Jahresbericht 2019 – 47 Jahre Amnesty International

(Landkreis) Miesbach

1. Einleitung


An sich wollte ich Ihnen noch einmal den Text von Jagoda Marinic präsentieren, wo sie zum „Wagemut für ein neues Jahr“ aufgerufen hat, aber dann ist mir ein Gedicht von Hans Magnus Enzensberger in die Hände gefallen, an dessen Botschaft in unseren dunklen Weltläuften zu glauben, viel Wagemut erfordert. Sei’s drum: Ob Sie mitsingen oder nicht, wir beginnen das Jahr mit einem

Optimistischen Liedchen

Hie und da kommt es vor,
dass einer um Hilfe schreit.
Schon springt ein andrer ins Wasser,
vollkommen kostenlos.

Mitten im dicksten Kapitalismus
kommt die schimmernde Feuerwehr
um die Ecke und löscht, oder im Hut
des Bettlers silbert es plötzlich.

Vormittags wimmelt es auf den Straßen
von Personen, die ohne gezücktes Messer
hin- und herlaufen, seelenruhig,
auf der Suche nach Milch und Radieschen.

Wie im tiefsten Frieden.

Ein herrlicher Anblick.

Selbst wenn man sich kurz die Frage stellt, warum „die schimmernde Feuerwehr“ als Gegenpol zum „dicksten Kapitalismus“ gesehen wird, wo die doch noch mit der Handpumpe und mit ledernen Löscheimern daherkommen würde, wenn ihr der dicke Kapitalismus nicht die „schimmernde“ Ausrüs-tung finanzieren würde, ist das Gedicht eine (bitter) notwendige Mahnung zur Gelassenheit, denn „Angst essen Seele auf“. Und obwohl in diesem Rückblick wieder oft von Hilfeschreien und „gezückten Messern“ zu reden sein wird, wird doch (hoffentlich) auch etwas Raum bleiben für Ereignisse und Eingriffe, die das Sprichwort aus den Niederlanden wahr werden lassen: „Wenn die Not am größten, ist die Rettung am nächsten.“

Geh’n wir ihn an, den Blick zurück.

2. Jahresrückblick

Januar 2019

„Alles schaut nach Amberg“, titelte Anfang Januar die Mittelbayerische Zeitung, als sie von der Prügelattacke von vier Asylbewerbern berichtete, die Ende Dezember Alkohol gesteuert und wahllos Passanten angegriffen und zwölf Menschen verletzt hatten – einen davon krankenhausreif. Der Angriff ist nicht zu entschuldigen und hat, so der Amberger Bürgermeister „den friedlichen und engagierten Asylbewerbern einen Bärendienst erwiesen“. Aber dies wäre kein AI-Bericht, wenn man nicht auch auf die Gegenseite hinwiese, die geradezu darauf gewartet hat, dass wieder einmal etwas passiert, das strengere Abschiebegesetze rechtfertigt, „willkommensbesoffene Politiker“ an den Pranger stellt und der Forderung Nachdruck verleiht, die Polizei durch eine (völkische orientierte) Bürgerwehr zu „verstärken“. Letztere ist in Amberg in Gestalt von vier Männern aufgetreten „ein älterer, ein jüngerer, zwei beleibtere Herren mittleren Alters“.



„Wir schaffen die!“

Die Wahrnehmung perspektivisch zurechtgerückt hat die Stellungnahme einiger Amberger und des bayrischen Flüchtlingsrates:

„Und wären das deutsche Jugendliche gewesen, dann wüssten wir vermutlich von diesem Vorfall überhaupt nicht.“

Zwei Tage später hat in Bottrop und Essen ein deutscher Autofahrer „zurückgeschlagen“. Er fuhr in der „klaren Absicht, Ausländer zu töten“ in Menschengruppen, mehrmals und sogar noch im Rück-wärtsgang und verletzte acht Menschen – eine Frau lebensgefährlich. Der Mann soll psychisch krank sein, und eine solche Krankheit führt in unserer „überhitzten Migrationsdebatte“ leicht zu Fremdenhass. Bundesinnenminister Seehofer hat die Vorfälle in Amberg und im Ruhrgebiet als „Gewaltexzes-se“ bezeichnet, „die nicht zu dulden sind“, aber schärfere Gesetze hat er nur für gewaltbereite Asyl-bewerber gefordert.

In Kurzform weitere Schlaglichter auf die Migrationsdebatte des Januars:

- Es wurde festgestellt, dass „knapp ein Drittel aller abgelehnten Asylanträge, über die Verwaltungs-gerichte in den ersten neun Monaten des letzten Jahres zu entscheiden hatten, nicht korrekt waren“. Zusammen mit der Fehlerquote des Jahre 2017 bedeutet das, dass in nicht einmal zwei Jahren 55 000 Flüchtlingen zu Unrecht der Schutz zunächst vorenthalten wurde. Jetzt ahnt man, dass Herr Dobrindt mit der „Anti-Abschiebe-Industrie“, dem Unwort des Jahres, vielleicht auch die Verwaltungsgerichte gemeint haben könnte.

- Zu den Ankerzentren fällt die Bilanz gemischt aus. Die befassten Innenministerien heben die „Ver-besserung der Arbeitsabläufe“ und den „totalen Konsens“ der beteiligten Behörden hervor. Der Flüchtlingsrat und die Caritas hingegen beklagen die lange Verweildauer in diesen Mammutreservaten, die restriktive Handhabung des Zugangs für Flüchtlingshelfer, die Weigerung, den Kindern einen regulären Schulbesuch zu ermöglichen, was in Einzelfällen nur durch einen Gerichtsbescheid ermög-licht wurde. Ende Juli hatten die Behörden auf Kritik und den „göttlichen Ratschluss“, den ihnen der „Bayer im Himmel“ übermitteln sollte, reagiert. Es gibt jetzt Wasserkocher für die Mütter, ein „Mini-Family-House“ für Kleinkinder, einen Aufenthaltsraum für Jugendliche und separate Trakte für Frauen, wo keine Männer reindürfen.

- Zur Stimmung in den bayrischen Helferkreisen hat Katrin Woitsch im Merkur einen bemerkenswerten Kommentar geschrieben, der im Einzelnen wohl nicht mit ihrem Chefredakteur abgesprochen war.

„Viele Helferkreise sind deutlich geschrumpft. Und das nicht, weil es nichts mehr zu tun gäbe. Die Arbeitsver-bote, die Ankerzentren, Bayerns harte Linie bei den Abschiebungen – all das sorgt bei den Helfern auf viel Frust. Ehrungen reichen nicht aus, um das abzufangen.“

Wo sie Recht hat, hat sie Recht!

- Die Zahl der Flüchtlinge nach Deutschland ist weiter zurückgegangen. Mit ca. 185 000 Asylanträgen könnte der Bundesinnenminister ganz gut leben, jedenfalls wesentlich besser als mit den Zahlen in den „Chaosjahren 2015/16“. Wir wollen jetzt einmal davon absehen, dass es eher die Flüchtlinge waren (und sind), die ein Chaos erlebten, aber es gibt schon zu denken, dass Migrationsexperten davon sprechen, „dass weltweit mehr Menschen auf der Flucht sind als je zuvor“. Bei uns jedoch werden durch die gesunkenen Zahlen Kapazitäten frei, um die Abschiebungen besser zu organisieren.

Vor Jahren forderte der damalige Bundespräsident Roman Herzog, dass „ein Ruck durch Deutschland“ gehen müsse, um verkrustete Strukturen aufzubrechen. Die Strukturen, die derzeit wieder aufbrechen, hat er damit nicht gemeint. „Er ist wieder da“, titelte Heribert Prantl in der SZ seinen Leitartikel zum Holocaust-Gedenken, und hat darin der AfD vorgehalten, dass sie in Teilen eine „Heimstatt der Hitlerei“ sei, wo

„das völkische Getöse immer mehr Echo findet, auf Versammlungen … vor Begeisterung gejohlt wird, wenn Nazi-Verbrechen verharmlost, Juden verhöhnt, Muslime verachtet, Türken als Kameltreiber beschimpft und Gemeinheiten über Flüchtlinge gesagt werden“.

Auch zum „Ruck nach Rechts“ einige Schlaglichter, verbunden mit einer Gedächtnishilfe, die manche dringend nötig haben.


 


- Bei einer Rede im bayrischen Landtag warf Charlotte Knobloch der AfD vor, Hass zu säen, den Nationalsozialismus zu verharmlosen und sich nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes zu bewegen. Daraufhin verließ ein Großteil der AfD-Abgeordneten unter Führung der Fraktionsvorsitzenden Ebner-Steiner und strammen Schrittes den Saal. Frau Knobloch erhält seither „im Minutentakt wüste Beschimpfungen und Drohungen“, Frau Ebner-Steiner übrigens auch. Es ist beruhigend, dass es zwischen (ganz) rechts und (ganz) links doch noch Gemeinsamkeiten gibt.

- In manchen Entscheidungen der Justiz zeigt sich eine gewisse Tendenz zur Verharmlosung von Hassverbrechen. Das hatten wir doch in den 1920er Jahren schon einmal! So wurde in Rostock Journalisten mit den Worten bedroht: „Die Wahrheit, oder eure Köpfe auf den Tisch.“ Die Staatsanwältin stellte das Verfahren mit folgender Begründung ein:

„Es wird damit nicht eindeutig ein zukünftiges Verbrechen angedroht, sondern eher sprichwörtlich (?) zur wahrheitsgemäßen Berichterstattung aufgefordert.“

- Weimarer Verhältnisse“ deuteten sich auch an, als in München ein Vortrag über „Antisemitismus und Männlichkeit bei Burschenschaften“ anstand. Der Veranstaltungsort musste wegen Drohungen von rechts geheim gehalten werden, aber diese Drohungen hatten auch mit einem Twitter-Beitrag der Referentin zu tun, die den Angriff auf einen Bremer AfD-Politiker als „konsequente Durchführung von #NazisRaus“ bezeichnet hatte. Dass man sich mit dem Thema „Antisemitismus“ ernsthaft (also ohne Polemik) befassen muss, ist nicht nur den 1467 Straftaten gegen Juden (2017) geschuldet, sondern auch der grassierenden Unwissenheit über die Judenvernichtung im 3. Reich. So gaben bei einer Umfrage im November 2018 40 Prozent der Deutschen im Alter von 18 bis 34 Jahren an, sie wüssten davon „wenig“ oder „gar nichts“.

- Dem abzuhelfen hätten sie Gelegenheit gehabt, sofern sie die Gedenkrede von Saul Friedländer im Bundestag angehört haben. Friedländer hatte als Kind den Holocaust überlebt, aber seine Eltern auf tragische Weise verloren. Sie hatten ihn in Frankreich zurückgelassen, weil sie es für ungefährlicher hielten, allein in die Schweiz zu fliehen. Aber wenn sie ihr Kind dabeigehabt hätten, wären sie nicht an die französische Grenzpolizei ausgeliefert worden. Friedländer fand klare Worte gegen Antisemitismus, Fremdenhass und den sich verschärfenden Nationalismus und sagte:

„Natürlich dürfen Deutsche Israel an dessen eigenem Anspruch messen und etwa die Besatzungspolitik des Landes kritisieren, aber aus Ausmaß und Wucht mancher Kritik spreche der alte Hass.“

Die AfD’ler fühlten sich nicht angesprochen, erhoben sich mit den anderen von ihren Sitzen und applaudierten.

 

Einigkeit im Bundestag

- Ein mildes Urteil wegen schweren Diebstahls wurde gegen zwei Studentinnen aus Fürstenfeldbruck verhängt. Sie hatten containert/gemülltaucht, d.h. mit einem Vierkantschlüssel (achtsam) den Müllcontainer eines Edeka-Marktes geöffnet und vier Taschen Lebensmittel entwendet, knapp über dem Haltbarkeitsdatum, teils originalverpackt. Die Polizei ertappte sie auf frischer Tat, (vom Haltbarkeitsdatum her nicht ganz so frisch) und sorgte dafür, dass der Markt sein Eigentum zurückbekam und im Müll entsorgen durfte. Nach öffentlichen Protesten zog der Marktleiter die Anzeige zurück, das Amtsgericht bot die Einstellung des Verfahrens gegen acht Stunden gemeinnütziger Arbeit plus (ständig reduziertes) Bußgeld an, die Studentinnen weigerten sich, die Strafbefehle zu akzeptieren, und so kam es zum Verfahren, das der Richter „nicht mit Vergnügen“ führte. Mit der Verhängung von acht Stunden Sozialarbeit und 225 € Geldstrafe auf Bewährung blieb er am unteren Limit.

- Was zum Himmel stinkt, sind nicht die Lebensmittel im Container selbst, sondern ihre Verschwendung. Und so ist (mit Vorsicht) zu begrüßen, dass die Landwirtschaftsministerin Julia Glöckner an Verbraucher und Supermärkte appelliert, sich etwas einfallen zu lassen, damit wir nicht weiter ein Drittel aller produzierten Nahrungsmittel wegwerfen. Mit Vorsicht deswegen, weil Frau Glöckner nach unbewährter Manier und im Gegensatz zu anderen Ländern wieder einmal auf Freiwilligkeit setzt, und das Containern in ihrem Plan zwar erwähnt, aber wohl weiterhin als Strafbestand einordnet. In Anlehnung an den österreichischen Innenminister heißt das „Das Recht hat der Wirtschaft zu folgen“.

Ach ja, da gibt’s ja noch den Rest der Welt.

- Aus Saudi-Arabien hat sich die 18-jährige Rahaf Mohammed al-Qunun abgesetzt. Sie war (angeblich aber glaubhaft) von männlichen Angehörigen geschlagen und ein halbes Jahr in ihrem Zimmer eingesperrt worden, weil sie ihre Haare kürzer geschnitten hatte. Ob sie für ihre Flucht zuvor das Handy ihres Vaters geklaut und darauf die App genutzt hatte, mit dem Männer die Flugreisen der Frauen festlegen können, wissen wir nicht. Rahaf hatte es jedenfalls bis Bangkok geschafft, wo ihr Mitarbeiter der saudischen Botschaft, - das Land führt sich inzwischen im Ausland auf, als wäre es dort zuhause -, noch im Transitbereich den Pass, aber (dummerweise) nicht das Smartphone abnahmen. Mit ihrem Mobiltelefon entfachte sie nämlich einen Shitstorm, der über Twitter mehr als 500 000 Follower generierte, sodass die thailändische Regierung von einer Auslieferung abrückte, Rahaf vom Flüchtlingshilfswerk UNHCR unter die Fittiche genommen wurde und schließlich nach Kanada ausreisen durfte. In trauriger Hinsicht hat Rahaf von Khashoggis Tod profitiert: 0hne dessen tragisches Schicksal wäre die Weltöffentlichkeit nicht aufgeschreckt worden, sondern wären mit der Aussage saudischer Diplomaten, es handle sich um eine „reine Familienangelegenheit“, wieder zur Tagesordnung übergegangen.

 

Hi, da bin ich!

- Nicht willkommen ist uns die „Gruseltruppe“, die Jair Bolsonaro, der neue Präsident in seinem Kabinett zusammengestellt hat: „alt, weiß, männlich, militärisch – und von zweifelhaftem Leumund“ – so die SZ. Der Umweltminister wurde in erster Instanz wegen Amtsmissbrauch verurteilt, der Außenminister ist ein Fan von Trump und hält den Klimaschutz für eine „marxistische Ideologie“, der Bildungsminister sieht im Militärputsch von 1964 einen „Anlass zum Feiern“, der Präsidialamtsleiter soll illegale Wahlkampfspenden erhalten haben. Aber es haben sich auch zwei Frauen eingeschlichen, auf die wir gerne verzichtet hätten. Die Landwirtschaftsministerin ist Anführerin der Agrarlobby und befürwortet eine „kontrollierte Abholzung des Regenwaldes“, die Frauen- und Menschenrechtsministerin tritt v.a. gegen Abtreibungen und die Gender-Ideologie ein.

Gruseln tut es jetzt den Homosexuellen vor dem Präsidenten, der gesagt hat, er würde lieber seinen Sohn bei einem Verkehrsunfall verlieren als einen schwulen Sohn zu haben, den Indigenen und den Umweltschützern vor der „kontrollierten Abholzung“ und (wieder verstärkt) den Frauen vor den Männern. Bolsonaro möchte das Gesetz gegen den Femizid/Frauenmord wieder abschaffen und den Frauen auf seine Art Sicherheit verschaffen.

„Ich bin für den Waffenbesitz, natürlich auch für euch, liebe Frauen! Wir müssen diese Frauenmord-Geschichte beenden. Wenn ihr bald Waffen am Gürtel habt, dann gibt es eben Männermorde.“

Man fragt sich schon und immer öfter, was das für eine Welt ist, wo so einer ins Präsidentenamt gewählt wird. Früher hätte er sich dahin (wenigstens) noch putschen müssen. Es ist Zeit für

Die Kurznachrichten

- Die deutsche Rechtsanwältin Seda Basya-Yildiz, die Angehörige eines NSU-Opfers und islamistische Gefährder verteidigt hat, hat jetzt schon den 2. Drohbrief erhalten. Wieder hat man damit gedroht, ihrer kleinen Tochter den „Kopf abzureißen“. Das kann nicht mehr als „Berufsrisiko“ abgetan werden, umso weniger als sich die Täter Daten über Sedas Familie aus einem Polizeicomputer besorgt hatten. Die Anwältin Seda hofft trotzdem noch, dass sie sich „auf die Polizei verlassen“ kann. Hoffen wir es mit ihr!

- Der italienische Innenminister Salvini greift weiterhin die Hilfsorganisationen an, die Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten. Im Augenblick ist kein einziges ihrer Schiffe mehr im Einsatz. Deutschland zieht sich weitgehend von der EU-Rettungsinitiative Sophia zurück. Es gibt (unbestätigte) Berichte, dass das deutsche Schiff in Gewässer beordert worden ist, wo es niemanden zu retten gibt.


Salvini und Sophia

- In China wurde der Anwalt Wang Quanzhang wegen „Untergrabung der staatlichen Gewalt“ zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Das mit der „Untergrabung“ ist gar nicht so unpassend, denn zu den heiklen Fällen, die er übernommen hat, zählten auch die Opfer von Landenteignungen, denen die staatliche Gewalt den Boden unter den Füßen weggenommen hat. Außerdem hat er sich für Religionsfreiheit eingesetzt, und so jemand kann man natürlich nicht in Freiheit belassen. Angela Merkel hatte bei einer Chinareise im Mai 2018 mit Wangs Ehefrau gesprochen. Während des Prozesses stand sie unter Hausarrest – die Ehefrau nicht die Kanzlerin. Auch Bärbel Kofler, die wir im März in Miesbach (fast) zu Gast gehabt hätten, kritisierte, dass der Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Beim Aufstieg Chinas zur Weltmacht pflastern einige „Leichen“ den Weg.

- Wie man Wahlen verliert und doch gewinnt, führte der Welt Präsident Kabila in der Demokratischen Republik Kongo vor. Kabila hatte einen Strohmann aufgestellt, der aber so wenige Stimmen bekam, dass nicht einmal ein Wahlbetrug möglich gewesen wäre. Kabila hatte aber auch noch einen Oppositionskandidaten im Rennen, der ihm ebenfalls Straffreiheit zugesagt hatte. Dem bestätigte das Oberste Gericht den Wahlsieg. Nach Berechnungen der katholischen Kirche und den (inoffiziellen) Daten der Wahlkommission erhielt der echte Oppositionskandidat Martin Fayulu dreimal so viele Stimmen wie der Wahlsieger. Man spricht von der „skrupellosesten Wahlfälschung in Afrikas jüngster Geschichte“.

- Der Gottesstaat Iran feierte seinen 40. Geburtstag. Manche Dinge haben sich seit dem Sturz des Schahs geändert: den Frauen beispielsweise ist nicht mehr verboten, Kopftuch zu tragen, sie sind jetzt dazu gezwungen. Gleichgeblieben, wenn auch mit anderem Personal, ist, so die SZ, die

„rücksichtslose Unterdrückung jeglicher politischer Opposition. Dabei ist der Sicherheitsapparat der Mullahs ebenso brutal wie die Geheimpolizei Savak des Schahs“.

Wir gratulieren nicht – im Gegensatz zu unserem Bundespräsidenten.

- Gratulieren tun wir den indischen Frauen, die den Mut gefunden haben, gegen das Tempelverbot zu protestieren, dem sie unterliegen, wenn sie ihre Periode haben. An manchen hinduistischen Heiligtümern herrschte sogar ein generelles Zutrittsverbot für Mädchen und Frauen „im Menstruationsalter“, also von 10 bis 50 Jahren. Das würde nämlich die Gottheit Ayyappan beleidigen, die als Prinz das Gelübde abgelegt hatte, allen weltlichen Vergnügungen zu entsagen. Im September 2018 entschied das indische Verfassungsgericht, im Sinne der Religionsfreiheit diesen Ausschluss zu beenden. Bei den Hindu-Nationalisten war daraufhin Feuer am Dach. Die Frauen haben Anfang Januar eine „Women’s Wall/Frauenwand“ gebildet. Sie erstreckte sich auf 620km Länge quer durch den Bundesstaat Kerala.


Die Mauer der Frauen

- Eine niederländische Kirche hat seit Oktober und rund um die Uhr einen Gottesdienst abgehalten, um eine armenische Familie vor der Abschiebung zu schützen. „Beten, bis sie mürbe werden“, gewissermaßen. Ende Dezember hat man eine Ausnahmegenehmigung erteilt, nach der Kinder und Jugendliche (und damit auch ihren Eltern), die seit Jahren in den Niederlanden wohnen, eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung ohne Anrecht auf Asyl erhalten sollen. Da soll noch einmal jemand sagen, dass Beten nichts hilft.

- Zu berichten ist noch über zwei Frauen, die nach langjährigen Haftstrafen freigelassen wurden. Im Fall der pakistanischen Christin Asia Bibi hielt das Verfassungsgericht an seinem Freispruch fest, sodass Asia jetzt ausreisen könnte. Im Mai reiste sie nach Kanada aus und ist dort wieder mit ihrer Familie zusammen.

- Begnadigt aber noch nicht entlassen ist die US-Amerikanerin Cyntoia Brown. Sie war als Teenager in die Prostitution gezwungen worden, hatte eines Tages einen Waffennarren als Freier gehabt und um ihr Leben gefürchtet, als er sich im Bett wegdrehte und neben sich griff. Cyntoia schoss ihm mit einer seiner Pistolen in den Hinterkopf. Obwohl sie damals erst 16 war, wurde sie zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe plus acht Jahren (!) verurteilt. Der Gouverneur von Tennessee sprach jetzt von einer „zu harschen“ Strafe und genehmigte ihre Freilassung zum August – nach 15 Jahren.

 
Cyntoia Brown – Genug ist genug!

- Natürlich haben wir auch das passende Bild für den Fasching. Wir legen allerdings Wert auf die Feststellung, dass die Wiederbelebung der Monarchie in Bayern nicht zum AI-Mandat im engeren Sinne gehört.


Die Königstreuen von Gammelsdorf

Februar 2019

 


Buße des „Ehrenamtlichen Franziskaners“

Sie werden sich wahrscheinlich wundern, warum wir die österliche Bußzeit bereits im Faschingsmonat beginnen, aber AI hat leider allen Grund dazu. Am 31. Januar 2019 veröffentlichte eine von der AI-Führung beauftragte Beratungsgesellschaft einen Bericht, der alles andere als schmeichelhaft war. Er bescheinigt der AI-Zentrale in London ein „toxisches Arbeitsklima“, in dem Angestellte

„unter Mobbing, Stress und Rücksichtslosigkeit litten. Seitens der Vorgesetzten habe es an Respekt und Wertschätzung gefehlt.“

Auslöser für den Bericht war der Freitod eines langjährigen Mitarbeiters, der auf Grund des Umstrukturierungsprozesses – Einrichtung von Regionalbüros - einem „extremen Arbeitsdruck ausgesetzt war – und dabei alleingelassen wurde“. Zu erklären, wenn auch nicht zu entschuldigen, ist ein solches Verhalten sicher auch durch das, was die Psychologie als „sekundäre Traumatisierung“ bezeichnet. Wenn Menschen tagtäglich mit Gräuelnachrichten und Frustrationserlebnissen konfrontiert werden, brennen leicht einmal die Sicherungen durch. Missstände wie interne Spannungen, häufiger Personalwechsel und Inkompetenz von einzelnen Führungskräften soll es auch in Berlin geben, aber seit der neue Generalsekretär Markus N. Beeko am Ruder ist, scheint sich „der Zustand der deutschen Sektion zum besseren gewendet haben“. Ein Zusammenhang zwischen Freitod und Arbeitsbedingungen wurde später dementiert.

Aber dass Organisationen wie AI „trotz alledem“ unverzichtbar sind, zeigen die Ereignisse des Monats Februar, die gewissermaßen das gesamte Kernmandat von AI abdecken.

- Politische Gefangene: Große Kreativität im Finden von (mutmaßlich erlogenen) Anklagepunkten bewies die philippinische Justiz, die innerhalb weniger Wochen gleich zwei Haftbefehle gegen eine unliebsame Journalistin erwirkte. Maria Ressa, Chefredakteurin eines Nachrichtenportals, sah sich im November 2018 einem Verfahren wegen Steuerbetrugs ausgesetzt, wurde jetzt wegen Verleumdung eines Geschäftsmannes nach einer Nacht in Polizeigewahrsam auf Kaution freigelassen, aber Ende März erneut inhaftiert. Ihr wahres „Vergehen“ bestand darin, dass sie über die Menschenrechtsverletzungen in Anti-Drogenkrieg von Präsident Duterte berichtete.


Maria Ressa

- Todesstrafe: Sie sind männlich, zwischen 18 und 45, haben einen mittleren Schulabschluss und einen „exzellenten moralischen Charakter“? Dann bewerben Sie sich in Colombo/Sri Lanka – um den Posten eines Henkers. Das Land möchte nämlich für Drogendelikte wieder den Galgen einführen, nachdem man mehr als vier Jahrzehnte ohne Vollstreckung der Todesstrafe ausgekommen ist. Und wieder einmal tritt Duterte in Erscheinung, der anderen asiatischen Staatenlenkern als „Vorbild“ dient“. Im Kampf gegen synthetische Drogen wollen auch sie, so die SZ, den „harten und gnadenlosen Vollstrecker“ markieren, ein Verhalten, das „nachweislich gegen die Drogenschwemme nutzlos ist“.

- Folter: Ein „Outsourcing“ der besonderen Art praktizierte die indonesische Polizei auf Neuguinea zur Erzwingung von Geständnissen. Sie ließ eine zwei Meter lange Schlange auf einen mutmaßlichen Dieb los, der in Panik geriet und zu schreien begann. Als das Video einer Menschenrechtsanwältin in die Hände fiel, hat sich ein Polizeisprecher entschuldigt. Die Schlange soll ungefährlich gewesen sein, aber nicht jeder Dieb ist gleichzeitig Ophiologe/Experte für Schlangen.

- Verschwindenlassen: Dem Verleger Gui Minhai, der in Hongkong chinakritische Artikel veröffentlichte, wurde die zweifelhafte Ehre zuteil, gleich zweimal entführt zu werden. Beim ersten Mal holte man ihn aus seinem Feriendomizil in Thailand, das zweite Mal schnappten ihn sich Agenten, als er mit zwei schwedischen Diplomaten im Zug saß. Da Gui schwedischer Staatsbürger ist, schaltete sich die schwedische Botschafterin in die Suche ein, allerdings auf seltsame Weise. Die Tochter Guis erhielt eine Einladung zu einem konspirativen Treffen in Stockholm, wo man sie mit Champagner empfing, ihr einen Job in China anbot und andeutete, man könne bei der Freilassung ihres Vaters mithelfen – wenn sie den Mund hielte und den Kontakt zu den Medien abbräche. China sei nämlich sehr „zornig“ über ihre Aktivitäten. Die Botschafterin war bei diesem Treffen anwesend und ermunterte sie, auf den Handel einzugehen. Das schwedische Außenministerium hatte (angeblich) keine Ahnung von der „Initiative“ der Botschafterin und hat sie inzwischen wegen „eigenmächtiger Verhandlungen mit einer fremden Macht“ abberufen.

- Asyl: Im Januar hatte sich der Scharfmacher der österreichischen Regierung, Innenminister Herbert Kickl, zu der Aussage verstiegen, „das Recht habe der Politik zu folgen“. Jetzt hat er mit seiner Forderung nach einer „Sicherungshaft“ für verdächtige Asylbewerber seiner Politik zum ihrem Recht verholfen. Einem Verfassungsrechtler zufolge, wäre das „eine völlig neue Form des Freiheitsentzugs, die es bisher in keinem anderen Land der EU gibt“. Der deutsche Innenminister Seehofer reagierte nach dem Motto. „Was die Österreicher können, …!“ Er möchte eine „erweiterte Vorbereitungshaft“ für Identitätsverweigerer einführen, ausreisepflichtige Asylbewerber in gewöhnlichen Haftanstalten unterbringen, wo sie von kriminellen Strafgefangenen nur durch einen „Mittelstreifen“ getrennt wären und denjenigen die Haft androhen, die vor Abschiebung gezielt warnen. Dadurch könnte man auch die Zahl der, so der BAMF-Chef Sommer, „selbsternannten Flüchtlingsräte“ reduzieren, die sich so hartnäckig einem „Geordnete-Rückkehr-Gesetz in den Weg stellen.

Die Kurznachrichten

- Nach dem Attentat in Christchurch/Neuseeland dämmert uns wieder, dass es neben dem Islamismus eine „andere Welle“ des Terrors gibt, die Gewalt von rechts, befeuert vom Glauben an eine „wiedererstarkte weiße Identität“ und ausgeübt von Psychopathen, Moslemhassern und abgehängten Existenzen. So wurde bekannt, dass 2018 Rechtsextreme an 50 Morden in den USA beteiligt waren, was gegenüber dem Vorjahr einen Anstieg von 35 Prozent bedeutet.

- Einen Aufmarsch zurück in die Vergangenheit gab es in Nürnberg, der Stadt der Reichsparteitage. Es waren zwar nicht Hunderttausende, sondern nur deren achtzehn, die sich mit brennenden Fackeln auf der Rednertribüne Hitlers platzierten und „Deutschland, Deutschland über alles“ von sich gaben, aber zu einer „Gartenpartie“ waren sie nicht unterwegs, wie die Polizei zu meinen schien. Da sich die Neonazis vor einem Flüchtlingsheim getroffen hatten, - wo denn sonst? - war das Polizeiaufgebot verstärkt worden, aber als man (im Gleichschritt?) zur Zeppelintribüne marschierte, waren nur noch zwei Zivilpolizisten im Einsatz, die „aus Gründen der Eigensicherung“ nicht eingreifen konnten (oder wollten).


Hitlers Rednertribüne – noch zu gebrauchen!

Zwei Wochen zuvor waren 15 Mitglieder der Gruppe „Wodans Erben“ in geschlossener Formation in der Flüchtlingsunterkunft in Moosach aufmarschiert. Das Video, das sie anschließend ins Netz stellten, vermittelte den Eindruck, dass „sich die Gruppe frei auf dem Gelände bewegen konnte“. Die Flüchtlingsberater mussten in der Vergangenheit oft außerhalb des Zaunes arbeiten.

- „Eigensicherung“ ist auch unser nächstes Stichwort. Nach einer Dienstanweisung aus dem Innenministerium werden Beamte der Bundespolizei mit Bodycams ausgerichtet, die es ihnen ermöglichen, alle Menschen zu filmen, mit denen sie zu tun haben, bzw. die, was leider immer öfter vorkommt, übergriffig werden. So weit, so gut. Unverständlich aber ist, dass diese Aufnahmen nicht verwendet werden dürfen, wenn Beamte übergriffig werden und dazu eine „interne Ermittlung“ läuft. Soll ja auch vorkommen, dass Beamte übergriffig werden und gegen sie ermittelt wird!

- Es ist Zeit, sich wieder der übrigen Welt zuzuwenden. Im Mittelmeer hat Deutschland, jetzt sind wir doch wieder bei uns gelandet, seine Teilnahme an der Rettungsmission „Sophia“ eingestellt. Wie im Januar schon angedeutet, war die Fregatte der Bundeswehr vom italienischen Kommando „in abgelegene Gebiete“ beordert worden, wo Flüchtlinge nur vorbeikamen, wenn sich die Schleuser großflächig verirrt hatten. Da unterstellen wir mal dem italienischen Innenminister Salvini, dass er der deutschen Besatzung ein paar Wochen Urlaub verschaffen wollte. Im April hat Deutschland dann megahumanitär auf die Notlage an Bord des deutschen Rettungsschiffes „Alan Kurdi“ reagiert: Wir erklärten uns bereit, „anteilig“ Flüchtlinge aufzunehmen, wenn auch andere Länder mitzögen. Da der Innenminister unseren Anteil im „einstelligen“ Bereich ansiedelt, hätten wir einen guten Vorschlag: Unter den 64 Flüchtlingen sollen ein Kind und ein Baby sein. Nehmen wir doch die zwei – mit den Müttern wären es dann vier!

