Jahresbericht 2018 – 46 Jahre Amnesty
(Landkreis) Miesbach
1. Einleitung
Heute ist Mittwoch, 7. Februar, und für eine Einleitung zum Jahresbericht 2018 ist es reichlich spät. Da heißt es schnell nach Ausflüchten suchen.
Fluchtweg 1: Der Jahresbericht 2017 ist auch noch nicht ausgeliefert. Warum soll man dann schon mit dem Nachfolger beginnen? Doch sollte man – denn wie hat schon Michail Gorbatschow (nicht) gesagt: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“
Fluchtweg 2: Im Januar ist eh noch nichts passiert. Ist leider schon - wie Sie unschwer dem 1. Monat unseres Jahresrückblicks entnehmen können.
Fluchtweg 3: Ich habe abgewartet, bis in Berlin die GroKo ausgehandelt wurde. Die haben sich ja auch Zeit gelassen.
Ich glaube, ich entscheide mich für Fluchtweg 3, obwohl es nicht gerade AI-kompatibel ist, dass bei der Ressortverteilung wohl einige Köpfe rollen werden. Und wenn im SPD-Mitgliederentscheid das Verhandlungsergebnis abgelehnt wird, dann werde auch ich mit meiner faulen (!) Ausrede im Regen stehen bleiben.
Mit Verspätung kommt auch der zu Jahresbeginn unerlässliche Beitrag aus der Werkstatt des Philosophen. Das Wort ergeht an Can Dündar von der Internetplattform „Özgürüz“. Er erzählt in seinem Silvesterbeitrag von Ängsten, enttäuschten Hoffnungen und kaputten Menschen:
- „Das Mädchen im Minirock probte ein letztes Mal, wie sie sich gegen Belästigungen zur Wehr setzen würde, bevor sie zur Feier auf den Stadtplatz ging.
- Wo Sie 2018 unbedingt hinreisen müssen, las die betagte Patientin auf der Intensivstation mit schmerzlichem Lächeln.
- Vielleicht sollte ich erst so richtig mitfeiern, bevor ich zünde, grummelte der junge Selbstmordattentäter mit dem verkabelten Leib.“
Aber dann endet Dündar – mit zusammengebissenen Zähnen:
„Ohne sich um die Vorsehung des alten, weil unheilvoll mit Fußtritten verjagten Jahres zu scheren, stand das neue vor der Tür und versprach, ein gutes zu werden: „Vertraut mir, alles wird besser!“ Nach Hoffnung dürsteten die Menschen und waren nur allzu bereit ihm (dem neuen Jahr) zu folgen.“
Dündar ist Türke. Wenn der noch von Hoffnung spricht, brauchen wir auch nicht zu verzweifeln – umso weniger, als jetzt auch noch die Groko steht.
Von einem unbekannten Zitatenspender stammt der Spruch:
„Der Pessimist steht im Regen, der Optimist duscht unter einer Wolke.“
2. Der Jahresrückblick
Januar 2018
Auf die „MeToo“- Debatte würde ich am liebsten mit „i net“ antworten. Zum einen weil ich als AI-Gruppensprecher noch nicht in die Schusslinie geraten bin – wenigstens soweit ich weiß, und auf Facebook bin ich nicht. Zum anderen aber auch, weil die Aussagen oft widersprüchlich sind oder die Beweislage verworren ist. Wenn ich mir trotzdem die „Freiheit nehme, Ihnen lästig zu fallen“, dann deswegen, weil es doch einige Beispiele gibt/zu geben scheint, wo die Rechte von Frauen nicht nur tangiert sondern verletzt wurden. Bei Amnesty ist die Debatte bisher nicht gelandet: Im letzten Journal ging es um Killerroboter, und das sind die Herren Weinstein, Mauser und Wedel nun dann doch nicht. Im Internet gibt es an diesbezüglichen AI-Beiträgen derzeit nur einen einschlägigen Artikel und der ist, wenn ich es richtig deute, auf Finnisch.
- Frankreich: Da gab es die Kontroverse um einen offenen Brief von Catherine Millet über die „liberté d’importuner“, also „die Freiheit zu belästigen/lästig zu fallen“, ein Brief, der von 100 prominenten Französinnen, darunter Catherine Deneuve, unterschrieben wurde und zu heftigen Gegenreaktionen führte. Einig war man sich nur in der Ablehnung von Vergewaltigung, aber die „Freiheit, lästig zu fallen“ wurde sehr unterschiedlich ausgelegt. Die Französinnen sahen darin „ein ungeschicktes und hartnäckiges Flirten“, eine Art Kollateralschaden der sexuellen Freiheit, eine deutsche Interpretin sah darin das Recht, sich entschieden „gegen unliebsame Flirtversuche zur Wehr zu setzen“. Und dann gab es noch die Rundumschläge: Für eine deutsche Kabarettistin hat die Debatte viel mit der „verkümmerten Sexualität der Frau“ (!) zu tun, die Französinnen behaupteten, es habe schon Männer gegeben, die „zum Rücktritt gezwungen wurden, weil sie versucht hatten, einen Kuss zu ergattern“. Das kann nur im Aufsichtsrat eines DAX-Konzerns passiert sein. In den Leserbriefen des „Merkur“ haben die Frauen sehr „unverkümmert“ ihre Meinung gesagt: „Ich bekomme gern Komplimente, wenn der Mann höflich und charmant ist“, – und mir damit nicht lästig fällt.
- Deutschland: Während es in Frankreich auch ums Flirten ging, geht es in Deutschland um „Macht und Schande“. Im Magazin der „Zeit“ erhoben Ex-Schauspielerinnen massive Vorwürfe gegen den Starregisseur Dieter Wedel, die so detailliert unappetitlich waren, dass wir sie Ihnen ersparen möchten. Schließlich sind wir nicht die Altneuhauser Feuerwehr. Kaum weniger unappetitlich als das, was am Set und auf der „Besetzungscouch“ passiert sein soll, war die Omertà des Schweigens, das sich damals und ohne Not die Kollegen, die Produktionsfirmen und die Fernsehanstalten auferlegt hatten. Halt, auch da gibt es Gegenstimmen:
„Ein Racheakt 20 Jahre später … ist grenzwertig. Und wenn ich vom Arbeitgeber belästigt oder angetatscht werde, dann kann ich doch gehen und das Gegenüber anbrüllen“
– soll wohl heißen: anbrüllen und dann gehen. Aber da muss man halt schon arriviert sein wie die Deneuve. Und von Missbrauchsopfern weiß man, wie schwer das mit dem Reden ist.
Das mit der Unschuldsvermutung verlagern wir auf die „SZ“, die Wedel schon einmal präventiv einen „Berserker“ genannt hat.
Unschuldsvermutung „heißt nicht, dass die Opfer nicht reden dürfen. Unschuldsvermutung heißt auch nicht, dass die Zeugen nicht aussagen dürfen.“
In einem Kommentar im Februar wurde die „MeToo“-Debatte in Deutschland als „verdruckst“ bezeichnet, und in der Tat ist es erstaunlich, wie oft „das Anprangern der Tat als Verharren in der Opferrolle interpretiert“ wird.
- England: Da scheint man von MeToo noch nichts gehört zu haben, schließlich lebt man auf einer Insel. „This blessed plot, this earth, … this England“ heißt es bei Shakespeare, und ein „gesegneter Fleck“ ist es fürwahr – zumindest für bestimmte Männer. Da hat der vornehme President’s Club in London ein Stellenangebot zu einer Spendengala geschaltet. Im Club gibt es natürlich keine weiblichen Mitglieder, aber für die „Bewirtung“ brauchte man Hostessen, und das zu folgenden Bedingungen:
„gutes Aussehen, hohe Absätze, knappes, schwarzes Kleidchen, schwarze Unterwäsche, kein Handy … - und die Unterzeichnung einer fünfseitigen Schweigevereinbarung“.
An diese Vereinbarung hat sich eine Reporterin, die sich eingeschlichen hatte, nicht gehalten, und was sie dann über das Verhalten der wohltätigen Spender gesagt hat, ist unter der Gürtellinie.
Die folgende Karikatur ist das nicht,
aber die Aussage der Frau würden nicht alle übernehmen. Da hört man auch: „Die sollen sich doch nicht so haben!“ und mit „die“ sind nicht die Männer gemeint.
Blutiger als der Krieg zwischen den Geschlechtern verläuft der türkische Einmarsch in die kurdische Region von Afrin/Nordsyrien. Die Türken kommen leider nicht mit dem Taxi, sondern setzen (mutmaßlich) auch deutsche Leopard 2 Panzer ein.
Deutschland mischt mit
An der Stückzahl der Panzer wird der Einmarsch nicht scheitern, wir haben zwischen 2006 und 2013 dem „zuverlässigen“ Natopartner Türkei 347 Stück geliefert. Eine Einsatzbeschränkung wurde nicht vereinbart und wäre der deutschen Waffenindustrie auch schnurzegal. Und unsere Regierung hat sich wohl im Glauben gewiegt, dass die Panzer nur zur Landesverteidigung und nicht völkerrechtswidrig für einen Angriffskrieg eingesetzt würden. Aber da meint der Erdogan – und eine gewisse Logik ist ihm nicht abzusprechen: „Wenn wir sie schon haben, dann sollen sie auch fahren.“ Allerdings müssen sie darauf achten, nicht über Minen zu rollen, denn dafür sind sie schlecht geschützt und bedürften einer Nachrüstung, die Deutschland der Türkei bis jetzt noch verweigert – zumindest über die offiziellen Kanäle.
Die Panzer rollen übrigens gegen die kurdische YPG. Das waren die Kämpfer, die 2014 maßgeblich dazu beigetragen haben, dass der Völkermord des IS an den Jesiden im Sindschar-Gebirge gestoppt wurde. Die internationale Dankbarkeit ist eine kurzlebige Angelegenheit.
Im Zusammenhang mit dem Jemen-Krieg erwägen Politiker der CDU und der SPD keine Waffen mehr an Länder zu liefern, die an diesem Krieg beteiligt sind. Damit fiele der potente Kunde Saudi-Arabien aus. Die Stellungnahme des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie dazu lautete wie folgt:
„Noch restriktivere Rüstungsexportrichtlinien, die über die bisherige Praxis hinausgehen, bedarf es aus unserer Sicht nicht.“
Der Verband sollte vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Aber uns gibt er die Gelegenheit, noch einmal satirisch zu den deutsch-türkischen Leopard-Panzern zurückzurollen.
Schon im Februar spielte sich eine Szene ab, die darauf hinweist, dass sich einige Elemente unserer Gesellschaft im Rohzustand befinden und – so der Titel eines Buches über die Nazizeit – mit „vernebelten und verdunkelten Hirnen“ auf die übrige Menschheit losgehen. Da hat am Brauneck/Oberbayern ein älterer (!) Skifahrer auf einen Bergwachtler eingeschlagen, weil wegen einer Rettungsaktion ein Teil der Skipiste abgesperrt war. Das Rufezeichen wurde deswegen gesetzt, weil die Mehrheit der Täter, die auf Polizisten, Feuerwehrleute und Sanitäter losgehen, „männlich, jung und brutal“ ist. Ob sich die Vorfälle mehren, ist umstritten; nicht umstritten ist, dass sie brutaler werden. Ursache, so eine Studie, sei „ein allgemeiner Respektverlust gegenüber Mitmenschen“. Dem gegen zu steuern wäre leitkulturell wichtiger, als zu fordern, sich bei der Begrüßung die Hand zu geben.
- Da entlud sich über einen Bürgermeister ein Shitstorm, weil der Weihnachtsmarkt seiner Stadt Lichtermarkt heißt (und das seit zehn Jahren).
- Da wurde ein Rettungswagen demoliert, weil er einem Mann beim Ausparken im Weg war.
- Da wurden in Regensburg gleich vier Übergriffe gegen Polizisten in einer Nacht gemeldet.
- Da erhielt ein Dorfbürgermeister Morddrohungen und weiß nicht einmal warum.
Nachgereicht sei ein „Gebet“ des Pfarrers von Egling, mit dem er im Juni seine Predigt zur Weihe eines Feuerwehrautos beendete. Unter menschenrechtlichen Aspekten ist das Gebet grenzwertig, wird aber von uns mit klammheimlicher Sympathie begleitet.
„All denen, die Helfer tätlich angreifen, möge der Herr 14 Tage Durchfall schicken, und zwar ohne Papier in der Nähe.
Amen.“
Dazu passt auch die Netzhetze gegen die Bahnhofsmission in Würzburg. Da hat die rechtsextremistische Bürgerwehr „Soldaten von Odin“ anonym eine Brotspende abgegeben, die aus „lebensmittelrechtlichen“ Gründen abgewiesen wurde. Darauf wurde im Netz ein Sturm losgetreten, der den Vorfahren der Soldaten, den Wikingern, alle Ehre gemacht hätte.
Hassgesänge ertönten auch aus Österreich und Polen. In der „Ostmark“/Österreich hat man das Liederbuch der Burschenschaft Germania entdeckt, wo in einem Lied die sechs Millionen Opfer des Holocaust verhöhnt werden. Eine Kotzprobe:
„Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion: Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million.“
Udo Landbauer, FPÖ- Spitzenkandidat in Niederösterreich und lange Vizepräsident der Germania, hat angeblich von diesem Liedgut nichts gewusst, weil er „nie ein guter Sänger war“. Er ist inzwischen von allen Ämtern zurückgetreten, hat aber bei den Wahlen immerhin noch fast 15% für seine Partei eingefahren. A bisserl Antisemitismus muaß do a in Österreich no möglich sei!
Der Pole Ryszard Czarnecki, Abgeordneter der Pis-Partei im Europaparlament hat seine polnische Kollegin Róza Thun als „Szmalcownik“ beschimpft. Die Frau hatte im deutschen Fernsehen davor gewarnt, dass sich Polen zur Diktatur entwickle. Das sehen wir auch so. Der Schimpfname ist mehr als vorbelastet: Ein Szmalcownik war nämlich in Zeiten der deutschen Besatzung einer, der von versteckten Juden oder deren Helfern Schweigegeld erpresste. Die Attacke hat Czarnecki im Februar sein Amt als Vizepräsident des EU-Parlaments gekostet. In einer Umfrage haben 52,3% der Polen die Absetzung gebilligt. Noch ist Polen nicht verloren!
Róza Maria Barbara Gräfin von Thun und Hohenstein
Die Kurznachrichten
- Wenn man von der „Kehrseite einer Medaille“ spricht, geht man davon aus, dass sie auch ein schönes Gesicht hat. Das ist bei der Religionsfreiheit derzeit nicht der Fall. Bei uns grassiert die Islamophobie, in Nordkorea und in islamischen Ländern wie Afghanistan und Pakistan werden die Christen verfolgt. Das (evangelikale) Hilfswerk
Open Doors hat auf seinem Weltverfolgungsindex 2017 von 200 Millionen Christen gesprochen, die verfolgt oder diskriminiert werden. Selbst wenn man davon ausgehen muss, dass das Hilfswerk die Zahlen gerne hochrechnet, kann man davon ausgehen, dass das Christenleben in einigen Ländern immer lebensgefährlicher wird. In Rom hat man an geschichtsträchtiger Stelle ihrer gedacht.
- Von der Gier des Menschen handelt ein Bericht über den Jadeabbau in Myanmar. Jadesteine sind teurer als Edelmetall, und deshalb stoßen sich viele Gruppen am „grünen Gold“ gesund. Die Förderung liegt in den Händen der Bergbaugesellschaften, die es sich leisten können, bewaffnete Gruppen und das Militär am Gewinn zu beteiligen. An der Bevölkerung geht der „Segen“ vorbei – was die Gewinnbeteiligung anbelangt. Ihre Existenz wird durch Landraub und Gewalt bedroht. Dabei könnte man mit einem einzigen Kilo Jade mehrere Krankenhäuser ein Jahr lang finanzieren. Also überlegen Sie es sich gut, wenn Sie Jadeschmuck kaufen wollen!
- Vor dem Abdruck der folgenden Karikatur haben wir etwas gezögert, aber dann doch beherzt die Grenzen des guten Geschmacks überschritten. Schließlich haben es uns die beiden „Staatsmänner“ vorgemacht.
Präsident Trump hatte auf die Neujahrsansprache von Kim Jong Un – „Ich habe den Atomknopf ständig auf meinem Schreibtisch“ – damit reagiert, dass er auf den „größeren und mächtigeren Knopf“ der USA hinwies. Gut, dass die beiden relativ wenig am Schreibtisch sitzen, sondern eher vor dem Fernseher.
Passend zu den beiden ein schöner Satz von Theodor Fontane:
„ Manche Hähne glauben, dass die Sonne ihretwegen aufgeht.“
- In Vietnam wurde Trinh Xuan Thanh gleich zweimal wegen schwerer Korruption zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Der Todesstrafe entging er vermutlich nur deswegen, weil Vietnam eine weitere Belastung der Beziehungen zu Deutschland vermeiden wollte. Der Manager war im Sommer 2017 auf einem Spaziergang in Berlin gekidnappt worden. Schuld hin oder her – von einem fairen Prozess konnte nicht die Rede sein. Seiner deutschen Verteidigerin wurde die Einreise verweigert.
Damit sind wir bei den Fällen, die das AI-Mandat direkt betreffen.
- Asyl: Bei den Sondierungsgesprächen zur GroKo hat sich beim Politikfeld Asyl weitgehend die CSU durchgesetzt. Erwähnen möchten wir nur, weil der Name so schön (irreführend) ist, die geplante Einrichtung von „Ankerzentren“. Die haben mit einem Rettungsanker wenig zu tun, sondern dienen dazu, ankommende Flüchtlinge zu kasernieren, über ihre Asylanträge zu entscheiden und dann (wenn möglich) wieder abzuschieben. Kritiker befürchten, dass die Rechtsberatung erschwert und Betreuung durch private Helfer kaum noch möglich sein wird. Bayern hat diesbe-
züglich im Februar die ersten Probeläufe unternommen. Und da mit mehreren Tausend Bewohnern zu rechnen ist, kann man sich vorstellen, wie sich das auf die (interne und externe) Kriminalstatistik auswirken wird. Aber vielleicht ist das mitgewollt.
- Verschwindenlassen: In Nicaragua ist der Vulkan Masaya eine Touristenattraktion. Es gibt aber den Verdacht, dass es sich bei seinem Lavasee um ein Massengrab handelt. Der Somoza-Clan, der das Land 40 Jahre lang diktatorisch regierte (und ausbeutete), entsorgte dort seine politischen Gegner, indem er sie tot oder lebendig von Hubschraubern aus in den Krater werfen ließ. Als die Sandinisten Ende der 1970er Jahre die Macht übernahmen, wäre zu erwarten gewesen, dass diese Verbrechen juristisch aufgearbeitet werden würden. Doch da scheint man lieber die direkte Art gewählt zu haben. Es gibt Aussagen, dass auch die Sandinisten für die Folterknechte Somozas den Vulkan als „letzte Ruhestätte“ gewählt haben.
- Politische Gefangene: In China wurde der Menschenrechtsanwalt Yu Wensheng verhaftet, als er seinen Sohn zur Schule brachte. Er hatte in einem Online-Brief gefordert, die Verfassung zu ändern und den Präsidenten offen wählen zu lassen. Anstiftung zur Staatsgefährdung – ganz klar! Da könnte ja ein Tibeter oder Uigure gewählt werden.
Yu Wensheng
Pressefreiheit: Wir mussten uns letztes Jahr sehr ausführlich mit Verletzungen von Meinungs- und Pressefreiheit befassen. Hier eine Todesanzeige für die Opfer:
- Todesstrafe: Im Irak wurde eine Deutsche mit marokkanischen Wurzeln zum Tode verurteilt. Sie soll beim IS eine „höhere Stellung“ eingenommen haben; angeblich war sie Sanitäterin. Die deutschen Behörden reagierten mehr als zurückhaltend. Man sei zwar gegen die Todesstrafe, sähe aber eine massive Einmischung als kontraproduktiv an, da man den Wiederaufbau Iraks als eigenständiger Staat nicht beeinträchtigen wolle. Wir meinen, dass da eine gehörige Portion Feigheit mit im Spiel ist. Oder die Erleichterung, dass das eine IS-Rückkehrerin weniger ist.
Dem wachsenden Trend, die Todesstrafe wieder einzuführen, hat jetzt auch Israel nachgegeben. Die Knesset votierte in erster Lesung mit knapper Mehrheit für die Einführung der Todesstrafe für Terroristen. Ob das auch für jüdische Terroristen gilt (Stichwort: Hebron 2, 1994), ist nicht ganz klar. Zuletzt wurde die Todesstrafe 1962 vollstreckt, als der Naziverbrecher Adolf Eichmann hingerichtet wurde. Ein orthodoxer Rabbi meinte zur Abstimmung der Knesset: „Jemanden zu töten liegt in der Hand Gottes.“ Der Meinung sind wir auch.
Zum Ende hin, Dündar folgend, Nachrichten, die Hoffnung machen:
- Am 2. Januar kündigte Äthiopien an, alle politischen Gefangenen freizulassen. Damit hatte das Land zum ersten Mal eingeräumt, dass es solche überhaupt gibt. Außerdem soll das berüchtigte Foltergefängnis Maekelawi/Addis Abeba geschlossen und in ein Museum umgewandelt werden, hoffentlich nicht in ein „Museum der Geschichte der Folter“. Drei Tage später kam der Rückzieher: Es sollten nur Einzelfälle überprüft werden. Diese Einzelfälle führten Anfang Februar immerhin zu 700 Entlassungen. Jetzt sitzen nur mehr 10300 ein - oder ein paar mehr. Dann ist auch noch der Ministerpräsident zurückgetreten. Er wolle damit auf dem Weg zu einem „anhaltenden Frieden“ Teil der Lösung sein, nachdem er jahrelang mit das Problem gewesen ist.
- In Hongkong wollte im März das „kleine Mädchen“ Agnes Chow als Kandidatin des demokratischen Lagers zu einer Nachwahl antreten. Agnes war mit 15 Jahren (!) eine der Sprecherinnen der Regenschirm-Bewegung, in der 2014 Hunderttausende von Hongkongern mit Regenschirmen (gegen das Tränengas der Polizei) für die Direktwahl des Regierungschefs demonstrierten – vergeblich, den von der Autonomie der Stadt, die China für 50 Jahre versprochen hatte, ist wenig übrig geblieben. Agnes trat an, weil „die Würde der Hongkonger mit Füßen getreten wird“. Die Absetzung von Abgeordneten und die Entführung von Buchhändlern haben der Jugend in Hongkong den Patriotismus für China ausgetrieben; nur noch 0,3% von ihnen betrachten sich als „Chinesen“. Das Problem ist nur: Peking ist das ziemlich egal. Am Monatsende wurde ihre Kandidatur abgewiesen. In ihr Programm war wohl zuviel von „self-determination“/Selbstbestimmung die Rede.
Agnes Chow
- „In Saudi-Arabien ist der Teufel los“, sagen zumindest die Religionsgelehrten. Jetzt waren Frauen schon bei einem Fußballspiel und saßen mit Männern zusammen in einem Block. Dass einige von ihnen während des Spiels ihre Smartphones betätigten, spricht nicht gerade für die Leistung der Spieler.
Bald spielen wir selber.
Im Februar kam dann eine Meldung, über deren emanzipatorischen Nährwert man streiten kann: die Armee soll für Frauen geöffnet werden. Jetzt wird es bald eine Königin von Saudi-Arabien geben. Die Königin von Saba kam ja, einer Theorie zufolge, auch aus dieser Gegend.
- Unter dem Titel „Zeuginnen des Grauens“ wird man keine gute Nachricht erwarten. Bei den Frauen handelt es sich um Angehörige des Nadeem-Centers/Kairo, die Opfern staatlicher Folter helfen. Sie haben inzwischen soviel Arbeit bekommen, dass sich die Polizei im Februar genötigt sah, das Zentrum zu stürmen und zu schließen. Gegen die Frauen wurden schon vorher ein Ausreiseverbot erlassen, so dass sie, und jetzt kommen wir zaghaft zur guten Nachricht, den AI-Menschenrechtspreis 2018 voraussichtlich nicht persönlich entgegennehmen können. Auch das Preisgeld wird Amnesty auf absehbare Zeit nicht auszahlen können, denn Finanzierung aus dem Ausland ist für Menschenrechtsgruppen verboten.
Die mutige „Viererbande“ von Kairo
Zum leidigen Thema „Menschenrechte“ hat Präsident Al-Sisi einen bedenklichen Ausspruch getätigt. In Ägypten seien die Menschenrechte „nicht aus einer westlichen Perspektive zu betrachten“, heißt: Folter tut im Orient nicht so weh wie im Westen. Zur Erinnerung: Ägypten gehörte zu den 48 Ländern, die 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte/AEMR beschlossen haben.
- Das Zitat „Noch ist … nicht verloren“ ist bereits anderweitig vergeben, aber es wäre auch für den Rüffel einsetzbar, den der frühere bayrische Kultusminister Hans Maier seiner CSU verabreicht hat. Er sieht eine gewisse Unvereinbarkeit zwischen dem ‚C’ im Parteinamen und der Haltung der Partei zu Familiennachzug (dagegen) und Orban-Europa (dafür). Wutbürgerhaft stellt er die Frage:
„Kann sie (die CSU) eine Flüchtlingspolitik vertreten, in der das Wort Nächstenliebe und das elementare Verständnis für Verfolgte fehlen?“
Bis zum 1. Februar hatte Maier noch „keine offizielle Antwort“ auf seinen Brief an die CSU-Landesgruppe im Bundestag erhalten. Da wird es doch dem Dobrindt nicht die Stimme verschlagen haben?
- Aber jetzt kommen wir zu einer echten Faschingsnummer: Als in seinem Asylverfahren ein Iraner, der zum Christentum konvertiert war, vom Richter (fang)gefragt wurde, was am Sonntag in seiner Kirche gepredigt worden sei, übersetzte der Dolmetscher „Von Lothar Mattthäus“. Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass der Iraner von „Luther“ und (dem Evangelisten) „Matthäus“ gesprochen habe. Er darf mit einem positiven Asylbescheid rechnen.
AI-Inventur 2017
Da wir i.Allg. mit Situationen zu tun haben, wo die Menschenrechte baden gegangen sind, ist es angebracht, einige Fälle zu erwähnen, wo AI beigetragen hat, sie wieder aus dem Wasser zu fischen. Wir begnügen uns mit einigen Schlagzeilen:
- China. Aktivisten gegen Kaution frei
- Peru: Bäuerin siegt vor Gericht
- Mauretanien: Todesurteil gegen Blogger aufgehoben
- Malediven: Oppositioneller frei
- Paris: Amnesty deckt Verkauf von Folterwerkzeugen auf
Von einem indischen Journalisten kam ein bewegender Dankesbrief:
„Ich möchte Amnesty International aus tiefstem Herzen danken. Niemand hat mich so sehr unterstützt, wie ihr es getan habt.“
Mit „ihr“ sind auch „Sie“ mitgemeint. Und dazu, wie schon im Jahresbericht 2017, der Rat des Theodor Gottfried von Hippel
„Haltet nichts für Kleinigkeiten.“
Februar 2018
Der Monatsname kommt vom lateinischen „februare“/reinigen, und ein reinigendes Gewitter zieht derzeit durch die USA. Gemeint sind nicht die Säuberungsaktionen, die Präsident Trump in seiner Regierungsmannschaft vornimmt und die den Kreis der „Erwachsenen“ in seiner Umgebung weiter schrumpfen lässt, sondern der Aufstand der Jugend gegen die laxen Waffengesetze. Vorausging das Schulmassaker in Parkland/Florida, das 17 Opfer forderte. Solche Massaker wurden in der Vergangenheit nach dem Schema „Entsetzen – Aufforderung zum Gebet – kurzes Aufbäumen gegen die Waffenlobby - Übergang zur Tagesordnung – Warten auf …“ abgewickelt.
Diesmal war es anders. Die Schülerin Emma González hielt eine flammende Rede, in der sie die Argumente der NRA/Waffenlobby als „bullshit“/Blödsinn bezeichnete und auch an den Politikern kein gutes Haar ließ. An Trumps Adresse sagte sie:
„Wenn der Präsident mir ins Gesicht sagt, dass das eine schreckliche Tragödie war und dass man nichts tun kann, frage ich ihn, wie viel Geld er von der NRA bekommen hat. Ich weiß es: 30 Millionen Dollar.“
Emma González – US Präsidentschaftskandidatin 2035
Damit hatte sie sich natürlich für die Betroffenheitsparty disqualifiziert, die Trump für Angehörige von Amoklauf-Opfern organisierte. Man kann annehmen, dass die eingeladenen Gäste sorgfältig selektiert waren, aber selbst in diesem Kreis wurden dem Präsidenten „bittere Fragen“ gestellt.
Und Trump wäre nicht Trump, wenn er nicht sein Fähnchen ein wenig nach dem Wind drehen würde. Nachdem er zunächst die Demokraten kritisiert hatte, weil sie unter Obama schärfere Waffengesetz verhindert hätten – „Hoppla, hat er sie da nicht mit den Republikanern verwechselt?“ -, begann man im Weißen Haus „Überlegungen“ anzustellen – ja auch so was passiert -, die „zur deutlichsten Verschärfung der amerikanischen Waffengesetze seit Jahrzehnten“ führen könnten: Verbot der Bump Stocks, Heraufsetzung des Mindestalters für den Kauf von Schnellfeuergewehren, schärfere Überprüfung von Waffenkäufern.
Für die Waffenlobby gefährlicher aber dürfte ein Trend werden, der Teile der Wirtschaft erfasst hat. So haben Banken und Kreditkartenfirmen verkündet, dass ihr Geld nicht mehr für Waffenkäufe verwendet werden dürfe, und Fluglinien und Autovermieter haben Rabatte für NRA-Mitglieder gestrichen. Und das tut wirklich weh!
Für den 24. März haben die Schüler einen „Marsch auf Washington“ angekündigt. Es werden 500 000 Teilnehmer erwartet, und, wer weiß, vielleicht hat da wieder jemand einen „Traum“ – wie M.L. King damals beim ersten „Marsch auf Washington“ im Jahre 1963. Einen Monat nach dem Portland-Massaker haben sie sich schon einmal warmgelaufen.
Schülerdemo in Washington
Neben dem Aufstand der Frauen in der „MeToo“-Kampagne, die dort nicht so „verdruckst“ verläuft wie hierzulande, scheint sich in den USA eine zweite Gruppe zu politisieren, die jungen Leute. Die meisten von ihnen haben sich bei der letzten Wahl nicht registrieren lassen, und wenn sie in Zukunft zur Wahl gehen, können die Trumpisten schon einmal zu zittern anfangen.
