Jahresbericht der AI-Gruppe

im Landkreis Miesbach

für das Jahr 2021



So fing es an - vor 60 Jahren



Jahresbericht 2021 – 49 Jahre Amnesty International
(Landkreis) Miesbach


1. Einleitung


Eigentlich könnte man die Vorschau auf das Jahr 2021 mit einem einzigen Satz zu den zwei Bildern zusammenfassen: Möge das Jahr nicht so beginnen – aber das tat es –

 

So jetzt schaugn ma amol.

und so enden – das hoffen wir!

 

Masken weg – wir dürfen uns wieder nahe sein.

Aber da dieser Bericht nicht von Jens Spahn oder Lothar Wieler verfasst wurde, sondern ein AI-Produkt ist, wird es neben einigen (menschenrechtlich relevanten, kuriosen oder aufmunternden) Coronanachrichten genügend anderen Lesestoff geben, wie immer schwer verdaulich und bluthochdruckfördernd, aber bei (jeder sich bietenden) Gelegenheit mit „Ironie, Satire und tieferer Bedeutung“ gewürzt. Maske auf – das Jahr kann beginnen!


2. Jahresrückblick


Januar 2021

Da die Einleitung diesmal recht kurz ausgefallen ist, werde ich die „tiefere Bedeutung“ zu Beginn jedes Monats mit einem Spruch vermitteln, den man gut in Gespräche einbauen kann. Und wenn Sie den Sprecher nicht benennen, meinen die Leute, er sei von Ihnen. Ob sich die Sprüche mit Ereignissen des Monats verbinden lassen, das herauszufinden, überlasse ich Ihnen.

„Das ist der ganze Jammer:
Die Dummen sind so sicher,
und die Gescheiten voller Zweifel.“


Bertrand Russell


Das Fest Epiphanie/Dreikönigstag wird in den USA von religiösen Familien genutzt, um Freunde einzuladen, die dann helfen, die Weihnachtsdekoration wegzuräumen. Heuer haben die „Freunde“ dem neuen Präsidenten aber eher einen Saustall hinterlassen, zwar nicht in seinem neuen Heim, aber in der Nachbarschaft, dem Kapitol.

 

Joes erster Tag

Am 6. Januar waren die beiden Kammern des US-Parlaments zusammengekommen, um den Wahlsieg Joe Bidens zu bestätigen. Aber sie hatten die Rechnung ohne den (Alt)Wirt gemacht. In einer wirren Rede sprach Trump vom „Diebstahl“ der Wahl und forderte sein Anhänger auf, zum Kapitol zu ziehen. 800 von ihnen blieben aber nicht dort stehen, sondern drangen in das Gebäude ein. Dabei kam es zu haarsträubenden Szenen: Auf Polizisten wurde mit Trump-Fahnen eingeschlagen, Abgeordnete flohen in Panik, ihre Büros wurden besetzt und verwüstet, im Plenarsaal „tagten“ die „Proud Boys“/rechtsextreme Hooligans und Q-Anon Anhänger, und auf einem Video sieht man Vizepräsident Pence und einen Offizier mit dem Zweitexemplar des „Atomkoffers“/den „nuclear football“ die Treppe hinuntereilen. Der Besitzer des Erstexemplars saß derweilen im Weißen Haus, zeigte viel Verständnis für die Wut der Demonstranten und forderte sie erst spät auf, „friedlich zu bleiben und nach Hause zu gehen“. Der Chefankläger im Impeachment-Verfahren sagte später, der Präsident habe die Fernsehbilder vom Sturm aufs Kapitol „genossen“.

Heftige Kritik gab es am Verhalten der Sicherheitskräfte: „schlecht vorbereitet, spät reagiert, auffällig zahm“ war der Tenor der Kritik. Barrikaden wurden nicht verteidigt, sondern zur Seite geräumt, und es soll sogar Selfies mit den Eindringlingen gegeben haben. Die Nationalgarde wurde mit Verspätung alarmiert und zunächst eingesetzt, um der Verkehrspolizei zu helfen. Bei den „Black Lives“-Demos im Frühsommer 2020 war man martialischer aufgetreten. Beim Sturm auf Kapitol gab es insgesamt fünf Tote, ein Polizist und vier Demonstranten.

 
Keiner der hl Drei Könige

Das 2. Impeachment im Februar hat Trump trotzdem überstanden. Und es gab Anzeichen, dass er zum Widergänger werden könnte. Die Minirevolte republikanischer Abgeordneter und Senatoren war nach Druck von der Basis schnell beendet, und auch der Fraktionsführer der Republikaner Mitch McConnell stimmte für „Nicht schuldig“, obwohl er Trump „moralisch und praktisch“ für den Sturm aufs Kapitol verantwortlich hält. Aber das sagte er erst nach der Abstimmung. Mitte Februar gab es dann Gerüchte über ein geplantes Attentat auf das Kapitol während Bidens Rede zur Lage der Nation, und am 28. Februar wird Trump in Orlando/Florida seinen ersten öffentlichen Auftritt inszenieren, vermutlich um die Republikaner wieder enger an die Kandare zu nehmen, die Abweichler zu erschießen und seine Kandidatur (und wahrscheinlich gleich auch seine Wiederwahl) für das Jahr 2024 anzukündigen.


Im August 2020 haben wir Ihnen Alexej Nawalny auf einem „Urlaubsfoto“ präsentiert. Er sitzt auf einer Parkbank im Schwarzwald, um sich von den Folgen des Giftanschlags zu erholen, der, entweder von ihm selbst oder in der Charité Berlin, aber nicht vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB verübt worden ist. Im Januar trat dann ein, was er Ende des Jahres schon getwittert hatte:

„… sie werden versuchen, mich ins Gefängnis zu bringen, weil ich nicht gestorben bin“.

Das ließ sich Putin nicht zweimal sagen. Nach einem spektakulären Rückflug auf einem Sitz in der „glücklichen Reihe 13“ wurde er gleich nach der Passkontrolle wegen angeblicher Verletzung von Bewährungsauflagen festgenommen. Dazu hätte man aber die russischen Behörden ins Krankenzimmer der Charité und – auf die besagte Parkbank schicken müssen. Um seine Unterstützer auszutricksen, hatte man ein Großaufgebot von Polizei und Sondereinsatzkräften auf dem vorgesehenen Landeflugplatz platziert, dann aber die Maschine kurzfristig umgeleitet. Aber um das Aufgebot zu beschäftigen, wurde am ersten Flughafen auf einige Mitarbeiter Nawalnys zugegriffen.

Dann ging es Schlag auf Schlag in dem ungleichen „Duell“ zwischen Staatschef und seinem Kritiker. Zwei Tage nach der Festnahme löste Nawalny sein Versprechen ein, „Wladimir Putin zu besuchen“. Sein Team stellte ein Video auf Youtube, in dem Putin (höchst)persönlich angegriffen wird, in dem über „angebliche Reichtümer, Geliebte, Lügen und Seilschaften des Präsidenten“ gesprochen wird. Kristallisationspunkt der Bloßstellung: der „Palast“ am Schwarzen Meer, zwar nicht Putins Eigentum, aber ihm von einem „komplexen Netzwerk“ von Sympathisanten zur Verfügung gestellt.


Putins Versailles

Die Fotos sollen in einem waghalsigen Kommandounternehmen à la James Bond von einer Drohne geschossen worden sein, die von einem Gummiboot aus gestartet worden war. Das Video soll übrigens noch in Deutschland geschnitten worden sein, aber Nawalny wollte vor der Veröffentlichung zurück in Russland sein, um den Vorwurf zu vermeiden, er fürchte sich vor den Konsequenzen.

Die ließen dann nicht auf sich warten. Noch am Tage nach seiner Ankunft wurde er (gewissermaßen zur Einstimmung) zu 30 Tagen verurteilt, die er in einer Anstalt mit der (inoffiziellen) Bezeichnung „Matrosenruhe“ absitzt. Statt zur Ruhe aber rief er zu
landesweiten Protesten auf, die „über zehn Zeitzonen hinweg und bei Temperaturen bis zu minus 51 Grad“ Tausende von Menschen auf die Straße brachten. Die Sicherheitskräfte gingen mehr als unverhältnismäßig vor und nahmen 3512 Menschen fest, für den Westen der Anlass, die Ereignisse „mit Sorge“ zu beobachten, die „harschen Methoden“ zu kritisieren, und den „Ruf nach Sanktionen“ laut werden zu lassen.

Nawalny war in der Vergangenheit kein „lupenreiner Demokrat“ und Menschenrechtsaktivist. Er nahm an Märschen der (Ultra)Rechten teil, würde die Annexion der Krim wohl eher nicht rückgängig machen und scheute nicht vor fremdenfeindlichen Äußerungen gegen russische Bürger aus dem Nordkaukasus zurück. Aber der Mensch kann sich ändern. Und zu ändern scheint sich auch die Sicht der Bevölkerung auf ihn und die „Ereignisse“. Während vorher eine Mehrheit glaubte, dass seine Vergiftung nur eine „Inszenierung“ oder die „Provokation westlicher Geheimdienst“ war, haben seine Verhaftung (und Verurteilung im Februar), das Video und die Brutalität der Sicherheitskräfte ein gewisses Umdenken bewirkt. In einem Land, wo die Wirtschaft in der Krise ist und der Mangel herrscht, finden Kritiker der Korruption und der Verschwendungssucht der Eliten (Stichwort: Goldene Kloobürste) leichter Gehör. Man wird sehen, ob es Putin gelingt, Nawalny im Straflager zum Schweigen zu bringen.

Für einen Hörer des Bayrischen Rundfunks ist Nawalny ein Vollpfosten, weil er nach Russland zurückkehrte und ein „Krawallmacher“, dem es nur um Selbstdarstellung geht. Dass so jemand ins Gefängnis gehört, hat er zwar nicht direkt gesagt, vermutlich aber mitgemeint.

Die SZ hat der Heimreise Nawalnys einen Leitartikel mit dem Titel „Nawalny führt Putin vor“ gewidmet. Den scheint auch Putin gelesen zu haben, und er hat ihm nicht gefallen. Im Februar ließ er seinen Kritiker die ganze Härte des Gesetzes spüren.

Hoffentlich nicht mehr!


Zweiter Versuch


AI-Nachrichten

- Pressefreiheit: Im Jahre 2020 hat sich die Zahl der Attacken gegen Journalisten in Deutschland verdoppelt. Es gab 252 Straftaten, darunter 22 Körperverletzungen und 33 Sachbeschädigungen. Die meisten Fälle kamen aus dem rechten Milieu und bei Demonstrationen von Querdenkern. Ein Sprecher des Journalistenverbandes kritisierte, dass die Polizei bei diesbezüglichen Vorfällen „nur zögerlich dazwischengegangen“ sei“.

- Versammlungsfreiheit: Eine solche Zögerlichkeit kann man der polnischen Polizei nicht gerade vorwerfen. Sie geht gegen friedliche Demonstranten und Demonstrantinnen immer aggressiver vor, setzt Unmengen von Tränengas und „neue Schlagstöcke mit Teleskoparmen“ ein. Das bekamen auch die Frauen zu spüren, die im Herbst 2020 gegen die Verschärfung des Abtreibungsverbotes demonstrierten. Als beispielsweise eine Abgeordnete, die sich nach festgenommenen Demonstrantinnen erkundigen wollte, einem Polizisten ihren Abgeordnetenausweis zeigte, sprühte der ihr Tränengas ins Gesicht. Vereinzelten Protesten von Kommandeuren gegen den Missbrauch der Polizei als „prügelnder Arm der Partei“ PiS, wurde finanziell begegnet. Es gab Sonderzahlungen für „erfahrenen Polizisten“. Was „Erfahrung“ in diesem Zusammenhang bedeutet, kann man sich vorstellen.

- Politische Gefangene: Die Thailänderin Anchan Preleert, die Audioclips mit kritischen Kommentaren über König und Monarchie auf den sozialen Medien geteilt hat, wurde zu 43,5 Jahren Haft verurteilt. Die Frau ist Mitte 60 und wird (nach dem Willen der Richter) ihren 100. Geburtstag noch im Gefängnis verbringen. Sie wurde wegen „Majestätsbeleidigung“ verurteilt, und dazu holte man ein Gesetz aus der untersten Schublade, dessen Anwendung sogar der König schon untersagt hatte.


„Ich hätt‘ da was, Herr König!“

- Todesstrafe: Im Juli 2020 hätte Ex-Präsident Trump, wenn es sie je gegeben hätte, seine allerletzten AI-Wähler vergrault. Da führte er die Hinrichtungen auf Bundesebene wieder ein, die auf einem Gesetz beruhten, das die Bundesjustiz 17 Jahre lang ausgesetzt hatte. Dadurch war in der Meinung Trumps ein gewisser Nachholbedarf entstanden, der zu decken war. Also wurden in den letzten sechs Monaten seiner Amtszeit 14 Menschen hingerichtet. Das letzte Opfer war Lisa Montgomery, die nach einer abscheulichen Kindheit ein abscheuliches Verbrechen begangen hatte. Eine Woche vor ihrer Hinrichtung bat sie Trump um Gnade, aber, „Ach“, so sagte schon Schillers Jungfrau von Orleans, „es geschehen keine Wunder mehr“. Mit Lisa Montgomery wurde zum ersten Mal seit 68 Jahren in den USA wieder eine Frau hingerichtet. Möge sie (und die anderen 13 Hingerichteten) Trump auf seinen Golfrunden erscheinen und seine Schläge verwirren!


Kurznachrichten

- Menschenrechtsorganisationen wie AI kritisieren „Israels institutionalisierte Diskriminierung“. Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich die Weigerung des Landes, das sich rühmt, „Impfweltmeister“ zu sein, den Palästinensern hochwertigen Impfstoff in ausreichenden Mengen zur Verfügung zu stellen. Israel verweist auf die Zuständigkeit der Autonomiebehörde, die Palästinenser auf Israels Verantwortung als Besatzungsmacht. Am Ende des Monats soll Israel dann 5.000 Impfdosen für medizinisches Personal bereitgestellt haben.

- Eine „Spurensuche mit Hindernissen“ wurde die Mission der WHO genannt, die den Ursprung des Coronavirus in Wuhan/China untersuchen wollte. Den Experten, die sich schon auf den Weg gemacht hatten, wurde zunächst die Einreise verweigert, weil Peking mit den „internen Vorbereitungen“ nicht fertig geworden war, dann wurde jeder Einzelne von ihnen einer gründlichen Gesichts- und Körperkontrolle unterzogen (Vorsicht: Teilsatire), und schließlich wurde sichergestellt, dass man nichts finden sollte, was Peking nicht preisgeben wollte. So sollten beispielsweise die Nachforschung zu den ersten Patienten und dem Markt in Wuhan ausschließlich chinesische Wissenschaftler übernehmen. Im Februar gab es Gerüchte, dass Peking wichtige Rohdaten zurückgehalten habe, Gerüchte, denen Mitglieder der Delegation aber eilfertig widersprachen. Wir sind gespannt auf die Veröffentlichung des Berichts.

- Die irische Regierung hat sich für den Tod von Tausenden von Kindern in Mutter-Kind-Heimen entschuldigt. In den Jahren von 1922 bis 1998 habe die Kindersterblichkeit in diesen Heimen, die (theoretisch) von der Regierung kontrolliert und von religiösen/meist katholischen Organisationen geleitet worden, bei 15 Prozent gelegen. Die Frauen, die dort entbunden hätten, seien wegen ihrer außerehelichen Schwangerschaft stigmatisiert worden, selbst wenn diese das Ergebnis einer Vergewaltigung waren. Eine Frau, die das Heim überlebt hatte, wählte eine drastische Formulierung: „Das war unser Holocaust.“

- Wasser auf die Mühlen von Gegnern der EU und der deutschen Entwicklungshilfe dürften Berichte sein, dass die Gelder „aus Berlin und Brüssel munter weiterfließen“, obwohl einige Regime in Afrika immer repressiver werden. So wurden in Uganda
54 Demonstranten zusammengeschossen, die gegen die Inhaftierung des Oppositionskandidaten Bob Wine protestiert hatten, in Tansania die Präsidentschaftswahlen gefälscht und Kritiker zu Hunderten verhaftet und gefoltert. Bob Wine zieht eine bittere Bilanz:

„Mittlerweile wissen wir, ohne die Hilfe des Westens gäbe es diesen Diktator schon lange nicht mehr. Diese Länder sind Mittäter, sie interessieren sich nicht für Werte und Menschen, sondern nur für Geschäfte.“

Für Simbabwe hat Deutschland einen Mittelweg gewählt: die Regierung erhält keine Finanzmittel mehr, es werden nur noch “regierungsferne Maßnahmen“/lokale Projekte unterstützt.

- Schlechte Noten erhielten einige EU-Staaten vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR für die Behandlung von Flüchtlingen. Es wäre „systematische Praxis“, dass Flüchtlinge abgeschoben werden, ohne deren Anliegen im Einzelfall zu prüfen. Die Griechen zwingen Boote zur Umkehr in die Türkei, die Kroaten prügeln die Menschen nach Bosnien zurück, die Ungarn schieben ohne rechtmäßiges Verfahren nach Serbien ab – und das unter tatkräftiger Mitwirkung der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Im Dezember 2020 hatte das oberste EU-Gericht weite Teile des ungarischen Asylgesetzes für rechtswidrig erklärt. Als Folge zog sich Frontex im Januar von seinem Einsatz in Ungarn zurück.

- Mehr als unerfreulich ist der Sicherheitsreport der Münchner Polizei für das Jahr 2020. Es gab 60 körperliche Attacken mit rassistischem, antisemitischem oder schwulenfeindlichem Hintergrund, aber manchmal genügte auch ein Streit um den Parkplatz, ein asiatisches (und damit Covid-19 trächtiges) Aussehen oder ein Konflikt um die Maskenpflicht, um zuzuschlagen. Und in einem Drittel der Fälle wurden nach dem Opfer gleich auch noch die Sicherheitskräfte angegangen. „Auffallend viel Hass“, kommentierte die SZ.

- Ein extremer Vertreter dieser Clique von Hasskriminellen und Verschwörungstheoretikern scheint der Vater des Attentäters in der Shishabar von Hanau zu sein. Die Sprecherin der „Initiative 19. Februar“, die sich um die Aufklärung des Attentats bemüht, hat ihn „eine tickende Zeitbombe“ genannt, weil er, der sich in seiner Ehre und seinen Grundrechten verletzt fühlt, damit drohte, „die Wiederherstellung (derselben) würde mehrere Menschenleben kosten“. Eine Verwandte hatte im Mai 2020 bei der Polizei angegeben, dass sich das Verhalten des Vaters „sehr dem seines Sohnes vor der Tat ähnele“. Derzeit streift er mit einem Schäferhund durch das Viertel und verlangt die Rückgabe der Waffen seines Sohnes. Im Februar haben die Hinterbliebenen der Opfer gegen ihn Strafanzeige wegen Beihilfe zum Mord gestellt. Außerdem erhoben sie schwere Vorwürfe gegen die Ermittlungsbehörden, die sich der Bundespräsident bei der Gedenkfeier insofern zu eigen machte, dass er eine lückenlose Aufklärung von Fehlern beim Polizeieinsatz zur „Bringschuld des Staates“ erklärte.

- Wie, so fragt man sich, ist (im Alltag) mit Extremisten umzugehen? Erschießen geht nicht – auch wenn ein deutscher Bürgermeister schon einmal mit dem Gedanken spielte, den großen Waffenschein zu beantragen, und bekehren funktioniert nur selten. Die Beobachterin des Prozesses gegen den Mörder von Walter Lübcke hat für sich und uns eine Lehre gezogen:

„Diese Lehre kann nur sein, den Feinden der Demokratie zu widersprechen, überall, immer. Damit sie sich nicht als Handlanger der schweigenden Mehrheit fühlen. Das hat nichts mit Mut zu tun. Es gehört sich einfach.“

Doch, mit Mut hat es schon zu tun. Und, ehrlich gesagt, den haben wir nicht immer.

- Im Bundestag kam es zum Jahrestag der Befreiung des KZs Auschwitz zu einem eindrucksvollen Auftritt zweier jüdischer Frauen. Die jüngere, Maria Weisband, erzählte von den Belastungen, denen eine Jüdin in Deutschland ausgesetzt sei, davon, wie die Polizei ihr geraten hatte, bei der Gründung eines Stammtisches das Wort „jüdisch“ wegzulassen, und was es bedeute, dass man zum Beten an Männern mit Maschinenpistolen vorbeigehen müsse. Charlotte Knobloch, die ältere, appellierte an die Abgeordneten „auf unser Land aufzupassen“. Und dann blickte sie zur AfD und sprach sie direkt an:

„Ich kann nicht so tun, als kümmerte es mich nicht, dass Sie hier sitzen. Sie werden weiter für Ihr Deutschland kämpfen, und wir werden weiter für unser Deutschland kämpfen – und ich sage Ihnen: Sie haben Ihren Kampf vor 76 Jahren verloren.“

Nach dieser Passage gab es keinen Applaus aus den Reihen der AfD.


Zwei kraftvolle Rednerinnen im Bundestag


Erfolgsmeldungen - ansatzweise

- Im Iran sprach sich Präsident Rohani für ein freies Internet aus. Anlass war ein Verfahren gegen seinen eigenen Kommunikationsminister, das von der erzkonservativen Justiz und von Hardlinern im Parlament angestrengt worden war. Diese möchten das Internet einschränken, weil es „gesellschaftliche Unsittlichkeiten“ fördere. Rohani hingegen meint, das Internet sei „für die Menschen wie Sauerstoff“, und es „wäre absolut falsch, dies nun einschränken zu wollen“. Rohani darf bei den Wahlen im Juni 2021 nicht mehr antreten. Dann wird man sehen, ob den Iranern auf dem Informationssektor noch Luft zum Atmen bleibt.

- In Seoul/Südkorea verurteilte ein Gericht Japans Kriegsverbrechen an den sogenannten „Trostfrauen“ und sprach ihnen eine Entschädigung von je 75.000 Euro zu. Die Klägerinnen waren im 2. Weltkrieg gezwungen worden, japanische Soldaten zu „trösten“, d.h. ihnen Sex-Dienste zu leisten. Im Jahre 2015 hatte sich Japan entschuldigt und acht Millionen Euro in einen Opferhilfe-Fonds eingezahlt. Damit war für Japan die Sache „endgültig und unumkehrbar“ geregelt. Die Klägerinnen fühlten sich „als Privatleute nicht ausreichend gewürdigt“ und beharrten auf einer individuellen Entschädigung. Da Japan das Urteil als „völlig inakzeptabel“ bezeichnet hat, werden die Frauen die Auszahlung der Entschädigung wohl nicht mehr erleben.


Lee Young-Su, eine der Klägerinnen

- Ein niederländisches Gericht hat das Tochterunternehmen von Shell in Nigeria dazu verurteilt, mehrere Bauern für Ölverschmutzung zu entschädigen. Das Urteil, so ein AI-Sprecher, habe „große Relevanz“, weil auch dem Mutterkonzern eine „Sorgfaltspflicht“ auferlegt wurde und er damit „für alle Unternehmensaktivitäten auch in anderen Staaten“ verantwortlich gemacht werden könne. Mit dem Urteil verknüpfen sich Erinnerungen an einen der schlimmsten Justizskandale Afrikas. Im Jahre 1995 wurde der Menschenrechtler Ken Saro-Wiwa, der gegen die Verseuchung des Niger-Deltas gekämpft hatte, mit acht anderen Aktivisten von der nigerianischen Justiz zum Tode verurteilt und gehängt.

- Mit der Rechten geben, was man links genommen hat, zeichnet den Umgang des Bamf/Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit dem Kirchenasyl aus. Einerseits droht immer mehr Helfern ein Prozess, andererseits wird das Amt die Abschiebefristen wieder von 18 auf sechs Monate verringern, d.h. dass Deutschland für einen Flüchtling, der über ein sicheres Drittland eingereist ist, zuständig wird, wenn es nicht gelingt, ihn innerhalb von sechs Monaten zurückzuführen. Die Frist von 18 Monaten hatte die Gewährung des Kirchenasyl massiv erschwert. Das Verfahren gegen die Äbtissin Mechthild Thürmer, die wir Ihnen im JB 2020 vorgestellt haben, scheint noch zu laufen, im März 2021 soll sie den Göttinger Friedenspreis bekommen. Da kann man nur hoffen, dass sie den nicht wie chinesische Friedensnobelpreisträger im Gefängnis entgegennehmen muss.

Im Februar erreichte die Helferkreise im Landkreis Miesbach eine erfreuliche Nachricht. Vor drei Jahren hatte man in Fischbachau ein Kirchenasyl für einen Iraker eingerichtet, der über Italien eingereist war. Jetzt kam die Nachricht, dass er als Asylbewerber anerkannt wurde – sogar ohne mündliche Verhandlung. In Ilmenau/Sach-sen hat er die Probezeit am Krankenhaus bestanden und möchte sich zum Facharzt ausbilden lassen. Wenn ihn Italien in den Irak abgeschoben hätte, wäre er vielleicht schon einer amerikanischen Drohne oder einer iranischen Miliz zum Opfer gefallen.


Kuriosa

- In den USA haben sich die Republikaner zwei ganz „scharfe Bräute“ – ich weiß, der Ausdruck ist politisch nicht korrekt, aber es geht nicht anders – ins Repräsentantenhaus geholt. Aus Colorado kam Lauren Boebert, die sich ihre Diäten bisher ausschließlich damit verdient hat, jedem, der es wissen wollte (oder auch nicht) zu erklären, dass sie ihre Pistole auch im Plenarsaal tragen werde. Zur ersten Sitzung ging sie demonstrativ um den Metalldetektor herum. Und aus Georgia kam Marjorie Taylor Greene: In der Vergangenheit hat sie in den sozialen Medien verbreitet, dass die Schulmassaker von Waffengegnern inszeniert wurden und dass man für Barack Obama schon das Podest für den Galgen vorbereite. Ihre ersten Auftritte zeigten, dass sie sich nicht geändert hat. Am Tage der Amtseinführung Bidens beantragte sie gegen ihn ein Amtsenthebungsverfahren. Der Antrag wurde von keinem weiteren Abgeordneten unterstützt, brachte ihr aber sicherlich ein Tweet von Trump ein. Der soll auch dafür gesorgt haben, dass eine Fraktionssitzung der Republikaner zum Thema „Greene“ kurzfristig abgesagt wurde. Das Foto der beiden Damen belassen wir lieber beim FBI.

- Im Münchner Hofgarten haben 17 Coronaleugner den Gefangenenchor aus Verdis Oper „Nabucco“ angestimmt. Da die Veranstaltung nicht angemeldet war und weder Mindestabstände eingehalten noch Masken getragen wurden, wird nun wegen des Verstoßes gegen das Versammlungs- und des Infektionsschutzgesetzes gegen die Sänger ermittelt. Die 2. Strophe werden sie u.U. im Hof von Stadelheim singen müssen. (Vorsicht Satire!)


Coronaleugner hinter Schloss und Riegel

- Kurz vor dem Sturm auf das Kapitol hatte am Jahresende der Sturm auf (den Landkreis) Miesbach stattgefunden. Die Feiertage, das Wetter, die Schneeverhältnisse und die Coronamüdigkeit hatten Massen von Ausflüglern in die touristischen Hotspots gespült. Da der Inzidenzwert auf über 200 gestiegen war, wurde vom Landratsamt ein Ausflugsverbot erlassen. Das kann man akzeptieren oder auch nicht, aber inakzeptabel war das Schild am Ortseingang von Miesbach, das die Behördensprache in den derben Jargon der Haberfeldtreiber des 19. Jahrhunderts übersetzte.


Sooo nicht!

Inakzeptabel aber auch die Anwürfe gegen Landrat Olaf von Löwis of Menar, dem wegen seines Nachnamens vorgeworfen wurde, dass es einem Ausländer nicht zustehe, in Deutschland Verbote zu erlassen.

Zur Ehrenrettung der Miesbacher sei aber auch erwähnt, dass man nach Entfernung des Stinkefingerschildes ein Herz mit einer Inklusionseinladung aufgestellt hat. Leider hat man dieses Schild (fast) genauso schnell entfernt wie seinen Vorgänger.