- Zu einem „Eklat“ auf offener Bühne kam es beim Gipfeltreffen von EU und Arabischer Liga in Scharm el Scheich/Ägypten. Der Generalsekretär der Liga behauptete, „nicht einer der Anwesenden hätte über die Menschenrechtslage gesprochen“. Da erkämpfte (!) sich Jean-Claude Juncker das Wort und stellte richtig:

„Einen Moment, ich war im Saal. Es stimmt nicht, dass wir nicht über Menschenrechte gesprochen haben.“

Daraufhin wurde Juncker von Gastgeber al-Sisi persönlich verhaftet und erst nach einer massiven Intervention von Angela Merkel wieder freigelassen. Er soll sich mit einem „Auf Nimmerwiedersehen, Diktator“ von al-Sisi verabschiedet haben. (Vorsicht Satire!)

- Die verfahrene Situation in Venezuela kann man nur mit einer Karikatur beschreiben. Das Land schwimmt in Öl, aber die Menschen leiden Hunger.

Im April hat Präsident Maduro huldvoll die Hilfe des Roten Kreuzes akzeptiert, bestreitet aber, dass es im Land eine „humanitäre Krise“ gäbe. So ein bisschen Hunger muss man im Sozialismus, wie Maduro ihn praktiziert, schon aushalten.

Erfolgsmeldungen

Unsere „Erfolgsmeldungen“ sind wie üblich nur bedingt genussfähig. Beginnen wir mit der dunklen Seite des Spektrums:

- In Deutschland wurden zwei Syrer verhaftet, die in Gefängnissen des Assad-Regimes Oppositionelle misshandelt haben. Dann gingen sie als Flüchtlinge nach Deutschland, vielleicht um sich anzuschauen, wie man in einem Rechtsstaat mit der Opposition umspringt. Von ehemaligen Opfern wurden sie wiedererkannt und können nach dem Weltrechtsprinzip bei uns vor Gericht gestellt werden. Spannend wird es, wenn eines Tages Präsident Assad zu uns auf Staatsbesuch kommt.

- „Ausgerechnet der“, wird man sagen, wenn man hört, dass Präsident Erdogan China aufgefordert hat, die Menschenrechte zu respektieren und die Internierungslager für die Uiguren zu schließen. Aber immerhin hatte er schon 2009 von einem „Genozid an den muslimischen Gläubigen“ gesprochen, und

„dass Erdogan nun die Kosten für ein Abkühlen der Beziehungen in Kauf nimmt, sollte andere Staaten ermuntern, die eigene Haltung zu überprüfen“.

- Der europäische Gerichtshof hat Flüchtlingen, die nach dem Dublin-Abkommen in ein anderes EU-Land abgeschoben werden sollen, einen bedingten Schutz gewährt. Sie sind vor Abschiebung geschützt, wenn ihnen nicht nur „gewöhnliche Armut“, sondern „extreme Not und Verelendung“ droht. Damit sollten die meisten Länder Osteuropas als „Entsorgungsstationen“ wegfallen.

- Und dann hat Angela Merkel, vom Ballast des Parteivorsitzes befreit, einen mutigen Satz gesagt, der sie auf Kollisionskurs mit ihrer Nachfolgerin und der Mehrheit der CDU bringen dürfte:

„Ich glaube, dass wir 2015 in einer sehr fordernden humanitären Situation Großartiges geleistet haben.“

Das glauben wir auch.

Zur Entspannung einige Nachrichten aus dem Kuriositätenkabinett:

- Das iranische Staatsfernsehen hat die Übertragung eines Bundesligaspiels des FC Bayern abgesagt, weil die Schiedsrichterin Bibiane Steinhaus in kurzen Sporthosen agiert hat. In Filmen werden solche Bilder im Iran zensiert, aber im Fußballspiel „ist der Schiedsrichter/die Schiedsrichterin ständig im Bild, sodass eine Zensierung kaum möglich gewesen wäre“. Und beim Elfmeter hätten alle nur auf die Schiedsrichterin geschaut.

- Bevor wir uns aber allzu sehr über die iranische Frauenfeindlichkeit aufregen, sollten wir uns noch einmal die Altneihauser Feuerwehr vornehmen, die im letzten Jahr Brigitte Macron niedergewalzt hat. Der Chef der Gruppe hat dem Merkur ein Interview gegeben, das genauso unerträglich war, wie der Beitrag der Kapelle. Auf den Eklat angesprochen, stellte er die Gegenfrage „War da was?“, sprach (zusammenhangslos) von einer „alten Sau“, die der BR „durchs Dorf getrieben habe“ und behauptete, dass da „mal etwas hingehaut“ habe. Damit sind wir endlich doch noch beim Fasching gelandet – wenn auch mit einer Bauchlandung.

- Genussfähig ist das Foto vom Valentinstag in Afghanistan, das den Februar beschließen soll. Nur darf man sich nicht ausmalen, was die Taliban mit den Ballons und den Menschen machen würden!

März 2019

„Im März da sprießt der Märzenbecher,
und auch die Rechten werden frecher.“


- Zugegeben, der Reim ist schlecht, aber ich schäme mich wenigstens dafür. Wenig Schamgefühl hingegen zeigt die Gruppe „Wodans Erben“, die, nach ihren Auftritten in Nürnberg und Moosach, im März ins Villenviertel von Bogenhausen zogen. Dort steht hinter dem Klinikum eine arg lädierte Odinstatue („Arm ab, Waffe weg“), was seine Erben aber nicht abhielt, die erste Strophe des Deutschlandliedes zu singen und von der Maas und der Memel zu träumen. Ob es auch zu Menschenopfern von „Messermännern“ und „kriminellen Invasoren“ (Flüchtlinge) gekommen ist, entzieht sich unserer Kenntnis.


Odin – der Gott des Krieges

- Mehr als frech war auch die Aktion von Anhängern der I(dio)dentären Bewegung, die den Zugang zu einer Infoveranstaltung des Münchner Flüchtlingsrates blockierten. Die Veranstaltung richtete sich an Leute, die sich als ehrenamtliche Flüchtlingshelfer engagieren wollten. Die Aktivisten der IB standen unter einem Banner mit der Aufschrift. „Helfen auf eigene Gefahr!“ Ob die größere Gefahr für die Helfer von ihnen oder vom „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ von Innenminister Seehofer droht, der die Warnung vor Abschiebungen nach wie vor mit Sanktionen/Strafen belegen will, bleibt abzuwarten. Die Fachstelle für Demokratie in München sieht jedenfalls Rechtsextremisten derzeit in einem „Offensivmoment“.

- Das scheint auch eine Reaktion auf die internationale Woche gegen den Rassismus zu sein, der selbst in der Stadt der Lichterkette zur Alltagserscheinung geworden ist – von Ausgrenzung und abwertenden Bemerkungen bis hin zu brutaler Gewalt. Es geht hier nicht um „Negerküsse“ und „Sarotti-Mohren“, sondern um Verhaltensweisen, die Betroffene als verletzend empfinden. Da wird einem Äthiopier in der Kirche der Friedensgruß verweigert, der Sitzplatz neben einem dunkelhäutigen Mann oder einer Frau mit Kopftuch gemieden, auf Zustimmung bei der Aussage (auf Schwäbisch) „Habet Sie in München au so viele Schwarze?“ gesetzt, einem Nigerianer im Supermarkt von einer älteren Frau ein Karton auf den Kopf geschlagen, ein farbiger Taxifahrer rassistisch beschimpft, zu Boden geworfen und gegen den Kopf getreten. Und wenn man in Videos davon spricht, dass „Afrikaner enthemmt sind, wenn es um die Ausübung körperlicher Gewalt geht“, dann kommt man heutzutage in den Landtag und „gilt als eher gemäßigte Exponent der AfD“.

- In Chemnitz verstarb der Rechtsextremist Thomas Haller. Er hatte in der Vergangenheit die Neonazigruppe HooNaRa betrieben und war mit der Hooligan-Gruppierung Kaotic Chemnitz liiert, die bei den Unruhen im Spätsommer 2018 kräftig mitgemischt hatte. Im Stadium wurde für Haller eine Trauerminute abgehalten, Bengalos abgebrannt, sein Foto auf einer Videowand eingeblendet und ein Banner in altdeutscher Schrift abgerollt.

 
Trauerfeier im Stadion von Chemnitz

Zu seiner Beerdigung kamen dann 1000 einschlägig belastete „Kameraden“, sicher mehr, als bei der Beerdigung des Punks, den Mitglieder der HooNaRa 1999 ermordeten. Was hätte bei soviel Aufwand und Anteilnahme am Tod eines Rechtsextremisten ein DDR-Nostalgiker gesagt? „Das hätte es damals nicht gegeben, als Chemnitz noch Karl-Marx-Stadt hieß.“

- Zurück nach München. Es ist derzeit nicht opportun, die Polizei hart anzugehen. Zum einen hat sie durch das neue bayrische Polizeiaufgabengesetz mehr Möglichkeiten, Kritiker zur Aufgabe zu bewegen, zum anderen, und da hört der Sarkasmus auf, gehört sie zu den Berufsgruppen, die zunehmend Zielscheibe verbaler Entgleisungen und tätlicher Angriffe wird. Da sind wir natürlich auf ihrer Seite. Nicht solidarisieren können wir uns mit den 35 Beamten des Unterstützungskommandos/USK, auf deren Chat-Gruppe man im Zuge der Ermittlungen wegen eines Sexualdeliktes am Spitzingsee/Lkr. Miesbach(!) stieß. Teil des Chats waren zwei Videos mit antisemitischem Inhalt. Wir gehen (endlich einmal) mit dem bayrischen Innenminister konform, wenn er sagt: „Wer sich derart verhält, hat in den Reihen der Polizei nichts zu suchen.“

- Räume frei werden auch im Mittelmeer, denn die EU hat, wie zuvor schon Deutschland, den Marineeinsatz zur Rettung von schiffbrüchigen Flüchtlingen eingestellt und wird die Gegend zwischen Libyen, Malta und Italien künftig nur noch aus der Luft überwachen. Absaufen unter Beobachtung, gewissermaßen! Nein! Schließlich gibt es noch die libysche Küstenwache, der sich derzeit neue Einnahmequellen erschließen. In Libyen ist Bürgerkrieg, und es gibt bereits Berichte, dass Flüchtlinge zum Kriegsdienst gezwungen wurden. Frauen und Kinder werden anderweitig „beschäftigt“.

- Eng geworden ist es hingegen im Ankerzentrum in der ehemaligen Funkkaserne in München. Familien mit mehr als 80 Kindern leben auf engstem Raum zusammen, müssen verschimmelte Gemeinschaftsbäder benutzen und haben einen Fernseh-raum, dessen Möblierung aus Paletten besteht. Da weiß man schon, warum Stadträten und Mitarbeitern des Sozialreferats der Zugang erschwert ist. „Man versucht hier, möglichst unmenschliche Zustände zu schaffen“, so ein Stadtrat. Auf die Kritik hin will die Regierung einen Spiel- und Aufenthaltsraum einrichten und das Zentrum grundsanieren – in den nächsten zwei Jahren.

 
Doch wie’s da drinnen aussieht, …

Es scheint dann doch etwas schneller gegangen zu sein, denn als eine Landtagsabgeordnete Ende April einen zweiten Kontrollbesuch machte, hatte es ausgeschimmelt und man hatte mit der Sanierung der Räume begonnen. Außerdem hatte man die Belegschaft vom Ameisenhaufen weg auf ein menschliches Maß reduziert. Sehen sie, es geht doch, wenn die Öffentlichkeit das Maul aufmacht!

- Zu einer handfesten Auseinandersetzung kam es in Nürnberg, als ein Afghane, der seit 2010 in Deutschland lebt, abgeschoben werden sollte. Zu den Hintergründen der Abschiebung gibt es unterschiedliche Aussagen von Flüchtlingsrat und Regierung von Mittelfranken, aber erwähnenswert ist die Zahl der Demonstranten, die sich dem Abtransport zum Flughafen entschieden (und nicht völlig gewaltfrei) entgegenstellten. 500 Leute- die muss man erst einmal zusammenbringen!

- Widersprüchlich sind die Ergebnisse einer Studie, die die CSU-nahe Hans-Seidel-Stiftung in Auftrag gegeben, aber nicht veröffentlicht hat. Es ging um „Integrationsverläufe“ bei elf Asylbewerbern. Ernüchternd die Aussagen zum Spracherwerb („nicht ausreichend alphabetisiert“) und zu den Möglichkeiten einer soliden Berufsausbildung („am Niedriglohnsektor orientiert“). Zwischen den Zeilen aber klingt an, dass diese Defizite auch von den Behörden (und der Gesellschaft) gewollt sind. Für Sprachkurse gibt es lange Wartezeiten, Kontakte zu Deutschen verlaufen überwiegend nur über Helferkreise, und die Massenunterkünfte und die „Unsicherheit über den Asylstatus“ dämpfen die Lernbereitschaft. Auf eine Veröffentlichung hat die Stiftung wohl deshalb verzichtet, weil sich die Verfasser der Studie für den Familiennachzug, den „Spurwechsel“ und gegen große Gemeinschaftsunterkünfte aussprachen, Vorschläge, die der CSU-Politik eher entgegenstehen.

Da kommt einem natürlich sofort die Redensart „Wessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe“ in den Sinn, und irgendwie gilt dies auch für eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Die hat herausgefunden, dass 53% der Befragten Zuwanderung als Chance für unser Land sehen, dass aber 56% glauben, dass wir uns seit 2015 übernommen haben. Hoch sind die Prozentzahlen, wenn es um die Sorgen geht, die die Bürger mit der Migration verbinden – Zunahme von Rechtsextremismus, Spaltung der Gesellschaft, Anstieg von Kriminalität und Terror. Aber auch: 78% sind der Meinung, dass gut integrierte Flüchtlinge bleiben sollten, auch wenn sie rein rechtlich ausreisepflichtig wären. Wie ticken wir jetzt denn wirklich?

Im August legte die Bertelsmann-Stiftung eine weitere Umfrage zum Thema „Zuwanderung“ auf. Interessant ist, dass der Willkommenspegel gegenüber Flüchtlingen in den alten Bundesländern von 2017 auf 2019 gesunken ist (aber immer noch höher ist als der Zurückweisungspegel), während in den neuen Bundesländern im selben Zeitraum der W-Pegel gestiegen ist (aber immer noch unter dem Z-Pegel liegt). Die Stiftung attestiert Deutschland eine „robuste Willkommenskultur“, wobei das Wort „robust“ diese Kultur in jeder Hinsicht zutreffend beschreibt.

AI-Fälle

- Politische Gefangene: In Tschetschenien wurde der Leiter des Büros der Menschenrechtsorganisation Memorial Oyub Titiev zu vier Jahren Haft verurteilt. Titiev hatte sich zuletzt mit dem Schicksal von 27 Häftlingen befasst, die 2017 ohne Gerichtsverfahren hingerichtet worden waren. Da man ihn deshalb nicht gut belangen konnte, hat ihm die Polizei etwas Marihuana ins Auto platziert. Vor Gericht wurden keine Entlastungszeugen zugelassen, aber nicht zuletzt wegen der Internationalen Prozessbeobachter, fiel das Urteil „milder“ aus als erwartet. Er könnte freigelassen werden, wenn er eine Drittel des Strafmaßes abgesessen hat, die U-Haft von mehr als 14 Monaten wird mit einbezogen. Zyniker würden sagen: Der soll sich nicht so haben! Seine Vorgängerin als Büroleiterin, Natalja Estemirowa, wurde 2009 gleich erschossen. Im Juni wurde Oyub dann auf Bewährung entlassen.

Im Iran wurde die Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotudeh zu 33 Jahren Haft und 148 Peitschenhieben verurteilt. Zwei der sieben Anklagepunkte lauteten: „Anstiftung zu Korruption und Prostitution, Störung der öffentlichen Ordnung“. Frau Sotoudeh hatte Frauen verteidigt, die gegen den Kopftuchzwang im Iran verstoßen hatten und war wohl auch selbst ohne Kopftuch aufgetreten. 2012 hatte sie den Sacharow-Preis des Europaparlaments erhalten – wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ möchte man hinzufügen.

        
                    
                       Oyub Titiev                                            Nasrin Sotoudeh

- Todesstrafe: Völlig durchgedreht hat der Sultan von Brunei. Er hatte wieder einmal die Steinigung für Homosexuelle und Ehebrecher angeordnet, weil Brunei ein Staat sei, „der seine Verehrung immer Allah widmet“. Die internationalen Proteste einschließlich der Aufrufe, seine Luxushotels zu boykottieren, ließen ihn unbeeindruckt. Lesben sollen übrigens milder davonkommen. Ihnen drohen 40 Stockhiebe oder 10 Jahre Gefängnis. Ob diese „Milde“ darauf zurückzuführen ist, dass der Sultan in früheren Jahren ein Playboy war und seine Angehörigen (v.a. sein Bruder Jefri) gerne Orgien feiern, müssen wir offenlassen. Zurück in die Stein(igungs)zeit), kann man da nur noch sagen.

- Sklaverei: In München steht die IS-Rückkehrerin Jennifer W. vor Gericht. Man wirft ihr vor, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein und durch unterlassene Hilfeleistung eine Person getötet zu haben, die nach dem Völkerrecht zu schützen ist. Die Frau hatte mit ihrem Ehemann ein jesidisches Kind gekauft und als Sklavin gehalten. Als das Mädchen krank wurde und im Bett einnässte, kettete es der Ehemann im Hof an und ließ es bei 45 Grad verdursten. Das war im Sommer 2015. Jennifer soll zwar auf ihren Mann „eingewirkt“ haben, der hätte aber nicht auf sie gehört. Da sie auch Mitglied der Sittenpolizei gewesen sei, die Frauen in „unislamischer“ Kleidung jagten, wird ihre „Einwirkung“ nicht allzu massiv ausgefallen sein. In einem Chat deutete sie an, dass sie am liebsten wieder zum IS zurückkehren würde. Aber im Irak würde man anders mit ihr umspringen als vor einem deutschen Gericht.

Im Juli hat die Mutter des Mädchens, die als Kronzeugin auftrat, die Angeklagte erst nach einigem Zögern identifiziert. Sie sagte: „Es ist schon so lange her.“ Auch bei weiteren Befragungen gab es Widersprüche, sodass sie „allein als Beweismittel kaum ausreichend“ wäre. Im Oktober hat man dann den mutmaßlichen Täter in Griechenland verhaftet und nach Deutschland ausgeliefert. Im November soll er im Verfahren angehört werden – als Zeuge. Wenn der nicht „singt“, droht ein Freispruch aus Mangel an Beweisen. Und gesungen hat er nicht, ganz im Gegenteil. Als „Zeuge“ konnte er die Aussage verweigern, um sich nicht selbst zu belasten. Seine Frau hat er „maximal ignoriert“.

- Rüstungsexporte: In einer geheimen Sitzung des Bundeskabinetts wurde jetzt eingeräumt, dass saudische Tornados und Eurofighter auch im Jemenkrieg zum Einsatz kommen. Wie sagte schon Erdogan bei den Leopard-Panzern: „Dafür haben wir sie schließlich gekauft.“ Damit ist der Koalitionskompromiss zu Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien erneut auf dem Prüfstand. Frau Kramp-Karrenbauer meint, dass Gemeinschaftsprojekte mit europäischen Partnern „nicht den strengen deutschen Regeln unterliegen“ sollten, aber man darf in aller Naivität doch auch mal fragen, ob sich nicht die europäischen Partner an die deutschen Regeln halten sollten.

Die Kurznachrichten   

- „Frech“ geworden sind auch die türkischen Frauen am Frauentag auf ihrem Nachtmarsch auf der Einkaufsmeile in Istanbul. In der Vergangenheit blieben sie unbehelligt, aber diesmal setzte die Polizei Reizgas und Gummigeschoße ein. Präsident Erdogan hat dem Polizeieinsatz nachträglich seinen Segen gegeben: Die Frauen hätten mit ihren Pfiffen und Slogans den Gebetsruf des Muezzin übertönt. Soweit wie der Imam am Frauentag 2018 ging er allerdings nicht. Der hatte erklärt, dass Frauen „Gott dankbar sein sollten“, weil er Männern erlaubt habe, sie zu schlagen.


Geht nach Hause!

- „Ein schlechter Altherrenwitz“ könnte man sage, wenn die Urteilsbegründung auf einem Berufungsgericht in Ancona/Italien nicht von drei weiblichen Richterinnen kommen würde. Die hatten in der Neuauflage eines Vergewaltigungsprozesses drei Männer freigesprochen, weil die Vergewaltigung einer Peruanerin deshalb wenig wahrscheinlich sei, weil das Opfer von vor drei Jahren „zu männlich aussehe und zu wenig attraktiv sei“. Der Freispruch erfolgte bereits 2017, wurde aber erst jetzt bekannt, nachdem das oberste Gericht des Landes einen neuen Prozess angeordnet hatte.

- Papst Franziskus hat jetzt doch noch „konkretere“ Richtlinien bei Missbrauchsfällen herausgegeben. Schon der Verdacht auf Missbrauch von Minderjährigen muss künftig angezeigt werden und verurteilte Täter sind von ihren Posten zu entfernen. Die Richtlinien aber sind für den Vatikanstaat und die Kurie selber bestimmt, wo allenfalls zwei Dutzend Kinder und Jugendliche leben. Man geht jedoch davon aus, dass andere Bischofskonferenzen, die noch keine eigenen Richtlinien formuliert haben, an diesen Weisungen nicht vorbeikommen. Die Stimmung in der katholischen Kirche ist durchaus mit der in einigen Bundesligavereinen zu vergleichen.


Depressionen

- Schlechte Nachrichten, was denn sonst, von der Führungsebene des Iran. Ein Anwärter auf die Nachfolge Chomeinis soll der Hardliner Ebrahim Raisi sein. Er gehörte 1988 dem „Komitee des Todes“ an, das auf eine geheime Fatwa Chomeinis hin Tausende politische Häftlinge ohne Urteil in den Gefängnissen hinrichten ließ.

- Möge ihm einst das gleiche Schicksal beschieden sein wie einem anderen Hardliner, der auch Tausende auf dem Gewissen hat. Gegen den bosnischen Serbenführer Karadzic, der 1995 für das Massaker von Srebrenica mitverantwortlich war, wurde jetzt das Strafmaß verschärft. Er muss lebenslang ins Gefängnis. Hoffentlich darf er die Strafe nicht im serbischen Teil Bosniens absitzen. In der Stadt Pale hat man nämlich 2016 ein Universitätsgebäude nach ihm benannt.

- Bei manchen AI-Nachrichten kommt man mit seinen Gefühlsausbrüchen nicht mehr nach. Da kamen in Saudi-Arabien Ende März drei Frauenrechtlerinnen auf Bewährung frei, die man zehn Monate zuvor wegen ihres Einsatzes gegen das Fahrverbot eingelocht hatte. Einen Tag vor ihrer Entlassung hatte man sie zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt. Wie das zusammengehen soll, weiß wohl nicht einmal Allah! Nicht entlassen wurde Loujain al-Hathloul, die auf ihrer Fahrt von Dubai zur saudischen Grenze aufgegriffen wurde. Wahrscheinlich ist sie für die Öffentlichkeit noch nicht präsentabel: Sie scheint im Gefängnis durch Folter und sexuellem Missbrauch gebrochen worden zu sein. Der Bericht ihrer Eltern über ein Telefonat mit ihrer Tochter geht einem unter die Haut:

„Die Eltern beschreiben sie als teilnahmslos, als schicksalsergeben. Von ihrem mutigen Lächeln, mit dem sie damals Richtung Grenze fuhr, ist nicht mehr viel übriggeblieben.“


Loujain al-Hathloul - vor ihrer Haft

- „Vom Eise befreit“ sind (kurzfristig?) die Beziehungen zwischen Asylhelfern und dem bayrischen Innenminister Herrmann. Vor zwei Jahren, als mehr als tausend Asylhelfer die Bavaria besetzten, hatte der Minister noch ein Gespräch abgesagt. Jetzt hat er sieben ihrer Vertreter zu einem Gespräch eingeladen. Der Sprecher der Gruppe zeigte sich anschließend zufrieden über den Verlauf.

„Der Minister war erstaunt darüber, wie unterschiedlich streng das Thema Arbeitsgenehmigungen in den Landkreisen gehandhabt wird.“

Hoffentlich erreicht die „großzügigere Linie“ des Innenministeriums auch den Landkreis Miesbach.

Darauf, und auf den ganzen Monat März ein Spruch von Pearl S. Buck:

„Die Hoffnung aufzugeben bedeutet, nach der Gegenwart auch die Zukunft preiszugeben.“


April 2019


- „Es vergeht kaum noch eines der Hauptfeste der Christenheit, ohne dass von irgendwoher Gewalt und Terror gegen Christen und ihre Kirchen gemeldet wird“,

so die SZ in einem Kommentar zu den Attentaten in Sri Lanka. Was genau die Triebfedern der Täter waren, der Hass auf die Christen, als „Repräsentanten des Westens“ war sicher mit dabei. Und natürlich hebt auch der IS sein Mörderhändchen, wenn die Frage aufkommt, wem der Hauptpreis für die Täterschaft zusteht. Man muss den Prozentzahlen an Christenverfolgung, die die Organisation „Open Doors“ verbreitet, „mit äußerster Vorsicht“ begegnen, aber dass es, nach Papst Franziskus, „heute mehr Märtyrer als in den ersten Jahrhunderten des Christentums“ gibt, ist kaum zu bezweifeln. Hoffen wir nur, dass der Ex-Papst Benedikt diesmal den Mund hält. Der würde, wie schon die Missbrauchsfälle, die Christenverfolgung wieder den 1968ern zuschreiben.

Erschütternd beispielsweise die Entwicklung in Mossul/Irak. Dort gab es bis 2003 1,3 Millionen Christen. Vom Bürgerkrieg wurden bis 2009 mindestens die Hälfte vertrieben. Dann wurde die Stadt 2014 vom IS besetzt, die Zahl der Christen war auf 25 000 geschrumpft. Diese wurden vor die Wahl gestellt, zu konvertieren, zu fliehen oder hingerichtet zu werden. Die meisten gingen, und uralte christliche Kirchen wurden zerstört.


Kirche in Karakosch/Nordirak

- Sie haben sicher schon die Einleitung zum Monat April vermisst. Hier ist sie – mit der Qualität, die gerade noch fürs Poesiealbum reicht.

„Jetzt ist April,
und da hält man still.“


Das Kuschen und Stillehalten war in diesem Monat eine weit verbreitete politische Verhaltensweise, ansteckend wie die Frühjahrsgrippe.

- Lange verschwiegen hat die Bundesregierung nachrichtendienstliche Erkenntnisse, dass Saudi-Arabien im Krieg gegen Rebellen im Jemen Tornados und Eurofighter einsetzt, an deren Produktion (und Verkauf) Deutschland beteiligt ist. Für die Pragmatiker der Exportlobby ist das kein Problem: „Wenn man sie schon gekauft hat, …!“ Entschuldigung, war schon da – und „Who wants yesterday’s papers?“

- Still gehalten hat Berlin auch, als sich in Kairo durch gezinkte Wahlen Präsident al-Sisi zum Langzeitherrscher krönte. Die deutsche Politik setzt auf die „Stabilität“, die er dem Lande gegeben hat und ignoriert deren Kosten. Al-Sisi und das Militär haben „in Ägypten eines der repressivsten Systeme der arabischen Welt installiert“, wo Dissidenten durch allgegenwärtige Geheimdienste gnadenlos verfolgt werden.

- Gekuscht hat unser geschäftstüchtiges Nachbarland Schweiz vor den Verlockungen, die auf der Neuen Seidenstraße auf Europas Wirtschaft zurollen – oder auch nicht! Der Schweizer Bundespräsident Ueli Maurer hat den Chinesen bescheinigt, dass das Land sich noch in der Entwicklung befände und deshalb in Sachen Menschenrechte lediglich „einen gewissen Nachholbedarf“ habe. Ob sich die Lage wirklich derart verschlechtert habe, wie (übereinstimmend) berichtet würde, könne er nicht beurteilen.


Da schreitet er noch stramm einher

- Und regelrecht eingeknickt, aber da sind sie in großer Gesellschaft, sind die Richter des Weltstrafgerichts in Den Haag vor dem Druck der USA. Der Internationale Strafgerichtshof hatte Vorermittlungen angestellt, die mutmaßliche Kriegsverbrechen amerikanischer Soldaten in Afghanistan zum Ziel hatten. Die USA drohten den damit befassten Juristen mit Sanktionen (Einreiseverbote), und die Ermittlungen wurden eingestellt. Begründung: Solange es an der Kooperation der betreffenden Staaten (USA, Afghanistan) mangle, seien die Ermittlungen schwierig, wenig aussichtsreich und somit „eine Verschwendung von Ressourcen“. Nach dieser Logik müsste man viele Ermittlungen einstellen.

Der Gerichtshof ist wegen dieser Entscheidung in die Kritik geraten. Es wurde (wieder einmal) bestätigt, dass es keine Ermittlungen gibt, wenn die Verdächtigen mächtige Freunde haben oder ein mächtiges Land betroffen wäre, und man nur gegen gestürzte und besiegte (afrikanische bzw. osteuropäische) Politiker zu ermitteln wagt – in letzter Zeit nicht einmal mehr gegen solche, denn der ehemalige kongolesische Vizepräsident Pierre Bemba, wegen Kriegsverbrechen in der Zentralafrikanischen Republik angeklagt, wurde in 2. Instanz freigesprochen – und verlangt jetzt 70 Millionen Haftentschädigung. Die SZ meint dazu:

„Der Strafgerichtshof … ist eine weitgehend symbolische Veranstaltung geworden.“

Die Kurznachrichten

Deutschland

- Dem Friedhof von Frauenchiemsee bleibt eine Attraktion erhalten – und den Neonazis ein Fotomotiv. Das „Scheingrab in Form eines Eisernen Kreuzes“ für Generaloberst Alfred Jodl, der im Nürnberger Prozess als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt wurde und dessen Asche nach der Hinrichtung in den Wenzbach/München gestreut wurde, darf vom Grabinhaber, einem getreuen Großneffen Jodls, 20 Jahre lang weiter genutzt werden. Nur 100 Meter entfernt, liegt die selige Irmengard begraben. Wenn auch der General im Himmel ist, werden sich die beiden schon irgendwie arrangiert haben.

- Kontrovers diskutiert wurde eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Reiztitel „Verlorene Mitte, feindselige Zustände“. Die Verfasser stellten fest, dass gerade junge Leute dazu neigen, den Nationalsozialismus zu verharmlosen, dass ein Drittel der Befragten die Verbrechen der Nazis an den Juden mit der Behandlung der Palästinenser durch die Israelis gleichsetzen, dass die Vorurteile gegenüber Asylbewerbern zugenommen haben und dass sich 10% einen „Führer“ wünschen, der Deutschland „mit starker Hand regiert“. Da hat der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel entschieden gegen gehalten. Er wies auf das komplementäre Ergebnis der Studie hin, wonach 86% der Befragten die Demokratie für die richtige Regierungsform halten und 80% für eine offene Gesellschaft eintreten. „Verloren“ mag die Mitte noch nicht sein, bedroht ist sie allemal. Am 26. Mai ist Europawahl.

- Aufgestoßen hat mir eine Überschrift im Merkur: „Vier Flüchtlinge prügeln auf Passanten ein.“ Und jetzt frage ich Sie: Wie viele Leser hören mit einem „Die schon wieder!“ mit dem Lesen auf, und wie viele lesen weiter, um herauszufinden, dass es sich um einen Vorfall handelt, der sich schon Ende Dezember 2018 in Amberg ereignet hat, und der jetzt vor Gericht kam? Wenn Sie weitergelesen haben, dürfen Sie sich nicht nur über die Überschrift ärgern, sondern auch über die Schlägertypen empören. Einer von ihnen wurde im Mai zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten, die anderen zu Bewährungsstrafen verurteilt. Es ist an sich nicht meine Art, Verbrechen und Übergriffe von Flüchtlingen zu verharmlosen, deshalb überlasse ich das in diesem Falle (getrost) dem Staatsanwalt. Der hat die Tat, die ganz Deutschland in Aufregung versetzt hat, als „jugendtypisches Geschehen“ bezeichnet.

Ausland

- Von den Internierungslagern für die Uiguren war schon im Februar die Rede. Jetzt zeigt sich, dass auch Erdogans Kritik vom „Genozid an den muslimischen Gläubigen“ berechtigt ist. Und so wie es die Nazis mit den Juden gemacht haben, erst die Synagogen und dann die Menschen, so macht es heute Chen Quanguo, der diabolische KP-Sekretär in der Provinz Xinjiang/China mit den Moscheen und den Muslimen. „Moscheen werden ihrer Funktion beraubt und dem Erdboden gleichgemacht.“ Auch eine verharmlosende Bezeichnung hat man schon gefunden. In Xinjiang heißt die Reichskristallnacht „Mosque Rectification Program/Moschee-Berichtigunsprogramm“. Die muslimischen Staaten, die in der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) vertreten sind, halten sich mit Kritik vornehm zurück. Aber dass sie im März den Chinesen „für die Bemühungen dankten, ihre muslimischen Bürger zu betreuen“, lässt sich nur damit erklären, dass die Neue Seidenstraße für die Anrainer als Schleimspur angelegt ist.