Wir hingegen zittern vor der Flinten-Dana, der knallharten Sprecherin der NRA, die nach dem Parkland-Massaker den Medien unterstellte, Amokläufe insgeheim zu lieben, weil „weinende weiße Mütter“ die Einschaltquoten erhöhten. Den Vogel, den sie hat, schießt sie aber mit dem Schild ab, das über ihrer Haustür hängt:
„Dieses Haus wird vom Herrgott und einer Waffe geschützt. Wer hierher kommt, um zu stehlen oder Menschen zu verletzen, dürfte mit beiden Bekanntschaft machen.“
Da ist mir der bayrische Haussegen lieber – und dem Herrgott wohl auch.
Im Jahresbericht von AI geht es diesmal auch gegen die Hassrhetorik von Politikern, unter der vielfach Minderheiten (aber auch andere) zu leiden haben. Wir können einige Beispiele aus Deutschland liefern, (fast) allesamt von einer Partei, in der wir keine Alternative für Deutschland sehen.
- Da trieb der Moscheebau in Regensburg die Sozialnetzwerker auf die Barrikaden, die sich (weitgehend fern von Kircheninnenräumen) um das „vom Christentum geprägten Stadtbild“ sorgen. Mitauslöser für diese Sorge war eine Fotomontage auf der Facebook-Seite der AfD, auf der das Minarett die Domtürme zu überragen scheint. In Wirklichkeit sind die Domtürme 105 m, das das Minarett 21 m hoch, und die Moschee 10 Autominuten vom Stadtzentrum entfernt.
- Dann kam der Aschermittwoch in Nentmannsdorf/Sachsen. Da hat André Poggenburg, AfD Vorsitzender von Sachsen-Anhalt, sich die Regensburger zum Vorbild genommen und noch eins draufgesattelt. Er bezeichnete die türkische Gemeinde als „Kameltreiber“ und „Kümmeltürken“, die in Deutschland „nichts zu suchen und nichts zu melden“ hätten. Sie sollten sich gefälligst
„zurückscheren hinter den Bosporus, zu ihren Lehmhütten, Ziegen und vielen Weibern“.
Das war selbst seiner Partei zuviel. Zwar versuchte man es zunächst mit der bewährten Arbeitsteilung „Du provozierst, und wir mahnen dich dann ab – und vergessen es wieder “, aber als eine Anzeige wegen Volksverhetzung angekündigt wurde (und der Vorwurf der Vetternwirtschaft dazukam) trat Poggenburg im März von seinen Ämtern zurück – und kam damit einer Auslieferung an die Türkei zuvor. Nein, so etwas hatte nur „Heute-Show“ vorgeschlagen, um die Türkei für die Freilassung von Denis Yücel zu entschädigen.
- So wie Yücel dann von der AfD im Bundestag begrüßt wurde, konnte man den Eindruck gewinnen, die Türkei hätte ihn besser behalten oder „hinter dem Bosporus“ entsorgen sollen. Die Partei stellte den Antrag, die Bundesregierung solle Äußerungen des Journalisten missbilligen. Yücel hatte in einer Satire aus dem Jahre 2011 den Bevölkerungsrückgang in Deutschland wie folgt kommentiert:
„Der baldige Abgang der Deutschen aber ist Völkersterben von seiner schönsten Seite.“
Auch ich finde diese Aussage inhaltlich grenzwertig (und obendrein stilistisch schwach), aber wenn die Bundesregierung jetzt auch noch Zensurbehörde spielen müsste, käme sie überhaupt nicht mehr zum Regieren.
Einen leidenschaftlichen Gegenangriff aus der zweiten Reihe fuhr der Grüne Cem Özdemir. Er warf seinerseits der AfD vor, Deutschland zu verachten, betonte seinen Stolz auf die Vielfalt unseres Landes, verglich Poggenburgs Rede mit dem Auftritt von Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast und warf der Partei vor, einen autoritären Staat anzustreben. Sein großherziges Angebot
„Wenn Sie die Nummer des Ausstiegstelefons für Neonazis brauchen, ich kann sie Ihnen geben“
wurde unseres Wissens bisher nicht angenommen. Der Beifall für Ödzemirs Wutrede und die wütenden Gesten und Gesichter der AfD waren beeindruckend.
In der Türkei vollführt die Justiz Bocksprünge – über die gebeugten Rücken von Journalisten, Schriftstellern und AI-Aktivisten. Im Fall von Taner Kilic, AI-Vorstandsmitglied, währte die Freude über seine Freilassung nur einige Stunden. Ein Gericht hatte ihn freigesprochen, die Familie wartete am Gefängnistor, aber heraus kam er in einem Polizeiauto. Der Staatsanwalt hatte Berufung eingelegt, ein zweites Gericht hatte dem stattgegeben, und Kilic wurde erneut in U-Haft genommen.
Dann wurde Denis Yücel freigelassen, und bei aller Freude darüber, stoßen doch auch die Lügen und Zweifel auf, die sich mit seiner Freilassung verbinden. Die türkische Seite betonte, dass sie „vollständig nach rechtsstaatlichen Prinzipien“ erfolgt sei und dass es „keinerlei politische Einmischung“ gegeben habe. Man hätte auf Grund einer dreiseitigen (!) Anklageschrift entschieden, für deren Erstellung man ein ganzes Jahr (!) gebraucht hatte. Die deutsche Seite, die direkt mit Erdogan verhandelt hatte, ließ verlauten, dass man für „schmutzige Deals nicht zur Verfügung stünde“. Sei es, wie es wolle – Yücel ist frei, nach 367 Tagen.
Wiedersehen vor dem Gefängnis
Am Tage von Yücels Freilassung gab es dreimal lebenslänglich für einen Schriftsteller, einem Wirtschaftsjournalisten und einer Moderatorin. Sie sollen in einer Sendung „subliminale“/unterschwellige Andeutungen über den bevorstehenden Putschversuch gemacht haben, und man ahnt schon, dass davon eine besondere Gefahr ausgeht. Das türkische Verfassungsgericht teilte diese Meinung nicht, denn es hatte schon im Januar die Freilassung des Wirtschaftsjournalisten gefordert, wurde aber von einem untergeordneten Gericht ausgebremst. Der Schriftsteller Ahmet Altan fiel im Prozess durch seine Anklagereden gegen das System Erdogan (unangenehm) auf.
„Es sind in der heutigen Türkei keine Behörden geblieben, die ordentlich funktionieren, bis auf die Friedhofsverwaltung.“
Im März haben dann der Erdogan und die türkische Justiz vom europäischen Gerichtshof einen auf den Fes bekommen. Das Gericht hat den Wert der freien Rede auch in Zeiten des „öffentlichen Notstands“ betont und zwei Journalisten je 21 500€ Entschädigung zugesprochen, weil sie nach dem Putsch zu Unrecht in Untersuchungshaft gekommen waren. Diese Entschädigung, so ist zu befürchten, werden die Richter wohl aus eigener Tasche bezahlen müssen.
Die Kurznachrichten
- Voll funktionsfähig ist auch der lange Arm der Mafia. Er reicht weit über Italien hinaus, nach Süden/Malta, wo der Mord an Daphne Caruana Galizia immer noch nicht aufgeklärt ist, und nach Nordosten/Slowakei, wo der Journalist Jan Kuciak erschossen wurde. Seine Verlobte hat man gleich miterledigt. Wie vor ihm Galizia, hatte auch Kuciak zum Verbleib von EU-Fördermitteln, Mafiaverbindungen von Politikern und Geschäftsleuten und Steuerbetrug recherchiert. Der Doppelmord löste eine Reihe von Rücktritten in der Slowakei aus, wobei es nicht der Ironie entbehrt, dass als erster der Kulturminister zurücktrat, der Filz und Korruption wiederholt angeprangert hatte. Im März aber erwischte es auch die Verdächtigen der ersten Reihe, zunächst den Innenminister und dann Ministerpräsident Fico. Auf Malta tummeln sich die verdächtigen Politiker noch im Freien rum.
- Ein dunkler Schatten fiel im Nachhinein auf die Südamerikareise von Papst Franziskus. Der Papst hatte in Chile für den Missbrauch von Kindern durch Geistliche um Vergebung gebeten, aber wenig barmherzig auf den Vorwurf eines der Opfer reagiert. Der Mann hatte 2015 in einem Brief an den Papst geäußert, er sei als 15-Jähriger von einem Pfarrer missbraucht worden, die Tat sei lange vertuscht worden, der Vertuscher sei heute Bischof. Der Papst sagte in Chile, „es gäbe keine Beweise gegen den Bischof und alles sei Verleumdung“, hat sich dann in Rom (oder schon auf der Rückreise) für die Wortwahl entschuldigt und im Februar den Erzbischof von Malta nach Chile geschickt, um den Fall aufzuklären. Ob dem bei den Ermittlungen die Galle so hoch kam, dass sich die Gallenblase entzündete und er sich deshalb einer Notoperation unterziehen musste, wissen wir (noch) nicht.
Der Bericht des Erzbischofs scheint aber dann doch so ausgefallen zu sein, dass sich der Papst im April bei den Opfern entschuldigt und die chilenischen Bischöfe nach Rom beordert hat. Dort haben sie dann im Mai geschlossen ihren Rücktritt angeboten – die Bischöfe nicht die Opfer. Der (Hl.)Geist, der bekanntlich „weht, wann er will“, hat sich diesmal etwas Zeit gelassen. Im Juni hat der Papst den Rücktritt von drei Bischöfen angenommen. Der Vertuscher war auch dabei.
- Uns kam die Galle hoch, als wir hörten, dass der stolze Stern von Mercedes vor China auf die Knie gefallen ist. Ich weiß, die Metapher ist missraten, aber damit passt sie zu dem, wofür sie steht. Daimler hatte auf Instagram das Foto eines Mercedes mit einem Dalai Lama Zitat gepostet, das da lautete: „Betrachte Situationen von allen Seiten, und du wirst offener.“ Klingt nicht gerade subversiv, aber bei der chinesischen Zensurbehörde werden schon bei „Dal…“ die Alarmglocken geschrillt haben. Bei Daimler auch. Schnell hat man die „ethischen Grundsätze“ im Unternehmensverständnis beiseite geschoben und sich für die Absatzzahlen auf dem chinesischen Markt entschieden. Heraus kam dann eine Entschuldigung, nicht beim Dalai Lama, sondern beim chinesischen Volk. An sich entspricht das der Aussage des Dalai Lama: Man hat die Situation von einer anderen Seite gesehen.
- Wir kuschen aber nicht nur vor China, sondern auch vor den USA. Zur Sicherheitskonferenz war auch der iranische Außenminister eingeladen, aber eine Woche vor Beginn der Konferenz meldete der Flughafen in München nach Teheran, dass die Mineralölfirmen, die auf dem Flughafen das Kerosin lieferten, sich weigerten, das iranische Flugzeug für den Rückflug zu betanken, weil sie Angst hatten, damit gegen Sanktionen zu verstoßen, die die USA gegen den Iran verhängt hatten. Kurz bevor sich der Minister zu Fuß auf den Weg machte, kam ein Tankwagen der Bundeswehr aus Ingolstadt und versorgte das Flugzeug. Um den CIA zu verwirren, hatte man vorher das Autokennzeichen unkenntlich gemacht. (Satire!)
- Mehr Rückgrat/Härte zeigt Bayern bei der Betreuung von Flüchtlingen. Rechtsberatung darf nicht mehr in den Erstaufnahmezentren stattfinden, sondern müsse, wenn überhaupt, auf den Straßen vor den Heimen angeboten werden. Die Begründung ist mehr als lachhaft: die Flüchtlinge bräuchten einen „geschützten Wohnbereich, damit sie zur Ruhe kommen können“. „Ruhig stellen“ wäre angemessener gewesen, denn dann könnte man eine Reihe dieser blöden Asylanträge verhindern. RA Hubert Heinhold, spricht von einem „eklatanten Verstoß“ gegen europäisches Recht. Der Meinung sind wir auch, denn der AI-Infobus muss ebenfalls draußen bleiben.
Infobus von AI - ausgesperrt
- Unser (zweiter) Faschingsbeitrag gilt der Altneihauser Feierwehrkapell’n, die sich in Veitshöchheim bei der Attacke auf Brigitte Macron arg im Ton vergriffen hat. Denen haben heuer nicht nur die Zähne sondern auch die Gehirnzellen gefehlt. Es spricht für das Publikum, dass der Beifall mehr als verhalten kam, viele Gesichter betreten waren und sogar einzelne Buh-Rufe ertönten. So wie man an Silvester nicht alle begrabschen darf, darf man auch im Fasching nicht alles besingen. Ich hoffe, die Altneihauser besinnen sich nächstes Jahr wieder auf ihren eigentlichen Daseinszweck, die Frankenschelte. Gerade jetzt, wo ganz Bayern einen fränkischen Ministerpräsidenten hat!
- Geschmacksverirrt zeigte sich auch der russische Präsident Putin, als er im Kreise gut ausgestatteter und herausgefütterter Schönheiten an den 75. Jahrestag der Schlacht von Stalingrad erinnerte. Wem fallen da nicht die anderen Fotos von den Soldaten und der Bevölkerung ein – zerlumpt und ausgehungert?
Prototypen von Stalingradkämpfern?
Damit wollen wir aber nicht den Mann vergessen, der der Welt Stalingrad – und letztendlich auch diese Fotos – eingebrockt hat und dessen Regime der Widerstandskämpfer Adolf von Harnier wie folgt beschrieben hat:
Die Staatsgewalt ist „in Händen eines Irren; der Irre in Händen von Verbrechern“!
- Frauen in ungewöhnlicher Aufmachung waren (für kurze Zeit) auch im Iran zu sehen. Ende Januar veröffentlichten Frauen im Netz Fotos von sich – und zeigten sich dabei ohne Kopftuch! Es gab 29 Festnahmen wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“. Da werden einige Mitglieder der Sittenpolizei scharf geworden sein! Schon im Dezember war Vida Movahed in Teheran auf einen Stromkasten gestiegen, hatte ihren Hijab an einen Stock gebunden und ihn wie eine Fahne geschwenkt.
Protest auf dem Stromkasten
Auch sie war zunächst festgenommen, aber dann nach weltweiten Protesten und einer Solidaritätskampagne im Iran gegen Kaution freigelassen worden. Im März gab es dann eine Verurteilung zu zwei Jahren Haft. Eine Eilaktion von AI zum Frauentag am 8. März zeigte, dass es Shima Babaee erwischt hat und aus Gründen der Familienzusammenführung hat man ihren Mann Dariush Zand gleich mit eingesperrt. Die folgende Aufnahme könnte aus dem Jahre 1979 stammen, als es im Zuge der Islamischen Revolution zum Kopftuchgebot kam.
Vergangenheit oder Zukunft?
- Miesbach hat es, wie in den 1920er Jahren mit seinem „Miesbacher Anzeiger“ wieder in die nationalen Schlagzeilen geschafft. Ein Amtsrichter hatte bei einem Prozess gegen einen Afghanen das Kreuz im Gerichtssaal abhängen lassen, um dem Angeklagten „zu verdeutlichen, dass hier der Rechtsstaat urteilt und nicht das Christentum“ – wohl aber auch, um zu vermeiden, dass man leichter in Berufung gehen könne. Diese Entscheidung brachte manche christliche (?) Volksseele zum (Über)Kochen – und zu etwas missglückten Wortspielen: „Abgehängt gehört nicht das Kreuz, sondern Sie.“ Das Seelsorgeteam der katholischen Pfarrverbände hat souverän reagiert, hat sich für das Kreuz in öffentlichen Räumen ausgesprochen, für die Entscheidung des Richters in diesem Einzelfall aber Verständnis gezeigt, und den Hasspredigern eine klare Absage erteilt.
„Für christliche Werte eintreten … ja, unbedingt. Menschen auf unchristliche Art und Weise beschimpfen: nein, danke!“
In unserem Briefkasten ist zu dieser Sache ein Flugblatt gelandet, auf dem eine Münchner Fundamentalistin die Richterschelte aufgegriffen hat. Als wir die Frau googelten, stellte sich heraus, dass sie 2014 wegen Volksverhetzung zu 1000,-€ Geldstrafe verurteilt worden war. Und wissen Sie, an wen diese zu zahlen war? An Amnesty International! Wie unsere Gruppe darauf reagiert hat, sage ich lieber nicht. Da käme ich mit dem Seelsorgeteam in Konflikt, denn Schadenfreude gehört ja nicht gerade zu den primären christlichen Werten.
März 2018
Erinnern Sie sich noch an den unvermeidlichen Frühlingshit aus den Schulbüchern vom Bauern und seinen Rösslein? Ich habe ihn, er hat es auch bitter nötig, etwas den neuen Zeiten angepasst:
„Im Märzen der Müller die Hände aufhält …“
Unser Bauer heißt Matthias Müller und er erhielt zu seinem bescheidenen Grundgehalt noch einen Bonus von 7,3 Millionen dazu, so dass schließlich 9,5 Millionen zusammenkamen. Ob damit auch die Abfindung abgedeckt wurde, die ihm zustand, als er einen Monat später als VW-Vorstandsvorsitzender gefeuert wurde, können Sie glauben oder auch nicht. „Nur kein Sozialneid“, pflegte bei solch subversiven Bemerkungen immer der Onkel meiner Frau zu sagen, aber wenn man die Kontroverse über die Aussperrung und Wiederzulassung von Flüchtlingen bei der Tafel in Essen verfolgt, dann fragt man sich schon, wofür zu viel und wofür zu wenig Geld da ist. Klar geworden ist mir allerdings, dass Jens Spahn recht hat, wenn er sagt, dass Deutschland „eines der besten Sozialsysteme der Welt habe“ – für die Manager, versteht sich.
Im Märzen hat uns auch die Frage bewegt, wie es um unsere multikulturelle Gesellschaft bestellt ist. Wenn man davon absieht, dass sie für viele schon zum Unwort geworden ist und man schon offen sagt, dass man es doch wieder einmal mit einem autoritärem und völkisch einwandfreiem System probieren könnte, haben einige Ereignisse und Äußerungen gezeigt, dass einige Gruppen unter verbalen und non-verbalen Beschuss geraten sind, dass „multikulti“ zunehmend nicht mehr „gemeinsam leben“ sondern „getrennt verprügelt werden“ bedeutet. Das „Verprügeln“ ist nicht nur bildhaft, sondern manchmal auch wörtlich gemeint.
- Der Islam: Da hat sich unser neuer Innenminister mit der hochdeutschen Version von „Mia san mia“ eingeführt und den Islam aus Deutschland verbannt. Die Moslems dürfen natürlich bleiben, wenn sie auf den Islam verzichten – also die Minarette auf Garagenhöhe reduzieren und den Koran unter dem Ladentisch vertreiben. Da ist der Ansatz von Markus Söder schon etwas differenzierter. Für ihn gehört der Islam zu Bayern, wenn man auf dem Sommerfest der Ditib-Gemeinde spricht und nicht zu Bayern, wenn es sich um eine CSU-Veranstaltung handelt. Die „SZ“ folgert daraus:
„Ihren niedrigsten Stand erreicht die Zugehörigkeit des Islam zu Bayern demnach alljährlich am Aschermittwoch zwischen
10 und 13 Uhr.“
Als Nachtrag zum Thema deutsche Identität ein satirischer Blick auf die Belegschaft von Seehofers Innenressort.
Allerdings muss man der Fairness halber sagen, dass ihm zwei Frauen einen Korb gegeben haben. Eine von ihnen wollte definitiv in Bayern bleiben, „denn außerhalb Bayerns gibt es kein Leben“.
- Das Judentum: Soweit ist es aus nahe liegenden Gründen noch nicht, dass man dem Judentum die Zugehörigkeit zu Deutschland abspricht, aber Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden (und einer der am meisten gefährdeten Personen in Deutschland) meint,
„dass man zwar noch nicht auf gepackten Koffern säße, aber der eine oder andere schon mal nachschaue, wo er die Koffer hingestellt habe“.
Da ist „du Jude“ auf Schulhöfen ein gängiges Schimpfwort geworden, da wurde eine Zweitklässlerin beschimpft, weil sie nicht an Allah glaube, und ein 18-jähriger als „Kindermörder“ beschimpft. Da wurde im April ein israelischer Araber von einem Syrer mit einem Gürtel angegriffen, weil er es einmal ausprobieren wollte, mit einer Kippa durch Berlin zu laufen, ein Vorfall, der einige Tage später zu der Demo „Berlin trägt Kippa“ führte, zeitgleich mit der Empfehlung des Zentralrates der Juden, in deutschen Großstädten statt der Kippa lieber eine Basecap aufzusetzen.
Berlin trägt Kippa – mit Vorbehalt
Die aufgeführten Beispiele vermitteln den Eindruck, dass antisemitische Beschimpfungen und Straftaten in erster Linie auf das Konto von (muslimischen) Ausländern gehen, aber das ist nicht von der Statistik abgedeckt. Von den 1452 Straftätern des Jahres 2017 hatten 1377 einen rechtsextremistischen und damit deutschen Hintergrund, 33 waren Ausländer, 25 standen dem Islamismus nahe oder hatten andere (pseudo-)religiöse Motive. Dass inzwischen auch der Satz des Schriftstellers Gerhard Zwerenz „Linker Antisemitismus ist unmöglich“ nur mehr eingeschränkt gilt, soll nicht verschwiegen werden.
- Die Türken: So wie deutsche Juden in einigen Fällen als Sündenböcke für Israels Siedlungspolitik herhalten müssen, so müssen türkische Moscheen, Geschäfte und Vereinsheime in Deutschland den Feldzug Erdogans nach Nordsyrien ausbaden. Und sicher werden nicht alle diese Einrichtungen von Erdogans Fanklubs betrieben. Unter Verdacht stehen kurdische Extremisten, der Vorsitzende der kurdischen Gemeinde spricht von „menschenverachtender Gewalt“ und meint damit die Anschläge in Deutschland – und nicht den türkischen Einmarsch in Afrin.
- Die Christen: Sie wurden nicht verprügelt, aber gewaltlos enteignet. Als erstes kam der Osterhase abhanden, der in einigen Supermärkten als Traditionshase gehandelt wurde. Den gibt es bei Lindt zwar schon seit 1992, aber der Ex-Abgeordneten Erika Steinbach ist er erst jetzt aufgefallen. Hat ihren Enkeln, so sie welche hat, wohl nie Schokolade gekauft. Jörg Meuthen/AfD sah darin eine „Unterwerfung unter den Islam“, die „Heute-Show“ überbot Dummheit mit Geschmacklosigkeit und zeigte eine Collage mit einem Osterhasen am Kreuz.
Und im Kindergarten von Markt Schwaben fiel Ostern als ganzes aus, zumindest, wenn man darunter versteht, dass es, theologisch betrachtet, eigentlich ein Ostereiersuchfest ist. Das Kinderhaus „Villa Drachenstein“ erklärte die Religion zur Sache der Eltern zuhause und führte statt Ostern ein Projekt zum irischen St.Patrick’s Day durch, der allerdings auch nicht ganz frei von religiösen Konnotationen ist. Und statt Ostereier durften die Kinder nach den Goldschätzen der Kobolde suchen. Stilecht für den Hl. Patrick hätte man aber Schlangen verstecken müssen, denn die hat der Heilige aus Irland vertrieben.
Die Kobolde von Markt Schwaben
Im Vorfeld des „Marsches für unsere Leben“, der am 24. März 500 000 Waffengegner nach Washington führte, gab es Meldungen, die verblüffend, erwartbar, absurd und (bedingt) erfreulich waren. Verblüffend war, dass sich Präsident Trump (auch einmal) von der Waffenlobby distanzierte. Allerdings tat er dies mit Worten, die weitere Finanzspritzen für seine Wahlkämpfe nicht verhindern werden.
„Das (die NRA) sind gute Kerle, aber das heißt nicht, dass man ihnen immer Recht geben muss.“
Erwartbar war das Ergebnis einer Analyse von Versicherungsdaten, die ergab, dass es während der mehrtägigen Treffen der NRA 20% weniger Schutzverletzungen gab als sonst. Wer soll denn schießen, wenn sie saufen? Deshalb unser Vorschlag: „Lasst sie tagen, tagen, tagen!“
Absurd die These einiger Verschwörungstheoretiker, die das Schulmassaker in Parkland zu einer „Aktion linker Provokateure machten, die den friedliebenden Amerikanern die Waffen wegnehmen wollten“.
Und (bedingt) erfreulich war das neue Waffengesetz in Florida, wo das Mindestalter für Waffenkäufe auf 21 Jahre heraufgesetzt und die „bump stocks“ verboten wurden. Bedingt deswegen, weil gleichzeitig, und das gegen den Widerstand des Gouverneurs, die Bewaffnung von Schulangestellten und Sportlehrern ermöglicht wurde.
Wenn ein Schüler also jetzt den Unterricht stört, …!
Und dann kamen sie nach Washington, mit an der Spitze die „glatzköpfige Lesbe“ (so ein republikanischer Politiker) Emma González, die eine Rede hielt, die überwiegend aus „gesammelten Schweigen“ bestand. Sie verlas die Namen der 14 Opfer und stand dann 6 Minuten und 20 Sekunden (die Dauer des Massakers) wortlos auf der Bühne. Ergreifend auch der Auftritt der 9-jährigen Yolanda Renee King, die ihren Großvater Martin Luther zitierte:
„Ich habe einen Traum: Dass genug genug ist. Dies sollte eine waffenfreie Welt sein. Punkt!“
Die müsste man doch hören!
Es gab aber auch politische Sprechchöre, die sich auf die Kongresswahlen im Herbst bezogen: „Wählt sie ab!“ dürfte vor allem den Republikanern in den Ohren klingen, die am Tropf der NRA hängen. Ob aber der Aufstand der Schüler wirklich zu einem „Never Again/Niemals wieder“ führt, da gibt es Zweifel. Trump hat schnell wieder den Schulterschluss mit der NRA gesucht und verlautet, dass es für härtere Waffengesetze einfach keine Mehrheit gäbe.
Die Kurznachrichten
- „Diktatur gewinnt“, war eine Überschrift zur Veröffentlichung des „Transformationsindex“ der Bertelsmann-Stiftung. Der Index beschreibt in 129 Staaten die Entwicklung hin zu und weg von der Demokratie, und die Überschrift zeigt schon, wohin die Reise geht. Es gibt 58 Autokratien/Diktaturen (Eritrea & Co.), und bei 13 Staaten hat sich die Situation so verschlechtert, dass sie „keine demokratischen Mindeststandards“ mehr erfüllen (Nicaragua & Co.). Auch in Europa „manövrieren sich einige Staaten abwärts“ (Polen & Co.). Ein Verfasser der Studie kommentiert lakonisch:
„Wir geraten in eine Situation, in der die Strahlkraft des Konzepts (Demokratie) dramatisch nachlässt.“
Da ruft Präsident Xi Jinping zur „blutigen Schlacht“ gegen die Feinde Chinas auf, da finden in Russland und Ägypten Wahlen statt, wo die Herausforderer eingesperrt (Ägypten) oder mit juristischen Mätzchen an der Teilnahme gehindert werden (Russland), und da wo man vermutet, dass Demokratie bedrohlich nach Freiheit riecht, da nennt und betreibt man sie halt „illiberal“ (Ungarn). Darauf gehört unvermeidlich der Satz von Winston Churchill aus dunkleren Zeiten:
„Die Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen, abgesehen von allen anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.“
- Lange vorbei sind die Zeiten, als ungarischen Reiterscharen nach Westen ausschwärmten und bayrische Klöster brandschatzten. Heute igelt Orban sich ein und wettert gegen Flüchtlinge, die doch nur ein besseres Leben suchen und nicht als „muslimische Invasoren“ Europa übernehmen wollen. Ein Hang zur „Brandschatzung“ ist dem Ungarn jedoch geblieben: Aber heute kommt das Geld nicht mehr von den Raubzügen, sondern wird von Brüssel geliefert.
Komplementär zum Boom der Autokratien sind die Zivilgesellschaften unter Druck geraten. Man hat dafür einen englischen Begriff geprägt, der dem Volksbegehren gegen den Flächenfraß in Bayern entlehnt sein könnte: „shrinking spaces/schrumpfende Räume. Aber hier geht es um die Lebensräume von Bürgerbewegungen, Journalisten und Menschenrechtlern, die zunehmend blockiert, inhaftiert und ermordet werden.
- Ein politischer Mord hat Brasilien in die Schlagzeilen gebracht - in die das Land schon lange gehört hätte. Ein Land, „das immer mehr zur Bananenrepublik verkommt, in dem die Gesellschaft aus den Fugen geraten ist und das unmittelbar vom Faschismus bedroht ist“, so bewertet ein brasilianischer Autor sein Heimatland. Und jetzt noch die „Hinrichtung“ der Lokalpolitikerin und Menschenrechtlerin Marielle Franco – mit mehreren Kopfschüssen und auf offener Straße in Rio de Janeiro.
Marielle Franco
Frau Franco hatte sich lautstark gegen Sexismus, Rassismus, Homophobie und Übergriffe der Polizei eingesetzt, und letztere dürfte auch die Killer mit Munition versorgt haben. Widersprüchlich und „aus den Fugen geraten“ waren auch die Reaktionen auf den Mord. Als ein Pfarrer in der Messe Marielle mit einer Schweigeminute gedachte, verließen zwei „Gutbürger“ laut pöbelnd die Kirche, und eine Richterin stufte das Opfer als „gewöhnliche Leiche“ ein, weil sie doch nur von Dealern getötet worden war, die mutmaßlich (aber erlogen) eine alte Rechnung mit ihr zu begleichen hatten. Andererseits aber kamen mehrere Tausend Menschen zusammen, um gegen Polizeigewalt zu demonstrieren. Das gab es in Brasilien schon lange nicht mehr.
- Eingetauscht hat sich der CIA mit Gina Haspel eine Chefin, die eher vor Gericht gehört als in ein hohes Amt. Wir haben ihr letztes Jahr schon die (Un)Ehre erwiesen, als sich ihre Berufung abzeichnete, erwähnen sie aber (ungern) noch einmal, um zu zeigen, welche Typen in der Ära Trump Karriere machen. Die scharfe Gina soll im Außeneinsatz beim Waterboarding „mitgeholfen“ haben.
