampfveranstaltung im Eichsfeld auf und sagte seinen Zuhörern, die „vereinzelt mit Jubelrufen“ reagierten:

 

Ladet sie mal ins Eichsfeld ein und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt sie hier nie wieder her, und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können.“

 

Dem sollte die Nahles „eins …“.

 

 


Özoguz im Unterricht und Gauland nach der „Entsorgung“

 

- Die „Zeit“ untertitelte einen Kommentar zu einem Urteil für einen G-20 Randalierer wie folgt:

 

„Ein Hamburger Amtsrichter setzt durch eine harte Strafe endlich ein Zeichen – leider ein falsches.“

 

Ein junger Niederländer wurde wegen „schweren Landfriedensbruchs“ und „gefährlicher Körperverletzung“ zu zwei Jahren und sieben Monaten Gefängnis verurteilt. Die sieben Monate hat man ihm draufgesattelt, damit die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Der junge Mann hatte zwei leere Bierflaschen auf einen Polizeibeamten geworfen. Das geht nicht und gehört geahndet. Als er dann festgenommen wurde, „leistete er Widerstand, indem er sich in die Embryonalstellung zusammenrollte und die Muskeln anspannte“. Um darin eine „gefährliche Körperverletzung“ zu erkennen, muss man schon viel Fantasie haben. Zur Ergänzung: Das Strafmaß von 31 Monaten wird verhängt bei Raub, Drogenhandel und Kindsmissbrauch in besonders schweren Fällen. Wir teilen die Meinung der SZ, wenn sie schreibt: „Die Justiz verliert das Maß.“

 

An die Adresse der gewalttätigen Demonstranten aber sei gesagt: Es wäre besser, statt mit leeren Flaschen auf Polizisten zu werfen, ihnen zwei volle Flaschen anzubieten.

 

In Bayern (aber nicht nur da) sollen britische Verhältnisse hergestellt werden. Der Innenminister plant eine deutlich verstärkte Videoüberwachung im Nahverkehr, in Einkaufszentren und auf öffentlichen Plätzen. Ich werde mich hüten, hier Stellung zu beziehen, denn auch ich bin froh, wenn man denjenigen findet, der mich auf der Treppe zur U-Bahn runtergestoßen hat, aber die folgende Karikatur möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Passt auch irgendwie zu Gauland (und Nahles) dazu!

 

 

 

- Verlassen wir Deutschland - über Nordkorea! Wussten Sie schon, dass 624 Nordkoreaner mit temporären Arbeitsgenehmigungen in EU-Ländern beschäftigt sind, abgeschottet, streng bewacht, mit einer Arbeitszeit von 62 Stunden/Woche und 70€ Lohn im Monat? Und dass 2016 auch 54 von ihnen in Deutschland tätig waren? Die Arbeitgeber zahlen natürlich mehr, aber das kassiert die Regierung Nordkoreas. Irgendjemand muss ja das Nuklearprogramm finanzieren.

 

Und dann gab es einige Fälle, die das Kernmandat von AI in seiner ganzen Breite abdeckten:

 

- Politische Gefangene: In Venezuela wurde nachts der Oppositionsführer Leopoldo López abgeholt. Er war zum Symbol des Kampfes gegen die Diktatur von Nicolás Maduro geworden, der derzeit den Ruf des Sozialismus in Lateinamerika in den Graben fährt. In China steht der Blogger und Performer Wu Gan vor Gericht, der mit spektakulären Aktionen Todeskandidaten und Vertreibungsopfer verteidigt und die Justiz bloßgestellt hatte. Er wolle „Schweine schlachten“ sagte er und meinte damit „Machtmissbrauch aufdecken“. Deshalb wählte er als Deckname das Pseudonym „Supervulgärer Schlachter“. Ihm drohen bis zu 10 Jahre Haft.

 

     

Leopoldo López, Wu Gan

 

- Todesstrafe: Im Iran wurde Alireza Tajiki hingerichtet. Er soll 2012 einen Freund vergewaltigt und ermordet haben. Zum Zeitpunkt der Tat war er 15 Jahre alt. Sein Geständnis war mutmaßlich der Folter geschuldet. Die Hinrichtung von zur Tatzeit Minderjährigen ist ein klarer Verstoße gegen UN-Konventionen, die auch der Iran ratifiziert hat. Trotzdem sollen noch 89 minderjährige Straftäter in den Todestrakten iranischer Gefängnisse einsitzen.

 

Alireza Tajiki

 

- Folter: In Papua-Neuguinea ist es leicht, eine Hexe zu werden. Da sterben die Leute nicht an Herzinfarkt oder am Aidsvirus, da fährt ein böser Geist in einen Menschen, bevorzugt in eine Frau, und der ist dann für den Tod verantwortlich. Und da man den Geist nicht direkt zu fassen kriegt, wird das Medium „behandelt“ – und oft auch verbrannt.

 

- Verschwindenlassen: Da sind wir wieder mitten in Deutschland. In Berlin wurde auf offener Straße der Vietnamese Trinh Xuan Thanh, ehemaliger Parteifunktionär und Geschäftsmann entführt, mutmaßlich vom vietnamesischen Geheimdienst. Man wirft ihm Veruntreuung öffentlicher Gelder vor, was nicht ganz von der Hand zu weisen ist, denn er konnte seine Geliebte immerhin im Sheraton-Hotel unterbringen. Der Hauptgrund, warum er in Ungnade gefallen ist, dürfte aber eher darin liegen, dass er Opfer eines Machtkampfes zwischen Reformern und China-treuen Hardlinern geworden ist. Eine zusätzliche Pikanterie erhält das ganze, weil wahrscheinlich auch das BAMF in die Affäre verwickelt ist. Ein Vietnamese, der dort seit 26 Jahren als Entscheider tätig ist, könnte dem Geheimdienst nützliche Informationen aus dem Ausländerzentralregister geliefert haben. Einer der mutmaßlichen Entführer, der den Wagen für das Kidnapping angemietet hatte, wurde von Tschechien ausgeliefert und sitzt in U-Haft, zwei vietnamesische Diplomaten, denen man wegen ihrer Immunität nicht weiter an die Wäsche konnte, wurden ausgewiesen. Trinh erschien „mit einem aufgedunsenen Gesicht“ im vietnamesischen Staatsfernsehen und erklärte, dass er freiwillig nach Vietnam zurückgekehrt sei. Ihm droht schlimmstenfalls die Todesstrafe.

 

 

Ein Zwangsauftritt im Fernsehen

 

Sie werden es nicht glauben, aber es gibt auch (relativ) gute Nachrichten:

 

- In Chile sind 24 ehemalige Offiziere und Geheimdienstler wegen Verbrechen während der Pinochet-Diktatur zu Haftstrafen verurteilt worden. Hat zwar 27 Jahre gedauert, aber schneller wie wir mit unseren letzten Naziprozessen waren die Chilenen allemal.

 

- Tunesien hat am 13. August den Weltfrauentag gefeiert und punktgenau wichtige Gesetze verabschiedet. Strafbar sind jetzt Vergewaltigung in der Ehe und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Abgeschafft wie in Jordanien wird auch die „Wiedergutmachungshochzeit“, ein Begriff, der zwar klingt wie aus 1001er Nacht, aber den unschönen Brauch beschreibt, dass der Vergewaltiger straffrei bleibt, wenn er sein Opfer heiratet. Und der Präsident strebt eine Reform des islamischen Erbrechts an, in dem bisher die männlichen Erbberechtigten den doppelten Anteil bekamen. In Jordanien wurde die Strafe für Ehrenmorde verschärft: der „schwere Zorn“ eines Mannes gilt nicht mehr als strafmildernd.

 

- Freudentränen gab es am Düsseldorfer Flughafen, als die 15-jährige Nepalesin Bivsi Rana, die vor zwei Monaten aus dem Schulunterricht geholt und zusammen mit ihren Eltern abgeschoben worden war, wieder einreisen durfte. In Duisburg hatten ihre Mitschüler, Lehrer und Politiker Protestveranstaltungen und Benefizkonzerte organisiert, auf Petitionen 50 000 Unterschriften gesammelt und schließlich den NRW-Integrationsminister weich geklopft. In drei Jahren, wenn Bivsi Abitur macht, muss neu verhandelt werden. Der Vermieter hatte der Familie die alte Wohnung freigehalten.

 

 

Flughafen Düsseldorf

 

Bei manchen Personen, die in diesem Bericht vorkommen, z.B. der/die Kontoauszugssammler(in), fällt mir ein böses Wort ein: „Es gibt manche Leute, die gäbe es besser nicht.“ Aber es gibt auch die anderen, bei denen man sagt: „Es ist gut, dass es dich gegeben hat.“ Verstorben ist Ruth Pfau, die 57 Jahre in Pakistan gewirkt hat und maßgeblich dazu beitrug, dass die Lepra im Land 1996 erstmals unter Kontrolle war. Der Titel eines ihrer Bücher lautete: „Wenn du die große Liebe triffst. Das Geheimnis meines Lebens.“ Ihre große Liebe waren die Blinden und die Kranken.

 

 

Ruth Pfau

 

Beschließen möchte ich dieses Augustepos mit einem Abschnitt aus einer Glosse zum Thema „Höflichkeit“. Sie passt auch, um wenigsten im Ansatz AI-relevant zu bleiben, zum Burkaverbot in Österreich, das am

1. Oktober in Kraft getreten ist.

 

Im Oberland erzählt man sich vom angeblichen Lapsus eines Hotellerie-Azubis, der mangelnde Erfahrung mit arabischen Touristinnen durch Höflichkeit kompensiert haben soll – „Guten Abend, darf ich Ihnen die Burka abnehmen?“

 

 

September 2017

 

Mein Sommer ist ein Ränkespiel
Und meine Schönheit trifft ins Hirn
Mein Mal des Stolzes auf der Stirn
Ist jedem dumpfen Mann zuviel.

Die harten Seelen klopf ich weich
Mit lustvolldüstren Spinnenweben
Ich bin nicht zart und dennoch reich
An zärtlich-tiefen Liebesleben.

Sie ahnen wahrscheinlich schon, warum wir diese Verse von Shakespeare als Einstieg in den September gewählt haben. Nein, wir haben nicht vor – Achtung Wortspiel! – aus dem September einen Sextember zu machen. Und wir berichten auch nicht über das Oktoberfest, wo solche „Vorkommnisse“ des öfteren zum „Nachglühen“ gehören.  Unsere „dumpfen Männer“ sind männliche Flüchtlinge aus einigen Regionen, die bei Sexualdelikten überdurchschnittlich oft als Tatverdächtige auffallen. Vergewaltigungen in Höhenkirchen und an einem See bei Rosenheim, Belästigungen von Frauen auf einer Kirchweih bei Bamberg haben eine Kriminalstatistik „unterfüttert“, die das bayrische Innenministerium kurz vor dem Wahltermin präsentiert hat. Die ersten Zahlen waren schockierend: Im 1. Halbjahr 2017 kam es in Bayern demzufolge zu 685 Vergewaltigungen, eine Steigerung um 48%; Flüchtlinge  waren in 126 Fällen tatverdächtig, eine Steigerung um 91%.

 

Die 2. Zahlen, die gab es eine Woche später, waren immer noch erschreckend, sahen aber etwas anders aus. Man hatte im Ministerium, wissentlich oder unwissentlich, Vergewaltigungen und sexuelle Nötigung zusammengeworfen, und so wurden aus einer Steigerung um 48% eine Steigerung um 5%, und aus den 126 Fällen tatverdächtiger Flüchtlinge, die in Vergewaltigungen verwickelt sein sollen, deren 17. Sie sehen, dass wir uns ein „nur noch“ gespart haben, denn das sind immer noch 17 zu viel, von den Nötigungen ganz zu schweigen.

 

Aber damit müssen wir leben: Mit den Flüchtlingen kamen nicht nur aufrechte Familienväter, freundliche Frauen und integrationswillige Kinder, sondern auch ein Bodensatz von Männern, die „lustvolldüster“ veranlagt oder durch die Diskrepanz zwischen offener Gesellschaft und beengten Wohnverhältnissen kriminalisiert worden sind. Diesem Bodensatz muss man, um im Jargon seines „Betätigungsfeldes“ zu bleiben, mit rechtsstaatlichen Mitteln „richtig an die Wäsche“. Aber eins muss man schon noch sagen: Dass verordnete Untätigkeit durch Verweigerung oder Entzug der Arbeitserlaubnis das Sicherheitsrisiko erhöhen könnten – das sollte sich gerade die bayrische Regierung hinter die Ohren schreiben.

 

Die „SZ“ hat in einem Leitartikel mit dem Titel „Berechtigte Sorge“ einen markanten Schlusssatz gesetzt:

 

Die Rechte der Frauen sind genauso schutzbedürftig wie die Rechte der Flüchtlinge.“

 

Diese Rechte gelten gleich im Doppelpack für Nigerianerinnen, die, so die Frauenrechtsorganisation SOLWODI, auf dem Weg nach Italien oder bereits in ihrer Heimat von Menschenhändlern zu einem Voodoo-Schwur gezwungen werden. Der Schwur verpflichtet sie zur Prostitution. Damit müssen sie Reise- und andere Kosten in überzogener Höhe an die Schlepper zurückzahlen, andernfalls wird ihnen und ihren Familien mit dem Tod gedroht. SOLWODI fordert für sie ein Bleiberecht in Deutschland – so sie es denn bis zu uns schaffen -, weil es in Italien kaum staatliche Hilfen gibt.

 

Die Rechnung der bayrischen Staatsregierung, mit dem wahlnahen Zeitpunkt der Veröffentlichung der Kriminalitätsstatistik und der damit verbundenen Gegenmaßnahmen, der AfD das Wasser abzugraben, ist bekanntlich nicht aufgegangen: Viele Bürger wollen Köpfe rollen sehen – im übertragenen und manchmal auch im wörtlichen Sinne.

 

Wir kehren in den September zurück, wenn auch nicht zum „milden Ton des Herbstes“. Der Unruheherd des Monats war Myanmar, wo in der Provinz Rakhine der Konflikt zwischen dem Militär und der muslimischen Minderheit der Rohingyas eskalierte. An die 600 000 Rohingyas flüchteten nach Bangladesch, 320 000 von ihnen Kinder, viele von ihnen traumatisiert.

 

 


Rohingya-Kinder im Flüchtlingslager

 

Dann hat man bis Mitte Oktober nicht mehr viel gehört, bis Meldungen über die katastrophalen Zustände in den Flüchtlingslagern von Bangladesch -„Eine Toilette für Hunderte von Menschen“ – die Weltöffentlichkeit daran erinnerte, dass Bangladesch kein reicher Golfstaat ist. Es kam zu einer UN-Geberkonferenz, die (wider Erwarten und in atemberaubender Geschwindigkeit) 340 Millionen US-Dollar sammelte.

 

Was war geschehen? Im August hatten radikale Rohingyas, die sich ironischerweise „Salvation Army/Heilsarmee“ nennt, eine Reihe von Polizeistationen angegriffen und mehrere Sicherheitskräfte getötet. Das Heil brachten sie nicht, denn für das Militär war das eine günstige Gelegenheit, um die Jagdsaison auf die Rohingyas zu eröffnen. Es wurde gemordet, vertrieben und niedergebrannt. Die buddhistische Mehrheitsgesellschaft hatte nichts dagegen, denn die „Bengalis“, wie die Rohingyas in Myanmar genannt werden, werden als Fremdkörper der Gesellschaft gesehen, obwohl sie schon seit mehr als 200 Jahren im Lande sind. Die „Räumungsoperation“ des Militärs ging so gründlich vonstatten, dass der UN-Hochkommissar von einem „Paradebeispiel für ethnische Säuberungen“ sprach.