Februar 2021

„Das einzige wirkliche Gefängnis ist die Angst.
Und die einzige wirkliche Freiheit ist die Freiheit von Angst.“


Aung Sang Suu Kyi

Es geht, wie er Name der Spruchgeberin schon verrät, nicht um die Angst vor der Freiheit der Querdenker, die im März auf dem Marienplatz in München maskenfrei und in bester Stimmung Polonaise tanzten, sondern um den Militärputsch in Myanmar, der das Land pünktlich zum Monatsersten heimsuchte. Die „Mutter Suu“, wie die inoffizielle Staatschefin vom Volk genannt wird, hatte noch im Dezember 2019 den Einsatz der Generäle gegen die Rohingyas als „unangemessene Gewalt in Einzelfällen“ verharmlost, die Gunst der Militärs aber eingebüßt, als sie es wagte, im November 2020 die Wahlen zu gewinnen. Jetzt wirft man ihr abwechselnd Wahlbetrug, Hochverrat, Verstöße gegen das Telekommunikationsgesetz und Anstiftung zum Aufruhr vor. Derzeit steht sie an einem „unbekannten Ort“ unter Hausarrest. Dass dieser Ort irgendwo in Peking ist, sollte man im Bereich „alternative Fakten“ ablegen. Fakt aber ist, dass die Empörung über den Putsch weltweit wäre, wenn nicht die „Paten“ China und Russland ihre schützenden (und raffgierigen) Hände über die Generäle gelegt hätten. Der Putsch, so die chinesische Nachrichtenagentur, sei eine“ größere Kabinettsumbildung“ und damit eine „innere Angelegenheit“ des Landes.

Die Problembeschreibung als „innere Angelegenheit“ wurde von weiten Teilen der Bevölkerung aufgegriffen, allerdings mit einer anderen Zielrichtung. Es kam zu Massenprotesten mit dem Drei-Finger-Gruß des Films „Die Tribute von Panem“ und zu einem Generalstreik und Demonstrationen von ganzen Berufsgruppen.

 
Protest der Lehrer

Obwohl die Demonstranten mit großer Disziplin vorgingen, reagierte das Militär wie zu erwarten war. Es gab viele Verhaftungen und im März war die Zahl der Erschossenen schon dreistellig. Es ist „ein Krieg der Armee gegen das Volk“, und unser Außenminister, der sonst in seiner Wortwahl die Diplomatie in Reinkultur verkörpert, sprach von „einem unerträglichen Ausmaß“ an Morden. Das Ausland reagierte mit Sanktionen, eine UN-Resolution wurde von China und Russland blockiert. Von wem denn sonst, wenn es um Demokratie und Menschenrechte geht? Fortsetzung folgt.

Im Juni kamen zu den Vorwürfen gegen Aung San Suu Kyi noch ein Verfahren wegen Gier und Bestechlichkeit dazu. Ziel der Junta ist offensichtlich, „die Staatsrätin für den Rest ihres Lebens von politischer Betätigung auszuschließen und womöglich lebenslang hinter Gitter zu bringen“.

Sie haben Bedarf an weiteren Unruheherden? Nein? Liefern wir trotzdem.

- Russland. Es kam zu heftigen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften (verstärkt durch die Nationalgarde) und Demonstranten, die nicht nur für Nawalny, sondern auch gegen Armut und Ungleichheit protestierten. Die Medien, die noch nicht auf Regierungskurs geschaltet sind, übten harsche Kritik an der Festnahme oppositioneller Journalisten. Nawalny wurde zu einer Arbeitslagerhaft von dreieinhalb Jahren verurteilt, zehn Monate Hausarrest wurden ihm (gnädigerweise) angerechnet.

Dann hatte Europa seinen Auftritt. Der EU-Außenbeauftragte wollte bei seinem Besuch in Moskau die Forderung nach der Freilassung Nawalnys überbringen, wurde aber unmittelbar nach der Pressekonferenz mit der Nachricht abgewatscht, dass Russland drei westliche Diplomaten ausgewiesen habe, weil sie an den Nawalny-Protesten teilgenommen hätten. Und überhaupt, so Außenminister Lawrow (knallhart wie immer), sei Russland bereit, die Beziehungen zur EU ganz abzubrechen. Dann erließ der EGMR eine einstweilige Verfügung, in der er Nawalnys Freilassung forderte, weil es im Lager ein Risiko für seine Gesundheit und sein Leben gäbe, eine Behauptung, die von russischer Seite als „unbegründete und schamlose Einmischung“ abgetan wurde. Anfang März gab es dann Sanktionen gegen vier hochrangige Beamte, deren Wirkung von der SZ stark relativiert wurden.

„Russland wurde übersanktioniert bis zur Wirkungslosigkeit. … Entweder muss die EU kräftiger zuschlagen (also Nord Stream 2 stoppen), oder sie muss andere Hebel finden.“

z.B. „die Beziehungen zu Russland ganz abzubrechen“. Geht wohl genauso wenig wie umgekehrt!

- Belarus: Nach monatelangen Massenprotesten räumte Oppositionsführerin Tichannowskaja eine vorläufige Niederlage gegen Machthaber Lukaschenko ein. „Ich muss zugeben, wir haben die Straße verloren“, räumte sie ein. Wir fügen respektvoll hinzu: „Aber ihr habt lange durchgehalten.“ Zwei der letzten Opfer der Staatsjustiz wurden die Radiojournalistin Andrejewa und ihre Kamerafrau Tschulzowa. Sie hatten im November 2020, vom 14. Stock eines Wohnhauses aus, die Szene gefilmt und kommentiert, in der Roman Bondarenko von maskierten Männern zu Tode geprügelt worden war. Vom Gericht wurden sie wegen „Koordinierung des Protestes“ – und das vom 14. Stock aus – zu zwei Jahren Straflager verurteilt.

 
Zwei Frauen im Käfig

Erwischt hat es auch zwei hochrangige Vertreter der beiden großen Kirchen. Das ist umso erstaunlicher, weil die Kirchenleitungen in der Vergangenheit völlig unpolitisch agiert hatten. Nach den Wahlen hat der orthodoxe Metropolit Pawel (dem Verlierer) Lukaschenko zum Wahlsieg gratuliert, sich dann aber kurz darauf mit Opfern von Polizeigewalt getroffen. Sein Kollege von der katholischen Kirche, Erzbischof Kondrusiewicz, äußerte schnell Kritik an den Machthabern. Dieses Verhalten ist nicht zuletzt dem Druck der Basis zu verdanken, die als Christen an den Massenprotesten teilnahmen, Verhaftete unterstützten und Friedensgebete veranstalteten. Der Metropolit wurde vom Moskauer Patriarchat, dem er unterstellt ist, nach Russland versetzt, der Erzbischof nach einer Auslandsreise an der Grenze abgewiesen. Kurz vor Weihnachten durfte er nach Intervention des Papstes wieder einreisen.


(Verstörende) Kurznachrichten

- Zur Wahrung der Bürgerrechte und zur besseren Verbrechensbekämpfung hat Brasiliens Präsident Bolsonaro die Steuer auf Waffenimporte abgeschafft. Damit „werden die Knarren billiger, in einem Land, das ohnehin schon zu den gewalttätigsten der Welt gehört“. Kritiker behaupten, dass er präventiv seine Anhänger bewaffnet, damit sie eingreifen können, wenn er die Wahlen verlieren sollte. Sie dürfen dreimal raten, wer Bolsonaros Vorbild ist.

- „Ich bin eine Geisel und diese Villa ist in ein Gefängnis verwandelt worden“. So äußerte sich Sheikha Latifa, die Tochter des Emirs von Dubai, der seinen Ehefrauen und Töchtern ein übler Familientyrann ist, sobald sie Anstalten machen, sich aus ihren goldenen Käfigen abzusetzen. Latifas Schwester Shamsa ließ er 2002 aus Cambridge entführen, seine Ehefrau Haya, ebenfalls flüchtig, erreichte in einem Prozess vor einem Gericht in London, dass er für „Entführungen, Folter und Morddrohungen“ verantwortlich sei, und Latifa selbst wurde 2018 nach einem filmreifen Fluchtversuch in einem Gummiboot in internationalen Gewässern „gekapert“ und nach Dubai zurückgebracht. Im Nebenberuf betätigt sich der Emir als Dichter und kommentierte die Flucht seiner (sechsten) Ehefrau im Stil der Erzählungen aus 1001er Nacht: „Du Verräterin, Du hast das kostbarste Vertrauen verraten, und Dein Spiel wurde enthüllt.“ Vom Verhalten einmal abgesehen, wer so dichtet, sollte nicht einmal eine Frau bekommen. Im April forderten Menschenrechtsexperten der UN ein Lebenszeichen von der Prinzessin, im Mai kursierten Fotos, die sie beim Kaffeetrinken in einem Einkaufszentrum zeigen. Ihr Lächeln wirkt mehr als verhalten.

 
Latifa (Mitte) in Freiheit?

- Die US-Regierung veröffentlichte mit Verspätung den CIA-Bericht zur Ermordung des saudischen Journalisten Khashoggi im Jahre 2018. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass der saudische Kronprinz bin Salman/MbS die Tötung billigte. Das wusste eh schon jeder, aber solange Trump Präsident war, durfte man es nicht sagen. Den Kronprinzen nennt man übrigens „Abu Minshar/Vater der Knochensäge“. Warum – möchte ich Ihnen ersparen! Als Biden gefragt wurde, ob man gegen MbS noch vorgehen würde, wich er aus.

Im März haben ihn die „Reporter ohne Grenzen“ in Deutschland angezeigt. Vom deutschen Strafgesetzbuch für Völkerrecht könnte man durchaus wegen eines „Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ ermitteln, aber da gibt es ein Hintertürchen: Von Ermittlungen kann man absehen, „wenn sich der Beschuldigte nicht im Inland aufhält und ein solcher Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist“. Der Staatsanwalt wird dieses Hintertürchen nehmen. Die Wette gilt!

- Bei einem Einsatz gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK im Nordirak ist das türkische Militär in einer Höhle auf die Leichen von 13 Menschen gestoßen. Das Militär spricht von unbewaffneten Zivilisten, die hingerichtet wurden, die PKK von gefangenen Soldaten, Polizisten und Geheimdienstlern, die bei Kämpfen ums Leben gekommen seien. „Die Angaben beider Seiten konnten nicht unabhängig überprüft werden.“

- Einen Tag vor Weihnachten fand man in München-Freimann zwei Kompottgläser, deren Inhalt als „Wurfbrandsatz“/Molotowcocktails eingestuft wurden – und das in der Nähe einer Moschee. Verstörend ist aber nicht nur der Fundort, sondern auch die Einordnung durch die Polizei. Sie ging zunächst von linksextremen Tatverdächtigen aus, weil sich in der Nähe des Fundorts nicht nur ein Auslieferungslager von BMW, sondern auch Bahnanlagen mit Lokomotiven befinden – und Linksextreme ja hinlänglich dafür bekannt sind, dass sie BMWs ablehnen und mit Lokomotiven nicht spielen, sondern sie in die Luft jagen. Erst die Intervention eines grünen Stadtrats veranlasste die Kripo, die Augen auch nach rechts zu richten, wo man Moscheen (und Synagogen) nicht so gerne sieht.

- „Debattenkultur ungenügend“ – so muss man das Verhalten der AfD in deutschen Landtagen bewerten. Die Losung heißt „Auffallen und Regeln brechen um jeden Preis“. Und das geht am besten, durch Provokationen, Zwischenrufe und Beleidigungen. So musste sich Malu Dreyer, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz sagen lassen, dass sie (und nicht etwa Covid-19) für die vielen Toten in den Altersheimen verantwortlich sei. Und Muhterem Aras, die Landtagspräsidentin von Baden-Würt-temberg, musste AfD’ler schon dreimal von der Polizei aus dem Plenarsaal entfernen lassen, weil sie ihre Autorität als Sitzungsleiterin in Frage gestellt hatten. Aber ein „autochthoner Deutscher, der zu einem hellhäutigen Volk gehört, das seit Jahrhunderten hier ansässig ist“, kann sich doch von einer Präsidentin mit einem solchen Namen nicht zur Ordnung rufen lassen!

Dass AfD’ler nicht nur Täter, sondern auch Opfer sein können, ist nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme – aber trotzdem nicht zu akzeptieren. Auf dem Marktplatz im schwäbischen Schorndorf haben Antifa-Leute einen AfD-Infostand zerstört und ein Parteimitglied verletzt. Auf der Webseite der Antifa hörte sich das so an: „In Schorndorf haben mutige (!) Antifas einen AfD-Infostand besucht und so zurückgelassen, wie es sich gehört“. Hirnrissigkeit ist kein Alleinstellungsmerkmal der Rechten. Da möchte ich zur Auflockerung auf meinen Auftritt beim AfD-Stand in Miesbach hinweisen. Ich bin (mit etwas Herzklopfen) zu den beiden AfD’lern hingegangen und habe etwa folgendes gesagt: „Ich möchte mich auf keine Diskussion einlassen, aber ihr solltet euch schämen und umkehren.“ Ich glaube, die haben gemeint, ich sei von der Heilsarmee.

- Mehr als unfreundlich gehen manche Schüler mit ihren Lehrern (und Lehrerinnen) um. Laut einer Forsa-Studie sind im Jahre 2020 satte 32 Prozent der Lehrkräfte über das Internet belästigt oder bedroht worden. Vom Cybermobbing betroffen sind auch die Schüler selbst – aber eher von Seiten der Mitschüler als von Seiten ihrer Lehrer.

- Und im badischen Singen, wurde ein 11-jähriger Sinto, bei dem man ein “kleines Messer“ entdeckt hatte, von zwei Polizisten abgeführt, die Hände in Handschellen auf dem Rücken gefesselt. Im März wurde gegen die beiden Polizisten ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.


AI-Meldungen (die übliche Mischung)

- “Menschenrechtlerin verurteilt – Frauenrechtlerin freigelassen“, eine Schlagzeilenabfolge innerhalb von fünf Tagen, nicht untypisch für eine Welt, wo man Abweichler(innen) zunächst einmal ins Gefängnis steckt, um sie dann bei Gelegenheit wieder freizulassen – selten vorzeitig, oft nur unter Auflagen und manchmal auch gebrochen. Verurteilt wegen „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“/Arbeit in einer prokurdischen Zeitung wurde in der Türkei unsere alte Bekannte, die Menschenrechtsanwältin Eren Keskin, vorzeitig aber unter strengen Auflagen freigelassen wurde in Saudi-Arabien Loujain al-Hathloul, die durch ihre Kampagne für ein Ende des Fahrverbots für Frauen bekannt wurde, ein Fahrverbot, das der Kronprinz kurze Zeit später (gnädiglichst) aufhob. Damit Loujain aber nicht auf dumme Gedanken kommt, verhängte man gegen sie ein Reiseverbot von fünf Jahren. Ob sie jetzt wenigstens um den Block fahren darf, weiß man noch nicht. Im März hat ein Berufungsgericht, trotz unseres Einspruchs beim König, die Auflagen bestätigt.

In Haft bleibt in Hongkong der Verleger Jimmy Lai. Unter dem neuen Sicherheitsgesetz kann man derzeit in Hongkong jeden einsperren, der mit der Demokratiebewegung liebäugelt – und der “lange Arm der KP Chinas reicht inzwischen bis nach Deutschland“. Bei einer Kundgebung in Hamburg sind Teilnehmer von (regimetreuen) Gegendemonstranten „mutmaßlich zum Zwecke der Einschüchterung fotografiert worden“. Einer der Artikel des Gesetzes besagt übrigens, dass es für weltweit jeden gelte, der einen dieser Straftatbestände (Gefährdung der nationalen Sicherheit, Spaltung des Landes etc.), erfülle. Ob da schon die Kritik an der Unterdrückung von Minderheiten darunterfällt? Im Mai wurde dann Jimmy Lai zu weiteren 14 Monaten verhaftet. Gott sei Dank hat die Justiz eine Demo von 2019 ausgraben können, sonst hätte man ihn glatt freilassen müssen. Auch bei Joshua Wong, dem „Gesicht der Demokratiebewegung“ hat man weitere zehn Monate draufgesattelt, weil er im Juni 2020 an einer Mahnwache für die Opfer des Tiananmen-Platzes von 1989 teilgenommen hatte.

- Gerichtsurteile: Da haben uns einige befriedigt, andere eher verärgert. In Belgien wurde der iranische Diplomat Assadollah A. zu 20 Jahren Haft verurteilt. Er wurde für die Planung und Materialbeschaffung für ein Attentat auf Exil-Iraner in Frankreich 2018 verantwortlich gemacht. In Koblenz kam es zu einem „historischen Schuldspruch gegen einen syrischen Folterhelfer“. Eyad A. hatte für „ein Greifkommando gearbeitet, das Syriens Foltersystem mit Opfern fütterte“. „Historisch“ ist das Verfahren deswegen, weil sich erstmals weltweit Mitglieder syrischer Geheimdienste nach dem Weltrechtsprinzip verantworten mussten, das es ermöglicht, Verbrechen gegen die Menschlichkeit an jedem Ort der Welt zu ahnden. Präsident Assad (und andere) sollten also bei der Wahl ihrer Urlaubsziele vorsichtig sein. Eine Entscheidung des BGH untermauert dieses Urteil. Kriegsverbrecher und Völkermörder genießen in Deutschland keine Immunität, selbst wenn sie Angehörige ausländischer Streitkräfte oder ausländische Hoheitsträger sind. An US-Soldaten wird man sich eher nicht heranwagen.

Bestimmte Urlaubsziele zu meiden könnte auch einmal israelischen Politikern und Hamas-Leuten zu raten sein, denn der Internationale Gerichtshof hat sich für Kriegsverbrechen israelischer Soldaten und für Terrorangriffe aus dem Gazastreifen zuständig erklärt.

Gefreut hat uns der Freispruch von Sigrid Maurer, Fraktionschefin der Grünen im Wiener Parlament. Sie hatte vor zwei Jahren sexistische Beleidigungen erhalten und diese auf Facebook öffentlich gemacht. Die Beleidigungen stammten vom Laptop eines Mannes, der als „Bierwirt“ bekannt ist. Der Mann zeigte sie wegen übler Nachrede an und führte an, die Obszönitäten seien von einem Kunden namens „Willi“ verfasst worden waren. Als sich besagter Willi nach einigem Zögern einstellte, sagte er, er sei es nicht gewesen. Und als ein neuer Anwalt dem Bierwirt riet, seine Klage wegen Aussichtslosigkeit zurückzuziehen, kam er dem nach. Das Gericht legte zum Freispruch sogar noch einen drauf, denn es bezeichnete das A-Wort, mit dem Frau Maurer ihren Kontrahenten in einem privaten Chat bedacht hatte, „angesichts der Perversitäten … als gerechtfertigt“, wenn auch „unglücklich gewählt“.

Ende April erschoss der „Bierwirt“ dann seine Ex-Frau und leistete damit seinen „Beitrag“ zur Diskussion über Femizide, die derzeit in Österreich mit großer Intensität geführt wird, denn laut Statistik ist Österreich das einzige EU-Land, in dem mehr Frauen als Männer Opfer von Gewaltverbrechen werden.

- Todesstrafe: „In Virginias langer Geschichte hat dieser Staat mehr Menschen hingerichtet als jeder andere Bundesstaat“, so erklärten Gouverneur und Parlament die Abschaffung der Todesstrafe in diesem Bundesstaat, der neben Texas zu den hartleibigsten Vollstreckern der Todesstrafe in den USA zählte. Die Maßnahme könnte Signalwirkung haben, denn Virginia ist der erste Bundesstaat im konservativen Süden, der diese „archaische Praxis“ aufgibt. Sie spiegelt auch den Bewusstseinswandel, den die amerikanische Gesellschaft, nicht zuletzt im Gefolge der „Black Lives Matter-Bewegung“, durchmacht: die Todesstrafe ist in den USA längst nicht mehr (so) populär, Präsident Biden lehnt sie ab. Da erinnere ich mich an eine Aktion vor der früheren US-Kaserne in Bad Tölz aus der grauen Vorzeit von AI-Miesbach: Wir verteilten Flugblätter gegen die Todesstrafe an Soldaten und deren Frauen und erhielten häufig die Antwort: „It serves them right/Es geschieht ihnen recht.“


Erfolgsmeldungen – die gab es auch

- In Nigeria herrscht Hochkonjunktur bei Überfällen auf Schulen und Entführungen von Schülern und Lehrern. Man hat bereits Probleme, die Schulorte und die Zahl der Entführten auseinander zu halten. Umso erfreulicher ist, dass zwei dieser Entführungsfälle im Februar und März mit der Freilassung der Kinder und Lehrer endeten. Dass an Boko Haram oder an eine andere „bewaffnete Bande“ Lösegeld bezahlt wurde, ist wahrscheinlich, lädt zu Nachahmungstaten ein – und ist trotzdem nicht zu umgehen.

 
Sehr befreit schauen sie nicht aus!

- Auf Kaution freigelassen wurde auch die indische Klimaaktivistin Disha Ravi. Sie hatte Kampagnenmaterial zu den Bauernprotesten mit Greta Thunberg geteilt und zwei Zeilen dieses Materials bearbeitet. Im Gerichtssaal wurde daraus eine Anklage wegen „Hochverrats“ und „Kriegsführung gegen Indien“ fabriziert. Nach einer Woche Haft befand das Gericht, dass „die Beweise dürftig und unzureichend seien“. Aber immerhin ist es gelungen, Regierungskritiker weiter einzuschüchtern.

- Während Donald Trump den Herrschern in Ägypten und Saudi-Arabien signalisiert hatte, dass es ihm egal sei, wie sie mit ihren Untertanen umspringen, wird unter Joe Biden nicht nur über Dollars, sondern (zumindest was die Außenpolitik betrifft) auch über Werte gesprochen. Und siehe da, die haben bereits Wirkung: In Ägypten kamen inhaftierte Aktivisten frei, Saudi-Arabien wandelte einige Todesstrafen in Haftstrafen um – und ließ, wie erwähnt, Loujain al-Hathloul frei.

- Und dann gab es noch einen Festakt in der Kölner Synagoge. Bei dieser Feierstunde wurde der 1700 Jahre jüdischen Lebens in Deutschland gedacht, und Präsident Steinmeier fand die passenden Worte, als er auf den Beitrag des Judentums zum „Aufbruch Deutschlands in die Moderne“, aber auch auf die (fortdauernde) Gefährdung jüdischer Existenz in unserem Lande hinwies.

„Die Bundesrepublik Deutschland ist nur vollkommen bei sich, wenn Juden sich hier vollkommen zu Hause fühlen.“

Zur Erinnerung an düstere Zeiten ein Foto aus einer Bilderserie mit den Habseligkeiten, die man den KZ-Häftlingen abgenommen hat.

 
Die letzten Dinge
   

Kuriosa – es wäre ja eigentlich Fasching gewesen

- Ein 44-jähriger Anwalt ist (nach einer ersten Abfuhr) vor den Bundesgerichtshof gezogen, weil er Diskriminierung wegen seines (Mittel)Alters erfahren hat. Er wurde im August 2017 nicht zum „Isarrauschen“ auf der Praterinsel zugelassen, weil der Geschäftsführer Anweisung gegeben hatte, „ältere Semester“ abzuweisen, und der Türsteher ihn (vielleicht mit einem Blick auf Bauch und Falten) kurzerhand weggeschickt hatte. Er möchte 1000€ Schadenersatz, der BGH ist noch „auf der Suche“, ob „altersmäßige Sortierung“ erlaubt sei. Hat ja sonst nichts zu tun – der BGH!

-Arg diskriminiert durch die Einschränkung der Grundrechte in der Pandemie fühlten sich auch die etwa 100 Teilnehmer am 1. Bürgerstammtisch Miesbach, die in teils wirren Redebeiträgen auf Politiker, Polizei und Medien losgingen. In der Dunkelheit, ich kam aus Versehen hinzu und hielt es nur fünf Minuten aus, konnte man nicht sehen, ob die Maskenpflicht, wie von den Veranstaltern behauptet, tatsächlich eingehalten wurde. Der Merkur konnte es sich nicht verkneifen, seinen kritischen Artikel mit einem besonders dümmlichen Zitat des Hauptredners zu beenden. Der meinte:

„Ich sammle keine Fakten mehr, ich will zurück zur Intuition. Wir alle haben das göttliche Licht in uns.“

Ich weiß nicht, wie das göttliche Licht leuchtet, aber intuitiv würde ich sagen – so nicht!

Und darauf das Foto von der Polonaise am Marienplatz in München!

 

- Da haben wir viel mehr Sympathie mit den bayrischen Schulen, die den Ausfall der Faschingsferien etwas abmildern wollten, z.B. keine Hausaufgaben aufgeben, weniger Videokonferenzen abhalten – kurz, den Schülern „eine kleine Verschnaufpause“ gönnen. Das Kultusministerium war nicht „amused“. Es wurden Schulen abtelefoniert, ob die Lehrer auch auf ihren Plätzen (am Laptop) waren, und die Schulämter wurden angehalten zu „petzen“, ob die Schulen etwa „Unterricht light“ machten. Da wird sich dann der Schulrat oder Schulleiter als Putzfrau verkleidet haben, um sich (unverdächtig) ein Bild zu verschaffen.


März 2021

„Hoffnung ist nicht der Glaube daran, dass etwas gut ausgeht.
Sondern es ist die Gewissheit, dass etwas Sinn hat.
Egal wie es ausgeht.“

Václav Havel
Dem glauben wir es!


Krisengebiete, Krisenopfer

- Myanmar: Der „Krieg der Armee gegen das Volk“ ging mit großer Härte weiter. Es kam zu regelrechten Jagdszenen auf Demonstranten, zu Exekutionen auf offener Straße, die von Polizeikollegen bejubelt, von den Protestierern minutiös gefilmt werden. China hält seine schützende Hand über der Junta, verhinderte (mit Russland und Indien) eine schärfere UN-Resolution, forderte aber die Einstellung „aller Akte der Gewalt“, als es Brandattacken auf chinesische Fabriken gab. Mit den Gewalttätern waren natürlich die Demonstranten gemeint. Ob die Brandattacken „antichinesischen Ressentiments“ geschuldet sind oder, so eine (durchaus stichhaltige) „Verschwörungstheorie“, ein schmutziger Trick der Junta ist, um die Repression zu verstärken, blieb offen. Den „Tag der Streitkräfte“ Ende März feierte das Militär und die Polizei in gebührender Weise: Man ging mit gezielten Kopfschüssen gegen (unzulänglich) bewaffnete Zivilisten vor, es soll 114 Tote gegeben haben. Der russische Vize-Verteidigungsminister, der sich die Parade angeschaut hatte, war nicht darunter.

 
Asymmetrische Kriegsführung

Alle, die bei der UN mit Menschenrechten befasst sind, forderten die internationale Gemeinschaft zum Handeln auf: im Gespräch sind schärfere Sanktionen, ein Waffenembargo und der Boycott der Geschäftsverbindungen, die von der Junta betrieben werden. Die Geldfabrik im Louisenthal, die bisher das Material für den Druck der Landeswährung Kyat geliefert hatte, verhängte (nach heftigen Protesten) einen Lieferstopp. „Die Gewaltexzesse waren einfach zu viel“, meinte der Vorstandschef. Das meinen wir auch!

- Fall Nawalny: Da kam es von Seiten der USA und der EU zu „symbolischen Sanktiönchen“ gegen Russland. Einige „hochrangige“ Regierungsvertreter und Justizbeamte wurden mit Einreise- und Vermögenssperren belegt, Präsident Putin aber, bei dem es was zu holen gäbe, blieb ausgespart. Dann gab es tagelang kein Lebenszeichen von Nawalny. Dann kam auf Instagram die Nachricht, dass er in die „Besserungsanstalt 2“ in Pokrow verlegt worden ist. Die Anstalt gilt als besonders streng, und Nawalny bezeichnete sie als „echtes Konzentrationslager“, wo die Häftlinge „es nicht wagten, den Kopf zu drehen“. Er selbst werde „durch Schlafentzug gefoltert“.

Für uns AI’ler etwas verstörend war die Nachricht, dass AI Nawalny den Status eines (gewaltlosen) „Gewissensgefangenen“ entzogen habe, weil er in der Vergangenheit in Videos zum Hass aufgerufen und Gewalt (gegen kaukasische Terroristen) nicht ausgeschlossen habe. Nach heftiger Kritik bemühte sich AI um Schadensbegrenzung: Man entzog ihm zwar das Attribut „gewaltlos“, stufte seine Haft aber weiterhin als „rein politisch motiviert“ ein und verblieb bei der Forderung nach sofortiger Freilassung. Damit können wir leben – und weiter protestieren.