- Als „gefährlichste Stadt für Frauen“ hat eine Reportage im Merkur die Stadt Kairo benannt. Dort gaben 2013 in einer Umfrage 99% der Frauen an, schon einmal sexuell belästigt worden zu sein. Heute ist das anders, aber nicht, weil nicht mehr belästigt wird, sondern weil die Mädchen und Frauen sich nicht mehr zu outen wagen. „Sexuelle Übergriffe gelten in Ägypten als Schande – für die Opfer.“ Da die Polizei die Vorfälle herunterspielt oder ignoriert, suchen die mutigen Mädchen Hilfe beim Projekt „Sichere Städte für Mädchen“. Dort können sie über ihre Erlebnisse sprechen, lernen sie, sich selbst zu verteidigen, z.B. mit der langen Nadel des Kopftuchs zu-zustechen, pflegen sie einen selbstbewussten Umgang mit den jungen Männern, die „cool“ genug sind, am Projekt teilzunehmen.


Zaghafte Selbstverteidigung

- Wer am Anfang für manche Proteste und Forderungen der Gelbwesten in Frankreich noch ein gewisses Verständnis hatte (Abgehobenheit der Elite, Wirtschaftspolitik für die Reichen, Anhebung von Renten und Mindestlohn), zuckte zusammen, als ein Video veröffentlicht wurde, das einige Demonstranten zeigte, die ein „Bringt euch um!“ in Richtung Polizei riefen. Diese Aufforderung klingt in französischen Ohren noch perfider, weil es in den Reihen der französischen Polizei derzeit viele Suizide gibt, 65 Fälle allein im letzten Jahr.

AI-Fälle

- Todesstrafe: Dem Sultan von Brunei hat man jetzt einige Steine zwischen die Beine geworfen, die er nicht mehr auf die Homosexuellen werfen kann. Das Europaparlament ist der Einführung der Schariastrafen nicht mit „Toleranz, Respekt und Verständnis“ begegnet, wie der Sultan gefordert hat, sondern prüft Sanktionen wie Visaverbote, schwarze Listen gegen seine Luxushotels und Einfrieren von Auslandsguthaben. Letzteres würde ihn am meisten schmerzen! Auch die Reisebranche macht Anstalten, Brunei nicht mehr unter den Traumzielen zu vermarkten. Jetzt spricht der Sultan von „Missverständnissen“ und macht die Höchststrafe davon abhängig, dass „zwei Männer von hohem moralischen Rang und Frömmigkeit“ als Zeugen des Aktes erforderlich seien. Und die wird er, zumindest in seiner Familie (s. Bruder Jefri), nicht finden.

Abschiebegesetz – zum dritten und hoffentlich noch nicht zum letzten: Ein „höchst zufriedener“ Bundesinnenminister präsentierte sein „Geordnete-Rück-kehr-Gesetz“, das er nicht nur ausreisepflichtigen Asylbewerbern, sondern auch dem Koalitionspartner SPD aufs Auge drückte. Tenor: Ausreisepflichtige müssen künftig aktiv zu ihrer eigenen Abschiebung beitragen. Wenn sie das nicht tun, was man irgendwo verstehen kann, drohen Arbeitsverbot, gekürzte Sozialleistungen und, ein weiteres Wortmonster, die „Mitwirkungshaft“ - und die (gegen EU-Recht!) auch in gewöhnlichen Haftanstalten, abgetrennt von Strafgefangenen. Man wird um Abschiebungen nicht herumkommen, weil es bei uns kein „Asylrecht für alle“ gibt, aber von „unverhältnismäßigen Verschärfungen“ wird man schon noch reden dürfen, wenn man beispielsweise bedenkt, wie schwierig es für afghanische Flüchtlinge ist, sich in Deutschland die Tazkirah/Identitätsnachweis zu beschaffen. Wie Seehofer mit Informanten umgeht, die Flüchtlinge vor Abschiebung warnen, ist nicht ganz klar. Die „Mitwirkungshaft“ für Fluchthelfer scheint vom Tisch zu sein, aber eine irgendwie geartete strafrechtliche Verfolgung käme ihm nicht ungelegen, „Wasser und Brot unter Hausarrest“ gewissermaßen.

- Waffenexporte Hier begnügen wir uns mit einem Foto aus dem Jahre 1982 und der Mitteilung des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri, dass „sich Deutschland 2018 auf Platz acht bei den weltweiten Rüstungsausgaben vorgearbeitet hat“. Unter den Rüstungsexporteuren liegen wir auf Platz vier.


Das ist nicht Ursula von der Leyen

Kuriositäten

- In Memmingen hat man eine notorische Ladendiebin (wieder einmal) zu einer Haftstrafe verurteilt. Der Haken am Urteil ist: die Dame ist schon 85 Jahre alt. Hätte man da nicht eine kreative Sozialstrafe verhängen können, beispielsweise täglich zur Hauptgeschäftszeit im Rollator durch den Supermarkt fahren lassen, um die Kunden am Ladendiebstahl hindern oder sie auf Schnäppchen hinzuweisen? Dann wären die 18,73 Euro, wegen derer man sie belangt hat, bald wieder reingekommen. Bei den Angeklagten im Sparkassenprozess aus Miesbach ging es um etwas höhere Beträge, aber die haben die besseren Anwälte.

- Um das (von AI hochgeschätzte) Thema „Alltagsrassismus“ ging es bei einem Streit im Mannheimer Kulturzentrum. Dort prangt über der Theke der Sarotti-Mohr, und zwar in seiner „kolonialrassistischen“ Ausprägung, d.h. schwarzbraun und im Dienerstatus. Zu den sechs Veranstaltungen zum Thema „Kein Platz für Rassismus“ kamen immerhin 700 (!) Teilnehmer. Ob sie alle eine Tafel Sarotti-Schokolade bekamen, ist nicht überliefert. Wir drucken zur Sühne für unsere despektierlichen Bemerkungen das Bild ab, das die Firma seit 2004 verwendet: ein Magier mit goldener Haut, der nach den Sternen greift.


Sarotti-Mohr Neufassung

Die Frauen im Sudan

Wenn man im Fernsehen Bilder von den Demonstrationen sah, die zum Sturz des Diktators al-Baschir führten, hatte man den Eindruck, dass das eine Sache der Männer war. Die Frauen haben aber kräftig mitgemischt, und das seit vier Monaten: Sie sind auf die Straße gegangen, haben Demonstranten vor Gericht verteidigt und Verletzte behandelt. Sie hatten auch allen Grund zum Aufstand. Allein im Jahre 2016 sollen 15 000 Frauen zu Prügelstrafen verurteilt worden sein, weil sie Hosen getragen oder ihre Haare nicht bedeckt hatten. Zum Gesicht des weiblichen Widerstandes wurde die Studentin Alaa Salah: Sie hielt nicht still, auch nicht im April.


Alaa Salah in Aktion

Mai 2019

Im Monat Mai wurde vor 70 Jahren das Grundgesetz verkündet, an Bayern vorbei, das damals noch nicht auf die Todesstrafe verzichten wollte, - nein, dem es zu zentralistisch war. Wir wollen uns hier nicht mit der „Ambivalenz“ befassen, dass dem „Buch der Bürger“ zwar bei Feierstunden „anhaltender Respekt“ entgegengebracht wird, dass aber auf der Straße und bei populistischen Politikern „seine Werte immer weniger geachtet“ werden (Zitate aus der SZ). Wir wollen uns auf GG Artikel 1 beschränken und untersuchen, wie der Monat Mai weltweit mit der „unantastbaren Würde des Menschen“ umgegangen ist.

- Auf Facebook wurde ein Video mit der Rede der demokratischen US-Politikerin Nancy Pelosi manipuliert. Das Video wurde verlangsamt, sodass Pelosi mit lahmer Zunge spricht und betrunken wirkt. Hochrangige Republikaner haben den Link genüßlich auf Twitter geteilt, Facebook hat sich geweigert, das Posting zu löschen, weil es sich nur um eine „fragwürdige Manipulation und Falschbehauptung“ handle, nicht aber ein „eindeutig strafbarer Inhalt“ sei. Frau Pelosi, so ihre Tochter, trinke gar keinen Alkohol.

- Die Jungsozialisten von Ansbach haben das Foto eines Blechdosenturms gepostet, auf dem neben Unions- und AfD-Politikern auch Hitler und Mussolini zu sehen sind. Die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl hat die Aktion zunächst „Spitze“ gefunden, sich dann aber entschuldigt, zu spät, um die Niederlage der SPD bei den Europawahlen zu verhindern.


Ziel verfehlt

- Das Anti-Folterkomitee des Europarates hat eine Abschiebung von München nach Kabul observiert. Die Abschiebung sei gut vorbereitet und professionell durchgeführt worden, nur die Anwendung von Gewalt gegen einen der Männer habe etwas gestört. Man habe ihm die Genitalien gequetscht, „um kooperatives Verhalten zu erreichen“. Aber warum genießt er es auch nicht, kostenlos in seine Heimat befördert zu werden?

- In Ungarn müssen sich Flüchtlinge in zwei Transitzonen aufhalten und warten, bis ein (!) Flüchtling pro Tag einreisen darf. Die Grenze zurück nach Serbien bleibt offen, und durch Aushungern wird der Rückweg schmackhaft gemacht. So berichtet Pro Asyl, dass Eltern und ältere Söhne hungern mussten, während die jüngeren Kinder zu essen bekamen, aber daran gehindert wurden, den Hungernden etwas abzugeben.

- Da loben wir uns den polnischen Kardinal Krajewski, den „Almosenmeister“ des Papstes, der höchstpersönlich in den Keller eines besetzten Hauses in Rom gestiegen ist, und dort die Versiegelung aufgebrochen hat, die dafür sorgte, dass fast 500 Menschen eine Woche lang ohne Elektrizität und warmes Wasser leben mussten, weil sie die Rechnungen nicht bezahlten – oder bezahlen konnten.


„Robin Hood des Papstes“

- Bleiben wir bei der Kirche in Italien. Der Vatikan hat die Auftritte von Innenminister Salvini kritisiert, bei denen er, den Rosenkranz schwenkend, seine unchristliche Flüchtlingspolitik verkündet. „Es ist sehr gefährlich“, so Kardinalstaatssekretär Parolin, „den Namen Gottes für eigene Zwecke zu entfremden.“ Salvini hat, den Rosenkranz schwenkend, seinen Feinden nicht verziehen, sondern zurückgeschossen. Bei einer Rede unterschied er zwischen „guten und schlechten Päpsten“ und ordnete Papst Franziskus der 2. Kategorie zu. „Die katholische Kirche“, so der Merkur unter Bezug auf italienische Zeitungen, „nehme inzwischen die Rolle der Opposition ein und sei zum Hauptgegner der Rechtsextremisten avanciert“. Da wird sich die Kirche wohl bald in Acht nehmen müssen, nicht nach Libyen ausgewiesen zu werden.

- Und damit sind wir schon wieder bei Salvini gelandet. Er, der sonst mit einem MG vor Lampedusa und Sizilien auf der Lauer liegt, damit keine Flüchtlinge ins Land kommen, hat von einem Regierungsgipfel in Tunis 147 (handverlesene) Flüchtlinge aus Libyen mitgebracht. Bevor man aber jetzt (ergriffen) von einem neuen „Damaskuswunder“ spricht, sollte man erwähnen, dass dieser Saulus nur kurzfristig, d.h. mit Hinblick auf die Europawahlen, zum Paulus geworden ist. Der Chef der Lega wollte mit dieser Geste die bürgerlichen und katholischen Kräfte locken, die er mit seiner harten Linie gegen Migranten und Rettungsschiffe abgeschreckt hatte. Ob er die Wahl wegen oder trotz dieses Kursschwenks mit Pauken und Trompeten (und dem Rosenkranz) gewonnen hat, lassen wir offen. Inzwischen kreuzen die Rettungsschiffe wieder vor der italienischen Küste und warten auf die Landeerlaubnis.


Ein Seenotretter mit Hintergrund

Die Kurznachrichten

Deutschland


- In Syrien sind Frauen und Kinder von deutschen IS-Anhängern in syrischen Lagern inhaftiert, und die Zustände dort werden vom Roten Kreuz als „entsetzlich“ beschrieben. Nun weiß man bei der Bundesregierung nicht genau, was zu tun ist. Die Kinder herauszuholen, wäre denkbar, aber an den Kindern hängen Mütter, und denen traut man nicht, oft zu Recht. Wenn man das Bild sieht, drängt sich nur eine Lösung auf: Frauen und Kinder zurückholen und die Mütter überwachen und ggf. verurteilen. Dann müssten halt die Eltern der Mütter und die Großeltern der Kinder einspringen, die bereits beginnen, die Rückholung einzuklagen.

- In München haben 20 000 Menschen für ein solidarisches, friedliches und hassfreies Europa demonstriert. AI war mittelschwellig vertreten, weil wir manchmal eine überzogene Angst haben, vereinnahmt zu werden. Die Miesbacher Gruppe entsandte fünf Leute, der Gruppensprecher fiel der BOB zum Opfer. Vielleicht hat die Demo mit dazu beigetragen, dass mehr Leute zur Wahl gingen und weniger Leute als befürchtet in Deutschland rechts wählten.

- Schockierend allerdings waren zwei Ergebnisse einer Umfrage, die der Europäische Rat für auswärtige Angelegenheiten in 14 Mitgliedstaaten der EU durchgeführt hatte. auf die Frage „Halten Sie einen Krieg zwischen den EU-Ländern in den nächsten zehn Jahren für möglich?“ gab es in den Niederlanden eine (knappe) Mehrheit für „möglich“, während auf die Frage nach einem möglichen Zerfall der EU Spanien das einzige Land war, wo sich „ziemlich wahrscheinlich“ und „ziemlich unwahrscheinlich“ wenigstens noch die Waage hielten. In den meisten anderen Ländern hatten die Zerfallspropheten eine deutliche Mehrheit. Man kann eine gute Idee auch zu Tode ängstigen.

Ausland

- Der Senat von Alabama/USA hat ein Gesetz verabschiedet, das Abtreibungen in fast allen Fällen, einschließlich Vergewaltigung und Inzest verbietet und Ärzten eine Haftstrafe von bis zu 99 Jahren androht. Im 35-köpfigen Senat sitzen nur vier Frauen: zwei stimmten gegen das Gesetz, eine enthielt sich, die vierte war zuhause geblieben. Ziel der Initiatoren ist es, ein Gesetz des Obersten Gerichtshofes auszuhebeln, das 1973 Schwangerschaftsabbrüche „bis zum Zeitpunkt der Lebensfähigkeit eines Fötus“ überall in den USA erlaubte.

- Ähnlich gespalten wie die USA beim Thema Abtreibung ist Brasilien beim Thema Homo- und Transsexualität. Für Menschen, die sexuell in dieser Richtung orientiert sind, sind Diskriminierung, Beleidigungen und Mordanschläge zunehmend an der Tagesordnung. Geschuldet ist das dem Einfluss der Evangelikalen und von Politikern wie Präsident Bolsonaro, der, wie erwähnt, in einem Interview geäußert hatte, er würde seinen Sohn lieber in einem Unfall verlieren, als dass dieser mit einem Mann (als Partner) nach Hause käme. Umso erstaunlicher ist das Gesetz, das das oberste Gericht mit einer knappen Mehrheit jetzt verabschiedete. Es erlaubt, diskriminierende Äußerungen gegen eine sexuelle Orientierung mit Haftstrafen bis zu fünf Jahren zu bestrafen. Wer zu erstaunt ist, sollte wissen, dass mehr als die Hälfte der Richter noch von linken Vorgängerregierungen ernannt worden ist. Bolsonaro war über das Gesetz nicht besonders „amused“. Seinem Sohn wünschen wir Sicherheit auf der Straße und eine erfüllte Partnerschaft – ganz gleich mit wem.

AI-Fälle

- Politische Gefangene: In Algerien wurde Louisa Hanoune, die Generalsekretärin der Arbeiterpartei, verhaftet, pikanterweise als sie vor Gericht erschien, um als Zeugin gegen verhaftete Generäle und Geheimdienstchefs auszusagen. Man wirft ihr „Verschwörung gegen Staat und Armee“ vor, aber es geht wohl eher um eine Bestrafung wegen ihrer Teilnahme an den Massenprotesten gegen die Einflussnahme des Militärs und den Übergangspräsidenten. Und außerdem kann man mit ihrer Verhaftung eine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl am 4. Juli blockieren. Im Jahre 2004 war Hanoune die erste Frau, die in einem arabischen Land bei einer Präsidentschaftswahl antrat.

- Gerichtsverfahren: Man braucht kein Mittleid mit den deutschen IS-Kämpfern zu haben, die jetzt in irakischen Gefängnissen einsitzen, aber der Deal, den der Irak vorschlägt, wurde sogar von der deutschen Regierung als „haarsträubend“ bezeichnet. Der Irak bietet sich an, die deutschen IS-Kämpfer abzuurteilen, zu inhaftieren und ggf. auch hinzurichten, wenn Berlin für die Kosten aufkäme und auf rechtsstaatlichen Schnickschnack verzichte, sprich keine „konsularischen oder sonstige rechtliche Interventionen“ zu veranlassen, ein Besuchsrecht für deutsche Diplomaten bei den Gefangenen einzufordern oder ihnen Anwälte zu organisieren.

- Verschwindenlassen: Ende April verstarb im Klinikum Freising der Exilchinese Zhang Jian unter (mehr als) mysteriösen Umständen. Er war auf dem Flug von Oman nach Paris so schwer erkrankt, dass die Maschine in Freising zwischenlanden musste. Eine erste Obduktion ergab eine Blutvergiftung und einen Leberabszess, eine neuerliche Untersuchung zielte auf Giftrückstände oder radioaktive Belastung. Zhang Jian war 1989 in führender Position auf dem Tian’anmen-Platz dabei – und wäre (angeblich) nicht der erste Dissident, deren Tod auf eine „Lebererkrankung“ zurückzuführen sei. Wenn man verfolgt, wie systematisch Peking die Erinnerung an das Massaker von 1989 auszulöschen versucht, wäre die Elimination der Zeitzeugen nur folgerichtig. Das Ergebnis der 2. Obduktion soll erst in mehreren Wochen vorliegen. Wir sind gespannt, ob man von diesem „beunruhigenden Fall“ noch einmal hören wird.


Zhang Jian

- Folter und Haftbedingungen: Eine Aussage, die eher zum 1. April als zum Mai passt, war die Antwort eines türkischen Regierungssprechers auf die Aufforderung der Bundesregierung, Ankara solle sich (gefälligst) an die Anti-Folterkonvention der UN halten. Der Sprecher behauptete nämlich in vollem Ernst, dass in der Türkei seit 2003 das Prinzip von „null Toleranz gegenüber Folter“ gelte – aber vielleicht hat er nur „Folter“ mit „Foltervorwürfen“ verwechselt. Solche Vorwürfe hatte der Journalist Denis Yücel erhoben, der mehr als ein Jahr in der Türkei inhaftiert war. Er sprach von „Schlägen, Tritten und Drohungen“ aber auch vom psychischen Druck und den Demütigungen, denen ein Gefangener ausgesetzt ist. Die Erfahrungen, die die Schriftstellerin Asli Erdogan in der Isolationshaft gemacht hat, wollen wir Ihnen lieber ersparen.

- Pressefreiheit: Den Artikel zum „Tag der Pressefreiheit“ leitete der Merkur mit dem lapidaren Satz ein:

„Um die Pressefreiheit steht es weltweit schlecht.“

Hier einige „Kostproben“:
- In Malta und der Slowakei wurden Journalisten ermordet.
- In Österreich wurde einem Moderator ein Sabbatjahr empfohlen, weil er einen FPÖ-Politiker „unbotmäßig“ befragt hatte.
- In den USA bezeichnet Trump aufsässige Journalisten schon einmal als „Feinde des Volkes“.
- In Deutschland feiert der Schimpf auf die „Lügenpresse“ wieder fröhliche Urständ.
- In Russland werden kritische Journalisten inhaftiert oder sind Überfällen und Mordanschlägen ausgesetzt.
- In Mexiko musste die Regierung ein Schutzprogramm für bedrohte Reporter veranlassen.
- In China findet Pressefreiheit sowieso nicht statt.

Bild des Monats

Unter dem Projektnamen „Barca Nostra“ hat es das Wrack eines 2015 gesunkenen Fischerbootes, auf dem 700 Menschen ihr Leben verloren, bis zur Biennale in Venedig geschafft. Die SZ hat in ihrem Magazin Gegenstände abgelichtet, die an Bord des Schiffes und bei den Leichen gefunden wurden. Fotos, die vom Glauben, den Träumen, dem Alltag und den Beziehungen ihrer Besitzer zeugen – und mit ihnen untergegangen sind.


Rosenkranz, Handy,

Juni 2019

- Auf Schloss Ortenburg/Niederbayern gibt es eine Inschrift, die vermutlich in Erinnerung an die Schrecken des 30-jährigen Krieges entstanden ist.

„Es wird nichts Fröhliches auf Erden.
Es wird alles nur ärger werden.“

Könnte sich heutzutage auf den Aufmarsch der Rechten beziehen, denn da sollten wir uns gehörig vorsehen, dass es nicht noch ärger wird. Am 2. Juni wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) auf der Terrasse seines Hauses in Istha/Hessen erschossen. Er hatte sich 2015 durch sein Eintreten für Flüchtlinge Feinde gemacht, hatte damals auf einer Bürgerversammlung auf die Einhaltung christlicher Werte gepocht und dann in Reaktion auf pöbelhafte Zwischenrufe folgende „Einladung“ ausgesprochen:

„Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen – das ist die Freiheit jedes Deutschen.“

- Zwar würden wir es auch begrüßen, wenn einige Leute von dieser Freiheit Gebrauch machen würden, aber auf der Gegenseite löste diese „Einladung“ leider keine Auswanderungswelle, sondern einen Shitstorm gegen Lübcke aus. Dieser Sturm war dann schon fast abgeebbt, als Lübckes „Einladung“ im Februar 2019, also dreieinhalb Jahre (!) später von zwei rechten Blogs aufgegriffen und von Lübckes Ex-Parteifreundin Erika Steinbach über Twitter dahingehend abgeändert wurde, dass sie „die Kritiker Merkelscher Asylpolitik“ aufforderte, „die CDU zu verlassen“, aber in „ihrer Heimat“ zu bleiben. Ihre Follower hat das zu sehr eindeutigen Stellungnahmen ermutigt,


Gefällt mir ganz und gar nicht

und einer von ihnen, Kategorie „gewaltbereiter Rechtsextremist“, hat die Waffe nicht nur getwittert, sondern sie benutzt. Deutschland war mit diesem Mord sowohl in die Weimarer Republik zurückgekehrt, wo Politiker von Rechtsextremisten ermordet wurden, als auch in die 1970er Jahre, wo die RAF nicht zuletzt deswegen ihr Unwesen treiben konnte, weil sie lange in eine Sympathisantenszene eingebettet war, wo das Bedauern für die Opfer nicht sehr ausgeprägt war.

Dieser Mangel an Empathie zeigte sich auch in der Reaktion auf den Mord an Lübcke. Frau Steinbach soll zwar ihren Blogbeitrag gelöscht zu haben, aber, so der frühere CDU-Generalsekretär Peter Tauber, bisher kein „Wort der Trauer“ von sich gegeben haben. Im bayrischen Landtag boykottiert der AfD-Abgeordnete Ralph Müller eine Schweigeminute für Lübcke, indem er demonstrativ sitzen bleibt und sich seinen Akten widmet. Und dann die unsäglichen Kommentare in den (a)sozialen Medien: Die „Drecksau“ habe den „Gnadenschuss bekommen! RESPEKT!“

- Es ist diese Verrohung des Denkens und der Sprache, die Bundespräsident Steinmeier auf dem evangelischen Kirchentag gemeint hat, als er die „Demokratisierung des Digitalen“ angemahnt und uns aufgefordert hat, „uns das Internet zurückzuholen“, also das Netz nicht den Spinnern und Hassbotschaftern zu überlassen.

- Und dass zu Recht bereits von einer „braunen RAF“ die Rede ist, zeigt das Verfahren gegen die Gruppe „Revolution Chemnitz“, die von Aktivitäten träumte, gegen die sich die Morde der NSU wie die Taten einer „Kindergarten-Vorschulgruppe“ ausnehmen würden. Dazu kommentarlos eine Karikatur.

 

- Wie sich Gewalt bei Geistesgestörten hochschaukelt, zeigte sich im Juli in Wächtersbach/Hessen und in Frankfurt. In Wächtersbach schoss ein Rechtsextremist einem Eritreeer in den Bauch, in Frankfurt stieß ein Eritreer einen achtjährigen Buben vor den einfahrenden Zug. Das Mitgefühl mit den Opfern war, vorsichtig ausgedrückt, unterschiedlich. Wenn einem die Sprache wegbleibt, bleibt nur noch die Flucht in die Literatur. „Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten“, fängt Brecht sein Gedicht „An die Nachgeborenen“ an. Als helleres (wenn auch befristetes) Intervall der Schluss des Gedichtes:

„Ihr aber, wenn es soweit sein wird
Dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer mit Nachsicht.“

- „Ärger geworden“ ist das Tun und Treiben auch in einigen Bereichen der Flüchtlingspolitik.

- So beklagte Max Niedermeier, Integrationsbeauftragter des Lkr. Miesbach, dass von einem erweiterten Spielraum für Arbeitsgenehmigungen nicht die Rede sein könne. „Die angekündigte Lockerung war reine Augenwischerei.“

- Beim Kirchenasyl zeigt sich ein neuer Rigorismus. Während 2015 noch 80 Prozent der Kirchenasylfälle erfolgreich waren, wurden 2019 fast alle Fälle abgelehnt. Und im Juli hat ein evangelischer Pfarrer aus Immenstadt/Bayern wegen „Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt“ einen Strafbefehl über 4000€ erhalten. Zu einem Schweigemarsch in Kempten traten über 400 Menschen an, darunter viele Pfarrer aller christlichen Konfessionen.


Das Allgäu steht auf

Gegen den Strafbefehl hat der Pfarrer Einspruch eingelegt. Die Landeskirche wird die Kosten übernehmen. Da ist die Kirchensteuer gut angelegt! Im September wurde dann das Verfahren wegen „geringer Schuld“ (des Pfarrers nicht des Freistaats!) eingestellt, die Geldbuße auf 3000€ runtergesetzt – und, von Seiten der Richterin, an der „Strafbarkeit“ der Handlung festgehalten. Im „finsteren Mittelalter“ wurde das Kirchenasyl noch respektiert.

- In Bayern bleibt die Asylberatung in Ankerzentren ein Streitpunkt, der auch bei den Richtern Kopfschütteln verursacht. Amnesty und Flüchtlingsrat bleiben weiterhin wegen „Sicherheit, Brandschutz und Ruhebedürfnis der Bewohner“ von einer Beratung auf dem Gelände ausgesperrt, die Behörden, so das Urteil müsse die Aussperrung aber ordentlich begründen. Am Ende aber kann sich der Richter die Frage nicht verkneifen, ob „es wirklich so schlimm wäre, wenn die Rechtsberater Zugang zur Unterkunft erhielten“.

- Der bayrische Innenminister Herrmann hat ein jordanisches Flüchtlingslager besucht, kurz nachdem er die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern zurück nach Syrien gefordert hatte. „Ein Schuft, wer Böses dabei denkt.“ Jetzt schauen wir mal nach, ob in den Flüchtlingslagern noch freie Plätze sind. Und die Straftäter und Gefährder könnte man doch schon einmal als „Vorauskommando“ benutzen.

- Die explosivste Rakete aber ist auf Lampedusa/Italien abgefeuert worden, und sie schreibt sich mit ‚ck’ und heißt mit Vornamen Carola. Nachdem man ihr mehr als zwei Wochen lang die Einfahrt verweigert hatte, hat Carola Rackete die Sea Watch 3 mit 42 Afrikanern an Bord, und etwas „unsanft“ für ein Boot der Finanzpolizei, in den Hafen von Lampedusa gesteuert. Innenminister Salvini sprach von einem „feindseligen Akt“ und mobilisierte die Justiz. Man warf ihr „Widerstand gegen ein „Kriegsschiff“/Flugzeugträger und „Hilfe zur illegalen Einwanderung“ vor. Über den 2. Anklagepunkt ist noch nicht endgültig entschieden, aber die „deutsche Zecke“ (Salvini) ist wieder in Deutschland.

Giorgia Meloni, Parteichefin einer italienischen Splitterpartei, forderte, die Schiffe der Flüchtlingsretter zu versenken. Soweit ging man in Deutschland nicht, aber auf einer Leserbriefseite des Merkur im Juli war der Tenor einstimmig pro Salvini. Den Vogel schoss eine pensionierte Lehrerin ab, die die Befürwortung der Seenotrettung und dem daraus resultierenden Flüchtlingstsunami über Europa (in einem abstrusen Gedankengang) dem Stillschweigen der deutschen Bevölkerung bei den Judenmorden gleichsetzte:

„Es kommt der Tag, an dem es wieder heißen wird: ‚und niemand will davon gewusst haben.“

Wer das fassen kann, der fasse es!

- Mit diesem Bibelspruch sind wir noch einmal beim evangelischen Kirchentag gelandet. Dort forderte man in einer Resolution, dass die EKD ein eigenes Schiff ins Mittelmeer schicken solle. Und der katholische Pfarrer von Laufen/Bayern hat Leuten/Leserbriefschreibern, die den Auslauf von Booten zur Rettung von Flüchtlingen verbieten wollen, folgendes zugedacht:

„Zwei Wochen Sonderurlaub in Flüchtlingslagern, zwei Wochen treiben auf dem Mittelmeer, oder zwei Wochen in einem Land leben, in dem der Klimawandel heute schon Tausende Opfer fordert.“

 
Rettungseinsatz 1. Klasse

Die Kurznachrichten

Deutschland


- Beunruhigend nach zwei Seiten hin sind die Juninachrichten zum Thema Polizei. Da warnte der CDU-Politiker Friedrich Merz vor einem „Rechtsruck“ bei Polizei (und Bundeswehr), führte das aber nicht auf eine autoritäre Gesinnung der Uniformträger zurück, sondern sah in der Zuwendung zur AfD, deren Bundestagsfraktion mehr Polizisten angehören als jeder anderen Fraktion, einen „Akt der Verzweiflung“, weil sie sich vom Staat in Stich gelassen fühlten und auf einfache Lösungsansätze vertrauen. Andererseits werden Polizisten, wie erwähnt, immer öfter Opfer von Attacken. In Bayern sollen das, nach Aussagen des Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft 31 Fälle pro Tag sein.

- Das sind 31 Fälle zuviel, aber es gibt auch Meldungen, wo die Polizei nicht gerade zimperlich vorging. So berichtete ein Jugendlicher, der an der Besetzung des Tagebaus Garzweiler/NRW teilgenommen hatte, dass die Polizei den Demonstranten verboten hatte, Helme aufzusetzen, obwohl neben Pfefferspray auch Schlagstöcke zum Einsatz kamen, und dass man die Mädchen daran hinderte, in einem geschützten Bereich auf Toilette zu gehen. Und auch die ARD-Doku „Staatsgewalt“ vom Juli relativiert das Bild vom Polizisten als Alleinunschuldigen: Jedes Jahr sollen die Staatsanwaltschaften mit 2000 gewaltsamen Übergriffen von Polizeibeamten befasst sein. Eine unabhängige Ermittlungsstelle wie in anderen europäischen Ländern gibt es immer noch nicht. Wir werden jedenfalls in alle Richtungen hin die Augen offenhalten.

- In München hat die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) einen Bericht veröffentlicht, wonach es in nur zwei Monaten bayernweit zu 39 antisemitischen Vorfällen gekommen ist, darunter eine Szene vor der Synagoge am Jakobsplatz, wo eine alter Mann seiner Frau eine „alternative“ Stadtführung hielt:

„Schau mal. Diese Gebäude da vorne wurden für den Judendreck hingebaut.“

Auf dem Hamburger Rathausmarkt wurden zwei Rabbiner beleidigt und angespuckt. Der Täter war, man neigt zu sagen ‚Gott sei Dank’, ein Marokkaner. Schwabing hat in Sachen Spuckattacke dann im August „nachgezogen“. Einem Münchner Rabbiner und seinen Söhnen hat ein Mann „Scheiß Juden“ zugerufen, und aus einem Auto heraus soll der Rabbiner von einer Frau auch bespuckt worden sein. Die hat sich nach einigen Tagen gemeldet, wohl weil ihr „die Polizei schon dicht auf der Spur war“. Die SZ hat einen Leitartikel mit „Leben in Angst“ überschrieben und spricht von „Religionsausübung im Belagerungszustand“. Und das in einem Land, das sich (aus guten Gründen) „als Antithese zum Nationalsozialismus konstituiert hat“.

Ausland

- Afrika: Im „sudanesischen Frühling“ eskalierte die Gewalt zwischen Militär und Demonstranten. Bei der Räumung eines Protestcamps kamen mindestens 35 Menschen ums Leben, ermordet von den Milizen, die schon für den Völkermord in Darfur verantwortlich waren. Sie stehen unter dem Befehl von Mohamed Hamdan Dagalo, Spitzname „Hemeti“, vom arabischen Wort für „mein Schutz“ abgeleitet. Diesen Schutz hat er jahrelang dem früheren Diktator al-Baschir geboten, aber dann noch rechtzeitig die Seiten gewechselt. Jetzt schützt er die Privilegien des Militärs und sein Privatvermögen, das sich auf 350 Millionen Dollar belaufen soll.