 

Im Zuge dieser Ereignisse büßte eine Ikone ihren Glanz ein, die als „Paradebeispiel ethischer Sauberkeit“ gegolten hatte, die de-facto Regierungschefin Aung San Suu Kyi. Zunächst hüllte sich die Lady in vornehmes Schweigen, dann redete sie die Not der Rohingyas klein: Es habe (seit einiger Zeit) keine „Säuberungsoperationen des Militärs mehr gegeben, und mehr als 50 Prozent der Dörfer von Muslimen seien noch „intakt“. Und als ihr endlich das Wort Menschenrechte über die Lippen kam, überging sie schamhaft die Rolle des Militärs und stellte die (eher rhetorische) Frage, was zu dem Exodus nach Bangladesch geführt habe. Aber wenn auch nur die Hälfte der Gräuelgeschichten wahr sind, welche die Flüchtlinge erzählen, ist die Antwort klar: „It’s the army, stupid./Es ist die Armee, du Blödian.“

 

Im November schwieg sich auch die Organisation südostasiatischer Staaten/Asean zu den Rohingyas aus. Es wurde zwar Hilfe für „betroffene Gemeinden“ in der Fluchtregion gefordert, aber den Namen der Volksgruppe vermied man wie der Teufel das Weihwasser. Kurz darauf besuchten westliche Außenminister ein Flüchtlingscamp. Ein sichtlich betroffener Sigmar Gabriel sprach von einer „katastrophalen Lage“ und machte spontan weitere 20 Millionen Soforthilfe locker. Wenige Tage später wurde zwischen Bangladesch und Myanmar eine Absichtserklärung unterzeichnet, die vorsieht, dass Rohingyas nach Myanmar zurückkehren dürfen, wenn sie ein Papier unterschrieben, dass sie freiwillig zurückkehrten, und zwar in ihre Heimatdörfer - von denen einige abgefackelt worden waren. Eine Bestätigung, dass sie auch freiwillig geflüchtet seien, hat man ihnen (bisher) noch nicht abverlangt. Wie schon der Name „Absichtserklärung“ besagt: Es bleibt abzuwarten.

 

 

Die Kurznachrichten

 

 

- Obwohl genetisch ein halber Niederbayer bin, hat das Wahlergebnis der AfD meine heiße Liebe zu dieser Region etwas abgekühlt. Die haben ja in Deggendorf mehr Stimmen bekommen als in Bayrischzell, Fischbachau und Irschenberg. Und das will was heißen! Ich will aber hier keine politische Analyse betreiben, sondern eine Verkäuferin in Deggendorf zitieren, die (angeblich) nicht selber AfD gewählt hat, aber genau weiß, warum sie fast 18 Prozent der Zweitstimmen geholt hat. „It’s the refugees, stupid!“ Und es ärgert halt die Leute, „dass die Afrikaner Markenunterwäsche tragen, Calvin Klein, das habe sie selbst gesehen. Bei denen säßen die Jeans so weit unten.“

 

Wo Deggendorfer Verkäuferinnen den lieben langen Tag so hinschauen!

 

- Fake News über Bekleidung ist auch das Bild zu „Burkas in Deutschland“, das seit 2016 auf rechten Seiten kursiert.

 

 


Deutschland im Jahre 2050

 

Ist gut gemacht, zeigt aber in Wahrheit – leere Bussitze.

 

- Weiter geht’s mit unserem Shitstorm gegen (böse) Facebook-Nutzer. Da hat einer von ihnen der Grünen Renate Künast gepostet, dass „man dich köpfen sollte“. Das ist an sich die Aufforderung zu einer Gewalttat und somit strafbar. Frau Künast hat Anzeige gestellt, die von der Berliner Staatsanwaltschaft wie folgt abgelehnt wurde: Die in Rede stehende Äußerung sei zwar abstoßend, sie lasse aber nicht erkennen,

 

„dass ihr ehrbeeinträchtigender Charakter von vornherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes stand“.

 

Ich verstehe das einerseits nicht, aber andererseits so, dass man sie köpfen darf.

 

- Irgendwie passt dazu, dass das Bundesverwaltungsgericht dem Oberbürgermeister in Düsseldorf verboten hat, während einer fremdenfeindlichen Demo das Licht im Rathaus und an öffentlichen Gebäuden abzuschalten. Man sollte nicht urteilen, ohne die Urteilsbegründung zu kennen, aber man fühlt sich doch an Zeiten erinnert, wo Vertreter der deutschen Justiz auf dem rechten Auge blind waren,

 

- Mehr Glück mit der Justiz hatte da der Erzbischof von Bamberg. Ein Facebooker hatte gepostet, dass „dieses ganze Politiker- und Pfaffengesindel korrupte Verbrecher seien und liquidiert gehöre“. Er wurde zu einer Geldstrafe von 4000,-€ verdonnert. Ein bisschen gemeinnützige Arbeit zusätzlich, z.B. als Ministrant, hätten auch nicht geschadet.

 

- Recht bekommen hat AI durch einen UN-Bericht, der dem deutschen Staat vorwarf, zu wenig gegen den „Alltagsrassismus“ zu tun, dem v.a. Menschen afrikanischer Herkunft ausgesetzt sind. Ich stand ja, wie schon einmal erwähnt, der Rassismuskampagne von AI im Jahre 2016 etwas skeptisch gegenüber, weil auch harmlose Fragen wie „Woher kommen Sie?“ als potentiell rassistisch gewertet wurden. Aber wenn’s sogar die UN sagt, wird schon was dran sein.

 

- In Moskau ist mit großem Tamtam ein Denkmal für Michail Kalaschnikow enthüllt worden. Sein Sturmgewehr hat Russland schon viele Devisen eingebracht. Es ist so leicht zu bedienen, dass es Warlords gerne auch Kindersoldaten in die Hand drücken. Ob Kalaschnikow deswegen schon „die beste Verkörperung des russischen Menschen darstellt“, wie der Kultusminister bei der Einweihung sagte, wagen wir zu bezweifeln. Da es uns selten gelingt, auch moderne Kunst in unseren Bericht einzubauen, möchten wir Ihnen das Denkmal nicht vorenthalten.

 

 

 

Was Sie auf dem Foto nicht sehen können, ist eine Leerstelle zu Füßen des Denkmals. Da befand sich unter den diversen Kalaschnikow-Modellen auch der Bauplan des deutschen Sturmgewehrs 44, mit dem die Wehrmacht in den Krieg gegen die Sowjetunion gezogen war.

 

- Zum Thema „Krieg“ passt auch die Karikatur, die Papst Franziskus auf seinem Besuch in Kolumbien zeigt.

 

 


Papst Franziskus auf dem Kreuzweg in Kolumbien

 

Das Land ist auf einem guten Weg zu einer „wichtigen Neuerung, es mit einem Leben in Frieden zu probieren“. Der Papst hat es geschafft, Täter und Opfer in einem Gespräch zusammenzubringen, aber die Gegner des Friedensprozesses (im Hintergrund links) beharren auf ihrer Version von „Wahrheit und Gerechtigkeit“, die da heißt: „die Guerilla ins Kittchen“. Ein Wunder hat sein Besuch in jedem Fall bewirkt: Am Tage seiner Ankunft in Bogotá ist in der Stadt niemand ermordet worden.

 

- In Tunesien legte die Regierung in Sachen Frauenrechte noch eins drauf. Die Muslimas im Lande dürfen jetzt einen Nicht-Muslim zum Mann nehmen, ohne dass er vorher zum Islam konvertieren muss. Muslimischen Männern stand es natürlich frei, eine andersgläubige Frau zu ehelichen. Was sagen konservative Kleriker zu dieser Neuerung? Sie sind dagegen, weil sie meinen, dass ein muslimischer Mann seiner Frau ihren Glauben ausleben lässt. Dese Toleranz sei von einem nicht-muslimischen Mann nicht zu erwarten. Da muss man erst mal draufkommen.

 

- Die wichtigste Meldung für Frauen und die deutsche Autoindustrie kommt aus Saudi-Arabien: Ab Juni 2018 dürfen Frauen in diesem Lande Auto fahren. Es war allerdings nicht herauszufinden, ob sie auch ohne männliche Begleitung ans Steuer dürfen. Saudische Männer posten (präventiv) unter dem Hashtag „Fahr, aber ramm’ mich nicht“ Fotos von schweren Unfällen, aber Kenner der Verkehrsszene erwarten einen deutlichen Rückgang der Unfallziffer, die in Saudi-Arabien bisher extrem hoch (weil ausschließlich männlich) ist.

 

 

Frau am Steuer – endlich!

 

Wir wünschen Gute Fahrt.

 

Oktober 2017

 

 

Den Monat Oktober stellen wir zunächst unter das Motto „Das gibt’s doch nicht!“ bzw. unter seinen Gegenläufer „Und ob’s des gibt!“ Begleiten Sie uns auf einer Reise von Peking nach Holzkirchen, über Zwischenstationen, die von schrecklich bis kurios reichen, aber selten erfreulich sind.

 

- China rühmt sich seit neuestem seiner „aufgeklärten Demokratie“ und betrachtet das westliche System als „altersschwach“. Und altersschwach sind für die chinesischen Behörden auch unsere Vorstellungen von Menschenrechten und von der Zensur. Aber anstatt unser natürliches Ableben abzuwarten, geht Peking aggressiv gegen den Westen vor. Wenn der UN-Menschenrechtsrat in Genf über China redet, werden Zeugen eingeschüchtert und Experten ausgeschlossen, australische Universitäten werden mit Geld und Ideologie überschwemmt, und westliche Verlage werden gezwungen, kritische Artikel auf ihren chinesischen Webseiten zu entfernen. So hat beispielsweise der deutsche Verlag Springer Nature Themen wie Tibet, Kulturrevolution oder das Tianmen-Massaker von seiner Webseite tilgen müssen. Und was im Netz nicht mehr einsehbar ist, hat bekanntlich nicht stattgefunden.

 

- Beim Stichwort „Massaker“ sind wir in Las Vegas gelandet. Dort hat ein Psychopath 59 Menschen bei einem Musikfestival erschossen. Die Reaktion auf diese Gewalttat war in Teilen sehr amerikanisch. Obwohl eine knappe Mehrheit der US-Bürger schärfere Waffengesetze befürwortet, nannte Trumps Sprecherin die Debatte „verfrüht“, verloste eine Freikirche im Bundesstaat Mississippi als Hauptgewinn zwei AR-15 Sturmgewehre, die auch im Arsenal des Todesschützen vertreten waren, und tauchte natürlich wieder das (namensgerechte) Totschlagargument auf: „Gegen einen schlechten Menschen mit einer Waffe hilft nur ein guter Mensch mit einer Waffe.“ Aber dann kam es zu einer kleinen „Revolution“: Die „nationale Waffenvereinigung/NRA“, die Weltmeister des Lobbyismus, sprach sich für „zusätzliche Beschränkungen“ bei so genannten Bump Stocks aus, Vorrichtungen, die aus halbautomatischen Waffen Maschinengewehre machen.

 

 

Bump stock – selbstgebaut

 

- Aber bevor wir Deutsche von unserem moralischen Hochsitz auf die Amerikanerhinunterschauen, sollten wir uns dem Bericht der Heimatzeitung zuwenden, die der Eröffnung des Schießkinos in Irschenberg immerhin eine halbe Seite gewidmet hat. Da können in einem Raum „Jäger und Polizisten realitätsnah ihre Treffsicherheit trainieren. Und das sogar mit scharfer Munition“. Problematischer ist der andere Raum. Da können Laien auch ohne Waffenschein mit Lasergewehren spielen. Hoffen wir, dass sie dabei nicht auf den Geschmack kommen! AI-Lk Miesbach jedenfalls wird einer (noch zu gründenden) IRA/Irschenberger Rifle Association nicht beitreten.

 

- Der Übergang ist zugegeben etwas hart, aber auf Malta wurde nach Mafia-Art eine Journalistin ermordet, die ihre Nase in Korruption, Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Drogenhandel und Prostitution gesteckt hatte, alles Bereiche, wo die „ehrenwerte Gesellschaft“, aber auch gewisse Politker, nicht gerne gestört werden. Das Auto von Daphne Caruana Galizia wurde in die Luft gesprengt. Auch in Europa gibt es noch politische Morde. Und die Mafia hat einen großen Briefkasten auf dem Steuerparadies Malta, zusammen mit 70 000 anderen Firmen.

 

 

Daphne Caruana Galizia – ein Sterbebild

 

Im Dezember hat man dann zehn Verdächtige festgenommen, aber sieben von ihnen gegen Kaution gleich wieder freigelassen. Man geht davon aus, dass es sich bei den drei im Knast Verbliebenen möglicherweise um die ausführenden Täter handelt. Die Drahtzieher des Anschlags bleiben unbekannt; wahrscheinlich haben sie die Kautionen bezahlt.

 

- In Indien hat ein Gericht ein mutiges Gesetz gegen Kinderehen erlassen. Wenn ein Mann mit seiner minderjährigen Braut/Frau (?) Sex hat, wird das als Vergewaltigung gewertet. Sie wird damit einem unverheirateten Mädchen gleichgestellt, das bei einer Vergewaltigung vor Gericht gehen kann. Man erhofft sich durch das Urteil eine abschreckende Wirkung auf Kinderehen, die zwar rechtlich untersagt sind, deren Verbot aber vielfach unterlaufen wird, da es vom Staat nicht durchgesetzt wird und hanebüchene Traditionen entgegenstehen. So gibt es einen (von Klerikern propagierten) Hinduglauben, dass „die Familie besonderen göttlichen Segen erfährt, wenn die Tochter noch vor der Menstruation verheiratet wird“. Für die Mädchen wird der „göttliche Segen“ oft zum lebenslangen Trauma.

 

- Politische Gefangene gibt es für uns Deutsche anderswo – „weit hinten in der Türkei“. Wenn es da nicht Mehmet Yesilcali gäbe, der seit insgesamt zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft ist und derzeit mit neun Gesinnungsgenossen in der JVA Stadelheim einsitzt, weil sie Mitglieder der türkischen kommunistischen Partei sind, die bei uns zwar vom Verfassungsschutz beobachtet wird, aber nicht verboten ist. Yesilcali wurde in der Türkei gefoltert, in Stadelheim scheint er gesundheitlich „am Ende“ zu sein. Die Psychiaterin vom Behandlungszentrum Refugio hat ihre Tätigkeit aufgegeben, da sie „das Risiko eines Suizids nicht auf sich nehmen möchte“. Das OLG München soll klären, ob die Partei eine gefährliche Terrororganisation ist, aber das hätte man doch seit dem Prozessbeginn vor eineinhalb Jahren hinkriegen müssen. Nach Ansicht vieler Ermittler „ist der Prozess fragwürdig, weil es sich um kleine Fische handelt und weil die Beweislage dünn ist“.

 

- Die Münchner Polizei ärgerte sich, dass ihre Wiesn-Bilanz von einem Tweet verdreht wurde. Da spricht man von einer Zunahme der Raubdelikte um 700%, verschweigt aber die absoluten Zahlen: Es war ein Delikt 2016 und acht Delikte in diesem Jahr; das wären dann sogar 800%. Beim Anstieg der Sexualdelikte, wen wundert das, hat der Tweet ähnlich unsaubere Zahlen ausgespuckt.