Die SZ, die schon öfter gegen Nawalny „gestänkert“/auf die dunklen Seiten seiner Vergangenheit hingewiesen hatte, hat der Entscheidung von AI einen langen Artikel gewidmet.

- Russland: Bleiben wir in der Heimat Nawalnys. Dort zeigte die Moskauer Polizei, wie man mit Leuten umspringt, die mit der Regierungspartei „Einiges Russland“ nicht einer Meinung sind. Die oppositionellen Politiker und Journalisten aus 50 russischen Regionen, die in einem Hotel zu einem zweitägigen Forum zusammengekommen waren, hatten gerade mal Zeit, sich zu begrüßen, dann wurde die Versammlung nach einer halben Stunde unsanft aufgelöst. Es gab 200 Festnahmen. Grund für die schnelle Aussendung der Polizei könnten die schlechten Umfragewerte der Regierungspartei sein. Und im Herbst sind Wahlen zur Staatsduma.

- Ungarn: Dort verlor der „letzte landesweite, unabhängige Radiosender Klubrádio“ seine Lizenz, der jüngste Schlag, den das Regime in Budapest gegen die kümmerlichen Restbestände an freien Medien im Lande führte. Da wir nicht von Viktor Orbán abhängen, übergeben wir das Wort an András Arató, den Leiter des Senders:

„Bis heute weiß die EU keine Antwort darauf, dass einige Regierungen grundlegende demokratische Werte missachten und ihr Land in Richtung populistisch-nationalistischer Halbdiktatur führen, gleichzeitig aber das Geld der europäischen Steuerzahler einkassieren und größtenteils dazu verwenden, ihre Klientel zu mästen.“

Orbán, so der pessimistische Ausblick einer deutschen Journalistin auf die Zukunft des Landes, „ist gekommen, um zu bleiben“. Nach den langen Jahren russischer Besatzung hat das Ungarn nicht verdient.

- Philippinen: Präsident Duterte hat dort erneut zur Menschenjagd aufgerufen. Zielgruppe sind Aktivisten der Zivilgesellschaft, die ihre Anhänger für „linke“ Themen mobilisieren, als da sind: Kampf gegen städtisches Elend und Wohnungsnot, Einsatz für Arbeiterrechte – für Duterte ein klarer Fall von kommunistischer Rebellion. Den Auftakt hat er in der Manier des Vollstreckers gegeben:

„Tötet sie, und stellt sicher, dass ihr sie wirklich tötet und fertigmacht, falls sie noch am Leben sind. … Vergesst Menschenrechte. Das ist ein Befehl. Ich bin bereit, (dafür) ins Gefängnis zu gehen.“

Da gehört er auch hin!

- USA: In Minneapolis begann das Hauptverfahren gegen den Ex-Polizisten, der im Mai 2020 dem wehrlosen George Floyd neuneinhalb Minuten die Luft abgedrückt hatte. Er ist wegen Mordes verschiedener Grade und Totschlag angeklagt, was ihm im Höchstfall 75 Jahre einbringen könnte. Die Verteidigung plädiert auf „Nicht schuldig“, weil Floyd Widerstand geleistet habe, gesundheitlich vorbelastet war und Rückstände eines Opiats im Blut aufwies. Ob sie Floyds „I can’t breathe“ als Akt des Widerstandes sieht und grundsätzlich der Meinung ist, dass ein weißer Polizist keinen Schwarzen umbringen kann, bleibe dahingestellt. Der Polizist wurde im Juni zu 22,5 Jahren Haft verurteilt und legte Berufung ein.

- China: Darf in diesem illustren Kreis natürlich nicht fehlen, damit aus der leichten Brise, die dem Land gegenwärtig und weltweit entgegen bläst, ein heftiger Gegenwind wird, der allerdings wohl nicht aus Deutschland kommen wird. In Frankreich ist ein Buch mit dem Titel „Überlebende des chinesischen Gulags“ erschienen, in dem die Uigurin Gulbahar Haltiwaji, die schon seit Jahren mit ihrer Familie in Frankreich lebt, wieder nach China gelockt wurde, dort zwei Jahre verschollen blieb, vom Straflager in ein Umerziehungslager kam, dort zu einem „Geständnis“ gezwungen wurde und nur durch die Intervention des französischen Außenministeriums nach drei Jahren freikam. Ihr Bericht ist weder jugend- noch altersfrei. Erwähnt sei nur die Grippeimpfung, deren sich uigurische Frauen, die die „Berufsschulen“ besuchen, zweimal im Jahr unterziehen müssen. Es ist zu vermuten, dass solche „Impfungen“ mit dem dramatischen Geburtenrückgang in Xinjiang zusammenhängen.

 
Eine „Terroristin“ erzählt.

Der Genozid an den Uiguren rief (endlich) die EU auf den Plan. Sie verhängte einstimmig (!) Strafmaßnahmen gegen vier Funktionäre und eine Organisation. Der Chef der KP in Xinjiang, der schon in Tibet „aufgeräumt“ hatte, war leider nicht darunter. Die Reaktion aus Peking kam schon 90 Minuten (!) später. Sie war eher „unverhältnismäßig“ und härter als Brüssel erwartet hatte. Gegen zehn Europäer und vier Institutionen wurde ein Einreiseverbot erlassen. Unter den sanktionierten Politikern ist auch der grüne Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer, der die Strafe wie folgt kommentierte: „Was sollen sie mir denn antun? Mein Vermögen in China einfrieren?“ Dass das Investitionsabkommen, das die Bundesregierung entgegen aller Warnungen durchgepeitscht hatte, noch vom EU-Parlament ratifiziert wird, ist, so die SZ, „jetzt undenkbar“. Das warten wir aber noch ab! Im Mai stimmte das Parlament mit überwältigender Mehrheit einer Entschließung zu, das Abkommen bis auf Weiteres auf Eis zulegen. Da liegt es gut!

 
Die Drachenpiekserin

Dann hat Peking die Corona-Schockstarre genutzt, um für Hongkong eine Wahlrechtsreform zu beschließen, die mit einem Wahlrecht nichts mehr zu tun hat. Die Reform soll dafür sorgen, dass zukünftig nur noch „echte Patrioten“ in Hongkongs Parlament sitzen sollen und dass garantiert ist, dass die Liebe auch dem richtigen Vaterland gilt, hat man 70 von 90 Sitzen an Peking-treue Gruppierungen vergeben und die Kandidaten für die verbleibenden 20 Sitze einer Vorsortierung unterworfen.

Ausgelassen haben wir jetzt den Senegal und die Slowakei, aber so viel sei gesagt: Auch dort geht es (menschenrechtlich) derzeit drunter und drüber.

AI-Nachrichten (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)

- Waffenhandel: Das Urteil gegen zwei (untergeordnete) Mitarbeiter der Firma Heckler & Koch, wurde vom Bundesgerichtshof bestätigt. Die beiden Angeklagten hatten, selbstredend ohne Wissen der Firmenleitung, illegal Waffen in vier Unruheprovinzen in Mexiko geliefert. Für die Firma schmerzlicher dürften die drei Millionen „Vermögensabschöpfung“ sein, die man an die Staatskasse zahlen muss, aber da das
Unternehmen jetzt doch den Zuschlag für das neue Sturmgewehr der Bundeswehr bekommen hat, ist die Strafe wohl eher in die Rubrik „Peanuts“ einzuordnen.

- Haft ohne Anklage: Im Februar war von der Sheikha Latifa die Rede, die von ihrem Vater in Dubai festgehalten wird. Nicht besser erging es der saudischen Prinzessin Basmah Bint al-Saud, die seit zwei Jahren ohne Anklage im Gefängnis hockt. Sie wurde vom Kronprinzen Mohammed bin Salman kaltgestellt, vermutlich weil sie Positionen vertreten hatte, die ihm nicht passen: Kritik am Krieg in Jemen, Forderung nach einer konstitutionellen Monarchie, Einsatz gegen die frauenfeindlichen Vormundschaftsregeln. Hoffentlich schickt ihr MbS nicht die Kettensägemannschaft in die Zelle.

- Blockade der Seenotrettung: Luciana Lamorgese, die Salvini als italienische Innenministerin nachfolgte, hatte im Umgang mit den Seenotrettern im Mittelmeer eine „Wende“ versprochen. In Wahrheit blockiert sie die NGOs noch stärker als ihr Vorgänger – nur etwas eleganter. Sie arbeitet nicht mehr mit strafrechtlichen Mitteln, sondern setzt auf „langwierige bürokratische Verfahren“/ Schikanen. Die NGOs werden einfach gehindert, ihre Einsätze zu fahren. Zwischen Oktober und Dezember 2020 waren sieben Schiffe gleichzeitig blockiert, Salvini hat maximal vier Boote geschafft. Im Juli wird die Genfer Flüchtlingskonvention übrigens 70 Jahre alt.

- Der Internationale Strafgerichtshof geht nun offiziell Verdachtsfällen im Nahostkonflikt nach. Untersucht werden sollen auf Seiten Israels der Verdacht auf Kriegsverbrechen im Gazakrieg von 2014 und der Siedlungsbau im Westjordanland, auf Seiten der Palästinenser der Raketenbeschuss israelischer Zivilisten. Keine leichte Aufgabe, denn für Israel waren die Handlungen seiner Soldaten „heldenhaft und moralisch“, für die Palästinenser war der Raketenbeschuss „legitimer Widerstand“.

- Aber jetzt sind wir endlich beim Fußball. Da hat AI dem Fifa-Präsidenten Infantino etwas in die Suppe gespuckt, die er mit überzogenen Komplimenten für das WM-Gastgeberland Katar gewürzt hatte. Zwar erkennt auch AI an, dass das Land in Sachen Menschenrechte etwas auf den Weg gebracht hat, weist aber auch darauf hin, dass versprochene Reformen „allzu häufig nur unzureichend umgesetzt“ würden und Arbeitsmigranten „nach wie vor ausgebeutet und missbraucht werden“. 

Die deutsche Nationalmannschaft hat dem Slogan „Mit dem Fußball für die Menschenrechte“ mit einem Foto Rechnung getragen, dessen Wirkung der DFB aber durch eine Vermarktung des Fotos im Stil einer Werbeagentur arg geschmälert hat.
Trotzdem ist uns lieber, dass die Nationalmannschaft vor dem Spiel gegen Island für die Menschenrechte posiert und nicht die 1. Strophe der Nationalhymne gesungen hat.

 

- Der Amnesty Report für das Jahr 2020 hat klar herausgestellt, dass sich die Menschenrechtslage in manchen Ländern mit der Pandemie massiv verschlechtert hat. Es verstärkten sich Ungleichheit (bei der Zuteilung von Impfstoffen), Diskriminierung (besonders von verwundbaren Gruppen wie Frauen und Flüchtlinge) und Unterdrückung (von Stimmen, die Missstände anprangerten). Der Report war wesentlich eindeutiger, als der Bericht, den die WHO zum Ursprung des Coronavirus veröffentlicht hat. Aber immerhin hat ihr Chef, der letztes Jahr noch in Peking gekatzbuckelt hat, China kritisiert, weil das Land der Expertenkommission zu wenige Daten zur Verfügung gestellt habe.


Kurznachrichten

- Präsident Erdogan ist aus der „Istanbul- Konvention“ ausgetreten. Am Frauentag hatte er den Frauen noch gratuliert, die „mit ihrer Liebe, ihren Bemühungen und Opfern die Hoffnung der Menschlichkeit sind“. Das Wort „Opfer“ hat er allerdings nicht auf den Tod der 400 Frauen bezogen, die 2020 in der Türkei von ihren Partnern oder anderen männlichen Angehörigen umgebracht worden waren. Die Konvention von 2011 schafft verbindliche Rechtsnormen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Für die muslimischen Traditionalisten im Land aber zerstört sie die traditionelle Familienkultur - also, dass man Ehre durch Mord wieder herstellen kann – und fördert die Homosexualität. Dem Druck dieser Kreise hat Erdogan nachgegeben, schließlich sind 2023 wichtige Wahlen, und der Rückhalt für ihn und seine Partei nimmt ab. Wenn man die Opferzahlen sieht, hat man schon Verständnis, dass Frauen lieber lesbisch werden.

- Bleiben wir beim Thema Homosexualität und wenden wir uns dem Vatikan zu. Nein, es geht nicht um den Missbrauch, sondern um ein Schreiben der Glaubenskongre- gation, das die Segnungsfeiern für homosexuelle Paare untersagt, weil eine solche Verbindung nicht „den Plänen Gottes“ entspricht. Und zum lieben Gott hat Rom ja bekanntlich eine Standleitung! Erwartbar, erstaunlich und erfreulich waren die Reaktionen in Deutschland. Erwartbar, weil die konservativen Bischöfe das Papier begrüßten (wie sie auch eine erneute Verurteilung Galileis begrüßen würden), erstaunlich, weil der Widerstand im Klerus lutherische Dimensionen erreichte („Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“), erfreulich, weil selbst Georg Bätzing, der Vorsitzende der Bischofskonferenz, einräumte, das Papier gebe nur den derzeitigen Stand der kirchlichen Lehre wieder. Diese Lehre, und dabei verwies er auf den Synodalen Weg, könne aber weiterentwickelt werden. Ungehorsam in der katholischen Kirche? Wie lange geht das gut?

- Die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig hat (in 2. Instanz) Ermittlungen gegen die Partei „Die Rechte“ wegen antisemitischer Volksverhetzung eingeleitet. Die Partei hatte im November 2020 zu einer Demonstration vor der jüdischen Synagoge in Braunschweig eingeladen. Die Synagoge zur Erinnerung an die Pogromnacht von 1938 abzufackeln, stand vermutlich nicht auf dem Programm, aber das Zeitfenster war für die Klägerin (und das zu Recht) „purer Judenhass“. Die Demo sollte nämlich in der Zeit von 19.33 bis 19.45 Uhr stattfinden, wurde aber letztlich abgesagt. Zur Synagoge kamen mehrere hundert Menschen, um ihre Solidarität mit der jüdischen Gemeinde zu zeigen.

- Bei der Münchner Polizei sind im letzten Jahr 426 Fälle von Hasskriminalität gemeldet worden, darunter 57 Körperverletzungsdelikte – doppelt so viele wie 2019. Corona wirke wie ein „Brandbeschleuniger“, deshalb sind viele Menschen asiatischen Aussehens von den Attacken betroffen, wie z.B. die indonesische Studentin, die in einem Supermarkt übel beschimpft wird – auf Englisch, damit sie es auch sicher versteht.

- Verkehrte Welt in Kassel: Bei einer Demo von 20 000 Querdenkern hat die Polizei nicht eingegriffen, obwohl die Demonstranten (wie üblich) gegen Maskenpflicht und Abstandsgebot verstießen und sogar Polizisten und Journalisten tätlich angriffen. Das Argument, es hätte viele Verletzte gegeben, wenn die Polizei massiv eingegriffen hätte, kann man akzeptieren. Kein Verständnis aber hat man für das knallharte Vorgehen der Polizei gegen die Leute, die sich den Querdenkern in den Weg stellen wollten. Die wurden samt ihren Fahrrädern unsanft von der Straße geschubst. Wenn’s nicht so viele sind (und die Leute eher friedlich auftreten), kann man auch eingreifen.

- Der AfD-Aktivist Stefan Bauer hat die Impfstoffe mit Zyklon B verglichen, dem Gas, mit dem die Nazis in ihren KZs systematisch Menschen töteten. Den Kurzfilm, in dem er diese Äußerung tätigte, hat er sinnigerweise in der Gedenkstätte des KZs Mauthausen gedreht. Das war selbst seiner Partei zu viel, der Vorstand entzog Bauer seine Mitgliedsrechte. In den Stadtrat von Rosenheim könnte er trotz Parteiausschluss nachrücken.


Kuriosa

- Als man Präsident Biden fragte, ob sich Russland in die US-Wahlen vom November 2020 eingemischt habe, bejahte er auch die Frage, ob er Putin für einen „Killer“ halte. Das war zwar nicht „die hohe Schule der Diplomatie“, aber die Wahrheit. Wer zu Putin in Opposition steht, auch von Deutschland aus, lebt gefährlich.

- Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach seinem Abgang meldete Ex-Präsident Trump ziemlich unverhohlen seine Kandidatur für das Jahr 2024 an. Da er 2016 und auch 2020 gegen die Demokraten gesiegt habe, könne er „sogar entscheiden, sie ein drittes Mal zu schlagen“. Zu seiner Kraftmeierei mag beigetragen haben, dass im Konferenzhotel seine (teil)vergoldete Statue stand.

 
Trump in Gold - made in Mexiko

- Die AfD-Fraktionschefin im bayrischen Landtag wollte vom Geschäftsführer der Main-Klinik in Ochsenfurt wissen, ob es zuträfe, dass „ein großer … Teil der Covid-Patienten einen Migrationshintergrund“ hätte. Der Geschäftsführer, der offensichtlich verkannt hatte, dass die Anfrage allein der Sorge um das Wohl der Flüchtlinge entsprang, entgegnete ihr, dass er erfahren habe, dass „ein großer … Teil Ihrer Fraktion an einer moralischen und intellektuellen Dysfunktion“ leide. Wir teilen die Meinung der AfD, diese Antwort sei „unseriös“ – nicht!

Erfolgsmeldungen - sind nicht viele, sollen aber nicht fehlen.

- In China wurde nach dem Tod mehrerer Schüler das Verbot der Prügelstrafe weiter verschärft. Lehrer, die weiter prügeln, sollen jetzt konsequenter belangt werden. Auch dürfen Schüler nicht mehr gezwungen werden, stundenlang zu stehen oder auf dem Boden zu knien. Letzteres gab es früher in Bayern auch: Da erhielt man ein Holzscheit als „Unterlage“.

- In Afghanistan wurde ein Verbot wieder aufgehoben: Mädchen dürfen jetzt in Schulen und in der Öffentlichkeit wieder singen. Das Verbot war in vorauseilendem Gehorsam auf die Machtübernahme der Taliban erlassen worden, aber wenn es wirklich dazu kommt, ist das Singverbot für Mädchen nur ein Randproblem. Da dürfen sie, wenn überhaupt, nur mehr zuhause singen.

- Der „Nürnberger Menschenrechtspreis“ 2021 geht an Sayragul Sauytbay, die sich nach ihrer Flucht aus einem chinesischen Umerziehungslager jetzt von Schweden aus für die muslimischen Minderheiten in China einsetzt und „Verbrechen an Uiguren und Kasachen“ aufdeckt. Ein wichtiges Kriterium für die Jury war dabei, dass die Preisträgerin „nicht in unmittelbarer Gefahr“ sei. Peking hat noch etwas Zeit, ein Tötungskommando zusammenzustellen, denn der Preis wird erst 2022 verliehen.

 
Herzlichen Glückwunsch und Alles Gute

- Zum Schluss eine Nachricht, die bereits zum April überleitet. Kinder und Jugendliche aus Portugal klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte/EGMR in Strasburg gegen die Regierungen von 33 europäischen Staaten und verlangen einen wirksamen Klimaschutz. Der Gerichtshof hat es den Klägern erspart, zuerst den nationalen Gerichtsweg zu durchlaufen und hat dem Sachverhalt eine erhöhte Dringlichkeit eingeräumt. Im April hat das Bundesverfassungsgericht der Klage von deutschen Umweltorganisationen stattgegeben und die Bundesregierung zu einer Nachbesserung des Klimagesetzes verpflichtet.

 
Karlsruher Mai-Botschaft


April 2021

„April ist der grausamste Monat, treibt
Flieder aus toter Erde, mischt
Erinnern und Begehren, schreckt
Dumpfe Wurzeln mit Frühlingsregen.“

T.S. Eliot, Das öde Land

Wenn ein Monat den Flieder hervorbringt, dann kann er doch gar nicht so grausam sein, aber solche Widersprüche werden nicht nur von Dichtern, sondern auch von der Wirklichkeit produziert.

„Ödland“ ist Deutschland nicht, aber was so an den Rändern dumpf dahinwurzelt, hätte einen „Frühlingsregen“ bitter nötig.

- Rassismus im Sport: Im Juni wird im ZDF der Film „Schwarze Adler“ gezeigt. Da geht es um farbige Fußballspieler, die in der Nationalmannschaft – weißes Trikot, schwarzer Bundesadler – spielten, zum Tore schießen gut genug waren, aber immer wieder rassistischen Anwürfen ausgesetzt waren. So musste sich Erwin Kostedde, ein Stürmer-As der 1970er Jahre, nach der gängigen Begrüßung mit Affenlauten und Bananenwürfen, auch noch sagen lassen: „… der Schwatte, dat hätt et bei Hitler nie gegeben“. Und noch heute stellen sich viele Fans ihr Traumteam so vor, wie es die SZ getitelt hat: „Elf weiße Freunde müsst ihr sein.“

- Linksaußen: Sachsen hat auf die Zunahme linker Gewalttaten mit der Gründung der „Soko Linx“ reagiert. Es hatte einen Überfall auf einen Jungfunktionär der NPD gegeben, bei dem Personen in Polizeiwesten seine Wohnung stürmten und mit Hämmern seine Knöchel bearbeiteten. Und dem Inhaber einer Neonazi-Kneipe wurden von Mitgliedern der „Gruppe E.“ Teile der Einrichtung demoliert und auf den Wirt und seine Besucher eingeprügelt. Bei manchen Delikten war die Beweislage recht dünn, aber selbst Sympathisanten räumen ein, dass „ein Teil der linken Szene zu offensiver Gewalt neigt“. Von der Gründung einer „Soko Rexts“ hat man in Sachsen allerdings noch nicht gehört.

- Rechtsaußen: In Stuttgart hat der Prozess gegen die „Gruppe S“ begonnen, der vorgeworfen wird, durch Anschläge auf Moscheen einen Bürgerkrieg entfachen und das daraus entstehende Chaos zu einem politischen Umsturz nutzen zu wollen. Der Führer der Gruppe, Werner S., hatte im Februar 2020 zu einem Treffen in Minden eingeladen, um „bei Brot und Wein Krieg zu besprechen“. Festgenommen wurden damals nur die zwölf Angeklagten, aber den Treueschwur „bis in den Tod“ leisteten Werner S. Vertreter der gesamten „rechtsextremistischen Mischszene“- Mitglieder von Bürgerwehren, Prepper, Reichsbürger. Die Verteidigung bezeichnete die Drohbotschaften als „maßlose Übertreibungen eines Haufens Pfadfinder“.

- Islamistische Homophobie: In Dresden begann der Prozess gegen den Syrer Abdullah al-H., der im Oktober 2020 ein schwules Paar angegriffen, einen Mann getötet und seinen Partner schwer verletzt hatte. Er sah in ihnen „Feinde Gottes“ und „Repräsentanten einer ungläubigen Gesellschaft“. Der Überfall fand fünf Tage nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis statt, wo er an einem Programm zur Deradikalisierung teilgenommen hatte. Als ihn ein Gutachter auf die drohende „sehr lange Haftstrafe“ hinwies, meinte er nur: „Wenn Allah das will, komme ich frei.“ Nein, Allah will das nicht – zumindest nicht so schnell, außer man hat in der Wüste ein Reservat für unbelehrbare IS-Anhänger geschaffen.

- Coronaleugner: Sie bringen zwar keine Schwulen um, aber verrückt sind sie auch – und das immer mehr von ihnen. Da wird auf Demos „die NS-Zeit verharmlost und die Shoah relativiert, wird zum Umsturz aufgerufen und Politikern und Virologen mit einer Neuauflage der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse gedroht“. Dazu kommen, wie in Stuttgart geschehen, Angriffe auf Journalisten. In München kam es am 24. April zu einer seltsamen Koinzidenz: AI hielt am Europaplatz eine Mahnwache für Alexej Nawalny, die Querdenker demonstrierten „Für Wahrheit, für Klarheit“ am Harras. Dieser Slogan hätte gut zur AI-Veranstaltung gepasst, und Mahnwachen müsste man eher gegen die Querdenker einrichten.

 
Mahnwache vor dem russischen Konsulat

Fortschreibungen – in Stichworten, die weh tun

- Nawalny: Ende März geht er in den Hungerstreik. – Verlegung auf die Krankenstation – Man droht ihm mit Zwangsernährung. – Ärzte seines Vertrauens dürfen ihn (zunächst) nicht untersuchen, raten ihm aber, den Hungerstreik zu beenden. – Nach dem Hungerstreik erhalten zwei zivile Ärztegruppen Zugang zu ihm. - Bei Protesten gegen seine Inhaftierung werden 1700 Menschen in 97 russischen Städten verhaftet. – Nawalnys Organisationen, darunter seine Anti-Korruptionsstiftung, werden wegen „Extremismus“ verboten. Stiftungen zur Förderung der Korruption sind weiter zugelassen. (Vorsicht: keine Satire!)

- Myanmar: Die Regierungstruppen werden mit Lastwagen eines chinesischen Herstellers (Sinotruk) zu ihren Einsätzen gebracht, dessen Großaktionär MAN ist. Ein Firmensprecher erklärt, erst durch die Anfrage der SZ davon erfahren zu haben. – Die amtierende Miss Grand Myanmar Han Lay hat bei einem Schönheitswettbewerb in Bangkok die Junta scharf kritisiert, in ihre Heimat ist sie lieber nicht zurückgekehrt. – Die Junta geht verstärkt auf Prominente los, für die Verhaftung des Sängers Paing Takhon rückten acht Lastwägen (Marke Sinotruk?) und 50 Soldaten aus.

      
             Han Lai                                     Paing Takhon
   
 – Ein „Botschafter ohne Land“ ist derzeit Myanmars Vertreter bei der UN. Nach einer Attacke auf seine eigene Regierung zeigte er den Drei-Finger-Gruß der Opposition. – Das Militär geht auch mit Panzern gegen Demonstranten vor. Die Zahl der erschossenen Zivilisten stieg auf über 700. Für die Herausgabe der Leichen fordert die Polizei Geld von den Angehörigen. – Die ASEAN-Staaten forderten auf einem Treffen in Jakarta, zu dem Min Aung Hlaing, der Führer der Junta, im Anzug (!) angereist war, mit gebührender Vorsicht ein Ende der Gewalt. Der General gab sich versöhnlich, vielleicht aus Angst, von Interpol festgenommen zu werden.


AI-Nachrichten

- Iran: Die britisch-iranische Doppelstaatlerin Nazanin Zaghari-Ratcliffe wurde wegen Propaganda gegen das Regime zu einer weiteren Haftstrafe von einem Jahr verurteilt. Fünf Jahre Haft hat sie schon hinter sich. Ihr Schicksal ist „Verhandlungsmasse“ im Geschacher um das Atomabkommen und die Aufhebung der Sanktionen.

- Kirgisistan: Wir begrüßen freudlos einen Neuzugang in unseren Jahresbericht. Am helllichten Tag wurde in der Hauptstadt Bischek Aizada Kanatbekowa entführt und ermordet. Ihr Entführer hatte erklärt, es habe Heiratspläne gegeben, die Familie sprach von Belästigung. Brautentführungen und Zwangsheiraten sind ein verbreite-tes Übel im Lande und läuft unter dem Namen „Ala-Kachuu/Nehmen und Wegrennen“. Vom Gesetz her verboten, kommt es selten zu Anzeigen und Strafverfolgung.

- Marokko/Spanien: Die spanische Menschenrechtsaktivistin Helena Maleno hat ein Video veröffentlicht, das ihre Zwangsabschiebung von Tanger nach Barcelona zeigt. Sie galt in Marokko als „Engel der Illegalen“ und in beiden Ländern als „unbequeme Zeugin“. Ihr Handy wurde eine Art Notrufzentrale für Flüchtlinge. „Sie rufen mich an, wenn ihnen auf dem Meer das Trinkwasser ausgeht.“

- Deutschland: Da ist man (bisher) mit Bruder Abraham Sauer von der Abtei Münsterschwarzach schon etwas gnädiger umgesprungen. Er war der Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt/Kirchenasyl angeklagt und wurde freigesprochen, weil er „sein Handeln auf Glaubens- und Gewissensgründe gestützt habe und er damit frei von Schuld sei“. Allerdings ging die Richterin davon aus, dass es nicht bei einer Instanz bleiben würde, und auch damit hatte sie Recht. Die Staatsanwaltschaft Würzburg schwankt nur noch, ob sie in Berufung oder (nur) in Revision gehen soll.