 
Ein echter Kotzbrocken!

Im Juli haben dann die Streitkräfte und ein Oppositionsbündnis eine Einigung über die Bildung einer Übergangsregierung unterschrieben. Hemeti wäre der passende Finanzminister. Im August übernahm der Wirtschaftsexperte Abdallah Hamdok das Amt des Premierministers, ein „Himmelfahrtskommando“ nach 30 Jahren Diktatur und der andauernden Präsenz der „alten Kameraden“. Man kann dem Land nur „Gute Reise“ wünschen.

- Asien: In China jährte sich zum 30. Mal das Massaker am Tiananmen-Platz in Peking. Wie andere „Großtaten“ der Partei – Große Chinesische Hungersnot, Kulturrevolution, Niederschlagung des Aufstandes in Tibet – fällt das Ereignis unter ein strenges Schweigegebot. Die junge Generation weiß von nichts, obwohl es einiges gäbe, was man wissen möchte: Wie viele Menschen von den Panzern überrollt und später erschossen wurden, wie viele im Gefängnis landeten oder das Land verlassen mussten – und was mit dem „tank man“ geschah, der sich den Panzern entgegenstellte. Das Schweigen gebrochen hat überraschenderweise der chinesische Verteidigungsminister auf einer Konferenz in Singapur. Der Staat habe „korrekt“ gehandelt, um die „politischen Turbulenzen“ zu stoppen. Behalten Sie bitte diesen Satz im Gedächtnis, denn gleich werden wir über den „letzten Kampf“ von Hongkong berichten.

Zuvor aber noch eine makabre Querverbindung zwischen dem Massaker und dessen „Beitrag“ zur deutschen Einheit. Es gibt die These, dass die Demonstrationen in der DDR im Herbst 1989 (relativ) gewaltfrei über die Bühne gingen und (mit) zum Mauerfall führten, weil die DDR-Führung Bilder wie auf dem Tiananmen-Platz vermeiden wollte. Als man in einem Interview dem damaligen Studentenführer Wang Dan diese These vortrug, meinte er lakonisch: „Vielleicht hat es (das Massaker) den Deutschen geholfen, aber nicht China.“

- Anfang Juni fingen in Hongkong Massenproteste gegen ein geplantes Auslieferungsgesetz an. Nach dem Entwurf sollten „flüchtige Straftäter“ an die Volksrepublik überstellt werden können, es sollte aber auch „Rechtshilfe in Strafsachen“ gewährt werden – eine Formulierung, die Peking, so die Angst der Hongkonger, auch den Zugriff auf Dissidenten ermöglichen würde. Die Proteste eskalierten, die Regierungschefin, eine notorische „Pekingente“, setzte den Entwurf zwar aus, zog ihn aber nicht zurück. Inzwischen geht es aber schon um mehr. Man fürchtet um Einschränkung der Freiheiten, die Hongkong unter dem Schlagwort „ein Land zwei Systeme“ zugesichert worden waren – zumindest bis zum Jahre 2047. Wenn jetzt noch der Ruf nach Unabhängigkeit laut(er) wird, dann wird Peking die „politischen Turbulenzen“ in gewohnter Manier stoppen.

 

- Naher Osten: Israel führt die Scharia ein. Nein, die heißt im Judentum Halacha – und die Einführung des traditionellen Religionsrechts aus „den Zeiten König Davids, angepasst für 2019“ war tatsächlich eine Forderung eines Abgeordneten der Union rechter Parteien bei den (gescheiterten) Koalitionsverhandlungen. Ein Kollege von der Arbeiterpartei befürchtete daraufhin, dass Steinigungen wieder erlaubt werden könnten – Brunei lässt grüßen – oder nur Männer Eigentum besitzen dürften. Premierminister Netanjahu beeilte sich zwar, diese Forderung zurückzuweisen, aber eine Disziplinierung des Obersten Gerichts scheint auch er im Köcher zu haben, weil es immer wieder Urteile gegen Diskriminierung von Frauen gefällt hatte. So hatte das Gericht beispielsweise schon im Jahre 2011 klargestellt, dass Frauen nicht gezwungen werden dürfen, in Bussen nur die hinteren Plätze einnehmen dürfen. Rosa Parks, Montgomery/Alabama, 1955, lässt grüßen. Allerdings verfügte das Gericht auch, dass „auf freiwilliger Basis“ eine Geschlechtertrennung in öffentlichen Verkehrsmitteln erfolgen dürfe. Als Frau würde ich mich sowieso nicht zu den Männern mit den breitkrempigen Hüten setzen wollen.

- Palästinenserinnen aber werden diese Frauen von israelischen Fundamentalisten auch nicht werden wollen, denn in dieser Volksgruppe wurden in diesem Jahr schon 19 Frauen Opfer von so genannten „Ehrenmorden“, ein Tabuthema, das im September in Ramallah/Westjordanland immerhin 200 Menschen auf die Straße gebracht hat, der „bisher größte Protest“ gegen häusliche Gewalt in der Stadt.

- Amerika: An der Südgrenze der USA spielte sich eine Tragödie ab, die an den kleinen Alan Kurdi erinnerte, dessen Leichnam im September 2015 an der türkischen Mittelmeerküste angeschwemmt wurde. Die beiden Flüchtlinge, die im Grenzfluss Rio Grande ertranken, stammten aus El Salvador.

 
Sterbebild: Oscar Alberto Ramirez und Tochter Valeria

Kurz zuvor hatten US-Anwälte bei einem Besuch in den Auffanglagern von verheerenden Zuständen gesprochen, deren Leidtragende v.a. die Kinder sind. Die SZ meint dazu:

„Selbst für eine fähigere Administration wäre der Strom an Einwanderern schwer zu bewältigen. Aber sie würde es wohl menschenwürdiger versuchen.“

Im Juli aber hat das Oberste Gericht Präsident Trump erlaubt, 2,5 Milliarden Dollar aus dem Verteidigungshaushalt abzuzweigen. Die möchte er jetzt dafür verwenden, die hygienischen Verhältnisse in den Auffanglagern zu verbessern. Er soll diesbezüglich getwittert haben: „Wir schaffen das!“ (Satire!)

- Europa: In Moskau wurde der Journalist Iwan Golunow wieder freigelassen, dem man (in bewährter Manier) ein Drogendelikt vorgeworfen hatte, um ihn wegsperren zu können. Am Tag darauf kam es zu einer (nicht genehmigten) Solidaritätskundgebung für Golunow, und da rächte sich die Polizei für die Freilassung, indem sie mit gnadenloser Härte gegen die Demonstranten vorging und 500 von ihnen festnahm. Der Europarat hat eine Woche später Russland wieder aufgenommen, u.a. mit dem Argument, dass das Land bei Verstößen gegen die Menschenrechte wieder vor den Europäischen Gerichtshof gezerrt werden könne. Der kann sogar ein Urteil sprechen, das der Kreml (wie geschehen) ignoriert, weil „es gegen die russische Verfassung“ ist.

AI-Nachrichten

- Pressefreiheit: In Indien sind innerhalb von vier Jahren vier Journalisten getötet worden. Alle schrieben über dasselbe Thema: Sand und Korruption.

- Haftbedingungen: Der ägyptische Ex-Präsident Mohammed Mursi brach während einer Gerichtsverhandlung zusammen und starb kurz danach. Für seinen Tod wurden seine Haftbedingungen verantwortlich gemacht: langjährige Einzelhaft, schlechtes Essen, mangelnde medizinische Versorgung. Anhänger Mursis sprachen von „vorsätzlichem Mord“. Mursi war demokratisch gewählt, aber kein „lupenreiner Demokrat“, sein Nachfolger al-Sisi ist weder das eine noch das andere, sein Regime repressiver denn je. Dabei gehörte Ägypten zu den Erstunterzeichnern der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

- Todesstrafe: Die Einhaltung eben dieser Menschenrechte hatte 2011 der zehnjährige Murtaja Qureiris in Saudi-Arabien gefordert. Als er dreizehn war, kam er dafür in Haft, als er jetzt achtzehn wurde, sollte er hingerichtet werden. Internationaler Druck bewirkte, dass das Todesurteil in eine zwölfjährige Haftstrafe umgewandelt wurde. Er soll spätestens 2022 frei kommen.

 
Murtaja Qureiris – zur Tatzeit

- Frei herum läuft und von allen Seiten hofiert wird Kronprinz Mohammed bin Salman, der (mutmaßliche) Auftraggeber des Mordes am Journalisten Khashoggi. „Mutmaßlich“ bräuchte man fast nicht mehr in Klammern zu schreiben, denn ein UN-Bericht kam zum Ergebnis, dass Khashoggi mit Wissen von MbS getötet wurde. Aber wie gesagt: Er läuft frei herum und wird von allen Seiten hofiert.

- Zwangsehen: Kurz vor Beginn der Sommerferien hat das deutsche Familienministerium junge Mädchen aus der Türkei, Arabien, Kurdistan und vom Balkan gewarnt „in den Flieger zu steigen“, weil sie Gefahr liefen, im Feriendomizil von ihren Eltern oder Verwandten zwangsverheiratet zu werden. Sie sollten also lieber auf Ministerpräsident Söder hören und „Urlaub in Bayern machen“.

- Politische Gefangene: Vor der iranischen Botschaft in London kampiert derzeit der Brite Richard Ratcliffe, dessen Frau seit drei Jahren im Evin-Gefängnis in Teheran einsitzt. Sie war bei einem privaten Besuch im Iran verhaftet worden und nach einer Verhandlung, die fünfzehn Minuten dauerte, zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Man warf ihr, die in einer Stiftung Wohltätigkeitsprojekte betreut hatte, „staatsgefährdende Aktivitäten“ vor. Es ist aber eher davon auszugehen, dass sie vom Iran als Faustpfand benutzt wird, um im Gemenge aus Atomdeal, Sanktionen, Schifffahrt im Golf von Oman, Druck auf Großbritannien ausüben zu können.

Erfolgsmeldungen

- Ein Gericht in Botswana hat das Verbot gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen als verfassungswidrig eingestuft. Das ist ein Signal für den ganzen Kontinent, auf dem noch in vielen Ländern Homosexuelle verprügelt, inhaftiert, gelyncht oder hingerichtet werden.

- Nach zähem Ringen haben sich die Koalitionspartner auf Ausfuhrverbote für Kleinwaffen verständigt. In Drittländer außerhalb von Nato und EU darf nicht mehr geliefert werden. Das Verbot ist überfällig, denn das sind die Waffen, die in Bürger- und Bandenkriegen (Jemen, Mexiko) die meisten Opfer fordern. Die Union soll nur durch Einsatz eines leichten Mörsers, die fallen auch unter das Ausfuhrverbot, zum Einlenken gebracht worden sein, die SPD hat endlich wieder einmal Grund gehabt „Wir sind auch noch da!“ zu rufen. Die Waffenlobby grübelt, wie sie das Verbot umgehen kann. Wir hätten da einen Vorschlag, der zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt. „Macht Panzer zu Rasenmähern!“

- In Mittenwald ist es zu einer denkwürdigen Kooperation gekommen. Bei der alljährlichen Gedenkfeier für die toten Gebirgsjäger der beiden Weltkriege nahmen zum ersten Mal Vertreter des Arbeitskreises „Angreifbare Traditionspflege“ teil und legten einen Kranz für die Menschen nieder, die den Gebirgsjägern der Wehrmacht in vielen Ländern Europas zum Opfer gefallen sind. Ob man auch eine Gedenkminute für die aufgehängten Deserteure eingelegt hat, wissen wir nicht. Ein Denkmal hätten sie allemal verdient.

Bild des Monats

 
Aus zwei mach drei

Finden Sie nicht, dass zwischen den beiden noch Raum für einen Dritten wäre? Und dass, wenn man die drei zusammen sieht, schon die Frage aufkommt, ob es nur die Abgase, die Landwirtschaft und unser Konsumverhalten sind, die die Temperaturen auf der Erde in die Höhe treiben?

Juli 2019

„Wer fliegen will,
muss den Mist ablegen,
der ihn hinabzieht.“

schrieb die im August verstorbene afroamerikanische Schriftstellerin Toni Morrison, und auch wir wollen/müssen den Juli mit einigen übel riechenden Bruchstücken der Vormonate beginnen, bevor wir uns zum sommerlichen Höhenflug aufschwingen können – oder auch nicht. Sollte ich mich wiederholen und Sie es merken, überlesen Sie es einfach, damit Sie sich nicht den Geruchssinn verderben.

- In Hongkong läuft alles auf einen Showdown zu. Zum 22. Jahrestag der Rückgabe der Kronkolonie an China stürmten Demonstranten das Parlament und hissten dort die britische Flagge. Die Bilder vom Sturm wurden ausführlich in den chinesischen Staatsmedien gezeigt. Obwohl die Regierungschefin beteuerte, das Auslieferungsgesetz sei „gestorben“, gingen die Proteste weiter. Dann kam es zu einer „Attacke im Untergrund“: In einer U-Bahn Station prügelten maskierte Schlägertrupps auf Demonstranten und Pendler ein. Man vermutet, dass es sich um Mitglieder chinesischer Banden handelte, die im Auftrag Pekings und der Hongkonger Polizei tätig wurden. Die Schläger blieben unbehelligt, weil die Polizei auf Notrufe nicht reagierte. Mehr Energie (und Medienrummel) entfaltete sie, als sie im Vorfeld eines Demonstrationswochendes ein Waffenlager entdeckte, das (passenderweise) im Lagerraum einer Unabhängigkeitsgruppe versteckt/platziert war. Und Anfang August kam es, wie es kommen musste: Nach einem Generalstreik warnte Peking vor einem „Spiel mit dem Feuer“, und man kann darauf warten, bis der Drache über Hongkong niederstößt.


Drache über Hongkong

- Auch in Bayern nahm die Gewalt gegen Polizeibeamte im Jahre 2018 im Vergleich zum Vorjahr um knapp fünf Prozent zu. Alkohol- und Drogeneinfluss spielten eine große Rolle. Ausländer waren mit 29 Prozent der Tatverdächtigen deutlich überrepräsentiert, Flüchtlinge und Asylbewerber kamen auch noch auf 12,3 Prozent. Bei letzteren, man muss es immer wieder betonen, spielen die Perspektivlosigkeit und der hohe Anteil an jungen Männern eine wichtige Rolle. Und so nebenbei, ein Kompliment an die Frauen: die Attacken gegen Polizei und andere Rettungskräfte sind ein „typisches Männerphänomen“.

Und weil wir ja „in beide Richtungen“ schauen: Gegen einen Münchner Polizeibeamten ist Strafbefehl wegen Volksverhetzung ergangen. Auf seinem Handy hatte man ein Video gefunden, das das Kind von orthodoxen Juden zeigte und das vom Dauerklingelton einer Supermarktskasse untermalt war und damit das Nazi-Cliché vom geldgierigen Juden bediente. Die Chatgruppe des Beamten, Sie erinnern sich, flog bei einem Lokalbesuch am Spitzingsee auf. Der Beamte soll 3500 € zahlen – aber verprügelt wird er dafür nicht.

- Zu den Gewalttaten von Wächtersbach und Frankfurt gab es einen klugen Kommentar in der SZ. Die Autorin warnte vor reflexartigen Reaktionen und Verhärtung von Feindbildern, bei rechten und linken „Biotopen“. Für die Rechten ist ein Verbrechen wie das in Frankfurt eine zwangsläufige Folge der Einwanderung, für die Linken ist das Entsetzen über eine solche Tat (schnell) ein Zeichen von Rassismus.

- Im Gegensatz zu Horst Seehofer sind die Ankerzentren für den Stadtrat in München kein „Erfolgsmodell“. Am liebsten würde man die beiden Einrichtungen in München abschaffen, aber dafür ist die Regierung von Oberbayern zuständig. Wie würde die wohl reagieren, wenn die Stadt, alternative Unterbringungsmöglichkeiten anbieten könnte – was sie nicht kann? Im Landkreis Miesbach spricht man bereits von der Wiederaufstellung von Containern, kaum dass man die alten Wohnbehälter abgebaut hat.


Meerjungfrauen küsst man nicht

- Schlagzeilen machte im Juli ein Duell, das in seiner Härte an ein Fußballspiel der Championsliga, etwa zwischen Juventus Turin und Bayern München, erinnerte: der Machtkampf zwischen der „Meerjungfrau“ Carola Rackete und dem Politrüpel Matteo Salvini.

In der Nacht zum 29. Juni fuhr die Sea-Watch 3 mit 40 Flüchtlingen an Bord in den Hafen von Lampedusa ein. Ein Boot der italienischen Zoll- und Steuerpolizei wurde bei der Einfahrt an die Mole gedrückt. Salvini sprach von einem „Kriegsakt“, Rackete von einem „Fahrfehler“, den sie bedauere. Wie sonst aber wäre sie in den Hafen reingekommen? Rackete wurde zunächst festgenommen und unter Hausarrest gestellt. Ein Ermittlungsrichter hob den Hausarrest nach drei Tagen wieder auf.

Nach einem weiteren Verhör Mitte des Monats, wo es um Beihilfe zur illegalen Einreise und Widerstand gegen ein Kriegsschiff (!) ging, konnte Rackete ausreisen – vermutlich nach Deutschland. Salvini nannte sie eine „deutsche Zecke“ und sagte, er könne es gar nicht erwarten, „diese verwöhnte deutsche Kommunistin auszuweisen und sie nach Hause zu schicken“. Zuvor hatte Rackete den Spieß umgedreht und Salvini wegen „Verleumdung und Anstiftung zu einem Verbrechen“ verklagt. Im August hat er aus lauter Angst vor einer Verurteilung eine Regierungskrise angezettelt. Ich weiß, war schon da, aber das Bild ist zu schön.

- In Deutschland hat der Streit um die Seenotrettung seltsame Blüten getrieben. Innenminister Seehofer forderte (nach einigen Tagen Bedenkzeit) sichere Häfen sowohl in Italien und Malta, als auch „in außereuropäischen Ländern“ und „eine praktikable Lösung“ für eine Verteilung der Mittelmeerflüchtlinge in Europa. Einigen (konservativen) CSU-Abgeordneten ging diese (plötzliche) Milde Seehofers zu weit. Sie sprachen von „Kirchentagsromantik“ und forderten ihren Fraktionsvorsitzenden Dobrindt auf, gegen Seehofers Sanftmut aktiv zu werden. Auch im Lande außerhalb der CSU waren die Meinungen geteilt. Die „Law and Order“- Fraktion sympathisierte mit dem Duce Salvini und sprach von einem Verstoß gegen das Gesetz, die „Gutmenschen“ (bei uns und in Italien!) spendeten innerhalb weniger Tage über 1,4 Millionen € für Rackete und Sea-Watch.

- Der Konflikt um die Seenotrettung im Mittelmeer hat eine schmerzliche Lücke im Völkerrecht offengelegt. Ein Kapitän ist zwar verpflichtet, Hilfe bei Seenot zu leisten und die Geretteten an einen sicheren Ort zu bringen, aber die Küstenstaaten haben nicht die Pflicht, ihre Häfen zu öffnen. Was dann bleibt: eine Odyssee in der Warteschleife, bis sich ein Staat bereit erklärt, die Geretteten aufzunehmen. Es sei denn, ein Kapitän erzwingt sich die Einfahrt wegen eines Notstandes an Bord. Wir sind der Meinung, dass Rackete nach einer Irrfahrt von 17 Tagen dieses Recht hatte. Oder wir betrachten das Problem mit den Augen einer unbedarften Touristin.

Die Kurznachrichten – nur bedingt flugtauglich

- Den Unabhängigkeitstag in den USA hat Trump in diesem Jahr auf seine Art inszeniert. Statt unpolitisch mit Grillfesten und Feuerwerken wurde diesmal auf Patriotismus gemacht und alles an Militärgerät in die Luft gelassen, was fliegen kann – mit Ausnahme von Zeppelins und Luftballons. Hier ein Foto des begeisterten Ehepaares:

 

- Die dritte Variante von Chinas „Neuen Seidenstraßen“ führt nach New York. Bei der UN baut das Land systematisch seinen Einfluss aus. Eines der Hauptziele ist es, das Prinzip der absoluten Souveränität von Staaten durchzusetzen. Diese soll auch über der Achtung der Menschenrechte stehen, was bedeutet, dass man sich nicht mehr in die Karten schauen lassen muss, wie das Land mit Uiguren, Tibetern und Dissidenten umspringt und seine Bevölkerung zensiert und überwacht. Ein Pfarrer im Wallfahrtsort Birkenstein hat in den 1950er Jahren vor der „gelben Gefahr“ gewarnt. Wir Jugendliche haben damals gelacht, das würden wir heute nicht mehr tun.

- Offen ist nach wie vor, in wieweit die Frauen im Sudan in den politischen Prozess der nächsten Jahre einbezogen werden. In der SZ heißt es:

„Die Frauen sind optimistisch, was ihre neue Rolle angeht, auch wenn der Blick in die Vergangenheit nichts Gutes verheißt.“

Nicht nur der Blick in die Vergangenheit: Beim Aufmarsch der Paramilitärs im Juni wurden mindestens 70 Frauen vergewaltigt. Das Militär weiß, wo der Feind steht.

- Der Islam, so eine Studie, stößt in Deutschland auf breite Vorbehalte: Jeder zweite Deutsche nimmt ihn als Bedrohung wahr. Von den Verfassern wurde der Bericht etwas geschönt, indem man betonte, dass man „Vorbehalte“ nicht mit „Islamfeindlichkeit“ gleichsetzen kann. Islamfeinde sind nur (?) 13 Prozent. Ein eher schwacher Trost!

AI-Nachrichten

- In Moskau geht man hart gegen Demonstranten vor, die gegen die Manipulation der Wahlen zum Moskauer Stadtparlament protestieren. Einige der bekanntesten Oppositionspolitiker dürfen nicht antreten – aber natürlich nur aus rein formalen Gründen. Man hat so viele Leute verhaftet, dass man sich bereits fragt, ob sie im Gefängnis auf den Gängen schlafen müssen. Es gibt aber Anzeichen, dass man auch zu schärferen Mitteln greift. Der Kremlkritiker Alexander Nawalny ist vom Gefängnis in ein Krankenhaus verlegt worden, weil eine „akute allergische Reaktion“ zu behandeln war. Nawalnys Ärztin und Anwältin deuteten die Möglichkeit einer Vergiftung an, und darauf ist ja, wie man weiß, der russische Geheimdienst spezialisiert. Bei einer anderen Aktivistin hat man die Sache gleich richtig durchgezogen: In St. Petersburg wurde Jelena Grigorjewa erstochen. Sie hatte sich für die Rechte von LGBT-Leuten eingesetzt, die in Russland einen schweren Stand haben, nicht zuletzt wegen Putins Gesetz gegen „homosexuelle Propaganda“, wonach sich schon strafbar macht, wer in Gegenwart von Minderjährigen positiv über Schwule spricht.


Jelena Grigorjewa

- Im Kampf um eine Welt ohne Todesstrafe sind Rückschläge zu verzeichnen. In den USA will die Trump-Regierung wieder die Todesstrafe auf Bundesebene einführen, die in Frieden zu ruhen schien, weil sie seit 16 Jahren nicht mehr vollstreckt wurde. In Sri Lanka ist man 43 Jahre ohne Todesstrafe ausgekommen. Jetzt führt man sie wieder ein, aber die ersten Kandidaten sind keine Terroristen sondern Drogenschmuggler. Was der Filipino Duterte im Drogenkrieg gewissermaßen „unter der Hand“ erledigen lässt, soll in Sri Lanka legal vollstreckt werden. Das Oberste Gericht hat die Pläne aber vorerst blockiert. Und in Bahrain wurden drei Männer wegen Mordes und Terrorismus hingerichtet. Die Geständnisse der beiden „Terroristen“ sollen unter Folter entstanden sein, ihre Religion (Schiiten) hat es dem König (Sunnit) eher leichter gemacht, eine Begnadigung abzulehnen.

- Am Ende ein deprimierende UN-Bericht: 87 000 Frauen wurden 2017 Opfer tödlicher Gewalt. Der Täter war meistens der Partner oder jemand aus der Familie. Und die meisten Fälle sind in Asien verzeichnet, wo auch noch 73 Prozent der Männer sagen, sie hätten „ein Recht auf Sex, wenn ihnen danach ist“.

Erfolgsmeldungen

Nehmen wir die letzte Meldung, um den versprochenen (wenn auch sehr bescheidenen) Höhenflug anzutreten.

- Eine „MeToo“-Studie in den USA hat ergeben, dass zwar immer noch 87 Prozent der befragten Frauen zwischen 2016 und 2018 am Arbeitsplatz mindestens einmal sexuell belästigt worden sind, dass über die schwereren Übergriffe wie Begrapschen oder sexuelle Nötigung zurückgegangen seien. Außerdem sind die Frauen heute eher bereit, solche Vorfälle „anzusprechen“ (und hoffentlich nicht nur das!) und nicht mehr zu schweigen oder gar die Schuld bei sich selbst zu suchen.

 
Manchmal ist Distanz ganz gut

- In Italien sind 24 Täter, die in verschiedenen südamerikanischen Diktaturen des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts am „plan cóndor“ beteiligt waren und noch am Leben sind, zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Der „Plan“ sah vor, politische Gegner, die in Nachbarländer geflohen waren, durch die jeweiligen Geheimdienste verfolgen und töten zu lassen. Da einige der Opfer auch die italienische Staatsbürgerschaft hatten, konnten Gerichte auch in Italien ermitteln. Man muss wohl nicht hinzufügen, dass alle Angeklagten in Abwesenheit verurteilt worden – mit einer Ausnahme. Ein früherer Geheimdienstler aus Uruguay war ausgerechnet nach Italien geflohen – weil es dort das Delikt Folter nicht gab.

- Die Zahl der Asylbewerber nimmt weiter ab, die Belegschaft der Helferkreise übrigens auch. Im 1. Halbjahr 2019 wurden 85 000 Anträge gestellt, neun Prozent weniger als im Vorjahr. 33 Prozent der Antragsteller erhielten einen Schutzstatus, 31 Prozent wurden abgelehnt, „das verbleibende Drittel erledigte sich auf anderem Weg“. Erwähnenswert ist das Interview, das der Merkur, der sich in der Chefredaktion und auf den Leserbriefseiten nicht gerade durch Xenophilie/Flüchtlingsfreundlichkeit auszeichnet, mit dem Bürgermeister von Hebertshausen/Lkr. Dachau gemacht hat. Der CSU-Mann hatte 2018 in einem offenen Brief auf Facebook die scharfe Rhetorik seiner Partei kritisiert und dafür „90 Prozent Zuspruch“ erhalten. Gefreut hat ihn, dass inzwischen auch Parteifreunde wie Söder und Seehofer rhetorisch abgerüstet haben.

Kuriosa

- Schließen möchten wir mit einer der bekannteren Tieffliegerinnen des deutschen Adels, Gloria von Thurn und Taxis. Sie glänzte vor einem halben Jahr mit folgender Aussage zum Grundgesetz:

„Natürlich gibt es die Meinungsfreiheit. Aber wir dürfen nicht sagen, was wir denken.“

Ein Satz, den eine Frau von sich gibt, die viel zu oft sagt, was sie denkt, beispielsweise über Abtreibung als „Massenmord“, über Migration als „eine Art Krieg“ und über „Kindererziehung“ bei den Regensburger Domspatzen. Gleichwohl wurde sie vom bayrischen Kultusminister Bernd Sibler bei der Eröffnung des Hauses der bayrischen Geschichte, wo in einem Ausstellungsstück auch von der Abschaffung des Adels die Rede ist, „komplett ironiefrei“ mit „Ihre Durchlaucht“ begrüßt. „Vive la République/Es lebe die Republik“ würde da der Franzose rufen.

Weniger durchlauchtbesessen war da schon die Band Revolverheld, deren Sänger bei einem Konzert im Innenhof des fürstlichen Schlosses (!) sagte:

„Wir spielen hier auf dem Grund einer Frau, mit deren Werten wir überhaupt nicht übereinstimmen.“

Es gab viel Applaus im Publikum und eine Fürstin, die gute Miene zum bösen Spiel machte und es begrüßte, dass man „heute noch seine Meinung sagen dürfe“. Nichtsdestotrotz ließ sie die Band foltern und in den fürstlichen Verließen einmauern. (Vorsicht Satire!)


August 2019

„Es gibt Augenblicke, in denen man nicht nur sehen,
sondern auch ein Auge zudrücken muss.“

Hätte den Vorteil, dass man den August ungestraft davonkommen lassen könnte, aber ob man ihn dann wirklich gesehen hätte, ist mehr als fraglich. Wir schauen hin und sehen:

- China in Aktion – wer denn sonst?

Ende August wollten die Mitglieder des Bundestagsausschusses „Digitale Agenda“ ihren Urlaub opfern und auf einer Reise nach China Themen wie künstliche Intelligenz und Gesichtserkennung besprechen. Im Vorfeld legte China eine Probe ab, wie weit man es bei der Gesichtserkennung schon gebracht hat: die grüne Abgeordnete Margarete Bause, die, obwohl aus Niederbayern stammend, sich auch noch für die unterdrückten Uiguren in der Provinz Xinjiang einsetzt, sollte zuhause bleiben. Getreu dem Wahlspruch der Drei Musketiere „Eine für alle, alle für eine“ sagte der Ausschusssprecher dann die Reise ab.

Im Herbst (und das schon seit Jahren) möchte der Menschenrechtsausschuss nach Xinjiang und Tibet reisen. Mit von der Partie: Margarete Bause. „Schönen Aufenthalt zuhause“, wird man da nur sagen können. Aufs Besuchsprogramm, wenn es dazu kommt, könnte der Ausschuss gleich noch Hongkong mit aufnehmen. Da wuchs im August die Sorge, dass Peking zur Beendigung der Demonstrationen Soldaten entsenden könnte. Mitte September war der chinesische Drache noch nicht auf die Stadt heruntergestoßen, allerdings hat Peking den Ton deutlich verschärft. Die Protestbewegung sei etwas, das an „Terrorismus“ herankomme. Und wie man mit Terroristen umgeht, hat man vor 30 Jahren auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“ eingeübt.

Im Vorfeld werden die Demonstranten weiterhin von der örtlichen Polizei schikaniert, u.a. mit Wasserwerfern auf einem Fahrgestell aus dem Hause Daimler. Ehrlich gesagt, so haben wir uns die Devise „Wandel durch Handel“ nicht vorgestellt.
Wir kneifen kein Auge zu.

- Im Netz kann man, berichtet der Merkur, auf der Seite „Judas.watch“ angebliche „Verräter“ suchen. Dazu gehören Prominente, die sich gegen Weiße/Arier aussprechen, Flüchtlinge in Schutz nehmen oder vom „jüdischen Einfluss“ gesteuert werden. Juden unter ihnen kennzeichnet die Seite mit einem Davidsstern. Neben Charlotte Knobloch, Carola Rackete und Kardinal Marx erscheint eine (Über)Große Koalition, die von CDU, CSU, SPD, Grüne bis zur FDP reicht. Die AfD ist zu unser aller Überraschung nicht vertreten. Die Polizei geht nicht von einer „akuten Gefährdungslage“ aus, dabei tauchte schon im Juni eine Todesliste der Gruppe „Nordkreuz“ auf, in der sich 30 Prepper darauf vorbereiten, Politiker, die sich für eine liberale Flüchtlingspolitik einsetzen, zu liquidieren. Wir kneifen kein Auge zu.

- Die SZ-Journalistin Annette Rammelsberger, die jahrelang den NSU-Prozess begleitet hat, muss noch eine Stinkwut im Bauch haben, wenn man ihren Bericht über den Brandanschlag auf eine syrische Familie in Magdeburg liest; der schon im Februar stattgefunden hat. Da ist von einem Muster die Rede, das von den Ermittlungen gegen den NSU her bekannt ist. Anstatt die rechtsextreme Szene mit einzubeziehen, ging die Polizei zunächst von einem Beziehungsdelikt aus, nahm Zeugenaussagen über vermummte Männer nicht ernst, untersuchte, ob der Arbeitgeber des Syrers nicht gegen die Hygienevorschriften verstoße und schloss (mit dem Staatsanwalt) einen rechtsextremen Hintergrund aus, weil der Täter kein Hakenkreuz hingeschmiert hatte. Der Anwalt der Familie sagte:

„Wenn Ermittlungen so einseitig geführt werden, braucht kein rechter Attentäter in diesem Land noch Konsequenzen fürchten.“

Erst wenn die Polizei den wahren Täter gefunden hat, kneifen wir (vielleicht) ein halbes Auge zu.

- AI tauchte im August als Störfaktor der Innenstädte auf. Ausgangspunkt waren die Maßnahmen, die man gegen die (angeblich) wachsende Anzahl von Bettlern ergreift. Das geht soweit, dass in Nürnberg von der Polizei Münzen aus den Pappbechern konfisziert werden „als Sicherheitsleistung im Vorgriff auf die zu erwartende Geldbuße von 50€“. Geht’s noch? Dabei gibt es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1970, dass das stille Handaufhalten nicht kriminalisiert werden darf. Die Stadt München hebelte das Urteil mit einem Trick aus, indem man Bettler zu Gewerbetreibenden machte, die für ihr Gewerbe natürlich eine Genehmigung brauchten – und die wurde anstandslos gewährt (Vorsicht Satire!) Die Bettlerei ist aber nicht das einzige, das Städter für einen kurzen Moment aufhält, verärgert oder betroffen macht. Und schon ist der Reporter bei den „kommerziell gedungenen Spendensammlern von Amnesty International, World Vision und Save the Children“ angelangt. Also Vorsicht: Nicht mit der Büchse scheppern!