 

- Wie hätte da die Grüne Renate Künast reagiert, die zu den bevorzugten Zielscheiben der Fakerszene gehört? Die hat einige ihrer Faker ausfindig gemacht und dann bei ihnen geklingelt. Und „manchmal wurden es richtig gute Gespräche“. Chapeau, Frau Künast!

 

- Der Schriftsteller Dogan Akhanli, türkischstämmig aber deutscher Staatsbürger, wurde zwei Monate in Spanien festgehalten, weil sich Interpol unbedarft (oder auch nicht) vor den Karren Erdogans spannen ließ. Die spanische Justiz hat der Jagd der Türkei auf den linken Aktivisten (fürs erste) ein Ende gesetzt und den Auslieferungsantrag abgelehnt. Der Empfang Akhanlis in Düsseldorf wurde von einem Zwischenfall überschattet: Ein Mann ruft ihm auf türkisch „Vaterlandsverräter“ zu. Ein AI-Mitglied kommentiert die Szene auf bayrisch: „Dann soll er halt runtergeh, wenn der Erdogan an Job für eahm hot.“ Der Rest der Gruppe hat volles Verständnis für diese fremdenfeindliche Äußerung.

 

Unsere Interpol-Schelte müssen wir allerdings relativieren, denn schon 2014 hatte die Behörde alle Staaten aufgefordert, Fälle von politischer Verfolgung zu melden. Dann würde man diese von der Fahndungsliste streichen. Aus Deutschland aber kam nichts, obwohl man wusste, dass die türkischen Vorwürfe gegen Alkanli („Raubüberfall auf eine Wechselstube“) fingiert waren.

 

- Ich habe Ihnen am Anfang eine „Reise bis Holzkirchen“ versprochen. Und da landen wir beim Kuhglockenstreit. Den wollen wir nicht weiter kommentieren, aber die Karikatur dazu ist gar zu schön. So richtig reinpassen tut sie leider nicht, denn der Großteil der vorausgegangenen Meldungen wird durch das Wort „Rindvieh“ nicht abgedeckt. Aber sie liefert Entspannung!

 

 

 

 

Entspannung gab es auch „weit hinten in der Türkei“. Der Prozessauftakt gegen Peter Steudtner, die zwei AI-Aktivisten und die anderen Menschenrechtler begann und endete mit einem Paukenschlag des Staatsanwalts. Er verfügte die Freilassung der(meisten) Angeklagten „unter Auflagen“, aber überraschenderweise beinhalteten die Auflagen kein Ausreiseverbot, sodass die beiden Ausländer ausreisen durften. Zur Fortsetzung des Prozesses im November waren sie zwar vorgeladen, aber da haben sie sich aus sicherer Entfernung aufs Daumendrücken beschränkt.

 

Weniger gut verlief diese Fortsetzung für ihre türkischen Mitangeklagten. Taner Kilic bleibt in U-Haft, obwohl seine Verteidiger die Vorwürfe gegen ihn „minutiös zerlegten“, und auch die anderen Angeklagten müssen am 31. Januar 2018 zur 3. Runde antanzen. Für Kilic, der beschuldigt wird, die Gülen-lastige App ByLock auf seinem Handy zu haben, muss sich die türkische Justiz etwas Neues einfallen lassen, denn im Januar 2018 stellte sich heraus, dass man ByLock ohne Wissen der User auf deren Geräte installiert hatte. Die 1800 Beamten, die man gefeuert und inhaftiert hatte, sollen innerhalb von zehn Tagen auf ihre Posten zurückkehren dürfen – aber ohne Haftentschädigung, versteht sich. Mal sehen, welches Vergehen man jetzt für Kilic aus dem Hut zaubert!

 

 

Steudtner ist frei

 

Jetzt ist es aber an der Zeit, das „Wunder von Istanbul“ zu erklären. Da hat nämlich Altkanzler Gerhard Schröder seine guten Beziehungen zu Erdogan spielen lassen, und der hat dem Staatsanwalt etwas ins Ohr geflüstert. Wen wundert es deshalb, dass man sich in Deutschland fragt, was der Altkanzler auf dem Altenteil verloren hat, bzw. ob er als Aufsichtsratsvorsitzender bei Rosneft zur Gänze ausgelastet ist? Der Karikaturist hätte da schon einen Vorschlag:

 

 

 

Oder könnte man ihn als Vermittler einsetzen, wenn es doch noch (einmal) zu Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition kommt? Als SPD-Mann wäre er ja neutral genug.

 

Und er hätte bei seinem Besuch gleich noch bei zwei anderen deutschen Staatsbürgern vorbeischauen können, die seit mehreren Monaten festgehalten werden, Deniz Yücel und Mesale Tolu. Frau Tolu hat einen ergreifenden Brief an ihren zweijährigen Sohn geschrieben, der mehrere Monate mit ihr in einer Sammelzelle lebte.

 

„Egal unter welchen Umständen wir unser Leben in Zukunft führen werden, ob eingesperrt oder in Freiheit, ich werde immer bei dir sein und alles Mögliche tun, damit du glücklich bist. … Womöglich wirst du dich an diese Zeiten (im Gefängnis) nicht erinnern können. Dass du mit Plastikflaschen Bowling gespielt … und aus Brot Figuren geknetet hast. Daher hoffe ich, dass wir irgendwann diesen Brief gemeinsam lesen und uns über dieses ‚Erlebnis’ unterhalten werden.“

 

In der Flüchtlingspolitik war die „Obergrenze“ das Wort des Monats. Nur so benannt durfte sie nicht werden, da wurde fröhlich rumgeeiert: Im Kompromisspapier der Union war von einer „Zahl von 200 000 Menschen“ die Rede, die Grünen sprachen in den Sondierungsgesprächen gar von einem „atmenden Rahmen“. Da blieb uns die Luft weg.

 

Wo Obergrenzen wirklich nötig wären, hat ein Leserbriefschreiber aufgelistet:

 

„Obergrenzen für Managergehälter und Banker-Boni;

Obergrenzen für Transfersummen im Fußball;

Obergrenzen für Mieten;

Obergrenzen für Raser;

Obergrenzen für Schadstoff-Emissionen aller Art.“

 

Und was tut man dann mit Flüchtlingen, die nicht zählen können oder wollen?

 

 

 

Und da in diesem Bericht der Oktober schon wieder mehrere Seiten umfasst, sei auch hier eine Obergrenze gesetzt.

 

 

November 2017

 

 

Gar „garstig“ kann das Wetter im November sein. Das Wort hieß ursprünglich „ranzig, verdorben“ und hat mit seinem Bedeutungswandel zu „widerwärtig, ekelhaft, unfreundlich“ seine Reputation eher noch verschlechtert. Das Wort versteht heute kaum noch jemand, aber die Wirklichkeit, die es beschreibt, ist allgegenwärtig. Und so wollen wir mutig den Monat mit der Rubrik „Garstiges aus dem In- und Ausland“ beginnen, nicht weil wir eine obsessive Lust auf die Schattenseiten des Daseins haben, sondern weil wir an Ereignisse erinnern wollen, die man aus Gewissensgründen oder aus Interesse an politischer Hygiene (was immer das heißen mag) nicht so schnell vergessen sollte.

 

Beginnen wir mit dem Ausland:

 

- Ein Ableger des IS tötete im Nordsinai bei einem Anschlag auf eine Moschee 235 Menschen. Der Angriff galt den Sufisten, die von sunnitischen Extremisten als Ungläubige betrachtet werden, mutmaßlich auch deswegen, weil im Sufismus pazifistische Strömungen vertreten sind. Und mit Pazifismus hat der IS bekanntlich nichts am Turban.

 

 

Was von den Opfern übrig blieb

 

- Religiöser Fanatismus hat in Pakistan Justizminister Zahid Hamid zum Rücktritt gezwungen. Er wollte damit seiner Ermordung wegen Gotteslästerung zuvorkommen. Den Rücktritt kann man ihm also nicht verdenken! Man hatte Hamid vorgeworfen, aus dem Antrittseid der Parlamentarier das Wort „Mohammed“ herausgestrichen zu haben. Das war eine Falschmeldung, in Wirklichkeit sollte der Kandidat den „Glauben an die uneingeschränkte Finalität des Prophetentums Mohammads“ nicht mehr „schwören“ sondern nur noch „erklären“, aber sie genügte, um Pakistan in eine Staatskrise zu treiben. Von der Relevanz des Problems her gesehen, wird der Christ an eine Frage erinnert, die man Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert unterschoben hat: Wie viele Engel passen auf eine Nadelspitze? Es gab keine finale Antwort, aber zum Rücktritt wurde Thomas nicht gezwungen.

 

- Präsident Trumpel hat seinem Namen wieder einmal alle Ehre gemacht. Die Zusammenkunft mit dem philippinischen Staatschef Duterte ähnelte dem Treffen zweier Komplizen. Als Duterte von seinem Drogenkrieg berichtete, der mit unglaublicher Brutalität geführt wird, soll Trump „vor allem mitfühlend genickt“ haben. Das Mitgefühl galt sicher nicht den Opfern. Die einzige „Unstimmigkeit“ ereignete sich zwischen den Pressesprechern. Trumps Sprecherin glaubte gehört zu haben, der Präsident habe im Zusammenhang mit dem Drogenkrieg die Menschenrechte „kurz“ angesprochen, was ihr aber sofort den Widerspruch ihres philippinischen Kollegen einbrachte:

 

„Es gab keine Erwähnung von Menschenrechten. Es gab keine Erwähnung von außergerichtlichen Hinrichtungen.“

 

Trotz dieses Freud’schen Versprechers, dann gibt es ja „außergerichtliche Hinrichtungen“, glauben wir eher dem Philippinen als der Sprecherin von Trump.

 

 

Gruppenbild mit Dame

 

- Die VW-Tochter in Brasilien soll der Militärdiktatur (1964-1985) zugearbeitet haben. Man habe die Gesinnung von Mitarbeitern ausspioniert, die Ergebnisse dokumentiert und dann der politischen Polizei zugespielt. Der Werkschutz habe politische Verhaftungen auf dem Werksgelände zugelassen, auch wenn kein Haftbefehl vorlag. Der Konzern sei dazu nicht gezwungen worden, sondern „habe mitgemacht, weil er das so wollte“. Wenn mein Volkswagen jetzt auch noch einen Diesel wäre, müsste ich ihn glatt zurückgeben!

 

„Garstigkeiten“, Seehofer würde sagen „Schmutzeleien“ gab es aber auch im Inland:

 

- Am Münchner Hauptbahnhof machten zwei Italiener Scherzfotos von einem schlafenden Obdachlosen, zündeten dann seine Plastiktüte an und hauten ab, als das Feuer auf seine Kleidung übergriff. Im letzten Moment wurde er von Passanten gerettet. Gefasst wurden die Zündler, als die Polizei die Bilder der Überwachungskameras veröffentlichte. Wir halten es ja eher mit der Privatsphäre, aber, wie gesagt, in einem solchen Falle muss man wohl akzeptieren, dass an öffentlichen Plätzen ein „großer Bruder“ über uns wacht. Die Täter gaben an, nur „aus Jux und Tollerei“ gehandelt zu haben.

 

- Politisch aufgeladen war eine Tat, die sich in Altena/NRW ereignete. Der dortige Bürgermeister Andreas Hollstein wurde durch eine Messerattacke verletzt. Sein Angreifer schrie: „Sie lassen mich verdursten und holen 200 Flüchtlinge nach Altena.“ Die Stadt hatte ihm das Wasser (nicht aber den Alkohol) abgedreht, und er machte dafür die Flüchtlinge verantwortlich. Altena hatte im Sommer 2015 freiwillig 100 Menschen über die Zuteilungsquote hinaus aufgenommen und erhielt im Mai 2017 den „Nationalen Integrationspreis“. Beim Täter hat die Integration offensichtlich nicht funktioniert.

 

- Unbelehrbar und unbedarft ist eine alte Dame aus Vlotho bei Bielefeld. Ursula Haverbeck hatte mehrmals den Holocaust geleugnet und wurde nach einem Slalomlauf durch mehrere Gerichte in Detmold zu 14 Monaten Haft wegen Volksverhetzung verurteilt. Geld scheint sie genügend zu haben (oder zu bekommen), denn sie wird erneut in Berufung gehen. Die Dame ist 89 Jahre alt, damit fällt als Alternative zum Gefängnis der Sozialdienst aus, aber ein Pflichtbesuch im KZ Bergen-Belsen (auf eigene Kosten!) würde sie zwar nicht bekehren, aber vielleicht doch ein bisschen irritieren.

 

Auf dem Foto schaut sie aus wie eine ergraute BdM-Führerin, deshalb ziehen wir es vor, Ihnen die „Polit-Putze“ Irmela Mensah-Schramm zu präsentieren, die seit nunmehr 30 Jahren in Berlin Nazi-Schmierereien entfernt oder übersprüht.

 

 

Irmela in Aktion

 

- Die deutschen Innenminister haben für sich und eine Flüchtlingsgruppe neben Afghanistan ein weiteres sicheres Urlaubsgebiet entdeckt. In Regionen wie um Aleppo/Syrien sei es „mittlerweile wieder relativ sicher“. Man könne sich also auf „den Einstieg in den Ausstieg aus dem generellen Abschiebestopp für Syrer“ einstellen. Und auch die Sache mit der Familienzusammenführung lässt sich ohne weitere „Überfremdung“ lösen, denn, so die CSU-Politiker, denen es um die rechte Flanke geht, die Syrer, die bei uns angekommen sind, „könnten doch jederzeit zu ihren Familien zurückkehren, der Krieg sei ja praktisch aus“.

 

Dazu meint ein bissiger Kommentar in der „SZ“:

 

„Wenn man das hört, dann kriegt man richtig Ehrfurcht vor den Vätern des Grundgesetzes, die Moral und christliche Werte selbst in Zeiten hochgehalten haben, als ihr Land völlig am Boden lag.“

 

 

Die Kurznachrichten

 

 

- Auch wenn es derzeit auch im Vatikan rundgehen soll, wird Papst Franziskus doch erleichtert gewesen sein, nach seiner heiklen Asienreise wieder in seinem römischen Gästehaus gelandet zu sein. Die Reise führte ihn zunächst nach Myanmar, wo er mit einem Problem konfrontiert wurde, dass man sonst nur von Film und Bühne kennt. Er durfte nämlich ein Wort mit einem bestimmten Anfangsbuchstaben, in diesem Falle das R-Wort, nicht verwenden, eine Zensurmaßnahme, die einem Direktsprecher wie Franziskus gar nicht behagen dürfte. Gebeten darum hatten ihn auch die dortigen Kirchenvertreter, die Angst hatten, die Buddhisten würden dann über die Christen herfallen. Immerhin sprach er von der „Achtung der Identität jeder ethnischen Gruppe“. Deutlicher wurde er erst in Bangladesch, wo er nach einem Treffen mit Rohingyas den Satz produzierte, der ihm in Myanmar im Hals stecken geblieben war: „Die Anwesenheit Gottes heißt heute auch Rohingya.“

 

Merke: Auch ein Franziskus muss manchmal diplomatisch sein, und Buddhisten sind auch nicht mehr so friedfertig wie ihr Ruf.

 

- Im Gegensatz zu Franziskus hat eine Handvoll Tibet-Aktivisten bei einem Fußballspiel in Mainz Flagge gezeigt, und zwar die von Tibet. Und das bei einem Spiel der chinesischen U-20 Mannschaft. Die verließ daraufhin den Platz und kehrte erst zurück, als die Fahnen wieder eingerollt waren. Zur Strafe verlor sie das Spiel mit 3.0. Und der DFB hat die restlichen Spiele abgesagt.

