An sich
wollte ich Ihnen noch einmal den Text von Jagoda Marinic präsentieren,
wo sie zum „Wagemut für ein neues Jahr“ aufgerufen hat, aber dann ist
mir ein Gedicht von Hans Magnus Enzensberger in die Hände gefallen, an
dessen Botschaft in unseren dunklen Weltläuften zu glauben, viel Wagemut
erfordert. Sei’s drum: Ob Sie mitsingen oder nicht, wir beginnen das
Jahr mit einem
Optimistischen
Liedchen
Hie und da
kommt es vor,
dass einer um
Hilfe schreit.
Schon springt
ein andrer ins Wasser,
vollkommen
kostenlos.
Mitten im
dicksten Kapitalismus
kommt die
schimmernde Feuerwehr
um die Ecke und
löscht, oder im Hut
des Bettlers
silbert es plötzlich.
Vormittags
wimmelt es auf den Straßen
von Personen,
die ohne gezücktes Messer
hin- und
herlaufen, seelenruhig,
auf der Suche
nach Milch und Radieschen.
Wie im tiefsten
Frieden.
Ein herrlicher
Anblick.
Selbst wenn man sich kurz die Frage stellt, warum „die schimmernde
Feuerwehr“ als Gegenpol zum „dicksten Kapitalismus“ gesehen wird, wo die
doch noch mit der Handpumpe und mit ledernen Löscheimern daherkommen
würde, wenn ihr der dicke Kapitalismus nicht die „schimmernde“
Ausrüs-tung finanzieren würde, ist das Gedicht eine (bitter) notwendige
Mahnung zur Gelassenheit, denn „Angst essen Seele auf“. Und obwohl in
diesem Rückblick wieder oft von Hilfeschreien und „gezückten Messern“ zu
reden sein wird, wird doch (hoffentlich) auch etwas Raum bleiben für
Ereignisse und Eingriffe, die das Sprichwort aus den Niederlanden wahr
werden lassen: „Wenn die Not am größten, ist die Rettung am nächsten.“
Geh’n wir ihn an, den Blick zurück.
„Alles schaut nach Amberg“, titelte Anfang Januar die Mittelbayerische Zeitung, als sie von der Prügelattacke von vier Asylbewerbern berichtete, die Ende Dezember Alkohol gesteuert und wahllos Passanten angegriffen und zwölf Menschen verletzt hatten – einen davon krankenhausreif. Der Angriff ist nicht zu entschuldigen und hat, so der Amberger Bürgermeister „den friedlichen und engagierten Asylbewerbern einen Bärendienst erwiesen“. Aber dies wäre kein AI-Bericht, wenn man nicht auch auf die Gegenseite hinwiese, die geradezu darauf gewartet hat, dass wieder einmal etwas passiert, das strengere Abschiebegesetze rechtfertigt, „willkommensbesoffene Politiker“ an den Pranger stellt und der Forderung Nachdruck verleiht, die Polizei durch eine (völkische orientierte) Bürgerwehr zu „verstärken“. Letztere ist in Amberg in Gestalt von vier Männern aufgetreten „ein älterer, ein jüngerer, zwei beleibtere Herren mittleren Alters“.
„Wir schaffen die!“
Die Wahrnehmung
perspektivisch zurechtgerückt hat die Stellungnahme einiger Amberger und
des bayrischen Flüchtlingsrates:
„Und wären das deutsche Jugendliche gewesen, dann wüssten wir
vermutlich von diesem Vorfall überhaupt nicht.“
Zwei Tage später hat in Bottrop und Essen ein deutscher Autofahrer
„zurückgeschlagen“. Er fuhr in der „klaren Absicht, Ausländer zu töten“
in Menschengruppen, mehrmals und sogar noch im Rück-wärtsgang und
verletzte acht Menschen – eine Frau lebensgefährlich. Der Mann soll
psychisch krank sein, und eine solche Krankheit führt in unserer
„überhitzten Migrationsdebatte“ leicht zu Fremdenhass.
Bundesinnenminister Seehofer hat die Vorfälle in Amberg und im
Ruhrgebiet als „Gewaltexzes-se“ bezeichnet, „die nicht zu dulden sind“,
aber schärfere Gesetze hat er nur für gewaltbereite Asyl-bewerber
gefordert.
In Kurzform weitere Schlaglichter auf die Migrationsdebatte des Januars:
- Es wurde festgestellt, dass „knapp ein Drittel aller abgelehnten
Asylanträge, über die Verwaltungs-gerichte in den ersten neun Monaten
des letzten Jahres zu entscheiden hatten, nicht korrekt waren“. Zusammen
mit der Fehlerquote des Jahre 2017 bedeutet das, dass in nicht einmal
zwei Jahren 55 000 Flüchtlingen zu Unrecht der Schutz zunächst
vorenthalten wurde. Jetzt ahnt man, dass Herr Dobrindt mit der
„Anti-Abschiebe-Industrie“, dem Unwort des Jahres, vielleicht auch die
Verwaltungsgerichte gemeint haben könnte.
- Zu den Ankerzentren fällt die Bilanz gemischt aus. Die befassten
Innenministerien heben die „Ver-besserung der Arbeitsabläufe“ und den
„totalen Konsens“ der beteiligten Behörden hervor. Der Flüchtlingsrat
und die Caritas hingegen beklagen die lange Verweildauer in diesen
Mammutreservaten, die restriktive Handhabung des Zugangs für
Flüchtlingshelfer, die Weigerung, den Kindern einen regulären
Schulbesuch zu ermöglichen, was in Einzelfällen nur durch einen
Gerichtsbescheid ermög-licht wurde. Ende Juli hatten die Behörden auf
Kritik und den „göttlichen Ratschluss“, den ihnen der „Bayer im Himmel“
übermitteln sollte, reagiert. Es gibt jetzt Wasserkocher für die Mütter,
ein „Mini-Family-House“ für Kleinkinder, einen Aufenthaltsraum für
Jugendliche und separate Trakte für Frauen, wo keine Männer reindürfen.
- Zur Stimmung in den bayrischen Helferkreisen hat Katrin Woitsch im
Merkur einen bemerkenswerten Kommentar geschrieben, der im Einzelnen
wohl nicht mit ihrem Chefredakteur abgesprochen war.
„Viele Helferkreise sind deutlich geschrumpft. Und das nicht, weil es
nichts mehr zu tun gäbe. Die Arbeitsver-bote, die Ankerzentren,
Bayerns harte Linie bei den Abschiebungen – all das sorgt bei den
Helfern auf viel Frust. Ehrungen reichen nicht aus, um das
abzufangen.“
Wo sie Recht hat, hat sie Recht!
- Die Zahl der Flüchtlinge nach Deutschland ist weiter zurückgegangen.
Mit ca. 185 000 Asylanträgen könnte der Bundesinnenminister ganz gut
leben, jedenfalls wesentlich besser als mit den Zahlen in den
„Chaosjahren 2015/16“. Wir wollen jetzt einmal davon absehen, dass es
eher die Flüchtlinge waren (und sind), die ein Chaos erlebten, aber es
gibt schon zu denken, dass Migrationsexperten davon sprechen, „dass
weltweit mehr Menschen auf der Flucht sind als je zuvor“. Bei uns jedoch
werden durch die gesunkenen Zahlen Kapazitäten frei, um die
Abschiebungen besser zu organisieren.
Vor Jahren forderte der damalige Bundespräsident Roman Herzog, dass „ein
Ruck durch Deutschland“ gehen müsse, um verkrustete Strukturen
aufzubrechen. Die Strukturen, die derzeit wieder aufbrechen, hat er
damit nicht gemeint. „Er ist wieder da“, titelte Heribert Prantl in der
SZ seinen Leitartikel zum Holocaust-Gedenken, und hat darin der AfD
vorgehalten, dass sie in Teilen eine „Heimstatt der Hitlerei“ sei, wo
„das völkische Getöse immer mehr Echo findet, auf Versammlungen … vor
Begeisterung gejohlt wird, wenn Nazi-Verbrechen verharmlost, Juden
verhöhnt, Muslime verachtet, Türken als Kameltreiber beschimpft und
Gemeinheiten über Flüchtlinge gesagt werden“.
Auch zum „Ruck nach Rechts“ einige Schlaglichter, verbunden mit einer
Gedächtnishilfe, die manche dringend nötig haben.
- Bei
einer Rede im bayrischen Landtag warf Charlotte Knobloch der AfD vor,
Hass zu säen, den Nationalsozialismus zu verharmlosen und sich nicht
mehr auf dem Boden des Grundgesetzes zu bewegen. Daraufhin verließ ein
Großteil der AfD-Abgeordneten unter Führung der Fraktionsvorsitzenden
Ebner-Steiner und strammen Schrittes den Saal. Frau Knobloch erhält
seither „im Minutentakt wüste Beschimpfungen und Drohungen“, Frau
Ebner-Steiner übrigens auch. Es ist beruhigend, dass es zwischen (ganz)
rechts und (ganz) links doch noch Gemeinsamkeiten gibt.
- In manchen Entscheidungen der Justiz zeigt sich eine gewisse Tendenz
zur Verharmlosung von Hassverbrechen. Das hatten wir doch in den 1920er
Jahren schon einmal! So wurde in Rostock Journalisten mit den Worten
bedroht: „Die Wahrheit, oder eure Köpfe auf den Tisch.“ Die
Staatsanwältin stellte das Verfahren mit folgender Begründung ein:
„Es wird damit nicht eindeutig ein zukünftiges Verbrechen angedroht,
sondern eher sprichwörtlich (?) zur wahrheitsgemäßen Berichterstattung
aufgefordert.“
- Weimarer Verhältnisse“ deuteten sich auch an, als in München ein
Vortrag über „Antisemitismus und Männlichkeit bei Burschenschaften“
anstand. Der Veranstaltungsort musste wegen Drohungen von rechts geheim
gehalten werden, aber diese Drohungen hatten auch mit einem
Twitter-Beitrag der Referentin zu tun, die den Angriff auf einen Bremer
AfD-Politiker als „konsequente Durchführung von #NazisRaus“ bezeichnet
hatte. Dass man sich mit dem Thema „Antisemitismus“ ernsthaft (also ohne
Polemik) befassen muss, ist nicht nur den 1467 Straftaten gegen Juden
(2017) geschuldet, sondern auch der grassierenden Unwissenheit über die
Judenvernichtung im 3. Reich. So gaben bei einer Umfrage im November
2018 40 Prozent der Deutschen im Alter von 18 bis 34 Jahren an, sie
wüssten davon „wenig“ oder „gar nichts“.
- Dem abzuhelfen hätten sie Gelegenheit gehabt, sofern sie die
Gedenkrede von Saul Friedländer im Bundestag angehört haben. Friedländer
hatte als Kind den Holocaust überlebt, aber seine Eltern auf tragische
Weise verloren. Sie hatten ihn in Frankreich zurückgelassen, weil sie es
für ungefährlicher hielten, allein in die Schweiz zu fliehen. Aber wenn
sie ihr Kind dabeigehabt hätten, wären sie nicht an die französische
Grenzpolizei ausgeliefert worden. Friedländer fand klare Worte gegen
Antisemitismus, Fremdenhass und den sich verschärfenden Nationalismus
und sagte:
„Natürlich dürfen Deutsche Israel an dessen eigenem Anspruch messen
und etwa die Besatzungspolitik des Landes kritisieren, aber aus Ausmaß
und Wucht mancher Kritik spreche der alte Hass.“
Die AfD’ler fühlten sich nicht angesprochen, erhoben sich mit den
anderen von ihren Sitzen und applaudierten.
Einigkeit im Bundestag
-
Ein mildes Urteil wegen schweren Diebstahls wurde gegen zwei
Studentinnen aus Fürstenfeldbruck verhängt. Sie hatten
containert/gemülltaucht, d.h. mit einem Vierkantschlüssel (achtsam) den
Müllcontainer eines Edeka-Marktes geöffnet und vier Taschen Lebensmittel
entwendet, knapp über dem Haltbarkeitsdatum, teils originalverpackt. Die
Polizei ertappte sie auf frischer Tat, (vom Haltbarkeitsdatum her nicht
ganz so frisch) und sorgte dafür, dass der Markt sein Eigentum
zurückbekam und im Müll entsorgen durfte. Nach öffentlichen Protesten
zog der Marktleiter die Anzeige zurück, das Amtsgericht bot die
Einstellung des Verfahrens gegen acht Stunden gemeinnütziger Arbeit plus
(ständig reduziertes) Bußgeld an, die Studentinnen weigerten sich, die
Strafbefehle zu akzeptieren, und so kam es zum Verfahren, das der
Richter „nicht mit Vergnügen“ führte. Mit der Verhängung von acht
Stunden Sozialarbeit und 225 € Geldstrafe auf Bewährung blieb er am
unteren Limit.
- Was zum Himmel stinkt, sind nicht die Lebensmittel im Container
selbst, sondern ihre Verschwendung. Und so ist (mit Vorsicht) zu
begrüßen, dass die Landwirtschaftsministerin Julia Glöckner an
Verbraucher und Supermärkte appelliert, sich etwas einfallen zu lassen,
damit wir nicht weiter ein Drittel aller produzierten Nahrungsmittel
wegwerfen. Mit Vorsicht deswegen, weil Frau Glöckner nach unbewährter
Manier und im Gegensatz zu anderen Ländern wieder einmal auf
Freiwilligkeit setzt, und das Containern in ihrem Plan zwar erwähnt,
aber wohl weiterhin als Strafbestand einordnet. In Anlehnung an den
österreichischen Innenminister heißt das „Das Recht hat der Wirtschaft
zu folgen“.
Ach ja, da gibt’s ja noch den Rest der Welt.
- Aus Saudi-Arabien hat sich die 18-jährige Rahaf Mohammed al-Qunun
abgesetzt. Sie war (angeblich aber glaubhaft) von männlichen Angehörigen
geschlagen und ein halbes Jahr in ihrem Zimmer eingesperrt worden, weil
sie ihre Haare kürzer geschnitten hatte. Ob sie für ihre Flucht zuvor
das Handy ihres Vaters geklaut und darauf die App genutzt hatte, mit dem
Männer die Flugreisen der Frauen festlegen können, wissen wir nicht.
Rahaf hatte es jedenfalls bis Bangkok geschafft, wo ihr Mitarbeiter der
saudischen Botschaft, - das Land führt sich inzwischen im Ausland auf,
als wäre es dort zuhause -, noch im Transitbereich den Pass, aber
(dummerweise) nicht das Smartphone abnahmen. Mit ihrem Mobiltelefon
entfachte sie nämlich einen Shitstorm, der über Twitter mehr als 500 000
Follower generierte, sodass die thailändische Regierung von einer
Auslieferung abrückte, Rahaf vom Flüchtlingshilfswerk UNHCR unter die
Fittiche genommen wurde und schließlich nach Kanada ausreisen durfte. In
trauriger Hinsicht hat Rahaf von Khashoggis Tod profitiert: 0hne dessen
tragisches Schicksal wäre die Weltöffentlichkeit nicht aufgeschreckt
worden, sondern wären mit der Aussage saudischer Diplomaten, es handle
sich um eine „reine Familienangelegenheit“, wieder zur Tagesordnung
übergegangen.
Hi, da bin
ich!
-
Nicht willkommen ist uns die „Gruseltruppe“, die Jair Bolsonaro, der
neue Präsident in seinem Kabinett zusammengestellt hat: „alt, weiß,
männlich, militärisch – und von zweifelhaftem Leumund“ – so die SZ. Der
Umweltminister wurde in erster Instanz wegen Amtsmissbrauch verurteilt,
der Außenminister ist ein Fan von Trump und hält den Klimaschutz für
eine „marxistische Ideologie“, der Bildungsminister sieht im
Militärputsch von 1964 einen „Anlass zum Feiern“, der
Präsidialamtsleiter soll illegale Wahlkampfspenden erhalten haben. Aber
es haben sich auch zwei Frauen eingeschlichen, auf die wir gerne
verzichtet hätten. Die Landwirtschaftsministerin ist Anführerin der
Agrarlobby und befürwortet eine „kontrollierte Abholzung des
Regenwaldes“, die Frauen- und Menschenrechtsministerin tritt v.a. gegen
Abtreibungen und die Gender-Ideologie ein.
Gruseln tut es jetzt den Homosexuellen vor dem Präsidenten, der gesagt
hat, er würde lieber seinen Sohn bei einem Verkehrsunfall verlieren als
einen schwulen Sohn zu haben, den Indigenen und den Umweltschützern vor
der „kontrollierten Abholzung“ und (wieder verstärkt) den Frauen vor den
Männern. Bolsonaro möchte das Gesetz gegen den Femizid/Frauenmord wieder
abschaffen und den Frauen auf seine Art Sicherheit verschaffen.
„Ich bin für den Waffenbesitz, natürlich auch für euch, liebe Frauen!
Wir müssen diese Frauenmord-Geschichte beenden. Wenn ihr bald Waffen
am Gürtel habt, dann gibt es eben Männermorde.“
Man fragt sich schon und immer öfter, was das für eine Welt ist, wo so
einer ins Präsidentenamt gewählt wird. Früher hätte er sich dahin
(wenigstens) noch putschen müssen. Es ist Zeit für
Die Kurznachrichten
- Die deutsche Rechtsanwältin Seda Basya-Yildiz, die Angehörige eines
NSU-Opfers und islamistische Gefährder verteidigt hat, hat jetzt schon
den 2. Drohbrief erhalten. Wieder hat man damit gedroht, ihrer kleinen
Tochter den „Kopf abzureißen“. Das kann nicht mehr als „Berufsrisiko“
abgetan werden, umso weniger als sich die Täter Daten über Sedas Familie
aus einem Polizeicomputer besorgt hatten. Die Anwältin Seda hofft
trotzdem noch, dass sie sich „auf die Polizei verlassen“ kann. Hoffen
wir es mit ihr!
- Der italienische Innenminister Salvini greift weiterhin die
Hilfsorganisationen an, die Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten. Im
Augenblick ist kein einziges ihrer Schiffe mehr im Einsatz. Deutschland
zieht sich weitgehend von der EU-Rettungsinitiative Sophia zurück. Es
gibt (unbestätigte) Berichte, dass das deutsche Schiff in Gewässer
beordert worden ist, wo es niemanden zu retten gibt.
Salvini und Sophia
- In
China wurde der Anwalt Wang Quanzhang wegen „Untergrabung der
staatlichen Gewalt“ zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Das mit
der „Untergrabung“ ist gar nicht so unpassend, denn zu den heiklen
Fällen, die er übernommen hat, zählten auch die Opfer von
Landenteignungen, denen die staatliche Gewalt den Boden unter den Füßen
weggenommen hat. Außerdem hat er sich für Religionsfreiheit eingesetzt,
und so jemand kann man natürlich nicht in Freiheit belassen. Angela
Merkel hatte bei einer Chinareise im Mai 2018 mit Wangs Ehefrau
gesprochen. Während des Prozesses stand sie unter Hausarrest – die
Ehefrau nicht die Kanzlerin. Auch Bärbel Kofler, die wir im März in
Miesbach (fast) zu Gast gehabt hätten, kritisierte, dass der Prozess
unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Beim Aufstieg Chinas zur
Weltmacht pflastern einige „Leichen“ den Weg.
- Wie man Wahlen verliert und doch gewinnt, führte der Welt Präsident
Kabila in der Demokratischen Republik Kongo vor. Kabila hatte einen
Strohmann aufgestellt, der aber so wenige Stimmen bekam, dass nicht
einmal ein Wahlbetrug möglich gewesen wäre. Kabila hatte aber auch noch
einen Oppositionskandidaten im Rennen, der ihm ebenfalls Straffreiheit
zugesagt hatte. Dem bestätigte das Oberste Gericht den Wahlsieg. Nach
Berechnungen der katholischen Kirche und den (inoffiziellen) Daten der
Wahlkommission erhielt der echte Oppositionskandidat Martin Fayulu
dreimal so viele Stimmen wie der Wahlsieger. Man spricht von der
„skrupellosesten Wahlfälschung in Afrikas jüngster Geschichte“.
- Der Gottesstaat Iran feierte seinen 40. Geburtstag. Manche Dinge haben
sich seit dem Sturz des Schahs geändert: den Frauen beispielsweise ist
nicht mehr verboten, Kopftuch zu tragen, sie sind jetzt dazu gezwungen.
Gleichgeblieben, wenn auch mit anderem Personal, ist, so die SZ, die
„rücksichtslose Unterdrückung jeglicher politischer Opposition. Dabei
ist der Sicherheitsapparat der Mullahs ebenso brutal wie die
Geheimpolizei Savak des Schahs“.
Wir gratulieren nicht – im Gegensatz zu unserem Bundespräsidenten.
- Gratulieren tun wir den indischen Frauen, die den Mut gefunden haben,
gegen das Tempelverbot zu protestieren, dem sie unterliegen, wenn sie
ihre Periode haben. An manchen hinduistischen Heiligtümern herrschte
sogar ein generelles Zutrittsverbot für Mädchen und Frauen „im
Menstruationsalter“, also von 10 bis 50 Jahren. Das würde nämlich die
Gottheit Ayyappan beleidigen, die als Prinz das Gelübde abgelegt hatte,
allen weltlichen Vergnügungen zu entsagen. Im September 2018 entschied
das indische Verfassungsgericht, im Sinne der Religionsfreiheit diesen
Ausschluss zu beenden. Bei den Hindu-Nationalisten war daraufhin Feuer
am Dach. Die Frauen haben Anfang Januar eine „Women’s Wall/Frauenwand“
gebildet. Sie erstreckte sich auf 620km Länge quer durch den Bundesstaat
Kerala.
Die Mauer der Frauen
-
Eine niederländische Kirche hat seit Oktober und rund um die Uhr einen
Gottesdienst abgehalten, um eine armenische Familie vor der Abschiebung
zu schützen. „Beten, bis sie mürbe werden“, gewissermaßen. Ende Dezember
hat man eine Ausnahmegenehmigung erteilt, nach der Kinder und
Jugendliche (und damit auch ihren Eltern), die seit Jahren in den
Niederlanden wohnen, eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung ohne Anrecht
auf Asyl erhalten sollen. Da soll noch einmal jemand sagen, dass Beten
nichts hilft.
- Zu berichten ist noch über zwei Frauen, die nach langjährigen
Haftstrafen freigelassen wurden. Im Fall der pakistanischen Christin
Asia Bibi hielt das Verfassungsgericht an seinem Freispruch fest, sodass
Asia jetzt ausreisen könnte. Im Mai reiste sie nach Kanada aus und ist
dort wieder mit ihrer Familie zusammen.
- Begnadigt aber noch nicht entlassen ist die US-Amerikanerin Cyntoia
Brown. Sie war als Teenager in die Prostitution gezwungen worden, hatte
eines Tages einen Waffennarren als Freier gehabt und um ihr Leben
gefürchtet, als er sich im Bett wegdrehte und neben sich griff. Cyntoia
schoss ihm mit einer seiner Pistolen in den Hinterkopf. Obwohl sie
damals erst 16 war, wurde sie zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe plus
acht Jahren (!) verurteilt. Der Gouverneur von Tennessee sprach jetzt
von einer „zu harschen“ Strafe und genehmigte ihre Freilassung zum
August – nach 15 Jahren.
Cyntoia Brown – Genug ist genug!
- Natürlich haben wir auch das passende Bild für den Fasching. Wir legen allerdings Wert auf die Feststellung, dass die Wiederbelebung der Monarchie in Bayern nicht zum AI-Mandat im engeren Sinne gehört.
Die Königstreuen von Gammelsdorf
Februar 2019
Buße des „Ehrenamtlichen Franziskaners“
Sie werden sich
wahrscheinlich wundern, warum wir die österliche Bußzeit bereits im
Faschingsmonat beginnen, aber AI hat leider allen Grund dazu. Am 31.
Januar 2019 veröffentlichte eine von der AI-Führung beauftragte
Beratungsgesellschaft einen Bericht, der alles andere als schmeichelhaft
war. Er bescheinigt der AI-Zentrale in London ein „toxisches
Arbeitsklima“, in dem Angestellte
„unter Mobbing, Stress und Rücksichtslosigkeit litten. Seitens der
Vorgesetzten habe es an Respekt und Wertschätzung gefehlt.“
Auslöser für den Bericht war der Freitod eines langjährigen
Mitarbeiters, der auf Grund des Umstrukturierungsprozesses – Einrichtung
von Regionalbüros - einem „extremen Arbeitsdruck ausgesetzt war – und
dabei alleingelassen wurde“. Zu erklären, wenn auch nicht zu
entschuldigen, ist ein solches Verhalten sicher auch durch das, was die
Psychologie als „sekundäre Traumatisierung“ bezeichnet. Wenn Menschen
tagtäglich mit Gräuelnachrichten und Frustrationserlebnissen
konfrontiert werden, brennen leicht einmal die Sicherungen durch.
Missstände wie interne Spannungen, häufiger Personalwechsel und
Inkompetenz von einzelnen Führungskräften soll es auch in Berlin geben,
aber seit der neue Generalsekretär Markus N. Beeko am Ruder ist, scheint
sich „der Zustand der deutschen Sektion zum besseren gewendet haben“.
Ein Zusammenhang zwischen Freitod und Arbeitsbedingungen wurde später
dementiert.
Aber dass Organisationen wie AI „trotz alledem“ unverzichtbar sind,
zeigen die Ereignisse des Monats Februar, die gewissermaßen das gesamte
Kernmandat von AI abdecken.
- Politische Gefangene: Große Kreativität im Finden von (mutmaßlich
erlogenen) Anklagepunkten bewies die philippinische Justiz, die
innerhalb weniger Wochen gleich zwei Haftbefehle gegen eine unliebsame
Journalistin erwirkte. Maria Ressa, Chefredakteurin eines
Nachrichtenportals, sah sich im November 2018 einem Verfahren wegen
Steuerbetrugs ausgesetzt, wurde jetzt wegen Verleumdung eines
Geschäftsmannes nach einer Nacht in Polizeigewahrsam auf Kaution
freigelassen, aber Ende März erneut inhaftiert. Ihr wahres „Vergehen“
bestand darin, dass sie über die Menschenrechtsverletzungen in
Anti-Drogenkrieg von Präsident Duterte berichtete.
Maria Ressa
- Todesstrafe:
Sie sind männlich, zwischen 18 und 45, haben einen mittleren
Schulabschluss und einen „exzellenten moralischen Charakter“? Dann
bewerben Sie sich in Colombo/Sri Lanka – um den Posten eines Henkers.
Das Land möchte nämlich für Drogendelikte wieder den Galgen einführen,
nachdem man mehr als vier Jahrzehnte ohne Vollstreckung der Todesstrafe
ausgekommen ist. Und wieder einmal tritt Duterte in Erscheinung, der
anderen asiatischen Staatenlenkern als „Vorbild“ dient“. Im Kampf gegen
synthetische Drogen wollen auch sie, so die SZ, den „harten und
gnadenlosen Vollstrecker“ markieren, ein Verhalten, das „nachweislich
gegen die Drogenschwemme nutzlos ist“.
- Folter: Ein „Outsourcing“ der besonderen Art praktizierte die
indonesische Polizei auf Neuguinea zur Erzwingung von Geständnissen. Sie
ließ eine zwei Meter lange Schlange auf einen mutmaßlichen Dieb los, der
in Panik geriet und zu schreien begann. Als das Video einer
Menschenrechtsanwältin in die Hände fiel, hat sich ein Polizeisprecher
entschuldigt. Die Schlange soll ungefährlich gewesen sein, aber nicht
jeder Dieb ist gleichzeitig Ophiologe/Experte für Schlangen.
- Verschwindenlassen: Dem Verleger Gui Minhai, der in Hongkong
chinakritische Artikel veröffentlichte, wurde die zweifelhafte Ehre
zuteil, gleich zweimal entführt zu werden. Beim ersten Mal holte man ihn
aus seinem Feriendomizil in Thailand, das zweite Mal schnappten ihn sich
Agenten, als er mit zwei schwedischen Diplomaten im Zug saß. Da Gui
schwedischer Staatsbürger ist, schaltete sich die schwedische
Botschafterin in die Suche ein, allerdings auf seltsame Weise. Die
Tochter Guis erhielt eine Einladung zu einem konspirativen Treffen in
Stockholm, wo man sie mit Champagner empfing, ihr einen Job in China
anbot und andeutete, man könne bei der Freilassung ihres Vaters
mithelfen – wenn sie den Mund hielte und den Kontakt zu den Medien
abbräche. China sei nämlich sehr „zornig“ über ihre Aktivitäten. Die
Botschafterin war bei diesem Treffen anwesend und ermunterte sie, auf
den Handel einzugehen. Das schwedische Außenministerium hatte
(angeblich) keine Ahnung von der „Initiative“ der Botschafterin und hat
sie inzwischen wegen „eigenmächtiger Verhandlungen mit einer fremden
Macht“ abberufen.
- Asyl: Im Januar hatte sich der Scharfmacher der österreichischen
Regierung, Innenminister Herbert Kickl, zu der Aussage verstiegen, „das
Recht habe der Politik zu folgen“. Jetzt hat er mit seiner Forderung
nach einer „Sicherungshaft“ für verdächtige Asylbewerber seiner Politik
zum ihrem Recht verholfen. Einem Verfassungsrechtler zufolge, wäre das
„eine völlig neue Form des Freiheitsentzugs, die es bisher in keinem
anderen Land der EU gibt“. Der deutsche Innenminister Seehofer reagierte
nach dem Motto. „Was die Österreicher können, …!“ Er möchte eine
„erweiterte Vorbereitungshaft“ für Identitätsverweigerer einführen,
ausreisepflichtige Asylbewerber in gewöhnlichen Haftanstalten
unterbringen, wo sie von kriminellen Strafgefangenen nur durch einen
„Mittelstreifen“ getrennt wären und denjenigen die Haft androhen, die
vor Abschiebung gezielt warnen. Dadurch könnte man auch die Zahl der, so
der BAMF-Chef Sommer, „selbsternannten Flüchtlingsräte“ reduzieren, die
sich so hartnäckig einem „Geordnete-Rückkehr-Gesetz in den Weg stellen.
Die Kurznachrichten
- Nach dem Attentat in Christchurch/Neuseeland dämmert uns wieder, dass
es neben dem Islamismus eine „andere Welle“ des Terrors gibt, die Gewalt
von rechts, befeuert vom Glauben an eine „wiedererstarkte weiße
Identität“ und ausgeübt von Psychopathen, Moslemhassern und abgehängten
Existenzen. So wurde bekannt, dass 2018 Rechtsextreme an 50 Morden in
den USA beteiligt waren, was gegenüber dem Vorjahr einen Anstieg von 35
Prozent bedeutet.
- Einen Aufmarsch zurück in die Vergangenheit gab es in Nürnberg, der
Stadt der Reichsparteitage. Es waren zwar nicht Hunderttausende, sondern
nur deren achtzehn, die sich mit brennenden Fackeln auf der
Rednertribüne Hitlers platzierten und „Deutschland, Deutschland über
alles“ von sich gaben, aber zu einer „Gartenpartie“ waren sie nicht
unterwegs, wie die Polizei zu meinen schien. Da sich die Neonazis vor
einem Flüchtlingsheim getroffen hatten, - wo denn sonst? - war das
Polizeiaufgebot verstärkt worden, aber als man (im Gleichschritt?) zur
Zeppelintribüne marschierte, waren nur noch zwei Zivilpolizisten im
Einsatz, die „aus Gründen der Eigensicherung“ nicht eingreifen konnten
(oder wollten).
Hitlers Rednertribüne – noch zu gebrauchen!
Zwei Wochen zuvor
waren 15 Mitglieder der Gruppe „Wodans Erben“ in geschlossener Formation
in der Flüchtlingsunterkunft in Moosach aufmarschiert. Das Video, das
sie anschließend ins Netz stellten, vermittelte den Eindruck, dass „sich
die Gruppe frei auf dem Gelände bewegen konnte“. Die Flüchtlingsberater
mussten in der Vergangenheit oft außerhalb des Zaunes arbeiten.
- „Eigensicherung“ ist auch unser nächstes Stichwort. Nach einer
Dienstanweisung aus dem Innenministerium werden Beamte der Bundespolizei
mit Bodycams ausgerichtet, die es ihnen ermöglichen, alle Menschen zu
filmen, mit denen sie zu tun haben, bzw. die, was leider immer öfter
vorkommt, übergriffig werden. So weit, so gut. Unverständlich aber ist,
dass diese Aufnahmen nicht verwendet werden dürfen, wenn Beamte
übergriffig werden und dazu eine „interne Ermittlung“ läuft. Soll ja
auch vorkommen, dass Beamte übergriffig werden und gegen sie ermittelt
wird!
- Es ist Zeit, sich wieder der übrigen Welt zuzuwenden. Im Mittelmeer
hat Deutschland, jetzt sind wir doch wieder bei uns gelandet, seine
Teilnahme an der Rettungsmission „Sophia“ eingestellt. Wie im Januar
schon angedeutet, war die Fregatte der Bundeswehr vom italienischen
Kommando „in abgelegene Gebiete“ beordert worden, wo Flüchtlinge nur
vorbeikamen, wenn sich die Schleuser großflächig verirrt hatten. Da
unterstellen wir mal dem italienischen Innenminister Salvini, dass er
der deutschen Besatzung ein paar Wochen Urlaub verschaffen wollte. Im
April hat Deutschland dann megahumanitär auf die Notlage an Bord des
deutschen Rettungsschiffes „Alan Kurdi“ reagiert: Wir erklärten uns
bereit, „anteilig“ Flüchtlinge aufzunehmen, wenn auch andere Länder
mitzögen. Da der Innenminister unseren Anteil im „einstelligen“ Bereich
ansiedelt, hätten wir einen guten Vorschlag: Unter den 64 Flüchtlingen
sollen ein Kind und ein Baby sein. Nehmen wir doch die zwei – mit den
Müttern wären es dann vier!