Was tun? Die Behörden sollten großzügig sein, außer sie schnappen einen von den wirklichen Kriminellen, die abends die Bettler abkassieren. Und als Einzelner? Ich gebe (meistens) etwas her, weil ich glaube, dass sich keiner von ihnen dieses „Gewerbe“ gewünscht hat – und weil mir dann der Kaffee besser schmeckt. Und etwas Störung (von Bettlern oder Spendensammlern) kann unsere Wohlstandsgesellschaft schon vertragen!

Da kneifen wir ein Auge zu.

 
Kein Kommentar

- Das Bundeskriminalamt hat wieder eine Analyse zur Kriminalität von Migranten erstellt. Sie sind, da wird kein Auge zugekniffen, in der Kriminalstatistik deutlich überrepräsentiert, v.a. bei Gewaltdelikten, Diebstahl und Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Jede dieser Straftaten ist eine zuviel, aber da sie bei AfD und BILD konsequent mit Schlagzeilen in Doppelgröße vermeldet werden und gerne noch zahlenmäßig „aufgefaked“ werden, führen wir mit gleicher Sturheit (aber ohne Erbarmen für die Täter) die Gründe an, die Migranten zu Kriminellen machen: der hohe Anteil von jungen Männern, der Mangel an Perspektiven, die Enge der Sammelunterkünfte, eigene Erfahrungen als Opfer von Gewalt, die Machokultur der Nordafrikaner. Und dann sollte man auch nach der Schwere der Straftat fragen: den stärksten Anstieg im 1. Quartal 2019 gab es bei den Vermögens- und Fälschungsdelikten, aber da handelte sich zu 51 Prozent um Schwarzfahren. Das würde nur die AfD, aber nicht einmal das Zugpersonal als Schwerstkriminalität ansehen. Der Generalsekretär der bayrischen SPD Uli Grötsch ist Zielscheibe von Rechtsextremisten geworden. Im Juli erhielt er einen Brief mit einer Morddrohung, der vom „Nationalen Widerstand Niederbayern“ unterzeichnet war. Höchste Zeit, dass das BKA auch einmal die Kriminalität der Niederbayern untersucht!

- Während man bei der Verurteilung von Straftätern mit Migrationshintergrund selten unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft bleibt, kommen andere Straftäter glimpflicher davon. So wurde der europäischen Grenzschutzagentur Frontex vorgeworfen, bei der Anwendung von exzessiver Gewalt, beispielsweise an der serbisch-unga-rischen Grenze, die Augen zu verschließen bzw. Beschwerden gegen die örtliche Polizei nicht mit dem nötigen Nachdruck zu verfolgen. Hier ein Archivbild aus dem Jahre 2015. Heute werden auch Hunde auf die Flüchtlinge gehetzt.

 
Grenzkontrolle

Im Gegensatz zu Frontex kneifen wir kein Auge zu.

- In den USA wurden bei Amokläufen in Dayton/Ohio und El Paso/Texas wurden innerhalb von 24 Stunden 29 Menschen erschossen. Präsident Trump hatte im ersten Schock Unterstützung für zwei Maßnahmen signalisiert, die in Einzelfällen Amokläufer daran hindern könnten, sich zu bewaffnen oder mit ihren Waffen rumzschießen: die Background Checks (Überprüfung der Waffenkäufer durch die Polizei) und die Red-Flag Gesetze (Beschlagnahmung von Waffen bei Gefährdern). Kaum aber war der erste Schock vorüber, dachte Trump an seine Kernwähler von der Waffenlobby und klang „inzwischen sehr viel weniger entschlossen“.


Selbst die Friedenstauben haben noch scharfe Zähne

- In Moskau gab es mehrere Demonstrationen, weil bei den Regionalwahlen im September die Putinfreunde unter sich bleiben wollten und viele Oppositionskandidaten von den Wahlen ausschlossen. Jetzt „gingen die Moskauer spazieren“ –so sagen sie, wenn sie eine genehmigte Demo etwas ausdehnen bzw. an einen attraktiveren Ort verlegen wollen. Die Demonstranten, an einem Tag kamen an die 50 000 zusammen, trugen Sommerkleidung, die Bereitschaftspolizei erschien in Tarnanzügen und Kampfstiefeln, prügelte auf die Demonstranten ein und nahmen hunderte von ihnen fest, manchmal ziemlich wahllos, wie sich am Beispiel des Schauspielers Pawel Ustinow zeigte. Er wurde am Rande einer Demo stehend festgenommen, des Angriffs auf einen Polizisten bezichtigt, zunächst zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, die später zu einem Jahr auf Bewährung reduziert wurden. Ein Video, das zeigt. dass die „Initiative zum Zuschlagen“ vom Polizisten ausging, wurde vom Richter der ersten Instanz gar nicht erst angeschaut, der Polizist, der falsch ausgesagt hatte, wurde befördert.

- Unter dem (abgeänderten Schlager)Titel „Kein bisschen Frieden“ beschreibt der Merkur die Lage in der syrischen Provinz Idlib:

„Fast unbemerkt von der Weltöffentlichkeit tobt im syrischen Idlib ein Abnutzungskrieg. Seit Ende April bombardieren die Truppen von Assad und ihre russischen Verbündeten systematisch Kliniken, Schulen und Märkte.“

Dem Westen fällt das tatenlose Zuschauen etwas leichter, weil die „Rebellen“ in Idlib in ihrer Mehrheit Islamisten sind. Der Syrer Tim Alsiofi zeigt das Leben der Zivilisten im Bürgerkrieg.

 
Recycling von Blindgängern

Man kann nur hoffen, dass auch Assad eines Tages seine Richter finden wird, wie der langjährige sudanesische Diktator Omar al-Baschir, dessen Prozess jetzt in Khartum begonnen hat.

Dann kneifen wir kein Auge zu.

AI-Nachrichten

- Evelyn Hernández aus El Salvador hatte im Jahre 2016 eine Todgeburt, die vermutlich auf eine Abtreibung zurückzuführen war. Im Jahre 2017, El Salvador hat eines der strengsten Gesetze gegen Schwangerschaftsabbrüche in Südamerika, wurde sie wegen Mordes zu 30 Jahren Haft verurteilt. Nach 33 Monaten Haft wurde das Urteil annulliert und Frau Hernández im August aus Mangel an Beweisen vom Mordvorwurf freigesprochen. Aber es ist noch nicht ausgestanden, denn im September legte der Generalstaatsanwalt Berufung gegen den Freispruch ein. AI-Mitglieder sind sich relativ einig, was die Kriminalisierung von Frauen und den drakonischen Strafen bei Abtreibungen anbelangt, aber wenn die Organisation einmal ein uneingeschränktes „Recht auf Abtreibung“ einfordern würde, würde es Zoff geben – und das nicht nur im Landkreis Miesbach.

- Zum Thema Todesstrafe sagen die einen „Hü!“ und die anderen „Hott“, wenn Sie mir eine Redensart erlauben, die dem Zeitalter des Pferdes entnommen ist. Japan hat zwei Frauenmörder hingerichtet und bleibt damit eines der wenigen Industrieländer, die an der Todesstrafe festhalten. Für die Überlebenschancen der Regierung von Ministerpräsident Abe ist das förderlich, denn eine Mehrheit der Bevölkerung scheint die Todesstrafe zu befürworten. Aus Sri Lanka hingegen gibt es widersprüchliche Nachrichten. Da war schon 2018 die Rede von der Suche nach zwei Henkern, und man hörte man immer wieder, dass der damalige Präsident die Todesstrafe wieder vollstrecken möchte, gerade auch für Drogenhändler. Dann kam ein neuer Präsident mit einem (für uns) unaussprechlichen Namen: Ranil Wickremesinghe. Der scheint die geplante Hinrichtung von vier Drogenhändlern (und die Todesstrafe überhaupt) stoppen zu wollen. Wenn es ihm gelingt, lernen wir seinen Namen auswendig.

- Passend zur Verleihung eines AI-Menschenrechtspreises an Greta Thunberg und der Aufnahme von Umweltsünden und deren Verursacher in unser Mandat, ein SZ-Artikel unter dem Titel „Schutzlos“, der an eine ganze Reihe von Menschen erinnert, die sich der Umweltzerstörung und der Auslöschung indigener Völker entgegenstellten – und dafür oft mit dem Leben bezahlten. Den ganzseitigen Artikel könnte man in dem einen Satz zusammenfassen:

„Wer sich in Lateinamerika Wirtschaftsinteressen entgegenstellt, lebt gefährlich.“

Und im Vorgriff auf das Klimapaket der Bundesregierung und die UN-Klimakonferenz im September, eine Karikatur von Hürlimann.

 
Das Hirn (der Wissenschaft) wäre vorhanden, aber bei der der Geschwindigkeit (der Politik) hapert es ein wenig.

Wir können uns nicht mehr leisten, ein Auge zuzudrücken. „Klimahysterie“ ist zurecht Unwort des Jahres!

- Zum Abschluss der „Traueranzeigen“ ein Foto aus Kabul/Afghanistan. Da wurden bei einer Hochzeitsfeier mindestens 63 Festgäste samt Musikern getötet, mutmaßlich nicht durch einen Selbstmordattentäter der Taliban sondern von einem des IS. Die beiden Terrorgruppen gehen leider nicht aufeinander, sondern auf Zivilisten und Regierungsbeschäftigte los. Wenn die „Gotteskrieger“ wieder an die Macht kommen, dann gnade Gott dem Lande.

 
Hochzeitsrelikte in Afghanistan

Wenige Tage später hat die Armee eine Hochzeitsfeier „gestört“. Es gab 35 Tote. Da haben anscheinend Taliban geheiratet.

Erfolgsmeldungen

- Dazu, würde man meinen, gehören auch die Genfer Konventionen, die im August ihren 70. Geburtstag begingen. Das Wort „feiern meiden wir aus guten Gründen. Mit diesen Konventionen wurde kein Krieg verhindert, aber es sollte im Krieg „ein Rest an Menschlichkeit“ verbleiben, Zivilisten sollten für die Kämpfer tabu sein. Dieses Prinzip wird in Bürgerkriegen weitgehend ignoriert und stößt an seine Grenzen, wenn sich die Kämpfer als Zivilisten verkleiden. Der Krieg selbst ist die Geißel der Mensch-heit, wie es in der Charta der UN heißt. Ihn zu „zähmen“, ist ein lobenswertes aber oft hoffnungsloses Unterfangen.

- Der „Wind des Wandels“ bläst durch die Frauenwelt in Saudi-Arabien. Nach der huldvollen Gewährung der Fahrerlaubnis durch den Kronprinzen, wird Frauen ab 21 Jahren jetzt auch Reisefreiheit zugestanden. Sie brauchen künftig keine Erlaubnis eines männlichen Vormunds mehr, wenn sie ins Ausland wollen. An das Vormundschaftssystem traute sich der Kronprinz noch nicht heran. Da müssen Frauen nach wie vor ihren Wali al-Amr fragen, ob sie heiraten dürfen. Die Meldung kam zeitgleich mit dem 30. Geburtstag der Frauenrechtlerin Loujain al-Hathloul, die schon mehr als ein Jahr im Gefängnis sitzt und dort systematisch fertig gemacht wird. Für sie gilt die Reisefreiheit nicht. Ihre Familie hat berichtet, dass man ihr die Freilassung angeboten habe, wenn sie in einem Video erklärt, dass sie während ihrer Gefangenschaft nicht gefoltert worden sei. Loujain hat abgelehnt.

Den Frauen wünschen wir trotzdem Gute Reise. Sie sollten allerdings nicht das saudische Konsulat in Istanbul ansteuern.

 
Auf geht’s!

- Und schließlich ist uns in Italien ein Politiker abhanden gekommen, den wir, ehrlich gesagt, nicht sehr vermissen. Der italienische Innenminister Salvini hatte sich innenpolitisch etwas verkalkuliert – und darf zunächst einmal keinen italienischen Hafen mehr anlaufen, sondern wurde ausgebootet. Bei seiner Abschiedsvorstellung im Senat lief er noch einmal zu Höchstform auf Er zückte den Rosenkranz und weihte sich mit ausgebreiteten Armen „dem Herzen der Jungfrau Maria deren Schutz ich mich und Italien anvertraue“. Die Senatspräsidentin entzog ihm das Wort, weil die laizistische Verfassung keine religiösen Formeln im Parlament erlaubt. Wir sind der Meinung, dass Maria bei Gott etwas anderes zu tun hat. Das Problem ist nur, dass Salvini im Gegensatz zu Mussolini wiederkommen wird.

Wiedergekommen ist auch Marof Khail, einer von Seehofers 69 Afghanen, die letztes Jahr als „Geburtstagsgeschenk“ für den Innenminister nach Afghanistan abgeschoben worden waren. Dank der Beharrlichkeit eines Helferkreises hat er jetzt ein Arbeitsvisum bekommen und lebt nun wieder in seiner Wohnung in Kaufbeuren.

Zum Schluss eine Buchempfehlung für pubertierende Jugendliche: „Guantánamo Kid“ beschreibt die Geschichte des14-jährigen Mohammed el Gharani, der 2001 (aus Zufall) in einer Moschee in Pakistan verhaftet wurde und sieben Jahre in Guantánamo verbrachte. Als ihm ein Vernehmungsbeamter drohte, seine Zellentür abzuschließen und den Schlüssel ins Meer zu werfen, sagte Mohammad. „Allah wird den Schlüssel heraufholen und ihn mir in die Hand drücken.“ Allah hat es gemacht, wenn auch mit etwas Verspätung.


September 2019

Da es in diesem Monat (wieder einmal) um Sprache geht, sei ihm ein Wort des großen Meisters JWvG vorausgestellt, das zu den weiteren „Stilblüten“ eher gegenläufig ist.

„Man soll alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören,
ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen
und wenn es möglich zu machen wäre,
einige vernünftige Worte sprechen.“

- „Nein, lässt sich leider nicht möglich machen“, sagten sich hessische Polizeianwärter und teilten Fotos von Holocaust-Opfern in einem Deportationszug unter der Überschrift „Genieß das Leben in vollen Zügen“. Ein anderes Bild zeigte einen Mann mit dunkler Hautfarbe, auf den eine Zielfernrohr gerichtet ist. Der Kommentar dazu: „Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt.“ Die WhatsApp-Gruppe umfasste 20 Personen, sechs von ihnen wurden entlassen, die anderen werden in Kürze auf Streife geschickt. Denen sollten Afrikaner besser aus dem Weg gehen.

- „Nein, geht leider nicht“, sagte der ehemalige bayrische AfD-Chef Martin Sichert, als er dem Ministerpräsidenten eine Idee für dessen nächstes Faschingskostüm in Veitshöchheim gegeben hat, die Markus Söder mit Sicherheit nicht umsetzen wird. Er lästerte, auf dem AfD-Parteieitag in Greding, dass „Markus Söder inzwischen Horst Seehofer als Hure der bayrischen Politik abgelöst“ habe. Sichert wurde dann selbst „abgelöst“, aber nicht wegen seines Rotlichtjargons“, sondern weil er mit seinem Vorstand die Buchhaltung „wie ein Kleintierzuchtverein“ geführt hat.

- „Nein, da sind wir leider überfordert“, sagten AfD-Politiker, die ein ZDF-Interviewer mit Aussagen ihres Parteifreundes Björn Höcke konfrontierte. Sie sollten entscheiden, ob die Formulierungen von Höcke waren oder aus Hitlers „Mein Kampf“ stammten.

- „Nein, das muss man als Politikerin aushalten“ urteilte ein Berliner Gericht über die Beleidigungsklage der grünen Politikerin Renate Künast. (Im Gegensatz zur Presse, die sich zunächst geweigert hatte, die Beleidigungen im Wortlaut zu zitieren, sie aber dann genüsslich wiedergab, bleiben wir bei unserem Verzicht.) Manches sei zwar „haarscharf an der Grenze“ des Hinnehmbaren, aber insofern „sachbezogen“, als der Schmähkritiker sich auf einen Zwischenruf Künasts vor 33 Jahren bezogen haben könnte, mit dem sie Pädophilie befürwortet hätte. Sie hatte nur den Antrag ihrer (fehlgesteuerten) Parteikollegen wortgetreu wiedergeben wollen, aber nie selber Sex mit Kindern befürwortet. As Satireportal „Der Postillon“ hat den Spieß umgedreht, von einem „geisteskranken Urteil“ gesprochen, „das Justizia wie eine Schlampe aussehen lässt“. Das Portal hat das ironisch gemeint, „aber, so die SZ, „vermutlich gilt das als Beleidigung – es geht ja gegen Juristen und nicht gegen Politiker“.

Im Dezember hat sich die (gescholtene) Justiz etwas rehabilitiert. Der User darf die Falschaussage nicht mehr verbreiten, und der Kurznachrichtendienst Twitter darf seinen Namen an Frau Künast weitergeben. Was sie jetzt mit dem Blogger macht, wissen wir nicht, unser Mitleid mit ihm hält sich jedenfalls in Grenzen.

- Wie reagieren auf Geschichtsfälschung, Verschwörungstheorien, Menschenfeindlichkeit – Kommunikationsformen, die an eine „vollgeschmierte (Mäner)Klowand“ er-innern? Da gilt es zunächst das Netzwerkdurchsetzungsgesetz auch durchzusetzen, den Löschabteilungen von Facebook und Konsorten Beine zu machen, dass Hassreden, Beleidigungen und Morddrohungen nicht mehr eine längere Einlesefrist gewährt werden, sondern sofort gelöscht und die „Autoren“ per Mausklick an die Justizbehörden gemeldet werden, die wiederum die Ermittlungen nicht gleich einstellen sollten, weil „die Äußerung im Rahmen einer hitzigen politischen Diskussion erfolgt sei“. Die bayrische Justiz hat im Oktober einen ersten Schritt getan. Unter dem griffigen Motto „Erst anzeigen, dann löschen“ hat sie mit 60 Medienhäusern vereinbart, dass Redaktionen Hass-Kommentare direkt an die Staatsanwaltschaften übermitteln können.

Die sächsische Autorin Heike Geißler hat, unter dem Eindruck der Landtagswahl in Sachsen, wo fast jeder Dritte AfD gewählt hat, einen weniger wehrhaften Ansatz gewählt. Wenn ihr da ein Herr XY mit den AfD-Slogans kommt,

„sage ich ihm, dass ich … seine Meinung für ausgrenzend und gefährlich halte, dass unsere Gesellschaft anders konzipiert ist und konzipiert bleiben muss, dass ich keine Basis für ein Gespräch sehe und nun gehen werde.“

Ich glaube, man muss beides tun: Herrn XY nicht die Deutungshoheit am Tisch überlassen, sondern ihm „einige vernünftige Worte“ reinzudrücken, aber irgendwann, bevor man selbst in Mordlaune gerät, eine räumliche Trennung zu beantragen oder aufs Wetter und die Bundesliga umzuschalten.

- „Einige vernünftige Worte“ hat ein Politiker gesprochen, von dem man auch schon andere Worte gehört hat. Bundesinnenminister Seehofer erklärte, dass Deutschland bereit sei, jeden vierten Migranten aufzunehmen, der im zentralen Mittelmeer aus Seenot gerettet werde. Und als ihn Bedenkenträger (fast) aller Parteien dafür kritisierten, gab er einen Spruch von sich, der schon auf seine Platzierung in den Geschichtsbüchern abzielte.

„Es ist unglaublich, dass man sich als Bundesinnenminister für die Rettung von Menschen vor dem Ertrinken rechtfertigen muss.“

Auf einem Gipfeltreffen in Malta wurde beschlossen, die „Ausschiffungskrise“ zu beenden und Flüchtlinge aufzunehmen, ohne dass vorher für jedes Schiff neu und langwierig verhandelt werden muss. Bereit dazu waren allerdings bisher nur vier Länder: Deutschland, Frankreich, Italien und Malta. Ob noch weitere Länder sich anschließen werden, ist noch offen, ob es für die Verweigerer Strafzahlungen oder Kürzungen von EU-Subventionen geben wird, ist eher noch offener. Von einer weiteren Sitzung in Luxemburg im Oktober hieß es dann: Die Koalition der Willigen ist noch nicht gewachsen, aber einige weitere Länder haben positive Signale ausgesandt. Seehofer hat dazu gesagt: „Solche Prozesse entwickeln sich prozesshaft.“ Mit solchen Drohungen können auch Polen und Ungarn gut leben.

Ein anderer bayrischer Politiker, Landtagsvizepräsident Markus Rinderspacher wollte sich die private Seenotrettung aus nächster Nähe ansehen. Er ging an Bord des Rettungsschiffes „Eleonore“, die mit 104 Flüchtlingen an Bord tagelang in keinen Hafen einlaufen durfte, in einen Sturm geriet und sich dann die Einfahrt erzwang. Rinders-pacher sprach von „lybischen Konzentrationslagern, aggressiven italienischen Behörden und von seiner Todesangst, und er fand harte Worte für die „humanitäre Bankrotterklärung Europas“. Ob das einige Tage später der Seehofer gelesen hat?

 
Chapeau, Herr Rinderspacher!

- Und auch das wird man doch noch sagen dürfen, bei allem Entsetzen über Verbrechen, die von Flüchtlingen begangen wurden. Es gab bundesweit (und von der Polizei registriert) im 1. Halbjahr 2019 auch 609 Straftaten, die sich gegen Flüchtlinge oder Asylbewerber richteten, 60 Angriffe auf Unterkünfte, sowie 42 Attacken gegen Hilfsorganisationen oder ehrenamtliche Helfer.

 

- Die Situation in und um Hongkong könnte man in einem Satz zusammenfassen: die Regenschirme bleiben aufgespannt. Die mögen gegen Wasserwerfer helfen, nicht aber gegen die gepanzerten Truppentransporter, die Peking schon einmal durch Hongkongs Straßen rollen ließ, damit sie sich nicht so leicht verfahren, wenn es zum Showdown kommt. Das Auslieferungsgesetz, Auslöser der Proteste, wurde inzwischen „endgültig“ zurückgenommen – bis man es wieder braucht. Angela Merkel war in Peking auf Staatsbesuch und hat auch wieder heimfahren dürfen, weil sie brav und artig gewesen ist. Immerhin hat sie sich beim chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang für eine friedliche Lösung der Krise in Hongkong ausgesprochen und auf die „Rechte und Freiheiten“ der Bürger Hongkongs verwiesen. Li hat die Frage nach einer militärischen Intervention zunächst ignoriert hat, dann aber versichert/gedroht, dass „China die Weisheit habe, seine Probleme zu lösen“. Dann ging man wieder zum eigentlichen Thema über.

In Berlin hat Außenminister Maas den Hongkong-Aktivisten Joshua Wong empfangen. Seither schmollt sein chinesischer Amtskollege und geht ihm aus dem Weg. Da Maas als Außenminister nicht greifbar ist, wurde in Peking der deutsche Botschafter einbestellt. Wenn man dann noch hört, wie die chinesischen Nachrichtendienste in Deutschland regimekritische Demonstranten und Vertreter der Minderheiten (Uiguren, Tibeter) ausspionieren und einschüchtern, dann fragt man sich schon, ob das Prinzip „Wirtschaft, Wirtschaft über alles“ nicht auf lange Frist unser Wertesystem untergräbt.

 
Der Mut des Aktivisten und des Diplomaten

Im Januar 2020 schrieb die SZ, dass sich die chinesische Führung „zunehmend aufführt, als sei auch Deutschland nur eine abtrünnige Provinz“. Wir sollten uns nicht alles gefallen lassen.

Die Kurznachrichten

- In den USA fand der 284. Amoklauf des Jahres statt. In Odessa/Texas tötete ein Mann mit einem Sturmgewehr wahllos zehn Menschen. Einen Tag später traten in Texas zehn Gesetze in Kraft, die die Kontrolle des Waffenbesitzes – lockern sollen. So ist es in Zukunft erlaubt, auf den Parkplätzen von Schulen Waffen im Auto zu haben, solange diese nicht offen sichtbar sind. Der Einzelhandelskonzern Walmart, aus dessen Beständen jede 5. Kugel in den Waffenschränken der USA stammt, hat ein gegenläufiges Zeichen gesetzt. Er stoppt den Verkauf von Munition für Pistolen und halb automatischen Gewehren.

- In Indonesien findet ein „Aufstand gegen die Tugendwächter“ statt. Konservative religiöse Kreise, von den Scharia-Gesetzen infiziert, versuchen das Strafrecht dahingehend zu verschärfen, dass vorehelicher Sex und ein Zusammenleben ohne Trauschein mit Gefängnis bestraft werden. Das bringt nicht nur die Studenten auf die Barrikaden, sondern auch die Tourismusindustrie, denn die geplanten Regeln sollen auch für Ausländer gelten.

- Für Edward Snowden, dem Whistleblower, der 2013 die illegalen Praktiken des amerikanischen Abhördienstes NSA aufdeckte, läuft 2020 das Aufenthaltsrecht in Russland ab. In den USA erwartet ihn kein fairer Prozess, denn Trump hat verlautet, er würde ihn gerne tot sehen. Frankreich scheint sich mit dem Gedanken zu tragen, ihm Asyl zu gewähren, Deutschland hält sich mit einem Asylangebot (wenig) vor-nehm zurück, weil unsere Geheimdienste immer wieder nützliche Informationen vom NSA zugesteckt bekommen.

- In Brasilien fiel erstmals seit Jahren die Mordrate. Die Regierung führte das auf ihre rigorose Politik gegen Drogenbanden zurück. Der Rückgang hat aber eine Schattenseite. Im Jahre 2018 sind mehr als 6000 Menschen durch Polizeigewalt getötet worden, 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Und es waren nicht nur Bandenmitglieder, denn die Polizei setzt bei Razzien in den dicht besiedelten Favelas Maschinengewehre ein, denen auch Unschuldige (und Kinder!) zum Opfer fallen.

- Nicht gerade harmlos aber weniger tödlich ist der Umgang Bayerns mit dem Instrument der Präventivhaft. Die wird im Freistaat keineswegs nur als letztes Mittel eingesetzt, sondern, so die SZ, „weil’s halt grad praktisch ist, oder als Ersatz für Abschiebehaft unter Umgehung der dafür vorgeschriebenen Richterentscheidung“. Anwälte bleiben dabei für die meisten Betroffenen außen vor.

- Es ist Zeit für zwei schmerzhafte Rückblicke. Vor einem Jahr wurde der Journalist Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul bestialisch ermordet. Die französische UN-Sonderberichterstatterin Agnès Callamard hat die Ereignisse auf Grund von Tonbandaufnahmen rekonstruiert, die „nationalen und strategischen Interessen“, die einer internationalen Strafverfolgung der Täter und ihres mutmaßlichen Auftraggebers Kronprinz Mohammad bin Salman/MbS entgegenstehen, kritisiert und Länder benannt (Türkei, USA), die den Fall zur Anklage bringen könnten. Aber bis jetzt gilt der Satz, den man bei der UN auf den Fluren (nicht im Plenarsaal) hört: „Too big to jail/ zu mächtig fürs Gefängnis“. Wir folgen Callamards (resignativer) Empfehlung zu einer „symbolischen Reaktion“. Das war er!

 

- Auch das Schicksal der 43 Studenten, die 2014 in der Stadt Iguala/Mexiko Opfer von Polizeigewalt und Bandenjustiz wurden, ist noch weitgehend ungeklärt. Sicher ist, dass die Forderung der Angehörigen „Lebend habt ihr sie uns genommen, lebend wollen wir sie zurück“ dem Wortsinne nach nicht in Erfüllung gehen wird. Zu einer Art von Leben können sie nur zurückfinden, wenn der Verbleib ihrer Gebeine geklärt und die Täter bestraft werden. Für unsere AI-Gruppe war es einer der dichtesten Augenblicke unserer Geschichte, als wir vor zwei Jahren am Marktplatz in Miesbach die Namen, Eigenheiten und Zukunftsvorstellungen dieser Studenten verlasen.

Erfolgsmeldungen – oder so was wie

- Ukraine, Russland: die beiden Länder tauschten 70 Gefangene aus. Aus Russland kam der Filmregisseur Oleg Senzow, der wegen „terroristischer Akte“ im Gefolge der Annexion der Krim und trotz einer mehr als dünnen Beweislage zu 20 Jahren Haft verurteilt worden war. Und es kamen 24 Seeleute, die Russland 2018 festgenommen hatte, nachdem man nach Piratenart ihr Schiff gekapert hatte. Aus der Ukraine kam Kommandant Wolodimir Zemach, der Zeuge des Abschusses einer malaysischen Passagiermaschine war und dann half, die Spuren russischer Beteiligung zu verwischen. An dem hätten auch die Niederländer, die den Großteil der Passagiere ausmachten, ein gewisses Interesse gehabt.

- Ägypten: Nach einem Fußballderby kam es in Kairo und anderen Städten zu Demonstrationen, an denen Tausende von Menschen beteiligt waren. Man zerriss Bilder von Präsident al-Sisi und skandierte die Parolen von 2011 „Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit“. So etwas hatte es in Ägypten schon seit Jahren nicht mehr gegeben und veranlasste die SZ zu einem geradezu euphorischen Kommentar:

„Der sogenannte Arabische Frühling ist schon oft beerdigt worden. Nun erweist sich, dass er höchstens scheintot war.“

Die Euphorie dürfte etwas voreilig gewesen sein, das Regime sitzt (noch) fest im Sattel, ließ 3000 Demonstranten festnehmen und in Gefängnisse verbringen, wo laut AI 40 Personen in einer Zelle hausen. Im Oktober wurde die Zahl der Festnahmen mit 4300 nach oben korrigiert. Von „Frühling“ kann man da nicht mehr sprechen.

- Man muss bis zur UN-Vollversamlung des Jahres 1960 zurückgehen, als der sowjetische Staatschef Nikita Chruschtschow in einer Debatte über Entkolonialisierung seinen Schuh auszog und Anstalten machte, damit auf den Tisch zu trommeln, um einen ähnlich emotionalen Auftritt vor diesem Gremium zu erleben. Während aber bei Chruschtschow eine gehörige Portion Kalkül dabei war, war Greta Thunbergs Brandrede zum Kampf gegen den Klimawandel Trauer und Empörung pur.

„Wie konntet ihr es wagen, meine Träume und meine Kindheit zu stehlen mit euren leeren Worten?“

 
„Weckruf der Jugend“ (Angela Merkel)

Da hat eine Jugendliche den Erwachsenen die Leviten gelesen, und entsprechend war deren Reaktion:

-- Der Sender Fox News/USA ging so weit, Thunberg als „geisteskrank“ zu bezeichnen, hat sich später aber dafür entschuldigt.
-- Eine Münchner Psychologin hat Gretas Engagement für das Klima als „Umlenkung ihrer früheren Essstörung“ interpretiert.
-- Entwicklungsminister Gerd Müller warf ihr vor, lediglich auf einen (munter) fahrenden Zug aufgesprungen zu sein: „Der Klimaschutz beginnt nicht mit Greta Thunberg.“
-- Trump hat so dumm reagiert, wie von ihm zu erwarten war.
-- Der Merkur hat genüsslich die negativen Reaktionen gesammelt, die SZ hat nachdrücklich betont, dass sie bei Minenspiel und Tonfall doch gewaltig überzogen hätte und rang sich nur widerwillig einen positiven Schlusssatz ab.

„Im Ton über das Ziel hinausgeschossen. In der Sache hat sie weiterhin absolut recht.“

Das war auch Tenor der positiven Reaktionen: Sie hat das Recht, Angst zu haben und ihre Angst emotional auszudrücken.

Zum Abschluss eine Karikatur zum Klimapaket der Bundesregierung, gestrickt nach den Muster „Wir tun etwas, aber es darf (aus guten Gründen) niemandem wehtun.“

Oktober 2019

„Im Monat Oktober
sticht der Unter den Ober.“


Als mir diese Bauernregel für gemischte Schafkopfgruppen einfiel, dachte ich auch an die Ausstellung „Starke Frauen“, die im November in einer eindrucksvollen Schau starke Miesbacherinnen und starke Politikerinnen präsentierte und von starken Miesbacher Politikerinnen gestaltet und eröffnet wurde. Als ich aber die Nachrichten des Monats sondierte, merkte ich, dass es doch wieder häufig die Unter waren, die „gestochen“ wurden. Wir fangen mit der harten Kost an.

- Da wurde in Bangladesch im April eine 18-jährige Schülerin, die gegen den Direktor ihrer Religionsschule Beschwerde wegen sexueller Übergriffe erhoben hatte, lebendig verbrannt. Der Direktor hatte ihre Ermordung aus der Untersuchungshaft heraus initiiert, weil sich die Schülerin geweigert hatte, ihre Beschwerde zurückzuziehen. Nun wurden 14 Männer und zwei Mitschülerinnen zum Tode verurteilt.

 
Frauenprotest in Bangladesch

Die Frauen dort haben allen Grund zu protestieren, denn die Verurteilungsrate in Vergewaltigungsfällen liegt laut Human Rights Watch bei 0,3 Prozent. Von 100 Tätern wird also nur einer verurteilt- und das auch nur zu einem Drittel.