 

Dazu passend „das Rätsel von Weimar“: Die Stadt hatte im Juni dem zu lebenslanger Haft verurteilten Uiguren Ilham Tohti den Menschenrechtspreis verliehen. Postwendend brachte die chinesische Botschaft in Berlin ihr „höchstes Missfallen“ zum Ausdruck und forderte die Rücknahme der Entscheidung. Als Weimar nicht klein beigab, setzte man die Hacker in Marsch und die Webseite, auf der Preis und Preisträger beschrieben war, wurde gelöscht. Das Netz für die eigene Bevölkerung zu sperren und es weltweit zu bedrohen, sind für China die zwei Seiten derselben Medaille.

 

Wenn man so sieht, wie China sich anschickt, den Westen in Sachen Meinungsfreiheit feindlich zu übernehmen, dann wünscht man sich nicht den Bau der Seidenstraße bis zum Hafen von Düsseldorf, sondern die Erhöhung der Mauer um China herum – auch wenn das die deutsche Industrie gar nicht gerne hört.

 

- In Simbabwe ist der Langzeitherrscher Robert Mugabe vom Militär und vom Ex-Vizepräsidenten Mnangagwa weggeputscht worden. Um Mugabe ist es nicht schade, aber für die Nachfolge gilt das Motto der Bremer Stadtmusikanten -„Etwas Besseres als den Mugabe findest du überall“ leider nicht. Der Vizepräsident hat den Beinamen „das Krokodil“ und war in den 80er Jahren verantwortlich für ein Massaker mit Tausenden von Toten. Und seine Clique ist genauso scharf auf Beute wie Mugabes Frau Grace, der man die Beinamen „Gucci Grace“ und „First Shopper“ verliehen hat. Es ist bis jetzt ein „Putsch unter Dieben“.

 

- Vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag kamen gleich zwei Nachrichten, die von AI und den Hinterbliebenen der Opfer (wenn auch nicht von den Tätern) positiv bewertet werden. Ratko Mladic, verantwortlich für das Massaker von Srebrenica (1995), wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Witwen reagierten mit dem Siegeszeichen,

 

 

 

In Serbien hingegen werden nach den Kriegsverbrechern bereits Gebäude benannt. Der Weg des Landes nach Europa ist noch weit.

 

Ein hartes Ende nahm die Bestätigung des Urteils gegen den bosnisch-kroatischen General Slobodan Praljak, dem man u.a. die Verantwortung für die Misshandlung von bosnischen Gefangenen und die Zerstörung von Kulturgut (Brücke von Mostar) vorgeworfen hatte. Er nahm vor laufenden Kameras ein Fläschchen mit Zyankali und starb im Krankenhaus. Das kroatische Parlament legte für ihn (aber auch für die Kriegsopfer) eine Schweigeminute ein.

 

- Erfolgreicher als ihr Verein waren zwei Fans von 1860 München, die sich bis um europäischen Gerichtshof hochklagten, weil sie 2007 von nicht identifizierbaren Polizisten verprügelt worden waren – in ihren Augen grund- und schuldlos. Der Gerichtshof forderte jetzt die Kennzeichnung von Polizisten durch Nummern an ihren Uniformen, eine Forderung, die AI seit mehreren Jahren erhebt und in acht Bundesländern praktiziert wird. Der Innenausschuss des bayrischen Landtags Bayern lehnte (mehrheitlich) ab mit der Begründung, dass jeder Polizeieinsatz sowieso lückenlos dokumentiert werde. Dabei hatte Straßburg auch moniert, dass beim Einsatz von 2007 „die entscheidenden Videobänder verschwunden seien“.

 

- Die #MeToo-Debatte ist von Hollywood jetzt auch auf Deutschland übergeschwappt, und auch bei uns zeigte sich, dass viele Übergriffe gegen Frauen geschluckt und unter den Teppich gekehrt wurden, dass Männer sich bei Witzen auf die Schenkel klopften, über die Frauen ganz und gar nicht lachen konnten. Aber wenn die feministische Theologie auch nur zur Hälfte Recht hat, droht uns Männern beim Jüngsten Gericht eine böse Überraschung.

 

 

 

- In München fand eine AI-Veranstaltung „Poeten für die Menschenrechte“ statt, wo auch ein Gedicht gelesen wurde, das es wert wäre, beim Volkstrauertag rezitiert zu werden.

 

Kriegerdenkmal

 

Weißt du noch? fragt die alte Frau.

Weiß ich noch was? fragt das Kriegerdenkmal.

Meine Tränen damals, sagt die alte Frau.

Was für Tränen? fragt das Kriegerdenkmal.

Ach, vergiss es! sagt die alte Frau.

Hab ich doch schon! sagt das Kriegerdenkmal.

 

Damit sei der „garstige“ November 2017 abgeschlossen. Im Denglischen würde man sagen: „Er ist good wider.“

 

 

Dezember 2017

 

 

Wenn Sie sich jetzt bei der Lektüre erhoffen, dass wir Sie in Weihnachtsstimmung versetzen, müssen wir Sie enttäuschen. Aber wir werden versuchen, die Nachrichten wieder einmal abzustufen – von ganz schlimm über schrecklich bis lächerlich.

 

Zu Beginn ein Zitat aus der „Zeit“:

 

„Die Szene ist nur eine halbe Minute kurz, und doch lang genug, um einen Abgrund zu offenbaren. Ein Video, in Libyen bei Nacht gedreht. In der Dunkelheit steht eine Gruppe afrikanischer Männer. Auf der Schulter des einen landet die Hand eines hellhäutigen Mannes. Er sagt auf Arabisch: ‚Große, starke Jungs für die Feldarbeit.’ …“

 

Sie ahnen es schon. Wir sind wieder auf einem Sklavenmarkt. Die Sklaverei wurde ja immer wieder spektakulär abgeschafft, aber ausgestorben war sie nie. Aber mit der Einrichtung von Sklavenmärkten hat das 21. Jahrhundert nahtlos an das 19. Jahrhundert angeknüpft.

 

Der hellhäutige Auktionator war (wahrscheinlich) kein EU-Beamter, aber (gewinn)beteiligt am Erlös der Sklavenmärkte sind wir Europäer allemal. Das wurde auch in einem AI-Bericht herausgestellt, in dem die EU-Mitgliedsstaaten als „Komplizen eines kriminellen Systems“ bezeichnet wurden. Sie würden das libysche Innenministerium (durch Finanzhilfen) unterstützen, Flüchtlinge in Haftzentren zu verbringen, wo man sie so schlecht behandeln würde, dass viele von ihnen gerne wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren würden. Diesem Wunsch versuchen UN und EU durch „gesichtswahrende“ Rückführungen zu entsprechen. Bis Ende des Jahres sollen 15 000 Flüchtlinge auf freiwilliger Basis nach Nigeria, Gambia und Guinea zurückgeflogen werden. Da man schätzt, dass in Libyen zwischen 400 000 und einer Million Flüchtlinge festsitzen, werden die Sklavenmärkte noch lange keine Nachschubprobleme haben.

 


Flüchtlinge in einem libyschen Haftzentrum

 

Sie sehen hier nur Männer, was aber nicht heißt, dass keine Frauen „auf dem Markt“ sind.

 

Es soll in China Städte geben, wo die Hunde den Himmel anbellen, wenn er sich einmal zeigt, weil sie gar nicht mehr wissen, was ein blauer Himmel ist. Deshalb kam die Nachricht vom Januar 2018, dass die Menschen in Peking wieder durchatmen können, etwas überraschend. Beigetragen haben günstige Witterungsverhältnisse und die ersten Erfolge der staatlichen Anti-Smog Politik, aber auch die brutale Vertreibung von Wanderarbeitern, die in ihren Quartieren noch mit Kohle heizten. Das folgende Bild zeigt keinen Flohmarkt!

 

 

 

Der Maler Hua Yong hat mit dem Handy den Abriss der Häuser gefilmt, Sicherheitskräfte und Wanderarbeiter interviewt und seine Videos ins Netz gestellt, wo sie meist umgehend gelöscht, aber immerhin noch

100 000 Mal aufgerufen wurden. Yong wurde in einer nächtlichen Aktion verhaftet, hat aber seiner Tochter vor der Festnahme noch eine Videobotschaft hinterlassen: Er tue das alles,

 

„damit unser Land ein besseres wird. Ein Land, in dem Bürger Menschen sein dürfen. Ein Land, in dem man sich traut, im hellen Licht der Sonne und auf offener Straße die Wahrheit zu sagen.“

 

Bei solchen Botschaften hat man volles Verständnis, dass Staatschef Xi Jinping auf der Welt-Internet-Konferenz die Zensur des Netzes verteidigt hat.

 

Und dann erreichte uns eine Weihnachtsbotschaft, und das aus China. Hua Yong wurde gegen Kaution und unter strengen Auflagen freigelassen. Ob man ihm das Handy gelassen hat, ist zu bezweifeln.

 

Bleiben wir noch kurz bei den Staatsoberhäuptern. Skrupellos Präsident Kuczynski in Peru, der seinen Vorgänger Fujimori (sehr) vorzeitig aus der Haft entlassen ließ, weil er mit den Stimmen von Fujimoris Sohn die Amtsenthebung wegen Korruption abwenden konnte. Zur Erinnerung: Fujimoris Konzept der Armutsbekämpfung soll dazu geführt haben, dass Zehntausende von Ureinwohnerinnen zwangssterilisiert wurden.

 

Berechnend Präsident Putin in Russland, dem die Wahlkommission den kleinen Gefallen tat, Alexej Nawalny von einer Kandidatur zur Präsidentschaft auszuschließen. Grundlage war ein dubioses Verfahren gegen Nawalny wegen Betrugs, aber der Betrug erfolgte eher durch die Justiz und die Wahlkommission.

 

Unbedacht, um es schonend zu formulieren, Präsident Trump in den USA, der mit seiner Anerkennung von Jerusalem als Israels Hauptstadt noch mehr „Feuer und Wut“ in den Nahen Osten brachte. Politisch gesehen ein „Hohlkopf“, hat ihn ein deutscher Chefredakteur genannt.

 

 

 

 

Die Kurznachrichten

 

 

- Gegen Jahresende hat ein (angeblich) 15-jähriger Afghane in Kandel/Südpfalz seine 15-jährige deutsche Ex-Freundin erstochen. Da sträuben sich die Haare und noch mehr. Die Tat ist natürlich ein „gefundenes Fressen“ für die Befürworter einer Abschiebung nach Afghanistan, aber bei allem Grauen über die Tat, gibt es doch auch Zweifel an der Behauptung, dass nur „Straftäter, Gefährder und Identitätsverweigerer“ abgeschoben werden. Pro Asyl und Flüchtlingsrat betonen, wie schwer es für Afghanen ist, von Deutschland aus zu einem Identitätsnachweis zu kommen, dass schon wegen Bagatelldelikten abgeschoben werde – und dass auch „völlig unbescholtene, gut integrierte Afghanen zurückgeschickt wurden“. Dass die rigide Abschiebungspaxis zu steigenden Selbstmordziffern unter afghanischen Flüchtlingen führe, wird vom bayrischen Innenministerium wieder einmal als „ehrverletzender Vorwurf“ zurückgewiesen.

 

- Wie schnell man sich doch täuschen kann! Da titelt die „SZ“ einen Artikel über den Fahndungsaufruf der Hamburger Polizei zu den Plünderern und Landfriedensbrechern des G-20 Gipfels „Die Methode Barbie“. Da habe ich sofort an Klaus Barbie, den „(Nazi)Schlächter von Lyon“, gedacht. Nun, so schlimm war’s nicht. Die „SZ“ bezog sich auf das Fahndungsfoto einer 17-Jährigen, die in der „Bild“ zur Krawall-Barbie“ ernannt worden war. Dass hier das Prinzip verletzt wurde, Minderjährige vor den Scheinwerfern der Öffentlichkeit zu schützen, war einer der Kritikpunkte, der gegen die Aktion vorgebracht wurde. Es wurden aber auch Zweifel laut, ob die Behauptung der Polizei, „jeder der 104 Personen sei mindestens eine Straftat zuzuordnen“ in allen Fällen haltbar sei, und ob nicht schon „die Nähe einer Person zu einem strafrechtlichen Geschehen“ ausgereicht hatte, um in die Galerie aufgenommen zu werden. Die Polizei begegnete der Kritik mit Erfolgsmeldungen: Es seien zahlreiche Hinweise und erste Geständnisse eingegangen.

 

Damit wir uns recht verstehen: Wir stehen voll dahinter, dass die Täter dingfest gemacht und (angemessen) bestraft werden, legen aber Wert auf Verhältnismäßigkeit. Es handelte sich schließlich nicht um die RAF-Täter der 1970er Jahre.

 

- Im Dezember ging das Foto der 16-jährigen Palästinenserin Ahed Tamini ins Netz, und man kann darüber streiten, ob es verdient, ein „Foto des Jahres“ zu werden. Ahed hatte gegen die Besatzungspolitik der Israelis demonstriert und war dabei handgreiflich geworden. Der israelische Soldat hatte auf den Faustschlag nicht reagiert, der Staat aber schon. Ahed wurde festgenommen, Amnesty forderte ihre sofortige Freilassung, der israelische Bildungsminister wünschte sich (zu Weihnachten), dass Ahed (und ihre Cousine) „ihr Leben im Gefängnis beenden“.

 

 

Mädchen gegen Soldat

 

- Eine Erfolgsmeldung à la AI kam aus Argentinien. Ein Gericht urteilte 54 Angeklagte ab, die während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 Menschen verschwinden ließen, gefoltert oder aus dem Fugzeug geworfen haben. Es wurde 29 Mal eine lebenslängliche Freiheitsstrafe verhängt. Im Gerichtsgebäude spielten sich beim Public Viewing beklemmende Szenen ab, die zeigten, wie stark der Prozess die argentinische Gesellschaft polarisierte: In einem Saal feuerten ehemalige Offiziere ihre Kameraden mit Victory-Zeichen an, eine Etage tiefer skandierten die Familien der Opfer „Mörder, Mörder!“ Dem Richter gelang es nicht, Ruhe herzustellen, sodass „sein Urteilsspruch eher ein Urteilsschrei“ war.

 

- Zarte Enstspannungssignale sandte die Türkei in Richtung Deutschland ab. Der Schweriner David Britsch wurde nach sechs Monaten aus der Abschiebehaft entlassen. Er hatte nach Jerusalem pilgern wollen, um ein Friedenszeichen zu setzen. Die Gründe für seine Festnahme sind bis heute nicht bekannt. Wir vermuten stark, dass man in ihm die Vorhut eines neuen Kreuzzuges gegen den Islam sah. Auf freiem Fuß ist auch die deutsche Journalistin Mesale Tolu, die es auf sieben Monaten Haft brachte. Sie darf nicht ausreisen, und ihr Prozess soll im April weitergehen. Aber vielleicht hat Deutschland bis dahin der Türkei das Panzerzubehör geliefert.

 

- Sie merken, der Ton lockert sich, wie zu Beginn des Monats versprochen. Wir werden allerdings nur kurz über die Preppers, die neuesten Mitglieder im deutschen Gagaklub, berichten, die sich auf einen Zusammenbruch staatlicher Strukturen damit vorbereiten (engl.: prepare), Vorräte an Lebensmitteln und Waffen anzulegen. Vor wem sie Angst haben und gegen wen sie vorgehen wollen, ist noch nicht ganz klar, aber das linke Spektrum sollte sich zur Sicherheit schon einmal warm anziehen.