„Katzenauge“ – ein Horrorfilm von 1985
- In den Bereich „Horror“ einzuordnen ist auch die „Gruppe Freital“, sächsische „Feierabendterroristen“, die Sprengstoffanschläge auf Objekte verübt hatten, die mit Flüchtlingen (Heime) oder der Linken zu tun hatten (Parteibüro, Auto, Wohnprojekt). Der Tod von Menschen wurde dabei billigend in Kauf genommen, aber dass niemand ums Leben kam, war mehr Glück als Verstand – und wurde von der Verteidigung genutzt, um die Taten als Lausbubenstreiche zu verharmlosen. Befremdlich auch der Prozessverlauf: Was von den Zuschauerbänken und an Kommentaren kam, machte deutlich, dass die Angeklagten nur die Speerspitze (von einigen Segmenten) des Volkswillens waren. Die Strafen reichten von vier bis zehn Jahren, die Urteilsbegründung des Richters war eindeutig:
„Dieses Verfahren ist einzig Konsequenz Ihrer Taten. Sie sind hier nicht die Opfer. Das sind die Menschen, die Sie in Angst und Schrecken versetzt haben.“
- Angst und Schrecken zeigt sich auch auf den Gesichtern von Mädchen, die zwangs- und frühverheiratet werden – natürlich in muslimischen Ländern oder in Hinterindien. Aber nicht in den USA! Doch – und das nicht erst unter Trump! Zwar gibt es in den meisten Einzelstaaten ein Mindestalter für Eheschließungen (18), aber bei „elterlicher Zustimmung“ (oder elterlichem Druck) werden großzügig Ausnahmeregelungen eingeräumt. Da wollen Eltern das Sexualverhalten ihrer Kinder unter Kontrolle sehen, die Familienehre schützen, oder ihren sozialen Status anheben – auf Kosten ihrer Kinder, die sie in eine Frühehe zwingen.
In Colorado dürfen 12-jährige heiraten
- Abgeordnete der AfD sind auf Reisen gegangen – und leider wieder zurückgekehrt. Sie fuhren nach Syrien, wohl aber nicht nach Ost-Ghouta.
Ein Besuch daselbst hätte sich schlecht mit dem Ziel der Reise vertragen, die Möglichkeiten für eine Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihre Heimat zu untersuchen. Sie trafen dort auf verständnisvolle Gesprächspartner. Ein Minister säuselte ihnen vor, dass man schon „100 000 feindliche Kämpfer friedlich ins Zivilleben integriert habe“. Auch beim Großmufti Ahmed Hassun machte man Station: Er hatte 2011 gedroht, im Falle einer westlichen Intervention Europa mit Selbstmordattentätern zu beschicken.
Und Assad blickt huldvoll von der Wand
- Zum Abschluss etwas leichtere Kost – Frühlingsrollen, leicht versalzen gewissermaßen. Der katholische Echter-Verlag hat das Werk „Christliches in der AfD“ veröffentlicht. Es enthält 32 überwiegend leere Seiten und lediglich folgende drei Sätze:
„Wir haben recherchiert und haben herausgefunden: Da gibt’s nichts, gar nichts. Sie können blättern, so viel Sie wollen – es gibt nichts.“
Der Verlag verlangt dafür 2,90€ und vermeldet bereits Lieferschwierigkeiten wegen großer Nachfrage. Die AfD prüft eine Klage. Sic!
- Kurz vor Ostern lieferte die Münchner Frauenkirche (Brenn)Stoff für das Rätsel der Woche: Wie kam die BND-Funkanlage auf den Nordturm des Domes? Irgendwann vor 1989 verbaute der Auslandsgeheimdienst eine Anlage, die es ermöglichte, Spione und ausländische Diplomaten zu beschatten. 2011 soll sie abgeschaltet worden sein, da wurden vielleicht die Glocken zu laut. Jetzt, da es aufgekommen ist, möchte die Kirche die Abhörtechnik im Dom nicht mehr dulden, der BND versprach, die Anlage noch vor Ostern abzubauen. Hoffentlich wird nichts vergessen!
- Leichtere Kost kam auch aus dem „Bickerlland“ Österreich. Dort hält der Staat die Hand auf und kassiert bis zu 150€ Strafe, wenn jemand gegen das Burka- und Verschleierungsverbot verstößt. Rund 50 Menschen sind bisher angezeigt worden, aber bei der Mehrzahl handelte es sich um Träger von Skimasken oder um asiatische Touristen mit Atemschutz.
- Ein Projekt, dem man ein langes Leben wünschen würde, ist in München entstanden. Fans von Bayern und 1860, deren „erste Mannschaften sich sportlich seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr begegnet sind“, haben sich zusammengetan und zeigen gemeinsam Flagge gegen Rechts: die Blauen fordern nazifreie Stadien, die Roten erinnern an den Vereinspräsidenten Kurt Landauer, der vor den Nazis fliehen musste.
In Farben getrennt, in Erinnerung vereint.
- Und dann noch eine AI-Nachricht mit Annäherung an das christliche Ostergeheimnis. Nach drei Jahren des (Ver)Schweigens hat ein höherer Polizeibeamter in Simbabwe über Fernsehen die Öffentlichkeit aufgefordert, Informationen über den Verbleib des verschwundenen Journalisten Itai Dzamara zu liefern. Wir machen uns wenig Illusionen, aber jetzt besteht zumindest die Hoffnung, dass seinem Schicksal nachgegangen wird.
April 2018
Eine Sozialpädagogin hat den April einmal als „pubertierende Allwetterperiode“ bezeichnet, und in Bayern hat man in diesem Monat wahrlich einiges erlebt, was man als „unreif, unausgegoren, sprunghaft“ ablegen könnte – wenn man es denn ablegen könnte. Da werden im Verfassungsschutzbericht 2017 mehr als 18 000 Extremisten geführt, denen 131 Gewalttaten zugeordnet werden, 68 für rechts und 54 für links. Dabei ist der „schwarze Block“ der extremen Linken trotz Vermummung leichter zu orten als die Neonazis, denn die tauchen ab, wenn’s brenzlig wird, vermutlich nach Argentinien wie ihre Vorfahren.
Neben den Extremisten aller Couleur sollte man aber auch den „Recht- und Ordnungsextremismus“ der bayrischen Staatsregierung nicht übersehen. Da war ein Hilfegesetz für psychisch Kranke geplant, das diesen Personenkreis in die Nähe von Straftätern rückt. Es wäre beispielsweise bei jeder Entlassung aus der Psychiatrie die Polizei zu benachrichtigen, auch wenn es nicht „der Gefahrenabwehr“ dient. Auch sollte eine Unterbringungsdatei erstellt werden, deren Daten allen möglichen Behörden zur freien Verfügung gestellt werden. Und dann sollten Besuche in den Einrichtungen registriert und gespeichert werden. Damit hätte man dem gläsernen Patienten gleich noch den gläsernen Besucher beigesellt. Als Psychiater, Betroffenenverbände und Datenschutzbeauftragter zum Sturmlauf ansetzten, ruderte der Ministerpräsident, der ein feines Gespür für die Volksmeinung hat, etwas zurück. Wie weit wird man sehen! Im Gesetzesentwurf vom Juni ist u.a. die Unterbringungsdatei gestrichen, sodass jetzt der Weg frei ist für „ein vorbildliches Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz“ - meint der Patienten- und Pflegebeauftragte der Staatsregierung.
Hart blieb „Landgraf Söder“ (bisher) beim PAG, dem neuen Aufgabengesetz für die bayrische Polizei, das von Kritikern schon einmal als „härtestes Polizeigesetz seit 1945“ bezeichnet wurde. (Bis 1933 traute man sich dann doch nicht zurückzugehen!) Das Gesetz glänzt mit Formulierungen, die beliebig dehnbar sind: Die Polizei kann bereits bei „drohender Gefahr“ präventiv tätig werden, als ob jeder Bürger ein potentieller Terrorist sei und kann frühzeitig eingreifen, wenn es um Dinge geht, „deren Erhalt im besonderen öffentlichen Interesse sind“. Da fällt dann auch der drohende Diebstahl eines Maibaums darunter. Auf bewaffnete Drohnen will man (nach Protesten) verzichten, die Polizei muss sich (wie bisher) mit Handgranaten und Maschinengewehren begnügen. Und die Vorbeugehaft soll bei konkreten Anhaltspunkten auf eine geplante Straftat bis auf ein Jahr/oder unendlich verlängert werden.
Auf das PAG hat ein NoPAG-Bündnis reagiert, das in München eine Demo mit 30 000 Teilnehmern zustande brachte, die ihre Angst vor einem Überwachungsstaat kreativ und humorvoll zum Ausdruck brachten. Eine Teilnehmerin schrieb auf ihr Schild: „Ich habe nichts zu verbergen.“ Und auf der Rückseite: „Euch geht es trotzdem nichts an.“
Die CSU reagierte eher humorlos. Ihr Innenminister sprach von „billiger Stimmungsmache“, und drei Tage später wurde das Gesetz verabschiedet. Die „SZ“ lehnte sich in einem Leitartikel ziemlich weit aus dem Fenster:
„Die CSU setzt ein Polizeiaufgabengesetz durch, das gefährlicher, ja dümmer ist, als es die Polizei erlaubt.“
Teilnehmer an der Demo berichteten übrigens, dass die Polizisten, die zur „Überwachung“ der Demo abgestellt waren, nichts taten, um einen flüssigen Abmarsch vom Marienplatz zu ermöglichen – ganz im Gegenteil!
Der 3. Aprilscherz kam mit dem Kreuzerlass. Der fällt zwar, streng genommen, nicht mehr unter Extremismusverdacht - obwohl, wenn man Söders Auslassung zur „identitätsstiftenden Wirkung“ des Kreuzes liest, könnte man meinen, dass so etwas auch von der Identitären Bewegung kommen könnte. Einig war man sich in allen Lagern, nur wurde es nicht immer offen ausgesprochen, dass die Hammerschläge bei der spektakulären Aufhängaktion in der Staatskanzlei ein Startschuss für den bayrischen Wahlkampf waren. Den Rückstoß auf den Startschuss verursachte eine Seite, von der die CSU eher Unterstützung erwartet hätte. Er fiel zwar nicht so drastisch aus, wie in dieser Karikatur dargestellt,
Bayrisches Fingerhackeln
aber Kardinal Marx deutete vorsichtig an, dass eine Reduktion des Kreuzes auf ein kulturelles Symbol (von Söder wegen Gegenwind später korrigiert) doch „problematisch“ sei.
Ich erlaube mir, persönlich zu werden. Ich habe nichts gegen die Aufhängung eines Kreuzes in öffentlichen Räumen, wenn es als Zeichen gesetzt ist, dass in diesen Räumen „Toleranz und Nächstenliebe“ praktiziert werden. Das ist bei manchen Sozialämtern und Ausländerbehörden nicht immer der Fall. Ein Leserbriefschreiber hat das mit einer Härte formuliert, die wir so pauschal nicht teilen wollen, denn schließlich wird dieser Bericht vielleicht auch in Behörden gelesen. Aber die Gelegenheit, ein „teuflisches Gelächter“ hervorzurufen, wollen wir uns nicht entgehen lassen. Im Leserbrief heißt es:
„Endlich ein Landesvater, der dazu steht, dass jeder Bürger, der eine Behörde betritt, sofort erkennt: Hier hast du, lieber Bürger, zu Kreuze zu kriechen, hier wirst du aufs Kreuz gelegt, … hier kannst du uns kreuzweise!“
Die Kurznachrichten
- Während in Bayern nur gezündelt wurde brannte es an andern Orten lichterloh. In Duma/Syrien kam es zu einem Giftgaseinsatz, mutmaßlich aus Beständen der syrischen Armee, die 2014 beim Deal mit Obama vernichtet worden waren. Die russische Armee sprach zunächst von einer Inszenierung des Angriffs à la Hollywood und dann von einer „direkten Beteiligung“ Großbritanniens. Und dann verweigerte sie den Inspektoren der Organisation zum Verbot chemischer Waffen (aus Sicherheitsgründen) mehrere Tage lang den Zugang. Eine solche Verschleppungstaktik ist bei Giftgasangriffen auch dringend zu empfehlen, denn dann können die Kampfstoffe in aller Ruhe abgebaut werden. Russische Soldaten und eine Gruppe ausgesuchter Journalisten durften den (Nicht)Tatort schon eine Woche später besuchen.
Hier das Ergebnis ihrer Ermittlungen:
- Am Karfreitag machten sich am Grenzzaun zum Gazastreifen 20 000 Palästinenser zum „Marsch der Rückkehr“ auf. Als Marschgepäck führten sie Autoreifen mit, die sie anzündeten und in Richtung israelische Soldaten rollten. Wie man sich vorstellen kann, kamen sie nicht allzu weit. Die Nachrichtenlage ist wie immer verworren, aber unbestritten ist die Zahl der Todesopfer (20) – alles Palästinenser. Die israelische Armee scheint nach Einsatz der üblichen Demowaffen (Tränengas, Wasserwerfer) auch Scharfschützen eingesetzt haben, die, nach israelischer Lesart, auf Jugendliche schossen, die versuchten über den Zaun zu klettern, während die palästinensische Seite sagt, man hätte gezielt auf Rädelsführer geschossen und einige Opfer würden Schüsse in den Rücken aufweisen, was eher auf Davonlaufen als auf Drüberklettern hinweist. Umstritten ist auch die Rolle von Hamas und Islamischer Dschihad: Zumindest in der Anfangsphase scheint der Marsch nicht von ihnen organisiert gewesen sein, aber inzwischen sind sie auf den fahrenden Zug aufgesprungen und tragen ihren Teil zur Eskalation bei, z.B. durch Mörserbeschuss eines Kindergartens in einem grenznahen Kibbuz.
Die UN wollte die Verhältnismäßigkeit des israelischen Waffeneinsatzes untersuchen, aber der israelische Verteidigungsminister Liebermann hat das schroff abgelehnt. Seine Begründung muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Die Soldaten hätten getan, “was nötig war“ und „jeder von ihnen habe eine Auszeichnung verdient“. Im Nahen Osten hat Picassos Friedenstaube Feuer am Schwanz.
Unverhältnismäßig war aber auch die Rede, die Palästinenserpräsident Abbas im Mai gehalten hat. Er behauptete, dass der Holocaust nicht durch Antisemitismus, sondern durch das „soziale Verhalten“ der Juden, wie das Verleihen von Geld, ausgelöst worden sei. Da hat man bei uns die alte und die neue Rechte johlend Beifall klatschen hören. Abbas allerdings hat sich nach einigen Tagen für diese Äußerung entschuldigt.
- Der Computer-Pionier Jaron Lanier hat ein Buch geschrieben mit einem Titel, der Aufforderungscharakter hat: „Zehn Gründe, warum du deine Konten bei den sozialen Medien sofort löschen musst.“ Ich weiß nicht, ob Brennan Gilmore aus Charlottesville/Virginia seine Konten gelöscht hat. Er hätte gute Gründe dafür gehabt. Brennan hatte die Attacke des Neonazis James Alex Fields gefilmt, der im August 2017 mit einem Auto in eine Demonstration gegen ein Treffen von rechten Gruppierungen gerast war und dabei eine Frau getötet hatte. Im Netz ging es dann ab – aber nicht gegen Fields, sondern gegen Gilmore. Man warf ihm vor, die Attacke inszeniert zu haben, um einen Rassenkrieg zu provozieren und damit Trump aus dem Amt zu drängen. Eine Verschwörungstheorie, die auch von Trump selber stammen könnte.
Um vor der eigenen Tür zu kehren, sei ein deutscher Kommentar zum Attentat angefügt: Er lautete: „Auto raste aus Wut und Verzweiflung in eine Hetzerische Randale von Linksfaschisten.“ Der Verfasser hätte sicher gerne den Beifahrer gemacht.
Ein Auto „voller Wut und Verzweiflung“
- Leider keine Fake News sind die Nachrichten über die anhaltende sexuelle Gewalt in Indien, die auch vor (kleinen) Kindern nicht Halt macht. Deshalb soll jetzt für Vergewaltiger von Kindern unter zwölf (!) Jahren die Todesstrafe vorgesehen werden. Die Meinung der indischen Menschenrechtlerinnen dazu ist gespalten. Die Gegner weisen darauf hin, dass in 94% der Fälle die Täter aus der Familie oder dem Bekanntenkreis des Opfers stammen, was zur Folge haben könnte, dass es seltener zu Anzeigen kommen würde, wenn dem Täter die Todesstrafe drohte und nicht, wie oft bisher, ein paar Jährchen Haft - oder gar ein Freispruch durch ein Dorfgericht. Ein solches Dorfgericht hatte im Mai über die Vergewaltiger einer 16-Jährigen zu befinden. Es verurteilte die Hauptverdächtigen zu einer Geldstrafe von 750 Dollar und 100 Situps/Rumpfheben, was sie so erboste, dass sie die Eltern des Mädchens verprügelten und ihr Haus mit dem Mädchen in Brand setzten. Da wird`s wohl ein paar Situps hinzugeben!
- An einem Dienstag hatten Netzzensoren in Fernost einen „Großkampftag“. Es war in den sozialen Medien zu einer Eskalation gekommen, weil „eine Studentin, die von ihrer Uni Transparenz in einem lange zurückliegenden Vergewaltigungsfall gefordert hatte, war … (vorübergehend) unter Hausarrest gestellt worden“. Die „MeToo-Kampagne“ hatte China erreicht – und wurde von der Partei postwendend als Sicherheitsrisiko eingestuft.
Yue Xin
- Und weil wir schon bei den mutigen Frauen sind: Auf den Philippinen hat sich die australische Nonne Patricia Fox mit Staatschef Duterte angelegt. „Du Nonne“, soll er gewütet haben, „kritisierst deine eigene Regierung“. Da gibt’s auch einiges zu kritisieren. Auf der Insel Mindanao, wo das Militär unter dem Mantel des Kriegsrechts nicht nur auf islamistische Terroristen losgeht, sondern auch die im Anti-Drogen Krieg erlernten Methoden anwendet, um in Zusammenarbeit mit den Minengesellschaften den Bauern das Land abzujagen, hat Sister Pat offensichtlich einiges über mysteriöse Morde erfahren und ihr Wissen öffentlich gemacht. Zum 25. Mai (oder auch zum 18. Juni) sollte sie ausgewiesen werden, aber ihr Einspruch beim Justizministerium hat (bisher) die Abschiebung blockiert. Der neue Justizminister sollte sich vorsehen; sein Vorgänger ist erst im April von Duterte gefeuert worden.
Sister Pat
- Damit die Frauen nicht allzu groß werden, ein kurzer Streifzug durch die Kriminalstatistik von 2017. Da gab es zwar eine Zunahme bei Sexualdelikten von nicht-deutschen Tatverdächtigen und bei Verstößen gegen das Waffengesetz, aber insgesamt ist die Kriminalität so stark zurückgegangen wie seit 1993 nicht mehr. Stark gestiegen in Richtung Hysterie ist allerdings die gefühlte Verbrechensrate. Bei einer Umfrage gaben 44% der Befragten an, sich heute weniger sicher zu fühlen als noch vor Jahren. Und jetzt sind wir endlich bei der Frau angelangt. Alice Weidel/AfD hat die Statistik mit ihrem privaten „crime diary/Tagebuch des Verbrechens“ verglichen und den angeblichen Rückgang der Kriminalität als bayrisches Wahlkampfmanöver bezeichnet. Ihr wäre wohl lieber gewesen, wenn … (wurde von der internen Zensur gestrichen).
Nicht gestrichen werden kann die Meldung über einen weiteren Mordfall in Wiesbaden. Ein 14-jähriges Mädchen, Mitglied der jüdischen Gemeinde in Mainz, wurde Ende Mai von einem abgelehnten Asylbewerber vergewaltigt und ermordet. Der (mutmaßliche) Täter, der sich vorher erfolgreich einer Abschiebung entzogen hatte, wurde vom Vater in Windeseile in den Irak verbracht. Inzwischen ist er verhaftet und wieder in Deutschland mit einem Geständnis und seiner eigenen Version der Geschichte. Für das Opfer und seine Familie ist es eine Tragödie, für das Klima in unserer Gesellschaft ein Desaster. Und alle Erklärungsversuche bleiben einem im Halse stecken. Aber eines wird man doch noch sagen dürfen: Wenn deutsche Täter einen Sexualmord begehen, dann setzt kein AfD’ler den deutschen Mann als solchen unter Generalverdacht.
- Wir bleiben bei den Rechten. In Ostritz/Sachsen fand das Neonazi-Festival „Schild und Schwert“ statt. Berichten aber wollen wir von der Gegenseite: Vierzig Bürgermeister der Region verurteilten die Veranstaltung, die Bürgermeisterin organisierte ein Friedensfest, eine linke Band spielte „Happy birthday, Nutella“, weil an diesem Tag das erste Glas Nutella vom Band lief, und am Abend schloss sich eine Menschenkette um den Marktplatz, und die Ostricher sangen zu Führers Geburtstag „Dona Nobis Pacem“. So ging das Mittagsgebet der Nonnen in der Klosterkirche in Erfüllung: „Gelobt sei der Herr, der uns nicht ihren Zähnen als Beute überließ.“
- Der gängigste Aprilspruch lautet ja: „April macht, was er will.“ Und deshalb wollen wir den Monat mit einem Foto beschließen, das zukunftsoffen ist, das eine Situation zeigt, wo noch alles passieren kann – Atomkrieg oder Friedenslösung.
Max und Moritz, diese beiden …
Und dazu den Satz von Elie Wiesel:
„ Der Mensch soll eher auf Wunder hoffen als resignieren.“
- Und obendrein noch eine AI-Nachricht: Der Blogger Mahadine aus dem Tschad, im September 2016 verhaftet, gefoltert und mit Aussicht auf lebenslänglich eingelocht, wurde freigelassen. Beim AI-Briefmarathon im Dezember 2017 hatten sich mehr als 600.000 Menschen für seine Freilassung eingesetzt.
Mai 2018
„Kaum ist der April vorbei,
kommt der Söder und der Mai.“
Oder der Dobrindt, oder der Seehofer. Nein, letzterer ist dreisilbig und würde das Versmaß sprengen!
Dieser Zweizeiler wird es wohl nicht bis zu einem Lyrikpreis schaffen, aber er dient (zur Not) als Einleitung zum Thema „Sprachverrohung“. Stets im Gedenken an die „Iden des 14. Oktobers“/die bayrische Landtagswahl, setzte Alexander Dobrindt den Auftakt mit seiner „aggressiven Anti-Abschiebungsindustrie“. Ob er damit die geldgierigen Rechtsanwälte und unbedarften Flüchtlingshelfer meint, die des Nachts mit dicken Gesetzbüchern und einsatzbereiten Molotowcocktails vor den Sammelunterkünften stehen, wenn dort von der Polizei ein Flüchtling abgeholt wird? Dann kam der „Asyltourismus“, ein Begriff, mit dem Seehofer und Söder abwechselnd jonglieren. Damit meinen sie wohl den Ansturm von Flüchtlingen auf die luxuriösen Containersuiten und Abschiebegefängnisse. Und schließlich sprach Söder vom „Asylgehalt“, meinte damit aber nicht das, was von der Substanz des Asylrechts noch übrig geblieben ist, sondern die üppigen Geldspritzen, die Flüchtlingen den Erwerb von Smart-phones, Markenkleidung und der Zweitwohnung am Tegernsee ermöglichen.
Nachzutragen (und das mit großer Betroffenheit), ist der Anlass, zu dem Dobrindt den Begriff der „Anti-Abschiebeindustrie“ (AAI) von Stapel gelassen hat. In Ellwangen hatten 150 Flüchtlinge gewaltsam die Festnahme eines Togolesen verhindert. Vier Tage später rückten dann 500 Polizisten an und nahmen den Mann in Gewahrsam. Sein Eilantrag wurde abgewiesen – soviel zur Allmacht der AAI –, und zehn Tage später wurde er nach Italien ausgewiesen. Die werden sich freuen! Der Togolese galt in der Unterkunft als Unruhestifter.
Polizeieinsatz in Ellwangen.
Natürlich teilen wir die Meinung der Politiker, dass Flüchtlinge keinen Anspruch auf einen „rechtsfreien Raum“ oder gar ein durch ihre Flucht erworbenes Recht auf Widerstand gegen die Polizei haben, aber wenn es zur Einrichtung der Ankerzentren kommt, in denen bis zu 1500 Menschen bis zu achtzehn Monate und mit Residenzpflicht festgehalten werden, dann kommt es, so die „SZ“
„schnell zur Aggression. Die ist nicht zu tolerieren, aber ihr Entstehen ist beinahe logisch.“
Hinter meinem Rücken höre ich jetzt schon die AfD und die sozialen Medien winseln: „Da wird wieder einmal die bayrische Staatspartei bevorzugt, dabei haben doch auch wir unsere ‚Stilblüten’ beizutragen.“ Es gibt zwar Stimmen, die sagen, dass man ihnen am besten durch Totschweigen den Garaus machen kann, aber einige Äußerungen waren so ungeheuerlich, dass man das Kopfschütteln auch versprachlichen muss – nicht zuletzt in der Hoffnung, dass dadurch auch die „schweigende Mehrheit“ den Kopf mitschüttelt.
Da warf Alice Weidel im Bundestag „Kopftuchmädchen, Messerattentäter und andere Taugenichtse“ in einen Topf und schloss ihre Rede mit einem Zitat des ehemaligen tschechischen Präsidenten Zeman, das sie sich genüsslich zueigen machte: „Ein solches Land wird von Idioten regiert.“ Noch nicht, kann man da nur sagen! In Deggendorf/Niederbayern filmte die AfD eine Demo von Asylbewerbern, die leider friedlich über die Bühne ging, und stellte sie mit einem Lifestream ins Internet. Schon nach wenigen Minuten bissen die „Fische“ an: „Afrika für Affen, 1-2-3-4, alle bleiben in Auschwitz hier.“ Den größten Vogel aber schoss Alexander Gauland im Juni mit seinem „Vogelschiss“ ab. Auf dem Bundeskongress der Nachwuchsorganisation Junge Alternative/JA (nicht zu verwechseln mit SA!) sagte er:
„Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.“
Gauland hatte 2017 vorgeschlagen, die damalige Integrationsbeauftragte Özoguz in Anatolien zu „entsorgen“. Jetzt wurden die Ermittlungen wegen Volksverhetzung eingestellt, „die Aussagen seien durch das Recht auf freie Meinungsäußerung abgedeckt“. Da hat (bei Gauland wohlgemerkt) die „Abschiebungsindustrie“ deutlich versagt. Im Juli hat er sich bei der Justiz auf seine Weise bedankt: „Wir müssen versuchen, die Grenzen des Sagbaren auszuweiten.“ Als dann im August ein JA-Chef den Grafen Stauffenberg als „Feigling und Verräter“ bezeichnet, wurde es sogar Gauland zu viel.
Die Kurznachrichten
- „Schaut nach Moskau, Genossen!“ möchte man der bayrischen CSU zurufen, „so geht Wahlsieg.“ Dort wurde Präsident Putin mit 76% der Stimmen wieder gewählt. Bei der Amtseinführung des „lupenreinen Demokraten“ kamen treue Freunde. Hier gratuliert ihm Altkanzler Schröder
zu seinem Vorgehen gegen seinen Widersacher Alexej Nawalny.
Bild 38 (mit Untertext)
- Es zieht uns wider Erwarten noch einmal zu Gina Haspel zurück, denn pünktlich zum Fest ereignete sich ein leibhaftiges Pfingstwunder. Die neue CIA-Direktorin distanzierte sich vorsichtig von ihrer Foltervergangenheit und verstieg sich zu dem Versprechen, dass sie keiner Handlung zustimmen würde, die ihren „moralischen und ethischen Werten widerspricht“. Nun ja, diese Distanzierung erfolgte bei ihrer Anhörung vor dem Senat; da muss man Kreide fressen. Der Whistleblower Edward Snowden meinte aus seinem Exil in Moskau, dass die Haspel bei einem Besuch in Deutschland eigentlich verhaftet werden müsse, aber bis das geschieht, wird Snowden eher von Trump mit einem roten Teppich am Weißen Haus empfangen.
- Eine verstörende Meldung kam aus einem Land, das sich 2018 zur Erkenntnis durchgerungen zu haben schien, dass es auf dieser Erde tatsächlich zwei Geschlechter gibt. Saudi-Arabien ist nämlich das einzige Land, wo Frauen bis zum 24. Juni nicht Auto fahren durften. Jetzt kam es in Erwartung dieses Tages zu einigen „taktischen Festnahmen“. Die sieben Aktivisten, darunter einige prominente Frauenrechtlerinnen, hätten verdächtige Auslandskontakte unterhalten und dadurch die Regierung unterwandert. Vermutet wird, dass sie die Regierung aus dem Verkehr ziehen möchte, um zu vermeiden, dass sie den 24. Juni nicht der Güte des Kronprinzen zuschrieben, sondern als Erfolg ihrer Reformforderungen reklamierten – der er auch ist.
Die „Verräterin“ Loujain al-Hathloul
- „Auch Humanität liegt uns sehr am Herzen“, sagte Chinas Premier Li Keqiang bei der Pressekonferenz mit Angela Merkel, als er nach dem Schicksal von Liu Xia befragt wurde. Das ist eine der dreistesten Lügen, die im Mai verbreitet wurden. Ob die Kanzlerin da auch da noch stoisch gelächelt hat, wissen wir nicht. Liu Xia ist Dichterin, aber v.a. ist sie die Witwe des verstorbenen Nobelpreisträgers Liu Xiaobo – und das badet sie bis heute aus. Sie steht seit fast zehn Jahren unter Hausarrest, Telefonate und Besucher werden von der Staatssicherheit überprüft und abgesegnet, sie leidet unter Depressionen und wiegt nur noch 45 Kilo. Für April hatten ihr die Behörden die Ausreise nach Deutschland versprochen, sie aber ohne Angabe von Gründen wieder verweigert. „Die Knochen zermahlen und die Asche zerstreuen“, so geht man in China mit einem Menschen um, den man abgrundtief hasst.
Liu Xia
- So etwas würden sich indonesische Frauen nicht gefallen lassen. Sie hatten es in der Vergangenheit nicht bis zum Herrschaftsgebiet des IS geschafft und beteiligen sich jetzt zunehmend an extremistischen Gewalttaten bei sich zuhause. Opfer ist wieder einmal die christliche Minderheit, aber Premierencharakter hatte die Tatsache, dass die Attentäter mit ihren Kindern anrückten. „Familienausflug mit Sprengstoff“ titelte die „SZ“ ihren Bericht über den Angriff auf drei christliche Kirchen, der mindestens 15 Menschen das Leben kostete.
- Da lobe ich mir den Religionskrieg in Bayern, der (bisher) noch keine Todesopfer gefordert hat. Gut, ein bayrischer Jude fühlte sich durch den Kreuzerlass als Außenseiter, als „ein bisschen dazu gehörig, aber nicht ganz“. Von Kardinal Marx jedoch wurden wieder versöhnliche Töne in Richtung Politik gesendet.
Der Karikaturist im „Merkur“ ist sich nicht sicher, ob das alles dem „göttlichen Ratschluss“ entspricht.