- Türkei: Gefängnistore, die sich nach außen öffnen – selbst das ist derzeit in der Türkei möglich, wo Erdogan gerade „ein paar Lichtblitze Richtung Europa sendet“ und deshalb ein Urteil des EGMR nicht gut ignorieren kann. Die Richter hatten erklärt, dass die Freiheitsrechte des Schriftstellers Ahmet Altan verletzt worden seien und dass es keine Beweise für die Terrorismus-Vorwürfe gäbe. Altan war ursprünglich zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt worden und hat viereinhalb Jahre abgesessen. Die Voraussage im Titel seines Gefängnistagebuches „Ich werde die Welt nie wiedersehen“ hat sich somit nicht erfüllt – wenigstens zunächst einmal.

- Todesstrafe: Die Anzahl der vollstreckten Todesstrafen ist laut AI im Jahre 2020 deutlich zurückgegangen. Mit 483 Hinrichtungen – das sind 483 zu viel – sei „die geringste registrierte Anzahl der vergangenen zehn Jahre“ zu verzeichnen. In Saudi-Arabien beispielsweise seien die Zahlen um 85 Prozent gefallen. Ob das posthum dem Mord an Khashoggi zu verdanken ist, dass man nicht mehr so leichtfertig mit der Knochensäge loszieht, bzw. den Galgen errichtet?


Kurznachrichten – dem Monatsspruch gemäß nach „Grausamkeit“ geordnet

- In den Nahen Osten kehrte nach einem Jahr relativer Ruhe die Gewalt zurück. Auslöser gab es auf beiden Seiten: die israelische Polizei sperrte einen Platz in Jerusalem, auf dem die Palästinenser traditionell das Fastenbrechen feiern, Palästinenser verprügelten orthodoxe Juden und zeigten es stolz auf Tiktok, israelische Bauprojekte gefährden palästinensische Bewohner in Ostjerusalem und aus dem Gazastreifen flogen die ersten Raketen.

- Knapp elf Monate nach dem Tod von George Floyd ist in Minnesota erneut ein Afroamerikaner getötet worden. Im Rahmen einer Verkehrskontrolle kam es zu einem Handgemenge, bei dem eine Polizistin ihre Pistole mit einem Taser verwechselt haben soll. Die Frau arbeitet seit 26 Jahren bei der Polizei, so dass die Verwechslung einige Rätsel aufgibt. Vielleicht sollte man bei ihr das von Biden geforderte „red flag law/rote Flagge Gesetz“ zur Anwendung bringen, das es ermöglichen soll, „bei einem Gericht die Beschlagnahmung von Schusswaffen zu beantragen, wenn vom Besitzer Gefahr ausgeht“.

- Wir haben schon mehrmals auf den chinesischen Riesenkraken hingewiesen, der mit seinen Tentakeln auf die Welt zugreift, um ihr, so Parteichef Xi Jinping, „Chinas Geschichte gut zu erzählen“ und, das ist zu ergänzen, um schlechte Erzählungen zu verhindern. Da hat ein Hamburger Verlag auf Einspruch des chinesischen Konsulats hin, in einem Kinderbuch die Stelle gestrichen, wo der Held davon spricht, dass „das (Corona)Virus aus China stammt“. Chinesische Studenten, die im Ausland studieren, werden aufgefordert, ihre Landsleute zu denunzieren, wenn sie sich im Seminar „il-loyal“ zu ihrem Land verhalten haben. Und im 4. Teil der amerikanischen Filmserie „Tranformers“, die von einem chinesischen Investor mitfinanziert wurde, wird die US-Regierung als Haufen krimineller Chaoten dargestellt, während die chinesische Regierung kontrolliert und effizient erscheint.

- In Deutschland wurde ein Hassredegesetz verabschiedet, das die Verbreiter von Drohungen und Hetzattacken „ans Licht holen soll“. Dabei vertraut man auf die „freiwillige Kooperation der Plattformen, die die Daten der Täter gefälligst herausrücken sollen. Tareq Alaow schien dieses Vertrauen nicht zu teilen, als er seine Kandidatur zum Bundestag zurückzog. Der Syrer hatte sich in seiner Heimat beim Roten Halbmond engagiert und sich in Deutschland für Flüchtlinge eingesetzt. Seine Kandidatur brachte ihm in den (a)sozialen Medien eine „hohe Bedrohungslage für ihn und ihm nahestehende Menschen“ ein, der er sich nicht mehr aussetzen wollte. Da hätte er ja gleich wieder nach Syrien zurückkehren können!

- Von der Aufkündigung der Istanbul-Konvention, aber ohne verprügelt zu werden, war auch Ursula von der Leyen betroffen, als man ihr bei ihrem Besuch in Ankara nur das Sofa aber keinen Stuhl anbot. Es war noch nicht ausgemacht, ob für die fragwürdige Sitzordnung Erdogan oder ihr Begleiter, der EU-Ratspräsident Charles Michel, verantwortlich war. Uschi jedenfalls fühlte sich „verletzt und allein“. Kann man ihr irgendwie nachfühlen!

 
Sofagate in Ankara

Im Mai behauptete der türkische Außenminister, die Sitzordnung sei auf Wunsch der Protokollbeamten des EU-Rates gewählt worden. Wir trauen es beiden Männern zu, stellen aber die Recherchen wegen Nichtigkeit ein.


Erfolgsmeldungen – na ja, wie man’s nimmt

- Unter dem Titel „Eine Stadt atmet auf“ hat der Merkur das Urteil im Prozess um die Tötung von George Floyd kommentiert. Der Polizist wurde in allen drei Anklagepunkten für schuldig befunden. Das Urteil ist gerecht, ein Freispruch hätte der Stadt Minneapolis und ganz Amerika möglicherweise ein blutiges Jahr beschert. Ob sich die Hoffnung von Präsident Biden „dies kann ein Moment sehr großer Veränderung sein“ erfüllt, ist abzuwarten.

- Großbritannien hat dem Aktivisten Nathan Law, der noch rechtzeitig aus Hongkong geflohen war, politisches Asyl gewährt. Law hatte 2016 sein Abgeordnetenmandat verloren, weil er zwar den Amtseid gesprochen, aber mit einer kleinen Rede ergänzt hatte, in der er die „Unterdrückung der öffentlichen Meinung“ kritisiert hatte. Die Fernsehübertragung der Vereidigungszeremonie wurde abgebrochen. Der chinesische Außenminister war über die Asylgewährung nicht „amused“. Vermutlich wird Peking jetzt bei Putin nachfragen, wie man mit Regimegegnern im Ausland umgehen soll.

- Zu einem Zwischenfall kam es auch im deutschen Bundestag. In der Debatte über das Infektionsschutzgesetz hatte es den Anschein, als klatsche die AfD an der falschen Stelle, was vom CDU-Fraktionsvorsitzenden Ralph Brinkman schonungslos ausgebeutet wurde. Er hatte von der Möglichkeit gesprochen, dass es keine „Notstandsregelung“/Notbremse geben könnte, was der AfD gefiel, aber als sie dazu zum Applaus ansetzte, war Brinkmann schon bei den Folgen:

„… dann werden Menschen krank werden, dann werden Menschen sterben, und dass die AfD bei diesem Satz klatscht, zeigt die Fratze, die diese Partei in diesem Bundestag hat.“

- AKK, unsere Verteidigungsministerin, sprach von einer „tiefen Verpflichtung der Bundesrepublik“, gefährdete afghanische „Ortskräfte“, die für die Bundeswehr gearbeitet hatten, nach Deutschland zu holen – wenn sie das wollten. Man kann nur hoffen, dass die Gefährdungslage großzügig ausgelegt wird, dass die Familien mit einbezogen werden und dass man nicht wartet, bis die Taliban aus ihren Startlöchern kommen.

 
Im Mai kam Kritik am staatlichen Aufnahmeprogramm auf, weil die darin geforderte „individuelle Gefährdungslage“ selten nachzuweisen ist, da sie oft auf nächtlichen Anrufen und anonymen Drohungen in den sozialen Medien beruht. Und als Ende Juni die letzten deutschen Soldaten Afghanistan verließen, wurde bekannt, dass es „offenbar an praktischen Mitteln (sprich Flugzeugen) fehlt, damit die gefährdeten Ortskräfte das Land verlassen können“. Da bleibt uns mehr als die Spucke weg.

Dann kam der Protest: Ein Hauptmann der Bundeswehr, Marcus Grotian, begann bei seinen Kameraden Geld zu sammeln, und eine „Viererkoalition“ von Abgeordneten erinnerte die Kanzlerin an unsere „Fürsorgepflicht“. Ob der Brief aus Miesbach, den die Integrationsbeauftragte der Stadt entworfen und den Ai-Miesbach mitunterschrieben hat, dann den Ausschlag gegeben hat, dass mehr Vernunft und Menschlichkeit einziehen konnten, lassen wir einmal offen. Jedenfalls fiel die „Zwei-Jahres-Frist“ weg, die nur solchen Afghanen die Ausreise ermöglicht hätte, die seit 2019 für die Bundeswehr gearbeitet hatten, und, als im Juli die Taliban das Land zu überrennen begannen, wurde auch Geld für Charterflüge locker gemacht.

- Zu erinnern ist zum Schluss an den Theologen Hans Küng, dessen Anliegen es war, die Freiheit des Denkens zu verteidigen und Menschen verschiedener Religionen zu versöhnen. Er möge jetzt den Frieden finden, der ihm in seinem Leben nicht immer vergönnt war.

 
Die Gedanken sind frei


Mai 2021

„Im Galarock des heiteren Verschwenders,
ein Blumenzepter in der schmalen Hand,
fährt nun der Mai, der Mozart des Kalenders,
aus seiner Kutsche grüßend übers Land.“


Erich Kästner, Der Mai

Ich wollte mich nicht der Tradition entziehen, den Mai in Hochstimmung zu beginnen. Deshalb soll wenigstens am Anfang Mozart stehen, obwohl Beethovens Schicksalssymphonie („Da, da, da, da!“) viel besser gepasst hätte, denn der Monat lieferte einige Konflikte, die Deutschland lieber vergessen und die Welt lieber nicht erlebt hätte.

Konflikte

- Da tauchte mit dem Versöhnungsangebot an Namibia ein deutsches Kolonialverbrechen aus der Versenkung auf, dass man jahrzehntelang erfolgreich aus der Erinnerung verdrängt hatte, den Genozid an den Herero und Nama im Jahre 1904. Da wurden Menschen in wasserlose Wüsten getrieben oder in Konzentrationslager verschleppt. Der Kolonialheld Carl Peters ließ seine schwarze „Beischläferin“ aufhängen, weil sie ein Verhältnis mit seinem Diener hatte. Die Kolonie Kamerun trug den Beinamen „Fünfundzwanzigerland“, weil die einheimischen schon für geringfügige Vergehen 25 Schläge mit der Nilpferdpeitsche abbekamen. Das Bild eines wohlwollenden Kolonialreiches war ein Trugbild, eine Entschuldigung, die jetzt Präsident Steinmeier in Windhoek/Namibia abgeben soll, ist mehr als überfällig. Außerdem soll ein Millliardenbetrag für soziale Projekte zur Verfügung gestellt werden von dem allerdings kein Rechtsanspruch auf Entschädigung abzuleiten sei. Für die betroffenen Volksgruppen, deren Vertreter nicht an den Gesprächen beteiligt waren, ist das nur „ein Tropfen auf dem heißen Stein“.

 
(K)ein Platz an der Sonne

- Da ist die „Aufarbeitung“ des französischen Anteils am Völkermord an den Tutsi im Ruanda des Jahres 1994 durch eine Kommission von Historikern. Das Ergebnis des Abschlussberichtes: Frankreich habe sich zu lange „blind“ auf die Seite des Hutu-Regimes gestellt, die Vorbereitung des Völkermordes als „ethnischen Konflikt“ abgetan und (zusammen mit der internationalen Gemeinschaft) „Hunderttausende von Opfern in der Hölle im Stich gelassen“. Eine Komplizenschaft mit den Tätern sei Frankreich aber nicht anzulasten. Präsident Macron hat (dem entsprechend) bei einem Besuch in Ruanda die Frage nach einer Entschuldigung mit einem klaren „Jein“ beantwortet.

- Und da eskalierte der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, von der SZ wie folgt zusammengefasst:

„Dieser Krieg wird ohne wirkliches strategisches Ziel allein mit dem Willen zur gegenseitigen Verletzung und Abschreckung geführt. Und er wird von beiden Seiten auf dem Rücken der Zivilbevölkerung ausgetragen.“

So absurd wie die „Kriegsziele“ ist auch die Bilanz des Waffenstillstands, der an Pfingsten zwar nicht durch Eingriff des Hl. Geistes, aber durch ein Telefonat Bidens mit Netanjahu, in dem von Seiten der USA erstmals der Begriff „Waffenstillstand“ erwähnt wurde und durch Vermittlung Ägyptens, das immer dann „zur Stelle ist, wenn es knallt“ - und beim Wiederaufbau im Gazastreifen gute Geschäfte tätigt. Absurd deswegen, weil sich beide Seiten, die Palästinenser bei 243 Toten, die Israelis bei zwölf Toten, als Sieger sehen, die Hamas, weil sie die Solidarität aller Palästinenser für sich mobilisieren konnte, Israel, weil man durch „massive Militärschläge neue Spielregeln“ (?) mit den Gaza-Islamisten durchsetzen konnte.

Der Schriftsteller David Grossmann resigniert in einem Interview:

„In dieser Situation absoluter Finsternis ist es nahezu aussichtslos, für Frieden zu werben. … Und es ist ebenso schwierig, Akteure zu finden, die den Friedensprozess wieder beleben könnten.“


Botschaften vom „lunatic fringe/Narrensaum“

Das ist die treffende Übersetzung des englischen Begriffs für radikale Randgruppen, die auch im Mai wieder die Straßen und sozialen Medien säumten. Aber da wir ihnen im April schon (viel zu viel) Platz eingeräumt hatten, wollen wir ins auf eine kürzere Narrenschau beschränken, obwohl es im Merkur und in der SZ satte 21 Artikel zu ihrem närrischen Treiben gegeben hätte.

- Die Polizei schnappte den mutmaßlichen Urheber der Drohmails, die er unter dem Zombienamen NSU 2.0 seit 2018 an Personen des öffentlichen Lebens verschickte, u.a. an die Rechtsanwältin, die Hinterbliebene von Mordopfern der ersten NSU vertreten hatte. Da er Daten verwendete, die zum Teil von einem hessischen Polizeicomputer stammten, gerieten Polizisten selbst in Verdacht. Jetzt wurde die Polizei vom Mitwisser zum unfreiwilligen Helfer herabgestuft, die einem Mann auf den Leim gegangen war, der „überzeugend geschauspielert“ hatte und den Polizeijargon perfekt beherrschte. Als Reaktion wurde in den Polizeirevieren der Datenschutz verschärft, so dass es nicht mehr so einfach ist, auf die Anfrage „Ich möchte Frau X. eine Hassmail senden. Kann ich bitte ihre Mailadresse haben?“ eine positive Antwort zu bekommen. Zur Aufhellung der Stimmung eine Karikatur.

 


- Dem NSU 2.0 Täter seelenverwandt ist der syrische Flüchtling und Oberleutnant der Bundeswehr Franco A., dessen Prozess in Frankfurt begonnen hat. Ihm wird vorgeworfen, Terrorakte gegen Politiker geplant zu haben, die er dann einem anerkannten Asylbewerber unterschieben wollte, „um einen Bewusstseinswandel innerhalb der Gesellschaft gegenüber der Asylpolitik der Regierung herbeizuführen“, kurz: Um das Volk gegen Flüchtlinge aufzuhetzen. Franco A., alias David Benjamin, führte ein Doppelleben, pendelte zwischen seiner Kaserne in Illkirch/Nähe Strasburg und seiner Asylunterkunft in Erding hin und her und bezog neben seinem Sold auch Gelder nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Ich finde, solche Schläue hat mildernde Umstände verdient. (Vorsicht Satire!)

- Keine mildernden Umstände darf es im Lande der Shoah für Antisemitismus geben. Zwar muss es erlaubt sein, auch als Deutscher die israelische Siedlungspolitik und die Behandlung der Palästinenser zu kritisieren, aber es geht nicht an, das Existenzrecht des Staates Israel und das Bleiberecht von Juden in Deutschland in Frage zu stellen. Wenn israelische Fahnen verbrannt, Synagogen und Kippaträger angegriffen werden und „Scheiß Juden“ skandiert wird, dann ist das nicht mehr politischen Meinungsäußerung, sondern purer Judenhass, den wir weder bei islamistischen Wutbürgern noch bei den 15 bis 20 Prozent deutscher Antisemiten akzeptieren. „Im Hass vereint“ waren, Allah sei Dank, nicht alle Muslime. Der Vorsitzende des Zentralrates distanzierte sich von den „widerlichen Attacken auf unsere jüdischen Mitbürger“. Und wir Deutsche sollten dankbar sein, dass Juden den Mut hatten, sich nach der Shoah wieder in Deutschland niederzulassen.


Mahnung an beide Seiten

- Im Gegensatz zur Justiz, die bei Soldaten und Polizisten bisweilen eher auf dem rechten Auge blind ist, so die SZ-Journalistin, die den NSU-Prozess 1.0 begleitet hatte, fällt anderen – ich sage nicht wem – der Blick auf den linken „Narrensaum“ eher schwer. Der treibt nicht nur in Leipzig-Connewitz sein Unwesen, sondern hat in einer Baugrube vor einem Umspannwerk der Münchner Stadtwerke ein Feuer gelegt, das 50 Leitungen beschädigte und zeitweise 20 000 Haushalte von der Stromversorgung abkoppelte. Einem Bekennerschreiben zufolge wollte man dem Unternehmen Rohde & Schwarz, das auch Technik für die militärische Luftfahrt liefert, „den Saft abdrehen“. Die „Gewalt gegen Sachen“ hat auch Menschen gefährdet, die aus gesundheitlichen Gründen, z.B. um ihre Sauerstoffgeräte zu betreiben, auf Elektrizität angewiesen sind. Für die linken Brandstifter gehören die wohl auch zu den Rüstungsgütern.


Coronablüten

- Auf der Nachrichten-Plattform Telegram tauchte eine unverhohlene Morddrohung gegen Alexander Radwan, den CSU-Vorsitzenden im Landkreis Miesbach, auf: „Erinnert den Drecksack doch mal an Walter Lübcke, der so plötzlich von uns ging … .“ Diese und ähnliche Aussagen, die die Coronamaßnahmen in Frage stellen, wurden mit der Unternehmerinitiative „Wir stehen zusammen“ in Verbindung gebracht, die sich (natürlich) von den allergröbsten Äußerungen bis ins Unendliche distanziert.

- Nicht nur Politiker werden wegen Corona angepöbelt, sondern auch Lehrkräfte. In einer Befragung gaben 22 Prozent von ihnen an, dass sie an der eigenen Schule im „Zusammenhang mit der Durchsetzung von Infektionsschutzmaßnahmen“ beleidigt oder bedroht wurden. Ist ja auch verständlich, schließlich ist der Virus dem Chemielabor eines deutschen Gymnasiums entsprungen.

- Während bei den Coronawellen des letzten Jahres das Problem „häusliche Gewalt“ in den Medien eher „niederschwellig“ behandelt wurde, zeigt die Kriminalstatistik von 2020, dass die Übergriffe gegen Kinder deutlich zugenommen haben. Strittig (aber für Kinder irrelevant) ist nur noch, ob die Pandemie direkt oder nur indirekt dazu beigetragen hat. Die Statistik zeigt auch, dass die Zahl der Tötungsdelikte in gemeinsamen Haushalten nach Jahren des Rückgangs wieder gestiegen ist. Bei den weiblichen Opfern stieg die Zahl der aufgeklärten Tötungsdelikte von 2019 auf 2020 um 28,3 Prozent.

- In München hat sich ein hochkarätiges Bündnis aus kirchlichen Gruppen, Flüchtlingsinitiativen, Parteipolitikern und Künstlern gebildet, das einen Abschiebestopp während der Pandemie gefordert hat. Die Forderung entbehrt nicht einer gewissen Logik:

„Gerade ist wegen der Pandemie hier das Oktoberfest abgesagt worden und gleichzeitig wird abgeschoben.“

Die bayrische Staatsregierung hatte 2020 mehr als 1300 Menschen in Corona-Risikogebiete (und Problemstaaten) abgeschoben. In Afghanistan sollen schon einige der abgeschobenen Flüchtlinge aus Verzweiflung Selbstmord begangen haben.


Kurznachrichten – weniger „Nachtmusik“ eher „Requiem“

- Noch schlimmer dran als deutsche Kinder sind Kinder in Afghanistan Bei einem Anschlag nahe einer Schule in Kabul wurden mehr als 60 Menschen getötet. Das Attentat wurde in einem Stadtviertel verübt, in dem viele Hazara leben, eine schiitische Minderheit, die häufig Opfer von Anschlägen sind. Und es wurde am Nachmittag verübt, weil da vor allem Schülerinnen unterrichtet werden.


Ein Opfer der Gotteskrieger

Nadia Nashir, die Vorsitzende des Afghanischen Frauenvereins, setzt auf die „toughen jungen Frauen“, die sich auch von den Taliban nicht einschüchtern lassen. Ich möchte mir lieber nicht ausmalen, was von dieser Zuversicht in einem Jahr noch übrig ist. Ich wünschte mir nur, dass die Gotteskrieger alle der Teufel holt.

- In der Nähe der Stadt Kamloops/Kanada wurden die Überreste von 215 Kindern kanadischer Ureinwohner gefunden, nach denen jahrzehntelang gesucht worden war. Sie waren aus ihren Familien gerissen und in Internate gesteckt worden, um aus ihnen anständige Kanadier (und Kapitalisten!) zu machen. Gewalt und sexueller Missbrauch waren an der Tagesordnung, viele Kinder litten und starben an Hunger und Tuberkulose. Das Internat in Kanloops wurde zunächst von der katholischen Kirche, dann von der Regierung betrieben. Als man im Juni weitere Gräber entdeckte, gingen in Indigenen-Gebieten mehrere katholische Kirchen in Flammen auf. Nach der Entdeckung von weiteren 751 unmarkierten Gräbern hat Premierminister Trudeau den Papst aufgefordert, „sich bei indigenen Kanadiern auf kanadischem Boden zu entschuldigen“. Ob er ihm das Flugticket bereits geschickt hat, wissen wir nicht. Im Juli waren es bereits mehr als 1500 Gräber, darunter wahrscheinlich auch Erwachsene. Der Abschlussbericht einer Kommission sprach von einem „kulturellen Genozid“.

- In Frankreich haben 20 Ex-Generäle in einer ultrarechten Zeitung vor einem „Zerfall“ des Landes gewarnt. Schuld seien der „Islamismus und Horden der Banlieue“, aber auch linke Kreise, die kritische Analysen der französischen Kolonialzeit verbreiteten. Die Verteidigungsministerin hat von einer Aktion von „Achtzigjährigen in Hauspantoffeln“ gesprochen. Nicht auszudenken, wie der Brandbrief der Generäle ausgefallen wäre, wenn sie schon gewusst hätten, dass Frankreich gegen die Schweiz im Fußball verliert. Die Niederlage hätten man dann wohl den farbigen Spielern in der Mannschaft und dem jüdischen Kapital auf den Schweizer Bankkonten angelastet.

- Ein Flugzeug zu entführen, war früher Terroristen vorbehalten. Dass es Luftpiraterie auch von Staats wegen gibt, hat der zählebige Diktator von Belarus demonstriert. Er ließ einen Kampfjet aufsteigen, der eine irische Verkehrsmaschine, die auf dem Weg von Athen nach Vilnius/Litauen war, in Minsk zur Notlandung. Als Grund wurde eine „potentielle Sicherheitsbedrohung an Bord“ angegeben. Eine Bombe hat man natürlich nicht gefunden, wohl aber den Blogger Roman Protassewitsch, der sich bei Lukaschenko unbeliebt gemacht hatte, weil er auf dem Telegram-Kanal Nexta Videos über Folteropfer und Polizeigewalt gesendet hatte. Er wurde sofort verhaftet, seine russische Verlobte der Vollständigkeit halber gleich mitgenommen.


Roman Protassewitsch und Sofia Sapega

In mehreren Fernsehauftritten legte er „Geständnisse“ ab, beim ersten Auftritt „sichtlich nervös“, beim 3. Auftritt „erstaunlich gelöst“. Beim 2. Auftritt gab er von sich, dass er Lukaschenko „respektiere“ und ihm vertraue „das Richtige zu tun“. Ein Schuft ist, der (bei solchen Inszenierungen) was Böses denkt! Auch auf einer Pressekonferenz im Juni „fühlte er sich ausgezeichnet“. Als nächstes wird er sagen (müssen), dass er sowieso in Minsk einen Zwischenstopp hätte machen wollen.

Es ist schwer zu entscheiden, an wen der Peis für Niedertracht zu vergeben ist. An Russland, das möglicherweise in Athen „Amtshilfe“ geleistet hat und die Entführung „zumindest abgesegnet“ hat, an die Chefredakteurin des kremltreuen Senders RT, die die Entführung mit „schön erledigt“ kommentierte oder doch an Lukaschenko selbst, der ein deutliches Signal an alle geflohenen Oppositionellen gab, sie sollten sich nirgendwo sicher fühlen dürfen.


Ich fang‘ euch alle!

Im Juni haben wir an den Staatsanwalt geschrieben, aber es wäre wohl Wunschdenken zu behaupten, dass das Pärchen deswegen in den Hausarrest verlegt worden ist. Seither gab es von Protassewitsch nur einen dubiosen Auftritt auf Twitter.

Die EU steht vor einem Dilemma: Es gilt, Sanktionen zu beschließen, die unschuldige Bürger von Belarus nicht in Mitleidenschaft ziehen. Im Juni einigte man sich auf Einreiseverbote und Vermögenssperren für weitere 80 Mitglieder der Staatsführung und Boykottmaßnahmen im Wirtschaftsbereich.

- Ein Flüchtlingsdrama in mehreren Akten ereignete sich an der Küste der spanischen Enklave Ceuta/Nordafrika.

-- Hintergrund: die Spannungen zwischen Spanien und Marokko wegen der Westsahara
-- Auslöser: die Behandlung des Chefs der westsaharauischen Unabhängigkeitsbewegung in einem spanischen Krankenhaus, Öffnung der Grenze durch Marokko
-- Fluchtbewegung: Tausende von Flüchtlingen schwimmen nach „Europa“
-- Reaktion der spanischen Grenzbeamten: Einsatz von Tränengas, Stoß von den Klippen, Massenrückführungen ohne Prüfung eines Asylanspruchs, spektakuläre Rettung eines Babys


Rettung im Meer vor Ceuta

Das Baby und seine Familie haben überlebt und befinden sich in einem Auffangzentrum in Spanien.
-- Im August hatte Spanien (klammheimlich) schon mit der Abschiebung von Minderjährigen nach Marokko begonnen, da setzte ein spanisches Gericht mit einer Eilentscheidung die Rückführungen „für mindestens 72 Stunden“ aus. Ob die „Galgenfrist“ nach jetzt 40 Tagen abgelaufen ist, bleibt derzeit offen.

- Die Polizeistatistik für München verzeichnet für das Jahr 2020 eine deutliche Steigerung von Gewalt gegen Polizisten. 3322 Beamte wurden Opfer von verbaler oder körperlicher Gewalt. Alkohol spielte eine große Rolle – erst wurden die Flaschen leergesoffen und dann auf die Polizei geworfen -, Querdenker-Demos waren häufig Schauplatz von Spuck-Attacken, Schaulustige solidarisierten sich mit den Demon-stranten. Auch unabhängig von Einsätzen konnte eine Polizeiuniform zu Tätlichkeiten führen: So wurde ein Beamter auf dem Weg zur Arbeit in einem U-Bahnhof angegriffen. Die Zahlen sind vielsagend: 89 Prozent der Täter sind polizeibekannt, 84 Prozent männlich, 40 Prozent Ausländer – bei einem Bevölkerungsanteil von 30 Prozent. Der Polizeipräsident sagt zu Recht: „In jeder Uniform steckt ein Mensch.“ Aber immer mehr Menschen müssen erst daran erinnert werden.