 

- Bleiben wir bei der Melange von Witz und AI-Nachrichten. In Ägypten wurde die Sängerin Sheril Abdel Wahab vor Gericht gestellt und mit einem Auftrittsverbot belegt. Sie hatte ihrem patriotischen Song „Hast du aus dem Nil getrunken?“ einen Zusatz beigegeben, und der lautete: „Lieber nicht. Ihr könntet Bilharziose (eine durch Wasserverschmutzung verursachte Wurmkrankheit) bekommen. Trinkt Evian. Das ist besser.“ Sie hatte damit Ägypten beleidigt. Man kann sich schon vorstellen, was sie bei einer Haftstrafe zu trinken bekommt.

 

Und wissen Sie, dass man Denis Yücel u.a. „Aufstachelung zum Hass zwischen den Volksgruppen“ vorwirft? Er soll folgende Anekdote verbreitet haben:

 

„Ein Türke und ein Kurde, beide zum Tode verurteilt, werden nach ihrem letzten Wunsch gefragt. Der Kurde möchte ein letztes Mal seine Mutter sehen; der Wunsch des Türken ist, dass der Kurde seine Mutter nicht mehr sehen darf.“

 

- Damit haben Sie sich redlich ein Ende des Dezembers verdient. Und da soll’s dann fast weihnachtlich werden! Das Komitee, das alljährlich den Friedensnobelpreis verleiht, hat einen würdigen Preisträger gefunden. In einer Welt, wo wieder Atomwaffen getestet werden, wo man sich brüstet, den größeren „Knopf“ zu haben und schon wieder die Überlegung herumgeistert, wie man als erster zum Erstschlag kommt, ist Ican die richtige Adresse. Die Organisation hat maßgeblich am UN-Vertrag zur Abschaffung von Atomwaffen mitgewirkt, der von 122 Staaten, nicht aber von den Atommächten, unterzeichnet worden ist. Letztere blieben folgerichtig auch der Verleihung fern. Deutschland und andere Nato-Staaten übrigens auch. Mit von der Partie aber war Setsuko Thurlow, eine Überlebende des Atombombenabwurfs auf Hiroshima.

 

 

Die Preisträgerinnen und die Überlebende

 

 

3. Der Tätigkeitsbericht: das AI-Jahr im Landkreis Miesbach

 

 

3.1 Das Titelbild

 

„Kaum zu bremsen“ wäre leicht übertrieben, wenn wir unsere Einstellung bei der Gründung von AI-Miesbach im Oktober 1972 zu beschreiben hätten, aber ein bunter Haufen waren wir – und sind es auch geblieben. Abgebildet sind die Schüler, die damals mitmachten; der Gründervater Heinrich Skudlik, die Gründermutter Traut Hebestreit und die anderen Mitkämpfer waren schon etwas älter.

 

Im ´Jahre 2017 wäre es also angebracht gewesen, den Balkon des Miesbacher Rathauses zu besteigen, mit Fanfarenklängen den halbrunden Geburtstag von AI-Miesbach anzukündigen und spektakuläre Erfolge und sensationelle Events in Aussicht zu stellen. Das scheiterte aber schon daran, dass das Rathaus in Miesbach keinen Balkon hat, und auch sonst wurde es ein normales AI-Jahr ohne Spektakel und Sensationen, aber doch mit einigen Schlaglichtern, die sich sehen lassen konnten. Und außerdem ging unser letztjähriger Wunsch an das türkische Christkind in Erfüllung und wir wurden „nicht von Erdogan verhaftet“, ganz im Gegensatz zu den zwei Vorstandsmitgliedern von AI-Türkei.

 

Und weil kein Platz sicherer ist als der heimische Schreibtisch, fangen wir wieder an mit unseren

 

 

3.2 Schreibtischtaten,

 

die zwar ohne Risiken begangen aber von Hoffnungen begleitet sind.

 

 

Neujahrswünsche an die Baha’i und den Ehemann von Narges Mohammadi/Iran (Januar)

 

Wir wurden davor gewarnt, bei den Postkarten religiöse Motive zu verwenden und angehalten, keine politischen Forderungen zu erheben. Damit steigen die Chancen, dass die Karten durchkommen. Der Wunsch „Ich hoffe, es geht ihnen gut“ verursachte massive Schluckbeschwerden.

 

Briefaktion für Ali Shariati/Iran (Januar)

 

Ali Shariati ist/war ein politischer Gefangener, der wegen Teilnahme an einer Protestaktion gegen Säureanschläge auf Frauen zu fünf Jahren Haft verurteilt worden ist. Das ist mehr als die Säurattentäter bekämen. Da geht nämlich das Gerücht um, dass es sich um selbst ernannte Sittenwächter handelt, die Frauen bestrafen, wenn sie gegen die Kleiderordnung verstoßen. Als wir von Shariati erfuhren, war er schon 67 Tage im Hungerstreik. Ob er ihn überlebt hat, war nicht herauszufinden.

 

Briefaktion für Muhammad Bekzhanov/Usbekistan (März)

 

Für AI ein alter Bekannter und mit 17 Jahren Haft „einer der am längsten inhaftierten Journalisten der Welt“. Festgenommen wegen „staatsfeindliche Straftaten“/Herausgabe einer regierungskritischen Zeitung, wurde sein Strafmaß zweimal verlängert, weil er angeblich gegen Gefängnisvorschriften verstoßen habe. Im April wurde er mit drei Monaten „Verspätung“ freigelassen.

 

Einsatz für Itai Dzamara/Simbabwe (April)

 

Der Journalist Itai Dzamara hatte schon im Oktober 2014 Präsident Mugabe zum Rücktritt aufgefordert, aber da war die Zeit noch nicht reif, bzw. das Militär noch nicht bereit. Als er dann auch noch auf einer Demo der Oppositionsbewegung sprach, war er fällig. Im März 2015 wurde er bei einem Friseurbesuch verhaftet und ist seither „unbekannt verzogen“. Auf einem Foto erkannte ihn seine Frau (nur) an den Füßen. Wir schrieben an die Botschaft und sandten Solidaritätspostkarten an seine Frau, die derzeit in Südafrika lebt. Die Hoffnung der Familie ruht jetzt auf dem neuen Präsidenten Mnangagwa, der eine Politik der Versöhnung angekündigt hat, aber wohlweislich nicht auf die Menschenrechtsverletzungen der Mugabe Ära einging, an denen er aktiv beteiligt war. „Ruhen“ ist deshalb eher wörtlich gemeint.

 

 

Itai Dzamara

 

Erkin Musaev/Usbekistan (April)

 

Zur Abwechslung (und Rechtfertigung unserer Existenz) mal eine Erfolgsmeldung: festgenommen im Januar 2006, in unfairen Verfahren wegen „Landesverrat und Amtsmissbrauch“ zu 20 Jahren Haft verurteilt, im Gefängnis einen Monat lang seine tägliche Tracht Prügel bezogen, ein erzwungenes Geständnis – der normale Leidensweg eines politischen Gefangenen halt. Im August 2017 wurde er dann entlassen, durch einen Gnadenakt des neuen Präsidenten und nach einer massiven Briefkampagne von AI. Ein Erfolg? Immerhin wurden ihm neun Jahre Gefängnis erspart. Sein Dankesbrief verdient den Abdruck.

 

„ Ich möchte allen Aktivisten und Aktivistinnen von Amnesty International und allen anderen, … meinen größten Dank aussprechen. Meine Freilassung ist tatsächlich ein großer Sieg, und euer Beitrag dazu ist von unschätzbarem Wert. Ich möchte betonen, dass sich das Verhalten der Straflagerverwaltung mir gegenüber veränderte, nachdem viele Unterstützungsbriefe geschrieben wurden. Das Personal wurde vorsichtiger im Umgang mit mir, und mir wurde leichtere Arbeit zugeteilt. …“

 

 

Erkin Musaev

 

Post aus Honduras (April)

 

Im März 2016 wurde in Honduras Berta Cáceres, Umweltaktivistin und Gründerin der Indigenenorganisation Copinh, in ihrem Haus ermordet. Die Täter wurden nie ermittelt, aber man hätte nicht lange suchen müssen, denn Bertas Name soll „an der Spitze einer Todesliste der Armee“ gestanden haben. Die Botschaft in Berlin reagierte auf unseren Brief knallhart und glasklar:

 

„… Wir versichern Ihnen, dass sobald wir sachdienliche Informationen zu diesem Fall erhalten, wir Ihnen diese unverzüglich zuschicken werden.“

 

Wir warten auf die Sendung wie „auf Godot“.

 

 

Berta Cáceres (+)

 

Briefe nach Griechenland (Mai)

 

In Griechenland gibt es einen Alternativen Minister für Bürgerschutz, und der wäre, schon vom Namen her, für „Alternativen“ zur gegenwärtigen Unterbringung von Flüchtlingen zuständig. Da gibt es beispielsweise das Lager Elliniko bei Athen: Zeltleben seit mehr als einem Jahr, mehr als mangelhaft sanitäre Verhältnisse, Frauen und Mädchen Opfer sexueller Gewalt. In einem Brief forderten wir diese Alternativen ein. Verteilt wurde er auf einem Webinar zum Thema Asyl, und von den 16 Besuchern nahmen 15 einen Brief mit. Im Juni wurde dann mit der Räumung des Lagers begonnen, sie sollte bis Juli (oder Jahresende) abgeschlossen sein.

 

Online-Petition für Taner Kilic/Türkei (Juni)

 

Die Nachricht schlug in AI-Kreisen wie eine Bombe ein. Der Vorsitzende von AI-Türkei war mit 22 anderen Anwälten verhaftet worden, weil man ihnen, wie bereits erwähnt, die Nutzung einer Messenger-App vorwirft, die unter Anhängern der Gülen-Bewegung sehr beliebt sein soll. Erinnert ein wenig an das Profil eines Tatverdächtigen, „der jemand kennt, der den Täter kennen soll“. Wir hockten uns (vom sicheren Schreibtisch aus) vor den Computer und unterzeichneten die Online-Petition - bisher vergebens, denn Kilic war nicht unter den Leuten, die im Oktober (vorläufig) freigelassen wurden.

 

 

Fortsetzung der Petition (Juli)

 

Einen Monat später traf es die „Istanbul 10“ um Idil Eser und Peter Steudtner.

                                                                                                                                             

Briefaktion für Kilic (November)

 

Sie müssen Nachsicht für unsere Hartnäckigkeit haben, aber immerhin ist es das erste Mal, dass es in einem Land gleich zwei AI-Vorstandsmitglieder „erwischt“ hat. Im Gegensatz zu Steudtner und Eser wurde Kilic weder vorläufig noch sonstwie freigelassen. Wir schrieben an den Justizminister und wiesen ihn auf gewisse Defizite seiner Amtsausübung hin, nämlich, dass man Leute wegen „haltloser Anschuldigungen“ nicht einsperren darf. Von Briefen an Erdogan selbst hat AI abgeraten; er gilt offensichtlich als „beratungsresistent“.

 

 


Idil Eser und Taner Kilic

 

 

Briefaktion für iranische Menschenrechtsverteidiger (Dezember)

 

Die Aktion war bereits ein Vorgriff auf die Großkampagne des Jahres 2018, wo es um bedrohte Menschenrechtsverteidiger(innen) geht. Der Iran unternimmt seit 2013 einen wahren „Crackdown“/scharfer Zugriff auf diese Gruppe, und die Schikanen, denen sie ausgesetzt sind, hat man direkt von der Gestapo übernommen: lange Gefängnisstrafen, Überwachung, Drohungen, Belästigung, Verhöre und Folter. Der Brief ging an den Leiter der iranischen UN-Delegation in Genf, aber in der Vollversammlung wird er ihn wohl nicht verlesen haben. Unter den sechs namentlich genannten MRVn war übrigens auch Narges Mohammadi, die wir seit zwei Jahren betreuen/zu betreuen versuchen.

 

Bilanz

 

Unter dem Strich ist sie nicht gerade überwältigend: tapferes Geschrei gegen Wände und vergebliches Warten auf das Echo. Aber da habe ich ein Zitat mit Überlebenspotential gefunden – gewissermaßen eine positive Chaostheorie.

 

„Sandkörner machen den Berg,

Minuten das Jahr

flüchtige Gedanken ewige Taten.

Haltet nichts für Kleinigkeiten.“

 

 

3.3 Veranstaltungen und Vermischtes

 

 

Karikaturenausstellung: „Verzerrte Wirklichkeit – die Welt von

2006 – 2017“ (Januar – Februar)

 

Unser Jubiläumsjahr wollten wir mit einem richtigen Paukenschlag beginnen: die dritte Staffel unserer Karikaturenreihe, mit der wir Mitte der 80er Jahre begonnen haben. Die Stadtbücherei freute sich über die Objekte, die sich wohltuend von den üblichen AI-Themen abhoben, weil die Tristesse oft erst beim zweiten Blick ins Auge sticht. Zum Motto der Ausstellung „Verzerrte Wirklichkeit“ trug Bernard Brown ein „Wahres Geschichtchen“ von Erich Kästner vor, in der im Jahre 1948 ein Gegner des 3. Reiches in eine Szene geriet, wo Statisten, die in einem Film als SS-Männer mitwirkten, ihm gegenüber so auftraten, als wären sie wirklich von der SS.

 

Wir hatten eine Fülle von Karikaturen zusammengetragen, deren Spektrum von (damals) aktuellen Themen, zu politischen und gesellschaftlichen Dauerbrennern reichte und natürlich auch die Galerie von Dumpfbacken und Bösewichtern mit einschloss, von denen einige schon seit Jahren die Welt belasten, und andere erst seit kurzem aus der Versenkung erstanden sind, wo sie besser verblieben wären. Eine kurze Kostprobe haben sie schon in der Einleitung bekommen.

 

Nun zurück zum Paukenschlag: den „Schlag“ haben wir als Veranstalter bekommen. Zum einen hatten wir (trotz gebündelter IT-Intelligenz unter den Anwesenden) Probleme mit der Technik, dann kamen nur 16 Besucher, davon die Hälfte AI-Mitglieder, in der Spendenkasse waren satte neun Euro, und bei den Führungen an den drei Donnerstagen wurde die Lesestunde des Gruppensprechers nur einmal unterbrochen . Da kamen gleich fünf Leute – vier davon Bekannte des Gruppensprechers, aber (dennoch) voll interessiert.

 

Aber nun zur „Pauke“: Mit der Band Hacklinger hatten wir fetzige Musik ohne jegliche Verzerrung, die den Gruppensprecher zu folgender Bewertung mitriss: „Wer vorbeigegangen ist, euch gehört hat und jetzt nicht reinkommt, dem ist nicht zu helfen.“

 

 

 

Als Besucher Nummer 17 kam ein gut gelaunter Pressefotograf, der das Foto so inszenierte, als würden sich die Besucher vor der Mona Lisa drängen und eine Erwähnung im Kalender der Kulturvision.

 

Wir danken der Stadtbücherei, den Aufhängern Siegi Komm und Thomas Fischer und den Musikern Anschi Hacklinger, Marion Dimbath und Stefan Noelle.

 

Weltgebetstag der Frauen (März)

 

Da traf sich (leider gut), dass das Zielland heuer die Philippinen waren. Unter dem Motto „Was ist denn fair?“ wollte man ein Zeichen gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur setzten. Wir haben das Thema „Ausbeutung“ zu „Auslöschung des Menschen“ erweitert und eine Petition gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe ausgelegt. Auf den Veranstaltungen in Miesbach und Hausham kamen 20 Unterschriften zusammen, wobei sich an einem Ort die AI-Frau „mühsam von Kaffeetisch zu Kaffeetisch hanteln musste“. Als wir dann noch weitere Gruppen „belästigten“, kamen immerhin 70 Unterschriften zusammen.