- Was sonst noch in Restdeutschland passierte, fällt in die Rubriken „Skrupellosigkeit, Dummheit, Unbedachtheit, Verhaltensstörung“. Es war, als ob die Republik Atem holen wollte, bevor sie zum großen Bruderkrieg der Unionsparteien im Juni ansetzte. Da mussten sich in Stuttgart Ex-Mitarbeiters der (Klein)Waffenschmiede Heckler & Koch wegen mangelnder Geographiekenntnisse vor dem Landgericht verantworten. Sie hatten Waffen nach Mexiko exportiert, von denen ein Teil in Provinzen landete, wo die Mordrate so weit über dem Landesdurchschnitt liegt, dass die Bundesregierung die Lieferung nicht genehmigt hätte – wenn sich nicht für die Firma ein kleines Schlupfloch aufgetan hätte.
Da zogen linke Autonome im Wendland/Niedersachsen, deren Hauptquartier im Februar Ziel einer umstrittenen Polizeirazzia war, zu einem „kleinen Ständchen“ vor das Privathaus eines Polizisten. Das Grundstück wurde zwar nicht, wie „bild.de“ berichtete „gestürmt“, aber regelrecht belagert. Die Nachbarn fanden den Auftritt der Sänger „schockierend“, die Belagerer bezeichneten ihn als „bewusst spielerisch“. Als sie beim Abmarsch von der Polizei gestellt wurden, kam es zu „Handgreiflichkeiten und Widerstandshandlungen“ – mutmaßlich beidseitig.
Die Deutsche Post ist bisher noch nicht sprachschöpferisch aufgefallen, aber ihr „Entfristungskonzept“ hat durchaus die Potenz, zum (Un)wort des Jahres zu werden. Danach dürfen befristete Zusteller binnen zwei Jahren nicht mehr als 20 Tage krank gewesen sein und in drei Monaten nicht mehr als 30 Stunden länger als vorgesehen für ihre Touren gebraucht haben. Sonst würde es keine Festanstellung geben. Vorbei also der kleine Ratsch an der Gartentür, der für die alten Leute der Tagesinhalt ist. Ein Sprecher der Union kritisierte die Kriterien als „grobschlächtig“. Ob das Timing bei der Arbeit auch fürs Management gilt? Nein, die Manager sind ja nicht befristet!
- Dumm bis zum geht nicht mehr waren im NSU-Prozess die Auslassungen eines Anwalts des Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Er rief „seitenweise Hitler, Goebbels und Heß als Kronzeugen dafür auf, dass der Nationalsozialismus nur Frieden und Völkerverständigung wollte“. Für solch einen Mann gäbe es eine adäquate Strafe: Solange Hausarrest, bis er Hitlers „Mein Kampf“ auswendig gelernt hat. Diese Lektüre hat schon manchen Nazi zum Nazigegner gemacht.
- Und dann muss man natürlich einen der Gründe vorwegnehmen, warum Deutschland bei der Fußball WM so kläglich gescheitert ist. Da haben nämlich zwei Spieler in der deutschen Mannschaft offen für „den Feind“ gespielt.
- Und weil der Monat Mai die bayrische Biergarten- und Volksfestsaison eröffnet, hier eine Glosse aus der „SZ“, welche die saisonübliche Beziehung zwischen zünftigem Stammtisch und draller Kellnerin beleuchtet. Ein Gast hatte es nicht bei den alten Herrenwitzen belassen, sondern wollte der Kellnerin seine gebrauchte (!) Serviette in den Ausschnitt stecken. Der Glossator lässt seine Fantasie schweifen:
„Man stelle sich nur mal vor, am Stammtisch wären zehn Flüchtlinge aus dem Senegal gesessen. Sie hätten in ihrer Landessprache die Kellnerin angemacht, und einer von ihnen hätte versucht, ihr seine Serviette in den Ausschnitt zu stecken. Wahrscheinlich wäre eine Hundertschaft der Polizei angerückt“
– und hätte den Flüchtlingen „erklärt“, wie man sich im Biergarten zu benehmen hat.
Auch am Ende des Monats möchten wir noch einmal etwas Lyrik absondern:
Und trennt man säuberlich
den Weizen von der Spreu,
dann zeigt sich unterm Strich:
der Mai, der macht nichts neu.
Juni 2018
Da passt doch nahtlos die Aussage der amerikanischen Völkerrechtlerin Ingrid B. Wuerth darauf, dass „das goldene Zeitalter der Menschenrechte vorbei ist“. Und wiederum nahtlos darauf passt die Frage, ob es dieses Zeitalter je gegeben hat. Donald Trump hat auf seine Art auf die Aussage von Frau Wuerth reagiert – wahrscheinlich ohne sie gelesen zu haben: Die USA trat aus dem UN-Menschenrechtsrat aus, vordergründig wegen seiner zahlreichen Resolutionen, die gegen Israel ergingen, wohl aber auch, weil die USA in diesem Gremium des Öfteren überstimmt wurden, nicht zuletzt von Ländern, die mit Menschenrechten noch viel weniger am Hut haben als Trump. Trotz alledem wollen wir zumindest am Anfang dieses Monats gegen den Fatalismus anrudern – bis uns die Kräfte ausgehen.
Während man in Deutschland zur Fußball WM aus gewissen Gründen von nächtlichen Hupkonzerten weitgehend verschont blieb, könnte es zum 24. Juni in Saudi-Arabien zu solchen Konzerten gekommen sein. Den Frauen wurde freie Fahrt gegeben – mutmaßlich mit Ausnahme jener Aktivistinnen, die man im Mai festgenommen hatte – und von denen eine, Loujain al Hathloul, im Juli als Todesstrafenkandidatin „gehandelt“ wird, weil sie die Gleichstellung von Mann und Frau fordert.
Kursänderung – ich bin schon wieder ins „finstere Zeitalter der Menschenrechte“ abgedriftet. Ein Sprecher der saudischen Sicherheitsbehörden erklärte an jenem Tag, „der Verkehr laufe normal“. Das würde jene Leute bestätigen, die hoffen, dass die Frauen am Steuer dazu beitragen könnten, die astronomisch hohen Unfallzahlen im Königreich zu senken.
Zuhoor Assiri
Vietnam hat den prominenten Bürgerrechtler Nguyen Van Dai vorzeitig aus der Haft entlassen und nach Deutschland ausreisen lassen. Dai war erst im April zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Man warf ihm vor, einen Umsturz geplant zu haben, aber die Regierung scheint es v.a. auf das „Komitee für Menschenrechte“ und die „Bruderschaft für Demokratie“ abgesehen zu haben, die er gegründet hatte. Ein hartes Urteil im April, prominente Fürsprecher wie Bundespräsident Steinmeier mit der Wirtschaftsmacht Deutschland in der Hinterhand, Freilassung nach zwei Monaten – wenn’s nur immer so glatt ginge! Auch Dais Landsmann Trinh Xuan Thanh, der 2017 so spektakulär aus Berlin entführt worden war, soll „mittelfristig“ freikommen.
Mit zusammengebissenen Zähnen senden wir auch positive Nachrichten aus Afghanistan. Dort kam in der Hauptstadt Kabul eine Gruppe von Friedensaktivisten an, die nach einem Autobombenanschlag in der Provinz Helmand aufgebrochen waren und 700 km zurückgelegt hatten. Auch das Ende des Ramadan wurde an vielen Orten von einem Friedenszeichen begleitet: Taliban-Kämpfer und Regierungssoldaten lagen sich in den Armen. Es war wie der Weihnachtsabend in den Grabenkämpfen des 1. Weltkriegs. Aber gleich war auch das Ende der Idylle: Schon drei Tage später wurde wieder geschossen – als wenn nichts gewesen wäre. Vorher hatte der IS sogar die gemeinsamen Feiern attackiert. Dem folgenden Bild geben wir einen Satz von Bertold Brecht bei.
„Es geht auch anders, doch so geht es auch.“
Dazu die Gegenmeldung aus der „SZ“:
„Der neue Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Afghanistan zeichnet trotz kleiner Fortschritte ein desaströses Bild. Das Papier dürfte die Debatte über Abschiebungen in das Land neu anheizen.“
Mehr dazu im Juli. Auch zum „äthiopischen Frühling“, wo dem Präsidenten Abiy Ahmed bescheinigt wird, „in einem atemberaubenden Tempo ein autoritäres Regime umzukrempeln“.
Und irgendwie gehört auch die folgende Meldung zu unseren „Erfolgsgeschichten“: Zum ersten Mal wurde vom deutschen Generalbundesanwalt gegen einen hochrangigen Vertreter des Assad-Regimes ein internationaler Haftbefehl erwirkt. Es handelt sich um Jamil Hassan, Chef eines syrischen Geheimdienstes, der für systematische Folterungen verantwortlich sein soll. Wenn er also eines Tages zum Relaxen in die Türkei fahren sollte, könnte er dort festgenommen, an Deutschland ausgeliefert und bei uns nach dem Weltrechtsprinzip verurteilt werden. Aber wie hieß es zur Flucht des Eppelein von Geilingen: „Die Nürnberger hängen keinen, sie hätten ihn denn.“
Jetzt sind uns die Kräfte ausgegangen, was man von den Unionsparteien nicht sagen kann, die sich im Juni nach Kräften be(h)ackert haben.
Wir wollen die Keilerei nicht im Einzelnen nachspielen, sondern nur die gröbsten Fetzen erwähnen, die dabei und auf europäischer Ebene geflogen sind.
- Der Masterplan von Innenminister Seehofer sieht vor, Flüchtlinge an der deutschen Grenze abzuweisen, die bereits in einem anderen europäischen Land ihre Fingerabdrücke hinterlassen haben. Die Kanzlerin bezweifelte, ob das (europa)rechtlich so ohne weiteres möglich sei; die Migrationsjuristen sind in ihrer Meinung gespalten. Dann machte die CSU von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch und stellte der Kanzlerin ein Ultimatum bis zum Europagipfel. Ministerpräsident Söder charterte schon einmal die ersten Flugzeuge, die ab 1. August unter Aufsicht bayrischer Polizisten ausreisepflichtige Asylbewerber überall dorthin abschieben sollen, „wo es möglich ist“, z.B. wo es einen Flughafen gibt.
- Bayern, so Söder, solle nämlich (wieder einmal) eine bundesweite Vorbildfunktion übernehmen und „ein Gegenmodell einer glaubwürdigen Asylpolitik setzen“, sprich, den anderen Bundesländern und den Flüchtlingen zeigen, was eine Harke ist. Und da geschieht das Juliwunder: Es wäre zu erwarten gewesen, dass eine Partei, die dem Flüchtlingsproblem Priorität einräumt und damit die Stimmung in der Bevölkerung aufgreift, in den Meinungsumfragen zur Landtagswahl nach oben katapultiert würde. Aber Mitte Juli landet die CSU im Bayerntrend bei 38% - und sie kann nicht einmal so recht das Meinungsforschungsinstitut verantwortlich machen, denn die Umfrage wurde von einem Politmagazin des Bayrischen Rundfunks in Auftrag gegeben. Ob die abgesprungenen CSU-Wähler alle bei den anderen demokratischen Parteien gelandet sind, ist allerdings zu bezweifeln.
- All zuviel Willkommenskultur sollte man sich aber auch nicht von der EU erwarten. Die ist auf ‚outsourcing’ gepeilt. In der Schublade hat die EU-Kommission ein Papier, das darauf abhebt, den Asylanträgen ein Zulässigkeitsverfahren vorzuschalten. Ein Antrag wäre dann unzulässig (und braucht auch gar nicht mehr gestellt zu werden) wenn es einen Staat in Heimatnähe des Flüchtlings gibt, der hierzulande als für diesen Flüchtling sicher gehalten wird, z.B. der Sudan für einen Flüchtling aus dem Südsudan.
- Dazu passen auch die Pläne für die Auffangplattformen, mit denen verhindert werden soll, dass Flüchtlinge überhaupt bis Europa kommen. Aber wo sind sie zu errichten? Am Rande von Europa, z.b. am Affenfelsen von Gibraltar, in Nordafrika, wo man sie nicht einmal für Geld haben möchte, oder gleich auf dem Mars?
Der Karikaturist hätte eine Lösung parat: die Ansiedlung im nirgendwo – zwischen der Ölplattform der Nordsee und einem bayrischen Gipfelkreuz.
Innenminister und ihre Plattformen
- Und dann kam der Gipfel, und Sie können sich raussuchen, was er gebracht hat. Italien bekam eine Zusage für geschlossene ‚Verteilungszentren’, Merkel versuchte bilaterale Abkommen zu schließen und verkaufte die Ergebnisse als „mehr als wirkungsgleich“ mit den CSU-Forderungen, Seehofer wusste nicht so recht, ob er Sieger oder Verlierer ist und muss jetzt im Auftrag der Kanzlerin durch die Nachbarländer tingeln und sie überzeugen, die Flüchtlinge aufzunehmen, die in Deutschland ‚Sekundärmigranten’ heißen, weil sie es seltsamerweise nicht auf dem direkten Weg von Libyen/Türkei zu uns geschafft haben. Pro Asyl übrigens sprach von einem „Gipfel der Inhumanität“.
- In Deutschland werden also jetzt Transitzentren eingerichtet, ein Wort, das auf Drängen der SPD in Transitverfahren umgeändert wurde, und es ist noch nicht ganz klar, ob die Flüchtlinge dort eingesperrt oder nur der Residenzpflicht unterworfen sind. Macht im übrigen auch keinen großen Unterschied! Schätzungen nach kommen etwa fünf Flüchtlinge pro Tag in ein solches Verfahren, eine große ‚Lagerhaltung’, so ein Politikwissenschaftler, wird also nicht nötig sein.
- Und was gerne zu erwähnen vergessen wird: Im 1. Quartal 2018 kamen 34 400 Flüchtlinge nach Deutschland, etwa ein Viertel weniger als im selben Zeitraum des Vorjahrs. Die Obergrenze (180 000 bis 220 000) ist ernsthaft gefährdet.
- Ungarn hat noch eins draufgesetzt: Just am Weltflüchtlingstag hat das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das Mitarbeiter von Hilfsorganisationen wegen „Beihilfe zur illegalen Migration“ kriminalisiert und im Wiederholungsfall eine einjährige Haftstrafe aufbrummt. Strafbar macht sich aber nicht nur, wer mit einem Bolzenschneider den Stacheldraht an der Grenze angeht, sondern auch wer zum Thema Immigration Informationsmaterialien anfertigt oder verbreitet. In Ungarn müssten wir also diesen Jahresbericht unter dem Ladentisch verkaufen, als politische Pornografie gewissermaßen.
Von Orban zu Trump ist es gesinnungsmäßig nicht weit, sie sind Brüder im (Un)Geist. Und da wir letzteren schon seit drei Seiten nicht mehr erwähnt haben, was er uns sicher übel nehmen wird, ist es höchste Zeit auf seinen jüngsten Gewaltakt einzugehen. Ob er sich die Anregung dazu auf dem folgenden Spaziergang geholt hat, wissen wir nicht,
Donald Trump und Kim Jong Un – „wann sie schreiten Seit’ an Seit’
aber der Nordkoreaner hätte ihm sicher einiges über Auffanglager erzählen können. An der mexikanischen Grenze haben die Trumpisten die Jagdsaison auf Einwanderer intensiviert. Wer illegal die Grenze überschreitet, wurde zum Straftäter gemacht, obwohl die Tat nach geltendem Recht nur eine Ordnungswidrigkeit ist. Die Eltern werden eingesperrt und dabei von ihren Kindern getrennt, da „Kinder von Straftätern nicht zusammen mit ihren Eltern eingesperrt werden dürfen“. Es scheinen sich erschütternde Szenen abgespielt zu haben: So sollen Grenzschützer einer stillenden Frau das noch hungrige Kind von der Brust weggenommen zu haben und auf Tonbandmitschnitten waren bitterlich weinende Kleinkinder zu hören. Bis zur Mitte des Monats sollen 2300 Migrantenkinder in Heimen, Lagern oder Maschendrahtkäfigen (!) untergebracht worden sein.
Willkommenskultur in den USA
Der Protest blieb nicht aus: Die Demokraten ärgerten sich über die Fehlinterpretation eines Obama-Gesetzes über den Umgang mit unbegleiteten Minderjährigen, die katholische Bischofskonferenz über die Instrumentalisierung des Römerbriefes, wonach „es Gottes Wille sei, die Gesetze der (Trump)Regierung anzuerkennen und durchzusetzen“, und selbst moderate Republikaner bezeichneten die Familientrennung als „unmenschlich und unamerikanisch“.
Und dann auch noch Melania Trump: Beim Besuch eines Aufnahmezentrums trug sie eine Jacke mit der Aufschrift „Es ist mir wirklich egal – und euch?“ Und es wurde fleißig gerätselt, ob sie sich damit mit ihrem Mann solidarisieren oder ihn provozieren wollte.
Der Protest (?) der First Lady
Da sie einige Tage zuvor geäußert hatte, man müsse bei aller Gesetzestreue „auch mit dem Herzen regieren“, gehen wir davon aus, dass ihr das Schicksal der Kinder wirklich am Herzen liegt.
Ob sie dann einen Ehestreik wie weiland Lysistrata in Athen inszeniert hat, wissen wir nicht. Aber die Medien sind sich einig, dass Melania und Tochter Ivanka großen Einfluss auf die Kursänderung des Präsidenten hatten. Per Eildekret beendete er die Familientrennung an der mexikanischen Grenze - sodass Eltern jetzt zusammen mit ihren Kindern eingesperrt werden - und verfügte die Rückführung der gekidnappten Kinder. Ende Juli waren noch 700 Kinder von ihren Eltern getrennt, weil letztere „unauffindbar“ (d.h. abgeschoben) waren oder von den Behörden als „ungeeignet“ bewertet wurden. Anderen soll man ein Formular unterschoben haben, auf dem sie durch Unterschrift auf eine Zusammenführung verzichteten. Und dabei stellte sich heraus, dass Eltern auf Grund von Sprachproblemen gar nicht wussten, was sie da unterschrieben.
Präsident Trump hat die Affäre relativ unbeschadet überstanden, wozu nicht zuletzt das obige Foto im Time Magazine beitrug. Das kleine Mädchen war (angeblich) von der Mutter gegen den Willen des Vaters entführt worden und war auch nicht unter den Kindern, die von den Eltern/Mutter getrennt wurden. Und da kam plötzlich Mitleid auf: Präsident Trump, eine Ikone der Wahrheitsliebe, als Opfer eines Fake-Fotos!
Die Kurznachrichten
- Widersprüchlich auch Trumps Begnadigungspolitik: Er begnadigte auf Fürsprache einer schönen Frau die 63‑jährige Alice Marie Johnson, die wegen eines Drogendelikts zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt war und
22 Jahre hinter Gittern verbrachte. Da ließ sich der Präsident zum Mitleid „verführen“.
Alice Marie Johnson
Die 2. Begnadigung war eher trumptypisch, sie entsprach politischem Kalkül. Der rechte Publizist Dinesh D’Souza, der gegen Obama gehetzt und einen Film gegen Hillary Clinton gemacht hatte, war wegen illegaler Wahlkampfspenden zu fünf Jahren auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt worden. Diese (milde) Strafe wurde ihm jetzt erlassen; ob er die Geldstrafe entrichten musste, wissen wir nicht.
- Zwei schlimme Gewalttaten haben Deutschland im Juni erschüttert und die Diskussion über Ausländerkriminalität befeuert: der Mord an Susanne F., die von einem Iraker getötet wurde und der Mord an Sophia L. die beim Trampen einem LKW-Fahrer aus Marokko zum Opfer fiel. Wir können nur unsere Betroffenheit über die Taten, unser Mitgefühl für die Familien und unser Entsetzen über den Anstieg von Sexualdelikten bei Zuwanderern zum Ausdruck bringen. Vor der Haltung des Bruders von Sophia –
„sie würde unter keinen Umständen wollen, dass auf ihre Kosten rassistische Hetze betrieben wird“ –
aber haben wir größten Respekt. Mehr als schockierend waren darauf wiederum die Reaktionen in den sozialen Medien. (Warum die immer noch „sozial“ heißen, ist sowieso die Frage!) Da hat ein User tatsächlich gepostet, dass „sie nichts Bessere verdient habe“, wenn sie bei einem Marokkaner in den LKW steigt. Erinnert fatal an den furchtbaren Satz aus der Nazizeit: „… und lass’ mich nur mit Juden ein“.
- Damit sind wir nahtlos (und ein 2. Mal) beim gravierendsten Sprachverstoß des Monats. Der AfD-Chef Alexander Gauland sagte in seinem Grußwort beim Bundeskongress der „Jungen Alternative“, der Organisation, wo sich der Nachwuchs der Partei zusammenrottet:
„Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.“
Da bleibt nur noch zu hoffen, dass die AfD bald selber zu einem „Vogelschiss der deutschen Geschichte“ wird, auch wenn es derzeit nicht danach aussieht.
Auf ihrem Parteitag, der in Nürnberg stattfand – wo denn sonst? – verschüttete eine Demonstrantin Buttersäure: Es roch übel im Saal. Da hätte es gar keine Buttersäure gebraucht.
- Die Fußball WM in Russland wurde vom FIFA-Präsidenten als „beste WM aller Zeiten“ bezeichnet, aber weil wir von Südkorea (!) frühzeitig rausgeschmissen worden sind, spucken wir aus Rache dem Gastgeber etwas in die Suppe. Im Vorfeld verweigerte man dem ARD-Journalisten Hajo Seppelt die Einreise, weil er das russische Staatsdoping recherchiert hatte. As die Genehmigung mit einiger Verspätung eintraf, riet man ihm, besser nicht zu fahren. Er könne attackiert oder sogar inhaftiert werden, und Gerhard Schröder müsste wieder einspringen – was er vielleicht nicht so gerne täte, weil er bei seinem Freund Putin eine gewisse Beißhemmung hat.
Und dann ist da noch Oleg Senzow, hochkarätiger AI-Fall. Der bekannte Regisseur hatte sich gegen die Annexion der Krim engagiert und war 2015 wegen Terrorismus zu 20 Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Im Mai trat er in den Hungerstreik, um die Freilassung von ukrainischen politischen Gefangenen in russischen Strafanstalten zu fordern. Es blieb lange zu befürchten, dass er das WM-Finale nicht erleben würde. Ende Juli forderte ihn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auf, seinen Hungerstreik zu beenden und verlangte von den Behörden in Russland, ihm die notwendige medizinische Versorgung zukommen zu lassen.
Oleg Senzow
Abschließen möchte ich die WM mit einem der dämlichsten Leserbriefe, den ich in letzter Zeit gelesen habe.
„Irgendwie spiegelt das Vorrunden-Aus das marode ‚Merkel-Deutschland’ wider; wie lange wird die Fassade noch halten?“
Der Leserbrief erschien zeitgleich mit der Meldung, dass die Arbeitslosenrate derzeit bei 5% liegt.
- Und dann noch eine Nachricht aus der Kategorie ’Deutschland und deutsche Katastrophen’: Ausgerechnet die katholische Kirche hält sich nicht an Söders Kreuzerlass und errichtet in Poing/Lkr. Ebersberg eine Kirche ohne Kreuz. Bei genauerem Hinsehen aber stellt sich heraus, dass die Kirche ein großes goldenes Kreuz auf der Oberkante der Turmschräge hat, über ein Vortragekreuz in der Mitte des Kirchenraumes verfügt und der gesamte Innenraum die Form eines Raumkreuzes hat. Der Pfarrer wurde am Telefon als ‚Kreuzverleugner’ beschimpft, vermutlich auch von Leuten, die nicht so oft seine Kirche frequentieren. Mir als Kirchgänger reichen die drei Kreuze jedenfalls aus.
Juli 2018
Obwohl sich im Juli bereits die Hitzewelle ankündigte, wollen wir mit einem Regentag beginnen. Sonntag, 22. Juli, München zwischen Goetheplatz und Königsplatz, Demonstration „#ausgehetzt: Gemeinsam gegen die Politik der Angst!“ Zur Demo aufgerufen hatten ca. 150 Organisationen, gekommen sind zwischen 25 000 und 50 000 Teilnehmer – und das bei einem Wetter, das die CSU beim Hl. Petrus bestellt und (wider Erwarten) auch genehmigt bekommen hatte. Letzterer scheint glatt übersehen zu haben, dass auch Kirchenleute mitmarschierten. Wie sagte in der Nazizeit der Priester Max Josef Metzger, Verfasser des Kurzgedichts, das wir auf das Deckblatt des diesjährigen Jahresberichtes gesetzt haben: Es darf nicht sein, „dass man bei Notstand höflich sich entfernt“. Metzger wurde vom Volksgerichtshof nach einem kurzen Schauprozess zum Tode verurteilt, uns ließ die Polizei in Ruhe.
Der „Notstand“, dem sich die Teilnehmer stellten, war natürlich nicht mit der Nazidiktatur zu vergleichen. Es ging um die unsägliche Wortwahl in der Flüchtlingsdebatte, um die Angstmacherei, als stehe der „Untergang des
Abendlandes“ bevor, um, so der Münchner Oberbürgermeister, die „hochgradige Gefährdung“ des sozialen Friedens, um die zeitgemäße Form der „Liberalitas Bavarica“, die das Motto des FC Bayern aufgriff und mit zwei kleinen Worten relativierte: „Mia san net nur mia“. Die Stimmung war gelöst, fast ausgelassen, es wurde viel Selbstgebasteltes mitgeführt, aber auch ein Schlauchboot, das Flüchtlinge „befördert“ hatte. Die Parolen reichten von „München ist bunt“ über „Home is where the Seehofer not is“ bis zu unsäglichen Aufschriften wie „CSU-Faschistenpack“, die für die Gegner solcher Veranstaltungen ein gefundenes Fressen sind.
Die CSU hatte schon im Voraus auf mögliche Angriffe gegen den „politischen Anstand“/d.h. die bayrische Staatspartei reagiert. In der Nacht hatten fleißige Parteigenossen entlang der Demoroute Plakate mit der mitreißenden Aufschrift „Ja zum politischen Anstand! Nein zu #ausgehetzt!“ angebracht, an denen die Demonstranten lachend oder kopfschüttelnd vorbeimarschierten. Der Münchner CSU-Chef Spaenle verbrach am Abend noch einen Zweizeiler,
„Der Himmel spendet reichlich seines Lachens Tränen,
wenn die verirrten Blumenkinder sich moralisch überlegen wähnen.“
der aber aus erklärlichen Gründen, der Mann war einmal bayrischer Kultusminister, bald wieder gelöscht wurde.
Hier ein Bild der „verirrten Blumenkinder“ bei der Schlusskundgebung am Königsplatz:
„Söder tut Buße“, war im August eine Schlagzeile im „Merkur“. Da ging es zwar um seinen Besuch an einem schwäbischen Wallfahrtsort, aber irgendwie hat man den Eindruck, dass sich auch der Tonfall in der Flüchtlingsdebatte etwas verändert hat. So versprach der Ministerpräsident zum Beispiel, das Wort „Asyltourismus“ nicht mehr in den Mund zu nehmen. Ob der Grund dafür, eine Art „Damaskuserfahrung à la Paulus“ war, oder den stagnierenden Umfragewerten zu schulden ist, oder gar von der Demo „#ausgehetzt“ mit angeregt wurde, lassen wir offen. Zu bezweifeln ist auch, ob der Plan von Integrationsminister Herrmann Ausdruck eines Gesinnungswandels ist. Der möchte für Flüchtlinge mit geringer Bleibeperspektive 5000 Jobs schaffen, die ihnen eine „sinnstiftende Tätigkeit ermöglichen“ und ihnen helfen, den „Tag zu strukturieren“. Der Haken an diesem löblichen Vorhaben ist allerdings, dass die Jobs nur mit 80 Cent pro Stunde vergütet werden. Könnte man da nicht etwas großzügiger sein? – meinen auch die Freien Wähler, die an 1,05 Euro (!) gedacht hätten.
Nicht verkneifen möchten wir uns in diesem Zusammenhang ein CSU-Plakat, das aus dem Jahre 1949 stammen dürfte - und im Rahmen dieses AI-Berichtes natürlich nicht als Wahlempfehlung gedacht ist.
Damals schafften sie es
Geschafft, wenn auch nicht gemeinsam, hat es Joachim Stamp, der Flüchtlingsminister von Nordrhein-Westfalen, den „Gefährder“ Sami A. nach Tunesien abzuschieben. Wir haben keine Chance, die Frage zu klären, wer von der Abschiebung sicher oder vielleicht oder gar nicht Bescheid wusste, aber es ist schon haarsträubend, mit welchen Mitteln das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen von den Abschiebebehörden ausgetrickst wurde. Kurzfassung der Trickserei: Abschiebeflug am 12. Juli storniert, Mitteilung ans Gericht, Abschiebung am 13. Juli geplant, keine Mitteilung ans Gericht, dadurch Vermeidung eines Eilantrags/Hängebeschlusses, der die Abschiebung verhindert hätte. Jetzt fordert das Gericht, Sami A. zurückzuholen, während die Bundesregierung (und wohl auch Herr Stamp) ihn gerne in Tunesien belassen würde, wenn das Land zu einer klitzekleinen Garantieerklärung bereit wäre, ihn nicht zu foltern. Eine solche Erklärung abzugeben, war immer schon der sehnlichste Wunsch der tunesischen Regierung!
Volkes Stimme ist eindeutig: die Justiz ist bescheuert. Will einen Mann zurückholen, der mutmaßlich Dreck am Stecken hat! Mag ja sein, dass eine gerichtliche Entscheidung missachtet wurde, aber „Weg ist weg – und das ist gut so!“ Eindeutig ist aber auch das Grundgesetz:
„Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, steht ihm der Rechtsweg offen.“
Im August verlauteten die Anwälte von Sami A., dass er bei seiner Übergabe an die tunesischen Sicherheitskräfte zur Begrüßung eine Behandlung erfahren hätte, die man (wohlwollend) als „unmenschlich“ beschreiben müsse (Nahrungsentzug, Fesselung, Nackenschläge als „Einschlafhilfe“). Die Behauptung ist schwer nachzuprüfen, aber, wenn man den AI-Bericht von 2017 hernimmt, für Tunesien nicht auszuschließen. „Kollateralschaden“ wird Volkes Stimme sagen. „Im Namen des Volkes“, wenn auch nicht in volksnaher Sprache, verfügte das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen dann im November, dass Sami A. bis auf weiteres nicht zurückgeholt werden müsse, da man die Zusicherung der tunesischen Botschaft, ihm drohe in seiner Heimat keine Folter, als „hinreichend verlässlich“ ansehe und die Gefahr, gefoltert zu werden „nicht mehr beachtlich wahrscheinlich“ sei. Solche Formulierungen sind Einsteinsche Relativierungstheorie pur! Jetzt soll er sich, Meldungen zufolge, in Tunesien frei bewegen können.