- Zu einem „Eklat“ auf offener Bühne kam es beim Gipfeltreffen von EU
und Arabischer Liga in Scharm el Scheich/Ägypten. Der Generalsekretär
der Liga behauptete, „nicht einer der Anwesenden hätte über die
Menschenrechtslage gesprochen“. Da erkämpfte (!) sich Jean-Claude
Juncker das Wort und stellte richtig:
„Einen Moment, ich war im Saal. Es stimmt nicht, dass wir nicht über
Menschenrechte gesprochen haben.“
Daraufhin wurde Juncker von Gastgeber al-Sisi persönlich verhaftet und
erst nach einer massiven Intervention von Angela Merkel wieder
freigelassen. Er soll sich mit einem „Auf Nimmerwiedersehen, Diktator“
von al-Sisi verabschiedet haben. (Vorsicht Satire!)
- Die verfahrene Situation in Venezuela kann man nur mit einer Karikatur
beschreiben. Das Land schwimmt in Öl, aber die Menschen leiden Hunger.
Im April hat
Präsident Maduro huldvoll die Hilfe des Roten Kreuzes akzeptiert,
bestreitet aber, dass es im Land eine „humanitäre Krise“ gäbe. So ein
bisschen Hunger muss man im Sozialismus, wie Maduro ihn praktiziert,
schon aushalten.
Erfolgsmeldungen
Unsere „Erfolgsmeldungen“ sind wie üblich nur bedingt genussfähig.
Beginnen wir mit der dunklen Seite des Spektrums:
- In Deutschland wurden zwei Syrer verhaftet, die in Gefängnissen des
Assad-Regimes Oppositionelle misshandelt haben. Dann gingen sie als
Flüchtlinge nach Deutschland, vielleicht um sich anzuschauen, wie man in
einem Rechtsstaat mit der Opposition umspringt. Von ehemaligen Opfern
wurden sie wiedererkannt und können nach dem Weltrechtsprinzip bei uns
vor Gericht gestellt werden. Spannend wird es, wenn eines Tages
Präsident Assad zu uns auf Staatsbesuch kommt.
- „Ausgerechnet der“, wird man sagen, wenn man hört, dass Präsident
Erdogan China aufgefordert hat, die Menschenrechte zu respektieren und
die Internierungslager für die Uiguren zu schließen. Aber immerhin hatte
er schon 2009 von einem „Genozid an den muslimischen Gläubigen“
gesprochen, und
„dass Erdogan nun die Kosten für ein Abkühlen der Beziehungen in Kauf
nimmt, sollte andere Staaten ermuntern, die eigene Haltung zu
überprüfen“.
- Der europäische Gerichtshof hat Flüchtlingen, die nach dem
Dublin-Abkommen in ein anderes EU-Land abgeschoben werden sollen, einen
bedingten Schutz gewährt. Sie sind vor Abschiebung geschützt, wenn ihnen
nicht nur „gewöhnliche Armut“, sondern „extreme Not und Verelendung“
droht. Damit sollten die meisten Länder Osteuropas als
„Entsorgungsstationen“ wegfallen.
- Und dann hat Angela Merkel, vom Ballast des Parteivorsitzes befreit,
einen mutigen Satz gesagt, der sie auf Kollisionskurs mit ihrer
Nachfolgerin und der Mehrheit der CDU bringen dürfte:
„Ich glaube, dass wir 2015 in einer sehr fordernden humanitären
Situation Großartiges geleistet haben.“
Das glauben wir auch.
Zur Entspannung einige Nachrichten aus dem Kuriositätenkabinett:
- Das iranische Staatsfernsehen hat die Übertragung eines
Bundesligaspiels des FC Bayern abgesagt, weil die Schiedsrichterin
Bibiane Steinhaus in kurzen Sporthosen agiert hat. In Filmen werden
solche Bilder im Iran zensiert, aber im Fußballspiel „ist der
Schiedsrichter/die Schiedsrichterin ständig im Bild, sodass eine
Zensierung kaum möglich gewesen wäre“. Und beim Elfmeter hätten alle nur
auf die Schiedsrichterin geschaut.
- Bevor wir uns aber allzu sehr über die iranische Frauenfeindlichkeit
aufregen, sollten wir uns noch einmal die Altneihauser Feuerwehr
vornehmen, die im letzten Jahr Brigitte Macron niedergewalzt hat. Der
Chef der Gruppe hat dem Merkur ein Interview gegeben, das genauso
unerträglich war, wie der Beitrag der Kapelle. Auf den Eklat
angesprochen, stellte er die Gegenfrage „War da was?“, sprach
(zusammenhangslos) von einer „alten Sau“, die der BR „durchs Dorf
getrieben habe“ und behauptete, dass da „mal etwas hingehaut“ habe.
Damit sind wir endlich doch noch beim Fasching gelandet – wenn auch mit
einer Bauchlandung.
- Genussfähig ist das Foto vom Valentinstag in Afghanistan, das den
Februar beschließen soll. Nur darf man sich nicht ausmalen, was die
Taliban mit den Ballons und den Menschen machen würden!
„Im März da
sprießt der Märzenbecher,
und auch die Rechten werden frecher.“
- Zugegeben, der Reim ist schlecht, aber ich schäme mich wenigstens
dafür. Wenig Schamgefühl hingegen zeigt die Gruppe „Wodans Erben“, die,
nach ihren Auftritten in Nürnberg und Moosach, im März ins Villenviertel
von Bogenhausen zogen. Dort steht hinter dem Klinikum eine arg lädierte
Odinstatue („Arm ab, Waffe weg“), was seine Erben aber nicht abhielt,
die erste Strophe des Deutschlandliedes zu singen und von der Maas und
der Memel zu träumen. Ob es auch zu Menschenopfern von „Messermännern“
und „kriminellen Invasoren“ (Flüchtlinge) gekommen ist, entzieht sich
unserer Kenntnis.
Odin – der Gott des Krieges
- Mehr als frech
war auch die Aktion von Anhängern der I(dio)dentären Bewegung, die den
Zugang zu einer Infoveranstaltung des Münchner Flüchtlingsrates
blockierten. Die Veranstaltung richtete sich an Leute, die sich als
ehrenamtliche Flüchtlingshelfer engagieren wollten. Die Aktivisten der
IB standen unter einem Banner mit der Aufschrift. „Helfen auf eigene
Gefahr!“ Ob die größere Gefahr für die Helfer von ihnen oder vom
„Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ von Innenminister Seehofer droht, der die
Warnung vor Abschiebungen nach wie vor mit Sanktionen/Strafen belegen
will, bleibt abzuwarten. Die Fachstelle für Demokratie in München sieht
jedenfalls Rechtsextremisten derzeit in einem „Offensivmoment“.
- Das scheint auch eine Reaktion auf die internationale Woche gegen den
Rassismus zu sein, der selbst in der Stadt der Lichterkette zur
Alltagserscheinung geworden ist – von Ausgrenzung und abwertenden
Bemerkungen bis hin zu brutaler Gewalt. Es geht hier nicht um
„Negerküsse“ und „Sarotti-Mohren“, sondern um Verhaltensweisen, die
Betroffene als verletzend empfinden. Da wird einem Äthiopier in der
Kirche der Friedensgruß verweigert, der Sitzplatz neben einem
dunkelhäutigen Mann oder einer Frau mit Kopftuch gemieden, auf
Zustimmung bei der Aussage (auf Schwäbisch) „Habet Sie in München au so
viele Schwarze?“ gesetzt, einem Nigerianer im Supermarkt von einer
älteren Frau ein Karton auf den Kopf geschlagen, ein farbiger Taxifahrer
rassistisch beschimpft, zu Boden geworfen und gegen den Kopf getreten.
Und wenn man in Videos davon spricht, dass „Afrikaner enthemmt sind,
wenn es um die Ausübung körperlicher Gewalt geht“, dann kommt man
heutzutage in den Landtag und „gilt als eher gemäßigte Exponent der
AfD“.
- In Chemnitz verstarb der Rechtsextremist Thomas Haller. Er hatte in
der Vergangenheit die Neonazigruppe HooNaRa betrieben und war mit der
Hooligan-Gruppierung Kaotic Chemnitz liiert, die bei den Unruhen im
Spätsommer 2018 kräftig mitgemischt hatte. Im Stadium wurde für Haller
eine Trauerminute abgehalten, Bengalos abgebrannt, sein Foto auf einer
Videowand eingeblendet und ein Banner in altdeutscher Schrift abgerollt.
Trauerfeier im Stadion von Chemnitz
Zu seiner
Beerdigung kamen dann 1000 einschlägig belastete „Kameraden“, sicher
mehr, als bei der Beerdigung des Punks, den Mitglieder der HooNaRa 1999
ermordeten. Was hätte bei soviel Aufwand und Anteilnahme am Tod eines
Rechtsextremisten ein DDR-Nostalgiker gesagt? „Das hätte es damals nicht
gegeben, als Chemnitz noch Karl-Marx-Stadt hieß.“
- Zurück nach München. Es ist derzeit nicht opportun, die Polizei hart
anzugehen. Zum einen hat sie durch das neue bayrische
Polizeiaufgabengesetz mehr Möglichkeiten, Kritiker zur Aufgabe zu
bewegen, zum anderen, und da hört der Sarkasmus auf, gehört sie zu den
Berufsgruppen, die zunehmend Zielscheibe verbaler Entgleisungen und
tätlicher Angriffe wird. Da sind wir natürlich auf ihrer Seite. Nicht
solidarisieren können wir uns mit den 35 Beamten des
Unterstützungskommandos/USK, auf deren Chat-Gruppe man im Zuge der
Ermittlungen wegen eines Sexualdeliktes am Spitzingsee/Lkr. Miesbach(!)
stieß. Teil des Chats waren zwei Videos mit antisemitischem Inhalt. Wir
gehen (endlich einmal) mit dem bayrischen Innenminister konform, wenn er
sagt: „Wer sich derart verhält, hat in den Reihen der Polizei nichts zu
suchen.“
- Räume frei werden auch im Mittelmeer, denn die EU hat, wie zuvor schon
Deutschland, den Marineeinsatz zur Rettung von schiffbrüchigen
Flüchtlingen eingestellt und wird die Gegend zwischen Libyen, Malta und
Italien künftig nur noch aus der Luft überwachen. Absaufen unter
Beobachtung, gewissermaßen! Nein! Schließlich gibt es noch die libysche
Küstenwache, der sich derzeit neue Einnahmequellen erschließen. In
Libyen ist Bürgerkrieg, und es gibt bereits Berichte, dass Flüchtlinge
zum Kriegsdienst gezwungen wurden. Frauen und Kinder werden anderweitig
„beschäftigt“.
- Eng geworden ist es hingegen im Ankerzentrum in der ehemaligen
Funkkaserne in München. Familien mit mehr als 80 Kindern leben auf
engstem Raum zusammen, müssen verschimmelte Gemeinschaftsbäder benutzen
und haben einen Fernseh-raum, dessen Möblierung aus Paletten besteht. Da
weiß man schon, warum Stadträten und Mitarbeitern des Sozialreferats der
Zugang erschwert ist. „Man versucht hier, möglichst unmenschliche
Zustände zu schaffen“, so ein Stadtrat. Auf die Kritik hin will die
Regierung einen Spiel- und Aufenthaltsraum einrichten und das Zentrum
grundsanieren – in den nächsten zwei Jahren.
Doch wie’s da drinnen aussieht, …
Es scheint dann
doch etwas schneller gegangen zu sein, denn als eine Landtagsabgeordnete
Ende April einen zweiten Kontrollbesuch machte, hatte es ausgeschimmelt
und man hatte mit der Sanierung der Räume begonnen. Außerdem hatte man
die Belegschaft vom Ameisenhaufen weg auf ein menschliches Maß
reduziert. Sehen sie, es geht doch, wenn die Öffentlichkeit das Maul
aufmacht!
- Zu einer handfesten Auseinandersetzung kam es in Nürnberg, als ein
Afghane, der seit 2010 in Deutschland lebt, abgeschoben werden sollte.
Zu den Hintergründen der Abschiebung gibt es unterschiedliche Aussagen
von Flüchtlingsrat und Regierung von Mittelfranken, aber erwähnenswert
ist die Zahl der Demonstranten, die sich dem Abtransport zum Flughafen
entschieden (und nicht völlig gewaltfrei) entgegenstellten. 500 Leute-
die muss man erst einmal zusammenbringen!
- Widersprüchlich sind die Ergebnisse einer Studie, die die CSU-nahe
Hans-Seidel-Stiftung in Auftrag gegeben, aber nicht veröffentlicht hat.
Es ging um „Integrationsverläufe“ bei elf Asylbewerbern. Ernüchternd die
Aussagen zum Spracherwerb („nicht ausreichend alphabetisiert“) und zu
den Möglichkeiten einer soliden Berufsausbildung („am Niedriglohnsektor
orientiert“). Zwischen den Zeilen aber klingt an, dass diese Defizite
auch von den Behörden (und der Gesellschaft) gewollt sind. Für
Sprachkurse gibt es lange Wartezeiten, Kontakte zu Deutschen verlaufen
überwiegend nur über Helferkreise, und die Massenunterkünfte und die
„Unsicherheit über den Asylstatus“ dämpfen die Lernbereitschaft. Auf
eine Veröffentlichung hat die Stiftung wohl deshalb verzichtet, weil
sich die Verfasser der Studie für den Familiennachzug, den „Spurwechsel“
und gegen große Gemeinschaftsunterkünfte aussprachen, Vorschläge, die
der CSU-Politik eher entgegenstehen.
Da kommt einem natürlich sofort die Redensart „Wessen Brot ich esse,
dessen Lied ich singe“ in den Sinn, und irgendwie gilt dies auch für
eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Die hat
herausgefunden, dass 53% der Befragten Zuwanderung als Chance für unser
Land sehen, dass aber 56% glauben, dass wir uns seit 2015 übernommen
haben. Hoch sind die Prozentzahlen, wenn es um die Sorgen geht, die die
Bürger mit der Migration verbinden – Zunahme von Rechtsextremismus,
Spaltung der Gesellschaft, Anstieg von Kriminalität und Terror. Aber
auch: 78% sind der Meinung, dass gut integrierte Flüchtlinge bleiben
sollten, auch wenn sie rein rechtlich ausreisepflichtig wären. Wie
ticken wir jetzt denn wirklich?
Im August legte die Bertelsmann-Stiftung eine weitere Umfrage zum Thema
„Zuwanderung“ auf. Interessant ist, dass der Willkommenspegel gegenüber
Flüchtlingen in den alten Bundesländern von 2017 auf 2019 gesunken ist
(aber immer noch höher ist als der Zurückweisungspegel), während in den
neuen Bundesländern im selben Zeitraum der W-Pegel gestiegen ist (aber
immer noch unter dem Z-Pegel liegt). Die Stiftung attestiert Deutschland
eine „robuste Willkommenskultur“, wobei das Wort „robust“ diese Kultur
in jeder Hinsicht zutreffend beschreibt.
AI-Fälle
- Politische Gefangene: In Tschetschenien wurde der Leiter des Büros der
Menschenrechtsorganisation Memorial Oyub Titiev zu vier Jahren Haft
verurteilt. Titiev hatte sich zuletzt mit dem Schicksal von 27
Häftlingen befasst, die 2017 ohne Gerichtsverfahren hingerichtet worden
waren. Da man ihn deshalb nicht gut belangen konnte, hat ihm die Polizei
etwas Marihuana ins Auto platziert. Vor Gericht wurden keine
Entlastungszeugen zugelassen, aber nicht zuletzt wegen der
Internationalen Prozessbeobachter, fiel das Urteil „milder“ aus als
erwartet. Er könnte freigelassen werden, wenn er eine Drittel des
Strafmaßes abgesessen hat, die U-Haft von mehr als 14 Monaten wird mit
einbezogen. Zyniker würden sagen: Der soll sich nicht so haben! Seine
Vorgängerin als Büroleiterin, Natalja Estemirowa, wurde 2009 gleich
erschossen. Im Juni wurde Oyub dann auf Bewährung entlassen.
Im Iran wurde die Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotudeh zu 33 Jahren
Haft und 148 Peitschenhieben verurteilt. Zwei der sieben Anklagepunkte
lauteten: „Anstiftung zu Korruption und Prostitution, Störung der
öffentlichen Ordnung“. Frau Sotoudeh hatte Frauen verteidigt, die gegen
den Kopftuchzwang im Iran verstoßen hatten und war wohl auch selbst ohne
Kopftuch aufgetreten. 2012 hatte sie den Sacharow-Preis des
Europaparlaments erhalten – wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“
möchte man hinzufügen.
Oyub Titiev
Nasrin Sotoudeh
- Todesstrafe: Völlig durchgedreht hat der Sultan von Brunei. Er hatte
wieder einmal die Steinigung für Homosexuelle und Ehebrecher angeordnet,
weil Brunei ein Staat sei, „der seine Verehrung immer Allah widmet“. Die
internationalen Proteste einschließlich der Aufrufe, seine Luxushotels
zu boykottieren, ließen ihn unbeeindruckt. Lesben sollen übrigens milder
davonkommen. Ihnen drohen 40 Stockhiebe oder 10 Jahre Gefängnis. Ob
diese „Milde“ darauf zurückzuführen ist, dass der Sultan in früheren
Jahren ein Playboy war und seine Angehörigen (v.a. sein Bruder Jefri)
gerne Orgien feiern, müssen wir offenlassen. Zurück in die
Stein(igungs)zeit), kann man da nur noch sagen.
- Sklaverei: In München steht die IS-Rückkehrerin Jennifer W. vor
Gericht. Man wirft ihr vor, Mitglied einer terroristischen Vereinigung
zu sein und durch unterlassene Hilfeleistung eine Person getötet zu
haben, die nach dem Völkerrecht zu schützen ist. Die Frau hatte mit
ihrem Ehemann ein jesidisches Kind gekauft und als Sklavin gehalten. Als
das Mädchen krank wurde und im Bett einnässte, kettete es der Ehemann im
Hof an und ließ es bei 45 Grad verdursten. Das war im Sommer 2015.
Jennifer soll zwar auf ihren Mann „eingewirkt“ haben, der hätte aber
nicht auf sie gehört. Da sie auch Mitglied der Sittenpolizei gewesen
sei, die Frauen in „unislamischer“ Kleidung jagten, wird ihre
„Einwirkung“ nicht allzu massiv ausgefallen sein. In einem Chat deutete
sie an, dass sie am liebsten wieder zum IS zurückkehren würde. Aber im
Irak würde man anders mit ihr umspringen als vor einem deutschen
Gericht.
Im Juli hat die Mutter des Mädchens, die als Kronzeugin auftrat, die
Angeklagte erst nach einigem Zögern identifiziert. Sie sagte: „Es ist
schon so lange her.“ Auch bei weiteren Befragungen gab es Widersprüche,
sodass sie „allein als Beweismittel kaum ausreichend“ wäre. Im Oktober
hat man dann den mutmaßlichen Täter in Griechenland verhaftet und nach
Deutschland ausgeliefert. Im November soll er im Verfahren angehört
werden – als Zeuge. Wenn der nicht „singt“, droht ein Freispruch aus
Mangel an Beweisen. Und gesungen hat er nicht, ganz im Gegenteil. Als
„Zeuge“ konnte er die Aussage verweigern, um sich nicht selbst zu
belasten. Seine Frau hat er „maximal ignoriert“.
- Rüstungsexporte: In einer geheimen Sitzung des Bundeskabinetts wurde
jetzt eingeräumt, dass saudische Tornados und Eurofighter auch im
Jemenkrieg zum Einsatz kommen. Wie sagte schon Erdogan bei den
Leopard-Panzern: „Dafür haben wir sie schließlich gekauft.“ Damit ist
der Koalitionskompromiss zu Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien erneut
auf dem Prüfstand. Frau Kramp-Karrenbauer meint, dass
Gemeinschaftsprojekte mit europäischen Partnern „nicht den strengen
deutschen Regeln unterliegen“ sollten, aber man darf in aller Naivität
doch auch mal fragen, ob sich nicht die europäischen Partner an die
deutschen Regeln halten sollten.
Die Kurznachrichten
- „Frech“ geworden sind auch die türkischen Frauen am Frauentag auf
ihrem Nachtmarsch auf der Einkaufsmeile in Istanbul. In der
Vergangenheit blieben sie unbehelligt, aber diesmal setzte die Polizei
Reizgas und Gummigeschoße ein. Präsident Erdogan hat dem Polizeieinsatz
nachträglich seinen Segen gegeben: Die Frauen hätten mit ihren Pfiffen
und Slogans den Gebetsruf des Muezzin übertönt. Soweit wie der Imam am
Frauentag 2018 ging er allerdings nicht. Der hatte erklärt, dass Frauen
„Gott dankbar sein sollten“, weil er Männern erlaubt habe, sie zu
schlagen.
Geht nach Hause!
- „Ein schlechter
Altherrenwitz“ könnte man sage, wenn die Urteilsbegründung auf einem
Berufungsgericht in Ancona/Italien nicht von drei weiblichen
Richterinnen kommen würde. Die hatten in der Neuauflage eines
Vergewaltigungsprozesses drei Männer freigesprochen, weil die
Vergewaltigung einer Peruanerin deshalb wenig wahrscheinlich sei, weil
das Opfer von vor drei Jahren „zu männlich aussehe und zu wenig
attraktiv sei“. Der Freispruch erfolgte bereits 2017, wurde aber erst
jetzt bekannt, nachdem das oberste Gericht des Landes einen neuen
Prozess angeordnet hatte.
- Papst Franziskus hat jetzt doch noch „konkretere“ Richtlinien bei
Missbrauchsfällen herausgegeben. Schon der Verdacht auf Missbrauch von
Minderjährigen muss künftig angezeigt werden und verurteilte Täter sind
von ihren Posten zu entfernen. Die Richtlinien aber sind für den
Vatikanstaat und die Kurie selber bestimmt, wo allenfalls zwei Dutzend
Kinder und Jugendliche leben. Man geht jedoch davon aus, dass andere
Bischofskonferenzen, die noch keine eigenen Richtlinien formuliert
haben, an diesen Weisungen nicht vorbeikommen. Die Stimmung in der
katholischen Kirche ist durchaus mit der in einigen Bundesligavereinen
zu vergleichen.
Depressionen
- Schlechte
Nachrichten, was denn sonst, von der Führungsebene des Iran. Ein
Anwärter auf die Nachfolge Chomeinis soll der Hardliner Ebrahim Raisi
sein. Er gehörte 1988 dem „Komitee des Todes“ an, das auf eine geheime
Fatwa Chomeinis hin Tausende politische Häftlinge ohne Urteil in den
Gefängnissen hinrichten ließ.
- Möge ihm einst das gleiche Schicksal beschieden sein wie einem anderen
Hardliner, der auch Tausende auf dem Gewissen hat. Gegen den bosnischen
Serbenführer Karadzic, der 1995 für das Massaker von Srebrenica
mitverantwortlich war, wurde jetzt das Strafmaß verschärft. Er muss
lebenslang ins Gefängnis. Hoffentlich darf er die Strafe nicht im
serbischen Teil Bosniens absitzen. In der Stadt Pale hat man nämlich
2016 ein Universitätsgebäude nach ihm benannt.
- Bei manchen AI-Nachrichten kommt man mit seinen Gefühlsausbrüchen
nicht mehr nach. Da kamen in Saudi-Arabien Ende März drei
Frauenrechtlerinnen auf Bewährung frei, die man zehn Monate zuvor wegen
ihres Einsatzes gegen das Fahrverbot eingelocht hatte. Einen Tag vor
ihrer Entlassung hatte man sie zu einer einjährigen Haftstrafe
verurteilt. Wie das zusammengehen soll, weiß wohl nicht einmal Allah!
Nicht entlassen wurde Loujain al-Hathloul, die auf ihrer Fahrt von Dubai
zur saudischen Grenze aufgegriffen wurde. Wahrscheinlich ist sie für die
Öffentlichkeit noch nicht präsentabel: Sie scheint im Gefängnis durch
Folter und sexuellem Missbrauch gebrochen worden zu sein. Der Bericht
ihrer Eltern über ein Telefonat mit ihrer Tochter geht einem unter die
Haut:
„Die Eltern beschreiben sie als teilnahmslos, als schicksalsergeben.
Von ihrem mutigen Lächeln, mit dem sie damals Richtung Grenze fuhr,
ist nicht mehr viel übriggeblieben.“
Loujain al-Hathloul - vor ihrer Haft
- „Vom Eise
befreit“ sind (kurzfristig?) die Beziehungen zwischen Asylhelfern und
dem bayrischen Innenminister Herrmann. Vor zwei Jahren, als mehr als
tausend Asylhelfer die Bavaria besetzten, hatte der Minister noch ein
Gespräch abgesagt. Jetzt hat er sieben ihrer Vertreter zu einem Gespräch
eingeladen. Der Sprecher der Gruppe zeigte sich anschließend zufrieden
über den Verlauf.
„Der Minister war erstaunt darüber, wie unterschiedlich streng das
Thema Arbeitsgenehmigungen in den Landkreisen gehandhabt wird.“
Hoffentlich erreicht die „großzügigere Linie“ des Innenministeriums auch
den Landkreis Miesbach.
Darauf, und auf den ganzen Monat März ein Spruch von Pearl S. Buck:
„Die Hoffnung aufzugeben bedeutet, nach der Gegenwart auch die
Zukunft preiszugeben.“
- „Es
vergeht kaum noch eines der Hauptfeste der Christenheit, ohne dass von
irgendwoher Gewalt und Terror gegen Christen und ihre Kirchen gemeldet
wird“,
so die SZ in einem Kommentar zu den Attentaten in Sri Lanka. Was genau
die Triebfedern der Täter waren, der Hass auf die Christen, als
„Repräsentanten des Westens“ war sicher mit dabei. Und natürlich hebt
auch der IS sein Mörderhändchen, wenn die Frage aufkommt, wem der
Hauptpreis für die Täterschaft zusteht. Man muss den Prozentzahlen an
Christenverfolgung, die die Organisation „Open Doors“ verbreitet, „mit
äußerster Vorsicht“ begegnen, aber dass es, nach Papst Franziskus,
„heute mehr Märtyrer als in den ersten Jahrhunderten des Christentums“
gibt, ist kaum zu bezweifeln. Hoffen wir nur, dass der Ex-Papst Benedikt
diesmal den Mund hält. Der würde, wie schon die Missbrauchsfälle, die
Christenverfolgung wieder den 1968ern zuschreiben.
Erschütternd beispielsweise die Entwicklung in Mossul/Irak. Dort gab es
bis 2003 1,3 Millionen Christen. Vom Bürgerkrieg wurden bis 2009
mindestens die Hälfte vertrieben. Dann wurde die Stadt 2014 vom IS
besetzt, die Zahl der Christen war auf 25 000 geschrumpft. Diese wurden
vor die Wahl gestellt, zu konvertieren, zu fliehen oder hingerichtet zu
werden. Die meisten gingen, und uralte christliche Kirchen wurden
zerstört.
Kirche in Karakosch/Nordirak
- Sie haben
sicher schon die Einleitung zum Monat April vermisst. Hier ist sie – mit
der Qualität, die gerade noch fürs Poesiealbum reicht.
„Jetzt ist April,
und da hält man still.“
Das Kuschen und Stillehalten war in diesem Monat eine weit verbreitete
politische Verhaltensweise, ansteckend wie die Frühjahrsgrippe.
- Lange verschwiegen hat die Bundesregierung nachrichtendienstliche
Erkenntnisse, dass Saudi-Arabien im Krieg gegen Rebellen im Jemen
Tornados und Eurofighter einsetzt, an deren Produktion (und Verkauf)
Deutschland beteiligt ist. Für die Pragmatiker der Exportlobby ist das
kein Problem: „Wenn man sie schon gekauft hat, …!“ Entschuldigung, war
schon da – und „Who wants yesterday’s papers?“
- Still gehalten hat Berlin auch, als sich in Kairo durch gezinkte
Wahlen Präsident al-Sisi zum Langzeitherrscher krönte. Die deutsche
Politik setzt auf die „Stabilität“, die er dem Lande gegeben hat und
ignoriert deren Kosten. Al-Sisi und das Militär haben „in Ägypten eines
der repressivsten Systeme der arabischen Welt installiert“, wo
Dissidenten durch allgegenwärtige Geheimdienste gnadenlos verfolgt
werden.
- Gekuscht hat unser geschäftstüchtiges Nachbarland Schweiz vor den
Verlockungen, die auf der Neuen Seidenstraße auf Europas Wirtschaft
zurollen – oder auch nicht! Der Schweizer Bundespräsident Ueli Maurer
hat den Chinesen bescheinigt, dass das Land sich noch in der Entwicklung
befände und deshalb in Sachen Menschenrechte lediglich „einen gewissen
Nachholbedarf“ habe. Ob sich die Lage wirklich derart verschlechtert
habe, wie (übereinstimmend) berichtet würde, könne er nicht beurteilen.
Da schreitet er noch stramm einher
- Und regelrecht
eingeknickt, aber da sind sie in großer Gesellschaft, sind die Richter
des Weltstrafgerichts in Den Haag vor dem Druck der USA. Der
Internationale Strafgerichtshof hatte Vorermittlungen angestellt, die
mutmaßliche Kriegsverbrechen amerikanischer Soldaten in Afghanistan zum
Ziel hatten. Die USA drohten den damit befassten Juristen mit Sanktionen
(Einreiseverbote), und die Ermittlungen wurden eingestellt. Begründung:
Solange es an der Kooperation der betreffenden Staaten (USA,
Afghanistan) mangle, seien die Ermittlungen schwierig, wenig
aussichtsreich und somit „eine Verschwendung von Ressourcen“. Nach
dieser Logik müsste man viele Ermittlungen einstellen.
Der Gerichtshof ist wegen dieser Entscheidung in die Kritik geraten. Es
wurde (wieder einmal) bestätigt, dass es keine Ermittlungen gibt, wenn
die Verdächtigen mächtige Freunde haben oder ein mächtiges Land
betroffen wäre, und man nur gegen gestürzte und besiegte (afrikanische
bzw. osteuropäische) Politiker zu ermitteln wagt – in letzter Zeit nicht
einmal mehr gegen solche, denn der ehemalige kongolesische Vizepräsident
Pierre Bemba, wegen Kriegsverbrechen in der Zentralafrikanischen
Republik angeklagt, wurde in 2. Instanz freigesprochen – und verlangt
jetzt 70 Millionen Haftentschädigung. Die SZ meint dazu:
„Der Strafgerichtshof … ist eine weitgehend symbolische Veranstaltung
geworden.“
Die Kurznachrichten
Deutschland
- Dem Friedhof von Frauenchiemsee bleibt eine Attraktion erhalten – und
den Neonazis ein Fotomotiv. Das „Scheingrab in Form eines Eisernen
Kreuzes“ für Generaloberst Alfred Jodl, der im Nürnberger Prozess als
Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt wurde und dessen Asche nach der
Hinrichtung in den Wenzbach/München gestreut wurde, darf vom
Grabinhaber, einem getreuen Großneffen Jodls, 20 Jahre lang weiter
genutzt werden. Nur 100 Meter entfernt, liegt die selige Irmengard
begraben. Wenn auch der General im Himmel ist, werden sich die beiden
schon irgendwie arrangiert haben.
- Kontrovers diskutiert wurde eine Studie der SPD-nahen
Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Reiztitel „Verlorene Mitte, feindselige
Zustände“. Die Verfasser stellten fest, dass gerade junge Leute dazu
neigen, den Nationalsozialismus zu verharmlosen, dass ein Drittel der
Befragten die Verbrechen der Nazis an den Juden mit der Behandlung der
Palästinenser durch die Israelis gleichsetzen, dass die Vorurteile
gegenüber Asylbewerbern zugenommen haben und dass sich 10% einen
„Führer“ wünschen, der Deutschland „mit starker Hand regiert“. Da hat
der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel entschieden gegen gehalten.
Er wies auf das komplementäre Ergebnis der Studie hin, wonach 86% der
Befragten die Demokratie für die richtige Regierungsform halten und 80%
für eine offene Gesellschaft eintreten. „Verloren“ mag die Mitte noch
nicht sein, bedroht ist sie allemal. Am 26. Mai ist Europawahl.
- Aufgestoßen hat mir eine Überschrift im Merkur: „Vier Flüchtlinge
prügeln auf Passanten ein.“ Und jetzt frage ich Sie: Wie viele Leser
hören mit einem „Die schon wieder!“ mit dem Lesen auf, und wie viele
lesen weiter, um herauszufinden, dass es sich um einen Vorfall handelt,
der sich schon Ende Dezember 2018 in Amberg ereignet hat, und der jetzt
vor Gericht kam? Wenn Sie weitergelesen haben, dürfen Sie sich nicht nur
über die Überschrift ärgern, sondern auch über die Schlägertypen
empören. Einer von ihnen wurde im Mai zu einer Jugendstrafe von zwei
Jahren und sieben Monaten, die anderen zu Bewährungsstrafen verurteilt.
Es ist an sich nicht meine Art, Verbrechen und Übergriffe von
Flüchtlingen zu verharmlosen, deshalb überlasse ich das in diesem Falle
(getrost) dem Staatsanwalt. Der hat die Tat, die ganz Deutschland in
Aufregung versetzt hat, als „jugendtypisches Geschehen“ bezeichnet.
Ausland
- Von den Internierungslagern für die Uiguren war schon im Februar die
Rede. Jetzt zeigt sich, dass auch Erdogans Kritik vom „Genozid an den
muslimischen Gläubigen“ berechtigt ist. Und so wie es die Nazis mit den
Juden gemacht haben, erst die Synagogen und dann die Menschen, so macht
es heute Chen Quanguo, der diabolische KP-Sekretär in der Provinz
Xinjiang/China mit den Moscheen und den Muslimen. „Moscheen werden ihrer
Funktion beraubt und dem Erdboden gleichgemacht.“ Auch eine
verharmlosende Bezeichnung hat man schon gefunden. In Xinjiang heißt die
Reichskristallnacht „Mosque Rectification
Program/Moschee-Berichtigunsprogramm“. Die muslimischen Staaten, die in
der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) vertreten sind,
halten sich mit Kritik vornehm zurück. Aber dass sie im März den
Chinesen „für die Bemühungen dankten, ihre muslimischen Bürger zu
betreuen“, lässt sich nur damit erklären, dass die Neue Seidenstraße für
die Anrainer als Schleimspur angelegt ist.