- In Frankreich läuft noch bis November eine „Bestandsaufnahme zu Gewalt in der Partnerschaft“. Damit ist vornehm umschrieben, dass das Land ein massives Problem mit dem „Femizid “ hat. Im Jahre 2017 wurden 130 Frauen von ihren (Ex) Partnern getötet. Das Problem haben wir in Deutschland auch (147 Fälle), aber wir gehen eher zögerlich heran. Das merkt man auch an der Sprache. Wir sprechen von „Eifersuchtsdrama“ und „Familientragödie“, und vor Gericht heißt es dann „Trennungstötung“ und wird, im Gegensatz zum „Ehrenmord“ als Totschlag eingestuft und nicht so streng betraft, weil „die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will“. Geht’s noch, Bundesgerichtshof?

- Und dann stechen die Ober auch im Internet auf Frauen ein. Die Österreicherin Natascha Kampusch, die acht Jahre in einem Keller gefangen gehalten worden war, wird im Netz weiter drangsaliert. User haben sich das Kellerverlies als Parklandschaft vorgestellt und ihre Gefangenschaft als „Spaziergang“ bezeichnet oder wünschten ihr sogar den Tod. Bei manchen Menschen hat man den Eindruck, dass sie nur dann lebendig sind, wenn sie Gift versprühen.

- Wir kommen zu leichterer Kost, aber noch sticht der Ober. Frauen haben sich inzwischen fast alle Sportarten erobert, aber was sie dazu tragen, wird immer noch von Männern bestimmt. So wurde 2012 Frauen-Boxen olympische Disziplin, und in den Ring sollten die Damen in Röckchen. Gegen die Röckchen wehrten sie sich – gegen das (Frauen-)Boxen als solches leider nicht. In Berlin kam es beim Start zur Bundesligasaison im Basketball zu einer Entscheidung, die Einfluss auf die Zuschauerzahlen haben könnte. Es werden zwar im Spiel keine Medizinbälle eingeführt, aber es werden die Cheerleaders gestrichen – und zwar mit einer geradezu emanzipatorischen Begründung:

„Wir sind zu der Überzeugung gekommen, dass das Auftreten junger Frauen als attraktive Pausenfüller bei Sport-Events nicht mehr in unsere Zeit passt.“


Abschiedstanz der Cheerleader

- Bleiben wir bei Sport – und nähern wir uns dem Kalenderspruch an. Im Iran wurde das Stadionverbot für Frauen aufgehoben, nachdem es noch vor kurzem hohe Haftstrafen gegen Frauen geben hatte, die sich, als Männer verkleidet, ins Stadion geschlichen hatten – und nachdem sich im September noch eine junge Frau angezündet hatte, weil sie die Haftstrafe nicht antreten wollte. Das Kontingent von 3500 Karten war in weniger als einer Stunde verkauft. Ob die 3500 Frauen allerdings ausreichen werden, um das „vulgäre Umfeld“, das den männlichen Fans geschuldet ist, zu zivilisieren, ist zu bezweifeln. Die Fürsorge durch das Stadionverbot, die der Klerus im Iran den Frauen angedeihen wollte, sollte er besser auf das „vulgäre Umfeld“ im Stadion verwenden.

- Am Ende soll eine starke Frau aus Afrika stehen. Die Psychologin und Bloggerin Fatouma Harber hat den Islamisten, die 2012 Timbuktu/Mali eroberten, die Stirn geboten und hat Nachrichten über die Kleiderkontrollen, die angeblichen Sittenverstößen und das Musikverbot aus der abgeschnittenen in alle Welt gesandt. heute bildet sie Frauen darin aus, wie man digitale Technik nutzt und für politische Zwecke einsetzt – z.B. um gegen die Untätigkeit der malischen Regierung zu protestieren, die die Arbeit den Hilfsorganisationen überlässt. Immerhin hat ihre Bloggergruppe erreicht, dass eine wichtige Überlandstraße wieder repariert wurde.

 
Fatouma Harber - „berauscht von Demokratie“

- Nicht nur Gift versprüht, sondern scharf geschossen hat ein paranoider Rechtextremist, der in Halle einen Anschlag auf eine Synagoge verüben wollte. Nur eine Tür hat verhindert, dass es unter den Juden in der Synagoge von Halle ein Massaker gegeben hätte, wie unter den Christen in Tanta/Ägypten und den Moslems in Christ-church/Neuseeland. Der Vorsteher der Gemeinde hat die Tür als „heilig“ bezeichnet. Dieser Würdigung schließen wir uns dankbar an und nehmen zum ersten Mal das Foto eines Gebäudeteils in unseren Bericht mit auf.


Die Tür von Halle

Gedenken aber wollen wir auch der beiden Opfer, die der Täter umgebracht hat, weil er seine restlichen Patronen loswerden wollte. Und auch die Reaktionen auf den Anschlag, die von „unsäglich“ bis „bedrückend“ reichten.

- - „Unsäglich“ war das Tweet, das zu teilen, dem AfD-Abgeordneten Stephan Brandner nicht ganz ungelegen kam. Da hatte jemand gefragt, warum Politiker nach dem Anschlag mit Kerzen in den … Synagogen rumlungern (!)“, obwohl die beiden Todesopfer doch Deutsche gewesen seien. Später hat sich Brandner dafür entschuldigt, aber „ein bisschen was wird beim geneigten User schon hängen bleiben“.

- - „Zornig“ reagierte der Präsident des Zentralrats der Juden, weil „die Synagoge an einem Feiertag wie Jom Kippur nicht durch die Polizei geschützt war“.

- - „Herausfordernd“ reagierte der Leitartikler der SZ, der verlangte, man solle endlich zur Kenntnis nehmen, dass judenfeindliche Aktionen kein „Privileg“ von Einwanderer aus dem Nahen Osten seien, sondern auch „von Deutschen in Springerstiefeln oder feinem Tuch“ verübt würden.

- - „Ermutigend“, weil es im Anschluss an den Terroranschlag zahlreiche Veranstaltungen gegen Antisemitismus gegeben hat. In Miesbach fand zur Reichspogromnacht ein Lichterkreis statt, doch davon später. Auch die Politik gelobte „Besserung“, beispielsweise, „dass antisemitische Beweggründe bei der Strafzumessung strafverschärfend zu berücksichtigen sind“.


Zu spät?

- - „Bedrückend“, weil sich bei unseren jüdischen Mitbürgern wieder die große Angst und Verunsicherung der 1930er Jahre ausbreitet, und sich manche von ihnen die Frage ihrer Vorfahren stellen, ob man die Koffer wieder packen soll.

- Sehr gemischt sind auch die Nachrichten aus einem Bereich, der in unseren Jahresberichten eine untergeordnete Rolle spielt, obwohl er für manche „die wichtigste Sache der Welt“ ist. („Was schert mich Frau, was schert mich Kind, Hauptsache der FC Bayern gewinnt!“) – der Fußballsport.

Da gab es bei einem Gastspiel von Borussia Mönchengladbach in Istanbul ein „Kreuzverbot“ für deutsche Fans. Sie hatten Vereinsflaggen mitgeführt, auf denen das Stadtwappen Mönchengladbachs, ein Abtsstab und ein Kreuz, zu sehen sind. Die Polizei konfiszierte die Flaggen wegen ihrer „christlichen Symbole“, der Manager des deutschen Vereins sprach, mutmaßlich (und verständlich) von zuhause aus, von „Polizeidiktatur“. Das Spiel endete 1:1.

- Während die Fans von Mönchengladbach mit ihren Flaggen wohl kaum ihre christliche Gesinnung herausstellen wollten, hatte die türkische Nationalmannschaft wenig Skrupel, ihre Unterstützung für den völkerrechtswidrigen Einmarsch der Türkei nach Nordsyrien zu demonstrieren. In Paris zeigte fast die ganze Mannschaft die Salut-Geste zu Ehren des türkischen Militärs.


Krieg auf dem Rasen

Die Spieler hätten statt der Hand den Zeigefinger nehmen sollen, man kann sich ja auch selbst den Vogel zeigen.

- Ansätze von Zivilcourage zeigten Mitglieder der englischen Fußballmannschaft vor dem Länderspiel gegen Bulgarien in Sofia. Sollte ihr Teamkollege Abraham, ein Spieler mit nigerianischen Wurzeln, mit Affenlauten konfrontiert werden, wollte man das Spielfeld verlassen – und zwar geschlossen als Mannschaft“. Nun soweit ging man dann nicht: Es kamen zwar Affenlaute in Richtung zweier farbiger Spieler, es gab auch zwei Spielunterbrechungen – aber vom Platz gingen die Engländer nicht, denn wenn ein Team eigenmächtig ein Spiel beendet, kann die UEFA Punktabzüge aussprechen. Das sollte man auch – aber in diesem Falle gegen die bulgarische Mannschaft. Das Spiel endete übrigens 6:0 für England.

Die UEFA hat Bulgarien zu zwei „Geisterspielen“ und 85 000 Euro Geldstrafe verurteilt, auch die Türkei soll mit „harten Sanktionen“ zu rechnen haben.

Die Kurznachrichten

- Katalonische Separatisten wurden zu Haftstrafen zwischen neun und dreizehn Jahren verurteilt. Der Vorwurf: Aufruhr und Veruntreuung öffentlicher Gelder, die aber nicht in privaten Hosentaschen verschwanden, sondern für die Finanzierung des Referendums von 2017 verwendet wurden. Das Urteil ist politisch motiviert und wird die Spaltung des Landes nicht beenden, sondern eher vertiefen. Da ist es einem Mann, der in Spanien sogar einen Bürgerkrieg ausgelöst hat, schon besser ergangen. Generalissimo Franco wurde nie dafür in Haft genommen, die Umbettung seiner Leiche wird er verkraften können.

- Kronprinz bin Salman übernimmt die Verantwortung für die Ermordung des Journalisten Khashoggi, war aber nicht „persönlich involviert“. Das glaubte ihm nicht einmal die CIA. Sie kam zu dem Schluss, dass die Tat „mit mittlerer bis hoher Wahrscheinlichkeit“, also sagen wir mal zu 90 Prozent, vom Kronprinzen angeordnet worden sei. Eine Fehlermarge von 10 Prozent offen zu lassen, könnte gut auf eine Anordnung von Präsident Trump zurückzuführen sein.

- In Nordsyrien beging das türkische Militär mit seinen Angriffen auf Wohngebiete, eine Schule und einen Marktplatz eine Reihe von Kriegsverbrechen. Wer dazu die nötigen „Werkzeuge“ liefert, macht sich der Beihilfe schuldig. Die Bundesregierung sollte sich schon einmal warm anziehen, d.h. nicht nur keine neuen Exporte von Rüstungsgütern mehr genehmigen, sondern auch bereits vereinbarte Lieferungen blockieren.

- In Russland wurde Michail Fedotow, der Vorsitzende des Menschenrechtsrates - ja, so etwas gibt es noch in Putins Russland, wenn auch nicht mehr lange – aus Altersgründen abgesetzt. Mit Fedotow, der beispielsweise, wenn auch vergeblich, gegen das Etikett „ausländischer Agent für NGOs protestiert hatte, wurde der russischen Zivilgesellschaft „der letzte Zahn gezogen“. Sein Nachfolger ist linientreu und hatte den Einsatz der Polizei gegen Demonstranten schon einmal als „äußerst soft“ bezeichnet.

- Hier in Deutschland ist es an der Zeit, nachdem wir uns mehrmals tapfer an der Rechten abgearbeitet haben, einmal linken Gruppierungen einen Tritt zu verpassen. In Göttingen wurde der ehemalige Innenminister Thomas de Maizière von der „Basisdemokratischen Linken“ daran gehindert, aus seinem neuen Buch vorzulesen. In seiner Zeit als Minister sei das Flüchtlingsabkommen mit Ankara abgeschlossen worden, und damit sei er auch für den Einmarsch der Türkei in Nordsyrien verantwortlich. Mit so verqueren Argumenten hielten sich die Studenten in Hamburg gar nicht auf. Sie beschimpften Bernd Lucke, den Mitbegründer der AfD, als „Nazischwein“ und sprengten zweimal seine Vorlesung. Und an der gleichen Uni erhielt der FDP-Vorsitzende Christian Lindner Auftrittsverbot, weil die Räume nicht parteipolitisch genutzt werden dürften. Peinlich war nur, dass die Linke Sahra Wagenknecht zugelassen wurde, aber deren Vortrag sei „streng wissenschaftlicher Natur“. Bei solchen Vorfällen ist man geneigt, einen Kranz niederzulegen mit der Schleife „Den Opfern von Dummheit und Verschissmus“. Und das wäre dann kein Übermittlungsfehler!

- Die Waffendiskussion hat jetzt auch das bayrische Hinterland erreicht. Hubert Aiwanger, immerhin Bayerns Vizepräsident, glänzte mit einem Ausspruch auf dem Internationalen Jagd- und Schützentag:

„Ich bin überzeugt, Bayern und Deutschland wären sicherer, wenn jeder anständige Mann und jede anständige Frau ein Messer in der Tasche haben dürfte, und wir würden die Schwerkriminellen einsperren.“

Sehen wir mal von der Tatsache ab, dass in Bayern Schwerkriminelle sehr wohl eingesperrt werden, dann ist Aiwangers „Taschenmesserpopulismus“ nicht nur dämlich sondern auch gefährlich, Wasser auf den Mühlen von „Reichsbürgern“, die Waffen horten, um bei Gelegenheit Selbstjustiz zu üben. Anlass für seinen Appell war die Forderung der niedersächsischen SPD, nur mehr das Mitführen von 6 Centimeter Klingen zu erlauben. Aber nicht einmal eine solche Klinge sollte man dem Aiwanger erlauben! Der Applaus der Jäger kam übrigens – „vereinzelt“.

Erfolgsmeldungen –leider nicht alle „Unter“ freundlich

- Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat der österreichischen Justiz „eine schallende Ohrfeige“ verabreicht. Aba Lewit, Überlebender des KZs Mauthausen, hatte gegen die rechte Zeitschrift Aula geklagt und es kam zu einem Verfahren wegen „nationalsozialistischer Wiederbetätigung“. Die Zeitschrift hatte 2015 einen Artikel unter dem Titel „Mauthausen-Befreite als Massenmörder“ veröffentlicht und darin KZ-Häftlinge als „Landplage“ bezeichnet, deren „kriminelles“ Verhalten nach der Befreiung „nur noch von KZ-Fetischisten bestritten“ werde. Das Verfahren wurde zunächst mit der Begründung eingestellt, dass es

„nachvollziehbar sei, dass die Freilassung mehrerer Tausend Menschen aus dem Konzentrationslager Mauthausen eine Belästigung für die betroffenen Gebiete Österreichs darstellte“.

Auch eine Entschädigungsforderung von Lewit und anderen Holocaust-Überlebenden wurde vom Grazer Landesgericht abgelehnt. Die Straßburger haben dieses Urteil einstimmig „zerpflückt“ und sprachen Lewit wegen „Diffamierung als Holocaust-Opfer“ Schadenersatz in Höhe von 5648,48 Euro zu. Zahlen muss aber nicht Aula, sondern Österreich. Trotzdem begrüßte der Justizminister das Urteil.

- Einer unserer hartnäckigsten AI-Fälle hat vom Europaparlament den Sacharow-Preis bekommen. Es handelt sich um den uigurischen Professor Ilham Toti, der sich für Verständigung zwischen Uiguren und Han-Chinesen in der Provinz Xinjiang eingesetzt hatte. Für die Zentrale in Peking war das „Entzündung von ethnischem Hass“ und „Anstiftung zum Terrorismus“ und Grund für eine lebenslange (!) Haftstrafe. Das harte Urteil von 2014 gilt als „Auftakt zur verschärften Verfolgung der muslimischen Minderheiten“ in dieser Provinz, die im November durch die „China Cables“ so augenfällig dokumentiert wurde, dass nicht einmal die deutsche Regierung mehr wegsehen konnte. Die Verleihung des Preises wird im Dezember stattfinden, und Sie brauchen nicht lange zu raten, wer ihn nicht entgegennehmen wird.


Ilham Tohti – Gesicht eines Terroristen

- „Afrika kann auch anders“ und „Die Kunst des Unmöglichen“, so euphorisch hat der Merkur die Verleihung des Friedensnobelpreises an Abiy Ahmed, Ministerpräsident von Äthiopien gewürdigt. Er hat 2018 „auf der Basis von wenig bis nichts“ den Aussöhnungsprozess mit Eritrea gestartet und damit einen Konflikt, der zwei Jahrzehnte dauerte und Zehntausende in den Tod schickte, (zumindest vorläufig) beendet.

Und weil dieser Monatsbericht zuversichtlich begonnen und er es über manche menschlichen „Untiefen“ doch noch bis zum Friedensnobelpreis geschafft hat, wollen wir ihn auch zuversichtlich mit einer „Hurzlmeiermalerei“ beenden.

November 2019

Da der November des Öfteren ein Monat ist, wo einem das Wetter unter die Haut geht, wollen wir mit ebensolchen Nachrichten beginnen.

- Da hat im sächsischen Arnsdorf (wieder einmal) eine Kommunalpolitikerin wegen rechtsradikaler Hetze das Handtuch geworfen. Martina Angermann, Bürgermeisterin seit 2001, hatte das Treiben einer selbst ernannten „Bürgerwehr“ kritisiert, die 2016 einen psychisch kranken Iraker an einen Baum gefesselt hatte, nachdem er zuvor im Supermarkt für Unruhe gesorgt hatte. Die „Bürgerwehr“ hatte im Netz viel Unterstützung bekommen. Ob sich die moderaten Arnsdorfer mit der gleichen „Lautstärke“ mit ihrer Bürgermeisterin solidarisiert haben, ist zu bezweifeln. Im Februar brach Frau Angermann nach Morddrohungen zusammen und beantragte jetzt ihre Versetzung in den Ruhestand.

- Im Jahre 2018 bekam Italien mit Liliana Segre eine neue „Senatorin auf Lebenszeit“. Verdient hat sie die Ehrung, aber lange wird sie sich nicht mehr darüber freuen können. Die Dame ist nämlich 89, aber immerhin hat sie als Kind Auschwitz überlebt. Sie ist dann durch Italien getourt, hat in Schulklassen von dieser „bleiernen Zeit“ erzählt und gegen den Hass angeredet. Einige Schüler haben offensichtlich nicht zugehört, denn als man ihr den Titel verlieh, liefen Italiens Antisemiten Sturm. Da „habe Hitler seinen Job nicht richtig gemacht“. Dann kam im November 2019 ihre Rede im Senat, in der sie für eine Kommission gegen Rassismus und Antisemitismus warb, und da gab es am Ende einer gespenstischen Szene: die linke Hälfte der Kammer stand auf, um ihr Respekt zu zollen, die rechte Hälfte blieb sitzen.


Liliane Segre – derzeit unter Polizeischutz

- Den Polizeischutz hätte auch der türkische Schriftsteller Ahmet Altan nötig, allerdings nicht den Schutz durch die Polizei, sondern vor ihr, und vor der Justiz – und vor den (a)sozialen Medien. Er hat aus der Haft ein Buch mit dem ironisch-prophetischen Titel „Ich werde die Welt nicht wiedersehen“ geschrieben und dafür den Geschwister-Scholl-Preis der Stadt München bekommen. Im Oktober wurde er zum Frischluftschnappen freigelassen, wurde aber nach einer Hetzkampagne im Netz nach acht Tagen wieder inhaftiert. Den Usern hatte missfallen, dass er auch nach seiner Freilassung nicht das Maul gehalten hat, der Staatsanwalt hatte Fluchtgefahr gewittert. Aus seiner Rede zur Preisverleihung – vom leeren Stuhl aus gehalten:

„Bei der Erschaffung des Menschen war wohl ein wenig Eile am Werk; es kam ein Lebewesen hervor, in dem etliche miteinander unvereinbare Gefühle eng beieinander liegen. Wie Mitleid und Hass, Güte und Bösartigkeit gedeihen Klugheit und Dummheit nebeneinander in gleicher Erscheinungsform.“

- Die grausigste Nachricht kam aus Großbritannien – und sie hatte nichts mit dem Wahlergebnis im Dezember zu tun. In einem Lastwagen östlich von London wurden im Oktober die Leichen von 39 Vietnamesen entdeckt. Der Fahrer hat jetzt ein Teilgeständnis abgelegt und sich der „Verschwörung zur illegalen Einwanderung und der Bereicherung durch kriminelles Verhalten“ für schuldig erklärt. Er soll jetzt wegen „fahrlässiger Tötung“ belangt werden, aber was daran noch fahrlässig ist, muss mir ein Jurist erklären. Eine junge Frau soll kurz vor ihrem Tod noch an ihre Mutter ein SMS geschickt haben:

„Es tut mir leid, Mama. Mein Weg ins Ausland hat keinen Erfolg. … Ich sterbe, weil ich nicht atmen kann.“


Zum Weinen

- Bei solchen Nachrichten wird es schwer, auf Personen überzuleiten, die sich wohl in ihrer Haut fühlen. In Nürnberg wurde Benigna Munsi (17 Jahre, dunkelhaarig, Migrationshintergrund) zum Christkind gewählt und trotz rassistischer Anwürfe auch inthronisiert. Zum Amtsantritt hat man ihr eine blonde Lockenperücke verpasst und damit die Kriterien für historische Authentizität erfüllt. Jesus war als Jude ja auch blond und ein liebes Mädchen obendrein. Genug gespottet! Es war ein herrlicher Anblick, als Benigna sich „dekorieren“ ließ, als sie stolz ihre ersten Auftritte absolvierte, und es war beeindruckend, wie souverän sie auf negative und positive Rückmeldungen reagierte.


Kostümprobe

Unruheherde

In Australien brannte der Wald, in anderen Ländern brannten die Straßen.

- Iran: Dort kam es zu landesweiten Protesten, weil gleichzeitig der Preis für das Benzin verdoppelt und seine Ausgabe rationiert wurde. Die Proteste, das „Werk ausländischer Verschwörer“, wurden mit großer Brutalität (und Effizienz!) niedergeschlagen, womit „das iranische Volk erneut eine historische Probe bestanden“ habe. Die Rädelsführer - Monarchisten, Exilopposition, Doppelstaatler und allesamt von Israel, den USA und Saudi-Arabien angeheuert – wurden festgenommen. Einige von ihnen erwartet die Todesstrafe. Mehr als eine Woche war das Internet abgeschaltet, und die Handyaufnahmen, die den Weg ins Ausland schafften, zeigten auch, warum man besser unter sich bleiben wollte. Amnesty ging Mitte Dezember von 304 Todesopfern aus, darunter auch (einige) Polizisten und Milizionäre.


Der Stoff des Anstoßes

Da stellt sich die Frage, wie viele Deutsche im Jahre 2021 ihre gelben Westen anziehen werden, wenn der Benzinpreis um 7 Cent nach oben geht? Und ob bei uns auch die Tankstellen brennen?

- Hongkong: Zum einen eskalierte die Gewalt – auf Seiten der Polizei, die einen Demonstranten in den Tod gehetzt hatte, auf Seiten der Demonstranten, die sich mit Pfeil und Bogen bewaffneten, um „auf Arme und Beine der Polizisten“ zu schießen. Aber auch verbal wurde aufgerüstet. Die SZ, deren Korrespondentin eher mit den Demonstranten sympathisiert hatte, bezeichnete einige ihrer Forderungen „in ihrer Absolutheit als Irrweg“. Und in Peking drohte Präsident Xi Jinping, dass

„jeder Versuch, wo auch immer in China, das Land zu spalten, mit zerschmetterten Körpern und zerschlagenen Knochen enden wird“.

Wenn es um Spaltung geht, wäre aber als erstes die Vertreter der Partei in der Uiguren-Provinz Xinjiang zu „zerschmettern und zerschlagen“.

Zum anderen aber gab es einen überwältigenden Sieg für die Demokratiebewegung bei den Bezirkswahlen. Bei einem Stimmenanteil von 55% gewannen sie fast 90% der Sitze. Sie übernehmen damit 17 von 18 Bezirksräten, die vorher alle in den Händen des Peking-freundlichen Lagers waren. Die Wahlbeteiligung lag bei 71,2%, ein Rekordergebnis, das beweist, dass die „stille Mehrheit“ nach wie vor auf Seiten der Protestbewegung ist.


Hongkong in Feierlaune

- Deutschland: Wie bitte? Wir ein Unruheherd? Für die AfD sehr wohl, denn in der Debatte zum Mauerfall warnte der Abgeordnete Chrupalla von einem neuen „antideutschen Trennwall“, während sein Parteikollege Holm Deutschland schon wieder „auf dem Weg in die Diktatur“ sah. Wir bedienen uns bei Präsident Macron und bezeichnen die beiden Herren als „hirntot“.

25. November: … zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen

An sich haben wir diesen Gedenktag schon im Oktober vorweggenommen, aber es hat sich da einiges getan, das eine Fortsetzung der Reihe „Frauen fallen, Frauen stehen auf“ rechtfertigt. Natürlich könnten wir mit den „Alltagsproblemen“ beginnen, als da sind:

- Attacken im Netz: In Großbritannien haben weibliche Abgeordnete aller Parteien auf eine erneute Kandidatur bei den Parlamentswahlen im Dezember verzichtet. Der Grund: Beleidigungen und Drohungen in den sozialen Medien. Boris Johnson hat die Ängste seiner Kolleginnen als „Humbug“ bezeichnet. Gewählt haben ihn auch die Frauen.

- Übergriffe: Die Vorwürfe gegen den Intendanten der Tiroler Festspiele in Erl wegen „vulgärer Anmache, Aufforderung zum Sex, unerwünschter Küsse“ wurden von der österreichischen Gleichbehandlungskommission als „glaubhaft“ bewertet. Für die Inszenierung der nächsten Passionsspiele wird er wohl nicht zur Verfügung stehen.

- Mord: In Ankara starb im Mai 2018 die Studentin Sule Cet beim Sturz aus einem Hochhaus. Die Version der beteiligten zwei Männer, es wäre „Selbstmord“ gewesen, hat der erste Richter geglaubt. Dann kam es zu Protesten von Frauenorganisationen, ein Vater wollte wissen, wie seine Tochter wirklich starb, und ein Anwalt sorgte dafür, dass Handydaten ausgewertet und Verfahrensfehler berichtigt wurden. Es kann zu einem Indizienprozess. Im Dezember wurde der Haupttäter wegen Vergewaltigung und Mord zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt - für die Türkei eine Sensation!

Aber diesmal wollen wir uns verstärkt den rebellischen Frauen zuwenden.

- Am Gedenktag kam es in Rom zu einer Demonstration von Zehntausenden von Frauen und etlichen Männern. Die Teilnehmer/innen hielten weiße Blätter hoch, auf denen schwarz die Daten von Frauen standen, die umgebracht worden waren. In der Mitte aber stand groß „Presente/Anwesend“.

- Noch beeindruckender (und für manche Männer beängstigender) sind, so der Titel im Merkur, die „Mutigen MeToo-Frauen unter dem Schleier“. Da gibt es den Hashtag #mosquemetoo, auf dem Frauen von sexuellen Übergriffen in Moscheen oder bei Pilgerfahrten nach Mekka berichten, da entfachen tunesische Frauen einen Shitstorm gegen einen Exhibitionisten vor einer Schule, da protestieren Frauen im Iran gegen die strenge Kleiderordnung, indem sie (unbedeckt) Blumen in der U-Bahn von Teheran verteilen, da genießen die Frauen in Saudi-Arabien ihre neuen Freiheit am Steuer, da kommt es sogar im Gazastreifen, wo die Menschen in erster Linie mit dem Überleben beschäftigt sind, zu einem Frauenprotest gegen die Zunahme häuslicher Gewalt.

Aber ihre Bäume wachsen nicht in den Himmel. In Saudi-Arabien sind die Freiheiten von oben verordnet, weil man Angst vor einem Aufstand der jungen Leute hat, im Iran ist die junge Frau aus der U-Bahn zu 16 Jahren Haft verurteilt worden, und der Exhibitionist vor der Schule in Tunis hat sein Amt als Abgeordneter angetreten.

Die Kurznachrichten

- Helle Empörung, wenn auch nicht zu Unrecht, herrschte, als zu Beginn des Monats der Clanchef Ibrahim Miri, der im Juli abgeschoben worden war, wieder illegal einreiste und erneut einen Asylantrag stellte. „Frechheit siegte“ diesmal aber nicht, denn schon drei Wochen später wurde er wieder in den Libanon abgeschoben. Die Kosten für die Abschiebung in Höhe von 65 000€ soll zur Hälfte er übernehmen, aber die wird man ihm wohl erst bei der nächsten Einreise abknöpfen können.

- Auch eine Gruppe von AfD-Abgeordneten hat es in den Nahen Osten verschlagen, ist aber leider wieder zurückgekommen. Sie haben eine einwöchige Reise nach Syrien gemacht und dort kategorisch festgestellt, dass das Land so sicher ist, dass man „heute dort schon Urlaub machen kann“. Allerdings ist anzumerken, dass sich die Gruppe vorwiegend in Damaskus aufhielt, das fest in der Hand von Assad ist.

- Donald Trump hat drei Soldaten begnadigt: Der eine war wegen der Ermordung von unbewaffneten Zivilisten in Afghanistan verurteilt worden, der andere stand wegen rechtswidriger Tötung eines Bombenbauers der Taliban unter Anklage. Ein dritter Soldat war zwar vom Vorwurf freigesprochen worden, einen gefangenen IS-Kämpfer erstochen zu haben, wurde aber degradiert, weil er neben der Leiche für ein Foto posiert hatte. Trump hat dafür gesorgt, dass das Urteil aufgehoben, die Anklage fallen gelassen und die Degradierung rückgängig gemacht wurde. Er steht schon mitten im Wahlkampf und weiß, welche Botschaft solche Begnadigungen auf Militärangehörige und Veteranenverbände aussenden.


Das boxe ich durch.

- Schlagzeilen machten auch die China Cables, „Innereien“ aus der Führungsebene der Kommunistischen Partei Chinas, die auf verschlungenen Wegen dem Netzwerk Investigativer Journalisten zugespielt wurden. Die Dokumente beschreiben die Unterdrückungsmaßnahmen in der Uiguren-Region Xinjiang und deren Auswirkung auf die Bevölkerung. Zusammenfassend kann man sagen: Vieles war bekannt, aber alles ist viel schlimmer. Was sich aber eher hinter den Kulissen abspielte, war das „Engagement“ deutscher Unternehmen in dieser Region, das weitgehend nach dem Motto „Augen zu und durch“ verläuft. Siemens macht dort Geschäfte, BASF ist da, und Volkswagen hat sogar ein Werk errichtet, „das nach Ansicht von Experten zwar nicht rentabel ist“, es dem Konzern aber ermöglicht, an der Ostküste Chinas neue Fertigungsanlagen aufzumachen. Von Adidas hat man gehört, dass man die Beziehungen zur Firma Huafu storniert hat, weil sie Zwangsarbeiter beschäftigen soll.

Die SZ hat klar (wenn auch nicht sehr industriefreundlich) Stellung bezogen:

„Die deutschen Beziehungen zu Peking müssen grundsätzlich auf den Prüfstand gestellt werden. … China ist Deutschlands größter Handelspartner. Das Land nutzt die Abhängigkeit aber, um Druck auf Berlin auszuüben. Will Deutschland unabhängig bleiben, muss es sich davon befreien. Es braucht … eine gemeinsame europäische Chinapolitik.“

- Im Mittelmeer sind die moslemischen Korsaren des 16. Jahrhunderts wieder auferstanden. Ende Oktober wurde das Rettungsschiff „Alan Kurdi“ bei einer Rettungsaktion von libyschen Milizen massiv behindert. Es wurden Warnschüsse abgefeuert und auch auf Flüchtlinge gezielt, die aus dem sinkenden Schlauchboot gesprungen waren. Die libysche Marine weiß von nichts, die Hamburger Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf.

- Ein SZ-Artikel unter dem Titel „Kugeln gegen Recherchen“ wies auf die Gefährdung von Journalisten hin. Sie sterben in Mexiko, wenn sie die Bandenkriminalität und deren Verflechtung mit Politik und Polizei untersuchen, sie erfahren Repressalien, wenn sie über heißes Material wie die Panama Papers berichten, sie sind besonders gefährdet, wenn sie sich mit Umweltproblemen befassen. Seit 2010 wurden weltweit mindestens 550 Journalisten wegen oder bei ihren Recherchen getötet. Und ein Großteil dieser Verbrechen wird nie aufgeklärt. In Malta und in der Slowakei aber deutet sich an, dass es auch einmal den Auftraggebern an den Kragen gehen könnte.

Erfolgsgeschichten – oder der Ansatz zu solchen

- Die Justiz in Deutschland hat eine lobenswerte Premiere hingekriegt. Zum ersten Mal weltweit wurde gegen zwei Schergen Assads Anklage wegen „Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ erhoben. Der eine, Anwar R., war einst Chef eines Foltergefängnisses des Geheimdienstes gewesen und hatte sich dann abgesetzt. Als er im Februar in Rheinland-Pfalz festgenommen wurde, zeigte er keine Spur von Reue. Er habe halt „seinen Job“ gemacht.