 

Obwohl die Petition mit Nachdruck betonte, dass weltweit auch 88 philippinische Arbeitsmigranten auf ihre Hinrichtung warten, wurde die Wiedereinführung der Todesstrafe noch im März vom Parlament gebilligt, der Senat hatte bis Juli noch nicht entschieden. Präsident Duterte aber möge sich vorsehen: Er brüstet sich damit, Kriminelle eigenhändig vom Motorrad aus erschossen zu haben.

 

Internationaler Frauentag (März)

 

Wir nutzten ihn, um auf den Fall der argentinischen Umweltaktivistin Milagro Sala hinzuweisen, die seit Januar 2016 in Haft ist und der man „Betrug, Veruntreuung von öffentliche Geldern, kriminelle Verschwörung“ vorwirft, kurz, die üblichen Delikte halt, die Umweltaktivistinnen weltweit begehen. Obwohl ein UN-Gremium und der Interamerikanische Gerichtshof die Inhaftierung als „willkürlich“ bezeichnet hatten, saß sie bis Dezember 2017 im Gefängnis. Dann wurde ihre Haft zu Hausarrest herabgestuft und der Anklagepunkt „Bedrohung zweier Polizeibeamter“ fallengelassen. Weihnachten sollte sie bei ihrer Familie verbringen dürfen, „um ihre körperliche Unversehrtheit zu garantieren“. Wir sammelten 38 Unterschriften - von Männern und Frauen.

 

Reaktionen auf den Jahresbericht von 2016

 

Die Reaktion auf unseren Jahresbericht war durchwegs positiv, vielleicht auch deswegen, weil ich ihn im Verhältnis zum Vorgänger um satte drei Seiten gekürzt hatte. Geärgert hat uns allerdings die Zusammenfassung im „Merkur“, wo die Misserfolge genüsslich ausgeschlachtet wurden. So nahm der „Flop“ mit den Firmlingen einen ganzen Absatz ein, während unser Kraftakt mit dem AI-Mobil an der Berufsschule, wo wir versuchten, 16 Schulklassen (!) mit dem Anti-Rassismus Virus zu impfen, unerwähnt blieb. Da hatte man offensichtlich zu früh mit dem Lesen aufgehört. Nach einem guten Gespräch mit der Redakteurin einigten wir uns darauf, dass wir die Zusammenfassung in Zukunft selber schreiben sollten. Da werden wir dann selektiv vorgehen! Ansonsten, und das ist keine „vorauseilende Schleimspur“, sind wir mit unserem Pressecho recht zufrieden – wenn wir nicht gerade unter den Spamfilter fallen.

 

Gelacht habe ich über die Karte eines AI-Mitglieds, der den Bericht in einem Zug in der Badewanne gelesen hat. Da dies volle zwei Stunden gedauert hat, sah sich seine Frau veranlasst, nachzuschauen, ob er nicht ertrunken ist. Gefreut hat uns ein Kommentar aus Tölz: „Es st erstaunlich, was ihr auf die Beine gestellt habt.“ Und wir haben mit Genugtuung registriert, dass die kirchlichen Jugendverbände für ihre Begegnung in der Osternacht unser Motto vom „Brücken bauen“ gewählt haben.

 

Helferkreiskundgebung an der Bavaria (März)

 

Es war fast wie beim Einzug der Wiesenwirte, als die mehr als tausend Asylhelfer in bunter Kleidung über die (leere) Theresienwiese wallfahrten und sich bei strahlendem Föhnwetter und unter dem wohlwollenden Blick der Bavaria auf deren Stufen postierten. Anlass für die Kundgebung waren die drohenden Abschiebungen nach Nigeria und Afghanistan und der steigende Frust in den Helferkreisen über Arbeitsverbot und Repressalien der Behörden. Die Flüchtlinge waren stark vertreten – und wesentlich jünger als die Mehrzahl der deutschen Teilnehmer, die eher an eine 50+ Gesellschaft erinnerten. In 200 Meter Entfernung drehten die Insassen einer Polizeistreife die Daumen, der bayrische Innenminister hatte eine wichtigere Einladung angenommen; er war beim Fischessen in Oberfranken. Der „Merkur“ schrieb einen Kommentar unter dem Titel „Aufrichtige Anerkennung“ (für die Helferkreise!)“ und reagierte regelrecht empört auf das Verhalten des Ministers:

 

„Herrmanns Absage mit der Begründung, er habe keine Zeit, war wie eine Ohrfeige.“

 


Zu Füßen der Bavaria

 

Webinar: Der afrikanische Exodus (März – Mai)

 

Das katholische Bildungswerk lud uns ein, an einem vierteiligen Webinar zur Migration aus Afrika teilzunehmen, und da wir (fast) überall dabei sind, wo „de Musi spuit“ und uns die Vermittlung von Informationen zur Flüchtlingsproblematik sehr am Herzen liegt, sagten wir zu, übernahmen die Plakatierung und ließen uns ansonsten bedienen. In diesen Webinaren werden Referenten live zugeschaltet, halten einen Vortrag und stehen dann für eine ausgedehnte Fragestunde zur Verfügung, zu der die Fragen digital eingereicht werden. Dazu braucht es eine funktionierende Technik, und es war für uns ein Aha-Erlebnis (aber keine Genugtuung!), dass die Technik auch bei anderen Veranstaltern nicht funktioniert. Als die Dozentin zur entscheidenden Frage „Was tun gegen den Migrationsdruck“? ansetzte, wurden wir vom Netz abgehängt. Die

20 Besucher machten aus der Not eine Tugend und gestalteten ihre eigene Diskussion, die recht lebhaft verlief, obwohl nur Insider gekommen waren.

 

Zum Webinar 2 kamen dann 41 Besucher, zwei davon mit Afrika-Erfahrung. Die Technik funktionierte (fast) reibungslos, die Referentin, eine Senegalesin, die in Marburg tätig ist lieferte eine fundierte Analyse der „Hintergründe der Migration am Beispiel Senegal“ und vertrat dezidiert die Position einer Afrikanerin, die „zwischen zwei Welten lebt“. Dazu gehörten eine positive Bewertung der Migration als Entwicklungshilfe (Geldrücksendungen) und eine negative Sicht auf die Entwicklungshilfe von Staaten oder Organisationen. Stoff genug für eine lange Diskussion, nicht zuletzt mit (intelligenten) Fragen aus Miesbach und naiven Fragen von anderswo: „Was können wir tun, um die Potentaten zu entfernen“? Die Waffenlieferungen hat sie in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Insgesamt aber - eine gelungene Veranstaltung.

 

Zum Webinar 3 kamen dann nur mehr 16 Besucher. Und das war gut so – hätte ich gesagt. Eine andere Besucherin formulierte noch schärfer und sprach von „Thema verfehlt“. Es gab aber auch Stimmen, die die „klare Kante“ lobten, und mehrheitlich wurde auch dieser Abend mit „gut“ bewertetet. Auffällig war (wiederum für mich) die Diskrepanz zwischen viel versprechenden Gliederungspunkten („Vision einer Einwanderungsgesellschaft“) und deren schwacher Ausgestaltung. („Strauß warnt vor Kanakenflut“).

 

Das Webinar 4 fiel dann aus.

 

Wir würden unter dem Strich das Webinar als gelungenes Experiment bezeichnen – nicht zuletzt wegen des guten Besuches, und wir danken dem Kreisbildungswerk, dass es uns mitmachen ließ.

 

Ostermarkt in Fischbachau (März)

 

Da sind wir immer in erlesener Gesellschaft, sowohl was das Angebot an Waren und an Publikum anbelangt. Es verkaufen und kommen viele nette Leute, unter ihnen viele bekannte Gesichter, denen wir es schwer machen, an unserem Stand vorbeizugehen, ohne etwas mitzunehmen. Der Kauf selber fällt dann nicht mehr schwer, denn wir haben ein buntes Sortiment, gestiftet und gefertigt von den „üblichen Verdächtigen“: den Damen Haller, Schreiber, Schmalhofer-Jacobi, Besenrieder, Schneckenburger, Wiegert, und den Herren Bracher, Schmucker, Mittmann und Holzfurtner. Wir danken von Herzen.

 

Neben dem geschäftlichen Teil lief aber auch noch eine menschliche Komponente mit. Dazu gehörte die Gewissheit, dass man nach zwei Stunden Standdienst fest mit einer Ablösung rechnen konnte, und dazu gehörten eine Reihe von Gesprächen, die sich mit AI befassten.

 

- Da kam eine Frau, die gleich zum Einstieg loslegte, dass „sie sich in letzter Zeit

über AI geärgert hätte“. Warum? hat sie (Gott sei Dank!) nicht mehr gewusst.

- Und da kam ein Mann, der über sein (früheres) Engagement bei AI so gesprochen hat, als wäre es eine Jugendsünde gewesen. Trotzdem hat er uns fünf Ostereier abgekauft.

 

Danken möchten wir auch der Organisatorin Christa Winkler, die uns kein Standgeld abverlangt, sondern sogar noch 50€ gestiftet hat. Damit kamen wir auf stolze 530€ - und das ist bei uns immer Netto.

 

 

Unser Auftritt beim Ostermarkt

 

Ostermarsch 2017

 

Denn vor dem Osterhas, da kommt der Ostermarsch – und nicht nur der Osterstau.

 

 

 

In Miesbach ist beides zusammengetroffen, denn die 300 Teilnehmer haben bei diesem „Bündnis für eine offene Gesellschaft“, wie der „Merkur“ so schön getitelt hat, den Einkaufsverkehr etwas beeinträchtigt. Mitmarschiert ist ein breites Spektrum von „Gutmenschen“ (kirchliche Gruppierungen, Parteien mit ihrem Jungvolk, Flüchtlinge), und die Stimmung war so gut, dass wir auch das Putin-Plakat und die gelegentlichen antikapitalistischen Aufschreie der (drei) Vertreter der Linkspartei in Kauf nahmen. Nicht (oder kaum) in Erscheinung trat die CSU, aber die bayrische Staatspartei „demonstriert nicht, sondern regiert“. AI hingegen war mit zehn Leuten stark vertreten. Wir waren „gegen Rassismus und für Flüchtlingsschutz“ und schleppten im Tosen des Windes ein Banner mit, das so groß war, dass wir dezent am Ende des Zuges marschierten, um die bescheideneren Plakate der anderen Gruppen nicht zu verdecken.

 

 

 

Die Redebeiträge und Grußworte an den drei Stationen waren von unterschiedlicher Qualität – aber v.a. zu lang. Es war deshalb niemand böse, weil kein Beitrag von AI gekommen ist – am allerwenigsten wir selber. Im Gedächtnis blieb die Rede der BDKJ-Vorsitzenden Lisi Maier, Ex-Gymnasiastin aus Miesbach, die engagiert die Knackpunkte der Welt und unserer Gesellschaft auf den Punkt brachte. Weitaus schärfer und polemischer war das „Haberfeldtreiben“ der Edelweißpiraten: Zwar musste (und konnte) man mit manchen Formulierungen nicht einverstanden sein („denn der schlimmste Terrorist, besorgter Bürger, das bist du“), aber schon die Arbeit, die sie sich mit der Dichterei gemacht haben, verdient Respekt, und wir drucken gerne eine der (harmloseren) Strophen ihres Gedichtes ab.

 

„Uns’re Bundeskanzlerin meinte mit „Wir schaffen das!“

Keine Angst vor Terrorismus, keine Macht dem Fremdenhass.

Doch dann kamen die Gerüchte, und dann gab’s ein Attentat.

Das könnte Wählerstimmen kosten, was politisch Folgen hat.“

 

Wir danken den Organisatoren des Marsches, insbesondere Hermann Kraus und Christine Negele, für die optimale Vorbereitung und Durchführung des Marsches, freuten uns, dass wir mitlaufen durften und wünschen, mit Lisi Maier, „dem Bündnis noch viele Jahre“.

 

SPD-Empfang in Geretsried (April)

 

Bernard Brown konnte auf das Schicksal zweier iranischer Gewerkschaftler, Ismail Abdi und Jafar Azimzadeh hinweisen, die zu mehrährigen Haftstrafen verurteilt worden waren. Ihre Vergehen: Kontakte ins Ausland, Gründung einer illegalen Gruppe, Störung der nationalen Sicherheit – man kann es schon nicht mehr hören! Auf den Petitionslisten kamen immerhin 40 Unterschriften zusammen. Abdi soll im Mai 2016 schon einmal gegen Zahlung einer Kaution von 100 000 Dollar freigekommen sein, wurde aber im Dezember 2016 wieder festgenommen. Auch Azimzadeh hatte 2016 nach Beendigung seines Hungerstreiks Hafturlaub bekommen, der nach wenigen Monaten wieder unsanft beendet wurde. Drehtürhäftlinge gewissermaßen!

 

Infostand in Miesbach (Juni)

 

Wir hängten uns an die bayernweite Kampagne „Journalismus ist kein Verbrechen“ an und wurden von München (und von der Weltlage der Pressefreiheit) überreichlich mit Material ausgestattet. Besonders unter den Nägeln gebrannt hat uns natürlich die Türkei, und so fangen wir mit der Karikatur eines türkischen Zeitungskiosks an.

 

 

 

In unserem breiten Sortiment gab es zu unterschreiben und abzuschicken:

 

- Petitionsliste für Itai Dzamara, Journalist verschwunden in Simbabwe (24 Unterschriften)

- Petitionsliste für Larysa Schiryakova/Weißrussland (46 Unterschriften)

- Briefe für die „Istanbul 10“ um Idil Eser (21)

- Karten für die türkische „Staatsterroristin“ Asli Erdogan, nein, nicht für Recep,

und für den ägyptischen Fotojournalisten Shawkan. (86)

 

Die „Ausbeute“ klingt nicht überwältigend und es gab, wie immer, „teilweise interessierte Leute“ und solche, die in respektvoller Entfernung an uns vorbeischlichen. Aber wann haben wir nach einem Infostand je vernommen, dass „es heute eine Freude war, am Infostand zu stehen“? – und das nicht zuletzt deswegen, weil sich das Publikum durchwegs gut informiert zeigte. Und dann kam auch noch der Fotograf vom „Merkur“ vorbei und wählte für sein Foto einen Augenblick, wo am Stand das Leben pulsierte.

 

 

Infostand in Miesbach

 

Aber wenn der Recep vorbeigekommen wäre, hätte er uns seine Meinung zu den gefangenen Journalisten gesteckt:

 

„Schaut Freunde, hier sind die Zahlen: Von den 177 Menschen, die sagen, sie seien als Journalisten verhaftet worden, besitzen nur zwei einen Presseausweis. Einer sitzt im Gefängnis, weil er einen Mord begangen hat, der ganze Rest, weil er Verbindungen zum Terrorismus hat. … Glaubt ihr den Unterlagen unserer Regierung oder den verbreiteten Lügen?“

 

Ehrlich gesagt, Freund Recep, wir glauben den Lügen!

 

Sommerfest (Juli)

 

Unser Fest wir diesmal, Gott sei Dank, nicht wie letztes Jahr von einem Amoklauf verdüstert.