- Als „gefährlichste Stadt für Frauen“ hat eine Reportage im Merkur die
Stadt Kairo benannt. Dort gaben 2013 in einer Umfrage 99% der Frauen an,
schon einmal sexuell belästigt worden zu sein. Heute ist das anders,
aber nicht, weil nicht mehr belästigt wird, sondern weil die Mädchen und
Frauen sich nicht mehr zu outen wagen. „Sexuelle Übergriffe gelten in
Ägypten als Schande – für die Opfer.“ Da die Polizei die Vorfälle
herunterspielt oder ignoriert, suchen die mutigen Mädchen Hilfe beim
Projekt „Sichere Städte für Mädchen“. Dort können sie über ihre
Erlebnisse sprechen, lernen sie, sich selbst zu verteidigen, z.B. mit
der langen Nadel des Kopftuchs zu-zustechen, pflegen sie einen
selbstbewussten Umgang mit den jungen Männern, die „cool“ genug sind, am
Projekt teilzunehmen.
Zaghafte Selbstverteidigung
- Wer am Anfang
für manche Proteste und Forderungen der Gelbwesten in Frankreich noch
ein gewisses Verständnis hatte (Abgehobenheit der Elite,
Wirtschaftspolitik für die Reichen, Anhebung von Renten und
Mindestlohn), zuckte zusammen, als ein Video veröffentlicht wurde, das
einige Demonstranten zeigte, die ein „Bringt euch um!“ in Richtung
Polizei riefen. Diese Aufforderung klingt in französischen Ohren noch
perfider, weil es in den Reihen der französischen Polizei derzeit viele
Suizide gibt, 65 Fälle allein im letzten Jahr.
AI-Fälle
- Todesstrafe: Dem Sultan von Brunei hat man jetzt einige Steine
zwischen die Beine geworfen, die er nicht mehr auf die Homosexuellen
werfen kann. Das Europaparlament ist der Einführung der Schariastrafen
nicht mit „Toleranz, Respekt und Verständnis“ begegnet, wie der Sultan
gefordert hat, sondern prüft Sanktionen wie Visaverbote, schwarze Listen
gegen seine Luxushotels und Einfrieren von Auslandsguthaben. Letzteres
würde ihn am meisten schmerzen! Auch die Reisebranche macht Anstalten,
Brunei nicht mehr unter den Traumzielen zu vermarkten. Jetzt spricht der
Sultan von „Missverständnissen“ und macht die Höchststrafe davon
abhängig, dass „zwei Männer von hohem moralischen Rang und Frömmigkeit“
als Zeugen des Aktes erforderlich seien. Und die wird er, zumindest in
seiner Familie (s. Bruder Jefri), nicht finden.
Abschiebegesetz – zum dritten und hoffentlich noch nicht zum letzten:
Ein „höchst zufriedener“ Bundesinnenminister präsentierte sein
„Geordnete-Rück-kehr-Gesetz“, das er nicht nur ausreisepflichtigen
Asylbewerbern, sondern auch dem Koalitionspartner SPD aufs Auge drückte.
Tenor: Ausreisepflichtige müssen künftig aktiv zu ihrer eigenen
Abschiebung beitragen. Wenn sie das nicht tun, was man irgendwo
verstehen kann, drohen Arbeitsverbot, gekürzte Sozialleistungen und, ein
weiteres Wortmonster, die „Mitwirkungshaft“ - und die (gegen EU-Recht!)
auch in gewöhnlichen Haftanstalten, abgetrennt von Strafgefangenen. Man
wird um Abschiebungen nicht herumkommen, weil es bei uns kein „Asylrecht
für alle“ gibt, aber von „unverhältnismäßigen Verschärfungen“ wird man
schon noch reden dürfen, wenn man beispielsweise bedenkt, wie schwierig
es für afghanische Flüchtlinge ist, sich in Deutschland die
Tazkirah/Identitätsnachweis zu beschaffen. Wie Seehofer mit Informanten
umgeht, die Flüchtlinge vor Abschiebung warnen, ist nicht ganz klar. Die
„Mitwirkungshaft“ für Fluchthelfer scheint vom Tisch zu sein, aber eine
irgendwie geartete strafrechtliche Verfolgung käme ihm nicht ungelegen,
„Wasser und Brot unter Hausarrest“ gewissermaßen.
- Waffenexporte Hier begnügen wir uns mit einem Foto aus dem Jahre 1982
und der Mitteilung des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri,
dass „sich Deutschland 2018 auf Platz acht bei den weltweiten
Rüstungsausgaben vorgearbeitet hat“. Unter den Rüstungsexporteuren
liegen wir auf Platz vier.
Das ist nicht Ursula von der Leyen
Kuriositäten
- In Memmingen hat man eine notorische Ladendiebin (wieder einmal) zu
einer Haftstrafe verurteilt. Der Haken am Urteil ist: die Dame ist schon
85 Jahre alt. Hätte man da nicht eine kreative Sozialstrafe verhängen
können, beispielsweise täglich zur Hauptgeschäftszeit im Rollator durch
den Supermarkt fahren lassen, um die Kunden am Ladendiebstahl hindern
oder sie auf Schnäppchen hinzuweisen? Dann wären die 18,73 Euro, wegen
derer man sie belangt hat, bald wieder reingekommen. Bei den Angeklagten
im Sparkassenprozess aus Miesbach ging es um etwas höhere Beträge, aber
die haben die besseren Anwälte.
- Um das (von AI hochgeschätzte) Thema „Alltagsrassismus“ ging es bei
einem Streit im Mannheimer Kulturzentrum. Dort prangt über der Theke der
Sarotti-Mohr, und zwar in seiner „kolonialrassistischen“ Ausprägung,
d.h. schwarzbraun und im Dienerstatus. Zu den sechs Veranstaltungen zum
Thema „Kein Platz für Rassismus“ kamen immerhin 700 (!) Teilnehmer. Ob
sie alle eine Tafel Sarotti-Schokolade bekamen, ist nicht überliefert.
Wir drucken zur Sühne für unsere despektierlichen Bemerkungen das Bild
ab, das die Firma seit 2004 verwendet: ein Magier mit goldener Haut, der
nach den Sternen greift.
Sarotti-Mohr Neufassung
Die Frauen im
Sudan
Wenn man im Fernsehen Bilder von den Demonstrationen sah, die zum Sturz
des Diktators al-Baschir führten, hatte man den Eindruck, dass das eine
Sache der Männer war. Die Frauen haben aber kräftig mitgemischt, und das
seit vier Monaten: Sie sind auf die Straße gegangen, haben Demonstranten
vor Gericht verteidigt und Verletzte behandelt. Sie hatten auch allen
Grund zum Aufstand. Allein im Jahre 2016 sollen 15 000 Frauen zu
Prügelstrafen verurteilt worden sein, weil sie Hosen getragen oder ihre
Haare nicht bedeckt hatten. Zum Gesicht des weiblichen Widerstandes
wurde die Studentin Alaa Salah: Sie hielt nicht still, auch nicht im
April.
Alaa Salah in Aktion
Im Monat Mai
wurde vor 70 Jahren das Grundgesetz verkündet, an Bayern vorbei, das
damals noch nicht auf die Todesstrafe verzichten wollte, - nein, dem es
zu zentralistisch war. Wir wollen uns hier nicht mit der „Ambivalenz“
befassen, dass dem „Buch der Bürger“ zwar bei Feierstunden „anhaltender
Respekt“ entgegengebracht wird, dass aber auf der Straße und bei
populistischen Politikern „seine Werte immer weniger geachtet“ werden
(Zitate aus der SZ). Wir wollen uns auf GG Artikel 1 beschränken und
untersuchen, wie der Monat Mai weltweit mit der „unantastbaren Würde des
Menschen“ umgegangen ist.
- Auf Facebook wurde ein Video mit der Rede der demokratischen
US-Politikerin Nancy Pelosi manipuliert. Das Video wurde verlangsamt,
sodass Pelosi mit lahmer Zunge spricht und betrunken wirkt. Hochrangige
Republikaner haben den Link genüßlich auf Twitter geteilt, Facebook hat
sich geweigert, das Posting zu löschen, weil es sich nur um eine
„fragwürdige Manipulation und Falschbehauptung“ handle, nicht aber ein
„eindeutig strafbarer Inhalt“ sei. Frau Pelosi, so ihre Tochter, trinke
gar keinen Alkohol.
- Die Jungsozialisten von Ansbach haben das Foto eines Blechdosenturms
gepostet, auf dem neben Unions- und AfD-Politikern auch Hitler und
Mussolini zu sehen sind. Die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl hat die
Aktion zunächst „Spitze“ gefunden, sich dann aber entschuldigt, zu spät,
um die Niederlage der SPD bei den Europawahlen zu verhindern.
Ziel verfehlt
- Das
Anti-Folterkomitee des Europarates hat eine Abschiebung von München nach
Kabul observiert. Die Abschiebung sei gut vorbereitet und professionell
durchgeführt worden, nur die Anwendung von Gewalt gegen einen der Männer
habe etwas gestört. Man habe ihm die Genitalien gequetscht, „um
kooperatives Verhalten zu erreichen“. Aber warum genießt er es auch
nicht, kostenlos in seine Heimat befördert zu werden?
- In Ungarn müssen sich Flüchtlinge in zwei Transitzonen aufhalten und
warten, bis ein (!) Flüchtling pro Tag einreisen darf. Die Grenze zurück
nach Serbien bleibt offen, und durch Aushungern wird der Rückweg
schmackhaft gemacht. So berichtet Pro Asyl, dass Eltern und ältere Söhne
hungern mussten, während die jüngeren Kinder zu essen bekamen, aber
daran gehindert wurden, den Hungernden etwas abzugeben.
- Da loben wir uns den polnischen Kardinal Krajewski, den
„Almosenmeister“ des Papstes, der höchstpersönlich in den Keller eines
besetzten Hauses in Rom gestiegen ist, und dort die Versiegelung
aufgebrochen hat, die dafür sorgte, dass fast 500 Menschen eine Woche
lang ohne Elektrizität und warmes Wasser leben mussten, weil sie die
Rechnungen nicht bezahlten – oder bezahlen konnten.
„Robin Hood des Papstes“
- Bleiben wir bei
der Kirche in Italien. Der Vatikan hat die Auftritte von Innenminister
Salvini kritisiert, bei denen er, den Rosenkranz schwenkend, seine
unchristliche Flüchtlingspolitik verkündet. „Es ist sehr gefährlich“, so
Kardinalstaatssekretär Parolin, „den Namen Gottes für eigene Zwecke zu
entfremden.“ Salvini hat, den Rosenkranz schwenkend, seinen Feinden
nicht verziehen, sondern zurückgeschossen. Bei einer Rede unterschied er
zwischen „guten und schlechten Päpsten“ und ordnete Papst Franziskus der
2. Kategorie zu. „Die katholische Kirche“, so der Merkur unter Bezug auf
italienische Zeitungen, „nehme inzwischen die Rolle der Opposition ein
und sei zum Hauptgegner der Rechtsextremisten avanciert“. Da wird sich
die Kirche wohl bald in Acht nehmen müssen, nicht nach Libyen
ausgewiesen zu werden.
- Und damit sind wir schon wieder bei Salvini gelandet. Er, der sonst
mit einem MG vor Lampedusa und Sizilien auf der Lauer liegt, damit keine
Flüchtlinge ins Land kommen, hat von einem Regierungsgipfel in Tunis 147
(handverlesene) Flüchtlinge aus Libyen mitgebracht. Bevor man aber jetzt
(ergriffen) von einem neuen „Damaskuswunder“ spricht, sollte man
erwähnen, dass dieser Saulus nur kurzfristig, d.h. mit Hinblick auf die
Europawahlen, zum Paulus geworden ist. Der Chef der Lega wollte mit
dieser Geste die bürgerlichen und katholischen Kräfte locken, die er mit
seiner harten Linie gegen Migranten und Rettungsschiffe abgeschreckt
hatte. Ob er die Wahl wegen oder trotz dieses Kursschwenks mit Pauken
und Trompeten (und dem Rosenkranz) gewonnen hat, lassen wir offen.
Inzwischen kreuzen die Rettungsschiffe wieder vor der italienischen
Küste und warten auf die Landeerlaubnis.
Ein Seenotretter mit Hintergrund
Die
Kurznachrichten
Deutschland
- In Syrien sind Frauen und Kinder von deutschen IS-Anhängern in
syrischen Lagern inhaftiert, und die Zustände dort werden vom Roten
Kreuz als „entsetzlich“ beschrieben. Nun weiß man bei der
Bundesregierung nicht genau, was zu tun ist. Die Kinder herauszuholen,
wäre denkbar, aber an den Kindern hängen Mütter, und denen traut man
nicht, oft zu Recht. Wenn man das Bild sieht, drängt sich nur eine
Lösung auf: Frauen und Kinder zurückholen und die Mütter überwachen und
ggf. verurteilen. Dann müssten halt die Eltern der Mütter und die
Großeltern der Kinder einspringen, die bereits beginnen, die Rückholung
einzuklagen.
- In München
haben 20 000 Menschen für ein solidarisches, friedliches und hassfreies
Europa demonstriert. AI war mittelschwellig vertreten, weil wir manchmal
eine überzogene Angst haben, vereinnahmt zu werden. Die Miesbacher
Gruppe entsandte fünf Leute, der Gruppensprecher fiel der BOB zum Opfer.
Vielleicht hat die Demo mit dazu beigetragen, dass mehr Leute zur Wahl
gingen und weniger Leute als befürchtet in Deutschland rechts wählten.
- Schockierend allerdings waren zwei Ergebnisse einer Umfrage, die der
Europäische Rat für auswärtige Angelegenheiten in 14 Mitgliedstaaten der
EU durchgeführt hatte. auf die Frage „Halten Sie einen Krieg zwischen
den EU-Ländern in den nächsten zehn Jahren für möglich?“ gab es in den
Niederlanden eine (knappe) Mehrheit für „möglich“, während auf die Frage
nach einem möglichen Zerfall der EU Spanien das einzige Land war, wo
sich „ziemlich wahrscheinlich“ und „ziemlich unwahrscheinlich“
wenigstens noch die Waage hielten. In den meisten anderen Ländern hatten
die Zerfallspropheten eine deutliche Mehrheit. Man kann eine gute Idee
auch zu Tode ängstigen.
Ausland
- Der Senat von Alabama/USA hat ein Gesetz verabschiedet, das
Abtreibungen in fast allen Fällen, einschließlich Vergewaltigung und
Inzest verbietet und Ärzten eine Haftstrafe von bis zu 99 Jahren
androht. Im 35-köpfigen Senat sitzen nur vier Frauen: zwei stimmten
gegen das Gesetz, eine enthielt sich, die vierte war zuhause geblieben.
Ziel der Initiatoren ist es, ein Gesetz des Obersten Gerichtshofes
auszuhebeln, das 1973 Schwangerschaftsabbrüche „bis zum Zeitpunkt der
Lebensfähigkeit eines Fötus“ überall in den USA erlaubte.
- Ähnlich gespalten wie die USA beim Thema Abtreibung ist Brasilien beim
Thema Homo- und Transsexualität. Für Menschen, die sexuell in dieser
Richtung orientiert sind, sind Diskriminierung, Beleidigungen und
Mordanschläge zunehmend an der Tagesordnung. Geschuldet ist das dem
Einfluss der Evangelikalen und von Politikern wie Präsident Bolsonaro,
der, wie erwähnt, in einem Interview geäußert hatte, er würde seinen
Sohn lieber in einem Unfall verlieren, als dass dieser mit einem Mann
(als Partner) nach Hause käme. Umso erstaunlicher ist das Gesetz, das
das oberste Gericht mit einer knappen Mehrheit jetzt verabschiedete. Es
erlaubt, diskriminierende Äußerungen gegen eine sexuelle Orientierung
mit Haftstrafen bis zu fünf Jahren zu bestrafen. Wer zu erstaunt ist,
sollte wissen, dass mehr als die Hälfte der Richter noch von linken
Vorgängerregierungen ernannt worden ist. Bolsonaro war über das Gesetz
nicht besonders „amused“. Seinem Sohn wünschen wir Sicherheit auf der
Straße und eine erfüllte Partnerschaft – ganz gleich mit wem.
AI-Fälle
- Politische Gefangene: In Algerien wurde Louisa Hanoune, die
Generalsekretärin der Arbeiterpartei, verhaftet, pikanterweise als sie
vor Gericht erschien, um als Zeugin gegen verhaftete Generäle und
Geheimdienstchefs auszusagen. Man wirft ihr „Verschwörung gegen Staat
und Armee“ vor, aber es geht wohl eher um eine Bestrafung wegen ihrer
Teilnahme an den Massenprotesten gegen die Einflussnahme des Militärs
und den Übergangspräsidenten. Und außerdem kann man mit ihrer Verhaftung
eine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl am 4. Juli blockieren. Im
Jahre 2004 war Hanoune die erste Frau, die in einem arabischen Land bei
einer Präsidentschaftswahl antrat.
- Gerichtsverfahren: Man braucht kein Mittleid mit den deutschen
IS-Kämpfern zu haben, die jetzt in irakischen Gefängnissen einsitzen,
aber der Deal, den der Irak vorschlägt, wurde sogar von der deutschen
Regierung als „haarsträubend“ bezeichnet. Der Irak bietet sich an, die
deutschen IS-Kämpfer abzuurteilen, zu inhaftieren und ggf. auch
hinzurichten, wenn Berlin für die Kosten aufkäme und auf
rechtsstaatlichen Schnickschnack verzichte, sprich keine „konsularischen
oder sonstige rechtliche Interventionen“ zu veranlassen, ein
Besuchsrecht für deutsche Diplomaten bei den Gefangenen einzufordern
oder ihnen Anwälte zu organisieren.
- Verschwindenlassen: Ende April verstarb im Klinikum Freising der
Exilchinese Zhang Jian unter (mehr als) mysteriösen Umständen. Er war
auf dem Flug von Oman nach Paris so schwer erkrankt, dass die Maschine
in Freising zwischenlanden musste. Eine erste Obduktion ergab eine
Blutvergiftung und einen Leberabszess, eine neuerliche Untersuchung
zielte auf Giftrückstände oder radioaktive Belastung. Zhang Jian war
1989 in führender Position auf dem Tian’anmen-Platz dabei – und wäre
(angeblich) nicht der erste Dissident, deren Tod auf eine
„Lebererkrankung“ zurückzuführen sei. Wenn man verfolgt, wie
systematisch Peking die Erinnerung an das Massaker von 1989 auszulöschen
versucht, wäre die Elimination der Zeitzeugen nur folgerichtig. Das
Ergebnis der 2. Obduktion soll erst in mehreren Wochen vorliegen. Wir
sind gespannt, ob man von diesem „beunruhigenden Fall“ noch einmal hören
wird.
Zhang Jian
- Folter und
Haftbedingungen: Eine Aussage, die eher zum 1. April als zum Mai passt,
war die Antwort eines türkischen Regierungssprechers auf die
Aufforderung der Bundesregierung, Ankara solle sich (gefälligst) an die
Anti-Folterkonvention der UN halten. Der Sprecher behauptete nämlich in
vollem Ernst, dass in der Türkei seit 2003 das Prinzip von „null
Toleranz gegenüber Folter“ gelte – aber vielleicht hat er nur „Folter“
mit „Foltervorwürfen“ verwechselt. Solche Vorwürfe hatte der Journalist
Denis Yücel erhoben, der mehr als ein Jahr in der Türkei inhaftiert war.
Er sprach von „Schlägen, Tritten und Drohungen“ aber auch vom
psychischen Druck und den Demütigungen, denen ein Gefangener ausgesetzt
ist. Die Erfahrungen, die die Schriftstellerin Asli Erdogan in der
Isolationshaft gemacht hat, wollen wir Ihnen lieber ersparen.
- Pressefreiheit: Den Artikel zum „Tag der Pressefreiheit“ leitete der
Merkur mit dem lapidaren Satz ein:
„Um die Pressefreiheit steht es weltweit schlecht.“
Hier einige „Kostproben“:
- In Malta und der Slowakei wurden Journalisten ermordet.
- In Österreich wurde einem Moderator ein Sabbatjahr empfohlen, weil er
einen FPÖ-Politiker „unbotmäßig“ befragt hatte.
- In den USA bezeichnet Trump aufsässige Journalisten schon einmal als
„Feinde des Volkes“.
- In Deutschland feiert der Schimpf auf die „Lügenpresse“ wieder
fröhliche Urständ.
- In Russland werden kritische Journalisten inhaftiert oder sind
Überfällen und Mordanschlägen ausgesetzt.
- In Mexiko musste die Regierung ein Schutzprogramm für bedrohte
Reporter veranlassen.
- In China findet Pressefreiheit sowieso nicht statt.
Bild des
Monats
Unter dem Projektnamen „Barca Nostra“ hat es das Wrack eines 2015
gesunkenen Fischerbootes, auf dem 700 Menschen ihr Leben verloren, bis
zur Biennale in Venedig geschafft. Die SZ hat in ihrem Magazin
Gegenstände abgelichtet, die an Bord des Schiffes und bei den Leichen
gefunden wurden. Fotos, die vom Glauben, den Träumen, dem Alltag und den
Beziehungen ihrer Besitzer zeugen – und mit ihnen untergegangen sind.
Rosenkranz, Handy,
- Auf Schloss
Ortenburg/Niederbayern gibt es eine Inschrift, die vermutlich in
Erinnerung an die Schrecken des 30-jährigen Krieges entstanden ist.
„Es wird nichts Fröhliches auf Erden.
Es wird alles nur ärger werden.“
Könnte sich heutzutage auf den Aufmarsch der Rechten beziehen, denn da
sollten wir uns gehörig vorsehen, dass es nicht noch ärger wird. Am 2.
Juni wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) auf der
Terrasse seines Hauses in Istha/Hessen erschossen. Er hatte sich 2015
durch sein Eintreten für Flüchtlinge Feinde gemacht, hatte damals auf
einer Bürgerversammlung auf die Einhaltung christlicher Werte gepocht
und dann in Reaktion auf pöbelhafte Zwischenrufe folgende „Einladung“
ausgesprochen:
„Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen
– das ist die Freiheit jedes Deutschen.“
- Zwar würden wir es auch begrüßen, wenn einige Leute von dieser
Freiheit Gebrauch machen würden, aber auf der Gegenseite löste diese
„Einladung“ leider keine Auswanderungswelle, sondern einen Shitstorm
gegen Lübcke aus. Dieser Sturm war dann schon fast abgeebbt, als Lübckes
„Einladung“ im Februar 2019, also dreieinhalb Jahre (!) später von zwei
rechten Blogs aufgegriffen und von Lübckes Ex-Parteifreundin Erika
Steinbach über Twitter dahingehend abgeändert wurde, dass sie „die
Kritiker Merkelscher Asylpolitik“ aufforderte, „die CDU zu verlassen“,
aber in „ihrer Heimat“ zu bleiben. Ihre Follower hat das zu sehr
eindeutigen Stellungnahmen ermutigt,
Gefällt mir ganz und gar nicht
und einer von
ihnen, Kategorie „gewaltbereiter Rechtsextremist“, hat die Waffe nicht
nur getwittert, sondern sie benutzt. Deutschland war mit diesem Mord
sowohl in die Weimarer Republik zurückgekehrt, wo Politiker von
Rechtsextremisten ermordet wurden, als auch in die 1970er Jahre, wo die
RAF nicht zuletzt deswegen ihr Unwesen treiben konnte, weil sie lange in
eine Sympathisantenszene eingebettet war, wo das Bedauern für die Opfer
nicht sehr ausgeprägt war.
Dieser Mangel an Empathie zeigte sich auch in der Reaktion auf den Mord
an Lübcke. Frau Steinbach soll zwar ihren Blogbeitrag gelöscht zu haben,
aber, so der frühere CDU-Generalsekretär Peter Tauber, bisher kein „Wort
der Trauer“ von sich gegeben haben. Im bayrischen Landtag boykottiert
der AfD-Abgeordnete Ralph Müller eine Schweigeminute für Lübcke, indem
er demonstrativ sitzen bleibt und sich seinen Akten widmet. Und dann die
unsäglichen Kommentare in den (a)sozialen Medien: Die „Drecksau“ habe
den „Gnadenschuss bekommen! RESPEKT!“
- Es ist diese Verrohung des Denkens und der Sprache, die
Bundespräsident Steinmeier auf dem evangelischen Kirchentag gemeint hat,
als er die „Demokratisierung des Digitalen“ angemahnt und uns
aufgefordert hat, „uns das Internet zurückzuholen“, also das Netz nicht
den Spinnern und Hassbotschaftern zu überlassen.
- Und dass zu Recht bereits von einer „braunen RAF“ die Rede ist, zeigt
das Verfahren gegen die Gruppe „Revolution Chemnitz“, die von
Aktivitäten träumte, gegen die sich die Morde der NSU wie die Taten
einer „Kindergarten-Vorschulgruppe“ ausnehmen würden. Dazu kommentarlos
eine Karikatur.
- Wie sich Gewalt
bei Geistesgestörten hochschaukelt, zeigte sich im Juli in
Wächtersbach/Hessen und in Frankfurt. In Wächtersbach schoss ein
Rechtsextremist einem Eritreeer in den Bauch, in Frankfurt stieß ein
Eritreer einen achtjährigen Buben vor den einfahrenden Zug. Das
Mitgefühl mit den Opfern war, vorsichtig ausgedrückt, unterschiedlich.
Wenn einem die Sprache wegbleibt, bleibt nur noch die Flucht in die
Literatur. „Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten“, fängt Brecht sein
Gedicht „An die Nachgeborenen“ an. Als helleres (wenn auch befristetes)
Intervall der Schluss des Gedichtes:
„Ihr aber, wenn es soweit sein wird
Dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer mit Nachsicht.“
- „Ärger geworden“ ist das Tun und Treiben auch in einigen Bereichen der
Flüchtlingspolitik.
- So beklagte Max Niedermeier, Integrationsbeauftragter des Lkr.
Miesbach, dass von einem erweiterten Spielraum für Arbeitsgenehmigungen
nicht die Rede sein könne. „Die angekündigte Lockerung war reine
Augenwischerei.“
- Beim Kirchenasyl zeigt sich ein neuer Rigorismus. Während 2015 noch 80
Prozent der Kirchenasylfälle erfolgreich waren, wurden 2019 fast alle
Fälle abgelehnt. Und im Juli hat ein evangelischer Pfarrer aus
Immenstadt/Bayern wegen „Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt“ einen
Strafbefehl über 4000€ erhalten. Zu einem Schweigemarsch in Kempten
traten über 400 Menschen an, darunter viele Pfarrer aller christlichen
Konfessionen.
Das Allgäu steht auf
Gegen den
Strafbefehl hat der Pfarrer Einspruch eingelegt. Die Landeskirche wird
die Kosten übernehmen. Da ist die Kirchensteuer gut angelegt! Im
September wurde dann das Verfahren wegen „geringer Schuld“ (des Pfarrers
nicht des Freistaats!) eingestellt, die Geldbuße auf 3000€ runtergesetzt
– und, von Seiten der Richterin, an der „Strafbarkeit“ der Handlung
festgehalten. Im „finsteren Mittelalter“ wurde das Kirchenasyl noch
respektiert.
- In Bayern bleibt die Asylberatung in Ankerzentren ein Streitpunkt, der
auch bei den Richtern Kopfschütteln verursacht. Amnesty und
Flüchtlingsrat bleiben weiterhin wegen „Sicherheit, Brandschutz und
Ruhebedürfnis der Bewohner“ von einer Beratung auf dem Gelände
ausgesperrt, die Behörden, so das Urteil müsse die Aussperrung aber
ordentlich begründen. Am Ende aber kann sich der Richter die Frage nicht
verkneifen, ob „es wirklich so schlimm wäre, wenn die Rechtsberater
Zugang zur Unterkunft erhielten“.
- Der bayrische Innenminister Herrmann hat ein jordanisches
Flüchtlingslager besucht, kurz nachdem er die Abschiebung von
Straftätern und Gefährdern zurück nach Syrien gefordert hatte. „Ein
Schuft, wer Böses dabei denkt.“ Jetzt schauen wir mal nach, ob in den
Flüchtlingslagern noch freie Plätze sind. Und die Straftäter und
Gefährder könnte man doch schon einmal als „Vorauskommando“ benutzen.
- Die explosivste Rakete aber ist auf Lampedusa/Italien abgefeuert
worden, und sie schreibt sich mit ‚ck’ und heißt mit Vornamen Carola.
Nachdem man ihr mehr als zwei Wochen lang die Einfahrt verweigert hatte,
hat Carola Rackete die Sea Watch 3 mit 42 Afrikanern an Bord, und etwas
„unsanft“ für ein Boot der Finanzpolizei, in den Hafen von Lampedusa
gesteuert. Innenminister Salvini sprach von einem „feindseligen Akt“ und
mobilisierte die Justiz. Man warf ihr „Widerstand gegen ein
„Kriegsschiff“/Flugzeugträger und „Hilfe zur illegalen Einwanderung“
vor. Über den 2. Anklagepunkt ist noch nicht endgültig entschieden, aber
die „deutsche Zecke“ (Salvini) ist wieder in Deutschland.
Giorgia Meloni, Parteichefin einer italienischen Splitterpartei,
forderte, die Schiffe der Flüchtlingsretter zu versenken. Soweit ging
man in Deutschland nicht, aber auf einer Leserbriefseite des Merkur im
Juli war der Tenor einstimmig pro Salvini. Den Vogel schoss eine
pensionierte Lehrerin ab, die die Befürwortung der Seenotrettung und dem
daraus resultierenden Flüchtlingstsunami über Europa (in einem abstrusen
Gedankengang) dem Stillschweigen der deutschen Bevölkerung bei den
Judenmorden gleichsetzte:
„Es kommt der Tag, an dem es wieder heißen wird: ‚und niemand will
davon gewusst haben.“
Wer das fassen kann, der fasse es!
- Mit diesem Bibelspruch sind wir noch einmal beim evangelischen
Kirchentag gelandet. Dort forderte man in einer Resolution, dass die EKD
ein eigenes Schiff ins Mittelmeer schicken solle. Und der katholische
Pfarrer von Laufen/Bayern hat Leuten/Leserbriefschreibern, die den
Auslauf von Booten zur Rettung von Flüchtlingen verbieten wollen,
folgendes zugedacht:
„Zwei Wochen Sonderurlaub in Flüchtlingslagern, zwei Wochen treiben
auf dem Mittelmeer, oder zwei Wochen in einem Land leben, in dem der
Klimawandel heute schon Tausende Opfer fordert.“
Rettungseinsatz 1. Klasse
Die Kurznachrichten
Deutschland
- Beunruhigend nach zwei Seiten hin sind die Juninachrichten zum Thema
Polizei. Da warnte der CDU-Politiker Friedrich Merz vor einem
„Rechtsruck“ bei Polizei (und Bundeswehr), führte das aber nicht auf
eine autoritäre Gesinnung der Uniformträger zurück, sondern sah in der
Zuwendung zur AfD, deren Bundestagsfraktion mehr Polizisten angehören
als jeder anderen Fraktion, einen „Akt der Verzweiflung“, weil sie sich
vom Staat in Stich gelassen fühlten und auf einfache Lösungsansätze
vertrauen. Andererseits werden Polizisten, wie erwähnt, immer öfter
Opfer von Attacken. In Bayern sollen das, nach Aussagen des Vorsitzenden
der Polizeigewerkschaft 31 Fälle pro Tag sein.
- Das sind 31 Fälle zuviel, aber es gibt auch Meldungen, wo die Polizei
nicht gerade zimperlich vorging. So berichtete ein Jugendlicher, der an
der Besetzung des Tagebaus Garzweiler/NRW teilgenommen hatte, dass die
Polizei den Demonstranten verboten hatte, Helme aufzusetzen, obwohl
neben Pfefferspray auch Schlagstöcke zum Einsatz kamen, und dass man die
Mädchen daran hinderte, in einem geschützten Bereich auf Toilette zu
gehen. Und auch die ARD-Doku „Staatsgewalt“ vom Juli relativiert das
Bild vom Polizisten als Alleinunschuldigen: Jedes Jahr sollen die
Staatsanwaltschaften mit 2000 gewaltsamen Übergriffen von Polizeibeamten
befasst sein. Eine unabhängige Ermittlungsstelle wie in anderen
europäischen Ländern gibt es immer noch nicht. Wir werden jedenfalls in
alle Richtungen hin die Augen offenhalten.
- In München hat die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus
(Rias) einen Bericht veröffentlicht, wonach es in nur zwei Monaten
bayernweit zu 39 antisemitischen Vorfällen gekommen ist, darunter eine
Szene vor der Synagoge am Jakobsplatz, wo eine alter Mann seiner Frau
eine „alternative“ Stadtführung hielt:
„Schau mal. Diese Gebäude da vorne wurden für den Judendreck
hingebaut.“
Auf dem Hamburger Rathausmarkt wurden zwei Rabbiner beleidigt und
angespuckt. Der Täter war, man neigt zu sagen ‚Gott sei Dank’, ein
Marokkaner. Schwabing hat in Sachen Spuckattacke dann im August
„nachgezogen“. Einem Münchner Rabbiner und seinen Söhnen hat ein Mann
„Scheiß Juden“ zugerufen, und aus einem Auto heraus soll der Rabbiner
von einer Frau auch bespuckt worden sein. Die hat sich nach einigen
Tagen gemeldet, wohl weil ihr „die Polizei schon dicht auf der Spur
war“. Die SZ hat einen Leitartikel mit „Leben in Angst“ überschrieben
und spricht von „Religionsausübung im Belagerungszustand“. Und das in
einem Land, das sich (aus guten Gründen) „als Antithese zum
Nationalsozialismus konstituiert hat“.
Ausland
- Afrika: Im „sudanesischen Frühling“ eskalierte die Gewalt zwischen
Militär und Demonstranten. Bei der Räumung eines Protestcamps kamen
mindestens 35 Menschen ums Leben, ermordet von den Milizen, die schon
für den Völkermord in Darfur verantwortlich waren. Sie stehen unter dem
Befehl von Mohamed Hamdan Dagalo, Spitzname „Hemeti“, vom arabischen
Wort für „mein Schutz“ abgeleitet. Diesen Schutz hat er jahrelang dem
früheren Diktator al-Baschir geboten, aber dann noch rechtzeitig die
Seiten gewechselt. Jetzt schützt er die Privilegien des Militärs und
sein Privatvermögen, das sich auf 350 Millionen Dollar belaufen soll.