AI-Nachrichten – auch nicht für die Maibaumdeko geeignet

- Türkei. Der Kunstmäzen Osman Kavala, der wegen Spionage seit drei Jahren in
U-Haft sitzt, darf seinen „Wohnort“ nicht wechseln, obwohl bei einer Verhandlung der Vorsitzende Richter sich für eine Freilassung ausgesprochen hatte. Er wurde jedoch von seinen zwei Mit-Richtern überstimmt. Ob sie beim Verlassen des Gerichtsgebäudes ein dickes Kuvert ausgehändigt bekamen, wissen wir nicht. Ein Abgeordneter der oppositionellen CHP sagte:

„Wir sind Zeugen eines Prozesses, der als Schande in die Geschichte der türkischen Justiz eingehen wird.“

- Russland: Den „Internationalen Tag der Pressefreiheit“ hat die russische Regierung auf ihre Art gefeiert. Jetzt hat man auch das Online-Magazin Meduza, eins der wenigen unabhängigen russischen Medien, zu einem „ausländischen Agenten“ erklärt, was zur Folge hat, dass das Magazin über jedem Artikel auf das Agenten-Label hinweisen muss, von russischen Unternehmen keine Anzeigen mehr bekommt und seine Informationsquellen bei den Behörden verliert. Die Medienberaterin Galina Ara-powa kommentierte die Entscheidung gegen das Magazin (und die Lage der freien Presse) mit einem russischen Sprichwort:

„Wir dachten, wir hätten den Tiefpunkt erreicht, aber dann hörten wir jemand von unten klopfen.“

Zu Ausgleich das Bild des namibischen Künstlers Rudolf Seibeb.


Tag der Pressefreiheit 2021

- USA. Am 16. Mai haben wir noch an den Begnadigungsausschuss in Austin/Texas appelliert, von der Hinrichtung von Quintin Jones abzusehen, der als kaum Zwanzigjähriger 1999 einen Mord begangen hatte, im Gefängnis aber seine Tat bereut hatte und zu einer „mitfühlenden Person“ geworden war. Selbst die Schwester des Opfers hatte um eine Begnadigung gebeten. Gouverneur Greg Abbott und sein Ausschuss ließen dieses Mitgefühl vermissen. Quintin wurde am 19. Mai hingerichtet. Beim Jüngsten Gericht, so es eins gibt, werden sie sich wiedersehen.

- Deutschland: Als er Nationaltorwart war, hielt er den Rekord für die längste Serie ohne Gegentor. Das hat Jens Lehmann jetzt selbst geschossen, als er Dennis Aogo, den Experten des Senders Sky, als „Quotenschwarzen“ bezeichnete und sich erst im 2. Anlauf angemessen entschuldigte. Seinen Posten im Aufsichtsrat bei Herta BSC ist er (zunächst einmal) los.


Erfolgsmeldungen – na endlich!

- Zumindest gibt es bereits Dementis. Es war gemeldet worden, dass die USA und der Iran je vier Gefangene austauschen/freikaufen wollten, die im Iran wegen Spionage und in den USA wegen Sanktionsbrüchen in Haft sind. Auch die inhaftierte Britin Nazanin Zaghari-Ratcliffe, die die Iraner als Faustpfand benutzen, weil aus dem Jahre 1979 noch eine offene Rechnung über 400 Millionen Pfund vorliegt, sollte freikommen. Der Schah hatte damals in Großbritannien Panzer bestellt (und bezahlt), die dann nicht geliefert wurden. Ein „Geschäftsabschluss“ wurde dementiert, aber Verhandlungen darüber wurden nicht in Abrede gestellt. Frau Zaghari-Ratcliffe blieb in Haft.

- In Ithaka/Bundesstaat New York strebt Bürgermeister Svante Myrick eine ambitionierte Polizeireform an. Ein Jahr nach dem Tod von George Floyd und weiteren Fällen von (tödlicher) Polizeigewalt sieht er das Verhältnis zwischen Polizei und afroamerikanischer Bevölkerung massiv gestört.

„Die alte Polizeikultur ist sehr festgefahren. Wenn wir einen echten Wandel wollen, braucht es einen dramatischen Bruch mit der Vergangenheit.“

„Reform“ ist etwas untertrieben. Myrick möchte die Polizei auflösen und durch eine Abteilung für öffentliche Sicherheit ersetzen, die aus bewaffneten und unbewaffneten Mitarbeitern/Mediatoren bestehen sollen. Der Protest gegen die „Reform“ war flächendeckend und kam von der Polizeigewerkschaft, aber auch von der Black Lives Matter-Bewegung. Man kann Myrick nur einen langen Atem und gute Leibwächter (außerhalb der Polizei) wünschen.

- Ein Menschenrechtsaktivist aus Kahl/Unterfranken, der dazu aufgefordert hatte, von Abschiebung bedrohten Menschen Asyl zu gewähren und sie notfalls zu verstecken, bleibt straffrei. Das Gericht hat schon in 2. Instanz entschieden, dass der Aufruf zu „allgemein gehalten“ sei, um als Aufruf „zur Durchführung einer rechtswidrigen Tat“ gewertet zu werden. Wegen der Schwere des Vergehens und der mangelnden Auslastung der Gerichte in Unterfranken, ist der Freispruch noch nicht rechtskräftig. (Vorsicht Satire!)

- Einen „Segen unterm Regenbogen“ erhielten 110 gleichgeschlechtliche Paare von mutigen Seelsorgern in Deutschland. Von einem römischen Kardinal als potentielle Kirchenspalter bezeichnet, ihr Engagement vom moderaten Teil der Kirchenspitze in Deutschland als „nicht hilfreich“ bezeichnet, im Internet mit Musterbriefen konfrontiert, in denen in bewährter Blockwart- und Stasimanier zur Denunziation beim Bischof oder direkt in Rom eingeladen wurde, sahen sich die Segenspender heftiger Kritik ausgesetzt. Zuspruch erhielten sie von den Basisgruppen in der Kirche, was erneut offenbarte, wie weit (Teile der) Kirchenbasis und (Teile der) Amtskirche/Rom in bestimmten Fragen schon auseinanderdriften. Die Paare (und der Herr des Regenbogens) haben sich über die Segnung gefreut:

„Wir wollen unsere Liebe nicht als Sünde bezeichnen lassen, wir wollen uns nicht mehr ausgrenzen lassen.“

- Mit einem „Kniefall für eine Heldin“ hat der bayrische Ministerpräsident Markus Söder an den 100. Geburtstag von Sophie Scholl erinnert. Wir wissen diese Geste zu schätzen, noch dazu, weil sie von einem Mann kommt, der sonst nicht leicht auf die Knie geht. Und wir hoffen, dass er für seinen Kniefall nicht so viel Häme erntet, wie sein „Vorgänger“ Willy Brandt in Warschau.


Gedenken an Sophie Scholl

Zum Abschluss möchte ich das Bild vom Mai als „heiteren Verschwender“ noch einmal im Zusammenhang mit der gerichtlichen Neuauflage der Miesbacher Sparkassenaffäre aufgreifen, aber lediglich, um zu demonstrieren, wie man mit Sprache umgehen kann. Man könnte beispielsweise sagen, dass „sich in Miesbach die Compliance-Regeln/Richtlinienkonformität erst mit Verspätung durchgesetzt haben“. Man könnte aber auch, wie ein Verteidiger, von einem „bayrisch-barocken Handeln“ sprechen. Ich gebe zu, dass so etwas eigentlich nicht in einen AI-Jahresbericht gehört, aber dafür bin ich unversehens wieder kurz vor Mozart gelandet.


Juni 2021
Da uns der Juni den längsten Tag des Jahres beschert, entspricht der folgende Spruch zwar nicht der Jahreszeit, wohl aber (oft) der Wirklichkeit:

„Die meisten Probleme entstehen,
wenn Männer unfähig sind,
in einem Zimmer zu sitzen.“


Blaise Pascal


„Freiluftaktivitäten“ - eher gegen als für.

- Antisemitismus: Auf die Ulmer Synagoge wurde ein Brandanschlag verübt. Der mutmaßliche Täter hat sich in die Türkei abgesetzt, wird aber voraussichtlich nicht ausgeliefert. Um gegen den importierten Antisemitismus vorzugehen, plant die Bundesregierung eine Erschwerung der Einbürgerung. Eine erleichterte Ausbürgerung indigener Antisemiten ist noch nicht geplant.

- Antiziganismus: Sinti und Roma werden in Deutschland bis heute ausgegrenzt und diskriminiert. Gegen keine andere Gruppe, so das Ergebnis des Berichts einer Untersuchungskommission, gäbe es „ein so durchgehendes Bild der Ablehnung“. Da sagt eine Lehrerin zu einem Mädchen, dass „der Diebstahl zu seiner Kultur gehöre“, da wird ein Mann am Arbeitsplatz aufgefordert, die Toilette zu reinigen, da müssen KZ-Opfer jahrelang auf ihre Entschädigung warten. Viele Sinti und Roma empfinden ihr Leben in der Bundesrepublik als „zweite Verfolgung“. Und dazu passend ist in Berlin der Standort des Denkmals für die Mordopfer der Nazis durch den Bau einer S-Bahn-Trasse gefährdet.


Kein Platz für „Zigeuner“

Es versteht sich von selbst, dass „Antiziganismus“ für die AfD ein Fremdwort ist, im Gegensatz zum „Zigeuner“, den der Abgeordnete Markus Frohnmaier in seiner Rede zum Untersuchungsbericht mehrmals verwendete und auch weiterhin in seinem Wortschatz führen will.

- Islamophobie: In Bayern wurden 2020 an die 132 islamfeindliche Straftaten registriert, fünf mehr als im Vorjahr. An der Spitze der Pyramide das Delikt der Volksverhetzung, überwiegend begangen von Bewohnern der rechten Ecke, z.B. von der „Bürgerbewegung Pax Europa“, die offenbar den Lateinunterricht nur gelegentlich besucht hat.

- Linksausleger: Arg gelitten hat unsere Sympathie für die Hausbesetzerszene, als bei einer Brandschutzbegehung des Hauses Rigaer Str. 34/Berlin, einer Hochburg der militanten Linken, 80 Polizisten verletzt wurden, die die Identität der Bewohner überprüfen wollten. Mit solchen Endkampffantasien“ wird auch der konstruktive Widerstand gegen die Immobilienhaie untergraben.

- Terrorismus: In der Würzburger Altstadt stach ein Somalier mit dem Messer auf Passanten ein und tötete drei Frauen. Noch ist nicht klar, ob seine Psyche oder sein Verständnis von Religion gestört ist, aber davon unabhängig ist es höchste Zeit, ihn „in ein Zimmer zu setzen“. Es ist bedrückend, an die drei Frauen zu denken, die im Sarg vom Einkauf zurückkommen, und unbegreiflich, wie kaputt ein Mensch sein kann/oder gemacht worden ist.

Schlimmeres verhindert hat durch sein mutiges Eingreifen der iranische Asylbewerber Chia Rabiei. Er schlug mit dem Rucksack auf den Täter ein und hinderte ihn dadurch, weitere Menschen zu attackieren. Forderungen, dem „Helden von Würzburg“ dafür die deutsche Staatsbürgerschaft zu geben, kollidieren mit dem deutschen Einbürgerungsrecht. Chia wird vielleicht der Aufenthalt ermöglich, ansonsten muss er sich mit einer Rettungsmedaille begnügen. In Frankreich ist man da spontaner – und großzügiger.


Streifzüge ins Ausland

Da bei uns bereits die Diskussion anhebt, ob und wie weit wir wegen Corona auf Reisen gehen dürfen, verreisen wir zunächst einmal virtuell, allerdings in Länder, wo wir an sich gar nicht hinwollen.

- Äthiopien: In der abtrünnigen Provinz Tigray wurden drei Mitarbeiter der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ ermordet. Im Juli hat die Organisation deshalb die Arbeit in einigen Gebieten der Provinz eingestellt. Kann man ihr nicht verdenken!

- Brasilien: Dort holzt man den Regenwald ab und rüstet die Polizei auf. In keinem anderen Land sterben so viele Menschen an Polizeikugeln. Und die stammen auch aus deutschen Pistolen. Immerhin: Nach dem Mord an der Stadträtin Marielle Franco, verübt mit einer Maschinenpistole von Heckler & Koch, hat das Unternehmen erklärt, keine weiteren Waffen nach Brasilien liefern zu wollen. Nicht so jedoch die amerikanische Tochterfirma von Sig Sauer aus Eckernförde!

- USA: Ein Bundesrichter in Kalifornien hat das (seit Jahrzehnten bestehende) Verbot von Sturmgewehren in diesem Bundesstaat – aufgehoben. Seine Begründung ist reif fürs Kabarett: Das Gewehr sei „wie ein Schweizer Taschenmesser“ – die „perfekte Kombination“ einer Waffe für die häusliche Verteidigung wie für den Einsatz im Heimatschutz. Seit diesem Urteil blicke ich mein Schweizer Taschenmesser mit anderen Augen an.

- China/Hongkong: Binnen weniger Wochen hat das „Sicherheitsgesetz“ von 2020 die demokratischen Restbestände in Hongkong vernichtet. Wer am 4. Juni, dem Jahrestag des Massakers von 1989, eine Kerze anzündet, dem drohen fünf Jahre Gefängnis, wer an irgendeinem Ort der Welt behauptet, Hongkong sei nicht ein Teil Chinas, muss damit rechnen, bei der nächsten Einreise verhaftet zu werden, und wer sich als Unternehmen an amerikanische Sanktionen hält, die wegen Menschenrechtsverletzungen verhängt wurden, findet sich vor dem Volksgericht wieder. Der Rat „Weniger China“, den die SZ deutschen Unternehmen gibt, wird derzeit aber eher nicht befolgt.

- Iran: Da hat man mit Ebrahim Raisi wahrlich den Bock zum Gärtner/Präsidenten gemacht. Aussichtsreiche Gegenkandidaten wurden vom Wächterrat vorsortiert und als ungeeignet ausgeschieden, so dass Raisi, bei einer Wahlbeteiligung von unter
50 Prozent einen „Erdrutschsieg“ feiern konnte. Auf Platz zwei und drei kamen übrigens Mickey Mouse und Batman. Raisi war Mitglied des „Komitees des Todes“ von 1988, das dafür sorgte, dass Tausende politischer Häftlinge ohne Urteil in den Gefängnissen hingerichtet wurden. Er war in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Justiz in den letzten zwei Jahren (notgedrungen) die Vorzugsadresse bei unseren Appellbriefen. AI hat ihm aber nie abgekauft, dass er, nach eigenen Aussagen, „als Staatsanwalt und Richter immer ein entschiedener Verfechter der Menschenrechte gewesen sei“ und fordert, dass man ihm wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit den Prozess macht.

- Nordkorea: Kim Jong-un, der gut genährte Machthaber des Landes, hatte seine Landsleute schon im April dazu angehalten, sich auf einen „mühsamen Marsch“ einzustellen. Diese Redewendung kennen sie schon von der Hungersnot der 1990er Jahre. Für den aktuellen Versorgungsengpass macht Kim die Taifune von 2020 und die Sanktionen verantwortlich. Entscheidender aber ist wohl die strikte Anti-Corona-Politik. Das Land schottet sich ab und lässt weder eine Unterstützung durch Hilfsorganisationen noch von Südkorea zu. Nur Hilfsgüter aus China werden akzeptiert. Kim hat in einem Brief an den Frauenbund an die weibliche Bevölkerung appelliert, auf dem mühsamen Marsch gefälligst gute Laune zu verbreiten. Er erwarte,

„dass die ganze Gesellschaft durch das fröhliche Lachen und die heitere … Lebensweise unserer Frauen vor Kraft und Optimismus strotzt.“

Ein Land, das solche Frauen (und einen solchen Führer) hat, braucht auch nichts zu essen. (Vorsicht: Satire!)

- Polen: Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages fuhr Bundespräsident Steinmeier nach Polen. Bartosz T. Wielinski, Redakteur bei der Zeitung „Gazeta Waborcza“, gab ihm eine eher unerfreuliche Reiselektüre mit. Er zählte ihm die Problemfelder auf, die zu einem „Polexit“ führen könnten, die Angriffe auf eine unabhängige Justiz, die Missachtung von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes, die Gängelung der Medien, die Hetze gegen die LGBTQ-Gemeinschaft, die Verschärfung des Gesetzes zur Abtreibung, die Hetzkampagnen gegen Deutschland. Für Wielinski ist der Nachbarschaftsvertrag „im Grunde tot“. So weit gehen wir natürlich nicht, auch wenn wir der PiS-Regierung bei den Wahlen von 2023 einen unsanften Abgang wünschen. Und natürlich bleibt es ein Land, wo wir hinfahren wollen (und auch müssen).

- Russland: Dort setzt man zunehmend auf Härte gegen Menschen und Gruppen, die sich mit Putin und seiner Partei „Einiges Russland“ partout nicht einigen wollen. Die SZ meint dazu:

„Wladimir Putins Machtapparat hat längst von Scheindemokratie auf offene Repression umgeschaltet“ …,

ohne dafür von Gerhard Schröder verklagt zu werden. Oppositionelle wie Andrej Piwowarow werden aus dem Flugzeug geholt - Was Lukaschenko kann, können wir auch! -, Nawalnys Netzwerk wurde als „extremistisch“ eingestuft und damit al-Qaida gleichgesetzt, und die Insassen in russischen Straflagern sollen jetzt beim Bau von Straßen und Bahntrassen eingesetzt werden. Väterchen Stalin lässt grüßen.

- Ungarn: Das Land hat wieder einmal Schlagzeilen gemacht, mit einem Gesetz, das einerseits auf Zustimmung im Lande trifft, andererseits der Europäischen Konvention der Menschenrechte widerspricht. Mit dem LGBTQ-Gesetz werden härtere Strafen für Kindesmissbrauch mit dem Verbot von Aufklärung über Homo- und Transsexualität für Jugendliche und deren Darstellung in der Kunst „flott vermischt“. Die Zustimmung im Lande, und das sollte man bei aller Kritik berücksichtigen, erklärt sich aus der Skepsis vieler Ungarn gegenüber alternativer Lebensmodellen und der Einstellung, dass sexuelle Aufklärung ins Elternhaus gehört. Ob sie allerdings dort immer stattfindet, wage ich zu bezweifeln. Und das gilt nicht nur für Ungarn!

Bei allem Verständnis für die Abneigung der Ungarn gegen westliche/deutsche Bevormundung, es hat uns gefreut, dass bei der Fußball-EM einige Städte, wo keine EM-Spiele stattfanden, in den Regenbogenfarben leuchteten, und Politiker, denen man es nicht auf Anhieb zugetraut hätte, die Entscheidung der UEFA, die Arena in München in ihrer normalen LED-Beleuchtung zu belassen, als Verstoß gegen „Toleranz und Freiheit“ bezeichneten.


Regenbogler



AI-Nachrichten

- In Hongkong musste die Zeitung „Apple Daily“, eines der letzten kritischen Medien der Stadt, auf Druck Pekings ihr Erscheinen einstellen. Im Vorfeld hatte man führende Mitarbeiter festgenommen, Computer beschlagnahmt und die Konten eingefroren. Im Pressefreiheitsindex der „Reporter ohne Grenzen“ ist Hongkong von Platz 18 im Jahre 2002 auf Rang 80 abgerutscht. Die Trauer Pekings über den Absturz hält sich in Grenzen.

- Der russische Mathematiker Azat Miftakhov muss sechs Jahre in die Strafkolonie. Grund für seine Verhaftung im Jahre 2019 war der Vorwurf, er habe eine Fensterscheibe eines Gebäudes der Partei „Einiges Russland“ eingeschlagen. Die war aber schon seit einem Jahr kaputt. Das Urteil im Januar 2021 führte zu massiven Protesten von Wissenschaftlern: 3200 Mathematiker aus 15 Ländern unterschrieben eine Petition, 50 Mitglieder der Russischen Akademie der Wissenschaften forderten seine Freilassung. Die wird auf sich warten lassen, denn solche Leute kann man im Strafvollzug brauchen, um, wie erwähnt, die Bahntrassen zu berechnen.

- In Pakistan haben Menschenrechtlerinnen den Premierminister Imran Khan attackiert. Als er auf die Vergewaltigungswelle in seinem Land angesprochen wurde, wurde, kam er mit dem altvertrauten Macho-Argument, Frauen sollten sich bedecken, dann werden sie nicht vergewaltigt, denn nicht jeder Mann habe genügend Willenskraft, einer unverhüllten Frau zu widerstehen. Dieses Entschuldigungsmuster stößt in Pakistan zunehmend auf Ablehnung.

 

„Tritt zurück, frauenfeindlicher Premier!“

- Kirchenasyl: In Würzburg wurde die Franziskanerin Juliana Seelmann zu einer „Bewährungsstrafe im untersten Bereich“/600 € verurteilt. Sie hatte eine Nigerianerin ins Kirchenasyl genommen, der bei einer Rückführung nach Italien erneut die Zwangsprostitution gedroht hätte. Verstörend war die Begründung des Schuldspruchs durch den Richter: „Wir leben in einer Demokratie, nicht in einem Gottesstaat.“ Da kann man nur sagen: „Richter, ab in den Iran!“ Schwester Juliana hat gegen das Urteil Rechtsmittel eingelegt. Schließlich sind wir im christlichen Bayern! Unser Gruppenmitglied Hubert Heinhold hat dazu einen Leserbrief geschrieben, den die SZ unter dem Titel „Kirchenasyl ist ein Rechtsbruch, den die Verfassung entschuldigt“ veröffentlicht hat.

- Unter dem Titel „Ich bin keine Heldin. Mein langer Kampf für die Gerechtigkeit“, hat Carla Del Ponte, die frühere Chefanklägerin am IStGH in Den Haag, eine nüchterne Bilanz ihrer Tätigkeit gezogen: Das Völkerrecht existiere zwar schon „seit den beiden Weltkriegen“, aber es werde nicht/nur selektiv/mit großer Verzögerung angewandt, weil es von den Großmächten seit Jahr und Tag blockiert wird. Und an die kommt man nicht ran. Und zur Verurteilung kommen nur diejenigen, die für die Großmächte nicht mehr von Interesse sind.


Justitia: „Wollen würde ich schon mögen, aber …!“


Erfolgsmeldungen – damit die Stimmung nicht ganz in den Keller fällt

Im Juli gab es einmal eine Tagesschau, die eine Viertelstunde lang nur schlechte Nachrichten brachte. Ich weiß nicht mehr, was die Wetterkarte bot, aber wahrscheinlich wurde ein Sturmtief von den britischen Inseln her angekündigt. Wir halten (ein wenig) dagegen und fangen an – halten Sie sich gut fest - mit der

- Reform des katholischen Kirchenrechts: Da wurde da zwar erneut mit „Höllenstrafen“ bedacht, wer eine Frau zur Priesterin weiht bzw. sich als Frau weihen lässt, aber es kam auch zu einer Aussage über sexuelle Gewalt, die die Opfer nicht mehr außen vor ließ. Missbrauch wird künftig nicht mehr nur als Verstoß gegen den Zölibat gewertet, sondern zählt als Straftat „gegen Leben, Würde und Freiheit des Menschen“.

- In El Salvador ist eine Frau vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden, die wegen Abtreibung zunächst zu 30, später zu 10 Jahren Haft verurteilt worden war. Sie hatte vor 10 Jahren ihr ungeborenes Kind verloren, weil sie, nach Angaben ihrer Familie, beim Wäschewaschen ausgerutscht war. El Salvador hat ein gnadenloses Abtreibungsgesetz und bestraft auch Frauen, die eine Fehlgeburt erleiden, weil/wenn sie nicht beweisen können, dass sie den Tod ihres ungeborenen Babys nicht absichtlich herbeigeführt haben. Die Frau musste neun Jahre absitzen. Entlassen wurde sie, weil sie, nach Meinung der Richter, „für die Gesellschaft keine Gefahr mehr darstellt“. Das kann man vom Strafrecht des Landes eher nicht sagen.

- Eindrucksvolle Gesten der Solidarität mit Minderheiten gab es in Ulm und München.
In Ulm kam man zu einer spontanen Mahnwache vor der Synagoge zusammen und in allen Kirchen wurde für die jüdische Gemeinde gebetet. In München setzten an die 200 Menschen bei brütender Hitze ein Zeichen gegen Judenhass, das die streitbare Charlotte Knobloch in die Worte fasste:

„Wir gehören zu dieser Stadt, ohne Wenn und Aber. Wir sind hier, und wir bleiben hier.“

- Eine Bleibe gefunden hat auch die Syrerin Najd Boshi, die in einem Flüchtlingsboot ihre Heimat verließ und jetzt als „erste Kapitänin … der Seeschifffahrt auf dem Tegernsee“ Touristen über den See fährt.


Gute Fahrt!


Juli 2021

„Aber als die Büffelherden verschwanden, fielen die Herzen meiner Leute zu Boden, und sie konnten sie nicht mehr aufheben. Danach ist nichts mehr geschehen.“

Plenty Coups, letzter Häuptling der Crow

Zitiert wurde der Häuptling in einem Artikel zur Flutkatastrophe, wo so vielen Menschen der Boden unter den Füßen weggespült wurde und die von vielen als Vorstufe zu einer größeren Katastrophe, dem Klimawandel, gesehen wird. Und, fährt der Häuptling fort,

„wenn wir wollen, dass danach noch etwas geschieht, müssen wir alles einsetzen, was uns ausmacht.“

Es gibt bei uns Leute, die diesen Klimawandel nur deshalb als Bedrohung empfinden, weil sie fürchten, es könnte dann noch mehr Afrikanern und Irakern zu heiß werden, und sie zu uns kommen könnten, weil sie sich hier Abkühlung erhofften. Die Abkühlung können sich die Flüchtlinge schon heute holen, denn der Empfang, den wir Europäer ihnen bereiten, kann eiskalt sein.


Asylgeschichten

- Aus Rottenburg/Niederbayern soll ein blinder Asylbewerber wieder nach Spanien zurückgeschoben werden, weil Spanien der EU-Mitgliedstaat ist, den der Syrer Mheddin Saho bei seiner Flucht zuerst betreten hat. Spanien ist auf behinderte Asylbewerber schlecht vorbereitet. Sogar das Auswärtige Amt räumt ein, dass eine Unterbringung in einer „auf die besonderen Bedürfnisse zugeschnittenen Unterkunft“ nicht gewährleitstet ist. Mheddin ist voll integriert, studiert in München und arbeitet nebenbei als Übersetzer. Im August ging er wieder ins Kirchenasyl. Wer solche Menschen abschieben will, muss selber blind sein.

- Vielleicht ist er aber bei seinem Asylverfahren an den falschen Richter geraten. Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt einen Richter in Gießen für befangen erklärt. Der Richter sieht in der Migration ein grundsätzliches Übel und eine „Gefahr für menschliches Leben“. Ein erster Befangenheitsantrag aus dem Jahre 2017 wurde zurückgewiesen. Man darf sich gar nicht vorstellen, wie viele Asylbewerber er nach unbefangener Prüfung ihres Falles auf dem Gewissen hat.

- Der österreichische Bundeskanzler will trotz des Vormarsches der Taliban weiterhin Abschiebungen nach Afghanistan durchführen. Die Probleme des Landes, so Kurz, müssten vor Ort gelöst werden. Das sahen im August die Taliban ganz ähnlich. Bevor wir uns zu sehr über die Össis aufregen: Noch am 3. August sollte von Deutschland aus eine Sammelabschiebung stattfinden, aber dann fand man keine „sicheren Orte“ mehr.

- Im Mittelmeer kreuzt derzeit mit der Ocean Viking das einzige private Rettungsschiff. Die anderen Schiffe werden mit fadenscheinigen Gründen – zu viele Rettungswesten an Bord, unzureichendes Abwassersystem – immer wieder am Auslaufen gehindert. Der Großteil der Seenotrettung wird der libyschen Küstenwache überlassen, die die Flüchtlinge nach Libyen zurückbringt – „bestenfalls“.

- Drastisch verschärfen will die britische Innenministerin Priti Patel, indische Abkunft und (deswegen) notorische Hardlinerin in Migrationsfragen, das „kaputte Asylsystem“: lebenslange Haft für Schleuser, Anklagen gegen Flüchtlinge die „wissentlich“ illegal eingereist sind, Auffangzentren in Übersee. Beim letzten Punkt hat auch die EU aufgehorcht, denn damit liebäugelt Brüssel schon lange. Ein Sprecher von AI warnte, dass „der Gesetzentwurf das Recht auf Asyl weltweit untergraben würde“.

- AI hat auch die illegalen Zurückweisungen an der griechisch-türkischen Grenze kritisiert und beruft sich dabei auf die Genfer Flüchtlingskonvention, die heuer ihren
70. Geburtstag mehr erleidet als begeht. Wie so viele Dokumente der Völkergemeinschaft ist ihr Anliegen unverzichtbar, aber viele der 146 Staaten, die ihr beigetreten sind, „behalten sich vor, wie sie die Konvention anwenden und wem sie Schutz gewähren“. Und wenn zu viele Flüchtlinge kommen und die Stimmung im Lande kippt, dann werden Internierungslager eingerichtet (Australien), Flüchtlinge zurückgeschoben (Mittelmeer) und Asylverfahren ausgelagert – wenn möglich auf den Mond!