 

 

 

 

Gedenkfeier am Marktplatz (September)

 

An sich gab es nichts zu feiern, nur zu gedenken. Vor drei Jahren wurden in der Stadt Iguala/Mexiko 43 Lehramtskandidaten, die sich auf dem Weg zu einer Demo nach Mexiko-City befanden, von der örtlichen Polizei (mutmaßlich auf Befehl des Bürgermeisters) entweder gleich eigenhändig erschossen oder (mutmaßlich) der Mafia übergeben, die die Überlebenden auf einer Müllhalde „erledigte“, und die Asche der Leichen (mutmaßlich) in einem Fluss entsorgte. In Mexiko sind zwar solche Hinrichtungen an der Tagesordnung, aber der Fall erregte dennoch landesweit Aufsehen, weil er „ein Schlaglicht warf auf die engen Verbindungen zwischen Politikern, Polizisten und Verbrechern“. Die Häufung der „Mutmaßlichkeiten“ weist natürlich darauf hin, dass der Fall noch nicht aufgeklärt ist.

 

Zu der „Feier“ am Marktplatz, in die auch das wöchentliche Friedensgebet der Kirchen integriert war, kamen etwa 35 Besucher. Leon Walther spielte auf dem Saxophon das Protestlied „Guantanamera“ – passend, weil es auch die weibliche Form von „Guantánamo“ ist – und dann verlasen wir die Namensliste der 43 Studenten und zündeten für jeden von ihnen ein Licht an. Und es ging uns schon sehr nahe, als wir ihre Kurzbiografien vernahmen:

 

- Benjamin Ascencio Bautista: wurde „Vielfraß“ genannt, weil er einmal alle Kekse alleine aß

- Israel Jacinto Lugardo: war ein guter Junge und kam an die Schule voller Träume und Hoffnungen

 

Die Forderung der Angehörigen „Lebendig habt ihr sie uns genommen, lebendig wollen wir sie zurück“ konnten wir leider nicht erfülllen.

 

 

 

Bundestagswahl 2017 (September)

 

Um es gleich vorweg zu nehmen, wir haben nicht gewonnen. War eigentlich auch nicht beabsichtigt. Über Mails stellten wir in unserer Kampagne „Misch dich ein für Menschenrechte“ sechs Forderungen an Bundestagsabgeordnete, u.a. „Kein Platz für Rassismus, Rüstungsexporte besser kontrollieren, Menschenrechte ins Kabinett“. Forderung 4 „Privatsphäre schützen“ wurde dann gegen uns verwendet, denn die Abgeordneten wurden teilweise mit 70 gleich lautenden Mails „zugemüllt“ – der Ausdruck stammt von einem Betroffenen aus dem Landkreis - und reagierten genervt. Ob unsere Aufdringlichkeit der Grund ist, warum die ersten Sondierungen gescheitert sind, glauben wir eher nicht. Und immerhin: 28 Abgeordnete reagierten auf unsere Mailattacke, die Vertreter zweier bayrischer Parteien reagierten nicht. Sie dürfen raten welche?

 

Infostand in Holzkirchen (Oktober)

 

In den vergangenen Jahren war der Marktplatz von Holzkirchen der günstigere Standort, aber diesmal kamen wir dort nicht an das „Rekordergebnis“ von Miesbach heran. Thema war wiederum die Bedrohung der Pressefreiheit, und die Opfer dieser Bedrohung waren die gleichen wie in Miesbach (Dzamara, Shawkan, Erdogan, die „Istanbul 11“). Wir wurden 24 Karten los und sammelten 24 Unterschriften.

 

Die Standbesatzungen machten ihre üblichen Erfahrungen - frustrierend, erheiternd, ermutigend – und verarbeiteten sie in den (langen) Pausen. Es kam ein Mann, der meinte „Braucht ma ned“, eine Frau wollte wissen, wie sie ins Tegernseer Tal komme, ein Ehepaar sagte, „Für Amnesty unterschreiben wir alles“. Und dann gab es eine Frau, die in der Türkei Urlaub machen wollte und Angst hatte, auf eine Liste zu kommen, die ihr am Flughafen Probleme bereiten könnte. Wir verzichten auf eine Wertung und stellen lediglich fest, dass Erdogans Drohungen auch bei uns Wirkung zeigen.

 

Das Foto zeigt, dass wir uns die Stimmung nicht verderben ließen.

 

 

Infostand in Holzkirchen

 

Poeten für die Menschenrechte (Oktober)

 

Nein, wir waren das nicht, obwohl zutrauen …? Die Veranstaltung fand am Marienplatz in München statt, was dazu führte, dass eine Lesung gegen die Turmglocken des Alten Peters angehen musste. Es traten 20 Poeten aus vier Ländern auf, die Abordnung aus Miesbach gehörte nicht zu den Dichtern, sondern war unter den ca. 100 Besuchern – war aber vorher noch von einer Gruppenjury auf ihre literarischen Kenntnisse hin geprüft worden. Eine Kostprobe haben wir Ihnen bereits mit dem „Volkstrauertag“ gegeben. Hier noch das Gedicht

 

Gelobtes Land

 

Wo nach der Ankunft

die Herkunft

die Zukunft nicht überschattet.

 

Geburtstagsfeier am Gymnasium (Oktober)

 

Wir waren ausverkauft, und das war kein Wunder, denn mit unserem Aufgebot hätten wir bei der Verleihung der Grammy Awards und des Salzburger Stiers mitwirken können. Da war zunächst der Miesbache JazzChor unter Leitung von Hennes Hering, präzise, gefühlshaltig, temperamentvoll – und von einer ansteckenden Sangesfreude. Am Ende ihres Auftritts hatte das Publikum tatsächlich „Fire“ gefangen.

 

 

 

Dann kamen die NouWell Cousines, drei von ihnen (voll emanzipierte) Abkömmlinge der Biermösl Blasn, die mit gefühlvollen irischen Liebesliedern, rassigen Puztaklängen und frechen G’stanzeln mit Lokalbezug die Stimmung weiter anheizten. Und dann der Wortmagier Gerhard Polt mit seinem dritten (!) Auftritt für

AI-Miesbach. Beeindruckend seine Wandlungsfähigkeit, wenn er seinen „Gedanken“ irrlichternd durch den Saal schweifen ließ, den Nachbarn Ranftl vorführte, über den Mistkerl Jason schimpfte und einen indischen Pfarrer über den Glaubensverfall in Oberbayern lamentieren ließ –auf englisch mit Neuhauser Akzent.

 

 

 

Aber bevor das alles passierte, hatte das Publikum schon einige (wenn auch kurze) Reden über sich ergehen lassen müssen. Paul Fertl, 2. Bürgermeister und treuer Besucher unserer Veranstaltungen, übermittelte das Grußwort der Stadt mit einer Spende von 100€, würdigte emphatisch die Menschenrechtsarbeit von AI und gab der Gruppe den schönen Spruch von Bertold Brecht mit auf den Weg: „Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ Der Gruppensprecher führte die „Überlebensfaktoren“ von AI-Miesbach auf: das Engagement der Mitglieder, die große Anzahl von Spendern und Lieferanten, die starke Vernetzung mit Miesbacher Institutionen. Mit einem Rückgriff auf den russischen Dissidenten Amalrik, der 1970 eine Streitschrift unter dem prophetischen Titel „Kann die Sowjetunion das Jahr 1984 erleben?“ veröffentlichte, wagte er einen Ausblick auf Geburtstag Nummer 50 und schloss, ans Publikum gewandt, mit der Aussage: „Das liegt, biologisch gesehen, auch an Ihnen“.

 

Am Infostand, wo das Gedränge nicht so dicht war, wie vor dem Getränkeausschank der 11. Klassen, kam es zu einigen Begegnungen, die leider im Sande verliefen. Ein junger Mann verließ den Stand „erschlagen von der Unzahl an Lesematerial“, und eine Frau bekannte, dass sie „eigentlich schon längst bei uns mitmachen wollte, sich aber zu alt dazu fühle“. Das würden unsere 70+ Leute nicht so sehen.

 

Einen Tag später tauchten wir dann als „rührige AI-Gruppe“ bei der katholischen Samstagabendmesse in der Predigt auf, nicht unpassend wie Pontius Pilatus im Credo, denn Pfarrer Winkler predigte über das „Grundgesetz der Christen“.

 

Webinar: Terror und Gewalt (November – Januar)

 

Ermutigt durch den „Publikumsandrang im Frühjahr“, folgten wir auch diesmal der Einladung des Bildungswerkes. Die Volkshochschule war mit an Bord, aber auf die Zahl der Besucher hatte das leider keine Auswirkungen. Beim Webinar 1 waren wir zu fünft, alles Mitglieder von AI. Die Referentin sprach über ein brandaktuelles Thema, die „Politikfelder Innere Sicherheit, Migranten und Terrorismus im Widerstreit“, aber der Funke sprang nicht so recht über, weil sie viel mit Zahlen arbeitete und alles vom Blatt ablas; auch perspektivisch war es eher ein Proseminar für Studenten ihrer Polizeihochschule. Etwas überzeugender dann die Diskussion.

 

Ein gelungener Abend war das Webinar 2 zum Thema „Transnationaler Terrorismus“. Begriffe wurden klar und verständlich abgegrenzt, das Ziel des IS deutlich benannt: „… den Westen (durch Attentate) so zu verunsichern, dass man dem Nachbarn nicht mehr traut“. Die Botschaft kam unverblümt und beklemmend: der Terrorismus ist Teil unsere Risikogesellschaft und „absolut wirksame“ Gegenmittel gibt es nicht.

 

Das Webinar 3 „Frieden im Kalifat?“ fand am Nikolaustag statt. Ich war einer der drei Besucher, und meine erste Reaktion war: die Referentin gehört in den Sack gesteckt. Sie war zwar sehr kompetent, setzte aber (oder deswegen) zu viel voraus und sprach wie ein MG vom IS. Die Mitarbeiterin vom KBW fühlte sich am Ende „wie erschlagen, obwohl ich gerade von der Uni gekommen bin“. Und das ist ja nicht gerade der Sinn einer Veranstaltung über „Terror und Gewalt“.

 

Der Fairness halber muss ich hinzufügen, dass ich nach keinem Webinar so lange Notizen gemacht habe – es ist also doch etwas hängen geblieben. Und erwähnenswert ist auch die Antwort, die auf unsere Frage „Wie sollen wir mit den Rückkehrerinnen vom IS umgehen?“ gegeben wurde. Da meinte die Referentin optimistisch:

 

„Auch wenn sie voll verschleiert gehen, sollte man ihnen mit Freundlichkeit begegnen, dann merken sie, dass nicht alle bei uns böse sind. Und: wer eine Ideologie angenommen hat, kann sie auch wieder loswerden.“

 

Briefmarathon 2017 (November – Dezember)

 

Da haben wir uns weitgehend ausgeklinkt. Die Briefe sollten „gebündelt mit einem Kurier befördert werden“, und selbst die Poststelle in Miesbach wusste nicht, wo man einen Kurier auftreiben könnte. Und die Postkarte für ein Opfer von Polizeigewalt in Jamaika war so armselig gestaltet, dass wir uns damit nicht unter die Leute trauten.

 

Adventsmarkt (Dezember)

 

Zuvorderst der Dank an die Bürgerstiftung, die den Markt wieder hervorragend organisiert hatte und ein Kompliment an unsere Schichtdienstler/innen, v.a. jenen, die beim Schneesturm dran waren. Unsere Lieferanten waren die gleichen wie beim Ostermarkt, deshalb noch einmal ein herzliches Dankeschön, verbunden mit dem Wunsch, das Christkindl möge ihnen (zur Abwechslung) auch einmal was schenken. Mit unseren Weihnachtsplätzchen hatten wir starke Konkurrenz, und was davon nach dem Trocknungsprozess am

Abend noch übrig blieb, mussten wir größtenteils selber aufessen. Hoffentlich ist nächstes Jahr wieder schlechtes Wetter! Hauptattraktion wäre dieses Jahr eine 100-jährige Krippe gewesen, die Herr Schmucker aus Familienbeständen gestiftet hat. Der Konjunktiv „wäre“ steht deshalb, weil die Krippe zwar nostalgische Gefühle („So eine hatten wir auch!“) aber leider kein Geld locker machte. Das Angebot steht auch für 2018.

 

Wenn Sie aber jetzt meinen, „schlechtes Wetter, nasse Sachen, da kann ja nichts laufen“, täuschen Sie sich: Wir haben 950€ eingenommen, etwas mehr als letztes Jahr und sind damit ganz groß zum Essen gegangen. Nein, sind wir natürlich nicht!

 

 

Adventsmarkt – fast wie bei Hänsel und Gretl

 

Tag der Menschenrechte (Dezember)

 

Da gingen wir wieder den „Miesbacher Weg“, der uns wie seit Jahren an die Kirchentüren führte. Wir verteilten noch einmal Postkarten für Shawkan, der es offensichtlich wegen seiner angegriffenen Gesundheit nötiger hat denn je, dass man sich für seine Freilassung einsetzt. Wir wurden insgesamt 230 Karten los, nicht zuletzt deswegen, weil in der evangelischen Kirche Landesbischof Bedford-Strom zu Gast war.

 

Hier der Augenzeugenbericht einer Verteilerin:

 

 „Pfarrer Sergel kündigte unsere Aktion höchstpersönlich an, und das mit den Worten, dass die Verteilung von Postkarten am Tag der Menschenrechte in dieser Kirche schon ‚Tradition’ sei. Da uns am Ende die Karten ausgingen, musste der Landesbischof ohne Karte nach Hause fahren. Aber dafür konnte ich mich bei der Verabschiedung noch kurz mit ihm über AI unterhalten. AI ist ihm schon lange vertraut, seine Mutter habe bereits vor Jahrzehnten AI-Appelle unterschrieben, und er habe zum Tag der Menschenrechte einen Text ins Internet gestellt.“

 

Vor der katholischen Kirche kam es zu einigen Situationen, die das AI-Jahr etwas humorvoll abrunden sollen. Der erste Kunde trat gleich mit einem schroffen „Und wer gibt uns etwas? auf. Ob er meine Antwort „Uns fehlt ja nichts“ noch registriert hat, weiß ich nicht. Ein zweiter Kunde streckte erwartungsvoll die Hand aus, aber als er hörte, dass da nichts zu holen, sondern etwas mit 90 Cent zu frankieren sei, hat er sie schleunigst wieder zurückgezogen.

 

Das ist der Vorteil langjähriger AI-Tätigkeit: Man ist über so etwas nicht mehr irritiert, sondern amüsiert. So sind wir eben, wir Menschen!

 

Das meint übrigens auch Charlie Brown.

 

 

 

 

3.4 Todesstrafe – nein danke!

 

 

Von einigen Kampagnen haben wir schon berichtet. Hier unsere sehr gemischten Nachrichten zur Kampagne gegen die Todesstrafe:

 

Eilaktion für Ahmadreza Djalali/Schweden-Iran (Februar)

 

Unter den Fällen, wo Menschen von der Todesstrafe bedroht sind, gehört der von Dr. Djalali zu den schockierendsten. Djalali ist Arzt für Katastrophenmedizin, lebt in Schweden und war auf Dienstreise in seinem Heimatland. Im April 2016 wurde er verhaftet – ohne Haftbefehl versteht sich, und der Spionage für Israel bezichtigt. Als er sich weigerte, ein Geständnis zu unterschreiben, drohte man ihm, den Anklagepunkt „Feindschaft zu Gott“ mit anzuhängen, denn darauf stehe dann (garantiert) die Todesstrafe. Im Oktober wurde er zum Tode verurteilt. Über den Vorwurf, er habe bei seiner Spionagetätigkeit „die Korruption auf Erden“ verbreitet, kann man nur lachen: Da wären im Iran die Revolutionsgarden und die religiösen Stiftungen auch gleich aufzuhängen. Eher wird umgekehrt ein Schuh daraus: Djalali scheint sich geweigert zu haben, für den Iran zu spionieren. Das Urteil wurde im Dezember bestätigt, die Verteidigung durfte kein Entlastungsmaterial vorlegen.