Und da wir schon bei Abschiebungen sind: Horst Seehofer wurde zu seinem 69. Geburtstag nach Ungarn abgeschoben. Nein, Tippfehler! Am 69. Geburtstag Seehofers wurden 69 Afghanen nach Kabul abgeschoben. Ich nehme ihm sogar ab, dass „das von ihm nicht so bestellt war“ und dass ihm jemand ein (vergiftetes) Geburtstagsgeschenk machen wollte. Aber sein erfreutes Grinsen hätte er sich sparen können. Das verging ihm gründlich, als man erfuhr, dass einer der Schubflüchtlinge, ein Straftäter aus Hamburg, sich in einem Hotel in Kabul erhängt hat.
Die Kurznachrichten
- Ein kalter Wind schlägt derzeit katholischen Bischöfen in einigen Ecken der Welt entgegen. In Australien steht ein leibhaftiger Kurienkardinal, George Pell, wegen Missbrauchsvorwürfen vor Gericht, und sein Kollege, der Ex-Erzbischof von Adelaide, wurde wegen Vertuschung von Kindsmissbrauch zu zwölf Monaten Haft verurteilt. Da er an Alzheimer leidet, darf er die Strafe im Hausarrest verbringen. Mehr Mitleid haben wir mit Kardinal Leopoldo Brenes/Nicaragua. Er wollte in einem Konflikt zwischen Oppositionellen und Anhängern von Präsident Ortega vermitteln und wurde beim Versuch, die Kirche von Diriamba zu betreten, von Schlägertrupps verletzt. Des weiteren wurden auch Bischöfe, Journalisten und Sanitäter, die sich in der Kirche befanden, angegriffen. Auch dafür würde Ortega einmal in der Hölle schmoren – wenn es denn eine gäbe.
Ein Kardinal zwischen den Fronten
- Neben ihm wäre dann auch Platz für Ägyptens Präsident al-Sisi. Der hat jetzt Offizieren einen lebenslangen „Reservestatus“ verliehen, der ihnen für die Zukunft bestimmte Privilegien und für die Vergangenheit Straffreiheit gewährt. Darunter fallen auch die Offiziere, die beim Rabaa-Massaker vom August 2013 beteiligt waren. Damals hatten Anhänger des gestürzten Präsidenten Mursi zwei Protestlager errichtet und die Wiedereinsetzung des (unfähigen aber demokratisch gewählten) Präsidenten gefordert. Bei der „Räumung der Plätze“, so der Euphemismus, kamen 817 Sympathisanten der Muslimbrüder und 43 Soldaten ums Leben, die Folteropfer im Gefängnis nicht mitgezählt.
- Auch die Luft in (inoffiziellen) Gefängnissen der Vereinigten Arabischen Emirate ist mehr als ungesund. Amnesty hat jetzt schwere Vorwürfe gegen diese Länder erhoben. Sie stehen im Jemen-Konflikt auf Seiten Saudi-Arabiens und scheinen mit die „Drecksarbeit“ zu übernehmen – Häftlinge zu verschleppen und zu foltern. AI spricht von Kriegsverbrechen und fordert auf, sie abzustellen und zu verfolgen. Dabei richtet sich AI auch an die USA, insbesondere an deren neue FBI-Chefin Gina Haspel (Vorsicht: Satire!)
- In Malaysia hat sich ein Mann eine 11-Jährige als Drittfrau genommen. Er ist Abfallhändler, und so wird er wohl auch die Frauen sehen. Aber zusätzlich ist er auch Dorfgeistlicher, und deshalb freut uns, dass ihn ein Scharia-Gericht zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt hat, weil die Ehe ohne Zustimmung der beiden anderen Frauen zustande gekommen sei.
- Da ist die Frau in Beit Schemesch/Israel ja noch relativ glimpflich davongekommen. Als sie in Shorts und T-Shirt durch die Stadt ging, rottete sich hinter ihr ein Haufen ultraorthodoxer Männer zusammen und verfolgte sie mit Geschrei und Pfefferspray. Zwar schob man den Vorfall später einer extremistischen Gruppe in die Schuhe, aber die Stadt hat in Sachen Gendertoleranz einen schlechten Ruf. So veranlasste das Oberste Gericht 2017, dass Straßenschilder abgebaut werden mussten, auf denen stand: „Frauen sollen in dieser Gegend nicht verweilen.“ Frauen sollten sich daran halten. Dann wären die Orthodoxen auf lange Sicht zum Aussterben verurteilt.
- In Deutschland ging nach 438 Verhandlungstagen der NSU-Prozess zu Ende. Die Berichterstatterin der „SZ“, die wertvolle Jahre ihres Lebens im Gerichtssaal verbracht hatte, schrieb eine ernüchterte Urteilsbewertung:
„Sicher: Das Gericht hat Beate Tschäpe zu lebenslanger Haft verurteilt. doch dieses lebenslang überdeckt, dass fast alle anderen Angeklagten erstaunlich milde bestraft wurden. Warum, das hat sich auch Kennern des Prozesses nicht erschlossen. Zu oberflächlich ging das Gericht über Schuld und Unschuld hinweg. Nebenbei verteilte es noch eine Ohrfeige an den einzigen Angeklagten, der echte Reue gezeigt hat. Carsten Schulz muss … in Jugendhaft.“
Eine mögliche Antwort auf das Warum? gibt die folgende Karikatur:
Leider gilt auch nach dem Prozess immer noch der Slogan der 68er: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem er kroch.“ Seit der Enttarnung der NSU’ler wurden in Deutschland 360 Straftaten begangen, bei denen die Morde des Trios verherrlicht wurden. Bevorzugtes Ziel waren die Gedenkorte, wo an ihre Opfer erinnert wird.
- Ins Knie geschossen hat sich die Mehrheit der Bürger Kaufbeurens bei ihrem Bürgerentscheid. Knapp 60% lehnten den Bau einer Moschee auf kommunalem Grund ab. Jetzt wollen die Muslime auf Privatgrund bauen. Der
Oberbürgermeister, der mit der Mehrheit des Stadtrates und den Kirchengemeinden den Bau befürwortet hatte, hatte im Vorfeld der Stadt ein Mitspracherecht bei der Gestaltung gesichert. Jetzt, so der OB, wenn auf privatem Grund gebaut wird, „tendieren unsere Einflussmöglichkeiten gegen Null“. Dann wird das Minarett höher als (wie vorgesehen) 21 Meter, und ganz Kaufbeuren muss sich dem Muezzin „unterwerfen“.
- Aus Syrien gab es zwei „gute“ Nachrichten, wie sie derzeit fast nur aus Syrien kommen können: eine Rettung aus der Hölle und eine Rettung zum Weg zur Hölle. Im Gefolge der Assad-Offensive in Südsyrien öffnete Israel die (sonst unüberwindliche) Grenze an den Golanhöhen und rettete 800 Weißhelme und deren Angehörige vor den anrückenden syrischen Truppen. Die Weißhelme hatten mehr als hunderttausend Menschen aus den Trümmern der zerstörten Städte gerettet und wurden deshalb von Assad als Terroristen bezeichnet. Gnade hätten sie also keine zu erwarten gehabt. Deutschland, Großbritannien und Kanada sagten zu, die Geretteten binnen dreier Monate aufzunehmen. Wie sagte schon das Plakat von 1949: „Gemeinsam schaffen wir’s.“
Die Meldung von der Waffenruhe in Südsyrien entbehrt nicht einer gewissen Ironie: „Kämpfer und ihre Familien sollten sicheres Geleit in die Rebellenhochburg Idlib im Norden Syriens erhalten.“ Diese Region ist nämlich als nächste (und letzte) dran. Dann führt das „sichere Geleit“ ins Meer – oder nach Europa.
- In Japan wurde der Sektengründer Shoko Asahara, der für den Sarin-Anschlag in der U-Bahn von Tokio im Jahre1995 verantwortlich war, zusammen mit 13 weiteren Mitgliedern seiner Sekte gehängt. AI ist aus Prinzip gegen die Todesstrafe, doch unser Mitleid hält sich in engen Grenzen. Aber die Frage sei erlaubt, warum man sich mit der Exekution 23 Jahre Zeit ließ.
- Das WM-Finale hatte ein MeToo-Erlebnis durch den Auftritt der Pussy Riot-Flitzerinnen, denen man schnell zeigte, dass Frauen in dieser Männerdomäne nichts verloren haben.
Platzverweis im WM-Finale
Mit 15 Tagen Haft kamen sie zunächst relativ glimpflich davon, aber unmittelbar nach ihrer Freilassung wurden sie wieder festgesetzt, wegen „Verstoßes gegen die Versammlungsgesetze“. Wahrscheinlich haben sie zusammen in einem Café ihre Freilassung gefeiert. Hoffentlich ergeht es ihnen nicht so schlimm wie ihren Vorgängerinnen, die 2012 in einer Kirche ein Punkgebet gesprochen hatten und zu mehrjähriger Lagerhaft verurteilt worden waren. Denen hat jetzt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 20 000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen, weil sie in ihrem Gebet nicht zu Gewalt oder Hass aufgerufen hatten. Auch wenn Russland die Entschädigung aus der Portokasse (oder gar nicht) zahlt, ist das Urteil ein wichtiges Signal: Wenn die eigene Justiz versagt, können Russen immer noch nach Straßburg gehen. Im September ging es dem männlichen Flitzer, Pjotr Wersilow, an den Kragen, bzw. an den Magen. Er zeigte nach einem Gerichtstermin in Moskau Vergiftungserscheinungen und wurde in der Charité in Berlin behandelt. Er hatte sich beim Geheimdienst unbeliebt gemacht, weil er u.a. über Gerichtsverfahren gegen Menschenrechtsaktivisten berichtet hatte. Und wahrscheinlich haben sie von der Affäre Skripal her, den sie im März beim Besuch der „wunderschönen Kathedrale von Salisbury“/England (Zitat der russischen Eintagestouristen) erwischt haben, noch eine Giftspritze übrig gehabt.
- Spektakulär mit Vorbehalt war die Annäherung zweier Erbfeinde in Ostafrika, die bereits als „äthiopischer Frühling“ bezeichnet wird. Bei einem Treffen der Präsidenten von Äthiopien und Eritrea wurde ein historischer Friedensvertrag unterzeichnet – und das ohne Vermittlung durch außenstehende Mächte. Noch wachsen die Bäume in den Himmel: Verwandtschaftstreffen nach 20 Jahren, ein Hafen für Äthiopien, Investitionen in Eritrea, Entmilitarisierung in beiden Ländern und offene Grenzen. Doch damit sind wir bereits bei den Vorbehalten: bis jetzt ist die Grenze nur in eine Richtung hin (Äthiopien – Eritrea) geöffnet, und der eritreische Diktator Isaios Afewerki scheint von der Dynamik seines Amtsbruders Abiy Ahmed etwas überrollt worden zu sein. Hoffen wir, dass dieser Frühling beständiger ist als sein arabischer Vorläufer! Im September haben sich die beiden noch einmal getroffen, und, weil es so schön ist, Frieden zu schließen, haben sie in Dschidda/Saudi-Arabien auch noch einen Freundschaftsvertrag geschlossen. Jetzt scheint auch die Grenze in beiden Richtungen offen zu sein, und Eritrea soll Anstalten machen, die Verpflichtung zum lebenslangen Wehrdienst zu lockern.
Das Foto des Monats aber wurde zweifellos bei der Ankunft von Liu Xia in Helsinki geschossen.
Endlich frei
Die Frau des in Gefangenschaft verstorbenen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo durfte endlich ausreisen – nicht zuletzt dank intensiver Bemühungen der deutschen Diplomatie. Der Dissident Hua Jia, der den Todestag seines Freundes in Gesellschaft der Staatssicherheit verbringen musste, hat das Foto, wohl ohne es zu kennen, wie folgt kommentiert:
„Liu Xia ist nun
wie ein Drache an der Schnur. Sie fliegt weit weg von China.
Die Schnur aber ist in den Händen der Regierung.“
Im Klartext bedeutet das, dass sich Liu Xia vor „falschen Worten“ in Deutschland hüten muss. Die KP China hat nämlich ihren Bruder als Geisel behalten. Wünschen wir der Frau, dass sie ins Leben zurückfindet und nicht mehr „da liegt wie eine Leiche“.
August 2018
Es liegt nahe und lässt sich auch so hindrehen, als Monatsaufhänger das Lied vom „lieben Augustin“ zu verwenden. Da heißt es in der 4. Strophe
„O, du lieber Augustin, Augustin, Augustin,
o, du lieber Augustin, alles ist hin!
Jeder Tag war ein Fest, jetzt haben wir die Pest!
Nur ein großes Leichenfest, das ist der Rest.“
Sie werde es schon ahnen: Wir sind nicht in Wien, sondern in Chemnitz gelandet. Nach einem Straßenfest zum 875. Jubiläum der Stadt kam es nachts zu einem Streit, in dessen Verlauf der Deutsche Daniel H. erstochen und zwei seiner Freunde verletzt wurden. Mutmaßliche Täter: ein Syrer und ein Iraker. Damit kam es zu einer Opfer-Täter Konstellation, auf die die rechtsradikale Szene geradezu gewartet und gut vorbereitet war.
Wir wollen aber hier nicht in eine Falle tappen und uns dem Vorwurf aussetzen, dass wir nur verhalten gegen das Tötungsverbrechen aber lautstark gegen die Gegenreaktionen protestieren: die Tat ging den Demos voraus und ist, ähnlich der Silvesternacht in Köln, eine Katastrophe für die Beziehungen zwischen Migranten und Mehrheitsgesellschaft. Den Opfern und ihren Familien gilt unser Mitgefühl, den (mutmaßliche) Tätern gönnen wir ihre gerechte Strafe und, wenn es ohne „Kollateralschaden“ möglich ist, die anschließende Abschiebung.
Blumen für einen Toten
Betroffen hat uns aber auch gemacht, wie und warum die Situation eskaliert ist: die hohe Zahl an Hooligans und (eingesessenen und landesweit eingeflogenen) Rechtsextremisten, die mangelnde Polizeipräsenz in der Anfangsphase, die verharmlosenden und unbedachten Äußerungen von Politikern (Kubicki: „die Merkel ist an allem (mit) Schuld“), und der unsägliche Streit darüber, ob die Angriffe auf „Kanaken“ eher eine ‚Verfolgung’ oder eine ‚Hetze’ oder doch eine ‚Hetzjagd’ waren – oder, wie der Chef des Verfassungsschutzes andeutete, überhaupt nicht stattgefunden haben. Und die Hitlergrüße, die man in Chemnitz gesehen und das „Nationaler Sozialismus! Jetzt!“, das man beim Trauermarsch in Köthen skandiert hat, lassen einen immer mehr daran zweifeln, ob es noch Provokation oder nicht schon Auftakt zur Endlösung der „Mutter aller Probleme“ ist.
Morgen, Freunde, wird’s was geben!
Im AI-Jugendmagazin erschien dazu der „Augenzeugenbericht“ eines Chemnitzer AI’lers, der uns nahe legte, die Langeweile, die manchmal an unseren Infoständen herrscht, gefälligst zu genießen. Die Chemnitzer werden bei ihren Infoständen angepöbelt, sie werden auf Twitter von AfD-Abgeordneten beleidigt und wurden beim Tag der Sachsen Opfer eines Einbruchs in ihren Pavillon.
Aus Solidarität drucken wir wenigstens ihr Foto ab.
Die Kurznachrichten
- „Wer es fassen kann, der fasse es“, ist ein Zitat aus der Bibel, das wir hier aber nicht zum Thema (Pflicht)Zölibat, sondern zur derzeitigen Abschiebepolitik bemühen wollen. Jetzt, wo sich die Zuwanderung, nach Innenminister Herrmann „deutlich entspannt“ hat, werden die freiwerdenden Kapazitäten der Behörden benutzt, um rigoroser abzuschieben.
Und wo gehobelt wird, fallen bekanntlich Späne. Da wurde am 3. April (Osterdienstag) ein Uigure aus München abgeschoben – als Folge einer „Behördenpanne“. Der Mann war zwar ausreisepflichtig, sein Anwalt hatte aber einen Asylfolgeantrag eingereicht. Das BAMF schickte ein Fax mit der Mitteilung, zu diesem Antrag sei der Mann anzuhören, aber an den Osterfeiertagen scheinen in München auch die Faxmaschinen Urlaub zu machen. Das Fax kam nicht an, die Abschiebung erfolgte wenige Stunden vor dem Anhörungstermin, der Anwalt wurde nicht verständigt. In China wirft man dem Mann Beteiligung an den Unruhen von 2009 und Mord vor, deshalb ist es unwahrscheinlich, dass er (überhaupt) in Xinjiang, der Heimatprovinz der Uiguren, gelandet ist. Und wenn, dann wartet auf ihn eines der „Umerziehungslager“, in denen Hunderttausende von Uiguren festgehalten werden, bzw. – so die Sprachregelung der Partei - eine „Berufsschulausbildung“ erhalten. Ein anderer KP-Funktionär kam der Wahrheit schon näher: Er sprach davon, dass man Chinas Muslime „tief greifend zu einer gesunden Herzenseinstellung reformieren“ müsse. Das „müsse“ haben die Chinesen dann bei einer Anhörung im UN-Menschenrechtsrat auch noch relativiert: Der Aufenthalt sei freiwillig, kostenfrei und habe nichts mit der Religion zu tun.
Unser Bundesinnenministerium scheint gemerkt zu haben, dass hier gelogen wird, bis sich die Balken biegen, denn es verfügte (endlich), dass Uiguren „bis auf weiteres“ nicht mehr abgeschoben werden sollen. Für Dishatjan A. dürfte das zu spät sein. Bärbel Kofler, die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung hat bei einem Chinabesuch im Dezember erfahren, dass er im Gefängnis hockt. Wo denn sonst? Übrigens, wenn Sie mehr von Frau Koflers Reiserlebnissen erfahren wollen, kommen Sie am Dienstag, 26. März 2019, zu unserem Infoabend über „70 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – Wunschtraum oder Erfolgsgeschichte?“
Der Zeichner ist in Hinsicht auf „Entspannung bei der Zuwanderung“ übrigens weniger optimistisch als der bayrische Innenminister.
Ob die neuen Flüchtlinge allerdings so leicht abzuschieben sind, wie derzeit Bayern und einige andere Bundesländer sich der Afghanen entledigen, ist zu bezweifeln.
- „Neuer Mann ganz der alte“, überschrieb die „SZ“ einen Bericht zum Wahlergebnis in Simbabwe. Der neue Präsident Mnangagwa, Beiname „das Krokodil“, hatte jahrelang die „Drecksarbeit“ für seinen Vorgänger Mugabe gemacht und seinen Aufstieg zum „Saubermann“ gründlich vermasselt. Bei einer Demo der Opposition nach seinem (knappen) Wahlerfolg wurden Demonstranten von hinten erschossen, Frauen geschlagen und Passanten gedemütigt. Die Pressekonferenz des Oppositionschefs wurde von der Polizei gestürmt. Da werden wir bald wieder neue AI-Fälle bekommen.
- In Ägypten, so die Schätzungen von Menschenrechtlern, sitzen derzeit etwa 60 000 Menschen wegen fadenscheiniger Anschuldigungen im Gefängnis. Liedtexte, die den Präsidenten zum Rücktritt auffordern, regierungskritische Berichterstattung, Videos gegen sexuelle Belästigung (v.a. durch Polizisten) – läuft alles unter „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ und „Verbreitung von Falschnachrichten“ und verhilft zu einer „Denkpause“ hinter Gittern. Auf der Rangliste der Pressefreiheit belegt das Land Platz 161 von 180.
- Pennsylvanien/USA hat sich geschichtlich einen Namen gemacht, weil dort, nach Ausrottung der Susquehannock-Indiander durch die Kolonisten, für letztere volle Religionsfreiheit geherrscht hatte. Diese Freiheit haben mehr als 300 katholische Priester missbraucht. Ein Bericht der Justiz, der bis auf das Jahr 1947 zurückführt, legte dar, dass seither mindestens 1000 Opfer betroffen waren. In nur zwei Fällen kann Anklage erhoben werden, weil die anderen Betroffenen inzwischen älter als 30 Jahre sind und die Tat damit verjährt ist. Über den Grad der Vertuschung wird gestritten. Ein Bischof streitet ab, dass es „Verschleierung“ geben habe, das Geschworenengremium hält dagegen: Statt von „Vergewaltigung“ wurde von „unangemessenem Kontakt“ gesprochen, auffällige Priester wurden in die nächste Diözese versetzt. Wenigstens hat Papst Franziskus die fällige Kehrtwende eingeleitet, als er die Fälle (wie noch in Chile) nicht mehr als „Denunziation“ abtat, sondern als Verbrechen“ bezeichnete. Der Kardinal von Boston holte zum Rundumschlag gegen seine Mitbrüder aus.
„Die Katholiken haben ihre Geduld mit uns verloren, und die Gesellschaft hat ihr Vertrauen in uns verloren.“
Im September waren dann Deutschland und die Niederlande an der Reihe.
Noch ein paar Nachrichten von Augustins „Leichenfest“? Rubrik:. Sie werden es nicht für möglich halten, aber
- in Schwäbisch Gmünd traf eine junge Jesidin den IS-Kämpfer Abu Humam, der sie 2014 auf dem Sklavenmarkt in Mossul gekauft, entsprechend drangsaliert und auch bei der Begegnung in Deutschland bedroht hatte. Die Jesidin ist wieder in den Irak geflohen, der IS-Mann beantragt vielleicht bei uns Asyl mit der Begründung, dass er im Irak misshandelt worden ist, die Ermittlungen gegen ihn gestalten sich schwierig, da die Zeugin „aktuell nicht erreichbar ist“. Im „Merkur“ stand im September, dass noch 3400 jesidische Frauen und Kinder in der Gewalt des IS sind, aber, so eine jesidische Aktivistin, „die Welt kümmere sich nicht darum“.
Aschwak Hadschi Hamid Talo
- in Saudi-Arabien droht der schiitische Menschenrechtlerin Israa al-Ghomgham die Todesstrafe, weil sie zu Demonstrationen gegen die Regierung aufgestachelt und Bilder davon ins Netz gestellt haben soll.
- in Nebraska/USA wurde ein Mann hingerichtet, der schon 1979 (!) verurteilt worden war. Der deutsche Pharmahersteller Fresenius Kabi ist vergeblich vor Gericht gegangen, weil der Giftcocktail mutmaßlich zwei Substanzen enthielt, die Fresenius produziert hatte.
Wir verlassen das Leichenfest mit einem schönen Kalenderspruch:
„Wenn alles verloren ist, bleibt uns die Zukunft.“
- Die katholische Kirche, das kann sie auch, hat sich „mit Entschiedenheit für die Abschaffung der Todesstrafe in der ganzen Welt“ ausgesprochen. Dazu musste der Katechismus geändert werden, der die Todesstrafe „in schwerwiegendsten Fällen“ noch zuließ. Allerdings wüsste ich noch ein paar Themen, wo der Katechismus überarbeitet werden müsste.
- Auch die Behördenschelte müssen wir (etwas) relativieren. Der Afghane Nasibullah S. war wie der Uigure widerrechtlich abgeschoben worden, wurde aber im August zurückgeholt. Im September wurde dann allerdings seine Klage gegen die Ablehnung seines Asylantrages zurückgewiesen, weil er seit seiner Ankunft in Kabul am 3. Juli noch nicht von den Taliban (oder dem IS) „behelligt“ worden war. Wenn er jetzt erneut abgeschoben wird, kann man ihn in Afghanistan ohne Zeitdruck erledigen.
- Während in Syrien Präsident Assad unbarmherzig auf einen Sieg im Bürgerkrieg zusteuert, schmiedet man in Deutschland Rachepläne – und das zu Recht. Ermittler einer „war crimes unit/Sondereinheit für Kriegsverbrechen“ sammeln Belastungsmaterial gegen Assads Folterknechte und Genozidstrategen. So wurde jetzt gegen den Chef des syrischen Luftwaffengeheimdienstes Dschamali Hassan Haftbefehl erlassen. Den wird er zunächst erfolgreich ignorieren, aber wenn er in paar Jahren in Zypern Urlaub machen will, und das Land mit Deutschland einen Auslieferungsvertrag geschlossen hat, dann wäre er fällig. Und da würde ihn in Deutschland vielleicht die Menschenrechtsanwältin Noura Ghazi empfangen, die offiziell erst sechs Jahre nach der Verhaftung ihres Mannes und mit dem Vermerk „Todesursache unbekannt“ von seiner Hinrichtung erfuhr und sich jetzt mit ihrer Organisation „Familien für die Freiheit“ bemüht, das Schicksal von (geschätzten 18 000) Verschwundenen aufzuklären.
Noura Ghazi vor dem UN-Sitz in Genf
Schneller brisant als für den Geheimdienstler könnten die deutschen Ermittlungen für solche Täter werden, die als Flüchtlinge getarnt, nach Deutschland gekommen sind und sich hier in Sicherheit fühlen.
- Und dann kamen positive Meldungen aus einem Land, aus dem man positive Meldungen lange nicht mehr vernommen hat. Sultan Erdogan hat begnadigt, nicht aus einem Anfall von Gerechtigkeitsempfinden, sondern weil die Lira verfällt und die Wirtschaft kriselt und er deshalb „auf Schmusekurs“ zur EU und zu Deutschland geht. Es kamen frei, zumindest bis zur Fortführung des Prozesses
- Taner Kilic, Ehrenvorsitzender von AI-Türkei, nach über 400 Tagen Haft
Familie Kilic in Wartestellung
- Mesale Tolu, nach sieben Monaten U-Haft und anschließender Ausreisesperre
Ende August durfte Frau Tolu ausreisen, möchte aber im Oktober in die Türkei zurück, um am Verfahren gegen sie teilzunehmen, obwohl ihr bis zu 20 Jahre Haft drohen. Das ist mehr als „ein bisschen mutig“. Ich würde nicht fahren, denn „in Sachen Rechtsstaatlichkeit bleibt der Gesprächsbedarf mit der Türkei … weiter hoch“. (Heiko Maas, Außenminister) Wie kann man „wenig bis nichts“ schöner sagen!
- Schließen wollen wir den Monat unverschleiert. Da hat eine Boutique-Besitzerin in Garmisch, die offensichtlich auch von ihrer europäischen Kundschaft leben kann, ins Fenster einen Zettel gehängt mit der Bitte, ihr Geschäft unverschleiert zu betreten, da „es in der europäischen Kultur als hochmütig und respektlos empfunden werde, sein Gesicht nicht zu zeigen“. Die Damen (in Niqab und Burka) kehrten zunächst mal um, kamen aber am nächsten Tag modisch gekleidet und mit einem Seidentuch überm Haar wieder zurück. Vielleicht waren sie froh, endlich einmal ohne Schleier auftreten zu dürfen. Wenn man aber Besuchern unseres Landes unsere Messlatte vorhält, dann sollten auch wir uns als Touristen in islamischen Ländern überlegen, ob der Bikini oder die Badehose nicht etwas zu knapp bemessen sind.
September 2018
Was haben Saudi-Arabien und die katholische Kirche gemeinsam? In beiden Gebilden dürfen Frauen zwar (jetzt) Auto fahren, haben aber sonst nicht viel zu sagen, beide springen unsanft mit Dissidenten um (Auspeitschung und Ermordung, Verweigerung der Lehrerlaubnis) und beide sind Meister im Vertuschen von unangenehmen Wahrheiten, das Land seit dem Oktober 2018, die Institution seit über 70 Jahren. Das Ausmaß der Missbrauchsfälle in Deutschland war so groß, dass den Bischöfen selbst der übliche Verweis auf Missbrauch in der evangelischen Kirche, Sportvereinen und Schulen im Halse stecken blieb. Den Akten zufolge, die eine Forschungsteam untersucht hatte, seien für den Zeitraum von 1946 bis 2014 sexuelle Vergehen von 1670 Klerikern an 3677 überwiegend männlichen Minderjährigen protokolliert worden.
Ein Problem hat die katholische Kirche aber auch mit der Aufarbeitung des Problems durch die Professoren des Teams. Sie durften die Akten erst einsehen, nachdem sie vom Kirchenpersonal vorher durchgesehen/vorgefiltert worden waren, es ist offensichtlich zu Aktenvernichtung gekommen, und nicht alle Bistümer sollen ihre Akten geöffnet haben. In diesem Zusammenhang ist es auch zu einer denkwürdigen sprachlichen Übernahme aus der Kriminalstatistik gekommen: die Studie stellt wohl nur das „Hellfeld“ der Fälle dar, die Reformbewegung „Wir sind Kirche“ spricht von „der Spitze des Eisbergs“.
Die Professoren halten sich bei der Frage der Mitwisserschaft der Ortsbischöfe sehr zurück, bezeichnen aber die Bereitschaft zur Aufklärung „als nicht sehr ausgeprägt“. Nur bei einem Drittel der Fälle (566) sei ein kirchenrechtliches Verfahren eingeleitet worden, das in 154 Fällen ohne Strafe endete, nur in 122 Fällen wurde auch die weltliche Justiz eingeschaltet. Die „elegante“ Lösung war, den Täter in eine andere Pfarrei zu versetzen. Hinter einer solchen Lösung würde wohl auch der deutsche Kardinal Walter Brandmüller (90) stehen, der sich zu Recht gegen einen Generalverdacht von Geistlichen zur Wehr setzt, aber dafür eine Beschönigungsstrategie liefert, die man nur mehr durch den Altersparagraphen erklären kann.
„Da benimmt sich die Gesellschaft ziemlich heuchlerisch. Was in der Kirche an Missbrauch passiert ist, ist nichts anderes, als was in der Gesellschaft überhaupt geschieht.“
Da hat er ganz vergessen, dass sich die Kirche jahrhundertelang als „moralische Instanz“ gesehen hat, die der Gesellschaft von oben herab gepredigt hat, wo es lang gehen sollte.
Zur Illustration wählen wir eine der wohlwollenderen Karikaturen.
Die deutsche Bischofskonferenz hat auf die Studie nach Meinung von Kommentatoren und Opferverbänden „peinlich weich“ reagiert und auf Fragen wie Machtverteilung in der Kirche, Sexualmoral und Pflichtzölibat, Aufklärung ohne kirchliche Zwischenfilter, mit Platitüden und Vertröstungen geantwortet. AI hat sich (bisher und wohlweißlich) aus der Debatte herausgehalten. Die Organisation hat vor kurzem ein Papier zur Abtreibung verabschiedet, das für Zoff mit den Kirchen sorgen könnte.