Ein echter Kotzbrocken!
Im Juli haben
dann die Streitkräfte und ein Oppositionsbündnis eine Einigung über die
Bildung einer Übergangsregierung unterschrieben. Hemeti wäre der
passende Finanzminister. Im August übernahm der Wirtschaftsexperte
Abdallah Hamdok das Amt des Premierministers, ein „Himmelfahrtskommando“
nach 30 Jahren Diktatur und der andauernden Präsenz der „alten
Kameraden“. Man kann dem Land nur „Gute Reise“ wünschen.
- Asien: In China jährte sich zum 30. Mal das Massaker am
Tiananmen-Platz in Peking. Wie andere „Großtaten“ der Partei – Große
Chinesische Hungersnot, Kulturrevolution, Niederschlagung des Aufstandes
in Tibet – fällt das Ereignis unter ein strenges Schweigegebot. Die
junge Generation weiß von nichts, obwohl es einiges gäbe, was man wissen
möchte: Wie viele Menschen von den Panzern überrollt und später
erschossen wurden, wie viele im Gefängnis landeten oder das Land
verlassen mussten – und was mit dem „tank man“ geschah, der sich den
Panzern entgegenstellte. Das Schweigen gebrochen hat überraschenderweise
der chinesische Verteidigungsminister auf einer Konferenz in Singapur.
Der Staat habe „korrekt“ gehandelt, um die „politischen Turbulenzen“ zu
stoppen. Behalten Sie bitte diesen Satz im Gedächtnis, denn gleich
werden wir über den „letzten Kampf“ von Hongkong berichten.
Zuvor aber noch eine makabre Querverbindung zwischen dem Massaker und
dessen „Beitrag“ zur deutschen Einheit. Es gibt die These, dass die
Demonstrationen in der DDR im Herbst 1989 (relativ) gewaltfrei über die
Bühne gingen und (mit) zum Mauerfall führten, weil die DDR-Führung
Bilder wie auf dem Tiananmen-Platz vermeiden wollte. Als man in einem
Interview dem damaligen Studentenführer Wang Dan diese These vortrug,
meinte er lakonisch: „Vielleicht hat es (das Massaker) den Deutschen
geholfen, aber nicht China.“
- Anfang Juni fingen in Hongkong Massenproteste gegen ein geplantes
Auslieferungsgesetz an. Nach dem Entwurf sollten „flüchtige Straftäter“
an die Volksrepublik überstellt werden können, es sollte aber auch
„Rechtshilfe in Strafsachen“ gewährt werden – eine Formulierung, die
Peking, so die Angst der Hongkonger, auch den Zugriff auf Dissidenten
ermöglichen würde. Die Proteste eskalierten, die Regierungschefin, eine
notorische „Pekingente“, setzte den Entwurf zwar aus, zog ihn aber nicht
zurück. Inzwischen geht es aber schon um mehr. Man fürchtet um
Einschränkung der Freiheiten, die Hongkong unter dem Schlagwort „ein
Land zwei Systeme“ zugesichert worden waren – zumindest bis zum Jahre
2047. Wenn jetzt noch der Ruf nach Unabhängigkeit laut(er) wird, dann
wird Peking die „politischen Turbulenzen“ in gewohnter Manier stoppen.
- Naher Osten:
Israel führt die Scharia ein. Nein, die heißt im Judentum Halacha – und
die Einführung des traditionellen Religionsrechts aus „den Zeiten König
Davids, angepasst für 2019“ war tatsächlich eine Forderung eines
Abgeordneten der Union rechter Parteien bei den (gescheiterten)
Koalitionsverhandlungen. Ein Kollege von der Arbeiterpartei befürchtete
daraufhin, dass Steinigungen wieder erlaubt werden könnten – Brunei
lässt grüßen – oder nur Männer Eigentum besitzen dürften.
Premierminister Netanjahu beeilte sich zwar, diese Forderung
zurückzuweisen, aber eine Disziplinierung des Obersten Gerichts scheint
auch er im Köcher zu haben, weil es immer wieder Urteile gegen
Diskriminierung von Frauen gefällt hatte. So hatte das Gericht
beispielsweise schon im Jahre 2011 klargestellt, dass Frauen nicht
gezwungen werden dürfen, in Bussen nur die hinteren Plätze einnehmen
dürfen. Rosa Parks, Montgomery/Alabama, 1955, lässt grüßen. Allerdings
verfügte das Gericht auch, dass „auf freiwilliger Basis“ eine
Geschlechtertrennung in öffentlichen Verkehrsmitteln erfolgen dürfe. Als
Frau würde ich mich sowieso nicht zu den Männern mit den breitkrempigen
Hüten setzen wollen.
- Palästinenserinnen aber werden diese Frauen von israelischen
Fundamentalisten auch nicht werden wollen, denn in dieser Volksgruppe
wurden in diesem Jahr schon 19 Frauen Opfer von so genannten
„Ehrenmorden“, ein Tabuthema, das im September in
Ramallah/Westjordanland immerhin 200 Menschen auf die Straße gebracht
hat, der „bisher größte Protest“ gegen häusliche Gewalt in der Stadt.
- Amerika: An der Südgrenze der USA spielte sich eine Tragödie ab, die
an den kleinen Alan Kurdi erinnerte, dessen Leichnam im September 2015
an der türkischen Mittelmeerküste angeschwemmt wurde. Die beiden
Flüchtlinge, die im Grenzfluss Rio Grande ertranken, stammten aus El
Salvador.
Sterbebild: Oscar Alberto Ramirez und Tochter Valeria
Kurz zuvor hatten
US-Anwälte bei einem Besuch in den Auffanglagern von verheerenden
Zuständen gesprochen, deren Leidtragende v.a. die Kinder sind. Die SZ
meint dazu:
„Selbst für eine fähigere Administration wäre der Strom an
Einwanderern schwer zu bewältigen. Aber sie würde es wohl
menschenwürdiger versuchen.“
Im Juli aber hat das Oberste Gericht Präsident Trump erlaubt, 2,5
Milliarden Dollar aus dem Verteidigungshaushalt abzuzweigen. Die möchte
er jetzt dafür verwenden, die hygienischen Verhältnisse in den
Auffanglagern zu verbessern. Er soll diesbezüglich getwittert haben:
„Wir schaffen das!“ (Satire!)
- Europa: In Moskau wurde der Journalist Iwan Golunow wieder
freigelassen, dem man (in bewährter Manier) ein Drogendelikt vorgeworfen
hatte, um ihn wegsperren zu können. Am Tag darauf kam es zu einer (nicht
genehmigten) Solidaritätskundgebung für Golunow, und da rächte sich die
Polizei für die Freilassung, indem sie mit gnadenloser Härte gegen die
Demonstranten vorging und 500 von ihnen festnahm. Der Europarat hat eine
Woche später Russland wieder aufgenommen, u.a. mit dem Argument, dass
das Land bei Verstößen gegen die Menschenrechte wieder vor den
Europäischen Gerichtshof gezerrt werden könne. Der kann sogar ein Urteil
sprechen, das der Kreml (wie geschehen) ignoriert, weil „es gegen die
russische Verfassung“ ist.
AI-Nachrichten
- Pressefreiheit: In Indien sind innerhalb von vier Jahren vier
Journalisten getötet worden. Alle schrieben über dasselbe Thema: Sand
und Korruption.
- Haftbedingungen: Der ägyptische Ex-Präsident Mohammed Mursi brach
während einer Gerichtsverhandlung zusammen und starb kurz danach. Für
seinen Tod wurden seine Haftbedingungen verantwortlich gemacht:
langjährige Einzelhaft, schlechtes Essen, mangelnde medizinische
Versorgung. Anhänger Mursis sprachen von „vorsätzlichem Mord“. Mursi war
demokratisch gewählt, aber kein „lupenreiner Demokrat“, sein Nachfolger
al-Sisi ist weder das eine noch das andere, sein Regime repressiver denn
je. Dabei gehörte Ägypten zu den Erstunterzeichnern der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte.
- Todesstrafe: Die Einhaltung eben dieser Menschenrechte hatte 2011 der
zehnjährige Murtaja Qureiris in Saudi-Arabien gefordert. Als er dreizehn
war, kam er dafür in Haft, als er jetzt achtzehn wurde, sollte er
hingerichtet werden. Internationaler Druck bewirkte, dass das
Todesurteil in eine zwölfjährige Haftstrafe umgewandelt wurde. Er soll
spätestens 2022 frei kommen.
Murtaja Qureiris – zur Tatzeit
- Frei herum
läuft und von allen Seiten hofiert wird Kronprinz Mohammed bin Salman,
der (mutmaßliche) Auftraggeber des Mordes am Journalisten Khashoggi.
„Mutmaßlich“ bräuchte man fast nicht mehr in Klammern zu schreiben, denn
ein UN-Bericht kam zum Ergebnis, dass Khashoggi mit Wissen von MbS
getötet wurde. Aber wie gesagt: Er läuft frei herum und wird von allen
Seiten hofiert.
- Zwangsehen: Kurz vor Beginn der Sommerferien hat das deutsche
Familienministerium junge Mädchen aus der Türkei, Arabien, Kurdistan und
vom Balkan gewarnt „in den Flieger zu steigen“, weil sie Gefahr liefen,
im Feriendomizil von ihren Eltern oder Verwandten zwangsverheiratet zu
werden. Sie sollten also lieber auf Ministerpräsident Söder hören und
„Urlaub in Bayern machen“.
- Politische Gefangene: Vor der iranischen Botschaft in London kampiert
derzeit der Brite Richard Ratcliffe, dessen Frau seit drei Jahren im
Evin-Gefängnis in Teheran einsitzt. Sie war bei einem privaten Besuch im
Iran verhaftet worden und nach einer Verhandlung, die fünfzehn Minuten
dauerte, zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Man warf ihr, die in
einer Stiftung Wohltätigkeitsprojekte betreut hatte, „staatsgefährdende
Aktivitäten“ vor. Es ist aber eher davon auszugehen, dass sie vom Iran
als Faustpfand benutzt wird, um im Gemenge aus Atomdeal, Sanktionen,
Schifffahrt im Golf von Oman, Druck auf Großbritannien ausüben zu
können.
Erfolgsmeldungen
- Ein Gericht in Botswana hat das Verbot gleichgeschlechtlicher
sexueller Handlungen als verfassungswidrig eingestuft. Das ist ein
Signal für den ganzen Kontinent, auf dem noch in vielen Ländern
Homosexuelle verprügelt, inhaftiert, gelyncht oder hingerichtet werden.
- Nach zähem Ringen haben sich die Koalitionspartner auf Ausfuhrverbote
für Kleinwaffen verständigt. In Drittländer außerhalb von Nato und EU
darf nicht mehr geliefert werden. Das Verbot ist überfällig, denn das
sind die Waffen, die in Bürger- und Bandenkriegen (Jemen, Mexiko) die
meisten Opfer fordern. Die Union soll nur durch Einsatz eines leichten
Mörsers, die fallen auch unter das Ausfuhrverbot, zum Einlenken gebracht
worden sein, die SPD hat endlich wieder einmal Grund gehabt „Wir sind
auch noch da!“ zu rufen. Die Waffenlobby grübelt, wie sie das Verbot
umgehen kann. Wir hätten da einen Vorschlag, der zwei Fliegen mit einer
Klappe schlägt. „Macht Panzer zu Rasenmähern!“
- In Mittenwald
ist es zu einer denkwürdigen Kooperation gekommen. Bei der alljährlichen
Gedenkfeier für die toten Gebirgsjäger der beiden Weltkriege nahmen zum
ersten Mal Vertreter des Arbeitskreises „Angreifbare Traditionspflege“
teil und legten einen Kranz für die Menschen nieder, die den
Gebirgsjägern der Wehrmacht in vielen Ländern Europas zum Opfer gefallen
sind. Ob man auch eine Gedenkminute für die aufgehängten Deserteure
eingelegt hat, wissen wir nicht. Ein Denkmal hätten sie allemal
verdient.
Bild des Monats
Aus zwei mach drei
Finden Sie nicht,
dass zwischen den beiden noch Raum für einen Dritten wäre? Und dass,
wenn man die drei zusammen sieht, schon die Frage aufkommt, ob es nur
die Abgase, die Landwirtschaft und unser Konsumverhalten sind, die die
Temperaturen auf der Erde in die Höhe treiben?
„Wer fliegen
will,
muss den Mist ablegen,
der ihn hinabzieht.“
schrieb die im August verstorbene afroamerikanische Schriftstellerin
Toni Morrison, und auch wir wollen/müssen den Juli mit einigen übel
riechenden Bruchstücken der Vormonate beginnen, bevor wir uns zum
sommerlichen Höhenflug aufschwingen können – oder auch nicht. Sollte ich
mich wiederholen und Sie es merken, überlesen Sie es einfach, damit Sie
sich nicht den Geruchssinn verderben.
- In Hongkong läuft alles auf einen Showdown zu. Zum 22. Jahrestag der
Rückgabe der Kronkolonie an China stürmten Demonstranten das Parlament
und hissten dort die britische Flagge. Die Bilder vom Sturm wurden
ausführlich in den chinesischen Staatsmedien gezeigt. Obwohl die
Regierungschefin beteuerte, das Auslieferungsgesetz sei „gestorben“,
gingen die Proteste weiter. Dann kam es zu einer „Attacke im
Untergrund“: In einer U-Bahn Station prügelten maskierte Schlägertrupps
auf Demonstranten und Pendler ein. Man vermutet, dass es sich um
Mitglieder chinesischer Banden handelte, die im Auftrag Pekings und der
Hongkonger Polizei tätig wurden. Die Schläger blieben unbehelligt, weil
die Polizei auf Notrufe nicht reagierte. Mehr Energie (und Medienrummel)
entfaltete sie, als sie im Vorfeld eines Demonstrationswochendes ein
Waffenlager entdeckte, das (passenderweise) im Lagerraum einer
Unabhängigkeitsgruppe versteckt/platziert war. Und Anfang August kam es,
wie es kommen musste: Nach einem Generalstreik warnte Peking vor einem
„Spiel mit dem Feuer“, und man kann darauf warten, bis der Drache über
Hongkong niederstößt.
Drache über Hongkong
- Auch in Bayern
nahm die Gewalt gegen Polizeibeamte im Jahre 2018 im Vergleich zum
Vorjahr um knapp fünf Prozent zu. Alkohol- und Drogeneinfluss spielten
eine große Rolle. Ausländer waren mit 29 Prozent der Tatverdächtigen
deutlich überrepräsentiert, Flüchtlinge und Asylbewerber kamen auch noch
auf 12,3 Prozent. Bei letzteren, man muss es immer wieder betonen,
spielen die Perspektivlosigkeit und der hohe Anteil an jungen Männern
eine wichtige Rolle. Und so nebenbei, ein Kompliment an die Frauen: die
Attacken gegen Polizei und andere Rettungskräfte sind ein „typisches
Männerphänomen“.
Und weil wir ja „in beide Richtungen“ schauen: Gegen einen Münchner
Polizeibeamten ist Strafbefehl wegen Volksverhetzung ergangen. Auf
seinem Handy hatte man ein Video gefunden, das das Kind von orthodoxen
Juden zeigte und das vom Dauerklingelton einer Supermarktskasse
untermalt war und damit das Nazi-Cliché vom geldgierigen Juden bediente.
Die Chatgruppe des Beamten, Sie erinnern sich, flog bei einem
Lokalbesuch am Spitzingsee auf. Der Beamte soll 3500 € zahlen – aber
verprügelt wird er dafür nicht.
- Zu den Gewalttaten von Wächtersbach und Frankfurt gab es einen klugen
Kommentar in der SZ. Die Autorin warnte vor reflexartigen Reaktionen und
Verhärtung von Feindbildern, bei rechten und linken „Biotopen“. Für die
Rechten ist ein Verbrechen wie das in Frankfurt eine zwangsläufige Folge
der Einwanderung, für die Linken ist das Entsetzen über eine solche Tat
(schnell) ein Zeichen von Rassismus.
- Im Gegensatz zu Horst Seehofer sind die Ankerzentren für den Stadtrat
in München kein „Erfolgsmodell“. Am liebsten würde man die beiden
Einrichtungen in München abschaffen, aber dafür ist die Regierung von
Oberbayern zuständig. Wie würde die wohl reagieren, wenn die Stadt,
alternative Unterbringungsmöglichkeiten anbieten könnte – was sie nicht
kann? Im Landkreis Miesbach spricht man bereits von der
Wiederaufstellung von Containern, kaum dass man die alten Wohnbehälter
abgebaut hat.
Meerjungfrauen küsst man nicht
- Schlagzeilen
machte im Juli ein Duell, das in seiner Härte an ein Fußballspiel der
Championsliga, etwa zwischen Juventus Turin und Bayern München,
erinnerte: der Machtkampf zwischen der „Meerjungfrau“ Carola Rackete und
dem Politrüpel Matteo Salvini.
In der Nacht zum 29. Juni fuhr die Sea-Watch 3 mit 40 Flüchtlingen an
Bord in den Hafen von Lampedusa ein. Ein Boot der italienischen Zoll-
und Steuerpolizei wurde bei der Einfahrt an die Mole gedrückt. Salvini
sprach von einem „Kriegsakt“, Rackete von einem „Fahrfehler“, den sie
bedauere. Wie sonst aber wäre sie in den Hafen reingekommen? Rackete
wurde zunächst festgenommen und unter Hausarrest gestellt. Ein
Ermittlungsrichter hob den Hausarrest nach drei Tagen wieder auf.
Nach einem weiteren Verhör Mitte des Monats, wo es um Beihilfe zur
illegalen Einreise und Widerstand gegen ein Kriegsschiff (!) ging,
konnte Rackete ausreisen – vermutlich nach Deutschland. Salvini nannte
sie eine „deutsche Zecke“ und sagte, er könne es gar nicht erwarten,
„diese verwöhnte deutsche Kommunistin auszuweisen und sie nach Hause zu
schicken“. Zuvor hatte Rackete den Spieß umgedreht und Salvini wegen
„Verleumdung und Anstiftung zu einem Verbrechen“ verklagt. Im August hat
er aus lauter Angst vor einer Verurteilung eine Regierungskrise
angezettelt. Ich weiß, war schon da, aber das Bild ist zu schön.
- In Deutschland hat der Streit um die Seenotrettung seltsame Blüten
getrieben. Innenminister Seehofer forderte (nach einigen Tagen
Bedenkzeit) sichere Häfen sowohl in Italien und Malta, als auch „in
außereuropäischen Ländern“ und „eine praktikable Lösung“ für eine
Verteilung der Mittelmeerflüchtlinge in Europa. Einigen (konservativen)
CSU-Abgeordneten ging diese (plötzliche) Milde Seehofers zu weit. Sie
sprachen von „Kirchentagsromantik“ und forderten ihren
Fraktionsvorsitzenden Dobrindt auf, gegen Seehofers Sanftmut aktiv zu
werden. Auch im Lande außerhalb der CSU waren die Meinungen geteilt. Die
„Law and Order“- Fraktion sympathisierte mit dem Duce Salvini und sprach
von einem Verstoß gegen das Gesetz, die „Gutmenschen“ (bei uns und in
Italien!) spendeten innerhalb weniger Tage über 1,4 Millionen € für
Rackete und Sea-Watch.
- Der Konflikt um die Seenotrettung im Mittelmeer hat eine schmerzliche
Lücke im Völkerrecht offengelegt. Ein Kapitän ist zwar verpflichtet,
Hilfe bei Seenot zu leisten und die Geretteten an einen sicheren Ort zu
bringen, aber die Küstenstaaten haben nicht die Pflicht, ihre Häfen zu
öffnen. Was dann bleibt: eine Odyssee in der Warteschleife, bis sich ein
Staat bereit erklärt, die Geretteten aufzunehmen. Es sei denn, ein
Kapitän erzwingt sich die Einfahrt wegen eines Notstandes an Bord. Wir
sind der Meinung, dass Rackete nach einer Irrfahrt von 17 Tagen dieses
Recht hatte. Oder wir betrachten das Problem mit den Augen einer
unbedarften Touristin.
Die
Kurznachrichten – nur bedingt flugtauglich
- Den Unabhängigkeitstag in den USA hat Trump in diesem Jahr auf seine
Art inszeniert. Statt unpolitisch mit Grillfesten und Feuerwerken wurde
diesmal auf Patriotismus gemacht und alles an Militärgerät in die Luft
gelassen, was fliegen kann – mit Ausnahme von Zeppelins und Luftballons.
Hier ein Foto des begeisterten Ehepaares:
- Die dritte
Variante von Chinas „Neuen Seidenstraßen“ führt nach New York. Bei der
UN baut das Land systematisch seinen Einfluss aus. Eines der Hauptziele
ist es, das Prinzip der absoluten Souveränität von Staaten
durchzusetzen. Diese soll auch über der Achtung der Menschenrechte
stehen, was bedeutet, dass man sich nicht mehr in die Karten schauen
lassen muss, wie das Land mit Uiguren, Tibetern und Dissidenten
umspringt und seine Bevölkerung zensiert und überwacht. Ein Pfarrer im
Wallfahrtsort Birkenstein hat in den 1950er Jahren vor der „gelben
Gefahr“ gewarnt. Wir Jugendliche haben damals gelacht, das würden wir
heute nicht mehr tun.
- Offen ist nach wie vor, in wieweit die Frauen im Sudan in den
politischen Prozess der nächsten Jahre einbezogen werden. In der SZ
heißt es:
„Die Frauen sind optimistisch, was ihre neue Rolle angeht, auch wenn
der Blick in die Vergangenheit nichts Gutes verheißt.“
Nicht nur der Blick in die Vergangenheit: Beim Aufmarsch der
Paramilitärs im Juni wurden mindestens 70 Frauen vergewaltigt. Das
Militär weiß, wo der Feind steht.
- Der Islam, so eine Studie, stößt in Deutschland auf breite Vorbehalte:
Jeder zweite Deutsche nimmt ihn als Bedrohung wahr. Von den Verfassern
wurde der Bericht etwas geschönt, indem man betonte, dass man
„Vorbehalte“ nicht mit „Islamfeindlichkeit“ gleichsetzen kann.
Islamfeinde sind nur (?) 13 Prozent. Ein eher schwacher Trost!
AI-Nachrichten
- In Moskau geht man hart gegen Demonstranten vor, die gegen die
Manipulation der Wahlen zum Moskauer Stadtparlament protestieren. Einige
der bekanntesten Oppositionspolitiker dürfen nicht antreten – aber
natürlich nur aus rein formalen Gründen. Man hat so viele Leute
verhaftet, dass man sich bereits fragt, ob sie im Gefängnis auf den
Gängen schlafen müssen. Es gibt aber Anzeichen, dass man auch zu
schärferen Mitteln greift. Der Kremlkritiker Alexander Nawalny ist vom
Gefängnis in ein Krankenhaus verlegt worden, weil eine „akute
allergische Reaktion“ zu behandeln war. Nawalnys Ärztin und Anwältin
deuteten die Möglichkeit einer Vergiftung an, und darauf ist ja, wie man
weiß, der russische Geheimdienst spezialisiert. Bei einer anderen
Aktivistin hat man die Sache gleich richtig durchgezogen: In St.
Petersburg wurde Jelena Grigorjewa erstochen. Sie hatte sich für die
Rechte von LGBT-Leuten eingesetzt, die in Russland einen schweren Stand
haben, nicht zuletzt wegen Putins Gesetz gegen „homosexuelle
Propaganda“, wonach sich schon strafbar macht, wer in Gegenwart von
Minderjährigen positiv über Schwule spricht.
Jelena Grigorjewa
- Im Kampf um
eine Welt ohne Todesstrafe sind Rückschläge zu verzeichnen. In den USA
will die Trump-Regierung wieder die Todesstrafe auf Bundesebene
einführen, die in Frieden zu ruhen schien, weil sie seit 16 Jahren nicht
mehr vollstreckt wurde. In Sri Lanka ist man 43 Jahre ohne Todesstrafe
ausgekommen. Jetzt führt man sie wieder ein, aber die ersten Kandidaten
sind keine Terroristen sondern Drogenschmuggler. Was der Filipino
Duterte im Drogenkrieg gewissermaßen „unter der Hand“ erledigen lässt,
soll in Sri Lanka legal vollstreckt werden. Das Oberste Gericht hat die
Pläne aber vorerst blockiert. Und in Bahrain wurden drei Männer wegen
Mordes und Terrorismus hingerichtet. Die Geständnisse der beiden
„Terroristen“ sollen unter Folter entstanden sein, ihre Religion
(Schiiten) hat es dem König (Sunnit) eher leichter gemacht, eine
Begnadigung abzulehnen.
- Am Ende ein deprimierende UN-Bericht: 87 000 Frauen wurden 2017 Opfer
tödlicher Gewalt. Der Täter war meistens der Partner oder jemand aus der
Familie. Und die meisten Fälle sind in Asien verzeichnet, wo auch noch
73 Prozent der Männer sagen, sie hätten „ein Recht auf Sex, wenn ihnen
danach ist“.
Erfolgsmeldungen
Nehmen wir die letzte Meldung, um den versprochenen (wenn auch sehr
bescheidenen) Höhenflug anzutreten.
- Eine „MeToo“-Studie in den USA hat ergeben, dass zwar immer noch 87
Prozent der befragten Frauen zwischen 2016 und 2018 am Arbeitsplatz
mindestens einmal sexuell belästigt worden sind, dass über die
schwereren Übergriffe wie Begrapschen oder sexuelle Nötigung
zurückgegangen seien. Außerdem sind die Frauen heute eher bereit, solche
Vorfälle „anzusprechen“ (und hoffentlich nicht nur das!) und nicht mehr
zu schweigen oder gar die Schuld bei sich selbst zu suchen.
Manchmal ist Distanz ganz gut
- In Italien sind
24 Täter, die in verschiedenen südamerikanischen Diktaturen des letzten
Drittels des 20. Jahrhunderts am „plan cóndor“ beteiligt waren und noch
am Leben sind, zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der „Plan“ sah
vor, politische Gegner, die in Nachbarländer geflohen waren, durch die
jeweiligen Geheimdienste verfolgen und töten zu lassen. Da einige der
Opfer auch die italienische Staatsbürgerschaft hatten, konnten Gerichte
auch in Italien ermitteln. Man muss wohl nicht hinzufügen, dass alle
Angeklagten in Abwesenheit verurteilt worden – mit einer Ausnahme. Ein
früherer Geheimdienstler aus Uruguay war ausgerechnet nach Italien
geflohen – weil es dort das Delikt Folter nicht gab.
- Die Zahl der Asylbewerber nimmt weiter ab, die Belegschaft der
Helferkreise übrigens auch. Im 1. Halbjahr 2019 wurden 85 000 Anträge
gestellt, neun Prozent weniger als im Vorjahr. 33 Prozent der
Antragsteller erhielten einen Schutzstatus, 31 Prozent wurden abgelehnt,
„das verbleibende Drittel erledigte sich auf anderem Weg“. Erwähnenswert
ist das Interview, das der Merkur, der sich in der Chefredaktion und auf
den Leserbriefseiten nicht gerade durch
Xenophilie/Flüchtlingsfreundlichkeit auszeichnet, mit dem Bürgermeister
von Hebertshausen/Lkr. Dachau gemacht hat. Der CSU-Mann hatte 2018 in
einem offenen Brief auf Facebook die scharfe Rhetorik seiner Partei
kritisiert und dafür „90 Prozent Zuspruch“ erhalten. Gefreut hat ihn,
dass inzwischen auch Parteifreunde wie Söder und Seehofer rhetorisch
abgerüstet haben.
Kuriosa
- Schließen möchten wir mit einer der bekannteren Tieffliegerinnen des
deutschen Adels, Gloria von Thurn und Taxis. Sie glänzte vor einem
halben Jahr mit folgender Aussage zum Grundgesetz:
„Natürlich gibt es die Meinungsfreiheit. Aber wir dürfen nicht sagen,
was wir denken.“
Ein Satz, den eine Frau von sich gibt, die viel zu oft sagt, was sie
denkt, beispielsweise über Abtreibung als „Massenmord“, über Migration
als „eine Art Krieg“ und über „Kindererziehung“ bei den Regensburger
Domspatzen. Gleichwohl wurde sie vom bayrischen Kultusminister Bernd
Sibler bei der Eröffnung des Hauses der bayrischen Geschichte, wo in
einem Ausstellungsstück auch von der Abschaffung des Adels die Rede ist,
„komplett ironiefrei“ mit „Ihre Durchlaucht“ begrüßt. „Vive la
République/Es lebe die Republik“ würde da der Franzose rufen.
Weniger durchlauchtbesessen war da schon die Band Revolverheld, deren
Sänger bei einem Konzert im Innenhof des fürstlichen Schlosses (!)
sagte:
„Wir spielen hier auf dem Grund einer Frau, mit deren Werten wir
überhaupt nicht übereinstimmen.“
Es gab viel Applaus im Publikum und eine Fürstin, die gute Miene zum
bösen Spiel machte und es begrüßte, dass man „heute noch seine Meinung
sagen dürfe“. Nichtsdestotrotz ließ sie die Band foltern und in den
fürstlichen Verließen einmauern. (Vorsicht Satire!)
„Es gibt
Augenblicke, in denen man nicht nur sehen,
sondern auch ein Auge zudrücken muss.“
Hätte den Vorteil, dass man den August ungestraft davonkommen lassen
könnte, aber ob man ihn dann wirklich gesehen hätte, ist mehr als
fraglich. Wir schauen hin und sehen:
- China in Aktion – wer denn sonst?
Ende August wollten die Mitglieder des Bundestagsausschusses „Digitale
Agenda“ ihren Urlaub opfern und auf einer Reise nach China Themen wie
künstliche Intelligenz und Gesichtserkennung besprechen. Im Vorfeld
legte China eine Probe ab, wie weit man es bei der Gesichtserkennung
schon gebracht hat: die grüne Abgeordnete Margarete Bause, die, obwohl
aus Niederbayern stammend, sich auch noch für die unterdrückten Uiguren
in der Provinz Xinjiang einsetzt, sollte zuhause bleiben. Getreu dem
Wahlspruch der Drei Musketiere „Eine für alle, alle für eine“ sagte der
Ausschusssprecher dann die Reise ab.
Im Herbst (und das schon seit Jahren) möchte der Menschenrechtsausschuss
nach Xinjiang und Tibet reisen. Mit von der Partie: Margarete Bause.
„Schönen Aufenthalt zuhause“, wird man da nur sagen können. Aufs
Besuchsprogramm, wenn es dazu kommt, könnte der Ausschuss gleich noch
Hongkong mit aufnehmen. Da wuchs im August die Sorge, dass Peking zur
Beendigung der Demonstrationen Soldaten entsenden könnte. Mitte
September war der chinesische Drache noch nicht auf die Stadt
heruntergestoßen, allerdings hat Peking den Ton deutlich verschärft. Die
Protestbewegung sei etwas, das an „Terrorismus“ herankomme. Und wie man
mit Terroristen umgeht, hat man vor 30 Jahren auf dem „Platz des
Himmlischen Friedens“ eingeübt.
Im Vorfeld werden die Demonstranten weiterhin von der örtlichen Polizei
schikaniert, u.a. mit Wasserwerfern auf einem Fahrgestell aus dem Hause
Daimler. Ehrlich gesagt, so haben wir uns die Devise „Wandel durch
Handel“ nicht vorgestellt.
Wir kneifen kein Auge zu.
- Im Netz kann man, berichtet der Merkur, auf der Seite „Judas.watch“
angebliche „Verräter“ suchen. Dazu gehören Prominente, die sich gegen
Weiße/Arier aussprechen, Flüchtlinge in Schutz nehmen oder vom
„jüdischen Einfluss“ gesteuert werden. Juden unter ihnen kennzeichnet
die Seite mit einem Davidsstern. Neben Charlotte Knobloch, Carola
Rackete und Kardinal Marx erscheint eine (Über)Große Koalition, die von
CDU, CSU, SPD, Grüne bis zur FDP reicht. Die AfD ist zu unser aller
Überraschung nicht vertreten. Die Polizei geht nicht von einer „akuten
Gefährdungslage“ aus, dabei tauchte schon im Juni eine Todesliste der
Gruppe „Nordkreuz“ auf, in der sich 30 Prepper darauf vorbereiten,
Politiker, die sich für eine liberale Flüchtlingspolitik einsetzen, zu
liquidieren. Wir kneifen kein Auge zu.
- Die SZ-Journalistin Annette Rammelsberger, die jahrelang den
NSU-Prozess begleitet hat, muss noch eine Stinkwut im Bauch haben, wenn
man ihren Bericht über den Brandanschlag auf eine syrische Familie in
Magdeburg liest; der schon im Februar stattgefunden hat. Da ist von
einem Muster die Rede, das von den Ermittlungen gegen den NSU her
bekannt ist. Anstatt die rechtsextreme Szene mit einzubeziehen, ging die
Polizei zunächst von einem Beziehungsdelikt aus, nahm Zeugenaussagen
über vermummte Männer nicht ernst, untersuchte, ob der Arbeitgeber des
Syrers nicht gegen die Hygienevorschriften verstoße und schloss (mit dem
Staatsanwalt) einen rechtsextremen Hintergrund aus, weil der Täter kein
Hakenkreuz hingeschmiert hatte. Der Anwalt der Familie sagte:
„Wenn Ermittlungen so einseitig geführt werden, braucht kein rechter
Attentäter in diesem Land noch Konsequenzen fürchten.“
Erst wenn die Polizei den wahren Täter gefunden hat, kneifen wir
(vielleicht) ein halbes Auge zu.