Rechtsausleger, ihre Helfer und ihre Opfer

- Die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz, die seit drei Jahren von Rechtsradika len bedroht wird, war deswegen umgezogen und hatte eine neue und geheime Adresse bekommen. Diese Adresse war so geheim, dass sie der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zum Mordfall Walter Lübcke gleich an alle Mitglieder des Ausschusses weiterleitete. Im Ausschuss sitzen auch AfD’ler, und bei denen ist eine solche Adresse bekanntlich gut aufgehoben. Bei anderen Daten ist man weniger „verschwenderisch“: Die Akten des Verfassungsschutzes zur möglichen Verstrickung von V-Leuten in die Morde der NSU werden weiter unter Verschluss gehalten.

- Die Flutkatastrophe hat nach dem Hochwasser auch Rechtsextremisten und Querdenker in die betroffenen Orte gespült, in Reisebussen und Fahrzeugen, die denen der Bundeswehr glichen. Sie nutzten die Not der Menschen, um Falschmeldungen zu verbreiten, die Einsatzkräfte zu behindern und die Botschaft abzuliefern, dass der Staat in der Not nicht zu gebrauchen sein – was man ja schon bei der Verhängung der Corona-Maßnahmen und der Propaganda für die Impfkampagne erlebt habe. Was dem Fass den Boden ausschlug, war der Ausspruch des Verschwörungsgurus Attila Hildmann, dass die Flut durch „Wettermanipulation“ der Regierung herbeigeführt worden sei.

- In Berlin wurde Erk Acarer, türkischer Journalist und Kritiker von Präsident Erdogan, von drei Männern, mutmaßlich rechtsextreme Anhänger des Regimes, attackiert. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Männer nicht nur aus Eigeninitiative, sondern auf staatlichen Auftrag hin gehandelt hatten. Der Verfassungsschutz spricht von immerhin 11 000 türkischen Rechtsextremisten in Deutschland, die man gegebenenfalls auf unliebsame Exilanten ansetzen kann. Einige Nutzer zeigten im Netz ihre „Empathie“ für das Opfer: „Um in die Nachrichten zu kommen, wird er sich selbst verprügelt haben lassen.“

- Im Prozess gegen das „Rollkommando“ von Ballstädt/Thüringen kamen die Täter mit einem hellblauen Auge davon. Neonazis hatten 2014 eine Kirmesgesellschaft überfallen (und einige Leute verprügelt) und waren zunächst zu angemessenen Haftstrafen verurteilt worden. Nachdem der Bundesgerichtshof das Urteil wegen unzureichender Beweise aufgehoben hatte, schloss die Staatsanwaltschaft im 2. Prozess einen Deal, um das Verfahren nicht weiter hinauszuzögern: Die Schläger sollten Bewährungsstrafen erhalten, wenn sie umfassende Geständnisse ablegten. Juristisch scheint angesichts der verstrichenen Zeitspanne und der schwierigen Beweislage ein „bestmögliches Ergebnis“ erzielt worden zu sein, aber ein „Geschmäckle“ bleibt. Die Prügelei wurde als „Akt der Selbstjustiz“ eingestuft, weil man in der Naziburg ein Fenster eingeworfen hatte, das Verfahren wurde so lange verschleppt, dass die Opfer die Täter nicht mehr identifizieren konnten, und die Richterin warf den Medien und den Nebenklägern vor, ein fragwürdiges Demokratieverständnis zu vertreten, weil man den Deal, so die SZ, als „Triumph der Neonazis bewertet hatte.

 
Könnten Sie vielleicht den Mann identifizieren?

- Die Rechtsterroristin Susanne G. kam da etwas schlechter weg. Sie hatte sich mit Material zum Bau einer Bombe eingedeckt und wollte damit einen Amtsträger oder einen Muslim erledigen. Frau G. hatte Kontakt zu den NSU-Helfern Ralf Wohlleben und André Eminger. Sie war Physiotherapeutin, deshalb nannte Wohlleben sie „Susl mit den Zauberhänden“. Mit diesen Händen hat sie auch scharfe Patronen in Briefumschläge gesteckt und an Kommunalpolitiker, einen Moscheeverein und eine Flüchtlingshelfergruppe verschickt. Frau G. wurde zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, obwohl sie nach Meinung ihres Anwalts gar nicht schuldig sein könnte. Seine Begründung: Sie sei eine Anhängerin Hitlers, und dessen Partei „verbiete jede Gewalttat gegen den Staat“. Gewalttaten durch den Staat waren erlaubt.

- England bot zur Fußball-EM in Sachen Rassismus ein mehr als zwiespältiges Schauspiel. Die Mannschaft ging vor allen ihren Spielen auf die Knie nieder, um ein Zeichen gegen Rassismus und Ausgrenzung zu setzen. Dagegen gab es Proteste, was Premier Johnson und seine beinharte Innenministerin dazu veranlassten, ihr Verständnis nicht für die Geste, sondern für den Unmut der Gegner der Kniebeugen zu äußern. Dann kam das Elfmeterschießen. Drei schwarze Spieler vergaben, wurden aber dafür Zielscheibe übelster Attacken im Netz. Da fehlte dann selbst Johnson das Verständnis.


Marcus Rashford, das Leben geht weiter.

AI-Nachrichten

- Die Türkei hat eine Konvention verlassen, die „zum Schutz der Frauen vor männlicher und häuslicher Gewalt“ gedacht ist. Sie wurde 2011 in Istanbul erlassen, die Türkei war einer der ersten Staaten, der sie unterzeichnet hat und ist jetzt der erste Staat, der austritt. Die Begründung für den Austritt ist etwas abwegig. Die Konvention diene bestimmten Gruppen dazu, „Homosexualität zu normalisieren“. In Wirklichkeit geht Erdogan auf Stimmenfang in der islamistischen Wählerschaft. Die Frauen versucht er, mit dem Versprechen eines „Aktionsplans“ zu besänftigen. Der ist auch dringend notwendig: Im Februar 2021 wurden in der Türkei 28 Frauen von Männern ermordet, 12 wurden unter verdächtigen Umständen tot aufgefunden.

Das habe ich schon zum Frauentag im März erwähnt. Da wurde der Austritt angekündigt, zum 1. Juli wurde er vollzogen. Alle Leser, die die Doppelung gemerkt haben, ein Kompliment: Sie lesen nicht nur quer!

- Bleiben wir, widerwillig, bei der Exekution von Frauen. Ein Untersuchungsausschuss in Malta ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der maltesische Staat mitverantwortlich sei für den Tod der Journalistin Daphne Caruana Galizia. Die Regierung des (inzwischen abgetretenen) Premiers Muscat habe dem „Big business“ unvertretbar nahegestanden und damit für ein „Klima der Straflosigkeit“ gesorgt, in dem sich die Mörder der Journalistin, die in die Geldgeschäfte von Politikern hineingestochert hatte, sicher fühlten. Daphnes letzter Eintrag war: „Schurken, wohin man schaut. Es ist zum Verzweifeln.“

- In New York wurden vier Mitglieder des iranischen Geheimdienstes angeklagt, die die Journalistin Masih Alinedschad in den USA kidnappen und in den Iran verschleppen wollten. Alinedschad hatte in den sozialen Medien, aus nur scheinbar sicherer Entfernung, eine Kampagne gegen den Kopftuchzwang geführt, die im Iran mehreren Frauen, die dem Aufruf gefolgt waren, langjährige Haftstrafen einbrachten. (Dazu gehört auch unser derzeitiger „Iranfall“, zwei Frauen, die in der U-Bahn unverschleiert Blumen verteilten. Doch davon später.) Habhaft wurde man aber nur einer fünften Person, die bei der Beschaffung des Geldes (für Privatdetektiv und Schnellboote) geholfen hatte, die anderen vier halten sich mutmaßlich im I ran auf – und bereiten dort die nächsten Entführungen von Kritikern aus ihrem Exil vor.

- In Khashoggi-Manier sind palästinensische Sicherheitskräfte gegen Nizar Banat vorgegangen, der im Westjordanland zu den bekanntesten Kritikern von Präsident Abbas zählte. Er hatte die Palästinensische Autonomiebehörde/PA mit Vorwürfen wegen Korruption und Günstlingswirtschaft herausgefordert und war schließlich so weit gegangen, die Europäer zu drängen, die Finanzhilfe für die PA einzustellen. Und bei den Finanzen hört bekanntlich die Freundschaft auf. Am 24. Juni drangen Sicherheitskräfte in Banats Haus ein, nahmen ihn mit, und eine Stunde später war er tot. Banats Familie spricht von einer „politischen Hinrichtung“, und selbst ein Oberst der Sicherheitskräfte räumte ein, dass „das ein großer Fehler war“. Im Westjordanland nehmen die Proteste gegen Abbas deutlich zu, manche sprechen schon von einem „palästinensischen Frühling“. Ob es mit der Hamas besser liefe, ist allerdings zu bezweifeln.

- Lukaschenko verfährt mit seinen Gegnern immer mehr nach dem Grundsatz „Wenn schon, denn schon“. Jetzt hat er Viktor Babariko, der ihn bei den Wahlen im letzten Jahr mit guten Siegeschancen herausgefordert hätte, und der deshalb von Lukaschenko vorsorglich „aus dem (Publikums)Verkehr gezogen“ wurde, auf Dauer weggesperrt. Wegen Korruption wurde Babaryko zu 14 Jahren Lagerhaft verurteilt, darf keine führenden Ämter mehr ausüben und kann keine Berufung einlegen. Im Juli „holte Lukaschenko dann zum Kahlschlag aus“: Es gab Razzien gegen 16 unliebsame Organisationen, mehr als 40 NGOs wurden verboten, die (im Lande verbliebenen) Mitglieder der MR-Organisation Wesna verhaftet – eine „Säuberung“ von stalinistischen Dimensionen. Und im Hintergrund Präsident Putin, der seinen „Zauberlehrling“ den „verruchten Besen“ wohlwollend weiterschwingen lässt.

- Wohin wünscht man sich Leute wie Lukaschenko? Nein, nicht dahin, wo der Pfeffer wächst, sondern nach Den Haag. Dort wurden jetzt zwei Männer wegen Beihilfe zu Mord, Verfolgung und Vertreibung verurteilt, die seinerzeit zum engsten Zirkel des serbischen Präsidenten Milosevic gehörten.


Nachrichten aus aller Welt

- Ortskräfte: Im Juli und im August wurde Afghanistan zum „Land der zwei Geschwindigkeiten“. In Windeseile eroberten die Taliban eine Provinz nach der anderen, und (fast genauso schnell) verließen die ausländischen Truppen das Land. Wesentlich langsamer verlief die Evakuierung der gefährdeten Ortskräfte. Es stellte sich heraus, dass die deutschen Ministerien zu lange damit beschäftigt waren, die Schutzberechtigten nach den Regeln der Bürokratie auszusieben, anstatt einen Evakuierungsplan auszuarbeiten, der es ermöglicht hätte, diese Menschen spätestens mit den letzten Bundeswehrsoldaten auszufliegen. Deshalb kann man es einem Mann wie Ahmad Jawil Sultani, langjähriger Übersetzer der Bundeswehr in Afghanistan, schwerlich verdenken, wenn er es „bedauert, für die Bundeswehr gearbeitet zu haben“.

 

Zur Klarstellung: An den Soldaten lag es nicht, die hätten die Afghanen schon mitgenommen!

- Iran: Zum „würdigen“ Nachfolger von Präsident Raisi als Chef der iranischen Justiz wurde Gholamhossein Mohseni-Ejei ernannt. Wie sein Chef gilt er als Hardliner, trat als Ankläger gegen Reformisten auf, war (wie Raisi) in die „Kettenmorde“ von 1988 verwickelt, steht auf der Sanktionsliste der USA, weil er verantwortlich war für die Niederschlagung der „Grünen Revolution“ von 2009. Wir werden also weiterhin hören von exzessiven Todesurteilen, Geheimverfahren und Geiseldiplomatie. Auf dem Foto schaut er drein wie ein gütiger Familienvater, aber weil er das nicht ist, drucken wir es auch nicht ab.

- Polen: Recht unkollegial hat sich der polnische Priester Dariusz Oko in der deutschsprachigen Zeitschrift Theologisches zu homosexuellen Kollegen geäußert. Er hat sie als „Plage“ bezeichnet und mit der Mafia verglichen. Ein Kölner Gericht hat ihn darauf wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 4800 Euro verurteilt. Ultrakonservative katholische Kreise sammeln jetzt Unterschriften für eine Petition an Angela Merkel. Wir unterschreiben – nicht. Ein polnischer Vizeminister sah in Okos Hetze eine „wissenschaftliche Tätigkeit“ und warf der deutschen Justiz der Wissenschaft gegenüber „freiheitsfeindliche Tendenzen“ vor. 

- Niederlande: Vielleicht hätte sich Hochwürden Oko seinen dummen Vergleich erspart, wenn er etwas mehr Ahnung vom Treiben der wirklichen Mafia hätte. Die hat in den Niederlanden den Kriminalreporter Peter R. de Vries ermorden lassen. Er war ihr im Wege, weil er Vertrauensperson des Kronzeugen eines Strafprozesses gegen eine Drogenbande war. Die Bande ist nicht zimperlich: Bereits 2019 waren bereits der Bruder und der Verteidiger des Kronzeugen ermordet worden. Richter und Staatsanwalt in diesem Prozess werden bei einem Schuldspruch lebenslänglich bekommen – Personenschutz.

- München: Ein verstörendes Foto ist mit einer gewissen Verspätung bei Focus online aufgetaucht. Ein Video aus der Bodycam einer Polizistin zeigt, wie ein Kollege im Februar 2020 minutenlang auf dem Hals eines 53-jährigen Mannes kniet. Der Mann, Franzose und seit 20 Jahren in München lebend, war bei einer Fahrkartenkontrolle mit Bahn- und Polizeibeamten in Konflikt geraten, weil er zwar eine gültige Fahrkarte besaß, diese aber mit einer handschriftlichen Notiz versehen hatte. Im August wird ihm der Prozess gemacht - wegen Körperverletzung, Beleidigung und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte. Bei „Körperverletzung“ sollte man aber nachhaken, auch hinsichtlich des Zugriffs der Polizei. Die hat versprochen, eine Vorermittlung gegen den Beamten einzuleiten.


 „French lives matter, too“


Erfolgsmeldungen – unter der AI-Lupe

- In München hat sich ein breites Bündnis formiert, um gegen die Verabschiedung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes zu protestieren. Als Folge der Großdemo von vor zwei Jahren, war das Gesetz zwar dahingehend entschärft worden, dass man u.a. den Begriff der „drohenden Gefahr“, der der Polizei das präventive Eingreifen erleichtert hätte, klarer formulieren wollte, soll aber immer noch eine „Zuverlässigkeitsprüfung“ enthalten, der man sich im Vorfeld einer Veranstaltung zu unterziehen hat, z.B. ob man regelmäßig die Staatspartei wählt. (Vorsicht Satire!) Nach Verabschiedung des Gesetzes steht jetzt eine Klagewelle beim Bayrischen Verfassungsgericht an. Hoffentlich sind die Richter „zuverlässig“. Fortsetzung folgt im September – im Zusammenhang mit der IAA in München!

- In Honduras ist es fünf Jahre nach dem Mord an der Umweltaktivistin Berta Cáceres zu einem weiteren Schuldspruch gekommen. Berta hatte gegen den Bau eines Wasserkraftwerks durch die Firma Desa gekämpft, der die Lebensgrundlage einer indigenen Gemeinschaft zerstört hätte. Der damalige Geschäftsführer der Firma wurde jetzt für schuldig erklärt, den Mord mit organisiert zu haben. Das Strafmaß sollte Anfang August verkündet werden, findet sich aber noch nicht im Netz.

- Ein interessantes, oder besser „Interessen orientiertes“ Diskussionspapier wurde vom Bundesverband der Deutschen Industrie/BDI vorgestellt. Grundsätzlich sollten weiter Geschäfte mit Staaten wie Russland und China getätigt werde, aber wenn es dabei zu MR-Verletzungen käme, sollten diese nicht unter den Tisch gekehrt, sondern mit „offenem Visier“ benannt werden – und auch zu Konsequenzen führen. Da sind wir aber gespannt, ob sich hinter dem offenen Visier auch noch offene Augen befinden.

- Im Juli erschien ein SZ-Artikel unter dem Titel „Zivilcourage zählt“. Darin wurden Fälle aufgelistet, in denen bei der Überwältigung von Terroristen Flüchtlinge beteiligt waren, auch unter Einsatz ihres Lebens. Jüngstes Beispiel war das Eingreifen des iranischen Asylbewerbers Chia Rabiei bei der Messerattacke in Würzburg. Er stellte sich bei der schrecklichen Messerattacke in Würzburg dem Täter entgegen, schleuderte einen Rucksack nach ihm, gab ihm einen Tritt und bewarf ihn gemeinsam mit anderen mit Flaschen. In Frankreich hätte ihm der Präsident die Staatsbürgerschaft verliehen, in Deutschland aber gibt es einen Aufenthaltstitel nicht als Belohnung, sondern nach Vorschrift – außer man ist Spitzensportler.


Zum Monatsschluss haben Sie sich etwas zum Lachen verdient. Funktioniert aber nur bei jenen, die sich haben impfen lassen.

 


August 2021

„Nichts ist gut in Afghanistan“

Margot Käßmann, Neujahrspredigt 2010


Die Bischöfin wurde damals für diese Äußerung schwer abgekanzelt, sah die Zeit nach 2001 zu einseitig negativ und wurde erst mit der 2. Machtergreifung der Taliban und durch die Panik beim Abzug des Westens bestätigt, denn wenn man die 25 Artikel, die der Merkur und die SZ im Monat August zu Afghanistan veröffentlichten, durchgeht, von der „Eroberung von Kundus“ am Monatsanfang zur „Angst vor der schwarzen IS-Fahne“ am Ende des Monats, dann wird man die Bewertung der Bischöfin, übertragen auf den August 2021 und die (weitere) Zukunft des geschundenen Landes, fraglos unterschreiben. Dazu die SZ:

„Nichts ist gut in Afghanistan, sagte während des Einsatzes eine deutsche Bischöfin. Aber das stimmte nicht. Die Zeit, in der nichts mehr gut ist in Afghanistan, bricht gerade erst an.“

Man könnte jetzt anführen, wie die Frauen aus ihren Ämtern und von der Straße verschwinden, ältere Schülerinnen von den Schulen verwiesen werden, Gerüchte aufgreifen, dass die ersten Körperstrafen nach der Scharia vollstreckt wurden, dass an der Minderheit der Hazara Massaker verübt wurden und Menschenrechtler gejagt werden, aber wir wollen gegen den Strom schwimmen und versuchen, und das könnte durchaus im Sinne von Margot Käßmann sein, mit einer übergroßen Lupe Nachrichten mit positiven Anteilen zu finden und Geschichten von Tapferkeit, Rettung und Hoffnung zu erzählen.

- Am 19. August demonstrierte die Politikwissenschaftlerin Crystal Bayat mit anderen Talibangegnern in Kabul. Sie hüllte sich am Unabhängigkeitstag in eine afghanische Flagge, die von den Taliban verachtet wird. Für Bayat gab es noch ein „Zeitfenster“ von 20 Tagen, bevor die Taliban durchregieren wie einst. Mit den 20 Tagen dürfte sie sich nach oben verschätzt haben. Ihre Doktorarbeit wird sie, wenn überhaupt, nicht in Kabul beenden können.


Letzte Proteste in Kabul

- Die Frauenrechtlerin und (ehemalige) Bürgermeisterin der Provinzhauptstadt Maidan Zarifa Ghafari hat es nach Deutschland geschafft. Nach dem Vormarsch der Taliban, war ihr nichts anderes übriggeblieben, als auf „ihre Ermordung zu warten“. Am 23. August kam sie nach einer abenteuerlichen Fluchtgeschichte in Köln an.

- Die Journalistin Shabnam Dawran, die sechs Jahre lang als Fernsehmoderatorin gearbeitet hatte, veröffentlichte in den sozialen Medien ein Video, auf dem sie vom „freundlichen“ Empfang berichtete, dem man ihr bei ihrem Fernsehsender bereitet hatte. Sie war nach dem Systemwechsel wie selbstverständlich zur Arbeit gegangen, war aber, anders als ihre männlichen Kollegen, nicht eingelassen, sondern nach Hause geschickt worden. Ihr Appell, so nüchtern vorgetragen, als verlese sie den Wetterbericht lautete:

„Wenn Sie dies sehen, wenn die Welt mich hört, helfen Sie uns. Unser Leben ist in Gefahr.“

- Dem deutschen Aktionsbündnis „Luftbrücke Kabul“ um die Filmemacherin Theresa Breuer gelang es in einer verwegenen Rettungsaktion, 189 Afghanen, die für westliche Medien, NGOs oder Firmen gearbeitet hatten, aus Kabul auszufliegen. Die Meldungen, ob Auswärtiges Amt und Bundeswehr die Rettungsaktion eher behindert als gefördert haben, sind widersprüchlich. Fest steht, dass die finale Hilfe von den Amerikanern kam.

- Davon abgesehen kann sich die Leistung der deutschen (und der anderen) Soldaten durchaus sehen lassen. Man versuchte unter großem Einsatz zu retten, was (trotz unzureichender Vorbereitung) noch zu retten war. Immerhin konnten 5347 Menschen ausgeflogen werden. Und damit ist es wieder einmal an der Zeit, meinen Lieblingsspruch von Martin Buber zu zitieren: „Wer einen einzigen Menschen rettet, rettet die ganze Welt.“ Dass unsere Verteidigungsministerin bei der Heimkunft der Soldaten in ihrer Erleichterung darüber, dass alle Soldaten unversehrt zurückgekommen waren, den Kommandanten umarmte, hätte es bei den Taliban nicht gegeben.

- Wie gefährlich der Einsatz war, zeigt das Foto der amerikanischen Soldatin Nicole Gee. Es zeigt, wie sie ein afghanisches Baby rettete. Kurz darauf fiel sie mit 12 weiteren Kollegen dem IS-Terroranschlag am Flughafen von Kabul zum Opfer.


Nicole Gee (+)

- Und dann hat der Engel Aloysius, der vom Hofbräuhaus aus die bayrische Staatsregierung berät, auch auf Bundesebene einen guten Rat erteilt. Innerhalb eines Vormittags soll sich nämlich die Meinung des Bundesinnenministers zu den Abschiebungen nach Afghanistan geändert haben. Diese werden auf Grund der sich „rasant verändernden Sicherheitslage“ vorerst ausgesetzt – auch für Straftäter. Für sie, so die SZ,

„sehen Völkerrecht und Strafgesetzbuch Haft in Straubing vor, und nicht Enthauptung in Kundus“.


Nachrichten aus Osteuropa

- Polen: Um nicht seinen Anteil an den Brüsseler Fleischtöpfen zu verlieren, möchte Polen die umstrittene Disziplinarkammer, die zur Demontage der unabhängigen Justiz geführt hat, „in ihrer jetzigen Form“ abschaffen – oder auch nicht. Ein Ultimatum der EU, das bis Mitternacht 16. August befristet war, blieb bis zum Nachmittag dieses Tages von Warschau unbeantwortet. Zur Ablenkung haben Regionen und Gemeinden des Landes (mit Förderung von Regierung und Kirche) einen Nebenkriegsschauplatz eröffnet und sich auf die LGBT-Gemeinschaft eingeschossen. Es liegt ein Gesetzentwurf vor, ganz Polen zur heterosexuellen Zone zu erklären. Die Angehörigen sexueller Minderheiten wird man dann Dariusz Oko zur Konversionsbehandlung übergeben. Die EU hat wieder einmal Strafzahlungen angedroht, aber auch diesmal gilt das Sprichwort in Abänderung: „Wer zahlt, schafft noch lange nicht an!“ Im September gab es in einigen der größeren Regionen einen „halbherzigen Rückzug“: die Anti-LGBT-Erklärung wurde auf Befehl von Warschau (und zunächst einmal) widerrufen. Der Grund: Es geht um (EU-)Milliarden.

- Belarus: Lukaschenko wird in der Wahl seiner Mittel immer skrupelloser. Es ist zu vermuten, dass sein Geheimdienst bis nach Kiew ausgeschwärmt ist und dort in einem Park den belarussischen Aktivisten Witali Schischow aufgehängt hat. Die ukrainische Polizei jedenfalls ermittelt auch wegen „Mord getarnt als Selbstmord“.


Foto eines Suizidgefährdeten?

Und dann setzt Lukaschenko die Migration als Waffe ein, wohl wissend, dass die EU Flüchtlinge eher nicht haben möchte – und sich Sanktionen deshalb eher zweimal überlegt. Der Merkur berichtet, dass belarussische Flugzeuge in Bagdad Fluchtwillige mit dem Versprechen auf Freiheit und Wohlstand und mutmaßlich zu günstigen Preisen, an Bord nehmen und diese nach Belarus fliegen. Dort werden sie dann von belarussischen Grenzern über die litauische Grenze getrieben - und von litauischen Grenzern immer öfter wieder zurückgeführt. Als Migranten würde man gerne auch Lukaschenko sehen, und zwar auf dem Weg nach Den Haag, zum Strafgerichtshof.

- Russland: Unter dem Titel „Liebesgrüße aus Moskau“ veröffentlichte die SZ einen langen Artikel über die Journalistin Sonja Groisman. Sie war für die unabhängige Rechercheplattform Project tätig gewesen, bis das Organ als „unerwünscht“ verboten wurde. Sonja gilt als „ausländischer Agent“ und muss vor jedes Bild, das sie auf Instagram postet, und sei es nur ein Foto von einem Blumenstrauß auf ihrem Küchentisch, einen Warnhinweis setzen, der in seiner ganzen Länge aus 24 Worten besteht:

„Diese Nachricht wurde … von einer russischen juristischen Person verbreitet, die die Funktionen eines ausländischen Agenten ausübt.“

Der Agentenhinweis hat eine verheerende Auswirkung auf die Auftragslage/Werbe-einnahmen der unabhängigen Medien, aber ob Putin wegen „geschäftsschädigenden Verhaltens“ einmal vor Gericht muss, ist, gerade im Lichte der Septemberwahlen, mehr als ungewiss. Derzeit ist die Repressionswelle gegen Journalisten beispiellos. Wie hieß doch der Song der Beatles aus dem Jahre 1968: „Back in the USSR/Zurück in der Sowjetunion.“


Bunt gemischtes und schwer verdauliches

- Nur noch 48 Prozent der deutschen Bevölkerung befürworten Integration der Einwanderer, also ihre Teilhabe an der Gesellschaft bei Bewahrung der kulturellen Identität. Ein knappes Drittel verlangt von den Migranten die Assimilation unter Aufgabe kultureller Besonderheiten, also Minirock statt Kopftuch. Die Studie vermerkt aber auch einen positiven Trend: So stimmten mit 55 Prozent erstmals mehr als die Hälfte der Befragten der sogenannten Willkommenskultur zu.

- In Frankreich wurden zwei Imame wegen frauenfeindlicher Äußerung beim Freitagsgebet vom Staat abgesetzt. Einer von ihnen hatte behauptet, Frauen, die in sozialen Netzwerken Schminktipps gäben und figurbetonte Kleider trügen, „ … seien vom Teufel besessen“. Wenn es einen gäbe, wüsste ich, wer von ihm besessen ist.

- In Bayern soll es ein Ausländeramt geben, dessen Leiter Mitarbeiterinnen mit anzüglichen Bemerkungen traktiert und der das N-Wort für Menschen mit dunkler Haut immer noch durchzubuchstabieren scheint. Das Landratsamt will nichts von Beschwerden wissen, räumt aber ein, dass einige Regelverstöße „umgehend abteilungsintern abgestellt“ worden seien. Am Aktenschrank im Ausländeramt hängt ein Foto, das den Behördenleiter mit dem Landrat zeigt, beide mit einem Weißbier in der Hand. Sie stoßen an – wahrscheinlich auf Gleichberechtigung und Integration.