An Austritt aus der Kirche denke ich nicht. Zum einen durfte ich eine Reihe großartiger Jugendkapläne erleben, die mir höchstens nahe gekommen sind, wenn wir uns beim Fußballspielen gefoult haben, zum anderen stelle ich in solchen Situationen immer die Frage: „Warum soll denn ich gehen?“
Die Kurznachrichten
- Diese Frage stellte sich sicher auch der frühere Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen, der mit seinen Äußerungen zur „Vergnügungsjagd“ in Chemnitz und seiner Absetzung und vorübergehenden Beförderung zum Staatssekretär eine leibhaftige Regierungskrise mit anschließendem Schuldbekenntnis dreier Parteivorsitzender auslöste. Als er dann bei gleich bleibender Besoldung als Abteilungsleiter landete, ging man wieder einmal daran, „wieder zu den Sachfragen zurückzukehren“.
- Maaßen hat in seinem Beitrag in der „Bild“ die These vertreten, dass man ein Video gefälscht habe, um von den mutmaßlichen Tätern abzulenken. Falsch gelaufen ist eher, dass man bei den Festnahmen den Falschen erwischt hat und man ihn nach drei Wochen wieder entlassen musste, da auch die Staatsanwaltschaft keinen dringenden Tatverdacht mehr sieht. Dazu passend der Fall einer 14-jährigen in Hamburg, die im August behauptete, von einem Afghanen vergewaltigt worden zu sein. Auch er ist kein polizeilich unbeschriebenes Blatt und war zum Zeitpunkt der „Tat“ stark alkoholisiert. Aber zu einer Vergewaltigung, meinen die Überwachungskameras, sei es nicht gekommen, wohl aber zu einer massiven Vorverurteilung. Und dann eine Frau aus Ismaning: von arabischstämmigen Kerlen in der S-Bahn begrapscht und bestohlen. In Wirklichkeit hatte sie ihr Geld am Arbeitsplatz vergessen und musste, vermutlich nach Auswertung von Videoaufnahmen, zugeben, dass sie sich alles „zusammengereimt“ hatte. Warum nicht reimen, was die Leute hören wollen?
Aber leider gibt es neben den Fake News auch die Taten, die wohl tatsächlich verübt wurden. Im Oktober wurde in Freiburg ein Mädchen Opfer einer Gruppenvergewaltigung: die mutmaßlichen Täter – sieben Syrer und ein Deutscher. Da bei allen Vorkommnissen Alkohol im Spiel war, hätte ich einen guten Vorschlag für „Jugend forscht“: So wie es früher die Glocken für die Leprakranken gab, mit denen sie ihr Kommen ankündigen mussten, könnte man für alle Besucher von Saufzentren eine Fußfessel entwickeln, die Lärm schlägt, wenn der Alkoholpegel gemeingefährlich wird und erst wieder abgenommen werden kann, wenn man wieder nüchtern ist.
- Ein besonders krasses Beispiel, wie sich die strikte Anwendung des Dublin-Abkommens auswirken kann, ist dem Rundbrief von SOLWODI entnommen. Da wurde eine Nigerianerin, die über eine Menschenhändlerin nach Italien gekommen war und der es gelang, nach Deutschland zu fliehen, trotz Schwangerschaft wieder nach Italien zurückgebracht. In einem Camp erlitt sie eine Fehlgeburt und wurde „erneut in die Prostitution gezwungen, denn die Madames bzw. Zuhälter gehen von Camp zu Camp, mit den Fotos, die sie von den Frauen haben“.
- Vermutlich ohne Alkoholeinfluss ging das Mobbing eines jüdischen Schülers der John-F.-Kennedy-Schule in Berlin über die Bühne. Monatelang wurden ihm antisemitische Witze erzählt, Hakenkreuzzettel zugesteckt und der Dampf von E-Zigaretten ins Gesicht geblasen, mit der Bemerkung, dass ihn „das an seine vergasten Vorfahren erinnern soll“. Im September stellte die Schulaufsicht der Schulleitung ein schlechtes Zeugnis aus: Die Taten seien nicht nur unterschätzt, sondern erst gar nicht gemeldet worden. In Elternforen wurde dem Schüler vorgeworfen, an dem Mobbing sei er selber schuld. Auch das Verhalten einer AfD-Gruppe im KZ Sachsenhausen, die bei der Führung gezielt Tatsachen zum NS-Massenmord in Zweifel gezogen und die Existenz von Gaskammern geleugnet hatten, weist auf einen antimsemitischen Bodensatz hin, der nicht nur arabischstämmig ist.
- Wir verlassen unser „gastliches“ Deutschland und wenden uns noch ungastlicheren Ländern zu. In Russland machte Putins Intimfeind Alexej Nawalny eine Erfahrung, die in der Psychiatrie mit „Drehtüreneffekt“ bezeichnet wird. Er hatte 30 Tage in Haft gesessen, weil er gegen die Rentenreform protestiert hatte und wurde kurz nach seiner Entlassung erneut festgenommen, nach Auskunft seiner Sprecherin gleich noch am Ausgang.
Nawalny wieder in seiner „Zweitwohnung“
- Schon Ende August veröffentlichten UN-Ermittler ein brisantes Papier zum „Völkermord“ und zur Vertreibung der Rohingyas aus dem Bundesstat Rakhine/Myanmar. Die Ermittler fordern ein Strafverfahren gegen den Armeechef Min Aung Hlaing und fünf ranghohe Militärs. Der Weg dazu aber ist weit und beschwerlich: der UN-Deleation wurde der Zugang zum Tatort verweigert, Fakten sind von Fake News zu trennen, und der (gefallene) Engel Aung San Suu Kyi hält dem Militär die Stange. (Zitat: „Im Rückblick hätte man manche Dinge besser händeln können.“) Wesentlich deutlicher wurde sie allerdings bei ihrem Kommentar zu den drakonischen Strafen gegen zwei Journalisten. Sie hatten ein Massaker an Rohingyas aufgedeckt, das vom Militär (nach einigem Zögern) auch bestätigt wurde. Dann gingen sie in eine Falle der Polizei: Man steckte ihnen Papiere zu und verhaftete sie kurz darauf, weil sie im Besitz dieser Papier waren. Die Anklage lautete zunächst auf „Verrat von Staatsgeheimnissen“; verurteilt, und das zu sieben Jahren, wurden sie dann wegen „illegaler Beschaffung von geheimen Papieren“. Auch Suu Kyi war der Meinung, dass Recherchen zu Massakern unter Verschluss zu halten seien.
Kyaw Soe Oo und Wa Lone
Unter Verschluss werden auch die diesjährigen Preisträger des „Alternativen Nobelpreises“ gehalten. Die drei Männer hatten in Saudi-Arabien eine Organisation gegründet, die für Gewaltenteilung („Aber wir haben doch den König und den Kronprinzen!“), für die Einrichtung einer konstitutionellen Monarchie („Da bräuchte man ja eine Verfassung!“)und für die Gleichberechtigung von Mann und Frau („Soweit kommt’s noch!“ ) eintritt. Die Preisträger werden voraussichtlich ihre Auszeichnung nicht persönlich entgegennehmen können. („Die sollen doch froh sein, dass es ihnen nichts so geht wie im Oktober dem Khashoggi!“)
- Sehr gemischte Frohnachrichten kommen auch aus Ägypten. Dort sind die Todesurteile gegen 75 Muslimbrüder in 2. Instanz bestätigt worden. Sie können noch in Berufung gehen und darauf hoffen, dass bislang keine Urteile vollstreckt worden sind. AI hat mit gedämpfter Vorfreude die Nachricht aufgenommen, dass der Fotojournalist Shawkan Aussicht auf Freilassung hat, nachdem er fünf Jahre U-Haft hinter sich gebracht hat. Wir in Miesbach haben für ihn am „Tag der Menschenrechte“ (10. Dezember) 230 Postkarten an den Kirchentüren verteilt.
- In Malaysia wurde ein lesbisches Paar nach dem Urteil eines Scharia-Gerichts öffentlich ausgepeitscht. Mehr als 100 Menschen sahen zu, aber der Premierminister verstieg sich immerhin zu der Behauptung „Dies zeichnet ein schlechtes Bild des Islam.“ Da werden ihm nicht nur die beiden Frauen zustimmen.
Zum Monatsabschluss aber lieber ein Bild von Malaysierinnen, die nicht verprügelt wurden. Sonst würden sie sich wohl nicht mit der Flagge ablichten lassen.
Frauen mit malaysischer Flagge
Oktober 2018
„Ein Mann ging in des Konsuls Haus,
doch leider kam er nicht mehr (lebend) raus.“
Dieser leichthebige Zweizeiler soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass dazu „Nachrichten aus dem Gruselkabinett“ gehören. Was dem (ex)saudischen Journalisten Jamal Khashoggi am 2. Oktober im saudischen Konsulat in Istanbul passiert ist, als er dort Papiere für seine Hochzeit abholen wollte, ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit, der bisher erst durch die „Hinrichtung“ des Redaktionsteams von Charlie Hebdo (2015) überboten wurde.
Hier das „Tagebuch“ des Schurkenstücks – in der Berichterstattung von „Merkur“ und „SZ“:
- 2. Oktober: Besuch und Ermordung Khashoggis im Konsulat
- 8. Oktober. 1. Meldung in der „SZ“ unter dem Titel „Im Konsulat endet die Spur des Kritikers“.
- 11. Oktober: Der „Merkur“ berichtet von langfristiger Planung des Auftragsmords und der Ankunft des Killerkommandos am Vortag.
- 13. Oktober: Berichte, dass von der Ermordung Ton- und Videoaufnahmen existierten, die von Khashoggis Computeruhr und/oder von „Wanzen“ des türkischen Geheimdienstes stammten.
- 17. Oktober: Durchsuchung des Konsulats nach DNA-Spuren und Blutresten, Fotos von Putzkräften/Tatortreinigern, Konsul nach Saudi-Arabien ausgereist, erste Erklärungsversuche: Trump spricht von „wildgewordenen Killern“, Saudi-Arabien von einem Streit, der aus dem Ruder gelaufen sei.
- 18. Oktober: grausige Details der Hinrichtung – Spritze, Verstümmelung, Zerstückelung durch einen (mit angereisten) Gerichtsmediziner, Mitglieder des Kommandos gehören zum Umfeld des Kronprinzen Mohammed bin Salman (MbS).
- 20. Oktober: Riad soll erwägen, den Vize-Geheimdienstchef Asiri als Sündenbock aufzubauen, um den Kronprinzen aus der Schusslinie zu nehmen.
- 22. Oktober: Saudi-Arabien präsentiert „Version 1001“ – Khashogghi sei gestorben, als er sich der „Rückführung“ in seine Heimat widersetzte, Forderungen nach Sanktionen werden laut, in der „SZ“ sehr deutlich, bei Trump sehr verhalten.
- 24. Oktober: Erdogan nennt und verschweigt Ermittlungsergebnisse – spricht von einem „politischen Mord“, von einem „Ausflug“ des Teams in einen Wald, von einem örtlichen Helfer, der die Leiche weggeschafft haben könnte und von einem Double, das in Khashoggis Turnschuhen das Konsulat durch den Hinterausgang aber vor den Augen der Überwachungskameras verlassen habe. Er spricht aber nicht von den Ton- und Videoaufnahmen und er vermeidet es, das saudische Königshaus direkt zu beschuldigen.
- 25. Oktober: Trump bezieht klaren Standpunkt – wenn auch deren zwei. Dem „Wall Street Journal“ gegenüber sagt er: „Er (MbS) hat das Sagen, und wenn es also irgendjemand gewesen wäre, dann er.“ Und als ihm der Kronprinz versichert hatte, die Sache habe sich „auf einer niedrigeren Ebene“ abgespielt, wird Trump von der gleichen Zeitung mit dem Worten „Ich will ihnen/ihm glauben“ zitiert. Dass da ein gewisser Widerspruch besteht, ist natürlich eine Fake News. Die „Zeit“ beleuchtet den Hintergrund, warum sich Khashoggi den Zorn des Kronprinzen zugezogen hat. Der Journalist hatte in einem Artikel die Muslimbruderschaft verteidigt, die im Arabischen Frühling für kurze Zeit den politischen Islam salon- und mehrheitsfähig gemacht hatte und in den Augen der Saudis zu demokratieanfällig war und diesen Virus auch an autoritäre Regime übertragen hätte.
- 26. Oktober: Der „Merkur“ titelt – „Riad. Die Tötung war geplant.“ Aber MbS habe die Tat als „abscheulich“ bezeichnet.
Mit „abscheulich“ meint er wohl eher das Aufsehen, das so ein bisschen Journalistenmord in der Welt hervorrief.
Jamal Khashoggi (1958 – 2018)
Ich schließe mit einer Drohung: Fortsetzung folgt im November.
Die Kurznachrichten
- Weil wir schon beim Auftragsmord sind – Papst Franziskus ist bei einer Generalaudienz zum Thema „Du sollst nicht töten“ von seinem Manuskript abgewichen und hat Abtreibung mit einem Auftragsmord verglichen. Unabhängig davon, was das Motiv für eine Abtreibung ist, Mord ist es auf keinen Fall. Die katholische Kirche sollte schön langsam daran gehen, für päpstliche Spontanäußerungen ein Fehlbarkeitsdogma einzurichten. Wir von AI sitzen allerdings im Glashaus. Wie erwähnt, gibt es ein Diskussionspapier, das ein „Recht auf Abtreibung“ festschreiben möchte. Bei der letzten Bezirksversammlung in München war man geschlossen dagegen.
- Von den „Transformationseinrichtungen“ für die Uiguren in Xinjiang/China war bereits die Rede. Der „Mann fürs Grobe“ heißt Chen Quanguo. Er hatte bereits in Tibet für „klare Verhältnisse“ gesorgt und die „Dalai-Lama-Clique“ effizient und innovativ zum Schweigen gebracht. So setzte er beispielsweise KP-Kader ein, die bei tibetischen Familien und in den Klöstern bei den Mönchen schliefen. Und so wie er den tibetischen Buddhismus der „sozialistischen Zivilisation“ angepasst hat, macht er es seit 2016 mit dem Islam der Uiguren. Er baute einen Überwachungsstaat auf Hightechbasis auf, der dazu führte, dass die Moscheen leer, aber die Lager voll sind. An sich wäre das ein Fall für Interpol, aber da hat China schnell noch den Behördenchef verhaftet.
Chen Quanguo
Möge Chen einmal in der sozialistischen Hölle schmoren!
Was die KP-China derzeit unternimmt, um den Einfluss der Religionen zu brechen, grenzt an Paranoia. Im Nordwesten Chinas fließt ein Fluss, der bisher Aiyi hieß. Jetzt wurde er umbenannt, weil der Name beim Hören wie Aisha klingt – und das war die dritte Frau des Propheten Mohammed. Ob bei einem solchen Ausmaß an Religionsfeindlichkeit der Vatikan vom Hl. Geist geleitet wurde, als er mit China eine Vereinbarung zur Ernennung von Bischöfen traf, ist zu bezweifeln.
- Für die Hölle, aber mehr in ihrer faschistischen Spielart, hätten wir gleich noch einen Kandidaten. Die Brasilianer haben sich mit Jair Bolsonaro einen Präsidenten gewählt, der die Militärdiktatur (1964-1985) verherrlicht, einen ihrer Folterknechte als Vorbild hat, politische Gegner erschießen will, den Regenwald den Agrarlobbyisten zum Fraß vorwirft, Todesstrafe und Folter befürwortet, die Waffengesetze zu lockern beabsichtigt und zu einer Kollegin im Parlament gesagt hat, sie sei es nicht wert, von ihm vergewaltigt zu werden. Die „SZ“ schreibt zu seinem Wahlsieg:
„Dieser Planet ist schon mit einem Präsidenten Donald Trump gestraft. Er verträgt keinen Präsidenten Jair Bolsonaro mehr.“
- Noch sollen sie nicht erschossen werden, aber eine Einquartierung im Gefängnis kann ihnen schon blühen, den Obdachlosen in Ungarn. Dort gilt jetzt ein Gesetz, mit dem das Leben auf der Straße generell verboten ist. Wer dreimal von der Polizei aufgegriffen wird, dem droht beim vierten Mal eine Gefängnisstrafe oder eine Verurteilung zu gemeinnütziger Arbeit. Wer zynisch ist, wird sagen „Im Gefängnis haben sie dann ja ein Quartier“. Wir hingegen sind der Meinung, dass Obdachlosigkeit ein Schicksalsschlag und kein Verbrechen ist. Das meint auch die EU, die im September wegen „Gefährdung der Grundrechte“ ein Sanktionsverfahren gegen Ungarn eingeleitet hat und u.a. den Umgang mit der Obdachlosigkeit dafür aufführt, wie dort der Rechtsstaat unter die Räder kommt. Aber zurückrudern wird Orban erst, wenn man ihm den Geldhahn abdreht.
- Was Orban „illiberale Demokratie“ nennt, reichte der „Revolution Chemnitz“ bei weitem nicht aus. Sie wollten „die Geschichte Deutschlands ändern“, was wohl heißt „zurückdrehen“, und das könne schon „Opfer fordern“. Zum Tag der Deutschen Einheit planten sie einen Anschlag, vor dem die NSU als „Stümpertruppe“ dagestanden wäre. Die sächsische Polizei, oft zur Recht wegen ihrer Einäugigkeit gescholten, hat diesmal gut aufgepasst/abgehört, und die acht Revoluzzer hinter Schloss und Riegel gebracht. Es ist nur zu hoffen, dass ihr Verfahren eher über die Bühne geht als das der „Weisse Wölfe Terrorcrew“, die derzeit in Bamberg vor Gericht stehen, obwohl man schon vor zwei Jahren Anklage erhoben hat.
Aber jetzt wird es Zeit für Nachrichten zum Goldenen Oktober.
- Der US-Bundesstaat Washington hat die Todesstrafe abgeschafft. Sie sei in der Vergangenheit auf „willkürliche und rassistische Art“ angewandt worden und sei verfassungswidrig. Damit gibt es in 20 der 50 US-Bundesstaaten keine Todesstrafe mehr. Man fragt sich dann nur, welche Verfassung in den 30 verbleibenden Bundesstaaten gilt.
- Der ukrainische Filmemacher Oleg Senzow hat den Sacharow-Preis der EU erhalten. Er stemmte sich gegen die Annexion der Krim und verbüßt derzeit eine 20-jährige Haftstrafe. Vom Gefängnis aus setzt er sich für ukrainische Häftlinge in russischen Straflagern ein. Es ist zu vermuten, dass bei der Preisverleihung am 12. Dezember ein Stuhl in der 1. Reihe frei bleibt – wieder einmal. Seine Cousine hat allerdings die Hoffnung noch nicht aufgegeben:
„Ich weiß nicht, an wen der Preis überreicht wird. vielleicht warten sie auf Oleg selbst.“
- Auch die Preisträger des diesjährigen Friedensnobelpreises waren eine gute Wahl. Er ging an die jesidische Aktivistin Nadia Murad und an den kongolesischen Gynäkologen Denis Mukwege, die sich beide für die gleiche Zielgruppe einsetzen, nämlich Menschen, die sexuelle Gewalt im Krieg erleiden. Dazu die SZ:
„Diese Opfer sind stille Opfer – fast immer Frauen oder Kinder, fast immer völlig unbeteiligt an der Gewalt, die ihren Alltag im Griff hat. Sie gehören zu den Gruppen, die Frieden am dringendsten nötig haben.“
Die Preisträger – ein Volltreffer
- Ein Volltreffer war auch die 4. Großdemo in München, die unter dem Motto „Jetzt gilt’s“ gegen Rechtsruck und Rassismus antrat. Es kamen zwischen 21 000 (Polizei) und 40 000 (Veranstalter) Teilnehmer, eine bunte Mischung aus Omas, Flüchtlingen, Fußballfans, Familien und Kinderwägen. Bei den Rednern war das Parteienspektrum, vorsichtig ausgedrückt, nicht vollständig vertreten. Obwohl man massiv auf das bayrische Polizeiaufgabengesetz/PAG losging, war die Polizei zufrieden, weil es zu keinen Zwischenfällen kam; lediglich der Innenminister war eingeschnappt.
… weil’s uns reicht
- Zu den Wahlen in Bayern und Hessen hat der Zeichner Rudi Hurzlmeier den passenden Kommentar geliefert.
Leider wurde Untertitel bei diesen Wahlen nicht immer beherzigt. Viele Rindvieher haben die … falsche Partei gewählt.
November 2018
Wir wollen uns nicht lange bei der Frage aufhalten, ob der Zwischenfall in der Straße von Kertsch dadurch verursacht wurde, dass Putin wieder einmal seine (fotogenen) Muskeln spielen lassen wollte oder Poroschenko sich davon Wahlkampfhilfe versprach. Was der Zeichner des „Merkur“ hier so trefflich eingefangen hat, ist das Gefühl, dass auf unserer Welt immer „etwas los“ ist – und meistens nichts Gutes, sodass man glauben möchte, in dunklen Hinterzimmern säße ein Klub von Politikern und Waffenexporteuren beisammen und plaudere darüber, an welcher Ecke der Welt man jetzt mit dem Zündeln anfangen könnte. Zugegeben, das klingt stark nach Verschwörungstheorie – aber „Verschwörer“ gibt es genug auf der Welt.
Damit sind wir wieder nahtlos bei unserer Fortsetzungsgeschichte „Der Fall Khashoggi“ angekommen, die wir Ihnen im Oktober schon angekündigt haben. Wir möchten sie noch einmal aufnehmen, weil sie bereits, was zu erwarten war, ins Vergessen abzustürzen droht.
- 3. November: Der „Merkur“ berichtet, dass man Khashoggis zerstückelte Leiche in Säure aufgelöst habe, „um sicher zu gehen, dass nichts von der Leiche übrig bleibt“. Um die „Entsorgungsstätte“ zu finden, untersuchte die türkische Polizei Villen von saudischen Geschäftsleuten.
- 8. November: Die „SZ“ beklagt die wachsweiche Reaktion des Westens. Bei dem Mordversuch an Sergej Skripal, der vermutlich von russischen Geheimdiensttouristen verübt worden war, habe man mehr als 100 russische Diplomaten ausgewiesen. Das „Schweigen der Lämmer“ und das mangelnde „Finderglück“ der türkischen Polizei mag dazu geführt haben, dass Journalistenverbände und Menschenrechtsorganisationen eine unabhängige Untersuchung durch die UN gefordert haben.
- 14. November: Die „New York Times“ berichtet unter Berufung auf Mitarbeiter des US-Geheimdienstes, dass ein Mitglied des Mordkommandos „seinem Chef“ Bescheid gegeben habe, dass „die Tat vollbracht sei“. Sie dürfen raten, wer dieser „Chef“ wohl sein könnte.
- 16. November: In einem Akt der Vorwärtsverteidigung hat die Staatsanwaltschaft in Riad den Einsatz des Kommandos in Istanbul bestätigt und für fünf der Beteiligten die Todesstrafe gefordert. Der „Chef“ habe von allem keine Kenntnis gehabt.
- 19. November: Dem CIA liegt eine Tonaufnahme aus dem Konsulat vor, aus der hervorgeht, dass Khashoggi sofort nach Betreten des Konsulats getötet wurde. Außerdem gäbe es Abhörprotokolle, die bewiesen, dass MbS die Ermordung Khashoggis persönlich angeordnet habe und ihn dazu ins Konsulat locken ließ.
Wir haben unsererseits ein (fiktives) Abhörprotokoll erstellt, auf dem CIA-Chefin Gina Haspel ihren Chef vom Verdacht gegen den anderen Chef unterrichtet.
Haspel: Herr Präsident, dem CIA liegen Erkenntnisse vor, …
Trump: Vergessen! Der bringt sowieso nur Fake News.
Haspel: Sie meinen den CNN. Der CIA ist Ihr Geheimdienst.
Trump. Ach so! Was meldet er denn?
Haspel: Der saudische Kronprinz soll in die Affäre um den zerstückelten Journalisten verwickelt sein.
Trump: Na und? Vielleicht war er das, vielleicht war er das nicht. Und wo steht zurzeit der Ölpreis?
- 20. November: Berlin sendet endlich ein „notwendiges Signal“. Alle Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien, auch bereits genehmigte, werden eingestellt. Gegen 18 Bürger des Königreiches werden Einreisesperren verhängt.
- 29. November: Obwohl in der argentinischen Verfassung steht, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit weltweit verfolgt werden könnten, kommt es beim G-20- Gipfel in Buenos Aires nicht zur Verhaftung des „Chefs“. Ganz im Gegenteil: Er wurde eher hofiert als gemieden. Da konnte man schon das Gras hören, das über die Affäre zu wachsen beginnt.
-15. Dezember: Der US-Senat fordert die Einstellung der Militärhilfe für Saudi-Arabien – für den Krieg im Jemen und macht MBS persönlich für den Mord an Khashoggi verantwortlich.
Kehren wir nach Deutschland zurück – wenn auch nicht gleich ins saudische Konsulat. Die unschönen Nachrichten wurden nicht von einem Killerkommando, sondern von Behörden, Institutionen, umnachteten Gruppen und unbedachten Einzeltätern geliefert. Fangen wir mit den Ausländerbehörden an:
- Bei einem Abschiebeflug nach Afghanistan sollen auch Leute gewesen sein, die suizidgefährdet sind, für eine dringende Operation angemeldet waren oder für die US-Armeee in Afghanistan gearbeitet hatten. Dazu passt (wie die Faust aufs Auge), dass Afghanen, die in Masar-i-Scharif für die Bundeswehr tätig waren und entsprechend gefährdet sind, derzeit kaum noch eine Einreiseerlaubnis bekommen. Das „Ortskräfteverfahren“, schon das Wort klingt nach Ablehnung, „ist praktisch zum Erliegen gekommen“.
- Von der AfD laut angedacht und von Innenministern vorsichtig aufgegriffen, kamen Abschiebungen nach Syrien ins Gespräch, aber denen hat Innenminister Seehofer (zunächst einmal) einen Riegel vorgeschoben. Im jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes heißt es nämlich:
„In keinem Teil Syriens besteht ein umfassender, langfristiger und verlässlicher Schutz für verfolgte Personen.“
Der Missbrauchsskandal hat jetzt auch die evangelische Kirche erreicht – und das voll. Sie ist lange „gemütlich im Windschatten des großen katholischen Skandals gesegelt“ und „hat die Taten als … ärgerliche Einzelfälle dargestellt“. Aber immerhin: Seit 1950 gab es 480 solcher „Einzelfälle“, die bekannt wurden. Auch die Aufarbeitung geht eher zäh voran. Nur die Hälfte der Landeskirchen hatte bisher eine unabhängige Anlaufstelle für Betroffene eingerichtet, die „Missbrauchsbeauftragte“, die Hamburger Bischöfin, genießt zwar das Vertrauen der Opfer, war aber „nicht mit der Autorität einer Beauftragten ausgestattet und stand oft alleine da“. Jetzt denkt man daran, eine bundesweite Anlaufstelle einzurichten und (möglicherweise) „eine Studie über Ausmaß und Strukturen des Missbrauchs“ in Auftrag zu geben. Wie sagt man da als gestandener Katholik: Es möge den Opfern helfen und verhindern, dass es weitere Opfer gibt.
Ein unseliges Gespenst der Vergangenheit ist der Antisemitismus, der wieder gesellschaftsfähig wird. Man braucht Charlotte Knobloch von der israelitischen Kultusgemeinde München nicht uneingeschränkt zuzustimmen, wenn sie davon spricht, dass man den Judenhass „heute genauso rein und ungefiltert erlebt wie 1938“, aber eine Umfrage der Universität Leipzig erinnert einen an (schon einmal zitierten) Spontispruch der 1968er: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem er kroch.“ In der Umfrage sagen 10 Prozent der Befragten, „dass Juden etwas Besonderes an sich haben und nicht so recht zu uns passen“. Man mag sich lieber nicht vorstellen, wie diese Leute die Juden in Deutschland passend machen wollen.
Ohne Schuhe und mit abgeschnittenen Hosenbeinen trieben SA-Leute Rechtsanwalt Michael Siegel am 10. März 1933 durch München. (Foto: SZ-Photo)
Nachdem im Dezember eine weitere Studie ergeben hat, dass der Antisemitismus in Form von Beleidigungen und Bedrohungen auch EU-weit auf dem Vormarsch ist, kann man es gar nicht deutlich genug sagen, „dass es kein Europa mehr gibt, wenn sich Juden in Europa nicht mehr sicher fühlen“. (Franz Timmermanns, Vizepräsident der EU-Kommission)
Notorisch geschichtsvergessen war auch der AfD-Bezirksrat Rainer Groß, der den Vorschlag, der oberbayrische Bezirkstag solle gemeinsam das KZ Auschwitz besuchen, wie folgt kommentiert hat: „Dann können wir auch nach Tannenberg fahren.“ Der Ort war im 1. Weltkrieg Schauplatz einer deutsch-russischen Schlacht und 1940 Hauptquartier von Adolf Hitler. Sie können sich raussuchen, warum Groß nach Tannenberg wollte. Von einem Mitglied des Bezirkstages haben wir dann erfahren, dass der Kommentar von H. Groß nicht im Plenum des Bezirkstages, sondern „in kleiner Runde“ gefallen sei und außerdem nicht hätte veröffentlicht werden dürfen, aber da wir von AI nicht an die Schweigepflicht des Bezirkstages gebunden sind, machen wir den Nostalgieausbruch des AfD-Landsers der Öffentlichkeit zugänglich.
Eher unbedacht als umnachtet (aber ebenso geschichtsvergessen) dürfte Ministerpräsident Markus Söder gewesen sein, als er es in seiner Rede beim Staatsakt zum 100. Geburtstag des Freistaates Bayern fertig brachte, Kurt Eisner, den ersten Ministerpräsidenten des Freistaats, nicht ein einziges Mal zu erwähnen. Auch die Einladungsliste hatte eine gewisse Schlagseite: Zur Feierstunde der Republik wurde seine „Königliche Hoheit“ Max Herzog in Bayern begrüßt, während die Nachfahren von Kurt Eisner dessen Grab auf dem israelitischen Friedhof besuchten. Sie waren nicht eingeladen.
Die Kurznachrichten
- Viel länger als der Todesmarsch von Khashoggi, aber dafür (möglicherweise) mit einem glücklichen Ende, ist der Leidensweg der pakistanischen Christin Asia Bibi – für AI eine alte Bekannte. Im Jahre 2010 nach einem diffusen Streit um einen Wasserbecher, wurde sie der Blasphemie angeklagt und zum Tode verurteilt. Allerdings war die Beweislage so dünn, dass das oberste Gericht jetzt nach acht Jahren auf Freispruch entschied, der wiederum die muslimischen Hardliner auf die Straße rief, was wiederum die Regierung zu einem schmutzigen Deal nötigte: zunächst keine Entlassung aus dem Gefängnis, dann keine Ausreiseerlaubnis und ein Revisionsverfahren am obersten Gericht – gegen die Erstentscheidung des obersten Gerichtes.(!) Wir teilen mit Nachdruck die Meinung des pakistanischen Präsidenten, dass die Demos gegen das Urteil „dem Islam keinen Dienst erwiesen“ – und das über Pakistan hinaus.