- AI tauchte im August als Störfaktor der Innenstädte auf. Ausgangspunkt
waren die Maßnahmen, die man gegen die (angeblich) wachsende Anzahl von
Bettlern ergreift. Das geht soweit, dass in Nürnberg von der Polizei
Münzen aus den Pappbechern konfisziert werden „als Sicherheitsleistung
im Vorgriff auf die zu erwartende Geldbuße von 50€“. Geht’s noch? Dabei
gibt es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1970, dass das
stille Handaufhalten nicht kriminalisiert werden darf. Die Stadt München
hebelte das Urteil mit einem Trick aus, indem man Bettler zu
Gewerbetreibenden machte, die für ihr Gewerbe natürlich eine Genehmigung
brauchten – und die wurde anstandslos gewährt (Vorsicht Satire!) Die
Bettlerei ist aber nicht das einzige, das Städter für einen kurzen
Moment aufhält, verärgert oder betroffen macht. Und schon ist der
Reporter bei den „kommerziell gedungenen Spendensammlern von Amnesty
International, World Vision und Save the Children“ angelangt. Also
Vorsicht: Nicht mit der Büchse scheppern!
Was tun? Die Behörden sollten großzügig sein, außer sie schnappen einen
von den wirklichen Kriminellen, die abends die Bettler abkassieren. Und
als Einzelner? Ich gebe (meistens) etwas her, weil ich glaube, dass sich
keiner von ihnen dieses „Gewerbe“ gewünscht hat – und weil mir dann der
Kaffee besser schmeckt. Und etwas Störung (von Bettlern oder
Spendensammlern) kann unsere Wohlstandsgesellschaft schon vertragen!
Da kneifen wir ein Auge zu.
Kein Kommentar
- Das
Bundeskriminalamt hat wieder eine Analyse zur Kriminalität von Migranten
erstellt. Sie sind, da wird kein Auge zugekniffen, in der
Kriminalstatistik deutlich überrepräsentiert, v.a. bei Gewaltdelikten,
Diebstahl und Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Jede
dieser Straftaten ist eine zuviel, aber da sie bei AfD und BILD
konsequent mit Schlagzeilen in Doppelgröße vermeldet werden und gerne
noch zahlenmäßig „aufgefaked“ werden, führen wir mit gleicher Sturheit
(aber ohne Erbarmen für die Täter) die Gründe an, die Migranten zu
Kriminellen machen: der hohe Anteil von jungen Männern, der Mangel an
Perspektiven, die Enge der Sammelunterkünfte, eigene Erfahrungen als
Opfer von Gewalt, die Machokultur der Nordafrikaner. Und dann sollte man
auch nach der Schwere der Straftat fragen: den stärksten Anstieg im 1.
Quartal 2019 gab es bei den Vermögens- und Fälschungsdelikten, aber da
handelte sich zu 51 Prozent um Schwarzfahren. Das würde nur die AfD,
aber nicht einmal das Zugpersonal als Schwerstkriminalität ansehen. Der
Generalsekretär der bayrischen SPD Uli Grötsch ist Zielscheibe von
Rechtsextremisten geworden. Im Juli erhielt er einen Brief mit einer
Morddrohung, der vom „Nationalen Widerstand Niederbayern“ unterzeichnet
war. Höchste Zeit, dass das BKA auch einmal die Kriminalität der
Niederbayern untersucht!
- Während man bei der Verurteilung von Straftätern mit
Migrationshintergrund selten unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft
bleibt, kommen andere Straftäter glimpflicher davon. So wurde der
europäischen Grenzschutzagentur Frontex vorgeworfen, bei der Anwendung
von exzessiver Gewalt, beispielsweise an der serbisch-unga-rischen
Grenze, die Augen zu verschließen bzw. Beschwerden gegen die örtliche
Polizei nicht mit dem nötigen Nachdruck zu verfolgen. Hier ein
Archivbild aus dem Jahre 2015. Heute werden auch Hunde auf die
Flüchtlinge gehetzt.
Grenzkontrolle
Im Gegensatz zu
Frontex kneifen wir kein Auge zu.
- In den USA wurden bei Amokläufen in Dayton/Ohio und El Paso/Texas
wurden innerhalb von 24 Stunden 29 Menschen erschossen. Präsident Trump
hatte im ersten Schock Unterstützung für zwei Maßnahmen signalisiert,
die in Einzelfällen Amokläufer daran hindern könnten, sich zu bewaffnen
oder mit ihren Waffen rumzschießen: die Background Checks (Überprüfung
der Waffenkäufer durch die Polizei) und die Red-Flag Gesetze
(Beschlagnahmung von Waffen bei Gefährdern). Kaum aber war der erste
Schock vorüber, dachte Trump an seine Kernwähler von der Waffenlobby und
klang „inzwischen sehr viel weniger entschlossen“.
Selbst die Friedenstauben haben noch scharfe Zähne
- In Moskau gab
es mehrere Demonstrationen, weil bei den Regionalwahlen im September die
Putinfreunde unter sich bleiben wollten und viele Oppositionskandidaten
von den Wahlen ausschlossen. Jetzt „gingen die Moskauer spazieren“ –so
sagen sie, wenn sie eine genehmigte Demo etwas ausdehnen bzw. an einen
attraktiveren Ort verlegen wollen. Die Demonstranten, an einem Tag kamen
an die 50 000 zusammen, trugen Sommerkleidung, die Bereitschaftspolizei
erschien in Tarnanzügen und Kampfstiefeln, prügelte auf die
Demonstranten ein und nahmen hunderte von ihnen fest, manchmal ziemlich
wahllos, wie sich am Beispiel des Schauspielers Pawel Ustinow zeigte. Er
wurde am Rande einer Demo stehend festgenommen, des Angriffs auf einen
Polizisten bezichtigt, zunächst zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt,
die später zu einem Jahr auf Bewährung reduziert wurden. Ein Video, das
zeigt. dass die „Initiative zum Zuschlagen“ vom Polizisten ausging,
wurde vom Richter der ersten Instanz gar nicht erst angeschaut, der
Polizist, der falsch ausgesagt hatte, wurde befördert.
- Unter dem (abgeänderten Schlager)Titel „Kein bisschen Frieden“
beschreibt der Merkur die Lage in der syrischen Provinz Idlib:
„Fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit tobt im syrischen Idlib
ein Abnutzungskrieg. Seit Ende April bombardieren die Truppen von
Assad und ihre russischen Verbündeten systematisch Kliniken, Schulen
und Märkte.“
Dem Westen fällt das tatenlose Zuschauen etwas leichter, weil die
„Rebellen“ in Idlib in ihrer Mehrheit Islamisten sind. Der Syrer Tim
Alsiofi zeigt das Leben der Zivilisten im Bürgerkrieg.
Recycling von Blindgängern
Man kann nur
hoffen, dass auch Assad eines Tages seine Richter finden wird, wie der
langjährige sudanesische Diktator Omar al-Baschir, dessen Prozess jetzt
in Khartum begonnen hat.
Dann kneifen wir kein Auge zu.
AI-Nachrichten
- Evelyn Hernández aus El Salvador hatte im Jahre 2016 eine Todgeburt,
die vermutlich auf eine Abtreibung zurückzuführen war. Im Jahre 2017, El
Salvador hat eines der strengsten Gesetze gegen Schwangerschaftsabbrüche
in Südamerika, wurde sie wegen Mordes zu 30 Jahren Haft verurteilt. Nach
33 Monaten Haft wurde das Urteil annulliert und Frau Hernández im August
aus Mangel an Beweisen vom Mordvorwurf freigesprochen. Aber es ist noch
nicht ausgestanden, denn im September legte der Generalstaatsanwalt
Berufung gegen den Freispruch ein. AI-Mitglieder sind sich relativ
einig, was die Kriminalisierung von Frauen und den drakonischen Strafen
bei Abtreibungen anbelangt, aber wenn die Organisation einmal ein
uneingeschränktes „Recht auf Abtreibung“ einfordern würde, würde es Zoff
geben – und das nicht nur im Landkreis Miesbach.
- Zum Thema Todesstrafe sagen die einen „Hü!“ und die anderen „Hott“,
wenn Sie mir eine Redensart erlauben, die dem Zeitalter des Pferdes
entnommen ist. Japan hat zwei Frauenmörder hingerichtet und bleibt damit
eines der wenigen Industrieländer, die an der Todesstrafe festhalten.
Für die Überlebenschancen der Regierung von Ministerpräsident Abe ist
das förderlich, denn eine Mehrheit der Bevölkerung scheint die
Todesstrafe zu befürworten. Aus Sri Lanka hingegen gibt es
widersprüchliche Nachrichten. Da war schon 2018 die Rede von der Suche
nach zwei Henkern, und man hörte man immer wieder, dass der damalige
Präsident die Todesstrafe wieder vollstrecken möchte, gerade auch für
Drogenhändler. Dann kam ein neuer Präsident mit einem (für uns)
unaussprechlichen Namen: Ranil Wickremesinghe. Der scheint die geplante
Hinrichtung von vier Drogenhändlern (und die Todesstrafe überhaupt)
stoppen zu wollen. Wenn es ihm gelingt, lernen wir seinen Namen
auswendig.
- Passend zur Verleihung eines AI-Menschenrechtspreises an Greta
Thunberg und der Aufnahme von Umweltsünden und deren Verursacher in
unser Mandat, ein SZ-Artikel unter dem Titel „Schutzlos“, der an eine
ganze Reihe von Menschen erinnert, die sich der Umweltzerstörung und der
Auslöschung indigener Völker entgegenstellten – und dafür oft mit dem
Leben bezahlten. Den ganzseitigen Artikel könnte man in dem einen Satz
zusammenfassen:
„Wer sich in Lateinamerika Wirtschaftsinteressen entgegenstellt, lebt
gefährlich.“
Und im Vorgriff auf das Klimapaket der Bundesregierung und die
UN-Klimakonferenz im September, eine Karikatur von Hürlimann.
Das Hirn
(der Wissenschaft) wäre vorhanden, aber bei der der Geschwindigkeit (der
Politik) hapert es ein wenig.
Wir können uns
nicht mehr leisten, ein Auge zuzudrücken. „Klimahysterie“ ist zurecht
Unwort des Jahres!
- Zum Abschluss der „Traueranzeigen“ ein Foto aus Kabul/Afghanistan. Da
wurden bei einer Hochzeitsfeier mindestens 63 Festgäste samt Musikern
getötet, mutmaßlich nicht durch einen Selbstmordattentäter der Taliban
sondern von einem des IS. Die beiden Terrorgruppen gehen leider nicht
aufeinander, sondern auf Zivilisten und Regierungsbeschäftigte los. Wenn
die „Gotteskrieger“ wieder an die Macht kommen, dann gnade Gott dem
Lande.
Hochzeitsrelikte in Afghanistan
Wenige Tage
später hat die Armee eine Hochzeitsfeier „gestört“. Es gab 35 Tote. Da
haben anscheinend Taliban geheiratet.
Erfolgsmeldungen
- Dazu, würde man meinen, gehören auch die Genfer Konventionen, die im
August ihren 70. Geburtstag begingen. Das Wort „feiern meiden wir aus
guten Gründen. Mit diesen Konventionen wurde kein Krieg verhindert, aber
es sollte im Krieg „ein Rest an Menschlichkeit“ verbleiben, Zivilisten
sollten für die Kämpfer tabu sein. Dieses Prinzip wird in Bürgerkriegen
weitgehend ignoriert und stößt an seine Grenzen, wenn sich die Kämpfer
als Zivilisten verkleiden. Der Krieg selbst ist die Geißel der
Mensch-heit, wie es in der Charta der UN heißt. Ihn zu „zähmen“, ist ein
lobenswertes aber oft hoffnungsloses Unterfangen.
- Der „Wind des Wandels“ bläst durch die Frauenwelt in Saudi-Arabien.
Nach der huldvollen Gewährung der Fahrerlaubnis durch den Kronprinzen,
wird Frauen ab 21 Jahren jetzt auch Reisefreiheit zugestanden. Sie
brauchen künftig keine Erlaubnis eines männlichen Vormunds mehr, wenn
sie ins Ausland wollen. An das Vormundschaftssystem traute sich der
Kronprinz noch nicht heran. Da müssen Frauen nach wie vor ihren Wali
al-Amr fragen, ob sie heiraten dürfen. Die Meldung kam zeitgleich mit
dem 30. Geburtstag der Frauenrechtlerin Loujain al-Hathloul, die schon
mehr als ein Jahr im Gefängnis sitzt und dort systematisch fertig
gemacht wird. Für sie gilt die Reisefreiheit nicht. Ihre Familie hat
berichtet, dass man ihr die Freilassung angeboten habe, wenn sie in
einem Video erklärt, dass sie während ihrer Gefangenschaft nicht
gefoltert worden sei. Loujain hat abgelehnt.
Den Frauen wünschen wir trotzdem Gute Reise. Sie sollten allerdings
nicht das saudische Konsulat in Istanbul ansteuern.
Auf geht’s!
- Und schließlich
ist uns in Italien ein Politiker abhanden gekommen, den wir, ehrlich
gesagt, nicht sehr vermissen. Der italienische Innenminister Salvini
hatte sich innenpolitisch etwas verkalkuliert – und darf zunächst einmal
keinen italienischen Hafen mehr anlaufen, sondern wurde ausgebootet. Bei
seiner Abschiedsvorstellung im Senat lief er noch einmal zu Höchstform
auf Er zückte den Rosenkranz und weihte sich mit ausgebreiteten Armen
„dem Herzen der Jungfrau Maria deren Schutz ich mich und Italien
anvertraue“. Die Senatspräsidentin entzog ihm das Wort, weil die
laizistische Verfassung keine religiösen Formeln im Parlament erlaubt.
Wir sind der Meinung, dass Maria bei Gott etwas anderes zu tun hat. Das
Problem ist nur, dass Salvini im Gegensatz zu Mussolini wiederkommen
wird.
Wiedergekommen ist auch Marof Khail, einer von Seehofers 69 Afghanen,
die letztes Jahr als „Geburtstagsgeschenk“ für den Innenminister nach
Afghanistan abgeschoben worden waren. Dank der Beharrlichkeit eines
Helferkreises hat er jetzt ein Arbeitsvisum bekommen und lebt nun wieder
in seiner Wohnung in Kaufbeuren.
Zum Schluss eine Buchempfehlung für pubertierende Jugendliche:
„Guantánamo Kid“ beschreibt die Geschichte des14-jährigen Mohammed el
Gharani, der 2001 (aus Zufall) in einer Moschee in Pakistan verhaftet
wurde und sieben Jahre in Guantánamo verbrachte. Als ihm ein
Vernehmungsbeamter drohte, seine Zellentür abzuschließen und den
Schlüssel ins Meer zu werfen, sagte Mohammad. „Allah wird den Schlüssel
heraufholen und ihn mir in die Hand drücken.“ Allah hat es gemacht, wenn
auch mit etwas Verspätung.
Da es in diesem
Monat (wieder einmal) um Sprache geht, sei ihm ein Wort des großen
Meisters JWvG vorausgestellt, das zu den weiteren „Stilblüten“ eher
gegenläufig ist.
„Man soll alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören,
ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen
und wenn es möglich zu machen wäre,
einige vernünftige Worte sprechen.“
- „Nein, lässt sich leider nicht möglich machen“, sagten sich hessische
Polizeianwärter und teilten Fotos von Holocaust-Opfern in einem
Deportationszug unter der Überschrift „Genieß das Leben in vollen
Zügen“. Ein anderes Bild zeigte einen Mann mit dunkler Hautfarbe, auf
den eine Zielfernrohr gerichtet ist. Der Kommentar dazu: „Bei uns steht
der Mensch im Mittelpunkt.“ Die WhatsApp-Gruppe umfasste 20 Personen,
sechs von ihnen wurden entlassen, die anderen werden in Kürze auf
Streife geschickt. Denen sollten Afrikaner besser aus dem Weg gehen.
- „Nein, geht leider nicht“, sagte der ehemalige bayrische AfD-Chef
Martin Sichert, als er dem Ministerpräsidenten eine Idee für dessen
nächstes Faschingskostüm in Veitshöchheim gegeben hat, die Markus Söder
mit Sicherheit nicht umsetzen wird. Er lästerte, auf dem AfD-Parteieitag
in Greding, dass „Markus Söder inzwischen Horst Seehofer als Hure der
bayrischen Politik abgelöst“ habe. Sichert wurde dann selbst „abgelöst“,
aber nicht wegen seines Rotlichtjargons“, sondern weil er mit seinem
Vorstand die Buchhaltung „wie ein Kleintierzuchtverein“ geführt hat.
- „Nein, da sind wir leider überfordert“, sagten AfD-Politiker, die ein
ZDF-Interviewer mit Aussagen ihres Parteifreundes Björn Höcke
konfrontierte. Sie sollten entscheiden, ob die Formulierungen von Höcke
waren oder aus Hitlers „Mein Kampf“ stammten.
- „Nein, das muss man als Politikerin aushalten“ urteilte ein Berliner
Gericht über die Beleidigungsklage der grünen Politikerin Renate Künast.
(Im Gegensatz zur Presse, die sich zunächst geweigert hatte, die
Beleidigungen im Wortlaut zu zitieren, sie aber dann genüsslich
wiedergab, bleiben wir bei unserem Verzicht.) Manches sei zwar
„haarscharf an der Grenze“ des Hinnehmbaren, aber insofern
„sachbezogen“, als der Schmähkritiker sich auf einen Zwischenruf Künasts
vor 33 Jahren bezogen haben könnte, mit dem sie Pädophilie befürwortet
hätte. Sie hatte nur den Antrag ihrer (fehlgesteuerten) Parteikollegen
wortgetreu wiedergeben wollen, aber nie selber Sex mit Kindern
befürwortet. As Satireportal „Der Postillon“ hat den Spieß umgedreht,
von einem „geisteskranken Urteil“ gesprochen, „das Justizia wie eine
Schlampe aussehen lässt“. Das Portal hat das ironisch gemeint, „aber, so
die SZ, „vermutlich gilt das als Beleidigung – es geht ja gegen Juristen
und nicht gegen Politiker“.
Im Dezember hat sich die (gescholtene) Justiz etwas rehabilitiert. Der
User darf die Falschaussage nicht mehr verbreiten, und der
Kurznachrichtendienst Twitter darf seinen Namen an Frau Künast
weitergeben. Was sie jetzt mit dem Blogger macht, wissen wir nicht,
unser Mitleid mit ihm hält sich jedenfalls in Grenzen.
- Wie reagieren auf Geschichtsfälschung, Verschwörungstheorien,
Menschenfeindlichkeit – Kommunikationsformen, die an eine
„vollgeschmierte (Mäner)Klowand“ er-innern? Da gilt es zunächst das
Netzwerkdurchsetzungsgesetz auch durchzusetzen, den Löschabteilungen von
Facebook und Konsorten Beine zu machen, dass Hassreden, Beleidigungen
und Morddrohungen nicht mehr eine längere Einlesefrist gewährt werden,
sondern sofort gelöscht und die „Autoren“ per Mausklick an die
Justizbehörden gemeldet werden, die wiederum die Ermittlungen nicht
gleich einstellen sollten, weil „die Äußerung im Rahmen einer hitzigen
politischen Diskussion erfolgt sei“. Die bayrische Justiz hat im Oktober
einen ersten Schritt getan. Unter dem griffigen Motto „Erst anzeigen,
dann löschen“ hat sie mit 60 Medienhäusern vereinbart, dass Redaktionen
Hass-Kommentare direkt an die Staatsanwaltschaften übermitteln können.
Die sächsische Autorin Heike Geißler hat, unter dem Eindruck der
Landtagswahl in Sachsen, wo fast jeder Dritte AfD gewählt hat, einen
weniger wehrhaften Ansatz gewählt. Wenn ihr da ein Herr XY mit den
AfD-Slogans kommt,
„sage ich ihm, dass ich … seine Meinung für ausgrenzend und
gefährlich halte, dass unsere Gesellschaft anders konzipiert ist und
konzipiert bleiben muss, dass ich keine Basis für ein Gespräch sehe
und nun gehen werde.“
Ich glaube, man muss beides tun: Herrn XY nicht die Deutungshoheit am
Tisch überlassen, sondern ihm „einige vernünftige Worte“ reinzudrücken,
aber irgendwann, bevor man selbst in Mordlaune gerät, eine räumliche
Trennung zu beantragen oder aufs Wetter und die Bundesliga umzuschalten.
- „Einige vernünftige Worte“ hat ein Politiker gesprochen, von dem man
auch schon andere Worte gehört hat. Bundesinnenminister Seehofer
erklärte, dass Deutschland bereit sei, jeden vierten Migranten
aufzunehmen, der im zentralen Mittelmeer aus Seenot gerettet werde. Und
als ihn Bedenkenträger (fast) aller Parteien dafür kritisierten, gab er
einen Spruch von sich, der schon auf seine Platzierung in den
Geschichtsbüchern abzielte.
„Es ist unglaublich, dass man sich als Bundesinnenminister für die
Rettung von Menschen vor dem Ertrinken rechtfertigen muss.“
Auf einem Gipfeltreffen in Malta wurde beschlossen, die
„Ausschiffungskrise“ zu beenden und Flüchtlinge aufzunehmen, ohne dass
vorher für jedes Schiff neu und langwierig verhandelt werden muss.
Bereit dazu waren allerdings bisher nur vier Länder: Deutschland,
Frankreich, Italien und Malta. Ob noch weitere Länder sich anschließen
werden, ist noch offen, ob es für die Verweigerer Strafzahlungen oder
Kürzungen von EU-Subventionen geben wird, ist eher noch offener. Von
einer weiteren Sitzung in Luxemburg im Oktober hieß es dann: Die
Koalition der Willigen ist noch nicht gewachsen, aber einige weitere
Länder haben positive Signale ausgesandt. Seehofer hat dazu gesagt:
„Solche Prozesse entwickeln sich prozesshaft.“ Mit solchen Drohungen
können auch Polen und Ungarn gut leben.
Ein anderer bayrischer Politiker, Landtagsvizepräsident Markus
Rinderspacher wollte sich die private Seenotrettung aus nächster Nähe
ansehen. Er ging an Bord des Rettungsschiffes „Eleonore“, die mit 104
Flüchtlingen an Bord tagelang in keinen Hafen einlaufen durfte, in einen
Sturm geriet und sich dann die Einfahrt erzwang. Rinders-pacher sprach
von „lybischen Konzentrationslagern, aggressiven italienischen Behörden
und von seiner Todesangst, und er fand harte Worte für die „humanitäre
Bankrotterklärung Europas“. Ob das einige Tage später der Seehofer
gelesen hat?
Chapeau, Herr Rinderspacher!
- Und auch das wird man doch noch sagen dürfen, bei allem Entsetzen über Verbrechen, die von Flüchtlingen begangen wurden. Es gab bundesweit (und von der Polizei registriert) im 1. Halbjahr 2019 auch 609 Straftaten, die sich gegen Flüchtlinge oder Asylbewerber richteten, 60 Angriffe auf Unterkünfte, sowie 42 Attacken gegen Hilfsorganisationen oder ehrenamtliche Helfer.
- Die Situation in und um Hongkong könnte man in einem Satz zusammenfassen: die Regenschirme bleiben aufgespannt. Die mögen gegen Wasserwerfer helfen, nicht aber gegen die gepanzerten Truppentransporter, die Peking schon einmal durch Hongkongs Straßen rollen ließ, damit sie sich nicht so leicht verfahren, wenn es zum Showdown kommt. Das Auslieferungsgesetz, Auslöser der Proteste, wurde inzwischen „endgültig“ zurückgenommen – bis man es wieder braucht. Angela Merkel war in Peking auf Staatsbesuch und hat auch wieder heimfahren dürfen, weil sie brav und artig gewesen ist. Immerhin hat sie sich beim chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang für eine friedliche Lösung der Krise in Hongkong ausgesprochen und auf die „Rechte und Freiheiten“ der Bürger Hongkongs verwiesen. Li hat die Frage nach einer militärischen Intervention zunächst ignoriert hat, dann aber versichert/gedroht, dass „China die Weisheit habe, seine Probleme zu lösen“. Dann ging man wieder zum eigentlichen Thema über.
In Berlin hat Außenminister Maas den Hongkong-Aktivisten Joshua Wong empfangen. Seither schmollt sein chinesischer Amtskollege und geht ihm aus dem Weg. Da Maas als Außenminister nicht greifbar ist, wurde in Peking der deutsche Botschafter einbestellt. Wenn man dann noch hört, wie die chinesischen Nachrichtendienste in Deutschland regimekritische Demonstranten und Vertreter der Minderheiten (Uiguren, Tibeter) ausspionieren und einschüchtern, dann fragt man sich schon, ob das Prinzip „Wirtschaft, Wirtschaft über alles“ nicht auf lange Frist unser Wertesystem untergräbt.
Der Mut des Aktivisten und des Diplomaten
Im Januar 2020
schrieb die SZ, dass sich die chinesische Führung „zunehmend aufführt,
als sei auch Deutschland nur eine abtrünnige Provinz“. Wir sollten uns
nicht alles gefallen lassen.
Die Kurznachrichten
- In den USA fand der 284. Amoklauf des Jahres statt. In Odessa/Texas
tötete ein Mann mit einem Sturmgewehr wahllos zehn Menschen. Einen Tag
später traten in Texas zehn Gesetze in Kraft, die die Kontrolle des
Waffenbesitzes – lockern sollen. So ist es in Zukunft erlaubt, auf den
Parkplätzen von Schulen Waffen im Auto zu haben, solange diese nicht
offen sichtbar sind. Der Einzelhandelskonzern Walmart, aus dessen
Beständen jede 5. Kugel in den Waffenschränken der USA stammt, hat ein
gegenläufiges Zeichen gesetzt. Er stoppt den Verkauf von Munition für
Pistolen und halb automatischen Gewehren.
- In Indonesien findet ein „Aufstand gegen die Tugendwächter“ statt.
Konservative religiöse Kreise, von den Scharia-Gesetzen infiziert,
versuchen das Strafrecht dahingehend zu verschärfen, dass vorehelicher
Sex und ein Zusammenleben ohne Trauschein mit Gefängnis bestraft werden.
Das bringt nicht nur die Studenten auf die Barrikaden, sondern auch die
Tourismusindustrie, denn die geplanten Regeln sollen auch für Ausländer
gelten.
- Für Edward Snowden, dem Whistleblower, der 2013 die illegalen
Praktiken des amerikanischen Abhördienstes NSA aufdeckte, läuft 2020 das
Aufenthaltsrecht in Russland ab. In den USA erwartet ihn kein fairer
Prozess, denn Trump hat verlautet, er würde ihn gerne tot sehen.
Frankreich scheint sich mit dem Gedanken zu tragen, ihm Asyl zu
gewähren, Deutschland hält sich mit einem Asylangebot (wenig) vor-nehm
zurück, weil unsere Geheimdienste immer wieder nützliche Informationen
vom NSA zugesteckt bekommen.
- In Brasilien fiel erstmals seit Jahren die Mordrate. Die Regierung
führte das auf ihre rigorose Politik gegen Drogenbanden zurück. Der
Rückgang hat aber eine Schattenseite. Im Jahre 2018 sind mehr als 6000
Menschen durch Polizeigewalt getötet worden, 20 Prozent mehr als im
Vorjahr. Und es waren nicht nur Bandenmitglieder, denn die Polizei setzt
bei Razzien in den dicht besiedelten Favelas Maschinengewehre ein, denen
auch Unschuldige (und Kinder!) zum Opfer fallen.
- Nicht gerade harmlos aber weniger tödlich ist der Umgang Bayerns mit
dem Instrument der Präventivhaft. Die wird im Freistaat keineswegs nur
als letztes Mittel eingesetzt, sondern, so die SZ, „weil’s halt grad
praktisch ist, oder als Ersatz für Abschiebehaft unter Umgehung der
dafür vorgeschriebenen Richterentscheidung“. Anwälte bleiben dabei für
die meisten Betroffenen außen vor.
- Es ist Zeit für zwei schmerzhafte Rückblicke. Vor einem Jahr wurde der
Journalist Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul
bestialisch ermordet. Die französische UN-Sonderberichterstatterin Agnès
Callamard hat die Ereignisse auf Grund von Tonbandaufnahmen
rekonstruiert, die „nationalen und strategischen Interessen“, die einer
internationalen Strafverfolgung der Täter und ihres mutmaßlichen
Auftraggebers Kronprinz Mohammad bin Salman/MbS entgegenstehen,
kritisiert und Länder benannt (Türkei, USA), die den Fall zur Anklage
bringen könnten. Aber bis jetzt gilt der Satz, den man bei der UN auf
den Fluren (nicht im Plenarsaal) hört: „Too big to jail/ zu mächtig fürs
Gefängnis“. Wir folgen Callamards (resignativer) Empfehlung zu einer
„symbolischen Reaktion“. Das war er!
- Auch das Schicksal der 43 Studenten, die 2014 in der Stadt Iguala/Mexiko Opfer von Polizeigewalt und Bandenjustiz wurden, ist noch weitgehend ungeklärt. Sicher ist, dass die Forderung der Angehörigen „Lebend habt ihr sie uns genommen, lebend wollen wir sie zurück“ dem Wortsinne nach nicht in Erfüllung gehen wird. Zu einer Art von Leben können sie nur zurückfinden, wenn der Verbleib ihrer Gebeine geklärt und die Täter bestraft werden. Für unsere AI-Gruppe war es einer der dichtesten Augenblicke unserer Geschichte, als wir vor zwei Jahren am Marktplatz in Miesbach die Namen, Eigenheiten und Zukunftsvorstellungen dieser Studenten verlasen.
Erfolgsmeldungen – oder so was wie
- Ukraine, Russland: die beiden Länder tauschten 70 Gefangene aus. Aus
Russland kam der Filmregisseur Oleg Senzow, der wegen „terroristischer
Akte“ im Gefolge der Annexion der Krim und trotz einer mehr als dünnen
Beweislage zu 20 Jahren Haft verurteilt worden war. Und es kamen 24
Seeleute, die Russland 2018 festgenommen hatte, nachdem man nach
Piratenart ihr Schiff gekapert hatte. Aus der Ukraine kam Kommandant
Wolodimir Zemach, der Zeuge des Abschusses einer malaysischen
Passagiermaschine war und dann half, die Spuren russischer Beteiligung
zu verwischen. An dem hätten auch die Niederländer, die den Großteil der
Passagiere ausmachten, ein gewisses Interesse gehabt.
- Ägypten: Nach einem Fußballderby kam es in Kairo und anderen Städten
zu Demonstrationen, an denen Tausende von Menschen beteiligt waren. Man
zerriss Bilder von Präsident al-Sisi und skandierte die Parolen von 2011
„Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit“. So etwas hatte es in Ägypten
schon seit Jahren nicht mehr gegeben und veranlasste die SZ zu einem
geradezu euphorischen Kommentar:
„Der sogenannte Arabische Frühling ist schon oft beerdigt worden. Nun
erweist sich, dass er höchstens scheintot war.“
Die Euphorie dürfte etwas voreilig gewesen sein, das Regime sitzt (noch)
fest im Sattel, ließ 3000 Demonstranten festnehmen und in Gefängnisse
verbringen, wo laut AI 40 Personen in einer Zelle hausen. Im Oktober
wurde die Zahl der Festnahmen mit 4300 nach oben korrigiert. Von
„Frühling“ kann man da nicht mehr sprechen.
- Man muss bis zur UN-Vollversamlung des Jahres 1960 zurückgehen, als
der sowjetische Staatschef Nikita Chruschtschow in einer Debatte über
Entkolonialisierung seinen Schuh auszog und Anstalten machte, damit auf
den Tisch zu trommeln, um einen ähnlich emotionalen Auftritt vor diesem
Gremium zu erleben. Während aber bei Chruschtschow eine gehörige Portion
Kalkül dabei war, war Greta Thunbergs Brandrede zum Kampf gegen den
Klimawandel Trauer und Empörung pur.
„Wie konntet ihr es wagen, meine Träume und meine Kindheit zu stehlen
mit euren leeren Worten?“
„Weckruf der Jugend“ (Angela Merkel)
Da hat eine
Jugendliche den Erwachsenen die Leviten gelesen, und entsprechend war
deren Reaktion:
-- Der Sender Fox News/USA ging so weit, Thunberg als „geisteskrank“ zu
bezeichnen, hat sich später aber dafür entschuldigt.
-- Eine Münchner Psychologin hat Gretas Engagement für das Klima als
„Umlenkung ihrer früheren Essstörung“ interpretiert.
-- Entwicklungsminister Gerd Müller warf ihr vor, lediglich auf einen
(munter) fahrenden Zug aufgesprungen zu sein: „Der Klimaschutz beginnt
nicht mit Greta Thunberg.“
-- Trump hat so dumm reagiert, wie von ihm zu erwarten war.
-- Der Merkur hat genüsslich die negativen Reaktionen gesammelt, die SZ
hat nachdrücklich betont, dass sie bei Minenspiel und Tonfall doch
gewaltig überzogen hätte und rang sich nur widerwillig einen positiven
Schlusssatz ab.
„Im Ton über das Ziel hinausgeschossen. In der Sache hat sie
weiterhin absolut recht.“
Das war auch Tenor der positiven Reaktionen: Sie hat das Recht, Angst zu
haben und ihre Angst emotional auszudrücken.
Zum Abschluss eine Karikatur zum Klimapaket der Bundesregierung,
gestrickt nach den Muster „Wir tun etwas, aber es darf (aus guten
Gründen) niemandem wehtun.“
„Im Monat
Oktober
sticht der Unter den Ober.“
Als mir diese Bauernregel für gemischte Schafkopfgruppen einfiel, dachte
ich auch an die Ausstellung „Starke Frauen“, die im November in einer
eindrucksvollen Schau starke Miesbacherinnen und starke Politikerinnen
präsentierte und von starken Miesbacher Politikerinnen gestaltet und
eröffnet wurde. Als ich aber die Nachrichten des Monats sondierte,
merkte ich, dass es doch wieder häufig die Unter waren, die „gestochen“
wurden. Wir fangen mit der harten Kost an.
- Da wurde in Bangladesch im April eine 18-jährige Schülerin, die gegen
den Direktor ihrer Religionsschule Beschwerde wegen sexueller Übergriffe
erhoben hatte, lebendig verbrannt. Der Direktor hatte ihre Ermordung aus
der Untersuchungshaft heraus initiiert, weil sich die Schülerin
geweigert hatte, ihre Beschwerde zurückzuziehen. Nun wurden 14 Männer
und zwei Mitschülerinnen zum Tode verurteilt.