- In der Münchner U-Bahn ist eine Frau von einem Mann hinter ihr begrapscht worden. Der Übergriff war schlimm genug, aber genauso schlimm war die Reaktion der anderen Fahrgäste. „Alle drehten sich aktiv weg.“ Ein Lehrerpaar auf Klassenausflug hat geantwortet, sie müssten sich um ihre Schüler kümmern, die aber, nach Aussagen der Frau, keine Grundschüler mehr waren. Erst am Ausgang Sendlinger Tor schritten Leute ein, und der Grapscher verschwand in der Menge. In München hat die Polizei im vorigen Jahr 257 Fälle von sexueller Belästigung bearbeitet, die Dunkelziffer dürfte hoch sein.

-  Viele Südafrikaner fühlten sich an die Kolonialzeit erinnert, als bekannt wurde, dass der im Land abgefüllte Impfstoff von Johnson&Johnson bis vor kurzem weitgehend exportiert wurde, vor allem nach Europa. Jetzt hat der Impfstoffhersteller mitgeteilt, dass mittlerweile 60 Prozent der Impfstoffe aus Südafrika auf dem Kontinent verbleiben würden. Allerdings würde eine Impfkampagne auf ein weiteres Hindernis stoßen: Fast die Hälfte der Südafrikaner glaubt nämlich, dass Gebete gegen Covid-19 besser helfen. Da sollten die Kirchen kräftig auf den Tisch hauen.

- Wahnvorstellungen dieser Art haben uns nahtlos zu unseren Querdenkern geführt. Da sind Leute darunter, die sich so verfolgt fühlen, dass sie sich als „neue Juden“ gebärden, bei Demos den Judenstern tragen und die Impfung schon einmal als „Endlösung der Coronafrage“ bezeichnen. In München wurde nach einem „Impfen macht frei“ – Nachricht das erste Verfahren eröffnet, weil damit „die mörderische Judenverfolgung in der Nazizeit“ verharmlost werde. Warnung: Kommt noch einmal!

- In Teplice/Republik Tschechien starb im Juni ein Rom nach Polizeigewalt. Auch er fiel dem Würgeknie eines Polizisten zum Opfer. Der Fall hätte ebenso viel Aufmerksamkeit verdient wie der Tod von George Floyd. Eine Zeugin aus der Nachbarschaft hatte den Vorfall gefilmt und ins Netz gestellt. Aufsehen erregte das Video aber erst, als es auf der Plattform einer Roma-Organisation auftauchte. Daraufhin gab es vereinzelte Demonstrationen, allerdings ohne nennenswerte Teilnahme der Mehrheitsgesellschaft. Roma lives don’t matter.

- In München hat man zum 2. August, dem Gedenktag an den Genozid an den Sinti und Roma, eine Fotokampagne gestartet, die den Angehörigen dieser Minderheiten ein Gesicht geben und auf ihre tiefe Verwurzelung in der Münchner Stadtgesellschaft hinweisen sollte. Zusätzlich zu den Fotos wurden 50.000 Postkarten gedruckt, die in Kneipen und Kultureinrichtungen ausgelegt werden. Hoffentlich werden sie auch mitgenommen und verschickt. Das Datum war bewusst gewählt. Am 2. August 1944 waren in Auschwitz-Birkenau in einer einzigen Nacht 4.300 Sinti und Roma ermordet worden.


AI-Nachrichten - so kurz wie möglich

- Auf Malta wurde Anklage gegen einen Geschäftsmann erhoben, der den Auftrag zum Mord an der Journalistin Daphne Caruana Galizia im Oktober 2017 gegeben haben soll. Sachte tastet man sich an die Hintermänner der Tat heran.

- Im Iran wurde die deutsch-iranische Architektin Nahid Taghavi wegen „Leitung einer illegalen Gruppe“ zu 10 Jahren Haft verurteilt. Wegen „Propaganda gegen das Regime“ wurden ihr weitere acht Monate aufgebrummt. Das Urteil erging schon im Juni, wurde aber jetzt erst bekannt. Warum sie verhaftet worden sei, weiß Taghavi nicht. Damit ihr Anwalt nicht etwa in Sachen Berufung auf dumme Gedanken kommt, wurde er im August ebenfalls verhaftet. Das Auswärtige At rät Doppelstaatlern von Reisen in den Iran dringend ab. Die Rückkehr könnte sich etwas verzögern.

- In Berlin hat man zwei Afghanen gefasst, die mutmaßlich ihre Schwester wegen ihres abweichenden Lebensstils getötet haben. Sie lebte geschieden, was nicht den Moralvorstellungen ihre männliche Sippschaft entsprochen hatte. Jetzt ist eine muntere Debatte ausgebrochen, ob „Ehrenmorde“ an Frauen in die Kategorie „Femizide“ reinpassten. Wir bejahen das mit Nachdruck und halten es mit der Justiz in den USA, die bei der Frage, ob Straftäter bei „kulturell angelegten“ Taten ein milderes Urteil verdienen, ein striktes „Nein“ setzen.

- In Hongkong hatte der Aktivist Tong Ying-Kit die traurige Ehre, als erster Anhänger der Demokratiebewegung nach dem neuen Sicherheitsgesetz verurteilt zu werden. Er hatte auf dem Motorrad sitzend eine Fahne geschwenkt, die mit dem Slogan „Befreit Hongkong – Revolution unserer Zeit“ dekoriert war. Der Staatsanwalt sah darin einen Aufruf zur „Trennung von China“, das Urteil lautete auf neun Jahre Haft. Nach einem AI-Bericht dürfte das Urteil „der Anfang vom Ende der Meinungsfreiheit in Hongkong“ sein.

- Der Direktor einer pakistanischen MR-Organisation forderte die Regierung auf, ein Mindestalter für Religionsübertritte einzuführen. Immer wieder würden in manchen Teilen des Landes Mädchen aus christlichen und hinduistischen Familien entführt, genötigt zum Islam überzutreten – und dann oft zwangsverheiratet. Wenn die Eltern protestieren, weisen die Behörden darauf hin, dass der Glaubensübertritt freiwillig erfolgt sei. Manche islamische Staaten haben noch einen langen Weg vor sich, bis sie lernen, das Wort „Toleranz“ zu buchstabieren.

- In Nicaragua hat man vor den Präsidentschaftswahlen im November aufmerksam nach Belarus und in den Iran geschaut. Dort hat man mögliche Mitbewerber entweder nicht zugelassen oder gleich in Haft genommen. Auch in Nicaragua sehen sich derzeit Regierungskritiker einer Verhaftungswelle gegenüber. Und Präsident Daniel Ortega war einmal ein revolutionärer Volksheld, der einen Diktator gestürzt hat! Jetzt ist das Land wieder eine Diktatur.

- Den Volkshelden muss jemand verhext haben. Die Hexe stammt wahrscheinlich aus Ghana. Dort ist der Hexenglaube noch tief verwurzelt und hat für die vermeintlichen „Hexen“ verheerende Folgen. Sie werden von ihren Familien getrennt, aus ihren Dörfern verjagt und in eigens gegründeten Hexendörfern kaserniert. Eine Fotografin hat über sie einen Bildband veröffentlicht.


Hexen im Exil


Erfolgsmeldungen – ja, die gibt es auch.


- Fadumo Korn, geboren in Somalia, kämpft seit zwei Jahrzehnten gegen die Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen. Dafür hat sie die Auszeichnung „München leuchtet“ erhalten. Sie hofft, mit diesem Preis Aufmerksamkeit auf ein Problem zu lenken, das für viele Deutsche ein Randproblem ist, zu Unrecht, denn auch in Deutschland gibt es „Ecken, wo man sein Kind verstümmeln lassen kann“.

 

Fadumo Korn

- In Schweden steht jetzt ein Mann vor Gericht, der im Dienste des iranischen Regimes im Jahre 1988 bei den sogenannten „Khomeini-Massakern“ mutmaßlich Tausende von politischen Gefangenen töten ließ. Er wollte 2019 in Schweden Urlaub machen - so wie der saudische Kronprinz alljährlich auf seinem Schloss in Frankreich oder der thailändische König, der im Sommer von Garmisch aus regiert. An sie traut man sich aus finanziellen Erwägungen nicht heran, obwohl man sie nach dem Weltrechtsprinzip anklagen könnte, denn da gab es doch einmal Folterung von Dissidenten und den Mord an Khashoggi.

- Die Zahl der Übergriffe auf Muslime und Moscheen in Deutschland geht weiter zurück, beim Vergleich zweier Quartale aus den Jahren 2020 und 2021 von 225 auf 99. Beobachter sehen in den Zahlen „einen überraschend starken Rückgang“. Man kann nur hoffen, dass sich die Aktivitäten des gewaltbereiten rechten Spektrums nicht auf die Juden verlagern.

- Im Mittelmeer durften in Italien nach tagelangem Warten 800 Flüchtlinge aus zwei Schiffen an Land. Im Jahre 2021 sollen bisher mindestens 1.195 Menschen umgekommen sein. Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen fordern schon lange die Wiederaufnahme einer europäischen Seenotrettungsmission und legale Fluchtwege.

- Man wagt es noch nicht zu hoffen, aber im israelisch-palästinensischen Abstoßungsverhältnis gibt es ein erstes „Zeichen der Annäherung“. Der israelische Verteidigungsminister Benny Gantz war auf Besuch beim palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas – und kam auch wieder unbeschadet zurück. Die israelische Seite beeilte sich zu betonen, dass es sich nicht um Friedensgespräche handle, sondern dass Alltagsfragen im andauernden Konflikt besprochen wurden – aber das immerhin zweieinhalb Stunden lang.

Schlusspunkt

Im Fernsehen sah man die ersten Afghanen, und es waren immer Männer, die es begrüßten, dass mit den Taliban endlich Ruhe im Lande herrschte. Dazu ein Spruch von Hans Christian Andersen, den Frauen in Afghanistan, aber auch den Bewohnern des Gazastreifens gewidmet:

„Leben allein ist nicht genug, sagt der Schmetterling.
Sonnenschein, Freiheit und eine kleine Blume
gehören auch dazu.“



September 2021

„Wenn die Wahrheit zu schwach ist, sich zu verteidigen,
muss sie angreifen.“


Bert Brecht


Justiziabilitäten

Ich bin ganz stolz auf dieses Wort, dessen Bedeutung ich im Netz nachgeschlagen haben. Es handelt sich dabei um Vorfälle, die einer richterlichen Entscheidung unterworfen sind. Im September war Wahlkampf, und da sind am Rande des politischen Spektrums einige Dinge gelaufen, die die Justiz beschäftigt haben – und bei der sie nicht immer eine überzeugende Figur abgegeben hat. Aber fangen wir mit üblen Schülerstreichen an.

- Am Luisengymnasium in München wurde der Unterricht vorzeitig beendet, weil Morddrohungen gegen Lehrer an der Tafel standen. Da hieß es am 2. Schultag nach den Ferien: „Wir hassen alle Lehrer, alle Lehrer gehören vergasst wie die Juden.“ Mit einem Rechtschreibkurs allein ist es da nicht getan, aber ein Jahr Sozialdienst an der Schule oder in Lehrerhaushalten wäre zu erwägen.

- In Hamburg eskalierte ein Streit zwischen Schülern zweier Schulen zu einem tätlichen Angriff auf einen Cop4U/Cop für dich-Polizisten. Diese Beamten sind Schulen zugeteilt und sollen dabei helfen, dass das Umfeld Schule möglichst gewaltfrei bleibt. Der Beamte hatte den 13-jährigen Unruhestifter am Boden fixiert, war dann aber von umstehenden Schülern bedrängt und gegen den Kopf getreten worden. Im weiteren Verlauf standen sich 80 Schüler und die Besatzung von 13 Streifenwagen gegenüber. Der Sachverhalt wird in der Presse widersprüchlich geschildert – rabiates Vorgehen der Polizei, großes Gewaltpotential der Schüler, Empathielosigkeit von gaffenden Erwachsenen -, aber sicher ist, dass sich die Namensgeberin einer der Schulen, Ida Ehre, jüdische Regisseurin, von Nazis verfolgt, im Grabe umdrehen wird.

Von den Schulen in den Wahlkampf!

- Die Partei „Die Partei“, die sich selbst als satirische Spaßpartei bezeichnet, hat Plakate mit der Aufschrift „Nazis töten.“ gehängt. Die Staatsanwaltschaft Deggendorf hat von einem Ermittlungsverfahren abgesehen. Die Aussage sei zwar zweideutig, aber vom Grundrecht auf Meinungsäußerung gedeckt. Außerdem stehe am Ende ein Punkt und kein Ausrufezeichen. Aber auch als Aussagesatz ist der Sachverhalt eindeutig: Nazis haben getötet, und Neonazis haben damit nicht aufgehört.

- Die rechtsextreme Splitterpartei „Der III. Weg“ hat das Plakat der „Partei“ wohl als Einladung gesehen, als sie ihrerseits ein „Hängt die Grünen!“ plakatierte. Und sie hat dahinter unmissverständlich ein Ausrufezeichen gesetzt. „Unmissverständlich“, sollte man meinen, meinte aber nicht das Verwaltungsgericht Chemnitz und zwang die Stadt Zwickau, das Hängungsverbot aufzuheben. Das Gericht berief sich auf den Grundsatz, dass bei Mehrdeutigkeit „die Lesart herangezogen werden muss, die sich mit der Meinungsfreiheit in Einklang bringen lässt“. Der „III. Weg“ produzierte die Mehrdeutigkeit dadurch, dass er dem Mordaufruf in Kleindruck die Aufforderung hinzufügte, Plakate in der Parteifarbe zu „hängen“.  Und die sei halt einmal „grün“! Für die Justiz in Chemnitz ist es ein Trauerspiel, der Zusatz im Urteil, dass die Plakate mindestens 100 Meter von den Plakaten der Grünen entfernt sein müssten, eine Lachnummer. Die Stadt Zwickau hat gegen das Urteil Beschwerde eingelegt, das Landgericht München hat die Hängung des Plakates untersagt.

- Ein ähnliches juristisches Hickhack gab es um eine Installation des „III. Weges“ in Würzburg. Da hatte die Partei im Rahmen einer Demo zum Gedenken an den Anschlag im Juni unter blutbespritzten Tüchern drei Strohpuppen abgelegt und dahinter die Fotos der drei Kanzlerkandidaten gestellt. Die Leichen, so die Partei, stehen aber nicht für die „Volksverräter“, sondern für drei Opfer eines „kriminellen Ausländers“. Die Staatsanwaltschaft sah in der Installation, - Fotos hin, Fotos her -, zunächst auch eine „Kritik an der Einwanderungs- und Asylpolitik“, prüft aber derzeit auch, ob nicht auch ein bisschen „Volksverhetzung und Aufforderung zu Straftaten“ im Spiel ist.


War nicht so gemeint.

Aber, wie gesagt, das waren Zuckungen am Rande des politischen Spektrums. Der Wahlkampf zwischen den großen Parteien verlief weitgehend fair, und von keinem der drei Kandidaten war zu erwarten, dass sie/er sich in Richtung illiberale Demokratie à la Orban aufmachen würde. Der französische Philosoph Lévy hat uns zum Wahlkampf ein Kompliment gemacht, das sich unsere chronischen Schwarzseher und Jammerlappen hinter die Ohren schreiben sollten:

„… dieses Deutschland erteilt der Welt, insbesondere Frankreich, eine schöne Lehrstunde in Demokratie. Danke, Deutschland.“


Die IAA in München

Die Autoausstellung war das 2. Großereignis im September, und es ging nicht nur schnell, sondern auch hoch her. Wir haben nicht vor, uns damit zu befassen, wieviel und welche „Mobility“ wir in Zukunft brauchen, sondern wollen die Ausstellung unter menschenrechtlichen Aspekten „ausschlachten“. Dass da Wort „ausschlachten“ in Hinblick auf die brandneuen Modelle als Metapher etwas schief ist, ist uns bewusst.

- Es fing schon an mit den Abseilaktionen auf der Autobahn, die einigen Aktivisten eine Präventionshaft in Erding einbrachten. Das Landgericht Landshut entschied gegen die Polizei: die Aktion sei zwar strafbar gewesen, es sei aber nicht zu erwarten gewesen, dass die IAA-Gegner nach Eingreifen der Polizei eine weitere Straftat „von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit“ begehen würden.

- Dann blockierten 4.500 Polizeibeamte einen Protestzug, der von der Theresienwiese aus, den Ablauf der IAA stören wollte. Dabei kam es zur Konfrontation und zum Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken. CSU-Generalsekretär Markus Blume twitterte: „So läufts in Bayern!“ Die Umweltaktivistin Lisa Poettinger kam sich vor wie „eine Schwerverbrecherin“ und „hatte eine Woche lang blaue Flecken“. So sollte es in Bayern eher nicht laufen!

- Der harte Polizeieinsatz soll auch in den eigenen Reihen auf Kritik gestoßen sein. Insbesondere kritisierten manche Beamte, dass IAA-Gegner, die nur Handzettel bei sich hatten, auch nach Feststellung ihrer Personalien noch stundenlang festgehalten wurden.

- Weitgehend friedlich verlief die Radsternfahrt, die in unserem Landkreis von Holzkirchen aus startete. Den Organisatoren war im Vorfeld die Fahrt auf Teilstrecken der Autobahn untersagt worden, deshalb ging es auf Landstraßen zur Theresienwiese – vorbei an winkenden Passanten und (wütend) hupenden Autofahrern.

Auf der Theresienwiese hatte Campact nicht einen Drachen, sondern ein Auto steigen lassen.


Verkehrswende

„Das Auto auf den Kopf stellen, heißt auch, dafür zu sorgen, dass man aufhört, es als Statussymbol zu nehmen und es groß wie einen Panzer zu bauen. Auch dann ist Mobilität möglich.


Kurznachrichten

- Flüchtlingsdramen an (fast) allen Enden der Erde: Im Übergangslager Mavrovouni/Lesbos, das man nach dem Brand von Moria in aller Eile auf einem alten Schießübungsplatz eingerichtet hatte, sind die Zustände so katastrophal, dass man sich nur wundern kann, dass die Flüchtlinge es nicht schon wieder abgefackelt haben. Den Rio Grande, Grenzfluss zwischen Mexiko und den USA, überquerten innerhalb weniger Tage Tausende von Flüchtlingen, die meisten von ihnen aus Haiti, und kampierten unter einer Brücke. Die USA setzen auf Massenabschiebungen per Flugzeug. Und an der Grenze zwischen Belarus und Polen landen jetzt die Flüchtlinge, die Lukaschenko im Irak ins Flugzeug lockt und dann an die EU-Grenze bringt, um sich für die Sanktionen zu rächen. Es hat bereits Tote gegeben, die mutmaßlich an Entkräftung oder Unterkühlung gestorben sind – und dann munter an der Grenze hin- und her geschleift wurden.


Gestrandet (ausgerechnet) in Polen

- Erpressermethoden wendet auch die VR China an, aber in besseren Kreisen spricht man hier von Geiseldiplomatie. Da soll die Finanzchefin von Huawei in den USA die amerikanischen Sanktionen gegen den Iran unterlaufen haben, indem sie eine Bank falsch informierte. Deshalb wurde sie 2018 in Vancouver/Kanada auf Betreiben der USA festgesetzt. Postwendend wurden in China zwei Kanadier festgenommen und der Spionage angeklagt. Aber während die Managerin in einem Luxusanwesen auf ihre Anklage warten durfte und gelegentlich auf Einkaufstour ging, wurden die beiden Kanadier in Einzelhaft gehalten und ihnen wiederholt Besuchsrechte verwehrt. Ein bisschen Unterschied zwischen Klassenfeinden und Staatsträgerinnen muss schon sein. Dann kam es zu einem Deal zwischen Washington und Peking, der dazu führte, dass die drei Personen ihre Unterkünfte wechseln konnten. Die Managerin räumte im Deal zwar eine Teilschuld ein, hielt aber gleichzeitig an ihrer Unschuldsbehauptung fest. Noch beim Heimflug postete sie: „Ich werde bald in die Umarmung des Mutterlandes zurückkehren.“ Dort soll sie auch verbleiben.

- In Russland ging die Putin-Partei „Einiges Russland“ als klarer Sieger aus der Parlamentswahl hervor. Allerdings hat man vermutlich etwas nachgeholfen. Schon im Vorfeld waren Oppositionelle als Kandidaten ausgeschlossen worden, es kam zu Gewalt und Drohungen gegen Wahlbeobachter, Staatsangestellte wurden zur Abstimmung gezwungen und Wahlzettel gleich bündelweise in die Urnen gesteckt. Es gibt ein Video, das zeigt, wie sich eine Wahlhelferin zwischen Kamera und Urne postiert, während hinter ihr eine „Zauberhand“ Wahlzettel in die Urne wirft. Und wie reagieren deutsche User: „Das gleiche passiert bei uns.“ Die haben wohl den Untergang der DDR verschlafen.

- Um nicht immer nur gegen rechts zu schießen, eine Meldung aus Dresden. Dort war Prozessauftakt gegen eine linksextreme Gruppe, die mehrere Rechtsradikale überfallen und teils schwer verletzt haben soll. Die „Kommandoführerin“ Linda E. und ihre Mitstreiter hätten sich, so der Staatsanwalt, berechtigt gefühlt, „ihre politische Überzeugung mit Gewalt durchzusetzen“. Dabei sollen Schlagstöcke und Pfefferspray im Einsatz gewesen, Fensterscheiben zerschlagen worden und die Opfer gezielt ausgesucht und dann verprügelt worden sein. Jetzt muss das Gericht herausfinden, „ob es die Gruppe E. wirklich gegeben hat und ob deren Anführerin wirklich die Studentin aus Leipzig war“.

- Derzeit werden die Coronazahlen bei uns nicht zuletzt durch Kinder und Jugendliche hochgetrieben, die noch auf einen altersgemäßen Impfstoff warten. Darum wollen wir auf eine Studie hinweisen, in der das Institut für Generationenforschung die Auswirkungen der Coronakrise auf die Generation „Alpha“, die Gruppe der seit 2010 geborenen Kinder untersucht. Das Ergebnis - „In Deutschland gab es noch nie so viele unglückliche Kinder“ - kann man für überzogen halten, aber was die Studie für die „Impfskeptiker“ bereithält, kann man durchaus übernehmen. Ich zitiere den Kommentar der SZ:

„Das alles ereignet sich in einer Gesellschaft, die am Anfang der Pandemie von der Solidarität der Jungen lebte. Eben diese Solidarität wird jetzt nicht zurückgezahlt, weil es nicht zumutbar ist, sich als asozialer Besitzer missverstandener Freiheitsrechte in einem Akt der Solidarität impfen zu lassen.“

- Zurück zum Wahlkampf – auf lokaler Ebene. Auf der Waitzinger Wiese in Miesbach traf sich die AfD zu einer „großen Wahlkampfveranstaltung“. Wir stellen mit einer gewissen Schadenfreude einen Vergleich mit unseren AI-Infoabenden an: Es kommen meist (etwas) mehr als 20 Besucher und es gibt keine Gegenkundgebung. Und wir erlauben uns, dem Merkur sowohl das Foto wie auch die Bildunterschrift zu entwenden.


 

Afghanistan

Während wir im September noch den (verzweifelten) Versuch unternahmen, „gegen den Strom zu schwimmen“ und im Umfeld des Machtwechsels und des Abzugs der westlichen Truppen noch positive Nachrichten herauszufiltern, ist uns das inzwischen vergangen. Die Taliban verhalten sich so, wie es zu erwarten war: Journalisten wurden während einer Demo verprügelt, Zivilisten gezielt getötet, Menschenrechtsaktivisten in Suchaktionen von Tür zu Tür verfolgt, das Frauenministerium geschlossen und in ein Ministerium „zur Förderung der Tugend und der Vermeidung des Lasters“ umgewandelt. 


Perfekte Tarnung

Wo sie sich konziliant geben, steckt eine (nach westlichem Geld) ausgestreckte Hand dahinter, aber dass im Geigenkaste tatsächlich eine Geige steckt, glaubt keiner mehr, der die Abneigung der Taliban für Musik und sonstige Äußerungen der Lebensfreude kennt.

Hinzu kommen die Anschläge der „Konkurrenz“ vom IS, dem die Taliban nicht islamisch genug sind. Im Oktober kamen bei einem Selbstmordattentat auf eine schiitische Moschee in Kandahar während des Freitagsgebets mindestens 41 Menschen ums Leben. Unschuldige Zivilisten, darunter sieben Kinder, fielen Ende August in Kabul einem Drohnenangriff der Amerikaner zum Opfer. Das US-Militär brauchte drei Wochen, um von der Version abzurücken, dass der Angriff einer Terroristengruppe galt, die einen weiteren Anschlag vorbereitete. Aber immerhin: Der IS würde das nie als „tödlichen Fehler“ bezeichnen und den Hinterbliebenen auch keinen Schadenersatz leisten.

Auf gepackten Koffern, viele werden es nicht sein, sitzt Fawzia Saidzada, Frauenrechtlerin und erbitterte Gegnerin der Taliban. Bei der Frauendemo im August marschierte sie in der ersten Reihe, jetzt wird ihr Wohnort beobachtet, und einer ihrer Brüder wurde zusammengeschlagen. Sie sagt nur noch: „Ich muss weg aus diesem Land.“ Geflüchtet ist, neben der Bürgermeisterin Zarifa Ghafari, die afghanische Bildungsministerin Rangina Hamidi. Bei ihrem ersten Treffen mit den Taliban hatte man ihr angeboten, als eine Art Fürsprecherin aufzutreten, also die Kalaschnikow als Geigenkasten zu verkaufen. Da hat sie nur gesagt: „Ich werde nicht für euch lügen.“

      
Fawzia Saidzada                              Rangina Hamidi             .

AI-Nachrichten – das auch noch!

- Ein Fall aus dem letzten Jahr hat jetzt ein abstoßendes (und hoffentlich nur vorläufiges) Ende gefunden. Die belarussische Oppositionsführerin Maria Kolesnikowa, die im September ihre Abschiebung in die Ukraine dadurch verhindert hat, dass sie kurz vor der Grenze ihren Pass zerriss, ist in einem Geheimprozess wegen „illegaler Machtergreifung“ zu elf Jahren Straflager verurteilt worden, der mitangeklagte Anwalt Maxim Snak erhielt „nur“ zehn Jahre, aber dafür unter verschärften Haftbedingungen. Maria wirkte bei der Urteilsverkündung, die zur Abschreckung öffentlich war, „energisch und fröhlich“ und formte noch in Handschellen ihr Markenzeichen – das Herz. Die „illegale Machtergreifung“ würde eher auf den Wahlfälscher Lukaschenko passen, und dass der einmal in Handschellen geht, wünschen wir ihm von Herzen.

- Damit sind wir nahtlos beim Nachbarn von Belarus gelandet. Die UN werfen Russland massive Menschenrechtsverletzungen auf der Halbinsel Krim vor. Vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB, der Teelieferant von Nawalny, soll mindestens sechs Menschen gefoltert haben, die Bevölkerung wird durch Ansiedlung von russischen Staatsbürgern und Zwangsvertreibungen „ausgetauscht“, mit Razzien und Verhaftungen wird gegen Krimtartaren und Zeugen Jehovas vorgegangen.

- Die letzte Nachricht ist dem Rundbrief von SOLWODI entnommen, einer Organisation, die sich der „Solidarität mit Frauen in Not“ verpflichtet hat. Geschildert wird der Fall einer 28-jährigen Nigerianerin, die in Frankreich von einer „Madam“ zur Prostitution gezwungen worden war, nach Deutschland floh und von einem bayrischen Verwaltungsgericht jetzt zur Abschiebung nach Nigeria freigegeben wurde. Dort wäre sie, nach Meinung von SOLWODI in Gefahr, von der „Madam“ gefunden und erneut zwangsprostituiert zu werden. Die Begründung der Richter, dass diese Gefahr nicht besteht, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Eine Frau ihres Alters und mit zwei Kindern gehöre „nicht mehr zum bevorzugten Adressatenkreis der Menschenhändler für eine Verbringung nach Europa zur Ausübung der Zwangsprostitution“. Die Beratungspraxis von SOLWODI liefert andere Informationen: Eine Frau kann gar nicht alt genug sein, um nicht Opfer von Menschenhandel zu werden.

Schluss

Zu einer Zeit, wo man angesichts der Flüchtlinge aus Afghanistan und von der Grenze von Belarus, schon wieder Angst vor einem neuen 2015 hat, schließen wir mit einer Karikatur, die dem Chef der Bundesagentur für Arbeit gefallen könnte - wenn auch nur mit Vorbehalt. Er fordert nämlich 400.000 Zuwanderer pro Jahr, spricht aber von „gezielter Zuwanderung“ von Fachkräften. Die wird er nicht immer kriegen.