Inzwischen soll Asia an einem sicheren Ort auf ein Visum für einen Staat in Europa warten. Deutschland soll eines ihrer Wunschländer sein. Sie wäre uns herzlich willkommen. Da es bereits Gerüchte gibt, dass sie auch in Deutschland nicht sicher wäre, ist es nur zu begrüßen, dass der Zentralrat der Muslime in Deutschland die Aufnahme der Familie befürwortet und Asia zu einer Veranstaltung eingeladen hat.
- In Mexiko ist häusliche Gewalt endemisch: Im Jahre 2016 erlitten 43,9 Prozent der mexikanischen Frauen Gewalt von Seiten ihres Partners. 2007 wurde zwar ein Gesetz zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen erlassen, und seit 2009 wird der Feminizid/Frauenmord als Straftatbestand anerkannt, aber die Taten werden nur selten bestraft. Jetzt nähert man sich dem Problem auf eine neue Art: Man berechnet die sozioökonomischen Kosten der Gewalt gegen Frauen, den Verlust an Produktivität am Arbeitsplatz, die Einbuße an Lebenserwartung. Der Ansatz mag zynisch klingen, aber man erhofft sich davon einen Anreiz für den Staat, aus eigenem Interesse gegen häusliche Gewalt vorzugehen. Wenn’s hilft!
Auch in Deutschland hat 2017 die Zahl von Opfern häuslicher Gewalt zugenommen. Und da wollen wir einmal die Stammtischbrüder bedienen und die Zahlen bei den Männern nicht unterschlagen: 18 Prozent waren Opfer, aber 82 Prozent waren Täter – von den Tatverdächtigen versteht sich, nicht von der Gesamtbevölkerung. Der Anteil der Tatverdächtigen mit Migrationshintergrund lag bei 32 Prozent, also höher als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung (23,6 %), aber bei weitem nicht so hoch, wie es die Berichterstattung in den Medien vermuten lässt, wo manchmal der Eindruck entsteht, als würden Frauen nur in Flüchtlingsfamilien verprügelt und ermordet. Der Anstieg erklärt sich übrigens durch die Tatsache, dass neue Kategorien in die Statistik aufgenommen worden sind (z.B. Zwangsprostitution, Zuhälterei) – die darin schon lange auftauchen sollten.
- Eine Schocktherapie für afrikanische Männer ist das „Massaker“, das Leyla Hussein, eine Kämpferin gegen die Beschneidung von Frauen an einem Gebilde aus Knetmasse durchführt. Sie möchte den Männern demonstrieren, dass die Beschneidung der Mädchen eine grausame Verstümmelung ist. Ihre Aufklärungskampagnen, die in einem Kinofilm unter dem ironischen Titel „Female Pleasure/weibliches Vergnügen“ dokumentiert sind, haben ihr Menschenrechtspreise aber auch Polizeischutz eingebracht. Und sie zeigen Wirkung. In einem Dorf in Kenia, so ein anderer Filmausschnitt, sitzt ein Kreis von Frauen, alle beschnitten aber entschlossen, es ihren Töchtern zu ersparen.
Leyla Hussein
- AI-Arbeit in Deutschland heißt oft Schreibtischarbeit und, wenn’s dicke kommt, Teilnahme an Mahnwachen und Demos. In Tschetschenien aber hat der Einsatz für Menschenrechte einen hohen Gefährdungsfaktor. Das muss in diesen Tagen auch Ojub Titiev erfahren, der die tschetschenische Filiale der Menschenrechtsorganisation Memorial leitete. Er hatte den Fall von 27 Häftlingen dokumentiert, die im Januar 2017 von der Polizei hingerichtet wurden. Verhaftet wurde er ein Jahr später, als man bei einer Straßenkontrolle ein Päckchen Marihuana in seinem Wagen fand, mit Sicherheit ein inszenierter Drogenfund. Im November fand in Grosny der Prozess statt. Ohne die Anwesenheit internationaler Beobachter wäre es ein kurzer Prozess geworden, aber am Ende des Monats war man bereits bei Sitzung 14.
- Aber im November war auch „etwas anderes los“. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich zwei notorische Rechtsverweigerer vorgeknöpft und sie wegen der politischen Verfolgung von Oppositionellen verurteilt. Russland wurde wegen der andauernden „Gängelung“ des Regimekritikers Alexej Nawalny zu 51 000,-€ Schadenersatz plus 12 600,-€ Gerichtskosten verdonnert, die Türkei wurde aufgefordert, den kurdischen Politiker Selahattin Demirtas, der seit mehr als zwei Jahren in U-Haft sitzt, sofort freizulassen und ihm 25 000,-€ Entschädigung zu zahlen. Daraufhin sind Putin und Erdogan zur Bank geeilt und haben einen Überweisungsauftrag erteilt. Soweit die Meinung von Weihnachtsmann und Osterhase! Russland drohte mit dem Ausstieg aus dem Europarat, der den Gerichtshof betreibt und hat dem Ausstieg auch schon einen Namen verpasst („Ruxit“). Und Erdogan nannte das Urteil „nicht bindend“, in Einklang mit der türkischen Richterin am Gerichtshof, die „es nicht hinreichend belegt sah, dass die Türkei mit der Inhaftierung von Demirtas politische Absichten verfolgte“. Nawalny wird also auf sein Geld warten müssen, während Demirtas im Dezember in zweiter Instanz verurteilt wurde – und jetzt vier Jahre und acht Monate wegen „Terrorpropaganda“ abzusitzen hat.
Wer sich jetzt (verständlicherweise) die Frage stellt, wozu das Gericht nütze ist, wenn seine Urteile doch nur missachtet werden, sei auf ein Verfahren hingewiesen, das vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig war. Da haben die Richter erreicht, dass in Polen die Zwangspensionierung von Richtern „zumindest vorerst zurückgenommen wurde“.
- „Wiener Wut“ titelte die „SZ“ die wöchentlichen Protestmärsche gegen Österreichs (zunehmend) rechte Regierung, bei denen die „Omas gegen rechts“ kräftig mitmischen. Sie haben sogar ein „Oma-Lied“, und wenn sie es anstimmen, „verstummt sogar der Schwarze Block“. Hier der Refrain:
„ Omas, Omas, uns braucht das Land,
wir kämpfen für die Kinder
und machen Widerstand.“
Mit wohlwollender Ironie wird ihr Auftritt als „das vielleicht letzte Gefecht der alten Achtundsechziger“ beschrieben, gegen den Faschismus, „der ja wieder umgeht in Europa“.
- Und am Ende dieses Monats ein Foto, das schon auf Weihnachten vorausweist.
Im August 2015 wären sie nicht bis Heidenau gekommen, und wenn, dann hätten sie sicher nicht so gelächelt.
Dezember 2018
Obwohl das Loriot-Gedicht „Advent“ thematisch zum Fall Khashoggi passen würde, beschränke ich mich auf die beiden letzten Zeilen, die eher Hoffnungszeichen enthalten:
„Im Försterhaus die Kerze brennt,
ein Sternlein blinkt – es ist Advent.“
Ohne das mit den Hoffnungszeichen zu hoch anzusetzen, ist mir doch aufgefallen, dass mein Stapel an menschenrechtlich relevanten Nachrichten/sprich Gruselgeschichten im Dezember wesentlich niedriger war als in den anderen Monaten. Deshalb wird dieser Monatsbericht eine Art „Weihnachtsgabe von AI – verbunden mit der Hoffnung, dass sie auch noch schönere Geschenke erhalten werden.
Im Gazastreifen wurden sechs Palästinenser zum Tode verurteilt für ein Delikt, das aus unserer Sicht eher positiv besetzt ist: Zusammenarbeit mit Israel. Dabei geht es allerdings nicht um Projekte, um die unerträgliche Lage im Hexenkessel Gazastreifen zu verbessern, sondern (mutmaßlich) um Informationen, die israelischen Killerkommandos und Flugzeugen den Weg zu den „Zielen“ zu ebnen.
Auch die Türkei scheint auf den Geschmack gekommen zu sein, gegen „Staatsfeinde“ im Ausland zuzuschlagen. Es gibt Berichte über „Zwangsrückführungen“ und anschließender „Sonderbehandlung“ von türkischen Gülen-Ahängern aus dem Kosovo, der Ukraine und sogar aus Malaysia. Als nächstes wird jetzt Gülen selber dran sein, wenn ihn Trump in den USA zum Abschuss/zur Abholung freigibt. Die Grüne Claudia Roth hadert darüber mit der Bundesregierung:
„Die große Koalition tut fast so, als sei in der Türkei alles in Ordnung. Nichts ist in Ordnung.“
Im Iran wurde die renommierte Journalistin Hengameh Schahidi zu mehr als 12 Jahren Haft verurteilt. Die Urteilsbegründung hätte eigentlich lauten sollen: „Einsatz für Frauen- und Menschenrechte“. Das klingt aber nicht so kriminell wie: „Gefährdung der nationalen Sicherheit, Propaganda gegen das islamische Regime, Beleidigung der Justiz“ – letzteres wahrscheinlich, weil sie versucht hatte, ins Ausland zu fliehen.
Hengameh Schahidi – Bild einer Mehrfachtäterin
In Frankfurt ist bei der Polizei eine mehr als seltsame WhatsApp-Gruppe enttarnt worden. Die Mitglieder sollen Hakenkreuze, rechtsextremistische Karikaturen, Hitlerbilder und menschenverachtende Bilder von Flüchtlingen und Behinderten ausgetauscht haben. Ins Rollen kam die Sache, als eine Rechtsanwältin, die am NSU-Prozess beteiligt war, ein Fax mit der Unterschrift „NSU 2.0“ erhielt. Das Schreiben enthielt Informationen wie die Privatadresse der Anwältin und den Vornamen ihres Kindes. Diese Informationen waren unmittelbar vor Versendung des Faxes von einem Polizeicomputer abgerufen worden. Ob die Gruppe, die sich (bezeichnender weise) den Namen „Itiot“ gegeben hat, auch das Fax geschickt hat, wird derzeit geprüft - hoffentlich nicht nach dem Motto „dass nicht sein kann, was nicht sein darf“. Die Gruppe ist inzwischen vom Dienst suspendiert, so dass ein Opfer rassistischer Gewalt jetzt bessere Chancen hat, bei der Frankfurter Polizei Gehör zu finden.
Bundespräsident Steinmeier hat China besucht. Da die deutsch-chinesischen Beziehungen von „Komplexität und Vielfalt“ geprägt seien, hat er sich gleich sechs Tage Zeit genommen. Menschenrechtsorganisationen hatten ihm vorher noch Nachhilfeunterricht gegeben, damit er die Worte Uiguren und Xinjiang richtig ausspricht, aber vor den Studenten von Sichuan hat er die (Un)Wörter nicht direkt in den Mund genommen, sondern nur davon gesprochen, dass die Deutschen
„besonders sensibel sind für das, was mit jenen geschieht, die einer Minderheit angehören oder ihre Religion ausüben wollen“.
Das ist besser als gar nichts, und die Parteispitze wird wissen, dass mit der „Minderheit“ nicht die Han-Chinesen gemeint sind. Auf die Frage eines deutschen Studenten hin, ob er damit die Uiguren gemeint hätte, erklärte er dann, dass er die Lage in Xinjiang in Gesprächen mit der chinesischen Führung thematisieren wolle. Ob er es tatsächlich getan hat, weiß man nicht, aber bei der Ausreise wurde er nicht festgehalten, obwohl er auch bei anderen Konfliktfeldern „freundlich im Ton, aber klar in der Sache“ gewesen ist und die AEMR „einen Glücksfall der Geschichte“ genannt hat.
Bei uns blasen Innenministerkonferenz und BAMF seit August zum Angriff auf das Kirchenasyl. Es ist ihnen ein Dorn im Auge, weil es staatlichen Hau-Ruck Verfahren einen Riegel vorschiebt und in den meisten Fällen mit einem Bleibestatus endet – was auf die Entscheidungen des BAMF kein so günstiges Licht wirft. Was geschieht denn mit einer Frau aus Nigeria, die in Italien zur Prostitution gezwungen wurde, wenn man sie wieder dahin abschiebt? Man hat zunächst (mit fadenscheinigen Gründen) verfügt, dass die Abschiebung in das Erstaufnahmeland nicht mehr sechs sondern 18 Monate lang möglich ist, eine Frist, mit der die meisten Kirchengemeinden überfordert sind. Und man hat den „humanitären Härtefall“ neu definiert, so dass „so gut wie niemand mehr“ darunter fällt.
Dazu passend der düstere Kommentar der „SZ“ zum „Tag der Menschenrechte“ am 10. Dezember:
„Zum 70. Jubiläum der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte klingt jeder Artikel wie ein SOS. Schon lange hat man die Menschenrechte nicht mehr so hoffnungsmatt gelesen.“
„Hoffnungsmatt“ (trotz aller Fehlschläge) kann eine Frau nicht gewesen sein, die im Alter von 91 Jahren in einem Krankenhaus in Moskau verstorben ist. Die Menschenrechtsaktivistin Ljudmilla Alexejewa hat sich zeitlebens für die Bürgerrechte in Russland eingesetzt, zuerst gegen den KGB, dann, nach einer Ausbürgerung von 15 Jahren, gegen den KGB-Spurwechsler Putin. Der hat ihr übrigens zum 90. Geburtstag einen Preis für „besondere Leistungen im Bereich der Menschenrechte“ verliehen. Das Wort wird ihm nicht so leicht über die Lippen gegangen sein, aber bei einer 90-jährigen kann man schon einmal über seinen Schatten springen.
Ljudmilla Alexejewa - Mitbegründerin der Helsinki-Gruppe (1976)
In einem Artikel hat Jagoda Marinic eine Lanze für den „Wagemut“ gebrochen. Sie hat die Gewalt gegen Kinder in Bürgerkriegen, die ertrunkenen Flüchtlingen im Mittelmeer, aber auch die Frauen von Srebrenica und der Plaza del Mayo erwähnt und dann ein Jahresschlusswort gesprochen, das wir (hoffentlich mit ihrem Einverständnis) übernehmen:
„Man muss einem Jahr, das mit solchen Geschichten zur Neige geht, ein Wort voranstellen, das den Glauben an das nächste Jahr zu erneuern vermag: Wagemut ist so ein Wort. Wer dem Gleichmut etwas entgegensetzen möchte, muss wagemutig sein. Nur der Wagemutige kann die Behaglichkeit stören. Eine Behaglichkeit, die nicht einmal durch Weihnachten aus der Ruhe zu bringen war.“
Sie brauchen die Passage nicht auswendig zu lernen, er wird auch den Jahresbericht von 2019 einleiten.
3. Der Tätigkeitsbericht: das AI-Jahr im Landkreis Miesbach
Sie werden sich vielleicht gewundert haben, dass wir zu Beginn darauf hingewiesen haben, dass wir uns im 46. AI-Jahr befinden. Die Zahl ist für Vereine nicht jubiläumsträchtig, aber da wir von der Zielsetzung her eher zu den gefährdeten Arten zählen, werden wir von jetzt an unser Alter jedes Jahr erwähnen, und es somit wie Gemeinden und Pfarreien halten, die ab eines bestimmten Alters die Senioren jedes Jahr besuchen. Dieses Alter liegt bei 80 oder 90 Jahren, und davon ist die Gruppe von der Altersstruktur her noch weit entfernt. Wir liegen eher bei 46 Plus Plus und blicken (noch) gelassen in die Zukunft, weil (bisweilen) ein Neuzugang für eine (drastische) Verjüngungskur sorgt.
3.1 Schreibtischtaten
Im Juli erreichte uns eine Mail von Idil Eser, der ehemaligen Direktorin von AI-Türkei:
„Ohne euren Einsatz, euren Aktivismus und eure Lobbyarbeit könnte ich jetzt nicht diese E. Mail schreiben. Euch ist es zu verdanken, dass ich nicht in einer Gefängniszelle in Silivri festsitze.“
Das Mail wirft auf unsere Schreibtischtaten ein zwiespältiges Licht. Zum einen zeigt es, dass wir hier in Deutschland AI-Taten aus sicherer Entfernung (zum Gefängnis) vollbringen können, zum anderen, dass unsere Briefe im Sinne der Chaostheorie etwas bewirken können. Dankbar für die Sicherheit am Schreibtisch und zuversichtlich, dass nicht alles „für die Katz“ war, präsentieren wir die AI-Arbeit, die es nicht in die Schlagzeilen schaffte.
Protestbrief gegen die Behandlung von Taner Kilic (Januar)
Von der Justizfarce „Lassen wir ihn raus?“ oder „Sperren wir ihn doch wieder ein?“ haben wir bereits im Jahresrückblick berichtet. Es sollte bis August dauern, bis unser Schreiben die zuständigen Behörden erreichte. Taner wurde freigelassen, aber das Verfahren wegen Terrorismus wird fortgesetzt.
Wo ist Aster Yohannes? (Februar)
Ein „cold case/Altfall“ aus Eritrea, dem „Nordkorea von Afrika", ist der von Aster Yohannes. Sie wurde 2003 bei ihrer Rückkehr aus den USA verhaftet und ist seither verschwunden. Sie ist ein Opfer von Sippenhaft, denn ihr Mann war einer der Führer einer Reformbewegung und sitzt seit 2001. Ob sich das zaghafte Tauwetter, das sich in Folge des Friedensprozesses mit Äthiopien einstellte, auch für politische Gefangene auszahlt, war bisher nicht auszumachen.
Aster Yohannes – vor Jahren
Frauentag in Teheran (Februar)
Während bei uns der Frauentag am 8. März an 100 Jahre Frauenwahlrecht erinnerte, fand im Iran im Februar ein „Weißer Mittwoch“ statt. Wie bereits erwähnt, forderten Frauen in weißen Hijabs Wahlfreiheit in Sachen Haar oder Kopftuch. Eine davon war Shima Babaee, die man zwecks Familienzusammenführung gleich mit ihrem Mann Dariush Zand verhaftet hat. Im Juni soll sie wegen „Veröffentlichung obszönen Materials in den sozialen Medien“ zu zwei Monaten Gefängnis und zu einer Geldstrafe von 10 Millionen (Landeswährung) verurteilt worden sein.
Petition für Regierungskritiker im Tschad
Wer im Tschad Misswirtschaft und Korruption kritisiert, fällt unter Gesetze, die immer repressiver werden und einem Geheimdienst in die Hände, der immer aggressiver agiert. Friedliche Demonstrationen werden verboten, der Zugang zu sozialen Medien eingeschränkt, zivilgesellschaftlichen Vereinigungen die Anerkennung verweigert. Il-liberale Demokratie in Afrika. Wir haben 31 Unterschriften gesammelt und mit Freude zur Kenntnis genommen, dass der Blogger Mahadine, der in der Petition erwähnt wurde, im April freigelassen wurde – nach 18 Monaten Haft wegen eines Eintrags bei Facebook.
Eilaktion für Marielle Franco (April)
Einer der spektakulärsten politischen Morde ereignete sich im Zentrum von Rio de Janeiro. Marielle Franco, Stadträtin, Verteidigerin der Rechte von schwarzen Jugendlichen, Frauen und LGTB-Personen, Anlaufstelle bei Verbrechen der Polizei, kurz eine unerwünschte Person, wurde (zusammen mit ihrem Fahrer) regelrecht hingerichtet. Im November wurde der Fall der Bundespolizei übertragen, im Dezember ein ehemaliger Polizist, der ins organisierte Verbrechen gewechselt hatte, was in Brasilien kein großer Schritt ist, als Tatverdächtiger festgenommen. Wir sind zuversichtlich, dass unter der Präsidentschaft Bolsonaros das Verbrechen im Sinne unserer Eilaktion „gründlich und unparteiisch untersucht“ und „Täter und Auftraggeber identifiziert“ werden. (Vorsicht Satire!)
U-Liste für afghanische Flüchtlinge (April)
Gerne unterstützten wir den Aufruf des örtlichen Helferkreises an den bayrischen Innenminister und unsere Wahlkreisabgeordneten, afghanischen Flüchtlingen einen Abschiebeschutz zu garantieren und ihnen eine Ausbildungs- und Arbeitserlaubnis zu gewähren. Der bayrische Landtag hat (in seiner Mehrheit) damit reagiert, dass er die Beschränkungen bei der Rückführung (auf Straftäter, Gefährder und Identitätsverweigerer) mehr oder weniger aufgehoben hat. Ob die CSU deswegen die Wahl verloren hat, ist allerdings zu bezweifeln.
U-Liste für Atena Daemi (April)
Es gibt Menschen, die vor nichts zurückschrecken, obwohl sie in Staaten leben, die ihrerseits vor nichts zurückschrecken. So ein Mensch scheint Atena Daemi zu sein, so ein Staat ist der Iran. Atena hat sich kritisch zu Hinrichtungen geäußert, mit Angehörigen von Todeskandidaten demonstriert und Gräber von Hingerichteten besucht. Auch die Rechte von Kinderarbeitern waren ihr ein Anliegen. Dafür: Verurteilung zu vierzehn Jahren, „Begnadigung“ zu sieben Jahren, Hungerstreik wegen der Verlegung ins Gharchak-Gefängnis, wo die Haftbedingungen so sind, wie schon der Name verrät, Rückverlegung ins (humanere?) Evin-Gefängnis. Beim Briefmarathon 2018 hat sich Albert Woodfox für ihre Freilassung eingesetzt, der seinerseits 44 Jahre unschuldig in einem Gefängnis in Louisiana einsaß. Unsere 32 Unterschriften haben Justizminister Larijani leider nicht gerührt. Vielleicht würde es ein Aufenthalt im Gharchak-Gefängnis tun.
Aktionen für die Träger des Menschenrechtspreises (April/Juli)
Der Menschenrechtspreis wurde dieses Jahr an das Nadeem-Zentrum in Kairo verliehen. Es war die einzige Klinik in Ägypten, in der Folterüberlebende behandelt wurden. Seit Februar 2017 ist sie geschlossen, aber nicht weil es in Ägypten keine Folter mehr gibt, die ist eher als „routinemäßig“ zu bezeichnen, sondern weil NGOs nicht gerne gesehen sind und oft unter das Anti-Terror-Gesetz fallen. Der Terror kommt also nicht von denen, die foltern, sondern von denen, die die Opfer behandeln. Den vier Damen mit ihrem klassischen Terroristinnenprofil wurde, wie bereits erwähnt, die Ausreise zur Preisverleihung verweigert.
Konflikt mit der AI-Zentrale (Mai)
Da wir einen Bretonen in der Gruppe haben, der (schon von der Ethnie her) gewisse Sympathien für separatistische Tendenzen hat, war bei ihm Feuer auf dem Dach, als der katalanische Ex-Regionalpräsident Carles Puidgemont bei seiner Einreise in Deutschland verhaftet wurde und für kurze Zeit Gefahr lief, nach Spanien ausgewiesen zu werden, wo ihn ein Prozess wegen „Rebellion“ und „Korruption“ erwartet hätte. Wir waren zum einen aufgebracht, dass Deutschland zugegriffen hatte, während ihn andere Länder (Belgien, Finnland, Dänemark) unbehelligt gelassen hatten und zum anderen weil wir irgendwie das Gefühl hatten, dass da ein Politiker wegen seines (gewaltlosen) politischen Engagements festgesetzt wurde – und so etwas doch irgendwie AI-relevant sei. Die AI-Zentrale in Berlin war da anderer Meinung. Sie wollte sich nicht öffentlich für Puigdemont einsetzen, weil man der Meinung war, er würde bei einer Auslieferung in Spanien „ein faires Verfahren“ bekommen. Diese Meinung wiederum wurde vom schleswig-holsteinischen Oberlandesgericht nur zur Hälfte geteilt: Es entschied, dass Puigdemont nur ausgeliefert werden dürfe, wenn man ihm wegen des Verdachts auf Veruntreuung, nicht aber wegen Rebellion den Prozess machen würde. Die Spanier aber wollten ihn richtig in die Pfanne hauen und zogen ihr Auslieferungsbegehren zurück. Puigdemont konnte Deutschland verlassen, der Bretone ist in der AI-Gruppe geblieben.
U-Liste für einen Kollegen (Juli)
Menschenrechtsarbeit im Dauerclinch mit den Behörden wird in Russland und anderen postsowjetischen Staaten von der Organisation Memorial betrieben. Die Leiter ihrer Büros stehen (bisweilen im wahrsten Sinne des Wortes) auf der Abschussliste von Polizei und Militärs. Im Januar hat es Oyub Titiev erwischt, den Leiter des Memorial-Büros in Grosny/Tschetschenien. Um in mundtot zu machen, hatte man ihm (mehr als mutmaßlich) bei einer Polizeikontrolle Drogen unterschoben und ihn dann festgenommen. Sein Prozess dauerte im Dezember noch an und hat das Zeug als weltweit längstes Drogenverfahren ins Buch der Rekorde zu kommen. Wir haben uns mit 37 Unterschriften für seine Freilassung eingesetzt.
Oyub Titiev
Post für Microsoft (August)
Mit einer sperrig formulierten Petitionsliste „Microsoft muss seiner menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen“ haben wir an den Softwareriesen appelliert, sich näher mit der Kobaltförderung im Kongo zu befassen. Dort werden bereits Kinder ab sieben Jahren beim Abbau eingesetzt – und dass unter gefährlichen und gesundheitsschädigenden Arbeitsbedingungen. Es besteht der dringende Verdacht, dass Microsoft mehr am glänzenden Endprodukt als am glanzlosen Leben der Rohstofflieferanten interessiert ist. Da wir uns in der Sommerpause befanden, kamen auch wir unserer „menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht“ nicht nach und haben nur wenige Unterschriften gesammelt.
Appellbriefe nach Japan (Dezember)
Da ging es um Matsumoto Kenji, einen Todesstrafenkandidaten, der seit 1993 auf seine Hinrichtung wartet und darüber verrückt geworden ist. Von seinen Taten her gehört er eher zu den „schweren Jungs“, aber wir sind aus Prinzip gegen die Todesstrafe und gleich doppelt gegen die Hinrichtung von Menschen, die „eine wahnhafte Störung“ entwickelt haben, was bei den Haftbedingungen im Todestrakt schon fast der Normalfall ist. So dürfen sich Gefangene, von Hofgang und Toilettenbesuchen abgesehen, in ihrer Zelle nicht bewegen, sondern müssen sitzen bleiben. Da frägt man sich dann schon, ob nur Gefangene „eine wahnhafte Störung“ haben.
Neujahrsgrüße nach Saudi-Arabien (Dezember)
Herzlich waren die nicht – das können Sie sich vorstellen. Wir haben im Rahmen der Kampagne für bedrohte Menschenrechtler(innen) „Mut braucht Schutz“ 47 Unterschriften für die saudischen Frauenrechtlerinnen Loujain al-Hathloui, Iman al-Nafjan und Aziza al-Youssef gesammelt, die im Mai festgenommen wurden, weil sie sich (erfolgreich) für die Aufhebung des Fahrverbots für Frauen eingesetzt hatten, aber obendrein noch die Frechheit besaßen, die Abschaffung der männlichen Vormundschaft auch außerhalb des Autos zu fordern. AI liegen Berichte vor, dass die Frauen gefoltert und missbraucht werden. Was wir im in der ersten Hälfte des Jahresberichtes an positiven Informationen über Saudi-Arabien geliefert haben, können sie hiermit endgültig vergessen.
Bilanz
Da zitieren wir noch einmal den Spruch, den man gar nicht oft genug wiederholen kann:
„Sandkörner machen den Berg,
Minuten das Jahr,
flüchtige Gedanken ewige Taten.
Haltet nichts für Kleinigkeiten.“
3.2 Veranstaltungen und Vermischtes
Webinar: Terror und Gewalt (Januar)
Im letzten Webinar der Reihe ging es um „Europäische Sicherheitskooperation“. Obwohl das anscheinend kein originäres AI-Thema ist, waren von den neun Besuchern sechs AI’ler einschließlich Ehefrauen. Es ging, wie zu erwarten war, um das Thema des frühen 21. Jahrhunderts, die Sicherheit, die von Terrorismus, Klimawandel und dem Zerfall von Staaten bedroht ist und zu derer Garantie die Geheimdienste noch zu wenig zusammenarbeiten. Früher, so der kompetente und kommunikative Referent, gab es mehr Terror, heute (und seit dem 11. September 2001) ist die Angst davor größer. Das Anliegen von AI, dass nicht nur der Terror, sondern auch die Gesetze, die man mancherorts zu seiner Bekämpfung erlassen hat, die Menschenrechte gefährden, wurde nicht angesprochen.
Ostermarkt in Fischbachau (März)
Da sind wir inzwischen eine feste Größe und können vom Angebot recht gut mit dem hohen Niveau des Marktes mithalten. Den Kommentar eines AI-Mitgliedes, (die offensichtlich nicht viel verkauft hatte), „Wir hatten den schrecklichsten Stand“ wurde schon durch den stattlichen Erlös von 565,-€ widerlegt. Der Betrieb lief von recht gut bis schleppend, es gab Groß- und Nostalgieeinkäufe, Gespräche über AI fanden nur ansatzweise statt. „Interessieren Sie sich für AI?- Jetzt gerade nicht.“ Eine Frau wollte wissen, ob der ganze Erlös an AI ginge – oder ob wir wieder, wie im Jahresbericht 2017 (scherzhaft!) vermerkt, damit wieder zum Essen gingen. Und einem Mann schienen unsere Holzarbeiten (mit dem Kruzifix) nicht zu gefallen, denn er meinte nur, „zum Feiermacha wars grod no geeignet“, ein Kommentar, der in der freundlichen und entspannten Atmosphäre des Marktes umso deplazierter wirkte.
Wir haben wieder vielen Menschen für ihre Kunstfertigkeit und Großherzigkeit zu danken: den Damen Schreiber, Schneckenburger, Schmalhofer-Jacobi und Haller, den Herren Schmucker, Holzfurtner und Bracher. Und natürlich der Organisatorin Christa Winkler für die Reduktion unserer Standgebühr – auf null.
Unser „schrecklicher“ Stand
Reaktionen auf den Jahresbericht 2017
Es ist Balsam für die Seele (des Verfassers), wenn der Jahresbericht nicht nur gelesen, sondern auch gewürdigt wird, und auch ein überzogenes Lob („bist zu Höherem berufen, verdienst den Carola-Stern-Preis“ – den es nicht gibt) nimmt man billigend in Kauf. Und wenn er gar als „Drehbuch für romanhafte Wirklichkeit in skurril-absurden Ausmaßen“ beschrieben wird, dann stellt man sich die Frage, ob man den Bericht wirklich geschrieben hat.