Frauenprotest in Bangladesch
Die Frauen dort
haben allen Grund zu protestieren, denn die Verurteilungsrate in
Vergewaltigungsfällen liegt laut Human Rights Watch bei 0,3 Prozent. Von
100 Tätern wird also nur einer verurteilt- und das auch nur zu einem
Drittel.
- In Frankreich läuft noch bis November eine „Bestandsaufnahme zu Gewalt
in der Partnerschaft“. Damit ist vornehm umschrieben, dass das Land ein
massives Problem mit dem „Femizid “ hat. Im Jahre 2017 wurden 130 Frauen
von ihren (Ex) Partnern getötet. Das Problem haben wir in Deutschland
auch (147 Fälle), aber wir gehen eher zögerlich heran. Das merkt man
auch an der Sprache. Wir sprechen von „Eifersuchtsdrama“ und
„Familientragödie“, und vor Gericht heißt es dann „Trennungstötung“ und
wird, im Gegensatz zum „Ehrenmord“ als Totschlag eingestuft und nicht so
streng betraft, weil „die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der
Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht
verlieren will“. Geht’s noch, Bundesgerichtshof?
- Und dann stechen die Ober auch im Internet auf Frauen ein. Die
Österreicherin Natascha Kampusch, die acht Jahre in einem Keller
gefangen gehalten worden war, wird im Netz weiter drangsaliert. User
haben sich das Kellerverlies als Parklandschaft vorgestellt und ihre
Gefangenschaft als „Spaziergang“ bezeichnet oder wünschten ihr sogar den
Tod. Bei manchen Menschen hat man den Eindruck, dass sie nur dann
lebendig sind, wenn sie Gift versprühen.
- Wir kommen zu leichterer Kost, aber noch sticht der Ober. Frauen haben
sich inzwischen fast alle Sportarten erobert, aber was sie dazu tragen,
wird immer noch von Männern bestimmt. So wurde 2012 Frauen-Boxen
olympische Disziplin, und in den Ring sollten die Damen in Röckchen.
Gegen die Röckchen wehrten sie sich – gegen das (Frauen-)Boxen als
solches leider nicht. In Berlin kam es beim Start zur Bundesligasaison
im Basketball zu einer Entscheidung, die Einfluss auf die
Zuschauerzahlen haben könnte. Es werden zwar im Spiel keine Medizinbälle
eingeführt, aber es werden die Cheerleaders gestrichen – und zwar mit
einer geradezu emanzipatorischen Begründung:
„Wir sind zu der Überzeugung gekommen, dass das Auftreten junger Frauen
als attraktive Pausenfüller bei Sport-Events nicht mehr in unsere Zeit
passt.“
Abschiedstanz der Cheerleader
- Bleiben wir bei
Sport – und nähern wir uns dem Kalenderspruch an. Im Iran wurde das
Stadionverbot für Frauen aufgehoben, nachdem es noch vor kurzem hohe
Haftstrafen gegen Frauen geben hatte, die sich, als Männer verkleidet,
ins Stadion geschlichen hatten – und nachdem sich im September noch eine
junge Frau angezündet hatte, weil sie die Haftstrafe nicht antreten
wollte. Das Kontingent von 3500 Karten war in weniger als einer Stunde
verkauft. Ob die 3500 Frauen allerdings ausreichen werden, um das
„vulgäre Umfeld“, das den männlichen Fans geschuldet ist, zu
zivilisieren, ist zu bezweifeln. Die Fürsorge durch das Stadionverbot,
die der Klerus im Iran den Frauen angedeihen wollte, sollte er besser
auf das „vulgäre Umfeld“ im Stadion verwenden.
- Am Ende soll eine starke Frau aus Afrika stehen. Die Psychologin und
Bloggerin Fatouma Harber hat den Islamisten, die 2012 Timbuktu/Mali
eroberten, die Stirn geboten und hat Nachrichten über die
Kleiderkontrollen, die angeblichen Sittenverstößen und das Musikverbot
aus der abgeschnittenen in alle Welt gesandt. heute bildet sie Frauen
darin aus, wie man digitale Technik nutzt und für politische Zwecke
einsetzt – z.B. um gegen die Untätigkeit der malischen Regierung zu
protestieren, die die Arbeit den Hilfsorganisationen überlässt. Immerhin
hat ihre Bloggergruppe erreicht, dass eine wichtige Überlandstraße
wieder repariert wurde.
Fatouma Harber - „berauscht von Demokratie“
- Nicht nur Gift versprüht, sondern scharf geschossen hat ein paranoider Rechtextremist, der in Halle einen Anschlag auf eine Synagoge verüben wollte. Nur eine Tür hat verhindert, dass es unter den Juden in der Synagoge von Halle ein Massaker gegeben hätte, wie unter den Christen in Tanta/Ägypten und den Moslems in Christ-church/Neuseeland. Der Vorsteher der Gemeinde hat die Tür als „heilig“ bezeichnet. Dieser Würdigung schließen wir uns dankbar an und nehmen zum ersten Mal das Foto eines Gebäudeteils in unseren Bericht mit auf.
Die Tür von Halle
Gedenken aber
wollen wir auch der beiden Opfer, die der Täter umgebracht hat, weil er
seine restlichen Patronen loswerden wollte. Und auch die Reaktionen auf
den Anschlag, die von „unsäglich“ bis „bedrückend“ reichten.
- - „Unsäglich“ war das Tweet, das zu teilen, dem AfD-Abgeordneten
Stephan Brandner nicht ganz ungelegen kam. Da hatte jemand gefragt,
warum Politiker nach dem Anschlag mit Kerzen in den … Synagogen
rumlungern (!)“, obwohl die beiden Todesopfer doch Deutsche gewesen
seien. Später hat sich Brandner dafür entschuldigt, aber „ein bisschen
was wird beim geneigten User schon hängen bleiben“.
- - „Zornig“ reagierte der Präsident des Zentralrats der Juden, weil
„die Synagoge an einem Feiertag wie Jom Kippur nicht durch die Polizei
geschützt war“.
- - „Herausfordernd“ reagierte der Leitartikler der SZ, der verlangte,
man solle endlich zur Kenntnis nehmen, dass judenfeindliche Aktionen
kein „Privileg“ von Einwanderer aus dem Nahen Osten seien, sondern auch
„von Deutschen in Springerstiefeln oder feinem Tuch“ verübt würden.
- - „Ermutigend“, weil es im Anschluss an den Terroranschlag zahlreiche
Veranstaltungen gegen Antisemitismus gegeben hat. In Miesbach fand zur
Reichspogromnacht ein Lichterkreis statt, doch davon später. Auch die
Politik gelobte „Besserung“, beispielsweise, „dass antisemitische
Beweggründe bei der Strafzumessung strafverschärfend zu berücksichtigen
sind“.
Zu spät?
- - „Bedrückend“,
weil sich bei unseren jüdischen Mitbürgern wieder die große Angst und
Verunsicherung der 1930er Jahre ausbreitet, und sich manche von ihnen
die Frage ihrer Vorfahren stellen, ob man die Koffer wieder packen soll.
- Sehr gemischt sind auch die Nachrichten aus einem Bereich, der in
unseren Jahresberichten eine untergeordnete Rolle spielt, obwohl er für
manche „die wichtigste Sache der Welt“ ist. („Was schert mich Frau, was
schert mich Kind, Hauptsache der FC Bayern gewinnt!“) – der
Fußballsport.
Da gab es bei einem Gastspiel von Borussia Mönchengladbach in Istanbul
ein „Kreuzverbot“ für deutsche Fans. Sie hatten Vereinsflaggen
mitgeführt, auf denen das Stadtwappen Mönchengladbachs, ein Abtsstab und
ein Kreuz, zu sehen sind. Die Polizei konfiszierte die Flaggen wegen
ihrer „christlichen Symbole“, der Manager des deutschen Vereins sprach,
mutmaßlich (und verständlich) von zuhause aus, von „Polizeidiktatur“.
Das Spiel endete 1:1.
- Während die Fans von Mönchengladbach mit ihren Flaggen wohl kaum ihre
christliche Gesinnung herausstellen wollten, hatte die türkische
Nationalmannschaft wenig Skrupel, ihre Unterstützung für den
völkerrechtswidrigen Einmarsch der Türkei nach Nordsyrien zu
demonstrieren. In Paris zeigte fast die ganze Mannschaft die Salut-Geste
zu Ehren des türkischen Militärs.
Krieg auf dem Rasen
Die Spieler
hätten statt der Hand den Zeigefinger nehmen sollen, man kann sich ja
auch selbst den Vogel zeigen.
- Ansätze von Zivilcourage zeigten Mitglieder der englischen
Fußballmannschaft vor dem Länderspiel gegen Bulgarien in Sofia. Sollte
ihr Teamkollege Abraham, ein Spieler mit nigerianischen Wurzeln, mit
Affenlauten konfrontiert werden, wollte man das Spielfeld verlassen –
und zwar geschlossen als Mannschaft“. Nun soweit ging man dann nicht: Es
kamen zwar Affenlaute in Richtung zweier farbiger Spieler, es gab auch
zwei Spielunterbrechungen – aber vom Platz gingen die Engländer nicht,
denn wenn ein Team eigenmächtig ein Spiel beendet, kann die UEFA
Punktabzüge aussprechen. Das sollte man auch – aber in diesem Falle
gegen die bulgarische Mannschaft. Das Spiel endete übrigens 6:0 für
England.
Die UEFA hat Bulgarien zu zwei „Geisterspielen“ und 85 000 Euro
Geldstrafe verurteilt, auch die Türkei soll mit „harten Sanktionen“ zu
rechnen haben.
Die Kurznachrichten
- Katalonische Separatisten wurden zu Haftstrafen zwischen neun und
dreizehn Jahren verurteilt. Der Vorwurf: Aufruhr und Veruntreuung
öffentlicher Gelder, die aber nicht in privaten Hosentaschen
verschwanden, sondern für die Finanzierung des Referendums von 2017
verwendet wurden. Das Urteil ist politisch motiviert und wird die
Spaltung des Landes nicht beenden, sondern eher vertiefen. Da ist es
einem Mann, der in Spanien sogar einen Bürgerkrieg ausgelöst hat, schon
besser ergangen. Generalissimo Franco wurde nie dafür in Haft genommen,
die Umbettung seiner Leiche wird er verkraften können.
- Kronprinz bin Salman übernimmt die Verantwortung für die Ermordung des
Journalisten Khashoggi, war aber nicht „persönlich involviert“. Das
glaubte ihm nicht einmal die CIA. Sie kam zu dem Schluss, dass die Tat
„mit mittlerer bis hoher Wahrscheinlichkeit“, also sagen wir mal zu 90
Prozent, vom Kronprinzen angeordnet worden sei. Eine Fehlermarge von 10
Prozent offen zu lassen, könnte gut auf eine Anordnung von Präsident
Trump zurückzuführen sein.
- In Nordsyrien beging das türkische Militär mit seinen Angriffen auf
Wohngebiete, eine Schule und einen Marktplatz eine Reihe von
Kriegsverbrechen. Wer dazu die nötigen „Werkzeuge“ liefert, macht sich
der Beihilfe schuldig. Die Bundesregierung sollte sich schon einmal warm
anziehen, d.h. nicht nur keine neuen Exporte von Rüstungsgütern mehr
genehmigen, sondern auch bereits vereinbarte Lieferungen blockieren.
- In Russland wurde Michail Fedotow, der Vorsitzende des
Menschenrechtsrates - ja, so etwas gibt es noch in Putins Russland, wenn
auch nicht mehr lange – aus Altersgründen abgesetzt. Mit Fedotow, der
beispielsweise, wenn auch vergeblich, gegen das Etikett „ausländischer
Agent für NGOs protestiert hatte, wurde der russischen Zivilgesellschaft
„der letzte Zahn gezogen“. Sein Nachfolger ist linientreu und hatte den
Einsatz der Polizei gegen Demonstranten schon einmal als „äußerst soft“
bezeichnet.
- Hier in Deutschland ist es an der Zeit, nachdem wir uns mehrmals
tapfer an der Rechten abgearbeitet haben, einmal linken Gruppierungen
einen Tritt zu verpassen. In Göttingen wurde der ehemalige Innenminister
Thomas de Maizière von der „Basisdemokratischen Linken“ daran gehindert,
aus seinem neuen Buch vorzulesen. In seiner Zeit als Minister sei das
Flüchtlingsabkommen mit Ankara abgeschlossen worden, und damit sei er
auch für den Einmarsch der Türkei in Nordsyrien verantwortlich. Mit so
verqueren Argumenten hielten sich die Studenten in Hamburg gar nicht
auf. Sie beschimpften Bernd Lucke, den Mitbegründer der AfD, als
„Nazischwein“ und sprengten zweimal seine Vorlesung. Und an der gleichen
Uni erhielt der FDP-Vorsitzende Christian Lindner Auftrittsverbot, weil
die Räume nicht parteipolitisch genutzt werden dürften. Peinlich war
nur, dass die Linke Sahra Wagenknecht zugelassen wurde, aber deren
Vortrag sei „streng wissenschaftlicher Natur“. Bei solchen Vorfällen ist
man geneigt, einen Kranz niederzulegen mit der Schleife „Den Opfern von
Dummheit und Verschissmus“. Und das wäre dann kein Übermittlungsfehler!
- Die Waffendiskussion hat jetzt auch das bayrische Hinterland erreicht.
Hubert Aiwanger, immerhin Bayerns Vizepräsident, glänzte mit einem
Ausspruch auf dem Internationalen Jagd- und Schützentag:
„Ich bin überzeugt, Bayern und Deutschland wären sicherer, wenn jeder
anständige Mann und jede anständige Frau ein Messer in der Tasche haben
dürfte, und wir würden die Schwerkriminellen einsperren.“
Sehen wir mal von der Tatsache ab, dass in Bayern Schwerkriminelle sehr
wohl eingesperrt werden, dann ist Aiwangers „Taschenmesserpopulismus“
nicht nur dämlich sondern auch gefährlich, Wasser auf den Mühlen von
„Reichsbürgern“, die Waffen horten, um bei Gelegenheit Selbstjustiz zu
üben. Anlass für seinen Appell war die Forderung der niedersächsischen
SPD, nur mehr das Mitführen von 6 Centimeter Klingen zu erlauben. Aber
nicht einmal eine solche Klinge sollte man dem Aiwanger erlauben! Der
Applaus der Jäger kam übrigens – „vereinzelt“.
Erfolgsmeldungen –leider nicht alle „Unter“ freundlich
- Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat der
österreichischen Justiz „eine schallende Ohrfeige“ verabreicht. Aba
Lewit, Überlebender des KZs Mauthausen, hatte gegen die rechte
Zeitschrift Aula geklagt und es kam zu einem Verfahren wegen
„nationalsozialistischer Wiederbetätigung“. Die Zeitschrift hatte 2015
einen Artikel unter dem Titel „Mauthausen-Befreite als Massenmörder“
veröffentlicht und darin KZ-Häftlinge als „Landplage“ bezeichnet, deren
„kriminelles“ Verhalten nach der Befreiung „nur noch von KZ-Fetischisten
bestritten“ werde. Das Verfahren wurde zunächst mit der Begründung
eingestellt, dass es
„nachvollziehbar sei, dass die Freilassung mehrerer Tausend Menschen
aus dem Konzentrationslager Mauthausen eine Belästigung für die
betroffenen Gebiete Österreichs darstellte“.
Auch eine Entschädigungsforderung von Lewit und anderen
Holocaust-Überlebenden wurde vom Grazer Landesgericht abgelehnt. Die
Straßburger haben dieses Urteil einstimmig „zerpflückt“ und sprachen
Lewit wegen „Diffamierung als Holocaust-Opfer“ Schadenersatz in Höhe von
5648,48 Euro zu. Zahlen muss aber nicht Aula, sondern Österreich.
Trotzdem begrüßte der Justizminister das Urteil.
- Einer unserer hartnäckigsten AI-Fälle hat vom Europaparlament den
Sacharow-Preis bekommen. Es handelt sich um den uigurischen Professor
Ilham Toti, der sich für Verständigung zwischen Uiguren und Han-Chinesen
in der Provinz Xinjiang eingesetzt hatte. Für die Zentrale in Peking war
das „Entzündung von ethnischem Hass“ und „Anstiftung zum Terrorismus“
und Grund für eine lebenslange (!) Haftstrafe. Das harte Urteil von 2014
gilt als „Auftakt zur verschärften Verfolgung der muslimischen
Minderheiten“ in dieser Provinz, die im November durch die „China
Cables“ so augenfällig dokumentiert wurde, dass nicht einmal die
deutsche Regierung mehr wegsehen konnte. Die Verleihung des Preises wird
im Dezember stattfinden, und Sie brauchen nicht lange zu raten, wer ihn
nicht entgegennehmen wird.
Ilham Tohti – Gesicht eines Terroristen
- „Afrika kann
auch anders“ und „Die Kunst des Unmöglichen“, so euphorisch hat der
Merkur die Verleihung des Friedensnobelpreises an Abiy Ahmed,
Ministerpräsident von Äthiopien gewürdigt. Er hat 2018 „auf der Basis
von wenig bis nichts“ den Aussöhnungsprozess mit Eritrea gestartet und
damit einen Konflikt, der zwei Jahrzehnte dauerte und Zehntausende in
den Tod schickte, (zumindest vorläufig) beendet.
Und weil dieser Monatsbericht zuversichtlich begonnen und er es über
manche menschlichen „Untiefen“ doch noch bis zum Friedensnobelpreis
geschafft hat, wollen wir ihn auch zuversichtlich mit einer
„Hurzlmeiermalerei“ beenden.
November 2019
Da der
November des Öfteren ein Monat ist, wo einem das Wetter unter die Haut
geht, wollen wir mit ebensolchen Nachrichten beginnen.
- Da hat im sächsischen Arnsdorf (wieder einmal) eine
Kommunalpolitikerin wegen rechtsradikaler Hetze das Handtuch geworfen.
Martina Angermann, Bürgermeisterin seit 2001, hatte das Treiben einer
selbst ernannten „Bürgerwehr“ kritisiert, die 2016 einen psychisch
kranken Iraker an einen Baum gefesselt hatte, nachdem er zuvor im
Supermarkt für Unruhe gesorgt hatte. Die „Bürgerwehr“ hatte im Netz viel
Unterstützung bekommen. Ob sich die moderaten Arnsdorfer mit der
gleichen „Lautstärke“ mit ihrer Bürgermeisterin solidarisiert haben, ist
zu bezweifeln. Im Februar brach Frau Angermann nach Morddrohungen
zusammen und beantragte jetzt ihre Versetzung in den Ruhestand.
- Im Jahre 2018 bekam Italien mit Liliana Segre eine neue „Senatorin auf
Lebenszeit“. Verdient hat sie die Ehrung, aber lange wird sie sich nicht
mehr darüber freuen können. Die Dame ist nämlich 89, aber immerhin hat
sie als Kind Auschwitz überlebt. Sie ist dann durch Italien getourt, hat
in Schulklassen von dieser „bleiernen Zeit“ erzählt und gegen den Hass
angeredet. Einige Schüler haben offensichtlich nicht zugehört, denn als
man ihr den Titel verlieh, liefen Italiens Antisemiten Sturm. Da „habe
Hitler seinen Job nicht richtig gemacht“. Dann kam im November 2019 ihre
Rede im Senat, in der sie für eine Kommission gegen Rassismus und
Antisemitismus warb, und da gab es am Ende einer gespenstischen Szene:
die linke Hälfte der Kammer stand auf, um ihr Respekt zu zollen, die
rechte Hälfte blieb sitzen.
Liliane Segre – derzeit unter Polizeischutz
- Den
Polizeischutz hätte auch der türkische Schriftsteller Ahmet Altan nötig,
allerdings nicht den Schutz durch die Polizei, sondern vor ihr, und vor
der Justiz – und vor den (a)sozialen Medien. Er hat aus der Haft ein
Buch mit dem ironisch-prophetischen Titel „Ich werde die Welt nicht
wiedersehen“ geschrieben und dafür den Geschwister-Scholl-Preis der
Stadt München bekommen. Im Oktober wurde er zum Frischluftschnappen
freigelassen, wurde aber nach einer Hetzkampagne im Netz nach acht Tagen
wieder inhaftiert. Den Usern hatte missfallen, dass er auch nach seiner
Freilassung nicht das Maul gehalten hat, der Staatsanwalt hatte
Fluchtgefahr gewittert. Aus seiner Rede zur Preisverleihung – vom leeren
Stuhl aus gehalten:
„Bei der Erschaffung des Menschen war wohl ein wenig Eile am Werk; es
kam ein Lebewesen hervor, in dem etliche miteinander unvereinbare
Gefühle eng beieinander liegen. Wie Mitleid und Hass, Güte und
Bösartigkeit gedeihen Klugheit und Dummheit nebeneinander in gleicher
Erscheinungsform.“
- Die grausigste Nachricht kam aus Großbritannien – und sie hatte nichts
mit dem Wahlergebnis im Dezember zu tun. In einem Lastwagen östlich von
London wurden im Oktober die Leichen von 39 Vietnamesen entdeckt. Der
Fahrer hat jetzt ein Teilgeständnis abgelegt und sich der „Verschwörung
zur illegalen Einwanderung und der Bereicherung durch kriminelles
Verhalten“ für schuldig erklärt. Er soll jetzt wegen „fahrlässiger
Tötung“ belangt werden, aber was daran noch fahrlässig ist, muss mir ein
Jurist erklären. Eine junge Frau soll kurz vor ihrem Tod noch an ihre
Mutter ein SMS geschickt haben:
„Es tut mir leid, Mama. Mein Weg ins Ausland hat keinen Erfolg. … Ich
sterbe, weil ich nicht atmen kann.“
Zum Weinen
- Bei solchen Nachrichten wird es schwer, auf Personen überzuleiten, die sich wohl in ihrer Haut fühlen. In Nürnberg wurde Benigna Munsi (17 Jahre, dunkelhaarig, Migrationshintergrund) zum Christkind gewählt und trotz rassistischer Anwürfe auch inthronisiert. Zum Amtsantritt hat man ihr eine blonde Lockenperücke verpasst und damit die Kriterien für historische Authentizität erfüllt. Jesus war als Jude ja auch blond und ein liebes Mädchen obendrein. Genug gespottet! Es war ein herrlicher Anblick, als Benigna sich „dekorieren“ ließ, als sie stolz ihre ersten Auftritte absolvierte, und es war beeindruckend, wie souverän sie auf negative und positive Rückmeldungen reagierte.
Kostümprobe
Unruheherde
In Australien brannte der Wald, in anderen Ländern brannten die Straßen.
- Iran: Dort kam es zu landesweiten Protesten, weil gleichzeitig der
Preis für das Benzin verdoppelt und seine Ausgabe rationiert wurde. Die
Proteste, das „Werk ausländischer Verschwörer“, wurden mit großer
Brutalität (und Effizienz!) niedergeschlagen, womit „das iranische Volk
erneut eine historische Probe bestanden“ habe. Die Rädelsführer -
Monarchisten, Exilopposition, Doppelstaatler und allesamt von Israel,
den USA und Saudi-Arabien angeheuert – wurden festgenommen. Einige von
ihnen erwartet die Todesstrafe. Mehr als eine Woche war das Internet
abgeschaltet, und die Handyaufnahmen, die den Weg ins Ausland schafften,
zeigten auch, warum man besser unter sich bleiben wollte. Amnesty ging
Mitte Dezember von 304 Todesopfern aus, darunter auch (einige)
Polizisten und Milizionäre.
Der Stoff des Anstoßes
Da stellt sich
die Frage, wie viele Deutsche im Jahre 2021 ihre gelben Westen anziehen
werden, wenn der Benzinpreis um 7 Cent nach oben geht? Und ob bei uns
auch die Tankstellen brennen?
- Hongkong: Zum einen eskalierte die Gewalt – auf Seiten der Polizei,
die einen Demonstranten in den Tod gehetzt hatte, auf Seiten der
Demonstranten, die sich mit Pfeil und Bogen bewaffneten, um „auf Arme
und Beine der Polizisten“ zu schießen. Aber auch verbal wurde
aufgerüstet. Die SZ, deren Korrespondentin eher mit den Demonstranten
sympathisiert hatte, bezeichnete einige ihrer Forderungen „in ihrer
Absolutheit als Irrweg“. Und in Peking drohte Präsident Xi Jinping, dass
„jeder Versuch, wo auch immer in China, das Land zu spalten, mit
zerschmetterten Körpern und zerschlagenen Knochen enden wird“.
Wenn es um Spaltung geht, wäre aber als erstes die Vertreter der Partei
in der Uiguren-Provinz Xinjiang zu „zerschmettern und zerschlagen“.
Zum anderen aber gab es einen überwältigenden Sieg für die
Demokratiebewegung bei den Bezirkswahlen. Bei einem Stimmenanteil von
55% gewannen sie fast 90% der Sitze. Sie übernehmen damit 17 von 18
Bezirksräten, die vorher alle in den Händen des Peking-freundlichen
Lagers waren. Die Wahlbeteiligung lag bei 71,2%, ein Rekordergebnis, das
beweist, dass die „stille Mehrheit“ nach wie vor auf Seiten der
Protestbewegung ist.
Hongkong in Feierlaune
- Deutschland:
Wie bitte? Wir ein Unruheherd? Für die AfD sehr wohl, denn in der
Debatte zum Mauerfall warnte der Abgeordnete Chrupalla von einem neuen
„antideutschen Trennwall“, während sein Parteikollege Holm Deutschland
schon wieder „auf dem Weg in die Diktatur“ sah. Wir bedienen uns bei
Präsident Macron und bezeichnen die beiden Herren als „hirntot“.
25. November: … zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen
An sich haben wir diesen Gedenktag schon im Oktober vorweggenommen, aber
es hat sich da einiges getan, das eine Fortsetzung der Reihe „Frauen
fallen, Frauen stehen auf“ rechtfertigt. Natürlich könnten wir mit den
„Alltagsproblemen“ beginnen, als da sind:
- Attacken im Netz: In Großbritannien haben weibliche Abgeordnete aller
Parteien auf eine erneute Kandidatur bei den Parlamentswahlen im
Dezember verzichtet. Der Grund: Beleidigungen und Drohungen in den
sozialen Medien. Boris Johnson hat die Ängste seiner Kolleginnen als
„Humbug“ bezeichnet. Gewählt haben ihn auch die Frauen.
- Übergriffe: Die Vorwürfe gegen den Intendanten der Tiroler Festspiele
in Erl wegen „vulgärer Anmache, Aufforderung zum Sex, unerwünschter
Küsse“ wurden von der österreichischen Gleichbehandlungskommission als
„glaubhaft“ bewertet. Für die Inszenierung der nächsten Passionsspiele
wird er wohl nicht zur Verfügung stehen.
- Mord: In Ankara starb im Mai 2018 die Studentin Sule Cet beim Sturz
aus einem Hochhaus. Die Version der beteiligten zwei Männer, es wäre
„Selbstmord“ gewesen, hat der erste Richter geglaubt. Dann kam es zu
Protesten von Frauenorganisationen, ein Vater wollte wissen, wie seine
Tochter wirklich starb, und ein Anwalt sorgte dafür, dass Handydaten
ausgewertet und Verfahrensfehler berichtigt wurden. Es kann zu einem
Indizienprozess. Im Dezember wurde der Haupttäter wegen Vergewaltigung
und Mord zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt - für die Türkei
eine Sensation!
Aber diesmal wollen wir uns verstärkt den rebellischen Frauen zuwenden.
- Am Gedenktag kam es in Rom zu einer Demonstration von Zehntausenden
von Frauen und etlichen Männern. Die Teilnehmer/innen hielten weiße
Blätter hoch, auf denen schwarz die Daten von Frauen standen, die
umgebracht worden waren. In der Mitte aber stand groß
„Presente/Anwesend“.
- Noch beeindruckender (und für manche Männer beängstigender) sind, so
der Titel im Merkur, die „Mutigen MeToo-Frauen unter dem Schleier“. Da
gibt es den Hashtag #mosquemetoo, auf dem Frauen von sexuellen
Übergriffen in Moscheen oder bei Pilgerfahrten nach Mekka berichten, da
entfachen tunesische Frauen einen Shitstorm gegen einen Exhibitionisten
vor einer Schule, da protestieren Frauen im Iran gegen die strenge
Kleiderordnung, indem sie (unbedeckt) Blumen in der U-Bahn von Teheran
verteilen, da genießen die Frauen in Saudi-Arabien ihre neuen Freiheit
am Steuer, da kommt es sogar im Gazastreifen, wo die Menschen in erster
Linie mit dem Überleben beschäftigt sind, zu einem Frauenprotest gegen
die Zunahme häuslicher Gewalt.
Aber ihre Bäume wachsen nicht in den Himmel. In Saudi-Arabien sind die
Freiheiten von oben verordnet, weil man Angst vor einem Aufstand der
jungen Leute hat, im Iran ist die junge Frau aus der U-Bahn zu 16 Jahren
Haft verurteilt worden, und der Exhibitionist vor der Schule in Tunis
hat sein Amt als Abgeordneter angetreten.
Die Kurznachrichten
- Helle Empörung, wenn auch nicht zu Unrecht, herrschte, als zu Beginn
des Monats der Clanchef Ibrahim Miri, der im Juli abgeschoben worden
war, wieder illegal einreiste und erneut einen Asylantrag stellte.
„Frechheit siegte“ diesmal aber nicht, denn schon drei Wochen später
wurde er wieder in den Libanon abgeschoben. Die Kosten für die
Abschiebung in Höhe von 65 000€ soll zur Hälfte er übernehmen, aber die
wird man ihm wohl erst bei der nächsten Einreise abknöpfen können.
- Auch eine Gruppe von AfD-Abgeordneten hat es in den Nahen Osten
verschlagen, ist aber leider wieder zurückgekommen. Sie haben eine
einwöchige Reise nach Syrien gemacht und dort kategorisch festgestellt,
dass das Land so sicher ist, dass man „heute dort schon Urlaub machen
kann“. Allerdings ist anzumerken, dass sich die Gruppe vorwiegend in
Damaskus aufhielt, das fest in der Hand von Assad ist.
- Donald Trump hat drei Soldaten begnadigt: Der eine war wegen der
Ermordung von unbewaffneten Zivilisten in Afghanistan verurteilt worden,
der andere stand wegen rechtswidriger Tötung eines Bombenbauers der
Taliban unter Anklage. Ein dritter Soldat war zwar vom Vorwurf
freigesprochen worden, einen gefangenen IS-Kämpfer erstochen zu haben,
wurde aber degradiert, weil er neben der Leiche für ein Foto posiert
hatte. Trump hat dafür gesorgt, dass das Urteil aufgehoben, die Anklage
fallen gelassen und die Degradierung rückgängig gemacht wurde. Er steht
schon mitten im Wahlkampf und weiß, welche Botschaft solche
Begnadigungen auf Militärangehörige und Veteranenverbände aussenden.
Das boxe ich durch.
- Schlagzeilen
machten auch die China Cables, „Innereien“ aus der Führungsebene der
Kommunistischen Partei Chinas, die auf verschlungenen Wegen dem Netzwerk
Investigativer Journalisten zugespielt wurden. Die Dokumente beschreiben
die Unterdrückungsmaßnahmen in der Uiguren-Region Xinjiang und deren
Auswirkung auf die Bevölkerung. Zusammenfassend kann man sagen: Vieles
war bekannt, aber alles ist viel schlimmer. Was sich aber eher hinter
den Kulissen abspielte, war das „Engagement“ deutscher Unternehmen in
dieser Region, das weitgehend nach dem Motto „Augen zu und durch“
verläuft. Siemens macht dort Geschäfte, BASF ist da, und Volkswagen hat
sogar ein Werk errichtet, „das nach Ansicht von Experten zwar nicht
rentabel ist“, es dem Konzern aber ermöglicht, an der Ostküste Chinas
neue Fertigungsanlagen aufzumachen. Von Adidas hat man gehört, dass man
die Beziehungen zur Firma Huafu storniert hat, weil sie Zwangsarbeiter
beschäftigen soll.
Die SZ hat klar (wenn auch nicht sehr industriefreundlich) Stellung
bezogen:
„Die deutschen Beziehungen zu Peking müssen grundsätzlich auf den
Prüfstand gestellt werden. … China ist Deutschlands größter
Handelspartner. Das Land nutzt die Abhängigkeit aber, um Druck auf
Berlin auszuüben. Will Deutschland unabhängig bleiben, muss es sich
davon befreien. Es braucht … eine gemeinsame europäische
Chinapolitik.“
- Im Mittelmeer sind die moslemischen Korsaren des 16. Jahrhunderts
wieder auferstanden. Ende Oktober wurde das Rettungsschiff „Alan Kurdi“
bei einer Rettungsaktion von libyschen Milizen massiv behindert. Es
wurden Warnschüsse abgefeuert und auch auf Flüchtlinge gezielt, die aus
dem sinkenden Schlauchboot gesprungen waren. Die libysche Marine weiß
von nichts, die Hamburger Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf.
- Ein SZ-Artikel unter dem Titel „Kugeln gegen Recherchen“ wies auf die
Gefährdung von Journalisten hin. Sie sterben in Mexiko, wenn sie die
Bandenkriminalität und deren Verflechtung mit Politik und Polizei
untersuchen, sie erfahren Repressalien, wenn sie über heißes Material
wie die Panama Papers berichten, sie sind besonders gefährdet, wenn sie
sich mit Umweltproblemen befassen. Seit 2010 wurden weltweit mindestens
550 Journalisten wegen oder bei ihren Recherchen getötet. Und ein
Großteil dieser Verbrechen wird nie aufgeklärt. In Malta und in der
Slowakei aber deutet sich an, dass es auch einmal den Auftraggebern an
den Kragen gehen könnte.
Erfolgsgeschichten – oder der Ansatz zu solchen
- Die Justiz in Deutschland hat eine lobenswerte Premiere hingekriegt.
Zum ersten Mal weltweit wurde gegen zwei Schergen Assads Anklage wegen
„Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ erhoben. Der eine, Anwar R., war
einst Chef eines Foltergefängnisses des Geheimdienstes gewesen und hatte
sich dann abgesetzt. Als er im Februar in Rheinland-Pfalz festgenommen
wurde, zeigte er keine Spur von Reue. Er habe halt „seinen Job“ gemacht.