- Auf den Philippinen ist dem Macho Duterte in Gestalt seiner Vizepräsidentin Leni Robredo eine mutige Widersacherin erstanden. Frau Robredo kritisiert vor allem die drakonische Drogenpolitik ihres Chefs. Sie wirft der Polizei, die Duterte sowohl als Spürhunde wie auch als Vollstrecker einsetzt, vor, dass sie ihre Macht missbrauche und dass Täter, die „etwas überzogen haben“, straflos davonkämen. Ihren Job als Vorsitzende des Ausschusses zur Drogenbekämpfung hat sie inzwischen wegen „Inkompetenz“ eingebüßt, ob es ihr aber nicht ergehen wird, wie 2017 der Senatorin Leila de Lima, die seither wegen „Drogenhandels“ inhaftiert ist, steht in den Sternen.

- Aus den USA kommt eine Geschichte, wie sie, ist man geneigt zu sagen, nur die Justiz in Texas schreiben kann. Die Vollstreckung des Todesurteils gegen Rodney Reed wurde fünf Tage vor der Vollstreckung gestoppt und auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Der Hintergrund zu diesem Fall ist so etwas wie ein „texanischer Archetyp“: Afroamerikaner vergewaltigt und ermordet weiße Frau, die mit einem weißen Polizisten verlobt ist. Die Beweisführung ist lückenhaft, die Gegenbeweise, die häppchenweise auftauchen, erdrückend, aber das Urteil wird (fast) bis zum bitteren Ende aufrechterhalten. Selbst republikanische Politiker fürchten um das Image der texanischen Justiz und warnen vor einer Hinrichtung Reeds „ohne Sicherheit über seine Schuld“.

Ende des Monats kam dann die Freilassung des Deutschen Jens Söring dazu, aber diese Geschichte heben wir uns für Dezember auf, als er in Deutschland auf zwei „Empfangskomitees“ traf, die auf seine Freilassung sehr unterschiedlich reagierten.

- Und dann war im November der 30. Jahrestag eines Dokuments zu feiern, dessen Forderungen unendlich wichtig und (bei allen Fortschritten) auch unendlich unerfüllt sind: die UN-Konvention zur Rechte der Kinder. Schulbildung, Ernährung, Klagerecht auf der Aktivseite der Bilanz, alte und neue Gefährdungen auf der Passivseite. (Kindersoldaten, Missbrauch, Cybermobbing) auf der Passivseite. In Deutschland sollen die Kinderrechte jetzt im Grundgesetz verankert werden.


Was wird er da entdecken?

- Unter die Haut ging auch der Besuch Angela Merkels in Zwickau, weil er zeigt, wie gespalten unsere Gesellschaft manchmal daherkommt. In Zwickau gibt es ein Mahn-mal für die Opfer der NSU, und der dazugehörige Gedenkbaum war im Oktober von Unbekannten gefällt worden. Ganz so unbekannt aber sind sie nicht, denn sie könnten zu einer Gruppe gehören, die die Einweihung des neuen Mahnmals durch „Merkel muss weg“-Rufen zu stören versuchten. Die Kanzlerin legte eine weiße Rose nieder, zusammen mit Schülern eines Gymnasiums, die damit ein Signal aussenden wollten,

„dass wir nicht nur ein Nazi-Problem haben, sondern dass wir auch dauerhaft für ein buntes Zwickau einstehen“.


Zehn Bäume im Stadtpark von Zwickau

Dezember 2019

Wir sind beim letzten Monat der Reihe GmbH 2019 angelangt. Gmbh heißt in diesem Bericht immer „Gemeinschaft mit beschränkter Hoffnung“, und als solche hat sich die Menschheit auch im Dezember präsentiert, passend zu Weihnachten, wo ja auch den Königen, die die Geschenke bringen, schon die Schergen des Königs Herodes über die Schulter schauen, die den Tod verbreiten. Wir fangen diesmal mit den Geschenken an, wo das Gold glänzt, die Myrrhe bitter schmeckt und sich einige Leute so exponiert haben, dass sie sich (ein paar Körnchen) Weihrauch verdient haben.

- Eindrucksvoll war der Gottesdienst im Münchner Dom, der den Toten im Mittelmeer gewidmet war und zur Solidarität mit den privaten Seenotrettern aufrief. Die Kirche war voll, und als Kardinal Marx die Politik daran erinnerte, dass „die Flüchtlinge die Prüfsteine des christlichen Abendlandes sind“, brandete spontaner Beifall auf.


Drei Mann vor einem Boot

Als im Januar 2020 dann die Nachricht die Runde machte, dass sich die Kirchen auch finanziell an der Seenotrettung beteiligen wollten, wurde das einigen Leuten doch zu viel. Im Netz forderten sie die Köpfe von Marx und Bedford-Strohm. Kein Gold ohne Myrrhe!

- Ebenfalls in Richtung Politik ging die Protestaktion von Jürgen Müller, der ein Mädchen aus dem Wasser gerettet hatte und dafür die Lebensrettermedaille bekam. Er brachte sie der Staatskanzlei in München zurück, mit der Begründung, er sehe

„einen Widerspruch darin, dass er für die Rettung eines Mädchens aus einem bayrischen Fluss geehrt wurde, während Seenotretter im Mittelmeer … strafrechtlich verfolgt werden. Dabei sei ein Leben immer gleich viel wert.“

Dem letzten Satz stimmte auch der Leiter der Staatskanzlei zu.

- Gegen den Strom schwamm auch Prags Oberbürgermeister Hrib, der eine Partnerschaft mit Peking aufkündigte und dafür mit Taipeh/Taiwan anbandelte. Peking hatte Investitionen und die Lieferung eines Pandabären versprochen, die Zusagen aber nicht eingehalten. Außerdem hatte Hrib die Frechheit besessen, am Rathaus unter internationalen Flaggen auch die von Tibet aufzuziehen und Taiwan zu besuchen. Von Taipeh bekommt Prag nur noch ein Gürteltier.

- Wie Siemens und Volkswagen hat es auch der FC Arsenal, der Klub von Mesut Özil, vorgezogen, gegenüber Peking auf der Kriechspur zu fahren. Özil hat mit seiner Hymne auf die „Brüder in Ostturkestan“ (Uiguren) aber nicht nur seinen Klub gegen sich aufgebracht, sondern auch seine chinesischen Fans, das chinesische Staatsfernsehen - und die muslimische Gemeinschaft. Er schrieb nämlich:

„Die westlichen Staaten machen seit Monaten auf die Verfolgung der Uiguren aufmerksam. Warum nicht die muslimische Welt?“


Drache und Fußball

Das wird auch seinem Trauzeugen Erdogan nicht sehr geschmeckt haben. Der baut ja schon die Raststätten für die Neue Seidenstraße.

- In Berichten über Saudi-Arabien sieht man jetzt öfter lachende Frauen. Man hat, wie gesagt, Angst vor einem Aufstand der jungen Leute, und deshalb wird die Gender-Apartheid in manchen Bereichen etwas gelockert. Frauen dürfen jetzt sogar denselben Eingang in Restaurants und Cafés benutzen wie Männer.


Wie soll das einmal enden?

Dass sie das Maul nicht allzu weit aufmachen sollten, v.a. wenn es um Kronprinz bin Salman geht, haben Frauenaktivistinnen schmerzhaft erleben müssen.

- Abseits der Schlagzeilenkonflikte schwelt seit Jahren in der Westsahara der Streit zwischen Marokko und der Befreiungsbewegung der Sahrauis. Aminatou Haidar, die „Gandhi der Westsahara“, kämpft gewaltlos dafür, dass ein Referendum über die Zukunft der Region abgehalten wird. Für ihr Engagement, dem eine brutale Inhaftierung durch den marokkanischen Geheimdienst vorausgegangen war, erhielt sie jetzt den Alternativen Nobelpreis.

Die Kurznachrichten

Deutschland


- Da in der Weihnachtsbotschaft fliegende Objekte /Engel eine wichtige Rolle spielen, wollen wir mit einer Episode beginnen, in der auch etwas geflogen ist. Da gab es vor dem BAMF in Nürnberg eine Demo, mit der Frauen auf die „menschenunwürdigen Zustände in den Flüchtlingslagern“ hinweisen wollten. Im Vorfeld hatte eine der Organisatorinnen der Polizei zugesagt, dass keine „Dinge über den Zaun geworfen werden sollen“. Dann aber flogen 50 Papierflieger, weil man es „auf dem Luftweg versuchen“ wolle, Verbesserungen zu erreichen. Die Staatsanwaltschaft sah in den Fliegern ein „Ding“ (und kein Flugblatt!), die Richterin sah eine „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ und verurteilte zu einer Geldstrafe auf Bewährung und zur Zahlung von 300€ an ein Frauenhaus. Die „Papierfliegerterroristin“ erwägt, ihn Revision zu gehen. Wir gehen mit! Es sind schon ganz andere Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt worden.

- Glück im Revisionsverfahren wünschen wir auch der hessischen Gemeinde Ranstadt. Sie hatte NPD-Plakate mit folgendem Wortlaut abhängen lassen: „Stoppt die Invasion: Migration tötet! Widerstand – jetzt!“ Der Richter, der über die Abhängung zu entscheiden hatte, sah darin keine Volksverhetzung, sondern bewertete das Plakat als „die Realität teilweise darstellend“. Als Beweis führte er Morde durch Asylbewerber auf, deutete an, dass das Gewaltmonopol des Staates bedroht sein könnte und es dadurch auf lange Sicht zu einem „schleichenden Untergang“/Invasion des Staatswesens kommen könne. Wir kontern mit der Behauptung, dass die große Mehrheit der Migranten keine Mörder sind, dass der Staat bei Verbrechen von Flüchtlingen sein Gewaltmonopol sehr wirksam ausübt und dass es eher solche Richter sind, die, wenn es mehr von ihnen gäbe, den schleichenden Untergang des Staatswesens bewirken würden.

- Auf der rechten und halbrechten Flanke hat sich natürlich noch mehr getan. Seit dem 9. Oktober, dem Attentat in Halle, häufen sich auch im Raum München antisemitische Vorfälle: Beschimpfungen auf dem Weg zur Synagoge, Vergasungssprüche in Klassenchats, Schmierereien im Treppenhaus einer jüdischen Familie, Steine auf ein israelisches Restaurant, Schändung einer Gedenktafel. Und dann noch der Überfall in der Wohnung einer Frau, die als Zeugin in einem Prozess gegen einen Rechts-extremisten aussagen sollte. Die Frau wurde gewürgt und auf den Kopf geschlagen, und die Täter hinterließen ein Graffito, das in ihren Kreisen „als Chiffre für Selbstjustiz“ gilt.

- Zu denken gibt aber auch das Abstimmungsverhalten der Bürger in Garmisch-Partenkirchen. Es geht um die Erinnerung an den Ehrenbürger Hermann Levi, ein bekannter (jüdisch-stämmiger) Dirigent und Komponist des 19. Jahrhunderts. Der Gemeinderat wollte einen Kurpark in Hermann-Levi-Park umbenennen, fand aber bei einem Bürgerentscheid keine Mehrheit. Schon 2012 war der Versuch gescheitert, einen Teil der Hindenburgstraße nach Levi zu benennen. Und Hindenburg gilt heute in der seriösen Geschichtsschreibung als einer der Totengräber der Weimarer Republik! Wenn man hinzunimmt, wie ein Mann wie der Militärrichter Manfred Röder, Ankläger im Prozess gegen die Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ mit 45 Todesurteilen, es in der Gemeinde Glashütten/Taunus bis zum 2. Bürgermeister bringen konnte, fällt einem wieder der Spontispruch der 1968er ein:

„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem er kroch.“

- In dieses Beuteschema passt natürlich auch der (Tot)Schlag in Augsburg, mit dem ein Jugendlicher im Verlauf eines nächtlichen Streits einen Feuerwehrmann getötet hat. Wer so zuschlägt, Vorsatz hin, Vorsatz her, dass das Opfer zu Tode kommt, gehört entsprechend bestraft, dass man aber gleich wieder von „Migrantengewalt“spricht, der Täter hat neben der deutschen noch zwei andere Staatsbürgerschaften, das ist Demagogie à la Alice Weidel.


Jens Söring wieder in Deutschland

- Ein denkwürdiges Ereignis spielte sich kurz vor Weihnachten auf dem Frankfurter Flughafen ab. Jens Söring, des Doppelmordes an den Eltern seiner damaligen Freundin mit angeklagt, ist nach mehr als 33 Jahren Haft nach Deutschland entlassen worden. In den USA wird die Schuldfrage sehr konträr gestellt. Für die Nachbarn der ermordeten Eltern gibt es keine Zweifel an der Täterschaft von Söring und seiner Ex-Freundin, ein Strafverteidiger spricht vom „Mythos von Sörings Unschuld“. Dieser Mythos wurde jedoch von „gewichtigen“ Personen aufgebaut. So sind einer der früheren Ermittler, eine Staatsanwältin und ein (republikanischer) Sheriff von Sörings Unschuld überzeugt.

Konträr war allerdings auch der Empfang in Deutschland. Auf der einen Seite Mitglieder des Helferkreises, Dutzende von Journalisten und ein leibhaftiger Regierungsvertreter, auf der anderen Seite Kritik von Graf Lambsdorff, weil da „ein Verbrecher wie ein Staatsgast“ empfangen wurde und ein bösartiger Artikel im Merkur, der in dem Satz gipfelte: „Und es wird klar. Der Mann fällt weich.“ Wir erlauben uns anzumerken, dass da jemand, dessen Schuld sehr fragwürdig ist und der bei uns, wenn überhaupt, nach dem Jugendstrafrecht verurteilt worden wäre, etwas Aufmerksamkeit und Unterstützung bei der „Reanimation“ verdient hat.

Ausland von Osten nach Westen

- China hat, nach eigenen Angaben, die Kampagne zur Deradikalisierung in Xinjiang beendet. Alle „Studenten der Zentren, die die Nationalsprache und das Gesetz studiert und eine betriebliche Ausbildung gemacht haben, … haben ihren Abschluss gemacht.“ Noch selten hat man Lagerinsassen schöner benannt.

- Bei einem Auftritt vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag hat sich die Staatsrätin von Myanmar, Aung San Suu Kyi als machiavellistische Komplizin der Generäle erwiesen. Sie räumte zwar ein, dass es beim Kreuzzug gegen die Rohingyas zu „unverhältnismäßiger Gewalt“ seitens des Militärs gekommen sein könnte, wies aber den Vorwurf des Völkermordes zurück. Und was das für Gewaltakte gewesen sind, würde eine interne Untersuchung der Armee aufdecken. Das Wort „Rohingya“ nahm sie nicht einmal in den Mund. Die Frau war früher einmal „Menschenrechtsikone“.

- In Indien existiert ein brutales Ausbeutersystem in der Textilbranche. Junge Mädchen werden in illegale Verträge gelockt, müssen Doppelschichten leisten, haben ein hohes Unfallsrisiko, aber keine medizinische Versorgung, schlafen zu zehnt in Zimmern auf dem Fabrikgelände und erhalten nach drei Jahren ein „Brautgeld“ von 400€.

- In Saudi-Arabien wurden fünf Männer wegen der Ermordung von Jamai Khashoggi zum Tode verurteilt. Es handelt sich um die Männer, die im Bericht der UN-Sonder-berichterstatterin enttarnt worden waren. Die beiden Hauptverdächtigen wurden freigesprochen, der Kronprinz wurde nicht einmal vorgeladen.

- In Russland wurde das Gesetz zu „ausländischen Agenten“ ausgeweitet. Man hat eine Art Davidsstern für Journalisten und Blogger eingeführt. Sie müssen auf ihren Veröffentlichungen vermerken, dass sie ausländische Agenten sind. Und dann ging man wieder einmal gegen die Stiftung des Regimekritikers Nawalny vor. Sein Büro wurde durchsucht, die Computer beschlagnahmt und sein Mitarbeiter zum Militärdienst eingezogen, auf einen Stützpunkt in der Arktis, damit er aus dem Weg ist. Dafür hat man „Milde bei einer Symbolfigur“ walten lassen. Der Student Jegor Schukow, der zusammen mit 1400 anderen Menschen bei der Demo gegen die Kandidatenliste für die Moskauer Stadtratswahl verhaftet worden war, musste nicht ins Lager, sondern kam mit einer Bewährungsstrafe davon.

- In Syrien geht der Kampf um Idlib in seine letzte Phase. Assad und sein Spießgeselle Putin bombardieren nach Herzenslust, mehr als 200 000 Menschen sind auf der Flucht (aber wohin?), und in der UN wird darum gefeilscht, wie viele Grenzübergänge für Hilfslieferungen geöffnet werden sollen. Der Westen schweigt dazu, so laut wie man nur schweigen kann.

Die GmbH ist am Jahresende 2019 in argen Nöten, und wir haben viel Verständnis für unseren Außenminister Heino Maas, der am 10. Dezember zur AEMR gesagt hat,

„Nach Jahrzehnten des Fortschritts hat es den Eindruck, dass wir uns immer weiter davon entfernen.“

Aber er versprach auch, sich 2020 dafür einzusetzen, „den Rollback zu stoppen“. Also gibt es auch für uns, auf einer unteren Ebene, weiter was zu tun.


3. Der Tätigkeitsbericht: das AI-Jahr im Landkreis Miesbach


Der Tätigkeitsbericht ist, das sei vorweggenommen, um die geneigten Leserinnen und Leser zu entspannen und zum Endlesen zu führen,

- nicht so traurig,
- nicht so dramatisch,
- nicht so absurd,
- und (vor allem) nicht so lang,

wie die Chronik der verlaufenen Monate. Wir haben als Gruppe das Jahr in Freiheit verbracht, waren keinen Drohungen ausgesetzt, sind nicht als „ausländische Agenten“ eingestuft worden und konnten wieder unbeschadet heimgehen, wenn wir uns auf der Straße bei Demos rumgetrieben haben. Da waren wir nämlich auch wieder dabei. Ein Großteil unserer Arbeit aber erstreckte ich wieder auf

3.1 Schreibtischtaten

Die sollte man nicht unterschätzen, die, denen unsere Appelle helfen sollen, tun es jedenfalls nicht. Als der ukrainische Filmemacher Oleg Senzow im September bei einem Gefangenenaustausch freikam, hat er sich auf einer Pressekonferenz auch bei den Briefeschreibern von AI bedankt:

Ich erhielt viele Briefe von Amnesty International. Vielen Dank. … Für jeden Gefangenen, ganz gleich, ob er ein politischer Gefangener … oder sonst etwas ist, ist es so wichtig, Briefe zu empfangen, während er im Gefängnis ist. Es ist das wichtigste. Selbst wenn man den ganzen Tag nichts gegessen hat, wenn man keine Pakete bekommen hat, oder wenn sie dir was angetan haben, dann wartet man und hofft auf Briefe. Deshalb schreibt, schreibt, schreibt! Ganz gleich über was! Es hilft wirklich.“

Senzows Freilassung war letzten Endes ein Deal zwischen Präsidenten, aber wenn er meint, die Briefe hätten ihm geholfen, dann schreiben wir weiter.

Appell für Eren Keskin: juristische Schikanen beenden (Januar)

In den Kampagnen zum Schutz von Menschenrechtlern taucht ihr Name immer wieder auf. Als nominelle Herausgeberin einer prokurdischen Zeitung sieht sie sich derzeit 129 (!) Gerichtsverfahren gegenüber, bei denen in erster Instanz bereits Urteile über mehr als 12 Jahre Haft gefällt wurden. Sie liegt AI Deutschland besonders am Herzen, weil sie 2001 unseren Menschenrechtspreis bekam. Eine nächste Anhörung in ihren Verfahren ist für Januar 2020 geplant.

Brief an den Vorstand: Unsere Position zum AI-Mandat bei Abtreibungen (Januar)

Wir wandten uns gegen die Befürwortung eines generellen Rechts auf Abtreibung, unterstützen aber eine Straffreiheit bei Schwangerschaftsabbrüchen, wenn dafür bestimmte Voraussetzungen gegeben sind (Indikationen, Einhaltung von Fristen). Das sei auch mit dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes abzuwägen. Wir stehen aber hinter dem bisherigen Mandat, das Frauen unterstützt, die bei Abbrüchen Mordanklagen und damit exzessiven Strafen ausgesetzt sind. Der Vorstand hat sich für den Brief bedankt und uns auf spätere Sitzungen des Internationalen Rats vertröstet. Mit Genugtuung haben wir auf einer Bezirksversammlung in München festgestellt, dass eine differenzierte Haltung zum Thema kein Alleinstellungsmerkmal der Miesbacher Gruppe ist.

Petition für Menschenrechtler in der Demokratischen Republik Kongo (Februar)

In der DRK werden nach Schätzungen derzeit 13 000 Kinder als Soldaten oder Sexsklaven eingesetzt. Menschenrechtler wie Murhabazi Namegabe und seine „Freiwilligenbüros für Kinder und Gesundheit/BVES“ ist es zwar zwischenzeitlich gelungen, die Zahlen von Kindersoldaten zu reduzieren, aber seit zwei Jahren ist wieder ein Anstieg bei der Rekrutierung von Kindern zu verzeichnen. Zudem sind die Mitarbeiter der BVES ständigen Drohungen ausgesetzt. Es gab Anschläge auf die Zentren und Entführungen von Kindern, die dort behandelt werden. Ausbeute: 40 Unterschriften. Internet: keine neuen Nachrichten.

Protest gegen die Todesstrafe im Südsudan (Februar – Juli 2019)

Dort hätte man angesichts der politischen Entwicklung (Bürgerkrieg bis 2018, brüchiger Frieden) wahrlich Anderes zu tun, als Menschen auch noch nach allen Regeln der Justiz zu töten. Seit Mai 2018 sind sieben Personen hingerichtet worden, und eine war noch ein Kind. In diesem Jahr wurden auch 135 Todeskandidaten, darunter wieder ein Kind und eine Mutter mit Kleinkind, in ein Zentralgefängnis verlegt, wo es mutmaßlich die beste Infrastruktur (Galgen) für Hinrichtungen gibt. Unter ihnen waren wohl auch die sieben Männer, die im Februar 2019 hingerichtet wurden. Für sie kamen unsere Briefe zu spät. Auf der Petition haben wir immerhin 117 Unterschriften gesammelt. Ob sie wenigstens dem Kind und der Frau geholfen haben, wissen wir nicht. Aber es gab 2018 im Land den Fall der 19-jährigen Noura Hussein, die nach einer Zwangsverheiratung ihren Mann getötet hatte und auf internationale Proteste hin (zu fünf Jahre Haft) begnadigt wurde.

Postkarten nach Iran: Nasrin Sotoudeh zu Peitschenhieben und 33/38 Jahren Haft verurteilt (März)

Eine drakonische Strafe wurde gegen die iranische Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh verhängt. Sie hat mehr als die Höchststrafe erhalten, weil in ihrem Falle mehr als drei Anklagen vorgelegen hätten. Und was für Anklagen: Störung der öffentlichen Ordnung, offenes sündhaftes Auftreten in der Öffentlichkeit ohne Kopftuch, Anstiftung zu Korruption und Prostitution“ – letztere, weil sie auch Frauen verteidigt hatte, die gegen den Schleierzwang protestiert hatten. Ein anderer Anklagepunkt war „Beleidigung des religiösen Führers“. Hat sie wahrscheinlich nicht getan, aber da hätten wir mitgemacht! Im Juni 2019 haben auf einer Online-Petition mehr als eine Million Menschen ihre Freilassung gefordert. Wir werden ihr sicher 2020 wieder begegnen.

Beim Korrekturlesen habe ich gemerkt, dass ich ihren Fall schon im März erwähnt habe, aber wenn wir zweimal an sie denken, bleiben ihr, so die Chaostheorie, vielleicht die Peitschenhiebe erspart.

Einsatz für Oyub Titiev/Tschetschenien (März/April)

Im Rahmen der „Mut braucht Schutz“ Kampagne haben wir Briefe geschrieben und/oder an einer Online-Aktion teilgenommen. Über sein Schicksal und seine Freilassung haben wir im März berichtet.

Brief gegen das Vergessen in die Vereinigten Arabischen Emirate (April)

Obwohl das Porto korrekt war, kam der Brief ungeöffnet zurück. Vermutlich waren die Repräsentanten der VAE nach dem Jemen verzogen, wo sie bis Juli 2019 noch in den Bürgerkrieg verwickelt waren. Jetzt, wo der Großteil ihrer Truppen wieder abgezogen ist, haben sie vielleicht auch Zeit, ihre Verhältnisse zuhause zu ordnen, z.B. um die Haftstrafe gegen den Blogger und Menschenrechtler Ahmed Mansoor aufzuheben, der sich in Interviews mit internationalen Medien für die Durchsetzung von Menschenrechts-Standards ausgesprochen und dafür 10 Jahre wegen „Rufschädigung“ bekommen hat. Wir sind der Meinung, dass der Ruf der Emirate eher wegen ihrer Teilnahme am Bürgerkrieg im Jemen und wegen der Behandlung von politischen Gefangenen gelitten hat. Im Mai zeigte sich ein UN-Experte „tief besorgt“ über seine Haftbedingungen und seinen Gesundheitszustand.

Petition für Sepideh Gholian und Esmail Bakshi (Mai)

Das sind zwei besonders gefährliche Gewerkschaftler aus dem Iran. Sie wurden wegen ihrer Teilnahme an friedlichen Demonstrationen (Arbeitsbedingungen, unbezahlte Löhne) von der Sicherheitspolizei verhaftet und in deren Büro auf unsägliche Art misshandelt. Nach einer Verlegung in ein Haftzentrum machte man ihnen deutlich, was sie zu erwarten hätten. Originalton Sicherheitskräfte:

„Dieser Platz ist das Ende der Welt. Hier gibt es keine Menschenrechte, und ihr habt keine Wahl, außer wie ein Hund zu gestehen.“

Im Dezember 2018 kamen sie auf Kaution frei, im Januar 2019 wurden ihre „Geständnisse“ (Verschwörung mit kommunistischen Gruppen … zum Umsturz der Islamischen Republik) im Staatsfernsehen gezeigt, und nur einen Tag darauf wurden sie wieder verhaftet, vermutlich weil sie auch die Folter „gestanden“ hatten. Ein Rechtsbeistand wurde ihnen verweigert.

Wir haben die Petition auf der Maikundgebung des DGB in Schliersee, auf dem SPD-Empfang in Holzkirchen und im Miesbacher Stadtrat aufgelegt und 60 Unterschriften gesammelt. Im Oktober wurden beide auf Kaution freigelassen.

Online-Aktion gegen Wiederaufnahme von Hinrichtungen in Sri Lanka (Juni)

Nachdem es am Ostersonntag zu den blutigen IS-Anschlägen auf Kirchen und Hotels gekommen war, sah (der damalige) Präsident Sirisena den Boden bereitet für die Wiederaufnahme der Todesstrafe – für Drogenhandel. Der ist in Sri Lanka schon lange mit der Todesstrafe belegt. Sie wurde aber seit 43 Jahren nicht mehr vollstreckt. AI ist der Meinung, das soll auch so bleiben und hat sich nicht um das Amt des Henkers beworben, für das man in der Tageszeitung „Daily News“ eine Anzeige geschaltet hatte. Im Lande formierte sich (trotz der Attentate!) breiter Widerstand gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe, und das Oberste Gericht hat bisher (Ende Oktober) ihre Vollstreckung blockiert.

Petition für ein Moratorium der Todesstrafe in Ghana (September)

In Westafrika hat es in den letzten Jahren erfreuliche Fortschritte gegeben, die Vollstreckung der Todesstrafe auszusetzen oder sie gleich ganz abzuschaffen. Ghana hat sie bisher für Verbrechen wie Mord und Diebstahl mit Todesfolge beibehalten, aber seit 25 Jahren keine Urteile mehr vollstreckt. AI appellierte an den Präsidenten, das Moratorium beizubehalten und die Todesstrafe auf lange Sicht in Gänze abzuschaffen. Wir waren noch in Urlaubsstimmung und haben nur 17 Unterschriften zusammengebracht. Das ist uns etwas peinlich, da die deutsche AI-Sektion Partner von AI-Ghana ist.

Postkartenaktion für Wang Quanzhang (Dezember)

Mit dem Fall des chinesischen Menschenrechtsanwalts Wang Quanzhang, mit dem wir schon im Januar befasst waren, wurde unsere Weihnachtsruhe empfindlich gestört. Er zeigt einmal mehr, mit welcher Brutalität die Volksrepublik China mit unbequemen „Volksgenossen“ umspringt. Wang saß drei Jahre in Haft ohne Kontakt zur Außenwelt und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand. Seine Familie wusste nicht einmal, ob er noch am Leben ist. Dann eine Verurteilung zu viereinhalb Jahren mit „guten“ Aussichten darauf, in Haft misshandelt zu werden. Sein Vergehen: Einsatz für Religionsfreiheit und Vertretung von Opfern der Landvertreibungen. Die letzte Nachricht stammt vom Juni 2019. Seine Frau traf einen „völlig veränderten Mann“ vor, als sie ihn zum 1. Mal seit fast vier Jahren besuchen durfte. Wir plädieren als Sanktion für eine Blockade der Neuen Seidenstraße, lange bevor sie den Hafen von Duisburg erreicht.

Weihnachtspostkarten nach Ägypten: Amal Fathy (Dezember)

Amal Fathy ist eine Frauenrechtlerin, die es gewagt hat, von ihren Erfahrungen sexueller Gewalt im öffentlichen Raum zu berichten und die Untätigkeit der ägyptischen Regierung zu kritisieren. Wegen „Verbreitung falscher Nachrichten, Besitz anstößigen Materials und öffentlicher Beleidigung“ wurde sie im September 2018 zu zwei Jahren Haft und einem Bußgeld verurteilt. Ihr Leben spielt sich seither zwischen Gefängnis, Entlassung auf Kaution, Bestätigung des Urteils und drohende Wiederverhaftung ab. Es ist schwer zu sagen, welcher Anklagepunkt abstruser ist. Mit dem „anstößigen Material“ sind wohl Berichte oder Fotos von sexueller Belästigung gemeint, die in Ägypten, wie schon erwähnt, weit verbreitet ist. Was die Untätigkeit von Regierung und Polizei anbelangt, wird man den Verdacht nicht los, dass man es den Männern durchgehen lässt, damit sie nicht auf „dumme“ (politische) Gedanken kommen. Wir haben die Postkarten in der Gruppe verteilt und an den ägyptischen Botschafter in Berlin adressiert, verbunden mit der Drohung, wenn er nichts unternähme, würden wir ihn ebenfalls … (wurde von der hauseigenen Zensur gestrichen). Im Mai wurde ihr ein österreichischer Menschenrechtspreis verliehen, in Empfang genommen wurde er, wie es bei solchen Preisen fast schon üblich ist, in Vertretung von ihrem Ehemann.


3.2 Veranstaltungen

Einmal mehr haben wir uns als Profis im Trittbrettfahren erwiesen. Wir haben zwar einige Sachen selbst organisiert, haben aber auch bereitwillig Einladungen angenommen - oder uns gleich selbst eingeladen.

Weltgebetstag der Frauen (März)

Es ging über Slowenien, und wir waren dieses Jahr nur in Weyarn vertreten. Das Land gehört ja nicht gerade zu unseren Schwerpunktländern, wenn man von der Diskriminierung der Roma einmal absieht. Die Weyarner scheinen das auch so gesehen haben, denn von unserem Material wurde (eher) nichts mitgenommen. Im Jahre 2020 geht es um Simbabwe. Da gibt’s dann keine mildernden Umstände mehr.

Menschenrechte beim „Frauenbildungsnetz“ in Holzkirchen (März)

Bernard hat mit einer VHS-Gruppe schon zum 3. Mal einen Workshop veranstaltet. Sein Thema war diesmal „Geschichte und Bedeutung der Menschenrechte“, den Schwerpunkt legte er, und das war keine Themaverfehlung, auf die Arbeit von AI. Zur Freude von Thierry gingen auch unsere Materialien gut weg.

Infoabend: 70 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (März)

Diese Veranstaltung sollte ein Event werden, denn wir hatten Bärbel Kofler, MdB und Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung dafür gewonnen, einen zugkräftigen Titel gefunden („AEMR – Wunschtraum oder Erfolgsgeschichte?“), die Plakate gedruckt – und dann kam zwei Wochen davor die Absage. „Frau Kofler muss den Außenminister bei einer Menschenrechtskonferenz vertreten“, und im gleichen Aufwasch „steht auch im nächsten Jahr nicht zur Verfügung“. Mails nach Genf, mit der Bitte, die Konferenz um eine Woche zu verlegen und an den Außenminister mit der Aufforderung, gefälligst selbst hinzugehen, blieben unbeantwortet.

Ostermarkt in Fischbachau (März)

Wir brauchten dringend ein Erfolgserlebnis und fanden es im Ostermarkt, auch wenn wir heuer personell schwächelten und nur den Sonntag beschicken konnten. Am Samstag stand an unserer Stelle eine Frau mit Puppenkleidern, und die Leute werden sich gefragt haben, ob AI sein Mandat schon auf Barbiepuppen ausgedehnt hat – was bei unserer Mandatsdiskussion manchmal gar nicht so abwegig ist. (Vorsicht: Satire!)


„Kommet alle zu mir, …“

Leichte Abänderung des Bibelspruchs: „… die ihr mühselig und beladen seid“ – in: „vorausgesetzt ihr kauft etwas ein“.