Ostermarsch 2018 (März)
Wir marschierten mit neun Mitgliedern und vier Angehörigen strammen Schrittes mit, nur unser Banner „70 Jahre AEMR“ hatte, den Windböen geschuldet, einen argen Durchhänger. Mit uns marschierten und fuhren ein Riesenaufgebot: die „Omas gegen rechts“, die Edelweißpiraten, kirchliche und politische Jugendverbände und die Parteien von Mitte links bis ganz links. Es fehlten die AfD, die konnten wir verschmerzen, aber auch die CSU. Das war zu bedauern, weil der Einsatz für den Frieden kein Alleinstellungsmerkmal der Linken ist.
Die Reden waren zahlreich und kämpferisch und weitgehend punktgenau. Etwas befremdend das Feindbild der Edelweißpiraten, die v.a. mit den „Pfaffen“ abrechneten, und die vornehme Zurückhaltung der Linken bei der Benennung der Hintergründe des Giftgasanschlags von Salisbury. Bernard Brown testete zunächst unser Wissen vom Grundgesetz und begründete dann an Hand von konkreten Beispielen (Sklavenhandel in Libyen), warum wir mit dem Banner „Menschenrechte“ marschierten. Eine willkommene Einlage, die sowohl für Betroffenheit als auch für Heiterkeit sorgte, war die Zerstörung einer Atomrakete auf dem Volksfestplatz.
Es geht zur Sache
Die Veranstaltung dauerte drei Stunden, und die letzten Redner hatten zu kämpfen – nicht für den Abzug der
Atomraketen, sondern gegen den des Publikums.
Viele Reden hatten den Tenor, dass „die Welt nicht besser war als vor einem Jahr“, aber als wir das Schlusslied „We shall overcome“ anstimmten, hatte man das Gefühl, dass da noch was zu machen sei – mit dieser Welt. Ein Riesendank an die Organisatoren. Und bis zum nächsten Jahr!
Interview mit dem Gelben Blatt (April)
Es war, wie auch sonst mit der lokalen Presse, ein Heimspiel. In einem ausführlichen Artikel wurde zunächst der Jahresbericht 2017 und das 45-Jahre Jubiläum der Gruppe gewürdigt, wobei die gelungenen Veranstaltungen groß herauskamen und die Misserfolge eher klein gehalten wurden. Dann folgt in gedrängter Form, kein Wort zu viel und keins zu wenig, ein Überblick über die Arbeit von AI im Allgemeinen und die aktuelle Tätigkeit der Kreisgruppe im Besonderen. Die Passagen, wo der Gruppensprecher ins Stottern geriet – Erfolge, Motive für das eigene Engagement, Reaktion auf Gleichgültigkeit und Abweisung – wurden wohlwollend und elegant umgangen. Der Artikel hinterließ den Eindruck, dass der Vorsatz der Gruppe, noch (ein wenig) weiterzumachen, auch ein Anliegen des Chefredakteurs ist.
Absage an die Goldene Parkbank (April)
Arg in die Klemme brachte uns eine Einladung des Jugendzentrums in der Goldenen Parkbank/Miesbach. Sie hatten den pro-kurdischen und bekennenden Kommunisten Keren Schamberger zu einem Vortrag über Kurdistan und Türkei eingeladen. Wir haben die Einladung als Gruppe abgelehnt, weil uns der Referent politisch zu „heiß“ war und wurden von den Veranstaltern prompt mit dem Vorwurf konfrontiert, wie das mit dem Engagement von AI gegen Repression in der Türkei zu vereinbaren sei. Ich weiß, ehrlich gesagt, bis heute nicht recht, ob wir es richtig gemacht haben, aber man ist zu schnell (von der falschen Seite her) vereinnahmt. Diese Gefahr sahen wir nicht beim …
SPD-Empfang in Holzkirchen (April)
Wir mussten diesmal nicht persönlich in Aktion treten, sondern konnten unser Anliegen delegieren, und zwar an eine leibhaftige Landtagskandidatin. Frau Schmidt-Völlmecke stellte den iranischen (Lehrer)Gewerkschaftler
Ismail Abdi vor und sammelte 25 Unterschriften. Bei aller parteipolitischen Neutralität - aber allein schon deshalb hätte sie ein besseres Wahlergebnis verdient.
DGB-Kundgebung in Hausham (Mai)
Schon am nächsten Tag waren wir bei der Maifeier in Hausham, und irgendwie hatte man den Eindruck, dass man uns im Jahr zuvor vermisst hatte. Die Leute kamen unaufgefordert zu unserem Infostand, leitsteten ihre Unterschrift (sofern sie nicht am Vorabend in Holzkirchen unterschrieben hatten), nahmen unsere Postkarten und sparten nicht mit Komplimenten. Zwei Jugendliche sagten uns spontan: „Weiter so!“ Der Vorsitzende des Ortskartells, Rudi Fertl (ein alter Bekannter!), hieß uns herzlich willkommen und gab uns Raum für die Vorstellung von Ismail Abdi und für die Begründung, warum wir (trotz leichter Verbesserungen) immer noch gegen die Behandlung von Arbeitsmigranten in Katar protestieren. Einen Heiterkeitserfolg erzielte ich, als ich an eine Maifeier der 1950er Jahre erinnerte, wo ich mich weigerte, beim Absingen von „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ aufzustehen – und deshalb fast Prügel bezogen hätte.
Die Reden hatten durchgehend die Spaltung der Gesellschaft zum Inhalt, und bei Kritik an ihr gab es immer wieder Zwischenapplaus. Der fehlte ein wenig, als der Vertreter der Polizeigewerkschaft lange Passagen seiner Rede der Integration von Flüchtlingen widmete.
Am Ende sangen wir (wie damals) „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“, und ein ergrauter Gewerkschaftler fragte mich scherzhaft: „Aber jetzt singst scho mit, gell?“
Gottesdienst in der katholischen Kirche (Juni)
Von den Gewerkschaften zu den Kirchen ist heutzutage (und Gott sei Dank) kein so großer Schritt mehr wie in den 1950er Jahren, und deshalb fiel der Übergang von den Maikundgebungen nicht schwer. Und da wir in unseren Reihen mit Seppi Weiher und Renate Steck zwei kirchliche Würden- und Funktionsträger haben und die Zusammenarbeit mit Kaplan Wirzberger gut klappte, war auch die Gestaltung des Gottesdienstes kein Problem. Es hat natürlich ein paar freie Plätze gegeben, aber der Besuch der Samstagabendmesse war (etwas) besser als üblich, und wir wurden 27 Postkarten gegen die Katar(h)er los.
Seppi hat in seiner Predigt die Geschichte von der Kanaaniterin aufgegriffen, der Jesus zunächst die Heilung der Tochter verweigert, weil er der Außenseiterin gegenüber „Scheuklappen“ hatte. Und dann hat er in einer kühnen Wendung die Hartnäckigkeit der Apostel und der Mutter mit der Beharrlichkeit der AI-Mitglieder verglichen, die sich auch von Bemerkungen wie „Mia huilft a neamad“ abschrecken lassen.
Von Renate stammten die prägnanten Fürbitten, die gleich am Anfang der Menschen im Nahen Osten gedachten, die Gottes und der Menschen Hilfe brauchen, um nicht den Lebensmut zu verlieren. Dazu passend die Einleitung des Kaplans:
„Im Buch Genesis steht, dass der Mensch Ebenbild Gottes ist. Der Mensch. Nicht nur der weiße Mitteleuropäer.“
Infostand in Miesbach (Juni)
Bayernweit hatte AI zu einer Aktion „Auf welches Menschenrecht können Sie (nicht) verzichten?“ aufgerufen. Bei den Miesbachern hatten wir den Eindruck, dass man gut die Versammlungsfreiheit zur Disposition stellen könnte, denn man hat sich nicht um den Infostand versammelt, sondern ist ihm eher aus dem Weg gegangen. Es halfen auch die Trillerpfeifen nicht mehr, die wir den Kindern zur Fußball-WM schenken wollten, verbunden mit der Mahnung, „dass nur ihr übermäßiger Gebrauch eine Menschenrechtsverletzung darstellt“.
Ganz unter uns – aber ohne leichte Musik
Anders als vor einem Jahr können wir also leider nicht mit großen Erfolgsmeldungen aufwarten, aber einige Standanekdoten möchten wir ihnen nicht vorenthalten:
- Ein älterer Türke kam von selbst auf uns zu und fragte, was wir gegen Erdogans Politik in der Türkei und deren Opfer machten. Als wir ihm unsere Aktivitäten aufzählten, nahm er eine Postkarte mit und zog zufrieden weiter.
- Ein anderer Mann meinte, dass die Leute, die da in den Gefängnissen säßen, schon auch selber Schuld seien. „Sollen halt s’Maul halten“, hat er nicht gesagt, aber gemeint.
- Eine Frau rauschte zunächst mit einem schroffen „Bleibt’s bloß weg!“ an unserem Stand vorbei, kam aber eine Viertelstunde später zurück mit der Bemerkung „Mei, ihr seids ja de Guaten!“ Sie hatte auf einem Plakat den Namen „Erdogan“ gelesen und geglaubt, wir leisteten Wahlkampfhilfe. Auf dem Plakat abgebildet war Asli Erdogan, ein Opfer ihres Namensvetters.
Unser Gruppenmitglied Andreas hat seine Erfahrungen prägnant zusammengefasst:
„Eine der ablehnende Antworten war mehrmals: „Des basst scho!“ Meine Replik, würde wirklich alles passen, hätten wir nicht so viele Gründe, heute hier zu stehen, hielt niemanden davon ab, dennoch die Flucht vor mir fortzusetzen.“
Die „Guaten“ sollten ja nicht schadenfroh sein, aber da die Miesbacher so wenig für Oyub Titiev übrig hatten, hat uns das Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft in der Vorrunde nicht gerade zu Tränen gerührt. Aber bitte nicht weitersagen!
„Auf geht’s zur Demo!“ (Juli, September, Oktober)
Im heißen „bayrischen Sommer“ wurden der Landkreis und das übrige Bayern von der Lust auf Demonstrationen gepackt, denen wir uns punktuell anschlossen. Es begann mit der Demo „Ausgehetzt – Gemeinsam gegen die Politik der Angst“, wo trotz strömenden Regens mehr als 30 000 Menschen zusammenkamen und die Schlagworttexter, die die Unwörter vom „Asyltourismus“ und der „Antiabschiebeindustrie“ verbrochen hatten, tüchtig ihr Fett wegbekamen. Es folgte eine Demo in Schliersee gegen einen Wahlkampfauftritt der AfD in der Vitalwelt. Es kamen 350 bis 500 Leute, die Polizei blieb arbeitslos, da sie gegen die AfD nicht vorgehen durfte.
Dann kam die Mahnwache vor dem Eingang zum FoolsTheater in Holzkirchen: Adressat war wieder die AfD, mehr als 400 Teilnehmer, keine Zwischenfälle, im Saal ein Plakat „Die AfD gehört nicht zu Bayern“. Bei den Wahlen war leider jeder 10. bayrische Wähler anderer Meinung. Und dann zum Tag der deutschen Einheit die Demo „Jetzt gilt’s!“ mit den „Omas gegen Rechts“ und auffallend vielen Kinderwägen unter den 21 000 bis 40 000 Teilnehmern. Davor hat selbst die CSU kapituliert, die zur Demo „Ausgehetzt“ noch fleißig gegenplakatiert hatte.
Infostand Holzkirchen (Oktober)
Da der Tag gegen die Todesstrafe heuer in der Nähe der bayrischen Landtagswahlen lag, gelang es uns nicht, einen Alternativtermin mit Schönwettergarantie zu finden. Es ging also, wie bei einigen Parteien (Einiges Deutschland, die Franken, Bayernpartei) um Sein oder Nichtsein – und es sollte (wegen des Regens) nicht sein! Dem „Merkur“ danken wir, dass er auch unseren guten Vorsatz gewürdigt hat. Da uns im Gefolge hunderte von Zuschriften erreichten, mit der Frage, wo wir heuer geblieben wären, versprechen wir feierlich, nächstes Jahr wieder anzutreten.
Ausstellung „Menschen auf der Flucht“ (Oktober – November)
Zu dieser Ausstellung hatte sich AI mit der Fotoagentur Magnum zusammengetan, die eindrucksvolle Fotogeschichten von 1947 bis 2016 präsentierte.
Kinder auf der Flucht
Um 18.50 Uhr, zehn Minuten vor Beginn, waren wir im Keller der Stadtbücherei erst zu viert, aber als die Gesprächsgruppen im Foyer dann nach unten „flüchteten“, mussten wir plötzlich Stühle schleppen. Wir waren immerhin 30 Leute, darunter zwei leibhaftige Pressevertreterinnen (Gelbes Blatt, Kulturvision), die lange und wohlwollende Artikel veröffentlichten. Wir eröffneten die Ausstellung mit dem Hinweis, dass das Thema „Flucht“ in der öffentlichen Wahrnehmung überwiegend negativ besetzt ist, im Wahlkampffieber gar zur „Mutter aller Probleme“ hochgeputscht worden war, und es an der Zeit sei, Verständnis für Fluchtursachen zu vermitteln und Mitgefühl für Flüchtlinge anzumahnen. Während die Fotos meist Stationen auf dem Fluchtweg zeigten, sprach das Gedicht „Die Fremden“ von der Ankunft bei uns, wie sie
„zögernd herumstehen, erwünscht von keinem“.
Hoch erwünscht hingegen waren die Klänge, mit der die Gruppe WisÀWis (Barbara Gasteiger, Franz Jetzinger) den Raum und die Herzen füllte. Ihre Musik war so mitreißend, dass einige Besucher gleich auf ihren Sitzen blieben und fast vergessen hätten, dass sie eigentlich zu einer Ausstellung gekommen waren. Aber mit ihrem Werbespruch „Musik aus aller Welt – gemacht mit bayrischer Seele“ waren die Musiker an der Ausstellung ganz nahe dran.
Weiche Klänge zu einem harten Thema
Die drei Führungen trafen auf viel Publikum, wenn auch auf unterschiedliche Resonanz. Beginnen wir mit den Dissonanzen: Da gab es Leute, die vor den Schauwänden standen und fragten: „Ist das eine Ausstellung?“ Und andere, die aus Pietät bis Bild 4 mitgingen oder nicht gut nein sagen konnten, weil man sich kannte. Aber es gab auch Pflichtbesucher, die mit großem Interesse durch die Ausstellung gingen und dem Führer beibrachten, dass sich die Deutschen, die nach dem 2. Weltkrieg ihre Heimat verlassen mussten, nicht als „Flüchtlinge“ sondern als „Vertriebene“ sehen.
Der Höhepunkt aber war der Besuch zweier Integrationsklassen des Berufsbildungszentrums, weil mit ihnen aus der Ausstellung Realität wurde. Da erzählte einer von der Überfahrt im Boot, ein anderer von den Lagern in Libyen, ein dritter von den Prügeln an der ungarischen Grenze. Ich habe eine Zeitlang gebraucht, bis ich gemerkt habe, wo sie „abzuholen“ waren (Sprachniveau, Geschichtskenntnisse), aber die Lehrerinnen haben mich sachte korrigiert, wenn ich zu hoch ansetzte. Es war eine wichtige und heilsame Erfahrung. Die Klassen aus anderen Schulen glänzten durch Abwesenheit.
Es gab, so ein Gruppenmitglied, „viele positive Reaktionen – auch von Leuten außerhalb des typischen AI-Klientels“, und auch die Kommentare in unserem „Kondolenzbuch“ waren des Lobes voll. Dank an Magnum und natürlich auch an die Stadtbücherei, die uns fast vier Wochen beherbergt hat.
Besuch bei den Konfirmanden (November)
Da Teile unserer Gruppe auch ökumenisch aufgestellt sind, war es eine Selbstverständlichkeit, dass wir den AI-Gottesdienst auch der evangelischen Gemeinde anboten. Da traf sich gut, dass er mit der Vorbereitung auf die Konfirmation zusammenfiel. Vorausging ein entspannter und abwechslungsreicher Nachmittag, zu dem Pfarrer Sergel den Gruppensprecher eingeladen hatte. Wir spielten das Eckenspiel gegen Rassismus und die Gründungslegende von AI. Der Pfarrer nahm in der Rolle als Geheimpolizist die Verhaftung der beiden Studenten in Lissabon vor. Von Ai wussten sie nur, dass es eine „Hilfsorganisation“ ist – jetzt, hoffentlich, ein bisschen mehr.
Dann bekamen die Jugendlichen den Auftrag, für den Gottesdienst Fürbitten vorzubereiten und sie schon einmal probeweise vorzutragen. Die Generalprobe war recht lustig, aber am Sonntag ging man mit jugendlichem Ernst an die Sache ran. Eine der Fürbitten wollte ich den Konfirmanden selber widmen und hatte einen professionellen Text über Befreiung von Vorurteilen, Achtsamkeit für die Probleme von anderen Menschen und Bewahrung der Schöpfung vorbereitet. Die Konfirmanden machten daraus:
„Herr, wir bitten dich, gib, dass uns der Konfirmandenunterricht weiterhin Spaß macht.“
Wenn er so läuft wie dieser Freitagnachmittag, dann hat Gott diese Bitte schon erhört.
Sonntagsgottesdienst in der Apostelkirche (November)
Es war an diesem Tag zwar Faschingsanfang, aber der schöne Wochenspruch, mit dem Pfarrer Woltereck den Gottesdienst einleitete,
„Siehe, jetzt ist die Zeit, der Tag der Gnade“
hatte eindeutig religiösen Charakter. Wie schon bei den Katholiken waren wir kein ausgesprochener Publikumsmagnet, aber immerhin waren 12 Konfirmanden da. Seppi und Renate gelang ein eindrucksvoller Auftakt mit der Buchstabenfolge M-E-N-S-C-H, und in der Predigt wurde wieder darauf hingewiesen, dass die hartnäckige Kanaaniterin ein frühes AI-Mitglied war. Am Vorplatz verkauften die Jugendlichen frisches Brot, der Erlös von 118 Euro ging an AI. Da kommen wir wieder!
Postkartenservice an den Kirchentüren (Dezember)
Zum Tag der Menschenrechte sind traditionsgemäß die Kirchentüren unser Platz. Wir forderten wiederum (und weil noch nicht geschehen) die Wiedereröffnung des Nadeem-Zentrums in Kairo, wobei mein schwarzer Witz „Wenn sie schon foltern, dann sollen sie wenigstens die Opfer behandeln lassen“ auf etwas geteilte Reaktionen stieß. Unsere Aktion wurde im Gelben Blatt ausführlich vermeldet und in allen Gottesdiensten wohlwollend angekündigt. Die Kirchgänger nahmen die Karten „selbstverständlich“ mit, nur eines der „frömmsten“ Paare weigerte sich. Da es auch Mehrfachabonnenten gab, wurden wir insgesamt 244 Karten los.
Interview mit dem „Merkur“ (Dezember)
Interviewpartner des Gruppensprechers war ein ehemaliger Schüler, mit dem der Ex-Lehrer seinerzeit gut ausgekommen war. Das erklärt aber nur zum Teil, warum das Interview in einer entspannten Atmosphäre stattfand, aber durchaus zur Sache ging. Man hatte nämlich auch den Eindruck, dass dem Redakteur (und seiner Zeitung) der Tag der Menschenrechte ein echtes Anliegen war, ein Anliegen, das im ausgeprägten Stilwillen des Interviewers und dem breiten Themenspektrum zum Ausdruck kam: Wir sprachen von der Menschenrechtsarbeit in einer Kleinstadt, den Reaktionen der Bevölkerung, den Umgang mit Flüchtlingen, den Problemländern in der Nachbarschaft, unserem Fall in Malaysia - bis hin zum Datenschutz. Und auch humorige Einlagen wie unsere „Fahndung“ nach Pfarrer Primus Asega, der in Uganda in einem Funkloch verschwunden war, fanden noch ihren Platz.
Weihnachtsmarkt (Dezember)
Es mögen der Weihnachtsstress, die Absagen des „Personals“ oder die Aussicht auf ein frostiges Wochenende gewesen sein, die den Gruppensprecher dazu trieben, eine handfeste Auseinandersetzung mit den Organisatoren vom Zaum zu brechen, weil sie die Marktschließung am Samstag auf 21.00 Uhr festgesetzt hatten. Für schlechte Laune wäre aber weder vor noch nach dem Markt (viel) Anlass gewesen. Wir hatten ein Angebot, das für zwei Stände gereicht hätte, es gab Schichten, wo „noch nie so viel verkauft“ wurde, und die Einnahmen, die bei uns immer Reinerlös sind, betrugen über 1000 Euro. Ein großer Dank an die Produzenten (s. Ostermarkt + Missionskreis Fischbachau), den Platzerlbäckerinnen (ein großer Renner!), der Fotografin und dem „Personal“.
Wir lauern auf Kundschaft
Nachtrag zur Entspannung: Mit den Veranstaltern habe ich mich am Abend auch wieder versöhnt. Ich hatte versprochen, länger zu bleiben, „wenn noch Leute da wären“. Das war überraschend auch der Fall, wenn sie auch kaum mehr eingekauft, sondern hauptsächlich Glühwein geschluckt haben. Da ich bei klirrender Kälte nur noch 20 Euro einnahm, war meine Stimmung nicht so gut, wie die bei den Nachbarn am Glühweintisch, bei denen eine junge Frau so enthemmt gelacht hat, dass Siegi sie schon fast von zuhause aus gehört hat. Vielleicht hätte mir auch ein Glühwein gut getan!
3.3 Die Kampagnen – in Kürze
Im Kampf gegen die Todesstrafe lagen Licht und Schatten im Todesstrafenbericht von 2017 wieder einmal eng beieinander. Zwei Länder, Guinea und die Mongolei, schafften die Todesstrafe ab, andere Länder im arabischen Raum hingegen haben die Vollstreckung von Todesurteilen wieder aufgenommen. Im Vergleich zu 2016 sind sowohl weniger Todesurteile verhängt, als auch solche vollstreckt worden. Zahlen aus dem Henkerstaat China lagen wie üblich nicht vor. Vermehrt wurde die Todesstrafe im Anti-Drogenkampf eingesetzt, und es war zu erwarten, dass auch Präsident Trump auf diesen Zug aufgesprungen ist. Das letzte Todesurteil in den USA wurde heuer zehn Tage vor Weihnachten vollstreckt, aber mit 25 Hinrichtungen im Jahre 2018 wurde „ein historisch niedriger Stand“ erreicht.
Die Kampagne „Schutz braucht Mut“ ist den Menschenrechtsaktivisten gewidmet, die in zunehmend „schrumpfenden Räumen“ agieren müssen. Mit diesem sperrigen Begriff ist gemeint, dass „Regierungen in Sachen Meinungs- und Versammlungsfreiheit repressiver werden, Menschenrechtsverteidiger vom Staat nicht geschützt werden oder direkt staatlichen Übergriffen ausgesetzt sind“. Im Rahmen dieser Kampagne haben wir uns für Kilic, Ttitiev und das Nadeem-Zentrum eingesetzt.
Die Kampagne zum 70. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte/AEMR wird uns 2019 beschäftigen. Wir planen einen „Zugriff“ auf Geschäfte und Institutionen mit der Bitte, im Abstand von 14 Tagen Artikel der AEMR aufzuhängen, haben am 26. März die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Bärbel Kofler zu einem Vortrag „70 Jahre AEMR – Wunschtraum oder Erfolgsgeschichte?“ eingeladen, versuchen uns im Rathaus von Holzkirchen einzunisten und haben Kunsterzieher am Gymnasium Miesbach gebeten, zum Thema arbeiten zu lassen. Auch eine Ausstellung ist wieder geplant, und für unkonventionelle Urlaubsgrüße haben wir einen großen Vorrat an „Ansichtskarten“.
Grüße aus dem Urlaub von …
Bei der Monatsaktion „Briefe gegen das Vergessen“ hat mich heuer ein Fall vom Dezember sehr bewegt. Bei Kriminalisten würde er als „cold case/Altfall“ geführt. Es handelt sich um Kalpana Chakma, die sich in Bangladesch für die Rechte der indigenen Bevölkerung eingesetzt hat. Am 12. Juni 1996 wurde sie aus dem Haus ihrer Familie entführt und ist seither nie mehr gesehen worden. Verdächtige sind ein Armeeangehöriger und zwei Mitglieder einer Miliz. Das erklärt wohl, warum nach 20 Jahren „Ermittlung“ nichts herausgekommen ist und der Fall vor zwei Jahren geschlossen werden sollte. Kalpana ist noch sehr präsent – aber leider nur im Internet. Wir forderten den Premierminister auf, dafür zu sorgen, dass die Verdächtigen endlich befragt und ggf. vor Gericht gestellt werden. Danken möchten wir unseren Abonnenten und den Übersetzerinnen Irene Scherm und Rachel Bull, die seit gefühlten 100 Jahren diese Briefe beziehen und übersetzen.
Übrigens, diese Briefe können Sie monatlich abonnieren. Sie kosten nur das Porto. und Sie werden (leider nur) alljährlich informiert, was aus den Fällen geworden ist.
3.5 Die Fälle
Von Narges Mohammadi, unserem Fall im Iran, gibt es leider wenig und dann nichts Gutes zu berichten. Sie wurde wegen aller möglichen Delikte („Gründung einer illegalen Gruppe“ – gegen die Todesstrafe, „Verschwörung gegen die nationale Sicherheit“ und „Verbreitung von Propaganda gegen das System“) zu 16 Jahren Haft verurteilt, von denen sie mindestens zehn Jahre absitzen muss. Die Entlassung wird sie wahrscheinlich nicht erleben, weil ihr Gesundheitszustand miserabel ist und man ihr die nötige medizinische Versorgung verweigert. Und es ist bekannt, dass das Gefängnispersonal im Evin-Gefängnis zu den „Politischen“ besonders garstig ist.
In der Schwebe ist das Schicksal von Hoo Yew Waa, unserem Fall aus Malaysia. Er wurde wegen „Drogenhandels“ (188 Gramm Crystal Meth) 2011 zum Tode verurteilt, könnte aber jetzt von der Abkehr des Landes von der Todesstrafe profitieren. Regierung und Parlament haben die Abschaffung bereits gebilligt, die Entscheidung des Senats stand bei Redaktionsschluss noch aus. Im Gefängnis bliebe er vermutlich trotzdem, aber vielleicht würde man ihm die Haftdauer von jetzt 14 Jahren anrechnen. In Malaysia wurde man bisher erst ab 50 Gramm des Drogenhandels bezichtigt. Wenn man die von 188 Gramm abzieht, kommen noch 138 Gram heraus. Das wären dann ungefähr ein Jahr Haft pro 10 Gramm Crystal Meth. Da hätte er, meinen wir, lange genug gesessen.
Narges Mohammadi – hoffentlich kein Sterbefoto Hoo Yew Waa
3.6 Die Finanzen
Wir haben Ihnen letztes Jahr scherzhaft berichtet, dass wir „Millionen auf den Cayman Islands gebunkert“ haben. Im Rückblick auf das Jahr 2018 könnte man sagen: „Hätten wir es doch getan!“ Auf der Jahresversammlung wurde nämlich eine unblutige Enteignung der Gruppen beschlossen. Jede Gruppe, die mehr als 10 000 € auf dem Gruppenkonto hat, und wir zählen (un)glücklicherweise dazu, muss das „mehr als“ auf das Zentralkonto der deutschen Sektion überführen. Wenn wir trotzdem nicht mit „Ausgehetzt“/den Ökobauern/den Schülern nach Berlin ziehen, hat das den Grund, dass wir die Entscheidung für vernünftig halten. Es soll damit u.a. ein Ausgleich zwischen armen und reichen Gruppen stattfinden, weil nicht alle Gruppen in Regionen leben, wo es so großzügige und aufgeschlossene Spender und Förderer gibt wie im Landkreis Miesbach. Sie merken – jetzt sind Sie gemeint! Wir bedanken uns herzlich für Ihre Unterstützung und für Ihr Verständnis, dass in Zukunft ein Teil Ihres Beitrags an die AI-Gruppe in Chemnitz geht.
3.7 Die Gruppe
Wir konnten in diesem Jahr ein „freudiges Ereignis“ verzeichnen, denn ein Mann (in den besten Jahren) ist dazu gekommen - und scheint auch bleiben zu wollen. Wir haben wieder ein schönes Sommerfest gefeiert und freuen uns, wenn der gemütliche Teil unserer Sitzungen nicht viel kürzer ist, als die Grundsatzdiskussionen und Terminschlachterei des inhaltlichen Teils. Heftigen Streit gibt es nur, wenn Fragen von existentieller Dimension aufgeworfen werden, beispielsweise ob das Hotel „Drei Mohren“ in Augsburg in „Drei Möhren“ umbenannt werden sollte, weil der Name ein Fall von Alltagsrassismus ist.
Mitgefreut haben wir uns natürlich über die „Pater-Rupert-Mayer-Medaille der Caritas in Gold 2018“. Gut, zugegeben, nicht wir haben sie bekommen, sondern Hubert Heinhold, einer der engagiertesten und kompetentesten Rechtsanwälte für Asylfragen – aber auch ein Mitglied (und Rechtsbeistand) unserer Gruppe. Wir gratulieren aufs herzlichste. Pater Rupert Mayer, so kommt es aus dem Jenseits, meint, dass eine gute Wahl getroffen wurde.
3.8 Der Spruch auf der Titelseite
Wie Pater Rupert Mayer war auch Max Joseph Metzger im christlichen Widerstand. Aber während man Mayer durch Hausarrest aus der Schusslinie nahm, wurde Metzger wegen Hochverrats hingerichtet. In der Anklageschrift warf man ihm vor, ein „demokratisch-pazifistisches Regierungssystem“ anzustreben und ein „zutiefst defätistischer Mensch“ zu sein. Von Defätismus kann in diesem Zitat nicht die Rede sein.
Auf einer Mitgliederversammlung hat AI
„jedes Mitglied aufgerufen, auch in privaten Diskussionen, wo die Menschenrechte Einzelner oder von Bevölkerungsgruppen in Frage gestellt werden, entschieden zu widersprechen und gegenzuhalten.“
Wir werden dafür nicht enthauptet.
Kontaktadressen und Kontonummer
Fritz Weigl, Wallenburger Straße 28 d, 83714 Miesbach
Tel.: 08025/3895, Fax: 08025/998030,
Mail:fritz.weigl@gmx.de
Bernard Brown, Carl-Weinberger-Str. 5, 83607 Holzkirchen
Tel.: 08024/3502,
Mail:bernard.brown@web.de
Homepage: http://www.amnesty-miesbach.de
Bank für Sozialwirtschaft (BfS) Köln, IBAN: DE 233 70 20 50 0000 80 90 100
Verwendungszweck: Gruppe 1431 Miesbach (Gruppennummer unbedingt mit angeben)