 

„Erfolg“ für Hamid Ahmadi/Iran (Februar)

 

Ahmadi war als im Jahre 2008 als 17-Jähriger in eine Messerstecherei mit tödlichem Ausgang verwickelt gewesen. Seither wurde er in drei Verfahren zum Tode verurteilt, obwohl er zur Tatzeit minderjährig war. Im Februar erfuhr seine Familie, dass man „alle Pläne für seine Hinrichtung aufgegeben“ habe. Es ist anzunehmen, dass internationaler Druck eine Rolle gespielt hat. Ob man ihm die neun Jahre Haft (und Angst) auf sein jetziges Strafmaß anrechnet, ist nicht bekannt.

 

Wiedereinführung der Todesstrafe/Malediven (März)

 

Wie auf den Philippinen liebäugelt man auf der „Palastinsel“/den Malediven mit der Wiederbelebung der Todesstrafe, die dort seit 1952 nicht mehr vollstreckt worden ist. Vorgegeben wird die öffentliche Sicherheit, aber böse Zungen behaupten, man möchte damit die Touristinnen treffen, die im Bikini zum baden gehen. Kein (böser) Scherz aber ist, dass die Malediven Bekleidungsvorschriften haben, die einen bei zu viel nackter Haut leicht ins Gefängnis bringen können. Unser Protestbrief wurde dahingehend beantwortet, dass im Juli die Todesstrafe reaktiviert wurde – auch für zur Tatzeit Minderjährige.

 

Hinrichtungsrausch in Saudi-Arabien (Juli)

 

Saudi-Arabien hatte vor einigen Jahren per Annonce Henker gesucht. Jetzt scheinen sich genügend gemeldet zu haben, denn, nach AI, befindet das Land sich „seit Juli 2017 im Exekutionsrausch. Im Durchschnitt wurden jede Woche fünf Personen hingerichtet.“ Offensichtlich will man auch auf diesem Gebiet mit dem Regionalkonkurrenten Iran Schritt halten.

 

Sensation im Iran (September)

 

Der Iran hingegen wartete im September mit einer Sensation auf: Es wurde die Todesstrafe gegen Dealer aufgehoben. Der Grund für die Maßnahme: Sie brachte nicht das „erwünschte Ergebnis“, denn noch nie gab es im Lande soviel Missbrauch von Drogen. Eine Presseerklärung mit dem Wortlaut „Wir teilen heute die Meinung von AI, dass die Todesstrafe keine abschreckende Wirkung hat“, haben wir allerdings vermisst.

 

Petition zur Abschaffung der Todesstrafe in Ghana (Dezember)

 

Auch dieses Land hält sich, gegenläufig zum Trend in Westafrika, ein Hintertürchen für den Henker offen. Obwohl seit 1993 niemand mehr hingerichtet wurde und die Verfassungsrevisionskommission schon 2012 die Abschaffung empfohlen hatte, befanden sich Ende 2016 148 Gefangene in den Todeszellen. AI hätte gehofft, dass sich zum 60. Jahrestag der Unabhängigkeit das Land ein entsprechendes Geschenk machen würde. Dass es ausblieb, haben auch die 30 Leute bedauert, die unsere Petition unterschrieben.

 

Bilanz

 

Wenn man im Netz „Abschaffung der Todesstrafe 2017“ eingibt, findet man nur das Land Hessen, das sich anschickt, ein Überbleibsel der Nachkriegsverfassung zu tilgen. Alle anderen Daten stammen aus dem Jahre 2016. An sich teilen wir als linientreue AI-Mitglieder den Optimismus der Organisation, dass der Trend hin zur Abschaffung geht, nicht aber die Zuversicht, dass dieser Trend irreversibel ist. Wir werden weitermachen, bis auch der Vatikan die Todesstrafe abgeschafft hat. Nein, das war schon 1864.

 

 

3.5 Die Finanzen

 

Von Karl Kraus gibt es das bissige Wort: „Wer ohne Zwang die Wahrheit sagt, verdient keine Nachsicht.“ Auch wir nehmen Zuflucht zur Notlüge, wenn wir über unsere Finanzen berichten: Wir nagen hier als Gruppe am Hungertuch, haben von der Zentrale in Berlin schon öfter den Gerichtsvollzieher geschickt bekommen, sind aber auch in den Panama Papers aufgetaucht, weil wir Millionen auf den Cayman Islands gebunkert haben. Sie werden es nicht glauben, aber an der Lüge über die Panama Papers hängt noch am meisten Wahrheit dran. Natürlich haben wir keine Millionen eingenommen und auch nichts verschoben, aber finanziell stehen wir recht gut da – dank unserer treuen Spender, Förderer und Lieferanten. Wie klingt es doch so schön (schmalzig) in der Schubertmesse: „Nur danken kann ich, mehr doch nicht.“

 

Der Dank schließt aber auch einen Mann mit ein, der unsere Gelder seit 45 Jahren (!) verwaltet. In einem früheren Jahresbericht habe ich einmal nachgezählt, wie viele Finanzminister die Bundesrepublik in 45 Jahren verschlissen hat, und da sind inzwischen einige dazu gekommen. Unser „Juliusturm“, das war der Spitzname von Fritz Schäffer, deutscher Finanzminister in den 50er Jahren, heißt Siegfried Komm, und wenn Sie auch beim Lesen dieses Berichts noch nie applaudiert haben, dann tun Sie es jetzt.

 

 

3.6 Vermischtes

 

Beim Danke sagen an Gruppenmitglieder kommt man auch an Thierry Nédélec und Bernard Brown nicht vorbei. Thierry stellt seit Jahrzehnten – fast hätte ich „Jahrhunderten“ geschrieben – die monatlichen „Briefe gegen das Vergessen“ zusammen und „belästigt“ dazu unsere Übersetzerinnen Rachel Bull und Irene Scherm. Bernard arbeitet sich seit Jahren an seinen Iranfällen ab und ist seit längerer Zeit der einzige, der noch zu Bezirksversammlungen in München geht. Dann gibt es die Leute mit Spezialaufgaben (Plakate, Eintrittskarten, Asylrecht, Todesstrafe) und die Kontaktfrauen, die zu den Treffen gehen, wo der Gruppensprecher nicht hin will. Wenn wir jetzt noch jemand finden, der wieder einmal zur Jahresversammlung fährt, ist unser Glück vollkommen.

 

Und nicht zu vergessen ist Monika Wiegert, die unser Schaufenster zur (Unter)Welt, den Schaukasten in der Unterführung am Stadtplatz, mit viel kreativer Energie betreut.

 

 

 


4. Spuren im Land (15)

 

 

Passend zum Reformationsjubiläum möchten wir einen Text abdrucken, der 2014 beim Themenabend „Miesbach – Ort der Migration“ verlesen wurde. Es ist die fiktive Geschichte der Gerbersfrau Anna Leder in den Jahren 1563 bis 1584, als Miesbach mehrheitlich protestantisch war.

 

 

„Sie wollten uns wieder katholisch machen“

 

Natürlich fragt man sich am Ende seiner Tage, ob es richtig war, seine Heimat zu verlassen, sich von den Verwandten zu trennen, ein bescheidenes aber gesichertes Leben aufzugeben – um der neuen Lehre willen, die uns „das reine Wort Gottes, die evangelische Freiheit!“ verkündete. Ja, ich war eines dieser „halsstarrigen Weiber“, die, zusammen mit den Dienstboten, standhaft in der neuen Lehre verblieben, während die Männer schon mit dem Beichtzettel zum neuen Richter liefen, um von der Handels- und Gewerbesperre, die der überaus fromme Herzog Wilhelm V. über die Grafschaft Hohenwaldeck verhängt hatte, befreit zu werden. „Er sei mit der Ausfertigung der Beichtzettel überladen“, klagte der Hilfspriester von Parsberg, „weil die Zahl der Übergetretenen bereits die 400 überstiegen“. „Die Miesbacher“, so der damalige Pfarrer Maurer, „wollen mit Gewalt fromm werden“. Mit der Gewalt hatte er nicht Unrecht.

 

Warum wir die „bayrische Religion“, so nannte der Herzog den katholischen Glauben, verlassen hatten, kam ja nicht von ungefähr. Selbst die Visitationen der Bischöfe und Päpste stellten bei den Priestern einen Tiefstand an religiösen Kenntnissen und eine lasterhafte Lebensführung fest. Ich erinnere mich, als unser Prediger Abraham Preu in der Schlosskapelle zu Wallenburg in heiliger Erregung, aber nicht ganz frei von Schadenfreude, aus dem Bericht eines herzoglichen Beamten vorlas: „Die Priester liegen Nacht und Tag in Weinhäusern, … spielen mit Wirfeln und Karten, … schelten und fluchen wie die Landsknecht, treiben Unzucht mit Wort, Geberden und Werken.“

 

Aber es waren gar nicht so sehr die Missstände der alten Kirche, die uns abstießen, sondern die Freiheiten der neuen Lehre, die uns zu ihr hinzogen. Sie erlaubte uns das Abendmahl unter zwei Gestalten gemäß der Einsetzung Christi, eine Beschränkung der Fastengebote, und den Priestern die Ehe. Für eine gute Beichte genügte die ehrliche Reue, auf die Aufzählung der einzelnen Sünden konnte man verzichten. Und mit Begeisterung hörten wir Luthers Psalmen in deutscher Sprache und sangen seine Lieder.

 

Das Zusammenleben der Konfessionen in der Herrschaft war nicht einfach. Es gab zwar keine Hinrichtungen von uns Ketzern wie dem Vernehmen nach in Wasserburg, aber die Prediger, die der neuen Lehre anhingen, hatten einen schweren Stand, obwohl sich unser Graf Wolf Dietrich offen zu ihr bekannte. Aber sein Vater hatte zu Augsburg den Salzburger Vertrag unterschrieben, der die Unabhängigkeit von Bayern an die Bedingung knüpfte, dass „in der religion und Ceremonien kain neierung oder enderung vorzunehmen sei“. Das führte dazu, dass auf Geheiß des Herzogs immer wieder verdächtige Prediger abgesetzt und des Landes verwiesen wurden. Dem Grafen zwang er Priester der alten Lehre auf, die aber meist so schnell wieder gingen, wie sie gekommen waren. Unsererseits, und wir waren in Miesbach und Parsberg schon in der

Überzahl, gingen wir mit den Katholischen nicht gerade zimperlich um: Die Priester hat man bis in die Wohnung verfolgt, sie während der Predigt unterbrochen und einen Fahnenträger beim Bittgang geschlagen. Das ging so weit, dass einer der Pfarrer um seine Entlassung bat, weil er „an diesem heillosen Ort (Parsberg) seine Gesundheit eingebüßt habe“.

 

Mein Mann Jakob Leder, er war von Beruf Gerber, mahnte immer wieder zur Zurückhaltung. Er kaufte weiterhin bei katholischen Händlern ein und trat den Heißspornen entgegen, wenn sie wieder einmal eine katholische Prozession stören wollten. Er wusste genau, dass sich der Herzog solche Vorfälle melden ließ und ahnte, dass Wilhelm nur darauf wartete, unser „schwachgläubiges Volk“ wieder zum katholischen Glauben zurückzuführen.

 

Im Jahre 1583 schlug er dann zu. Im Juni forderte er seinen Bruder, den Bischof von Freising, auf, gegen den protestantischen „Unrat“ vorzugehen. Der Bischof verfügte, dass kein Ketzer mehr in geweihter Erde begraben werden dürfe, nur katholische Paten zur Taufe zugelassen seien und Brautpaare nur dann getraut werden könnten, wenn sie vorher gebeichtet und kommuniziert hätten. Im November rückten dann von Weyarn aus 100 „wohlstaffierte Leute“ in Miesbach ein: Von der Kanzel wurde den Widerspenstigen der Kirchenbann angedroht, auf dem Kirchplatz die Gewerbe- und Handelssperre verkündet. Vergeblich protestierte der Richter. Der Graf ließ sich nicht blicken, obwohl er uns für seine Schreiben an Bischof und Herzog manchen Kreuzer abgeknöpft hatte.

 

Die Sperre wurde mit aller Härte durchgeführt. An der Grenze der Grafschaft wurden „sektische“ Händler abgewiesen, und in Miesbach verkaufte man uns keine Lebensmittel mehr. Was tun? Gehorsam zur alten Lehre zurückkehren wie die Mehrheit unserer Glaubensgenossen oder auswandern wie der Richter und der Gerichtsschreiber? Mein Mann und ich beschlossen, zunächst einmal abzuwarten. Vielleicht würde im Laufe des nächsten Jahres die Sperre gelockert, da ja auch katholische Untertanen unter ihr zu leiden hatten. Deshalb verschaffte sich mein Mann den Beichtzettel, während ich mich weiterhin an den Sonntagen nach Wallenburg schlich, um in der Schlosskapelle den lutherischen Prediger zu hören. Tatsächlich entspannte sich die Lage, und wir schöpften wieder Hoffnung.

 

Doch im Mai 1584 schlug der Herzog ein zweites Mal zu: der Bann wurde erneuert, die Handelssperre verschärft. Meinem Mann wurde der Gewerbeschein nicht verlängert, weil man mich wegen meiner sonntäglichen Spaziergänge nach Wallenburg beim neuen Richter denunziert hatte. Wir beschlossen zu verkaufen und nach Regensburg zu gehen. Und da hatten wir noch Glück im Unglück. Wir Gerber wohnten in Miesbach zusammen in einer Straße, und da der Nachbar für seinen Sohn ein eigenes Gewerbe suchte, zahlte er einen guten Preis. An der Grenze der Grafschaft hatten wir noch den Spott der Grenzwächter zu überstehen, die uns „alsdann gar zum Teufel“ wünschten.

 

In Regensburg trafen wir auf alte Bekannte aus der Grafschaft, die sich schon vor zwei Jahren zum Wegzug entschlossen hatten. Mein Mann baute sich ein neues Gewerbe auf, und mit den Kindern erging es uns ein wenig wie dem Grafen Wolf Dietrich: einer unserer Söhne blieb der neuen Lehre treu, der zweite trat in die Dienste des Fürstbischofs und musste katholisch werden, die Töchter heirateten brave Regensburger Bürger, die sich scherzhaft über die „Halsstarrigkeit“ beschwerten, die ihre Weiber offensichtlich von ihrer Mutter geerbt hatten.

 

Miesbach spielte übrigens noch einmal in unser Leben hinein. Georg II, der Sohn Wolf Dietrichs, der in der neuen Lehre verblieben war, war in erster Ehe mit Maria von Degenberg verheiratet. Sie starb 1609 und wurde in Regensburg beerdigt. Zu ihrem Begräbnis kam eine Gruppe aus Miesbach, die dort immer noch im Geheimen an der neuen Lehre festhielt. Als der Herzog von dieser Reise nach Regensburg erfuhr, legte er beim damaligen Grafen Protest ein. Die beteiligten Bürger mussten in München Abbitte leisten.

 

Das eine aber weiß ich am Ende meiner Tage: Vor Gott werde ich einmal keine Abbitte zu leisten haben.

 

 


5. Schlussakkord

 

Aus unserem Jubiläumsjahr verabschieden möchten wir uns mit einem verspäteten Neujahrswunsch und der Aussicht auf eine bessere Welt.

 

 


Neujahrswunsch 2018

 

 

Kontaktadressen und Kontonummer

 

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Tel.: 08025/3895, Fax: 08025/998030,

Mail:fritz.weigl@gmx.de

 

Bernard Brown, Carl-Weinberger-Str. 5, 83607 Holzkirchen

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