Das Geschäft lief am Vormittag sehr erfreulich. Der große Renner waren die Osterplätzchen, die gekochten Ostereier wurden gleich im Block aufgekauft. An Stelle des Standgeldes erhielten wir von der Organisatorin eine Spende. Am Nachmittag gab es „viele fröhliche Gesichter, aber kaum noch Umsatz“. Bernard hatte eine Kundin, die sich sehr für AI interessierte und sogar einen Jahresbericht mitnahm. Leider ließ er sie entwischen, ohne sie „dingfest“ gemacht zu haben.

Ostermarsch (April)

Es war wieder ein bunter Haufen von ca. 300 Teilnehmern, darunter viele junge Leute, der für „ein friedliches Europa, eine friedliche Welt … und eine gerechte Klimapolitik“ durch Miesbach zog. Zur Schonung des Klimas hätte man sich allerdings die Luftballons sparen können. Die Reden waren recht gut, nur die Tiraden pro-Russland und anti-Nato eines Altlinken sorgten für Widerspruch aus der Menge. („Hau ab!“) Als er von der Verringerung der russischen Verteidigungsausgaben sprach, wusste er auch noch nichts von der Hyperschallrakete, die Putin im Dezember mit den Worten präsentierte, „damit wird jede Raketenabwehr hinfällig“. Es gab viel Musik, gebackene Waffeln und das obligatorische Gedicht der Edelweißpiraten, das genauso kantig aber inspirierter daherkam als im letzten Jahr und das am Ende einer bedrohten Spezies ein Denkmal setzte.

„Und kommt mal wer zu dem Entschluss,
dass man dem Menschen helfen muss,
wird so einer blöd angemacht
und als Gutmensch ausgelacht.“


AI war mit 15 Mitgliedern und Angehörigen (und zwei Hunden) vertreten und marschierte unter dem Banner der Menschenrechtserklärung.


Osterspaziergang – ohne Goethe

Maikundgebung in Schliersee (Mai)

War wie immer ein Heimspiel, wenn auch nicht vor einem Publikum wie in der Allianz-Arena. Es kamen etwa 20 Leute, viele ergraute Köpfe, aber es herrschte nahezu Parität der Geschlechter. Als Referent hatte man einen katholischen Betriebsseelsorger eingeladen, der sich einen Seitenhieb auf die christlichen Gewerkschaften nicht verkniff. Wir wurden geradezu gehätschelt, bei der Begrüßung, im Referat und im Abspann erwähnt. Die Leute holten sich die U-Listen für die beiden iranischen Gewerkschaftler selber ab und reichten sie von Platz zu Platz. Am Ende hatten 19 von 20 Besuchern unterschrieben, und wir waren acht Jahresberichte losgeworden. Am Ende seines Vortrags stellte der Referent die rhetorische Frage: „Gell, des hätten Sie sich vor 10 Jahren auch nicht vorgestellt, dass die katholische Betriebsseelsorge auf einer DGB-Kundgebung spricht?“ Das passte gut zu meiner Geschichte aus den 1950er Jahren, wo ein strammes Mitglied der katholischen Jugend (ICH) sich weigerte, beim Absingen von „Brüder, zur Sonne zur Freiheit“ aufzustehen und dafür fast Prügel bezogen hätte. Heute stehe ich auf und singe kräftig mit.

Demo: Ein Europa für alle (Mai)

Wir hatten mit dem Ostermarsch (Demo)Blut gerochen, und so waren einige von uns auf dem Marsch vor den Europawahlen auch wieder vertreten, genauer gesagt, die einen waren, die anderen wollten. Die BOB hat nämlich die Demo boykottiert und uns ab Holzkirchen die Weiterfahrt verweigert. Wer mehr Geduld bewiesen hat, bekam noch genügend mit, denn die Veranstaltung ging bis in den späten Nachmittag hinein. Demonstriert wurde für viele Anliegen, die auch AI lieb und teuer sind, und deswegen nahmen auch die Münchner AI’ler mit einer mittelgroßen Gruppe teil, obwohl AI bei Veranstaltungen mit anderen Gruppierungen/Parteien manchmal unter Berührungsängsten leidet. Auch Anneliese wurde eine gelbe AI-Weste verpasst.

Infostand in Miebach (Juni)

Wir hatten uns der bayernweiten Aktion zu den „Briefen gegen das Vergessen“ angeschlossen und waren reichlich mit Material versehen worden. Außerdem hatten wir eine U-Liste gegen die Todesstrafe im Südsudan ausgelegt. Die Lokalpresse hatte ausführlich über den Infostand berichtet, die Zeugen Jehovas hatten ihren Stand abgesagt, sodass wir nicht gegen Bekehrungsversuche ankämpfen mussten, sondern unsererseits die Passanten dazu „bekehren“ konnten, unsere Briefe mitzunehmen und die Listen zu unterschreiben.

Es begann mit der Frage der Bäckersfrau, ob wir wirklich nicht von der AfD seien. Dann antwortete der erste Passant mit einem entschiedenen „Na!“, das so klang, als wolle er gleich die Polizei rufen. Drei Passanten lächelten uns freundlich an, mussten aber zur Arbeit. Es kann ja am Samstagvormittag nicht jeder müßig am Infostand rumhängen. Dann kamen aber auch Frauen, die unterschrieben und Briefe mitnahmen, eine, die Interesse an unserem Monatsabo zeigte, und schließlich ein bärtiger Mann, der so bayrisch sprach, dass ihn unsere Holzkirchner nicht mehr verstanden. Und da war auch noch eine Frau, die die Petition nicht unterzeichnete, weil sie schon Mitglied bei Greenpeace sei. Der müsste man einen Vortrag über Synergieeffekte halten. Insgesamt verlief die erste Schicht „ein wenig zäh“, und das, obwohl Monika einen eindrucksvollen Blickfang mit einer Kollage von den „vergessenen Gefangenen“ gestaltet hatte.

Die 2. Schicht zeigte mit vier Leuten geballte Präsenz und war von der Resonanz des Publikums angenehm überrascht. Sie wurden für das Engagement von AI gelobt, „die Stimmung war positiver, weniger misstrauisch“. Wir bekamen insgesamt 44 Unterschriften und wurden 27 Briefe los, darunter auch Briefe für eine Transgender-Frau und einen LGBTI-Aktivisten. Die Erfolgsmeldungen zu den Monatsbriefen, die es auch gibt, fanden leider wenig Interesse, obwohl uns diese Frage immer wieder gestellt wird.


Uns kann man nicht vergessen

Ausstellung „Alle Menschen“ (Juni – Juli)

Der (zunächst nichtssagende) Titel der Fotoausstellung zum 70. Geburtstag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte geht auf deren „Geburtshelferin“ Eleanor Roosevelt zurück, die die AEMR der UN-Generalversammlung als „internationale Magna Carta aller Menschen“ vorgestellt hat. Wir rechneten bei der Eröffnung nicht mit dem Kommen „aller Menschen“, sondern hatten eher Angst vor dem Alleinsein, aber dann kamen doch 28 Leute, und es waren beileibe nicht die, die bei der Eröffnung des Volksfestes keinen Platz im Bierzelt mehr gefunden hatten. Aufgespielt hat die Gruppe „La Musica“ unter Leitung von Ludwig Pschierl, die in veränderter Formation schon einmal für uns aufgetreten ist und die, eigens für die Ausstellung, ein afrikanisches Lied thematisch bearbeitet hat.

„Rund um den Äquator, scheint immer die Sonne,
Palmen wiegen sich im Wind, es ist eine Wonne!
Die Menschen sind fröhlich, bunt und lebendig, rund um den Äquator,
obwohl es ihnen dreckig geht – abgesehen vom Diktator."


Einer der vier Einträge im Gästebuch lautete: „Danke für die Ausstellung und die tolle Musik.“

 
Besuchermassen

Der Besuch bei den ersten zwei Führungen war dann mehr als mäßig Und ich kam mir vor wie die Häftlinge in ihren Pyjamas.


Nostalgischer Blick nach draußen

Dann aber kam Führung Nummer 3. Ein Ehemann hat seine Frau zur Teilnahme verpflichtet (oder umgekehrt); ein Jugendlicher machte ein Praktikum bei der Stadt, konnte somit nicht gut ausweichen, hat aber interessiert lange durchgehalten, obwohl es „viel Geschichte“ war; eine Frau, von den Bildern umgeben, hat gefragt: „Wo ist hier Ausstellung?“; aber ein Mann hat sich die 28 Bilder reingezogen und auch noch Infomaterial mitgenommen.

Auf unserer U-Liste waren vier Unterschriften, im Gästebuch vier Einträge, darunter einer mit der Ermutigung: „Nicht nachlassen!“. Unterm Strich aber hatten wir wieder allen Grund, uns bei der Stadt Miesbach und dem Personal der Bücherei recht herzlich dafür zu bedanken, dass wir wieder kostenlos rein durften und mit Kaffee versorgt wurden. Viel trauriger als der mäßige Besuch nach der Vernissage, stimmte uns allerdings der Abschied von Frau Bott, die uns immer weit die Türen offengehalten hat. Wir schicken ihr unsere besten Wünsche hinterher.

SPD-Veranstaltung in Holzkirchen (Juni)

Wir haben nicht lange bei der Führungsebene nachgefragt, ob sich das mit der „Unparteilichkeit“ von AI verträgt, sondern haben mitgemacht, zusammen mit anderen (respektablen) Randgruppen wie AdFC, Gemeinsam anders wohnen, pro Asyl, Zivilcourage. Anlass des Abends war ein anderer Siebziger: das Grundgesetz. Die Mehrheit der Gruppen suchte sich einen Artikel des GG und wandte ihn (bisweilen etwas bemüht) auf die eigene Arbeit an. Bernard setzte den Schwerpunkt auf den Iran und bezichtigte ihn gleich mehrerer Verstöße gegen das deutsche Grundgesetz. Als er von Nasrin Sotoudeh berichtete, ging ein hörbarer Seufzer durch die Reihen der 35 Besucher. Hubert Heinhold von pro Asyl sah sich als „Störenfried“, weil der Asylartikel inzwischen so aufgeweicht ist, dass er einer Worthülse gleicht. Die Diskussion verlief eher lau, vielleicht hätte ich sie doch durch die Anfrage an die SPD anheizen sollen, was sie von dem Vorschlag hielte, die Seegrundstückler (nach Artikel 14) zu enteignen und in brauchbare Sozialwohnungen umzusiedeln. Ich habe mich nicht getraut.

Aktionstage Globaler Klimastreik (September)

Nach den Ferien ging’s gleich mit einer Demo weiter. In Miesbach kamen immerhin 500 Leute zusammen, die mehr Klimaschutz forderten – als die Große Koalition am gleichen Tag mit ihrem Klimapaket angeboten hatte. Wir marschierten bei der Mittel-schule los, ein bescheidenes Häufchen, bei dem die Lehrer(innen) die Zahl der Schüler noch übertraf. Dann am Stadtplatz die Invasion von Richtung Realschule und Gymnasium. Ein eindrucksvoller Spektakel! Auch die Schulleiter waren zufrieden, weil niemand, nicht einmal die Erwachsenen, die Schule geschwänzt hatte. Im Merkur dann ein langer und wohlwollender Artikel mit Bildern wie aus einer Großstadt.

 
Mayday for Future

Einige Tage später dann ein Leserbrief: „Wenn Lehrer da mitlaufen, ist das verantwortungslos.“ Da hat einer für die Erde den Plan B in der Tasche.

Das wir dann bei der Großdemo in München ebenfalls vertreten waren, der Gruppensprecher altersgemäß in der Nähe der „Omas gegen rechts“, waren wir schon der Greta schuldig, die kurz zuvor von AI-USA einen Menschenrechtspreis bekommen hatte. Mache haben ihr den nicht gegönnt, weil sie „nicht gefährdet“ war, aber das kann ja auch noch kommen, wenn Leute wie der Leserbriefschreiber „einen Gang hochschalten“.

Zwischen Multikulti und Leitkultur (September)

Kaum hatten wir unsere Demoklamotten abgelegt, rief die Lange Nacht der Volkshochschulen zu einem Vortrag von Bezirksheimatpfleger Dr. Norbert Göttler über die Zukunft eines modernen Heimatbegiffs. Wir hatten den Referenten vorgeschlagen, ohne zu wissen, dass er vor 40 Jahren die AI-Gruppe in Dachau gegründet hatte, die VHS hatte den Abend professionell organisiert, das Netzwerk Integration war mit uns auf das Trittbrett gesprungen. Es kamen (zunächst) an die 40 Leute. Herr Göttler siedelte seine Heimat zwischen den beiden Extremen an, lehnte die Leitkultur wegen ihres Ausschlusscharakters (Trachtenzwang, fragwürdige Traditionen) und die Multikulti wegen ihrer Abartigkeiten (Zwangsehe, Ehrenmorde) ab. Er vertrat mit Humor und Menschlichkeit einen Heimatbegriff, der sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt hat, der offen ist für Menschen verschiedener Herkunft, und der durchaus auch mehrere Heimaten zulässt. „Heimat“, das war einer seiner Kernsätze, „wird immer mehr die Heimat des Anderen.“

Es war erstaunlich, was er in einer guten Dreiviertelstunde an Informationen und Denkanstößen unterbrachte und wie souverän er mit der Tatsache umging, dass ihm Max Uthoff mit seinem Programm „Moskauer Hunde“ nach dieser Zeit die Hälfte seines Publikums verbellte. (Deswegen das „zunächst“!) Wer verblieb, erlebte eine angeregte Diskussion, die leider immer wieder von einer (offensichtlich heimatlosen) Ko-Referentin aus Polen monopolisiert wurde. Deshalb konnten zukunftsorientierte Aspekte wie die „Beheimatung bei Facebook“ und die „Gemeinsamkeit des europäischen Lebensstils“ nur angerissen werden. Aber, siehe Kernsatz, man hat auch ihr zugehört. Der Merkur brachte, was bei Vorträgen nur ausnahmsweise geschieht, eine ausführliche Nachbesprechung.


Ein g’standener Heimatpfleger

Als Kollateralnutzen ist zu verzeichnen, dass wir sämtliche Jahresberichte 2018 los wurden – obwohl sie nach sechs Monaten Laufzeit schon etwas Staub angesammelt hatten.

Infostand in Holzkirchen (Oktober)

Zur Abwechslung wurde nicht marschiert, sondern wieder einmal gestanden. Unter dem Zeitungstitel, „Keine Gnade für die Todesstrafe“, den der Merkur dankenswerterweise übernommen hatte, stellten wir zwei Fälle vor, zum einen den Iraner Mohammad Reza Haddadi, als Jugendlicher bei fragwürdigen Begleitumständen wegen Entführung, Mordes und Verstecken der Leiche zum Tode verurteilt, seit über 15 Jahren in Haft und von sechs abgesagten Hinrichtungsterminen körperlich und seelisch gezeichnet, zum anderen unseren Einzelfall aus Malaysia, Hoo Yew Wah, der wegen „Drogenhandels (188 Gramm!) seit 2011 zwischen Aufschub und Vollstreckung der Hinrichtung hin und her pendelt. Für den Iraner hatten wir Postkarten vorbereitet, die wir nur mit Mühe unter die Leute brachten, für den Malaysier sammelten wir immerhin 45 Unterschriften und wurden 46 Briefe an Abgeordnete und Botschaft los. In der 1. Schicht hörten wir die üblichen Ausreden und Ablenkungsmanöver („Wie steht ihr denn zur Impfpflicht?“), die Petition wurde aber bereitwillig, wenn auch oft unleserlich unterschrieben. Die 2. Schicht soll ausführlich zu Worte kommen, weil sie sehr typische Infostanderlebnisse hatte.

„Da sagte jemand, bevor man gegen die Todesstrafe in anderen Ländern sei, soll man erst einmal hier etwas gegen Abtreibung tun. … Ein Mann meinte, dass er ein offener Mensch sei, aber dass jemand, der andere durch Drogenverkauf so in Unglück und Tod stürze, doch die Todesstrafe verdient hätte – er unterschrieb dann doch. Ein anderer meinte resigniert, dass alles nichts bringe, es bessere sich nichts auf der Welt, aber er wünsche uns viel Erfolg – er unterschrieb nicht. Ein Mann kam mit seinem Sohn vorbei, bat uns, dem Jungen die Todesstrafe zu erklären und nutzte die Gelegenheit, um ihm seine Meinung, wie schlimm sie sei, nahe zu bringen. … Insgesamt lässt die Bereitschaft nach, sich an den Stand zu begeben. … Thierry meinte, das sei nicht mehr das Holzkirchen von früher“ – was immer das heißt.


Am Rande des Markttreibens

Gruppenbesuch am Gymnasium (November)

Der Arbeitskreis für Politik und Zeitgeschichte lud uns ein, um im Vorfeld des Briefmarathons zu erfahren auf wen sie sich da eingelassen haben. Es kamen der Lehrer, H. Klöcker, und acht Schüler – und das am Freitag in der 7. Stunde, wo man als Schüler normalerweise schon seit drei Stunden in den Wochenendmodus umgeschaltet hat Sie spielten brav unseren Gründungsmythos aus dem Café in Lissabon mit, wobei H. Klöcker einen scharfen Geheimpolizisten mimte. Dann erzählte ich ihnen von unserem Mandat, der AEMR, unseren Aktivitäten, den Erfolgen und Misserfolgen und sparte auch nicht mit Kritik an der Überfrachtung des Aufgabenbereichs (Genderdebatte). Sie hörten mit „geduldiger Aufmerksamkeit“ zu, ersparten mir die peinlicheren Fragen (Todesstrafe, Flüchtlinge), wollten aber auch wissen, wie es mit der Zusammenarbeit mit anderen Gruppen bestellt sei. Auch versprachen sie, sich beim Briefmarathon zu engagieren und griffen dazu gerne meinen Vorschlag auf, die Eltern zur Übernahme der Portokosten zu bewegen. (War nicht notwendig, weil die Briefe als Ganzes nach Berlin geschickt werden.)

Es war eine ermutigende Mittagsstunde, für die ich artig dankte, aber auch darauf hinwies, dass es mit AI im Landkreis Miesbach nur weitergehen könne, wenn wir an die Schulen (und nicht in den Seniorenheimen) Ansprechpartner finden.

Lichterkreis gegen Antisemitismus (9. November)

Aufgeschreckt durch den Anschlag in Halle und in Erinnerung an die Reichspogromnacht, organisierte die Kulturreferentin, Frau Jooß, eine Lichterkette vor dem Rathaus. Es kamen an die 100 Leute und zwei Polizisten, die aber, Gott sei Dank, nichts zu tun hatten, weil die Rechten in ihren „Löchern“ blieben. Es wurden anrührende Texte aus Vergangenheit und Gegenwart gelesen, wir durften einen Text aus der SZ unter dem Titel „Packen wir die Koffer?“ beisteuern.

„Die sprichwörtlichen Koffer, schon lange ausgepackt und ausgeleert, stehen bei vielen Juden in Deutschland noch auf dem Speicher. Wir sollten sie herunterholen. Es ist Zeit zu überlegen, was wir einpacken. Noch können wir sie stehen lassen, aber sie sollten bereit sein, denn der Tag, an dem wir sie brauchen, mag nicht mehr weit sein.“

Mich hat dann eine Frau mit jüdischen Wurzeln angesprochen, deren Großvater im KZ und deren Vater Repressalien ausgesetzt war. Das hat meine Gänsehaut, die der Text hervorgerufen hat, noch verstärkt.

Postkartenaktion zum Tag der Menschenrechte (Dezember)

Im Umfeld des 10. Dezembers ist unser Platz an den Kirchentüren, aber natürlich gehen auch viele von uns hinein. In der evangelischen Kirche wurden Postkarten für Eren Keskin verteilt, die Aktion wurde durch den Pfarrer vorgestellt, und da am Ende 43 Karten verteilt waren, scheint „fast jeder Gottesdienstbesucher eine mitgenommen zu haben“. In der katholischen Kirche stellten wir den Fall des chinesischen Rechtsanwalts Wang Quanzhang vor. Da er, wie erwähnt, auch wegen seines Einsatzes für Religionsfreiheit einsitzt, konnten die Gottesdienstbesucher schlecht „nein“ sagen. Einmal wurde ein solches „nein“ gesagt und revidiert, als der Gemeindereferent der Aktion den kirchlichen Segen gegeben hatte. Ein anderer fragte zurück, als ich ihm die Karte reichte „Solln ma betn?“ – und nahm die Karte mit. Ich hoffe, dass er auch gebetet hat. Wir wurden 169 (minus 2) Karten los, und wenn nur 100 von ihnen abgeschickt werden, hat der Botschafter Wu Ken einiges zu lesen.


Ein Bild aus der Vergangenheit

Das „minus 2“ erklärt sich übrigens dadurch, dass wir zwei der Karten bei unseren Monatsbriefen wiederfanden, die in der Kirche ausliegen. Einer davon könnte von der Person stammen, die gemeint hat, er/sie „werde es sich mal durchlesen“. Lesen müsste man halt können!

Briefmarathon an Schulen (Dezember)

Première! In der Vergangenheit hatten wir selber Schule gespielt und innerhalb der Gruppe einige Fälle des Marathons aufgegriffen. Da es heuer gezielt um junge Menschen ging, machten wir uns auf die Suche nach Lehrern – und wurden fündig: Herr Huber von der Realschule in Miesbach und Herr Klöcker vom Gymnasium erklärten sich bereit, den Briefmarathon durchzuführen. In der Realschule wurden von Schülern und Lehrern 115 Briefe gesammelt, deutlich mehr für das „Kopftuchmädchen“ Yasaman Aryani/Iran, als für Magai Ngong/Südsudan, der in eine Schießerei verwickelt war. Herr Huber hatte einige Einwände (Reisefreiheit, Datenklau) zu kontern, drang aber mit seinen Argumenten „In den Südsudan werdet ihr wohl kaum reisen“ und „Bei Facebook gebt ihr viel mehr Daten preis“ offensichtlich durch.

Im Gymnasium kamen 885 Protestbriefe zusammen. Allerdings handelte sich Herr Klöcker eine gesalzene Elternbeschwerde ein, weil er den „Beutelsbacher Konsens“ (von 1976) nicht gebührend beachtet hätte. Da stehen Forderungen an den Politkunterricht drin, die recht vernünftig sind (Verzicht auf Indoktrination, Vermittlung von Hintergrundwissen, Aufzeigen von Gegenpositionen), die aber letzten Endes doch zu einer „überlegten Entscheidungsfindung“ des Schülers führen sollen. Wir sind sicher, dass die Voraussetzungen geschaffen wurden, dass die Schüler freiwillig und „überlegt“ die Entscheidung für den Briefmarathon getroffen haben.

Den beiden Lehrern unseren aufrichtigen Dank. Ich weiß noch aus eigener Erfahrung, dass solche Anfragen von außen eine echte Zusatzbelastung sind.

 
Die Briefmarathonläufer

Adventsmarkt (Dezember)

Der Markt war heuer auf einen Tag reduziert, aber der dauerte dann wirklich bis in den Abend hinein. Die Wetterprognose sprach von Windböen bis zu 90 kmh, aber der Wind blies uns nicht davon, sondern blieb (weitgehend) erträglich. Und wir nahmen 500€ ein, mit Socken, Platzerl, Astmonster, Schubfächer und Holzsternen. Wir drucken einmal die Liste unserer Spender ab, die sich von der Länge her wie eine Ahnengalerie liest.

Wir danken
unseren Spenderinnen und Spendern

Berufsschule Miesbach
Erna Haller
Kurt Holzfurtner
Anneliese Lintzmeyer
Missionskreis Fischbachau
Alto Nürnberger
Maria Schmalhofer-Jacobi
Eugen Schmucker
Maria Schneckenburger
Maria Schreiber
Petra Six
Kick van Walbeek
Plätzchenbäckerinnen der AI-Gruppe

3.3 Die Gruppe

Zu den Schreibtischtaten gehören Täter(innen), zu den Infoständen „Informant(inn)en, zu den Märkten Fieranten und Marketenderinnen. Sie merken, dass ich hier in der Genderdebatte deutlich Stellung bezogen habe, denn wenn es um die „vorderste Front“ am Info- oder Marktstand geht, sind es bei uns oft die Frauen, die als Erste die Finger heben, während sich die Männer mehr auf die „Hausarbeit“ (Herrichten und Aufräumen) konzentrieren. Um einen Stimmungsbericht zu den Werk- und Feiertagen der Gruppe zu geben, seien zwei Ereignisse hervorgehoben.

Das Sommerfest (September)

Der Freitag 13. September war kein Unglücksdatum, außer für Helga, deren 80. Geburtstag wir leider nicht begießen konnten, weil ihre Knie den 61 Stufen nicht gewachsen waren. Deshalb an dieser Stelle noch einmal „Alles Gute“. Wir hatten bis spät in den Abend hinein Kaiserwetter, wurden von Grillmeister Leon Walther meisterlich versorgt, freuten uns, dass mit ihm, Johanna und Kilian der Altersdurchschnitt deutlich gesenkt wurde – und ließen AI-Themen guten Gewissens außen vor. Gesprochen wurde über eine bunte Vielfalt von Themen, wie sie für eine „kunterbunte“ Truppe angemessen sind: Arbeitsabläufe auf der Alm, Schulstreiche, Schneckenvertilgungsmethoden, Brexit, Joga, den strengen Winter, Familie und Urlaub. Es war, um einen englischen Dichter im Understatement zu zitieren „(as you may say) satisfactory“.

Die Sitzung fürs Guinness Buch (November)

Zu einer Sitzung im Dezember kamen 15 Leute, und wir mussten am Tisch fast „in der 2. Reihe parken“. In der Arbeitsphase fand eine (für unsere Verhältnisse geradezu/aber dem Thema angemessene) „hitzige“ Debatte über die Aufnahme des Klimaschutzes ins AI-Mandat statt. Lebhaft ging es auch in der Entspannungsphase zu, aber da hallte thematisch noch die Eröffnung der Karnevalssession im Rheinland nach. Helga schlug vor, einen AI-Ball zu veranstalten, aber wenn wir (wie üblich) ganz unter uns sind, müsste erst geklärt werden, wer in der Gruppe sich als Täter und wer sich als Opfer maskiert. In Richtung Fasching ging auch die Diskussion über den zukünftigen Gruppensprecher. Ich horchte auf, als Thierry ankündigte, dass er nicht mehr sehr lange zu arbeiten habe. Damit hätten wir mit ihm und Bernard zwei qualifizierte Nachfolger, und wir könnten wie die Grünen und die SPD eine Doppelspitze bilden. Man müsste sich nur noch einigen, wer die Rolle der Frau übernimmt. Übermut tut manchmal gut!


3.4 Die Fälle

Dieser Übermut vergeht uns natürlich schnell, wenn wir an unsere Fälle denken. Da ist zunächst der Malaysier

Hoo Yew Waa

Er wurde, wie erwähnt, mit 188 Gramm Methamphetamin erwischt und sitzt seit 2011 in der Todesszelle, weil in Malaysia bei Drogenhandel die Verhängung der Todesstrafe (bisher) obligatorisch ist. Im Gespräch war, diese Verpflichtung zu einem finalen Urteil für 11 Delikte aufzuheben und damit dem Richter mehr Spielraum einzuräumen. Aber auch diese Reform scheint innerhalb des Kabinetts auf Widerstand zu stoßen. Eine Entscheidung in diesem Gremium sollte Ende Dezember erfolgen. Unsere (zahlreichen) Briefe und Petitionen hatten vier Ziele:
- die Verlängerung des Moratoriums zur Vollstreckung der Todesstrafe
- der Verzicht auf die obligatorische Verhängung bei bestimmten Delikten
- die endgültige Abschaffung der Todesstrafe
- die Begnadigung von Hoo Yew Waa

Wir sind optimistisch, dass Hoo nächstes Jahr noch am Leben ist und dass das Land juristische Reformen in unserem Sinne beschließt.

Narges Mohammadi

Von unserem Iranfall gibt es leider nichts Tröstliches zu berichten, wenn man einmal davon absieht, dass sie (vielleicht) noch am Leben ist. Ihr Mut scheint ungebrochen zu sein, denn die letzte Meldung vom 27. Dezember 2019 spricht von ihrer Verlegung in ein abgelegenes Gefängnis, weil sie mit sieben anderen politischen Gefangenen den Müttern der Opfer der jüngsten Unruhen ihre Solidarität bezeugt hatten. Die Verlegung scheint, nach Aussagen ihres Mannes, ziemlich „unsanft“ über die Bühne gegangen zu sein. Ihre Chancen, die beiden Kinder zu treffen, die sie seit fast fünf Jahren nicht mehr gesehen hat und die mit dem Vater in Frankreich leben, sind mit der Verlegung weiter gesunken. Die Iraner sollen liebenswerte Menschen sein, aber das Regime ist des Teufels. Ob man es aber durch gezielte Tötung seiner Repräsentanten beseitigen kann, ist mehr als fraglich!

3.5 Die Kampagnen

Wir waren mit zwei Kampagnen beschäftigt:

„Mut braucht Schutz“

Die Kampagne zum Schutze von Menschenrechtlern wurde an mehreren Stellen dieses Berichts bereits angesprochen. Bemerkenswert ist, dass es sich zunehmend nicht nur um Politiker, Schriftsteller oder Anwälte, sondern auch um Umweltaktivisten handelt. So erweitert sich unser Kundenkreis um die Opfer der „Umweltsäue“, und das sind natürlich nicht die Omas, sondern Politiker wie Brasiliens Bolsonaro.

„Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“

Um das Bewusstsein für die Menschenrechte kundenfreundlich zu vertiefen, haben wir den Vorschlag aufgegriffen, die einzelnen Artikel über das Jahr verteilt in Geschäften und bei Institutionen aufhängen zu lassen. Von den ca. sieben Stellen haben einige bis zum November durchgehalten, sodass sie (möglicherweise) bis Artikel 30 gekommen sind. Wir haben nur eine Absage erhalten, einer Bank waren die Menschenrechte zu „politisch“. Dafür prangten sie beim Merkur an prominenter Stelle im Schaukasten.


Menschenrechte im Zentrum des Geschehens in Miesbach

3.6 Die Finanzen

„Geld hat man, darüber spricht man nicht“, sagen die, die welches haben. Wir tun es trotzdem, denn zunächst ist zu vermelden, dass sich AI ins postkommunistische Zeitalter verirrt hat. ENTEIGNUNG! Dieses Gespenst geistert seit der Jahresversammlung von 2018 durch die Gruppen. Dort hat man beschlossen, den Gruppen 10 000€ auf ihrem Konto zu belassen und den Mehrwert abzuschöpfen. Das halten auch wir für vernünftig, aber wenn wir Sie mit dem Wort „Enteignung“ ködern, lesen Sie eher weiter. Wir sind jetzt in einem echten Gewissenskonflikt: Ist die Miesbacher Gruppe von der Abschöpfung betroffen oder nicht? Auf Anweisung unseres Finanzministers Siegi Komm, der mit jetzt 47 Jahren (!) in Amt und Würden der dienstälteste Finanzminister der Bundesrepublik ist, soll ich vorsichtig formulieren. Ja, wir sind betroffen, und damit habe ich fast schon zu viel gesagt. Ich habe aber volles Vertrauen in unsere Förderer und Spender und bin sicher, dass Sie uns auch weiterhin unterstützen werden. Wir können seit Anbeginn ohne finanzielle Sorgen wirtschaften und haben das, neben unseren eigenen Anstrengungen, Ihrer Großherzigkeit zu verdanken. Vielen Dank!

3.7 Todesfall

Wir waren tief betroffen, als uns im März die Nachricht vom Tod Jürgen Zaruskys erreichte. Er war unser 3. Gruppensprecher und hat sich engagiert um den ukrainischen Dissidenten Danylo Shumuk gekümmert. Wir sind, glaube ich, keinem „Einzelfall“ menschlich so nahegekommen. Er hat sich dann bei der AI-Gruppe in Dachau eingebracht, hat aber weiterhin auf unsere Jahresberichte reagiert und vor einigen Jahren in Miesbach einen ausgewogenen Vortrag zum Ukraine-Konflikt gehalten.


Er möge ruhen in Frieden

Jürgen gehörte zu jener Schar, die unsere Gruppe durchlaufen haben, die dann weggezogen sind, aber irgendwie, und da muss man das physikalische Gesetz der Osmose bemühen, dazu beitragen, dass unsere Gruppe zusammenhält.

3.8 Das Motto auf dem Deckblatt

Wir sind uns darüber im Klaren, dass auch umgekehrt ein Schuh daraus werden könnte.

„Ich war noch nie weg“,
sagte die Realität zur Hoffnung,
die vergeblich versucht hatte, sie zu ignorieren,
„und ich werde bleiben.“

Da kann man auf gut bayrisch nur sagen: „Schaugn ma amol!“


4. Kontaktadressen und Kontonummer

Fritz Weigl, Wallenburger Straße 28 d, 83714 Miesbach
Tel.: 08025/3895, Fax: 08025/998030,
Mail:fritz.weigl@gmx.de

Bernard Brown, Carl-Weinberger-Str. 5, 83607 Holzkirchen
Tel.: 08024/3502,
Mail:bernard.brown@web.de

Homepage: http://www.amnesty-miesbach.de

Bank für Sozialwirtschaft (BfS) Köln, IBAN: DE 233 70 20 50 0000 80 90 100
Verwendungszweck: Gruppe 1431 Miesbach (Gruppennummer unbedingt mit angeben)