- Auf den Philippinen ist dem Macho Duterte in Gestalt seiner
Vizepräsidentin Leni Robredo eine mutige Widersacherin erstanden. Frau
Robredo kritisiert vor allem die drakonische Drogenpolitik ihres Chefs.
Sie wirft der Polizei, die Duterte sowohl als Spürhunde wie auch als
Vollstrecker einsetzt, vor, dass sie ihre Macht missbrauche und dass
Täter, die „etwas überzogen haben“, straflos davonkämen. Ihren Job als
Vorsitzende des Ausschusses zur Drogenbekämpfung hat sie inzwischen
wegen „Inkompetenz“ eingebüßt, ob es ihr aber nicht ergehen wird, wie
2017 der Senatorin Leila de Lima, die seither wegen „Drogenhandels“
inhaftiert ist, steht in den Sternen.
- Aus den USA kommt eine Geschichte, wie sie, ist man geneigt zu sagen,
nur die Justiz in Texas schreiben kann. Die Vollstreckung des
Todesurteils gegen Rodney Reed wurde fünf Tage vor der Vollstreckung
gestoppt und auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Der Hintergrund zu diesem
Fall ist so etwas wie ein „texanischer Archetyp“: Afroamerikaner
vergewaltigt und ermordet weiße Frau, die mit einem weißen Polizisten
verlobt ist. Die Beweisführung ist lückenhaft, die Gegenbeweise, die
häppchenweise auftauchen, erdrückend, aber das Urteil wird (fast) bis
zum bitteren Ende aufrechterhalten. Selbst republikanische Politiker
fürchten um das Image der texanischen Justiz und warnen vor einer
Hinrichtung Reeds „ohne Sicherheit über seine Schuld“.
Ende des Monats kam dann die Freilassung des Deutschen Jens Söring dazu,
aber diese Geschichte heben wir uns für Dezember auf, als er in
Deutschland auf zwei „Empfangskomitees“ traf, die auf seine Freilassung
sehr unterschiedlich reagierten.
- Und dann war im November der 30. Jahrestag eines Dokuments zu feiern,
dessen Forderungen unendlich wichtig und (bei allen Fortschritten) auch
unendlich unerfüllt sind: die UN-Konvention zur Rechte der Kinder.
Schulbildung, Ernährung, Klagerecht auf der Aktivseite der Bilanz, alte
und neue Gefährdungen auf der Passivseite. (Kindersoldaten, Missbrauch,
Cybermobbing) auf der Passivseite. In Deutschland sollen die
Kinderrechte jetzt im Grundgesetz verankert werden.
Was wird er da entdecken?
- Unter die Haut
ging auch der Besuch Angela Merkels in Zwickau, weil er zeigt, wie
gespalten unsere Gesellschaft manchmal daherkommt. In Zwickau gibt es
ein Mahn-mal für die Opfer der NSU, und der dazugehörige Gedenkbaum war
im Oktober von Unbekannten gefällt worden. Ganz so unbekannt aber sind
sie nicht, denn sie könnten zu einer Gruppe gehören, die die Einweihung
des neuen Mahnmals durch „Merkel muss weg“-Rufen zu stören versuchten.
Die Kanzlerin legte eine weiße Rose nieder, zusammen mit Schülern eines
Gymnasiums, die damit ein Signal aussenden wollten,
„dass wir nicht nur ein Nazi-Problem haben, sondern dass wir auch
dauerhaft für ein buntes Zwickau einstehen“.
Zehn Bäume im Stadtpark von Zwickau
Wir sind
beim letzten Monat der Reihe GmbH 2019 angelangt. Gmbh heißt in diesem
Bericht immer „Gemeinschaft mit beschränkter Hoffnung“, und als solche
hat sich die Menschheit auch im Dezember präsentiert, passend zu
Weihnachten, wo ja auch den Königen, die die Geschenke bringen, schon
die Schergen des Königs Herodes über die Schulter schauen, die den Tod
verbreiten. Wir fangen diesmal mit den Geschenken an, wo das Gold
glänzt, die Myrrhe bitter schmeckt und sich einige Leute so exponiert
haben, dass sie sich (ein paar Körnchen) Weihrauch verdient haben.
- Eindrucksvoll war der Gottesdienst im Münchner Dom, der den Toten im
Mittelmeer gewidmet war und zur Solidarität mit den privaten
Seenotrettern aufrief. Die Kirche war voll, und als Kardinal Marx die
Politik daran erinnerte, dass „die Flüchtlinge die Prüfsteine des
christlichen Abendlandes sind“, brandete spontaner Beifall auf.
Drei Mann vor einem Boot
Als im Januar
2020 dann die Nachricht die Runde machte, dass sich die Kirchen auch
finanziell an der Seenotrettung beteiligen wollten, wurde das einigen
Leuten doch zu viel. Im Netz forderten sie die Köpfe von Marx und
Bedford-Strohm. Kein Gold ohne Myrrhe!
- Ebenfalls in Richtung Politik ging die Protestaktion von Jürgen
Müller, der ein Mädchen aus dem Wasser gerettet hatte und dafür die
Lebensrettermedaille bekam. Er brachte sie der Staatskanzlei in München
zurück, mit der Begründung, er sehe
„einen Widerspruch darin, dass er für die Rettung eines Mädchens aus
einem bayrischen Fluss geehrt wurde, während Seenotretter im
Mittelmeer … strafrechtlich verfolgt werden. Dabei sei ein Leben immer
gleich viel wert.“
Dem letzten Satz stimmte auch der Leiter der Staatskanzlei zu.
- Gegen den Strom schwamm auch Prags Oberbürgermeister Hrib, der eine
Partnerschaft mit Peking aufkündigte und dafür mit Taipeh/Taiwan
anbandelte. Peking hatte Investitionen und die Lieferung eines
Pandabären versprochen, die Zusagen aber nicht eingehalten. Außerdem
hatte Hrib die Frechheit besessen, am Rathaus unter internationalen
Flaggen auch die von Tibet aufzuziehen und Taiwan zu besuchen. Von
Taipeh bekommt Prag nur noch ein Gürteltier.
- Wie Siemens und Volkswagen hat es auch der FC Arsenal, der Klub von
Mesut Özil, vorgezogen, gegenüber Peking auf der Kriechspur zu fahren.
Özil hat mit seiner Hymne auf die „Brüder in Ostturkestan“ (Uiguren)
aber nicht nur seinen Klub gegen sich aufgebracht, sondern auch seine
chinesischen Fans, das chinesische Staatsfernsehen - und die muslimische
Gemeinschaft. Er schrieb nämlich:
„Die westlichen Staaten machen seit Monaten auf die Verfolgung der
Uiguren aufmerksam. Warum nicht die muslimische Welt?“
Drache und Fußball
Das wird auch
seinem Trauzeugen Erdogan nicht sehr geschmeckt haben. Der baut ja schon
die Raststätten für die Neue Seidenstraße.
- In Berichten über Saudi-Arabien sieht man jetzt öfter lachende Frauen.
Man hat, wie gesagt, Angst vor einem Aufstand der jungen Leute, und
deshalb wird die Gender-Apartheid in manchen Bereichen etwas gelockert.
Frauen dürfen jetzt sogar denselben Eingang in Restaurants und Cafés
benutzen wie Männer.
Wie soll das einmal enden?
Dass sie das Maul
nicht allzu weit aufmachen sollten, v.a. wenn es um Kronprinz bin Salman
geht, haben Frauenaktivistinnen schmerzhaft erleben müssen.
- Abseits der Schlagzeilenkonflikte schwelt seit Jahren in der
Westsahara der Streit zwischen Marokko und der Befreiungsbewegung der
Sahrauis. Aminatou Haidar, die „Gandhi der Westsahara“, kämpft gewaltlos
dafür, dass ein Referendum über die Zukunft der Region abgehalten wird.
Für ihr Engagement, dem eine brutale Inhaftierung durch den
marokkanischen Geheimdienst vorausgegangen war, erhielt sie jetzt den
Alternativen Nobelpreis.
Die Kurznachrichten
Deutschland
- Da in der Weihnachtsbotschaft fliegende Objekte /Engel eine wichtige
Rolle spielen, wollen wir mit einer Episode beginnen, in der auch etwas
geflogen ist. Da gab es vor dem BAMF in Nürnberg eine Demo, mit der
Frauen auf die „menschenunwürdigen Zustände in den Flüchtlingslagern“
hinweisen wollten. Im Vorfeld hatte eine der Organisatorinnen der
Polizei zugesagt, dass keine „Dinge über den Zaun geworfen werden
sollen“. Dann aber flogen 50 Papierflieger, weil man es „auf dem Luftweg
versuchen“ wolle, Verbesserungen zu erreichen. Die Staatsanwaltschaft
sah in den Fliegern ein „Ding“ (und kein Flugblatt!), die Richterin sah
eine „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ und verurteilte zu einer
Geldstrafe auf Bewährung und zur Zahlung von 300€ an ein Frauenhaus. Die
„Papierfliegerterroristin“ erwägt, ihn Revision zu gehen. Wir gehen mit!
Es sind schon ganz andere Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt
worden.
- Glück im Revisionsverfahren wünschen wir auch der hessischen Gemeinde
Ranstadt. Sie hatte NPD-Plakate mit folgendem Wortlaut abhängen lassen:
„Stoppt die Invasion: Migration tötet! Widerstand – jetzt!“ Der Richter,
der über die Abhängung zu entscheiden hatte, sah darin keine
Volksverhetzung, sondern bewertete das Plakat als „die Realität
teilweise darstellend“. Als Beweis führte er Morde durch Asylbewerber
auf, deutete an, dass das Gewaltmonopol des Staates bedroht sein könnte
und es dadurch auf lange Sicht zu einem „schleichenden
Untergang“/Invasion des Staatswesens kommen könne. Wir kontern mit der
Behauptung, dass die große Mehrheit der Migranten keine Mörder sind,
dass der Staat bei Verbrechen von Flüchtlingen sein Gewaltmonopol sehr
wirksam ausübt und dass es eher solche Richter sind, die, wenn es mehr
von ihnen gäbe, den schleichenden Untergang des Staatswesens bewirken
würden.
- Auf der rechten und halbrechten Flanke hat sich natürlich noch mehr
getan. Seit dem 9. Oktober, dem Attentat in Halle, häufen sich auch im
Raum München antisemitische Vorfälle: Beschimpfungen auf dem Weg zur
Synagoge, Vergasungssprüche in Klassenchats, Schmierereien im
Treppenhaus einer jüdischen Familie, Steine auf ein israelisches
Restaurant, Schändung einer Gedenktafel. Und dann noch der Überfall in
der Wohnung einer Frau, die als Zeugin in einem Prozess gegen einen
Rechts-extremisten aussagen sollte. Die Frau wurde gewürgt und auf den
Kopf geschlagen, und die Täter hinterließen ein Graffito, das in ihren
Kreisen „als Chiffre für Selbstjustiz“ gilt.
- Zu denken gibt aber auch das Abstimmungsverhalten der Bürger in
Garmisch-Partenkirchen. Es geht um die Erinnerung an den Ehrenbürger
Hermann Levi, ein bekannter (jüdisch-stämmiger) Dirigent und Komponist
des 19. Jahrhunderts. Der Gemeinderat wollte einen Kurpark in
Hermann-Levi-Park umbenennen, fand aber bei einem Bürgerentscheid keine
Mehrheit. Schon 2012 war der Versuch gescheitert, einen Teil der
Hindenburgstraße nach Levi zu benennen. Und Hindenburg gilt heute in der
seriösen Geschichtsschreibung als einer der Totengräber der Weimarer
Republik! Wenn man hinzunimmt, wie ein Mann wie der Militärrichter
Manfred Röder, Ankläger im Prozess gegen die Widerstandsgruppe „Rote
Kapelle“ mit 45 Todesurteilen, es in der Gemeinde Glashütten/Taunus bis
zum 2. Bürgermeister bringen konnte, fällt einem wieder der Spontispruch
der 1968er ein:
„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem er kroch.“
- In dieses Beuteschema passt natürlich auch der (Tot)Schlag in
Augsburg, mit dem ein Jugendlicher im Verlauf eines nächtlichen Streits
einen Feuerwehrmann getötet hat. Wer so zuschlägt, Vorsatz hin, Vorsatz
her, dass das Opfer zu Tode kommt, gehört entsprechend bestraft, dass
man aber gleich wieder von „Migrantengewalt“spricht, der Täter hat neben
der deutschen noch zwei andere Staatsbürgerschaften, das ist Demagogie à
la Alice Weidel.
Jens Söring wieder in Deutschland
- Ein
denkwürdiges Ereignis spielte sich kurz vor Weihnachten auf dem
Frankfurter Flughafen ab. Jens Söring, des Doppelmordes an den Eltern
seiner damaligen Freundin mit angeklagt, ist nach mehr als 33 Jahren
Haft nach Deutschland entlassen worden. In den USA wird die Schuldfrage
sehr konträr gestellt. Für die Nachbarn der ermordeten Eltern gibt es
keine Zweifel an der Täterschaft von Söring und seiner Ex-Freundin, ein
Strafverteidiger spricht vom „Mythos von Sörings Unschuld“. Dieser
Mythos wurde jedoch von „gewichtigen“ Personen aufgebaut. So sind einer
der früheren Ermittler, eine Staatsanwältin und ein (republikanischer)
Sheriff von Sörings Unschuld überzeugt.
Konträr war allerdings auch der Empfang in Deutschland. Auf der einen
Seite Mitglieder des Helferkreises, Dutzende von Journalisten und ein
leibhaftiger Regierungsvertreter, auf der anderen Seite Kritik von Graf
Lambsdorff, weil da „ein Verbrecher wie ein Staatsgast“ empfangen wurde
und ein bösartiger Artikel im Merkur, der in dem Satz gipfelte: „Und es
wird klar. Der Mann fällt weich.“ Wir erlauben uns anzumerken, dass da
jemand, dessen Schuld sehr fragwürdig ist und der bei uns, wenn
überhaupt, nach dem Jugendstrafrecht verurteilt worden wäre, etwas
Aufmerksamkeit und Unterstützung bei der „Reanimation“ verdient hat.
Ausland
von Osten nach Westen
- China hat, nach eigenen Angaben, die Kampagne zur Deradikalisierung in
Xinjiang beendet. Alle „Studenten der Zentren, die die Nationalsprache
und das Gesetz studiert und eine betriebliche Ausbildung gemacht haben,
… haben ihren Abschluss gemacht.“ Noch selten hat man Lagerinsassen
schöner benannt.
- Bei einem Auftritt vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag hat
sich die Staatsrätin von Myanmar, Aung San Suu Kyi als
machiavellistische Komplizin der Generäle erwiesen. Sie räumte zwar ein,
dass es beim Kreuzzug gegen die Rohingyas zu „unverhältnismäßiger
Gewalt“ seitens des Militärs gekommen sein könnte, wies aber den Vorwurf
des Völkermordes zurück. Und was das für Gewaltakte gewesen sind, würde
eine interne Untersuchung der Armee aufdecken. Das Wort „Rohingya“ nahm
sie nicht einmal in den Mund. Die Frau war früher einmal
„Menschenrechtsikone“.
- In Indien existiert ein brutales Ausbeutersystem in der Textilbranche.
Junge Mädchen werden in illegale Verträge gelockt, müssen
Doppelschichten leisten, haben ein hohes Unfallsrisiko, aber keine
medizinische Versorgung, schlafen zu zehnt in Zimmern auf dem
Fabrikgelände und erhalten nach drei Jahren ein „Brautgeld“ von 400€.
- In Saudi-Arabien wurden fünf Männer wegen der Ermordung von Jamai
Khashoggi zum Tode verurteilt. Es handelt sich um die Männer, die im
Bericht der UN-Sonder-berichterstatterin enttarnt worden waren. Die
beiden Hauptverdächtigen wurden freigesprochen, der Kronprinz wurde
nicht einmal vorgeladen.
- In Russland wurde das Gesetz zu „ausländischen Agenten“ ausgeweitet.
Man hat eine Art Davidsstern für Journalisten und Blogger eingeführt.
Sie müssen auf ihren Veröffentlichungen vermerken, dass sie ausländische
Agenten sind. Und dann ging man wieder einmal gegen die Stiftung des
Regimekritikers Nawalny vor. Sein Büro wurde durchsucht, die Computer
beschlagnahmt und sein Mitarbeiter zum Militärdienst eingezogen, auf
einen Stützpunkt in der Arktis, damit er aus dem Weg ist. Dafür hat man
„Milde bei einer Symbolfigur“ walten lassen. Der Student Jegor Schukow,
der zusammen mit 1400 anderen Menschen bei der Demo gegen die
Kandidatenliste für die Moskauer Stadtratswahl verhaftet worden war,
musste nicht ins Lager, sondern kam mit einer Bewährungsstrafe davon.
- In Syrien geht der Kampf um Idlib in seine letzte Phase. Assad und
sein Spießgeselle Putin bombardieren nach Herzenslust, mehr als 200 000
Menschen sind auf der Flucht (aber wohin?), und in der UN wird darum
gefeilscht, wie viele Grenzübergänge für Hilfslieferungen geöffnet
werden sollen. Der Westen schweigt dazu, so laut wie man nur schweigen
kann.
Die GmbH ist am Jahresende 2019 in argen Nöten, und wir haben viel
Verständnis für unseren Außenminister Heino Maas, der am 10. Dezember
zur AEMR gesagt hat,
„Nach Jahrzehnten des Fortschritts hat es den Eindruck, dass wir uns
immer weiter davon entfernen.“
Aber er versprach auch, sich 2020 dafür einzusetzen, „den Rollback zu
stoppen“. Also gibt es auch für uns, auf einer unteren Ebene, weiter was
zu tun.
Der
Tätigkeitsbericht ist, das sei vorweggenommen, um die geneigten
Leserinnen und Leser zu entspannen und zum Endlesen zu führen,
- nicht so traurig,
- nicht so dramatisch,
- nicht so absurd,
- und (vor allem) nicht so lang,
wie die Chronik der verlaufenen Monate. Wir haben als Gruppe das Jahr in
Freiheit verbracht, waren keinen Drohungen ausgesetzt, sind nicht als
„ausländische Agenten“ eingestuft worden und konnten wieder unbeschadet
heimgehen, wenn wir uns auf der Straße bei Demos rumgetrieben haben. Da
waren wir nämlich auch wieder dabei. Ein Großteil unserer Arbeit aber
erstreckte ich wieder auf
Die sollte man
nicht unterschätzen, die, denen unsere Appelle helfen sollen, tun es
jedenfalls nicht. Als der ukrainische Filmemacher Oleg Senzow im
September bei einem Gefangenenaustausch freikam, hat er sich auf einer
Pressekonferenz auch bei den Briefeschreibern von AI bedankt:
Ich erhielt viele Briefe von Amnesty International. Vielen Dank. … Für
jeden Gefangenen, ganz gleich, ob er ein politischer Gefangener … oder
sonst etwas ist, ist es so wichtig, Briefe zu empfangen, während er im
Gefängnis ist. Es ist das wichtigste. Selbst wenn man den ganzen Tag
nichts gegessen hat, wenn man keine Pakete bekommen hat, oder wenn sie
dir was angetan haben, dann wartet man und hofft auf Briefe. Deshalb
schreibt, schreibt, schreibt! Ganz gleich über was! Es hilft wirklich.“
Senzows Freilassung war letzten Endes ein Deal zwischen Präsidenten,
aber wenn er meint, die Briefe hätten ihm geholfen, dann schreiben wir
weiter.
Appell für Eren Keskin: juristische Schikanen beenden (Januar)
In den Kampagnen zum Schutz von Menschenrechtlern taucht ihr Name immer
wieder auf. Als nominelle Herausgeberin einer prokurdischen Zeitung
sieht sie sich derzeit 129 (!) Gerichtsverfahren gegenüber, bei denen in
erster Instanz bereits Urteile über mehr als 12 Jahre Haft gefällt
wurden. Sie liegt AI Deutschland besonders am Herzen, weil sie 2001
unseren Menschenrechtspreis bekam. Eine nächste Anhörung in ihren
Verfahren ist für Januar 2020 geplant.
Brief an den Vorstand: Unsere Position zum AI-Mandat bei Abtreibungen
(Januar)
Wir wandten uns gegen die Befürwortung eines generellen Rechts auf
Abtreibung, unterstützen aber eine Straffreiheit bei
Schwangerschaftsabbrüchen, wenn dafür bestimmte Voraussetzungen gegeben
sind (Indikationen, Einhaltung von Fristen). Das sei auch mit dem
Lebensrecht des ungeborenen Kindes abzuwägen. Wir stehen aber hinter dem
bisherigen Mandat, das Frauen unterstützt, die bei Abbrüchen
Mordanklagen und damit exzessiven Strafen ausgesetzt sind. Der Vorstand
hat sich für den Brief bedankt und uns auf spätere Sitzungen des
Internationalen Rats vertröstet. Mit Genugtuung haben wir auf einer
Bezirksversammlung in München festgestellt, dass eine differenzierte
Haltung zum Thema kein Alleinstellungsmerkmal der Miesbacher Gruppe ist.
Petition für Menschenrechtler in der Demokratischen Republik Kongo
(Februar)
In der DRK werden nach Schätzungen derzeit 13 000 Kinder als Soldaten
oder Sexsklaven eingesetzt. Menschenrechtler wie Murhabazi Namegabe und
seine „Freiwilligenbüros für Kinder und Gesundheit/BVES“ ist es zwar
zwischenzeitlich gelungen, die Zahlen von Kindersoldaten zu reduzieren,
aber seit zwei Jahren ist wieder ein Anstieg bei der Rekrutierung von
Kindern zu verzeichnen. Zudem sind die Mitarbeiter der BVES ständigen
Drohungen ausgesetzt. Es gab Anschläge auf die Zentren und Entführungen
von Kindern, die dort behandelt werden. Ausbeute: 40 Unterschriften.
Internet: keine neuen Nachrichten.
Protest gegen die Todesstrafe im Südsudan (Februar – Juli 2019)
Dort hätte man angesichts der politischen Entwicklung (Bürgerkrieg bis
2018, brüchiger Frieden) wahrlich Anderes zu tun, als Menschen auch noch
nach allen Regeln der Justiz zu töten. Seit Mai 2018 sind sieben
Personen hingerichtet worden, und eine war noch ein Kind. In diesem Jahr
wurden auch 135 Todeskandidaten, darunter wieder ein Kind und eine
Mutter mit Kleinkind, in ein Zentralgefängnis verlegt, wo es mutmaßlich
die beste Infrastruktur (Galgen) für Hinrichtungen gibt. Unter ihnen
waren wohl auch die sieben Männer, die im Februar 2019 hingerichtet
wurden. Für sie kamen unsere Briefe zu spät. Auf der Petition haben wir
immerhin 117 Unterschriften gesammelt. Ob sie wenigstens dem Kind und
der Frau geholfen haben, wissen wir nicht. Aber es gab 2018 im Land den
Fall der 19-jährigen Noura Hussein, die nach einer Zwangsverheiratung
ihren Mann getötet hatte und auf internationale Proteste hin (zu fünf
Jahre Haft) begnadigt wurde.
Postkarten nach Iran: Nasrin Sotoudeh zu Peitschenhieben und 33/38
Jahren Haft verurteilt (März)
Eine drakonische Strafe wurde gegen die iranische Menschenrechtsanwältin
Nasrin Sotoudeh verhängt. Sie hat mehr als die Höchststrafe erhalten,
weil in ihrem Falle mehr als drei Anklagen vorgelegen hätten. Und was
für Anklagen: Störung der öffentlichen Ordnung, offenes sündhaftes
Auftreten in der Öffentlichkeit ohne Kopftuch, Anstiftung zu Korruption
und Prostitution“ – letztere, weil sie auch Frauen verteidigt hatte, die
gegen den Schleierzwang protestiert hatten. Ein anderer Anklagepunkt war
„Beleidigung des religiösen Führers“. Hat sie wahrscheinlich nicht
getan, aber da hätten wir mitgemacht! Im Juni 2019 haben auf einer
Online-Petition mehr als eine Million Menschen ihre Freilassung
gefordert. Wir werden ihr sicher 2020 wieder begegnen.
Beim Korrekturlesen habe ich gemerkt, dass ich ihren Fall schon im März
erwähnt habe, aber wenn wir zweimal an sie denken, bleiben ihr, so die
Chaostheorie, vielleicht die Peitschenhiebe erspart.
Einsatz für Oyub Titiev/Tschetschenien (März/April)
Im Rahmen der „Mut braucht Schutz“ Kampagne haben wir Briefe geschrieben
und/oder an einer Online-Aktion teilgenommen. Über sein Schicksal und
seine Freilassung haben wir im März berichtet.
Brief gegen das Vergessen in die Vereinigten Arabischen Emirate
(April)
Obwohl das Porto korrekt war, kam der Brief ungeöffnet zurück.
Vermutlich waren die Repräsentanten der VAE nach dem Jemen verzogen, wo
sie bis Juli 2019 noch in den Bürgerkrieg verwickelt waren. Jetzt, wo
der Großteil ihrer Truppen wieder abgezogen ist, haben sie vielleicht
auch Zeit, ihre Verhältnisse zuhause zu ordnen, z.B. um die Haftstrafe
gegen den Blogger und Menschenrechtler Ahmed Mansoor aufzuheben, der
sich in Interviews mit internationalen Medien für die Durchsetzung von
Menschenrechts-Standards ausgesprochen und dafür 10 Jahre wegen
„Rufschädigung“ bekommen hat. Wir sind der Meinung, dass der Ruf der
Emirate eher wegen ihrer Teilnahme am Bürgerkrieg im Jemen und wegen der
Behandlung von politischen Gefangenen gelitten hat. Im Mai zeigte sich
ein UN-Experte „tief besorgt“ über seine Haftbedingungen und seinen
Gesundheitszustand.
Petition für Sepideh Gholian und Esmail Bakshi (Mai)
Das sind zwei besonders gefährliche Gewerkschaftler aus dem Iran. Sie
wurden wegen ihrer Teilnahme an friedlichen Demonstrationen
(Arbeitsbedingungen, unbezahlte Löhne) von der Sicherheitspolizei
verhaftet und in deren Büro auf unsägliche Art misshandelt. Nach einer
Verlegung in ein Haftzentrum machte man ihnen deutlich, was sie zu
erwarten hätten. Originalton Sicherheitskräfte:
„Dieser Platz ist das Ende der Welt. Hier gibt es keine
Menschenrechte, und ihr habt keine Wahl, außer wie ein Hund zu
gestehen.“
Im Dezember 2018 kamen sie auf Kaution frei, im Januar 2019 wurden ihre
„Geständnisse“ (Verschwörung mit kommunistischen Gruppen … zum Umsturz
der Islamischen Republik) im Staatsfernsehen gezeigt, und nur einen Tag
darauf wurden sie wieder verhaftet, vermutlich weil sie auch die Folter
„gestanden“ hatten. Ein Rechtsbeistand wurde ihnen verweigert.
Wir haben die Petition auf der Maikundgebung des DGB in Schliersee, auf
dem SPD-Empfang in Holzkirchen und im Miesbacher Stadtrat aufgelegt und
60 Unterschriften gesammelt. Im Oktober wurden beide auf Kaution
freigelassen.
Online-Aktion gegen Wiederaufnahme von Hinrichtungen in Sri Lanka
(Juni)
Nachdem es am Ostersonntag zu den blutigen IS-Anschlägen auf Kirchen und
Hotels gekommen war, sah (der damalige) Präsident Sirisena den Boden
bereitet für die Wiederaufnahme der Todesstrafe – für Drogenhandel. Der
ist in Sri Lanka schon lange mit der Todesstrafe belegt. Sie wurde aber
seit 43 Jahren nicht mehr vollstreckt. AI ist der Meinung, das soll auch
so bleiben und hat sich nicht um das Amt des Henkers beworben, für das
man in der Tageszeitung „Daily News“ eine Anzeige geschaltet hatte. Im
Lande formierte sich (trotz der Attentate!) breiter Widerstand gegen die
Wiedereinführung der Todesstrafe, und das Oberste Gericht hat bisher
(Ende Oktober) ihre Vollstreckung blockiert.
Petition für ein Moratorium der Todesstrafe in Ghana (September)
In Westafrika hat es in den letzten Jahren erfreuliche Fortschritte
gegeben, die Vollstreckung der Todesstrafe auszusetzen oder sie gleich
ganz abzuschaffen. Ghana hat sie bisher für Verbrechen wie Mord und
Diebstahl mit Todesfolge beibehalten, aber seit 25 Jahren keine Urteile
mehr vollstreckt. AI appellierte an den Präsidenten, das Moratorium
beizubehalten und die Todesstrafe auf lange Sicht in Gänze abzuschaffen.
Wir waren noch in Urlaubsstimmung und haben nur 17 Unterschriften
zusammengebracht. Das ist uns etwas peinlich, da die deutsche AI-Sektion
Partner von AI-Ghana ist.
Postkartenaktion für Wang Quanzhang (Dezember)
Mit dem Fall des chinesischen Menschenrechtsanwalts Wang Quanzhang, mit
dem wir schon im Januar befasst waren, wurde unsere Weihnachtsruhe
empfindlich gestört. Er zeigt einmal mehr, mit welcher Brutalität die
Volksrepublik China mit unbequemen „Volksgenossen“ umspringt. Wang saß
drei Jahre in Haft ohne Kontakt zur Außenwelt und ohne Zugang zu einem
Rechtsbeistand. Seine Familie wusste nicht einmal, ob er noch am Leben
ist. Dann eine Verurteilung zu viereinhalb Jahren mit „guten“ Aussichten
darauf, in Haft misshandelt zu werden. Sein Vergehen: Einsatz für
Religionsfreiheit und Vertretung von Opfern der Landvertreibungen. Die
letzte Nachricht stammt vom Juni 2019. Seine Frau traf einen „völlig
veränderten Mann“ vor, als sie ihn zum 1. Mal seit fast vier Jahren
besuchen durfte. Wir plädieren als Sanktion für eine Blockade der Neuen
Seidenstraße, lange bevor sie den Hafen von Duisburg erreicht.
Weihnachtspostkarten nach Ägypten: Amal Fathy (Dezember)
Amal Fathy ist eine Frauenrechtlerin, die es gewagt hat, von ihren
Erfahrungen sexueller Gewalt im öffentlichen Raum zu berichten und die
Untätigkeit der ägyptischen Regierung zu kritisieren. Wegen „Verbreitung
falscher Nachrichten, Besitz anstößigen Materials und öffentlicher
Beleidigung“ wurde sie im September 2018 zu zwei Jahren Haft und einem
Bußgeld verurteilt. Ihr Leben spielt sich seither zwischen Gefängnis,
Entlassung auf Kaution, Bestätigung des Urteils und drohende
Wiederverhaftung ab. Es ist schwer zu sagen, welcher Anklagepunkt
abstruser ist. Mit dem „anstößigen Material“ sind wohl Berichte oder
Fotos von sexueller Belästigung gemeint, die in Ägypten, wie schon
erwähnt, weit verbreitet ist. Was die Untätigkeit von Regierung und
Polizei anbelangt, wird man den Verdacht nicht los, dass man es den
Männern durchgehen lässt, damit sie nicht auf „dumme“ (politische)
Gedanken kommen. Wir haben die Postkarten in der Gruppe verteilt und an
den ägyptischen Botschafter in Berlin adressiert, verbunden mit der
Drohung, wenn er nichts unternähme, würden wir ihn ebenfalls … (wurde
von der hauseigenen Zensur gestrichen). Im Mai wurde ihr ein
österreichischer Menschenrechtspreis verliehen, in Empfang genommen
wurde er, wie es bei solchen Preisen fast schon üblich ist, in
Vertretung von ihrem Ehemann.
Einmal mehr
haben wir uns als Profis im Trittbrettfahren erwiesen. Wir haben zwar
einige Sachen selbst organisiert, haben aber auch bereitwillig
Einladungen angenommen - oder uns gleich selbst eingeladen.
Weltgebetstag der Frauen (März)
Es ging über Slowenien, und wir waren dieses Jahr nur in Weyarn
vertreten. Das Land gehört ja nicht gerade zu unseren
Schwerpunktländern, wenn man von der Diskriminierung der Roma einmal
absieht. Die Weyarner scheinen das auch so gesehen haben, denn von
unserem Material wurde (eher) nichts mitgenommen. Im Jahre 2020 geht es
um Simbabwe. Da gibt’s dann keine mildernden Umstände mehr.
Menschenrechte beim „Frauenbildungsnetz“ in Holzkirchen (März)
Bernard hat mit einer VHS-Gruppe schon zum 3. Mal einen Workshop
veranstaltet. Sein Thema war diesmal „Geschichte und Bedeutung der
Menschenrechte“, den Schwerpunkt legte er, und das war keine
Themaverfehlung, auf die Arbeit von AI. Zur Freude von Thierry gingen
auch unsere Materialien gut weg.
Infoabend: 70 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (März)
Diese Veranstaltung sollte ein Event werden, denn wir hatten Bärbel
Kofler, MdB und Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung dafür
gewonnen, einen zugkräftigen Titel gefunden („AEMR – Wunschtraum oder
Erfolgsgeschichte?“), die Plakate gedruckt – und dann kam zwei Wochen
davor die Absage. „Frau Kofler muss den Außenminister bei einer
Menschenrechtskonferenz vertreten“, und im gleichen Aufwasch „steht auch
im nächsten Jahr nicht zur Verfügung“. Mails nach Genf, mit der Bitte,
die Konferenz um eine Woche zu verlegen und an den Außenminister mit der
Aufforderung, gefälligst selbst hinzugehen, blieben unbeantwortet.
Ostermarkt in Fischbachau (März)
Wir brauchten dringend ein Erfolgserlebnis und fanden es im Ostermarkt,
auch wenn wir heuer personell schwächelten und nur den Sonntag
beschicken konnten. Am Samstag stand an unserer Stelle eine Frau mit
Puppenkleidern, und die Leute werden sich gefragt haben, ob AI sein
Mandat schon auf Barbiepuppen ausgedehnt hat – was bei unserer
Mandatsdiskussion manchmal gar nicht so abwegig ist. (Vorsicht: Satire!)
„Kommet alle zu mir, …“
Leichte
Abänderung des Bibelspruchs: „… die ihr mühselig und beladen seid“ – in:
„vorausgesetzt ihr kauft etwas ein“.
Das Geschäft lief am Vormittag sehr erfreulich. Der große Renner waren
die Osterplätzchen, die gekochten Ostereier wurden gleich im Block
aufgekauft. An Stelle des Standgeldes erhielten wir von der
Organisatorin eine Spende. Am Nachmittag gab es „viele fröhliche
Gesichter, aber kaum noch Umsatz“. Bernard hatte eine Kundin, die sich
sehr für AI interessierte und sogar einen Jahresbericht mitnahm. Leider
ließ er sie entwischen, ohne sie „dingfest“ gemacht zu haben.
Ostermarsch (April)
Es war wieder ein bunter Haufen von ca. 300 Teilnehmern, darunter viele
junge Leute, der für „ein friedliches Europa, eine friedliche Welt … und
eine gerechte Klimapolitik“ durch Miesbach zog. Zur Schonung des Klimas
hätte man sich allerdings die Luftballons sparen können. Die Reden waren
recht gut, nur die Tiraden pro-Russland und anti-Nato eines Altlinken
sorgten für Widerspruch aus der Menge. („Hau ab!“) Als er von der
Verringerung der russischen Verteidigungsausgaben sprach, wusste er auch
noch nichts von der Hyperschallrakete, die Putin im Dezember mit den
Worten präsentierte, „damit wird jede Raketenabwehr hinfällig“. Es gab
viel Musik, gebackene Waffeln und das obligatorische Gedicht der
Edelweißpiraten, das genauso kantig aber inspirierter daherkam als im
letzten Jahr und das am Ende einer bedrohten Spezies ein Denkmal setzte.
„Und kommt mal wer zu dem Entschluss,
dass man dem Menschen helfen muss,
wird so einer blöd angemacht
und als Gutmensch ausgelacht.“
AI war mit 15 Mitgliedern und Angehörigen (und zwei Hunden) vertreten
und marschierte unter dem Banner der Menschenrechtserklärung.
Osterspaziergang – ohne Goethe
Maikundgebung
in Schliersee (Mai)
War wie immer ein Heimspiel, wenn auch nicht vor einem Publikum wie in
der Allianz-Arena. Es kamen etwa 20 Leute, viele ergraute Köpfe, aber es
herrschte nahezu Parität der Geschlechter. Als Referent hatte man einen
katholischen Betriebsseelsorger eingeladen, der sich einen Seitenhieb
auf die christlichen Gewerkschaften nicht verkniff. Wir wurden geradezu
gehätschelt, bei der Begrüßung, im Referat und im Abspann erwähnt. Die
Leute holten sich die U-Listen für die beiden iranischen Gewerkschaftler
selber ab und reichten sie von Platz zu Platz. Am Ende hatten 19 von 20
Besuchern unterschrieben, und wir waren acht Jahresberichte losgeworden.
Am Ende seines Vortrags stellte der Referent die rhetorische Frage:
„Gell, des hätten Sie sich vor 10 Jahren auch nicht vorgestellt, dass
die katholische Betriebsseelsorge auf einer DGB-Kundgebung spricht?“ Das
passte gut zu meiner Geschichte aus den 1950er Jahren, wo ein strammes
Mitglied der katholischen Jugend (ICH) sich weigerte, beim Absingen von
„Brüder, zur Sonne zur Freiheit“ aufzustehen und dafür fast Prügel
bezogen hätte. Heute stehe ich auf und singe kräftig mit.
Demo: Ein Europa für alle (Mai)
Wir hatten mit dem Ostermarsch (Demo)Blut gerochen, und so waren einige
von uns auf dem Marsch vor den Europawahlen auch wieder vertreten,
genauer gesagt, die einen waren, die anderen wollten. Die BOB hat
nämlich die Demo boykottiert und uns ab Holzkirchen die Weiterfahrt
verweigert. Wer mehr Geduld bewiesen hat, bekam noch genügend mit, denn
die Veranstaltung ging bis in den späten Nachmittag hinein. Demonstriert
wurde für viele Anliegen, die auch AI lieb und teuer sind, und deswegen
nahmen auch die Münchner AI’ler mit einer mittelgroßen Gruppe teil,
obwohl AI bei Veranstaltungen mit anderen Gruppierungen/Parteien
manchmal unter Berührungsängsten leidet. Auch Anneliese wurde eine gelbe
AI-Weste verpasst.
Infostand in Miebach (Juni)
Wir hatten uns der bayernweiten Aktion zu den „Briefen gegen das
Vergessen“ angeschlossen und waren reichlich mit Material versehen
worden. Außerdem hatten wir eine U-Liste gegen die Todesstrafe im
Südsudan ausgelegt. Die Lokalpresse hatte ausführlich über den Infostand
berichtet, die Zeugen Jehovas hatten ihren Stand abgesagt, sodass wir
nicht gegen Bekehrungsversuche ankämpfen mussten, sondern unsererseits
die Passanten dazu „bekehren“ konnten, unsere Briefe mitzunehmen und die
Listen zu unterschreiben.
Es begann mit der Frage der Bäckersfrau, ob wir wirklich nicht von der
AfD seien. Dann antwortete der erste Passant mit einem entschiedenen
„Na!“, das so klang, als wolle er gleich die Polizei rufen. Drei
Passanten lächelten uns freundlich an, mussten aber zur Arbeit. Es kann
ja am Samstagvormittag nicht jeder müßig am Infostand rumhängen. Dann
kamen aber auch Frauen, die unterschrieben und Briefe mitnahmen, eine,
die Interesse an unserem Monatsabo zeigte, und schließlich ein bärtiger
Mann, der so bayrisch sprach, dass ihn unsere Holzkirchner nicht mehr
verstanden. Und da war auch noch eine Frau, die die Petition nicht
unterzeichnete, weil sie schon Mitglied bei Greenpeace sei. Der müsste
man einen Vortrag über Synergieeffekte halten. Insgesamt verlief die
erste Schicht „ein wenig zäh“, und das, obwohl Monika einen
eindrucksvollen Blickfang mit einer Kollage von den „vergessenen
Gefangenen“ gestaltet hatte.
Die 2. Schicht zeigte mit vier Leuten geballte Präsenz und war von der Resonanz des Publikums angenehm überrascht. Sie wurden für das Engagement von AI gelobt, „die Stimmung war positiver, weniger misstrauisch“. Wir bekamen insgesamt 44 Unterschriften und wurden 27 Briefe los, darunter auch Briefe für eine Transgender-Frau und einen LGBTI-Aktivisten. Die Erfolgsmeldungen zu den Monatsbriefen, die es auch gibt, fanden leider wenig Interesse, obwohl uns diese Frage immer wieder gestellt wird.
Uns kann man nicht vergessen
Ausstellung
„Alle Menschen“ (Juni – Juli)
Der (zunächst nichtssagende) Titel der Fotoausstellung zum 70.
Geburtstag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte geht auf deren
„Geburtshelferin“ Eleanor Roosevelt zurück, die die AEMR der
UN-Generalversammlung als „internationale Magna Carta aller Menschen“
vorgestellt hat. Wir rechneten bei der Eröffnung nicht mit dem Kommen
„aller Menschen“, sondern hatten eher Angst vor dem Alleinsein, aber
dann kamen doch 28 Leute, und es waren beileibe nicht die, die bei der
Eröffnung des Volksfestes keinen Platz im Bierzelt mehr gefunden hatten.
Aufgespielt hat die Gruppe „La Musica“ unter Leitung von Ludwig
Pschierl, die in veränderter Formation schon einmal für uns aufgetreten
ist und die, eigens für die Ausstellung, ein afrikanisches Lied
thematisch bearbeitet hat.
„Rund um den Äquator, scheint immer die Sonne,
Palmen wiegen sich im Wind, es ist eine Wonne!
Die Menschen sind fröhlich, bunt und lebendig, rund um den Äquator,
obwohl es ihnen dreckig geht – abgesehen vom Diktator."
Einer der vier Einträge im Gästebuch lautete: „Danke für die Ausstellung
und die tolle Musik.“
Besuchermassen
Der Besuch bei den ersten zwei Führungen war dann mehr als mäßig Und ich kam mir vor wie die Häftlinge in ihren Pyjamas.
Nostalgischer Blick nach draußen
Dann aber kam
Führung Nummer 3. Ein Ehemann hat seine Frau zur Teilnahme verpflichtet
(oder umgekehrt); ein Jugendlicher machte ein Praktikum bei der Stadt,
konnte somit nicht gut ausweichen, hat aber interessiert lange
durchgehalten, obwohl es „viel Geschichte“ war; eine Frau, von den
Bildern umgeben, hat gefragt: „Wo ist hier Ausstellung?“; aber ein Mann
hat sich die 28 Bilder reingezogen und auch noch Infomaterial
mitgenommen.
Auf unserer U-Liste waren vier Unterschriften, im Gästebuch vier
Einträge, darunter einer mit der Ermutigung: „Nicht nachlassen!“. Unterm
Strich aber hatten wir wieder allen Grund, uns bei der Stadt Miesbach
und dem Personal der Bücherei recht herzlich dafür zu bedanken, dass wir
wieder kostenlos rein durften und mit Kaffee versorgt wurden. Viel
trauriger als der mäßige Besuch nach der Vernissage, stimmte uns
allerdings der Abschied von Frau Bott, die uns immer weit die Türen
offengehalten hat. Wir schicken ihr unsere besten Wünsche hinterher.
SPD-Veranstaltung in Holzkirchen (Juni)
Wir haben nicht lange bei der Führungsebene nachgefragt, ob sich das mit
der „Unparteilichkeit“ von AI verträgt, sondern haben mitgemacht,
zusammen mit anderen (respektablen) Randgruppen wie AdFC, Gemeinsam
anders wohnen, pro Asyl, Zivilcourage. Anlass des Abends war ein anderer
Siebziger: das Grundgesetz. Die Mehrheit der Gruppen suchte sich einen
Artikel des GG und wandte ihn (bisweilen etwas bemüht) auf die eigene
Arbeit an. Bernard setzte den Schwerpunkt auf den Iran und bezichtigte
ihn gleich mehrerer Verstöße gegen das deutsche Grundgesetz. Als er von
Nasrin Sotoudeh berichtete, ging ein hörbarer Seufzer durch die Reihen
der 35 Besucher. Hubert Heinhold von pro Asyl sah sich als
„Störenfried“, weil der Asylartikel inzwischen so aufgeweicht ist, dass
er einer Worthülse gleicht. Die Diskussion verlief eher lau, vielleicht
hätte ich sie doch durch die Anfrage an die SPD anheizen sollen, was sie
von dem Vorschlag hielte, die Seegrundstückler (nach Artikel 14) zu
enteignen und in brauchbare Sozialwohnungen umzusiedeln. Ich habe mich
nicht getraut.
Aktionstage Globaler Klimastreik (September)
Nach den Ferien ging’s gleich mit einer Demo weiter. In Miesbach kamen
immerhin 500 Leute zusammen, die mehr Klimaschutz forderten – als die
Große Koalition am gleichen Tag mit ihrem Klimapaket angeboten hatte.
Wir marschierten bei der Mittel-schule los, ein bescheidenes Häufchen,
bei dem die Lehrer(innen) die Zahl der Schüler noch übertraf. Dann am
Stadtplatz die Invasion von Richtung Realschule und Gymnasium. Ein
eindrucksvoller Spektakel! Auch die Schulleiter waren zufrieden, weil
niemand, nicht einmal die Erwachsenen, die Schule geschwänzt hatte. Im
Merkur dann ein langer und wohlwollender Artikel mit Bildern wie aus
einer Großstadt.
Mayday for Future
Einige Tage
später dann ein Leserbrief: „Wenn Lehrer da mitlaufen, ist das
verantwortungslos.“ Da hat einer für die Erde den Plan B in der Tasche.
Das wir dann bei der Großdemo in München ebenfalls vertreten waren, der
Gruppensprecher altersgemäß in der Nähe der „Omas gegen rechts“, waren
wir schon der Greta schuldig, die kurz zuvor von AI-USA einen
Menschenrechtspreis bekommen hatte. Mache haben ihr den nicht gegönnt,
weil sie „nicht gefährdet“ war, aber das kann ja auch noch kommen, wenn
Leute wie der Leserbriefschreiber „einen Gang hochschalten“.
Zwischen Multikulti und Leitkultur (September)
Kaum hatten wir unsere Demoklamotten abgelegt, rief die Lange Nacht der
Volkshochschulen zu einem Vortrag von Bezirksheimatpfleger Dr. Norbert
Göttler über die Zukunft eines modernen Heimatbegiffs. Wir hatten den
Referenten vorgeschlagen, ohne zu wissen, dass er vor 40 Jahren die
AI-Gruppe in Dachau gegründet hatte, die VHS hatte den Abend
professionell organisiert, das Netzwerk Integration war mit uns auf das
Trittbrett gesprungen. Es kamen (zunächst) an die 40 Leute. Herr Göttler
siedelte seine Heimat zwischen den beiden Extremen an, lehnte die
Leitkultur wegen ihres Ausschlusscharakters (Trachtenzwang, fragwürdige
Traditionen) und die Multikulti wegen ihrer Abartigkeiten (Zwangsehe,
Ehrenmorde) ab. Er vertrat mit Humor und Menschlichkeit einen
Heimatbegriff, der sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt hat, der
offen ist für Menschen verschiedener Herkunft, und der durchaus auch
mehrere Heimaten zulässt. „Heimat“, das war einer seiner Kernsätze,
„wird immer mehr die Heimat des Anderen.“
Es war erstaunlich, was er in einer guten Dreiviertelstunde an
Informationen und Denkanstößen unterbrachte und wie souverän er mit der
Tatsache umging, dass ihm Max Uthoff mit seinem Programm „Moskauer
Hunde“ nach dieser Zeit die Hälfte seines Publikums verbellte. (Deswegen
das „zunächst“!) Wer verblieb, erlebte eine angeregte Diskussion, die
leider immer wieder von einer (offensichtlich heimatlosen) Ko-Referentin
aus Polen monopolisiert wurde. Deshalb konnten zukunftsorientierte
Aspekte wie die „Beheimatung bei Facebook“ und die „Gemeinsamkeit des
europäischen Lebensstils“ nur angerissen werden. Aber, siehe Kernsatz,
man hat auch ihr zugehört. Der Merkur brachte, was bei Vorträgen nur
ausnahmsweise geschieht, eine ausführliche Nachbesprechung.
Ein g’standener Heimatpfleger
Als
Kollateralnutzen ist zu verzeichnen, dass wir sämtliche Jahresberichte
2018 los wurden – obwohl sie nach sechs Monaten Laufzeit schon etwas
Staub angesammelt hatten.
Infostand in Holzkirchen (Oktober)
Zur Abwechslung wurde nicht marschiert, sondern wieder einmal gestanden.
Unter dem Zeitungstitel, „Keine Gnade für die Todesstrafe“, den der
Merkur dankenswerterweise übernommen hatte, stellten wir zwei Fälle vor,
zum einen den Iraner Mohammad Reza Haddadi, als Jugendlicher bei
fragwürdigen Begleitumständen wegen Entführung, Mordes und Verstecken
der Leiche zum Tode verurteilt, seit über 15 Jahren in Haft und von
sechs abgesagten Hinrichtungsterminen körperlich und seelisch
gezeichnet, zum anderen unseren Einzelfall aus Malaysia, Hoo Yew Wah,
der wegen „Drogenhandels (188 Gramm!) seit 2011 zwischen Aufschub und
Vollstreckung der Hinrichtung hin und her pendelt. Für den Iraner hatten
wir Postkarten vorbereitet, die wir nur mit Mühe unter die Leute
brachten, für den Malaysier sammelten wir immerhin 45 Unterschriften und
wurden 46 Briefe an Abgeordnete und Botschaft los. In der 1. Schicht
hörten wir die üblichen Ausreden und Ablenkungsmanöver („Wie steht ihr
denn zur Impfpflicht?“), die Petition wurde aber bereitwillig, wenn auch
oft unleserlich unterschrieben. Die 2. Schicht soll ausführlich zu Worte
kommen, weil sie sehr typische Infostanderlebnisse hatte.
„Da sagte jemand, bevor man gegen die Todesstrafe in anderen Ländern
sei, soll man erst einmal hier etwas gegen Abtreibung tun. … Ein Mann
meinte, dass er ein offener Mensch sei, aber dass jemand, der andere
durch Drogenverkauf so in Unglück und Tod stürze, doch die Todesstrafe
verdient hätte – er unterschrieb dann doch. Ein anderer meinte
resigniert, dass alles nichts bringe, es bessere sich nichts auf der
Welt, aber er wünsche uns viel Erfolg – er unterschrieb nicht. Ein Mann
kam mit seinem Sohn vorbei, bat uns, dem Jungen die Todesstrafe zu
erklären und nutzte die Gelegenheit, um ihm seine Meinung, wie schlimm
sie sei, nahe zu bringen. … Insgesamt lässt die Bereitschaft nach, sich
an den Stand zu begeben. … Thierry meinte, das sei nicht mehr das
Holzkirchen von früher“ – was immer das heißt.
Am Rande des Markttreibens
Gruppenbesuch
am Gymnasium (November)
Der Arbeitskreis für Politik und Zeitgeschichte lud uns ein, um im
Vorfeld des Briefmarathons zu erfahren auf wen sie sich da eingelassen
haben. Es kamen der Lehrer, H. Klöcker, und acht Schüler – und das am
Freitag in der 7. Stunde, wo man als Schüler normalerweise schon seit
drei Stunden in den Wochenendmodus umgeschaltet hat Sie spielten brav
unseren Gründungsmythos aus dem Café in Lissabon mit, wobei H. Klöcker
einen scharfen Geheimpolizisten mimte. Dann erzählte ich ihnen von
unserem Mandat, der AEMR, unseren Aktivitäten, den Erfolgen und
Misserfolgen und sparte auch nicht mit Kritik an der Überfrachtung des
Aufgabenbereichs (Genderdebatte). Sie hörten mit „geduldiger
Aufmerksamkeit“ zu, ersparten mir die peinlicheren Fragen (Todesstrafe,
Flüchtlinge), wollten aber auch wissen, wie es mit der Zusammenarbeit
mit anderen Gruppen bestellt sei. Auch versprachen sie, sich beim
Briefmarathon zu engagieren und griffen dazu gerne meinen Vorschlag auf,
die Eltern zur Übernahme der Portokosten zu bewegen. (War nicht
notwendig, weil die Briefe als Ganzes nach Berlin geschickt werden.)
Es war eine ermutigende Mittagsstunde, für die ich artig dankte, aber
auch darauf hinwies, dass es mit AI im Landkreis Miesbach nur
weitergehen könne, wenn wir an die Schulen (und nicht in den
Seniorenheimen) Ansprechpartner finden.
Lichterkreis gegen Antisemitismus (9. November)
Aufgeschreckt durch den Anschlag in Halle und in Erinnerung an die
Reichspogromnacht, organisierte die Kulturreferentin, Frau Jooß, eine
Lichterkette vor dem Rathaus. Es kamen an die 100 Leute und zwei
Polizisten, die aber, Gott sei Dank, nichts zu tun hatten, weil die
Rechten in ihren „Löchern“ blieben. Es wurden anrührende Texte aus
Vergangenheit und Gegenwart gelesen, wir durften einen Text aus der SZ
unter dem Titel „Packen wir die Koffer?“ beisteuern.
„Die sprichwörtlichen Koffer, schon lange ausgepackt und ausgeleert,
stehen bei vielen Juden in Deutschland noch auf dem Speicher. Wir
sollten sie herunterholen. Es ist Zeit zu überlegen, was wir
einpacken. Noch können wir sie stehen lassen, aber sie sollten bereit
sein, denn der Tag, an dem wir sie brauchen, mag nicht mehr weit
sein.“
Mich hat dann eine Frau mit jüdischen Wurzeln angesprochen, deren
Großvater im KZ und deren Vater Repressalien ausgesetzt war. Das hat
meine Gänsehaut, die der Text hervorgerufen hat, noch verstärkt.
Postkartenaktion zum Tag der Menschenrechte (Dezember)
Im Umfeld des 10. Dezembers ist unser Platz an den Kirchentüren, aber
natürlich gehen auch viele von uns hinein. In der evangelischen Kirche
wurden Postkarten für Eren Keskin verteilt, die Aktion wurde durch den
Pfarrer vorgestellt, und da am Ende 43 Karten verteilt waren, scheint
„fast jeder Gottesdienstbesucher eine mitgenommen zu haben“. In der
katholischen Kirche stellten wir den Fall des chinesischen Rechtsanwalts
Wang Quanzhang vor. Da er, wie erwähnt, auch wegen seines Einsatzes für
Religionsfreiheit einsitzt, konnten die Gottesdienstbesucher schlecht
„nein“ sagen. Einmal wurde ein solches „nein“ gesagt und revidiert, als
der Gemeindereferent der Aktion den kirchlichen Segen gegeben hatte. Ein
anderer fragte zurück, als ich ihm die Karte reichte „Solln ma betn?“ –
und nahm die Karte mit. Ich hoffe, dass er auch gebetet hat. Wir wurden
169 (minus 2) Karten los, und wenn nur 100 von ihnen abgeschickt werden,
hat der Botschafter Wu Ken einiges zu lesen.
Ein Bild aus der Vergangenheit
Das „minus 2“
erklärt sich übrigens dadurch, dass wir zwei der Karten bei unseren
Monatsbriefen wiederfanden, die in der Kirche ausliegen. Einer davon
könnte von der Person stammen, die gemeint hat, er/sie „werde es sich
mal durchlesen“. Lesen müsste man halt können!
Briefmarathon an Schulen (Dezember)
Première! In der Vergangenheit hatten wir selber Schule gespielt und
innerhalb der Gruppe einige Fälle des Marathons aufgegriffen. Da es
heuer gezielt um junge Menschen ging, machten wir uns auf die Suche nach
Lehrern – und wurden fündig: Herr Huber von der Realschule in Miesbach
und Herr Klöcker vom Gymnasium erklärten sich bereit, den Briefmarathon
durchzuführen. In der Realschule wurden von Schülern und Lehrern 115
Briefe gesammelt, deutlich mehr für das „Kopftuchmädchen“ Yasaman
Aryani/Iran, als für Magai Ngong/Südsudan, der in eine Schießerei
verwickelt war. Herr Huber hatte einige Einwände (Reisefreiheit,
Datenklau) zu kontern, drang aber mit seinen Argumenten „In den Südsudan
werdet ihr wohl kaum reisen“ und „Bei Facebook gebt ihr viel mehr Daten
preis“ offensichtlich durch.
Im Gymnasium kamen 885 Protestbriefe zusammen. Allerdings handelte sich
Herr Klöcker eine gesalzene Elternbeschwerde ein, weil er den
„Beutelsbacher Konsens“ (von 1976) nicht gebührend beachtet hätte. Da
stehen Forderungen an den Politkunterricht drin, die recht vernünftig
sind (Verzicht auf Indoktrination, Vermittlung von Hintergrundwissen,
Aufzeigen von Gegenpositionen), die aber letzten Endes doch zu einer
„überlegten Entscheidungsfindung“ des Schülers führen sollen. Wir sind
sicher, dass die Voraussetzungen geschaffen wurden, dass die Schüler
freiwillig und „überlegt“ die Entscheidung für den Briefmarathon
getroffen haben.
Den beiden Lehrern unseren aufrichtigen Dank. Ich weiß noch aus eigener
Erfahrung, dass solche Anfragen von außen eine echte Zusatzbelastung
sind.
Die Briefmarathonläufer
Adventsmarkt
(Dezember)
Der Markt war heuer auf einen Tag reduziert, aber der dauerte dann
wirklich bis in den Abend hinein. Die Wetterprognose sprach von Windböen
bis zu 90 kmh, aber der Wind blies uns nicht davon, sondern blieb
(weitgehend) erträglich. Und wir nahmen 500€ ein, mit Socken, Platzerl,
Astmonster, Schubfächer und Holzsternen. Wir drucken einmal die Liste
unserer Spender ab, die sich von der Länge her wie eine Ahnengalerie
liest.
Wir danken
unseren Spenderinnen und Spendern
Berufsschule Miesbach
Erna Haller
Kurt Holzfurtner
Anneliese Lintzmeyer
Missionskreis Fischbachau
Alto Nürnberger
Maria Schmalhofer-Jacobi
Eugen Schmucker
Maria Schneckenburger
Maria Schreiber
Petra Six
Kick van Walbeek
Plätzchenbäckerinnen der AI-Gruppe
3.3 Die Gruppe
Zu den
Schreibtischtaten gehören Täter(innen), zu den Infoständen
„Informant(inn)en, zu den Märkten Fieranten und Marketenderinnen. Sie
merken, dass ich hier in der Genderdebatte deutlich Stellung bezogen
habe, denn wenn es um die „vorderste Front“ am Info- oder Marktstand
geht, sind es bei uns oft die Frauen, die als Erste die Finger heben,
während sich die Männer mehr auf die „Hausarbeit“ (Herrichten und
Aufräumen) konzentrieren. Um einen Stimmungsbericht zu den Werk- und
Feiertagen der Gruppe zu geben, seien zwei Ereignisse hervorgehoben.
Das Sommerfest (September)
Der Freitag 13. September war kein Unglücksdatum, außer für Helga, deren
80. Geburtstag wir leider nicht begießen konnten, weil ihre Knie den 61
Stufen nicht gewachsen waren. Deshalb an dieser Stelle noch einmal
„Alles Gute“. Wir hatten bis spät in den Abend hinein Kaiserwetter,
wurden von Grillmeister Leon Walther meisterlich versorgt, freuten uns,
dass mit ihm, Johanna und Kilian der Altersdurchschnitt deutlich gesenkt
wurde – und ließen AI-Themen guten Gewissens außen vor. Gesprochen wurde
über eine bunte Vielfalt von Themen, wie sie für eine „kunterbunte“
Truppe angemessen sind: Arbeitsabläufe auf der Alm, Schulstreiche,
Schneckenvertilgungsmethoden, Brexit, Joga, den strengen Winter, Familie
und Urlaub. Es war, um einen englischen Dichter im Understatement zu
zitieren „(as you may say) satisfactory“.
Die Sitzung fürs Guinness Buch (November)
Zu einer Sitzung im Dezember kamen 15 Leute, und wir mussten am Tisch
fast „in der 2. Reihe parken“. In der Arbeitsphase fand eine (für unsere
Verhältnisse geradezu/aber dem Thema angemessene) „hitzige“ Debatte über
die Aufnahme des Klimaschutzes ins AI-Mandat statt. Lebhaft ging es auch
in der Entspannungsphase zu, aber da hallte thematisch noch die
Eröffnung der Karnevalssession im Rheinland nach. Helga schlug vor,
einen AI-Ball zu veranstalten, aber wenn wir (wie üblich) ganz unter uns
sind, müsste erst geklärt werden, wer in der Gruppe sich als Täter und
wer sich als Opfer maskiert. In Richtung Fasching ging auch die
Diskussion über den zukünftigen Gruppensprecher. Ich horchte auf, als
Thierry ankündigte, dass er nicht mehr sehr lange zu arbeiten habe.
Damit hätten wir mit ihm und Bernard zwei qualifizierte Nachfolger, und
wir könnten wie die Grünen und die SPD eine Doppelspitze bilden. Man
müsste sich nur noch einigen, wer die Rolle der Frau übernimmt. Übermut
tut manchmal gut!
Dieser Übermut
vergeht uns natürlich schnell, wenn wir an unsere Fälle denken. Da ist
zunächst der Malaysier
Hoo Yew Waa
Er wurde, wie erwähnt, mit 188 Gramm Methamphetamin erwischt und sitzt
seit 2011 in der Todesszelle, weil in Malaysia bei Drogenhandel die
Verhängung der Todesstrafe (bisher) obligatorisch ist. Im Gespräch war,
diese Verpflichtung zu einem finalen Urteil für 11 Delikte aufzuheben
und damit dem Richter mehr Spielraum einzuräumen. Aber auch diese Reform
scheint innerhalb des Kabinetts auf Widerstand zu stoßen. Eine
Entscheidung in diesem Gremium sollte Ende Dezember erfolgen. Unsere
(zahlreichen) Briefe und Petitionen hatten vier Ziele:
- die Verlängerung des Moratoriums zur Vollstreckung der Todesstrafe
- der Verzicht auf die obligatorische Verhängung bei bestimmten Delikten
- die endgültige Abschaffung der Todesstrafe
- die Begnadigung von Hoo Yew Waa
Wir sind optimistisch, dass Hoo nächstes Jahr noch am Leben ist und dass
das Land juristische Reformen in unserem Sinne beschließt.
Narges Mohammadi
Von unserem Iranfall gibt es leider nichts Tröstliches zu berichten,
wenn man einmal davon absieht, dass sie (vielleicht) noch am Leben ist.
Ihr Mut scheint ungebrochen zu sein, denn die letzte Meldung vom 27.
Dezember 2019 spricht von ihrer Verlegung in ein abgelegenes Gefängnis,
weil sie mit sieben anderen politischen Gefangenen den Müttern der Opfer
der jüngsten Unruhen ihre Solidarität bezeugt hatten. Die Verlegung
scheint, nach Aussagen ihres Mannes, ziemlich „unsanft“ über die Bühne
gegangen zu sein. Ihre Chancen, die beiden Kinder zu treffen, die sie
seit fast fünf Jahren nicht mehr gesehen hat und die mit dem Vater in
Frankreich leben, sind mit der Verlegung weiter gesunken. Die Iraner
sollen liebenswerte Menschen sein, aber das Regime ist des Teufels. Ob
man es aber durch gezielte Tötung seiner Repräsentanten beseitigen kann,
ist mehr als fraglich!
Wir waren mit
zwei Kampagnen beschäftigt:
„Mut braucht Schutz“
Die Kampagne zum Schutze von Menschenrechtlern wurde an mehreren Stellen
dieses Berichts bereits angesprochen. Bemerkenswert ist, dass es sich
zunehmend nicht nur um Politiker, Schriftsteller oder Anwälte, sondern
auch um Umweltaktivisten handelt. So erweitert sich unser Kundenkreis um
die Opfer der „Umweltsäue“, und das sind natürlich nicht die Omas,
sondern Politiker wie Brasiliens Bolsonaro.
„Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“
Um das Bewusstsein für die Menschenrechte kundenfreundlich zu vertiefen,
haben wir den Vorschlag aufgegriffen, die einzelnen Artikel über das
Jahr verteilt in Geschäften und bei Institutionen aufhängen zu lassen.
Von den ca. sieben Stellen haben einige bis zum November durchgehalten,
sodass sie (möglicherweise) bis Artikel 30 gekommen sind. Wir haben nur
eine Absage erhalten, einer Bank waren die Menschenrechte zu
„politisch“. Dafür prangten sie beim Merkur an prominenter Stelle im
Schaukasten.
Menschenrechte im Zentrum des Geschehens in Miesbach
„Geld hat man,
darüber spricht man nicht“, sagen die, die welches haben. Wir tun es
trotzdem, denn zunächst ist zu vermelden, dass sich AI ins
postkommunistische Zeitalter verirrt hat. ENTEIGNUNG! Dieses Gespenst
geistert seit der Jahresversammlung von 2018 durch die Gruppen. Dort hat
man beschlossen, den Gruppen 10 000€ auf ihrem Konto zu belassen und den
Mehrwert abzuschöpfen. Das halten auch wir für vernünftig, aber wenn wir
Sie mit dem Wort „Enteignung“ ködern, lesen Sie eher weiter. Wir sind
jetzt in einem echten Gewissenskonflikt: Ist die Miesbacher Gruppe von
der Abschöpfung betroffen oder nicht? Auf Anweisung unseres
Finanzministers Siegi Komm, der mit jetzt 47 Jahren (!) in Amt und
Würden der dienstälteste Finanzminister der Bundesrepublik ist, soll ich
vorsichtig formulieren. Ja, wir sind betroffen, und damit habe ich fast
schon zu viel gesagt. Ich habe aber volles Vertrauen in unsere Förderer
und Spender und bin sicher, dass Sie uns auch weiterhin unterstützen
werden. Wir können seit Anbeginn ohne finanzielle Sorgen wirtschaften
und haben das, neben unseren eigenen Anstrengungen, Ihrer Großherzigkeit
zu verdanken. Vielen Dank!
Wir waren tief betroffen, als uns im März die Nachricht vom Tod Jürgen Zaruskys erreichte. Er war unser 3. Gruppensprecher und hat sich engagiert um den ukrainischen Dissidenten Danylo Shumuk gekümmert. Wir sind, glaube ich, keinem „Einzelfall“ menschlich so nahegekommen. Er hat sich dann bei der AI-Gruppe in Dachau eingebracht, hat aber weiterhin auf unsere Jahresberichte reagiert und vor einigen Jahren in Miesbach einen ausgewogenen Vortrag zum Ukraine-Konflikt gehalten.
Er möge ruhen in Frieden
Jürgen gehörte zu
jener Schar, die unsere Gruppe durchlaufen haben, die dann weggezogen
sind, aber irgendwie, und da muss man das physikalische Gesetz der
Osmose bemühen, dazu beitragen, dass unsere Gruppe zusammenhält.
Wir sind
uns darüber im Klaren, dass auch umgekehrt ein Schuh daraus werden
könnte.
„Ich war noch nie weg“,
sagte die Realität zur Hoffnung,
die vergeblich versucht hatte, sie zu ignorieren,
„und ich werde bleiben.“
Da kann man auf gut bayrisch nur sagen: „Schaugn ma amol!“
Fritz Weigl,
Wallenburger Straße 28 d, 83714 Miesbach
Tel.: 08025/3895, Fax: 08025/998030,
Mail:fritz.weigl@gmx.de
Bernard Brown, Carl-Weinberger-Str. 5, 83607 Holzkirchen
Tel.: 08024/3502,
Mail:bernard.brown@web.de
Homepage: http://www.amnesty-miesbach.de
Bank für Sozialwirtschaft (BfS) Köln, IBAN: DE 233 70 20 50 0000 80 90
100
Verwendungszweck: Gruppe 1431 Miesbach (Gruppennummer unbedingt mit
angeben)