Oktober 2021

Zwei Planeten, die einander nur alle 200 Millionen Jahre begegnen, treffen einander.
Da fragt der eine: „Wie geht es dir? Du siehst ja schrecklich aus!“
„Ja“, sagt der andere, „es geht mir sehr schlecht. Ich habe den Homo sapiens.“
„O Gott“, meint der andere, „du Armer! Das kenne ich.
Aber tröste dich. Das geht bald vorbei.“


(leider) anonym

Ich möchte hier noch nicht von der Corona-Variante Omikron reden, schließlich müssen wir uns einige Katastrophen für die verbleibenden zwei Monate aufbehalten. Auch im Oktober war nämlich genügend los, um Zweifel an der Weisheit des Homo sapiens aufkommen zu lassen. Beginnen wir mit

Restposten – kostenlos abzugeben

- Die Gruppe „Zwölf Stämme“: In Holzheim/Dillingen ist die 11-jähirge Shalomah verschwunden. Ihre biologischen Eltern gehören den christlichen Fundis „Zwölf Stämme“ an, die sich durch eigenwillige Erziehungsprinzipien „auszeichnen“: dass Kindern beispielsweise ihre „dumme, selbstbewusste Besserwisser-Haltung ausgetrieben“ werden müsse – und zwar durch „Züchtigung“, die in Liebe verabreicht würde. Da waren die Behörden anderer Meinung und verteilten 40 Kinder auf Pflegefamilien und Pflegeeinrichtungen. Die Gruppe verzog sich daraufhin nach Tschechien, wir trauern ihr nicht nach. Das Mädchen wurde wahrscheinlich von ihren leiblichen Eltern entführt. Man kann nur hoffen, dass Shalomah in den acht Jahren bei der Pflegefamilie genügend Selbstbewusstsein entwickelt hat, um (mit 12) als „unbelehrbar“ zu gelten, deshalb aus der Gruppe ausgeschlossen wird – und eine kinderfreundliche Bleibe findet.

- Söldnertruppe und „Berserker-Clan“: Zwei ehemalige Fallschirmjäger kamen in U-Haft wegen des dringenden Verdachts, versucht zu haben eine Söldnertruppe aufzustellen, die in den Bürgerkrieg im Jemen eingreifen sollte. Saudi-Arabien hat auf  das Angebot nicht reagiert, vermutlich weil die „Gehaltsforderungen“ der beiden Rädelsführer etwas überzogen waren. Sie hatten ihren Mitstreitern immerhin ein Monatseinkommen von 40.000 € zugesagt.

Einen Bürgerkrieg in Deutschland anzuzetteln, hatte sich der Berserker-Clan vorgenommen, eine rechtsextremistische Gruppe von 15 Männern und Frauen, die Waffen und Munition gehortet hatten, um am „Tag X“ einen Aufstand gegen die staatlichen Strukturen in Deutschland zu beginnen. Wenn man so etwas hört, stellt sich schon die Frage, ob wir unser Land nicht schön langsam in „Irrland“ mit (mindestens) zwei „r“ umbenennen sollten.


… denn sie wissen nicht, was sie sind

- Die Reichsbürger: „Corona hilft Reichsbürgern“, titelte der Merkur einen Artikel über den Zulauf, den die Pandemie diesen Politspinnern eingebracht hat. Für die Reichsbürger handelt es sich „bei Covid-19 um eine absichtlich entwickelte Krankheit mit dem Ziel, die Weltbevölkerung zu dezimieren“. Und die Impfung würde die Krankheit nicht bekämpfen, sondern durch ihre Nebenwirkungen zur Dezimierung beitragen. Derzeit sind sie beschäftigt, alternative „Lernkreise“ aufzubauen und dort den Kindern der Impfgegner ihre Ideologie „einzuimpfen“.

- Die Extremisten von der Cancel Culture: Das sind die Anhänger einer überzogenen Ausschluss- und Ausladungsmentalität, die auf Leute losgehen, deren (tatsächliche oder gefühlte) beleidigende oder diskriminierende Aussagen ein „Kontaktverbot“ notwendig machten. So musste sich beispielsweise die Spitzenkandidatin der Berliner Grünen entschuldigen, weil sie einmal als Kind von der Rolle eines Indianerhäuptlings geträumt hatte. Da gehörten eher die Kritiker an den Marterpfahl!


Weitere Nachrichten vom Homo ignorans und Homo brutalis

- Frankreich: Eine mit Spannung erwartete Studie ergab, dass seit den 1950er Jahren eine geschätzte Zahl von 330.000 Kindern und Jugendlichen von Priestern, Ordensleuten und (in kirchlichen Einrichtungen tätigen) Laien missbraucht wurden. Nach Familie und Freundeskreis, so die Studie, sei die katholische Kirche „der Ort mit dem höchsten Missbrauchsrisiko“. Die Bischofskonferenz versprach, alle erforderlichen Schritte einzuleiten, damit sich ein solcher Skandal nicht wiederhole. Die vom Opferverband geforderte Entschädigung geht in die Milliarden.

- China: Mit seiner Idee von einer „Gemeinschaft mit geteilter Zukunft für die Menschheit“ unterminiert das Land die Fundamente der Vereinten Nationen. Die UN hat das Prinzip der Nichteinmischung zu respektieren, auch wenn ein Regime die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte mit Füßen tritt. Pekings Verbrechen in Tibet, an den Uiguren und in Hongkong werden, dank hoher Schmiergelder, von einer zunehmenden Zahl von UN-Mitgliedern ignoriert oder gar verteidigt. Wenn es nach dem Willen Pekings geht, steht das „U“ bald für „unbelehrbare Demokratien“ und das „N“ für „nationale Unantastbarkeit“.

- Israel: Die Regierung hat sechs palästinensische NGOs zu Terrorgruppen erklärt, ohne dafür solide Beweise vorzulegen. Es handelt sich u.a. um die Organisation Al-Haq, die sowohl Menschenrechtsverletzungen der Besatzungsmacht anprangert, als auch Kritik an Mahmud Abbas Autonomieverwaltung übt. In einer gemeinsamen Erklärung sprachen AI und Human Rights Watch von einem „erschreckenden und unrechtmäßigen Akt“. Die russische Generalstaatsanwaltschaft hat das Verbot Israels aufmerksam registriert. Im November beantragte sie die Auflösung der Menschenrechtsorganisation „Memorial“.

- Israel/Palästina: Unter Angehörigen der arabischen Minderheit in Israel nimmt die Gewalt im Alltag zu. Es kommt zu Bandenkonflikten, Familienfehden und zu Akten häuslicher Gewalt, inklusive Ehrenmorden. Die Israelis machten dafür lange die „sehr gewalttätige (arabische) Gesellschaft“ verantwortlich, ein arabischer Psychologe entwarf das Bild einer „haltlosen Gesellschaft, die mit dem Grundgefühl der Diskriminierung lebt und Autoritäten und Werte verloren hat“.  Die Bewegung „Arab Lives Matter“ fordert ein stärkeres Engagement der Polizei, die sich bisher eher vornehm zurückgehalten hat.


Protest gegen Gewalt im Alltag – und für Polizeipräsenz

- Bangladesch: Vor seinem Büro im weltgrößten Flüchtlingslager von Kutupalong wurde der Rohingyaführer Mohib Ullah erschossen. Er leitete eine Organisation, die zum einen versuchte, im Camp ein friedliches Miteinander zu ermöglichen, zum anderen die Gräueltaten zu dokumentieren, die sich das Militär bei der Vertreibung der Rohingyas aus Myanmar geleistet hatte. Für die Tat könnten sowohl die Rebellengruppe Arsa als auch das Militär in Myanmar verantwortlich sein.

- Deutschland/Italien: In Italien wurde Reinhard Döring, ein führendes Mitglied der Colonia Dignidad, auf einer Urlaubsreise festgesetzt. Er wird in Chile gesucht, weil er während der Militärdiktatur Pinochets mutmaßlich Kontaktmann der Kolonie zum Geheimdienst gewesen ist. In Chile läuft gegen ihn ein Haftbefehl, deutsche Gerichte lehnten eine Auslieferung und eine Vollstreckung der Strafe in Deutschland ab. Im November wurde er aus gesundheitlichen Gründen „vorübergehend“ freigelassen und hat sich schnellstens nach Deutschland abgesetzt – in Sicherheit. Ein deutscher Politologe verwies auf einen alten Spruch: „Die Colonia gewinnt immer.“

- Polen: Es lagen nur zwei Tage dazwischen. An einem Mittwoch ging der EuGH/Europäische Gerichtshof erneut gegen das polnische Justizsystem vor, indem er die Zwangsversetzung eines regierungskritischen Richters aus Krakau verwarf, am darauffolgenden Donnerstag verfügte das regierungsnahe polnische Verfassungsgericht, dass mehrere Artikel der EU-Verträge (Verpflichtung zur Rechtsstaatlichkeit, Dominanz des EuGHs) verfassungswidrig seien. Am Monatsende wurde ein Bußgeld von einer Million pro Tag verhängt. „Polen wird keinen Zloty bezahlen“, meinte der Justizminister.

- Kroatien: „Wieder Prügel an der Grenze“ gab es für Flüchtlinge, die von kroatischen Polizisten zurück auf die bosnische Seite getrieben wurden. Dort zeigten sie ihre Striemen und Prellungen in die Kamera. Die damalige kroatische Präsidentin hat handfeste Zurückweisungen nicht in Frage gestellt, aber der Polizei geglaubt, „dass sie dabei nicht zu viel Gewalt anwende“. Dass den Flüchtlingen vor ihrer „Rückführung“ noch Gelegenheit gegeben wurde, einen Asylantrag zu stellen, ist eher unwahrscheinlich.


Justiziabilitäten (2)

- In Frankreich hat eine Feministin einen Hashtag eingerichtet, auf dem Frauen von ihren Erfahrungen beim Erstatten einer Anzeige wegen sexueller Gewalt berichten können. Auslöser war eine Nachricht aus Montpellier, wo Vergewaltigungsopfer auf der Polizeiwache gefragt wurden, „ob sie es genossen haben“. Um betroffenen Frauen solche Demütigungen zu ersparen, hat der Innenminister jetzt verfügt, dass die Anzeige auch „im privaten Umfeld“/zu Hause aufgenommen werden kann. Für die Beratungsstellen reicht das nicht aus. Sie fordern ein „gut fortgebildetes Personal“, da Frauen „nichts davon hätten, wenn die Beamten sie zu Hause schlecht behandeln statt auf der Wache“.

- In München wurde die IS-Rückkehrerin Jennifer W. zu zehn Jahren Haft verurteilt. Sie wurde u.a. wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (IS) und wegen Beihilfe zum versuchten Mord (Hitzetod eines jesidischen Sklavenmädchens) schuldig gesprochen. Vor dem Urteilsspruch ging Jennifer W. massiv die Richter an. In ihren Augen gäbe es keine Beweise, dass das Mädchen tatsächlich tot sei, sodass ein möglicher Schuldspruch den Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ missachte. Die Richter aber hielten den Tod für erwiesen, da es nicht nur die Aussage der Mutter gäbe, sondern Jennifer W. das auch in Chats so geschrieben habe. In ihrem letzten Wort vor Gericht hat sie sich dann noch entschuldigt.

Im Dezember wurde dann der männlich Sklavenhalter Tarak J. zu lebenslanger Haft verurteilt. Er hatte übrigens für den IS das Büro für Geisteraustreibungen geleitet, aber den bösesten aller Geister hätte er sich selbst austreiben müssen. Die beiden Verfahren führten zu „den weltweit ersten Urteilen gegen Anhänger des IS wegen Versklavung der Jesiden“.

- Ein „Urteil vom Mond“ nannte der Verteidiger von Domenico Lucano, vormals Bürgermeister der Gemeinde Riace in Kalabrien. Er hatte 1998 eine große Zahl von kurdischen Flüchtlingen aufgenommen und (relativ) erfolgreich ins Dorfleben integriert. Als sich der Wind in Italien gegen die Flüchtlinge drehte, schickte man ihm die Rechnungsprüfer ins Büro, und die fanden heraus, dass er es „mit den Regeln nicht so genau nahm“. In seinem Verfahren warf man ihm Vergehen vor, die für drei Mafiosi gereicht hätten. Mit dem Strafmaß von 13 Jahren ging der Richter weit über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus. Nach dem Urteilsspruch drückte der frühere Innenminister Matteo Salvini von der rechten Lega dem Richter einen ansehnlichen Scheck in die Hand. (Vorsicht Satire!)

- In Texas wurde im September ein knallhartes Abtreibungsgesetz verabschiedet, dessen eindeutige Verfassungswidrigkeit durch einen Trick umgangen wurde. Für eine Anzeige auf Grund des „Herzschlaggesetzes“ – das Abtreibung verbietet, sobald der Herzschlag des Fötus festgestellt wurde – sind nämlich nicht die Justizorgane zuständig. Stattdessen erhalten alle Texaner das Recht, Abtreibungsärzte und deren „Helfer“ anzuzeigen und bei einer Verurteilung dafür 10.000 Dollar zu kassieren. Das Gesetz lässt Ausnahmen nur für medizinische Notfälle, nicht aber bei Vergewaltigung und Inzest vor.  Im Oktober wurde das Gesetz von einem Bundesrichter zunächst gestoppt, aber schon zwei Tage später entschied das Oberste Gericht, dass das Gesetz in Kraft bliebe. Für den 1. November setzte es eine Anhörung an, in der auch zwei konservative Richter Bedenken erkennen ließen. Die haben wohl den Protest mancher Frauen registriert.


„Leg‘ dich nicht mit texanischen Frauen an“

In einer Entscheidung im Dezember verfügte der Supreme Court mit deutlicher Mehrheit, dass das Abtreibungsgesetz vorerst in Kraft bleibt, räumte aber Abtrei-bungskliniken ein Klagerecht ein.

- Heraushalten möchten wir uns im Falle des Musikers Gil Ofarim. Zu unübersichtlich ist das Netz von Behauptung und Dementi, Widersprüche bei Zeugenaussagen, Suspendierung von Angestellten und Aufhebung der Suspendierung, Klage und Gegenklage. Aber Stellung beziehen möchten wir sehr wohl gegen Leute, die mit dem Fall wieder einmal ihre antisemitische Schleimsuppe kochen wollen und den Zentralrat der Juden mit Hassnachrichten bombardieren. Und die dafür sorgen, dass die Zahl antisemitischer Vorfälle wieder zunimmt – und das nicht nur wegen der Proteste arabischer Flüchtlinge gegen die israelische Politik.


Nachrichten vom Homo sapiens – die gibt es auch

- Bundespräsident Steinmeier hat warme Worte für das deutsch-türkische Anwerbeabkommen gefunden, das vor 60 Jahren die ersten türkischen Gastarbeiter nach Deutschland gebracht hat. Ihre Geschichten, so Steinmeier verdienten „einen angemessenen Raum in unseren Schulbüchern und in unserer Erinnerungskultur“.


Bevölkerungszuwachs aus der Türkei

- Ex-Präsident Gauck hat in der Hofkirche der Münchner Residenz einen „kämpferischen Auftritt“ hingelegt. Er nahm sich alle aufs Korn, die bei uns die Demokratie bekämpfen: Extremisten (links und rechts), islamistische Fanatiker, grundgesetzfeindliche Zuwanderer, Antisemiten. Er erinnerte daran, dass schon die Weimarer Republik daran zugrunde gegangen ist, dass es keine Demokraten gab, die sie verteidigten. Und wenn im Umgang mit ihnen alles Streiten und Werben nichts nützt, so Gauck, „dann weiß ich, ich habe es mit Halunken zu tun. Und dann: Intoleranz!“

- Auf der Gratwanderung zwischen Toleranz/Milde und Intoleranz/Härte hat sich die Bundesregierung (endlich!) für eine selektive Milde entschieden und hat acht deutsche Frauen und 23 Kinder aus syrischen Gefangenenlagern für IS-Mitglieder zurückgeholt. Dieser Schritt war überfällig, nicht zuletzt deswegen, weil Kinder am Wahn der Mütter keine Schuld trifft. Gegen sechs der Frauen wurde ein Haftbefehl vollstreckt, ihre Kinder bei „sorgeberechtigten Personen“, z.B. Väter, untergebracht.

- Preisverleihungen: Da hat es einige Leute „erwischt“, die den Preis mehr als verdient haben. Der Würzburger Friedenspreis ging an die Ordensschwester Juliana Seelmann. Sie hatte Frauen Kirchenasyl gewährt und bekam im Juni vom Amtsgericht Würzburg „eine Verwarnung mit Strafvorbehalt und eine Auflage von 500€“
aufgebrummt. Der Preis ist mit 3.000 € dotiert. Da würde ihr sogar noch etwas übrigbleiben, vorausgesetzt das Bußgeld wird im Berufungsverfahren nicht auf
3.000.000 € erhöht.

Der Alternative Nobelpreis ging an mehrere Preisträger, u.a. an Marthe Wandou aus Kamerun. In ihrer Kindheit musste sie hören, dass es für Mädchen nur die Alternative gab „früh zu heiraten oder nichts, höchstens eine Prostituierte, zu werden“. Das hat sie „extrem wütend gemacht“. Im Jahre 1998 hat sie die „Aktion für partizipative und selbstverwaltete Entwicklung“ gegründet, die sich zum Ziel setzte, für Mädchen und Frauen bessere Bildungschancen zu schaffen.

      
Juliana Seelmann                                         Marthe Wandou

Der Friedensnobelpreis schließlich ging an zwei Journalisten, Maria Ressa/Philippinen und Dmitri Muratow/Russland, beide im Clinch mit den Präsidenten ihrer Länder. Frau Ressa kritisierte Duterte wegen seines skrupellosen Krieges gegen Drogen und seiner Aufforderung zur Selbstjustiz durch Bürgerwehren und Polizei, Herr Muratow fiel bei Putin in Ungnade, weil er die Einverleibung der Krim kritisiert, die Erinnerung an ermordete Journalistinnen und Journalisten wachgehalten und die Protestbewegung in Belarus unterstützt hatte. Das Preiskomitee betonte aus gutem Grunde, dass sie den Preis erhalten „stellvertretend für alle Journalisten, die das ideal (einer freien Presse) in einer Welt verteidigen, in der Demokratie und Pressefreiheit immer ungünstigere Bedingungen vorfinden“.


Maria Ressa, Dimitri Muratow


Schlussakkord

Beeindruckt hat mich das Engagement der jungen Uigurin Shanura Kasim. Ihre Großmutter sitzt in einem Umerziehungslager, sie demonstriert regelmäßig in der Münchner Innenstadt gegen die Unterdrückung ihres Volkes. Oft stößt sie auf Desinteresse der Öffentlichkeit. Auch ihre Landsleute bleiben weg, weil sie fürchten, sie würden fotografiert, und die Bilder würden die Familie in der Heimat in Gefahr bringen. Irgendwie erinnert mich Shanura an die Geschichte von der Bärenraupe, die über eine befahrene Straße muss.

„Und sie geht los. Geht los auf Stummelfüßen. Zwanzig Autos in einer Minute. Geht los ohne Hast. Ohne Furcht. Ohne Taktik. Fünf Laster. Ein Schlepper. … Geht los und geht und kommt an.“


November 2021

„Und selbst wenn die Hoffnung tatsächlich eine Lebenslüge ist –
Ohne sie wäre die Unmenschlichkeit in der Welt nicht zu überwinden.“


Fritz Bauer
(Generalstaatsanwalt in Hessen und Initiator der Auschwitzprozesse von
1963 – 1981)


Flüchtlingsdramen und Flüchtlingspolitik

In ihren Augen leuchtet Hoffnung auf, obwohl es wenig Grund dafür gibt: Im Irak an Schleuser vermittelt, nach Belarus geflogen, dort von sogenannten „Reisebüros“ übernommen und vom Militär an die Grenze zu Polen oder Litauen gebracht, mit Warnschüssen gezwungen gegen Stacheldrahtverhaue anzulaufen, von der anderen Seite mit Wasserwerfern empfangen und zurückgeprügelt und womöglich, wenn sie Glück oder Pech haben, wieder in ihre „Heimat“ zurückgebracht werden – einige Tausend Euro leichter und um die Erfahrung reicher, dass sie als Erpressungspotential eingesetzt wurden, und dass die europäische (und damit auch die deutsche) „Gastfreundschaft“ anders ausschaute, als man ihnen im Irak oder einer anderen Krisenregion versprochen hatte.

Im Dezember ist das Flüchtlingsdrama Teil der christlichen Weihnachtsgeschichte geworden. Auf beiden Seiten haben die Grenzsoldaten Fausthandschuhe angezo-gen. Auf belarussischer Seite werden Flüchtlinge mit Hunden über die Grenze gehetzt, auf polnischer Seite werden sie gewaltsam zurückgedrängt, ohne Chance, einen Asylantrag zu stellen.



Kurdische Migranten an der Grenze zu Belarus

Ein Bild und eine Situation zum Weinen. Und weil wir schon beim Weinen sind, im Ärmelkanal starben 31 Flüchtlinge, weil ihr Schlauchboot bei der Überfahrt nach Großbritannien kenterte. Die Trauer über das Unglück hält sich in Grenzen. Emotionen zwischen London und Paris kochen eher darüber hoch, ob zwecks besserer Kontrolle britische Polizisten bei Patrouillen an Frankreichs Küste mithelfen sollten. Aber da denken die Franzosen an den die Erfahrungen, die sie mit den Engländern im 100-jährigen Krieg (1337–1453) gemacht haben!

Die EU war beim Flüchtlingsansturm an ihrer Ostgrenze hauptsächlich damit beschäftigt, sich Sanktionen gegen Fluggesellschaften und Belarus auszudenken, Angela Merkel hat vergeblich versucht, Putin als Vermittler einzuspannen, was schon daran scheitern musste, dass, nach Aussagen von belarussischen Oppositionellen, es die Geheimdienste in Minsk und Moskau waren, die mit der „Operation Schleuse“ die Flüchtlingskrise überhaupt initiiert hatten. Außerdem hat Merkel auch mit „Herrn Lukaschenko“ telefoniert, um auszuloten, wie es mit „humanitäre Versorgung und Rückkehrmöglichkeiten der Betroffenen“ stünde. Und insgesamt war man stolz darauf und hat es mehrstimmig betont, dass man rechtzeitig (und einigermaßen) dicht gemacht hat und es (bis jetzt) noch nicht zu einem 2015 gekommen ist.

Wolfgang Schäuble, seines Zeichens wahrlich ein Realpolitiker, hat übrigens gefordert, dass die EU auf Polen einwirken müsse, dass an der Grenze keine Menschen mehr zurückgeprügelt werden, dass sie einen Asylantrag stellen und Hilfsorganisationen sich um sie kümmern können.

Angela Merkel hat zu ihrer Flüchtlingspolitik eine „gemischte Bilanz“ aufgemacht. Aus dem „Wir schaffen das“ wurde ein „Wir haben das geschafft“ und verweilte dann bei den Punkten, was nicht geschafft wurde: die Ursachen der Flucht zu bekämpfen und eine europäische Migrationspolitik zu installieren.

Die neue Regierung hat auch Anlauf zu einer neuen Flüchtlingspolitik genommen, der von der Presse recht unterschiedlich bewertet wird. Der Merkur titelt verräterisch „Die Ampel-Pläne für mehr Zuwanderung“, die SZ hofft in einem Kommentar auf einen „Spurwechsel in der Migrationspolitik“. Immerhin soll das Arbeitsverbot für Asylbewerber abgeschafft und der Weg zum deutschen Pass verkürzt werden. Auch soll der Familiennachzug auf alle Asylbewerber ausgedehnt werden. Ein FDP-Politiker meint:

„Die Ampel macht Schluss mit der Lebenslüge, dass Deutschland kein Einwanderungsland ist.“

Und das einzusehen, war „höchste Zeit“! Warten wir’s ab, wie’s mit der Einsicht weitergeht.


Coronaadvent

„Warten“ ist auch das dominante Adventsmotiv, aber in der 4. Coronawelle ist/wäre ein Warten mit Abstand angemessen, gerade auch in Bayern, das im November in der Inzidenzskala noch ganz oben mitgemischt hat, bevor es dann die Fackel an Sachsen weitergereicht hat.


Leider haben einige Menschen diesen Abstand nicht eingehalten. Der krasseste Fall ereignete sich in Idar-Oberstein, wo ein Maskenstreik an einer Tankstelle für den Kassierer tödlich endete. Der Täter gab an, durch die Pandemie „stark belastet“ gewesen zu sein. Unbelastet und sorglos hingegen feierten Bauers- und Feuerwehrleute im Landkreis Miesbach ihre Hochzeiten, Jugendliche ihre Coronapartys und „Rindvieher“ ihre Scheunenfeste, mit dem Ergebnis, dass am Monatsanfang der Landkreis einmal Bundesspitzenreiter bei den Neuinfektionen war. Und zehntausende von „Jecken“ eröffneten den Karneval, und der FC Köln spielte in einem vollen Stadion – und hat das Spiel auch noch gewonnen.

Und dann fingen mit dem Verbot der Weihnachtsmärkte gegen Monatsende auch wieder die „Spaziergänge“ der Querdenker an, natürlich in Sachsen, wo die Inzidenzzahlen inzwischen am höchsten und die Intensivstationen gut gefüllt waren. Treiber der Proteste waren „identitäre Bewegung“, „Freie Sachsen“, Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker und Normalbürger, die sich unbedarft einreihten. Vorbild waren (gewaltsame) Demos in Rotterdam, Brüssel und Wien, in München kam man dann im Dezember zusammen, als endgültig feststand, dass der Christbaum am Marienplatz schon zum 2. Mal nicht nach Glühwein riechen durfte.

Am Monatsende trat dann in Botswana und Südafrika die Variante Omikron auf, gewissermaßen die Antwort Afrikas auf die Abschottungspolitik Europas, das Solidarität predigte, aber den Impfstoff hortete und ihn den armen Ländern vorenthielt.


Justizentscheidungen und Justizirrtümer

- USA: Zwei Männer, die für den Mord an dem (radikalen) Bürgerrechtler Malcolm X im Jahre 1965 20 Jahre im Gefängnis saßen, sollen (nach 55 Jahren) nun rehabilitiert werden. Eine Untersuchung beweist ihre Unschuld und erhebt schwere Vorwürfe gegen das FBI und die New Yorker Polizei. Sie hätten entlastendes Beweismaterial zurückgehalten und die Aussage eines Zeugen unterschlagen, der das Alibi eines der Männer hätte bestätigen können: Dieser habe zur Zeit des Attentats wegen einer Fußverletzung zu Hause gesessen. Für den anderen Mann kam die Rehabilitierung zu spät. Er starb 2009.

- Griechenland: Ein seltsamer Prozess in Abwesenheit einer der Hauptangeklagten fand ein vorläufiges Ende, weil das Gericht sich in der Sache für nicht zuständig erklärte. Nicht zuständig im Sinne von „Das ist kein Fall für die Justiz“ sollte auch jedes andere Gericht sein. Angeklagt, mit 23 anderen „Komplizen“, war zunächst die Syrerin Sarah Mardini, die auf Lesbos als Rettungsschwimmerin tätig war und Flüchtlinge vor dem Ertrinken bewahrte. In der Anklageschrift wurde das u.a. als „Spionage, Betrug und Bildung einer kriminellen Vereinigung“ gewertet. Dahinter steckt aber eher der Versuch der Behörden, NGOs von der Flüchtlingshilfe abzuschrecken. Sarah hätte nicht einmal die Möglichkeit gehabt, sich persönlich vor Gericht zu verteidigen, da man sie als „Sicherheitsrisiko“ einstufte. Ein Sicherheitsrisiko sind wohl eher die griechischen Behörden.

- Ungarn: Auch die Regierung Orban bemüht sich mit Nachdruck, Flüchtlingshelfer zu kriminalisieren. Ein neues Gesetz hätte beispielsweise NGO-Aktivisten verboten, bei Asylanträgen Formulierungshilfe zu leisten, wenn der Antrag keine Aussicht auf Erfolg hätte. Und das ist in Ungarn faktisch jeder Antrag. Der EuGH hat jetzt das Gesetz als „zu weitgreifend“ kassiert. Ein Sprecher der Regierung Orban erklärte, man werde das Urteil anerkennen, aber gegen „vom Ausland finanzierte NGOs“ weiterhin vorgehen. Den Mittelfinger behielt er in der Hosentasche. (Vorsicht: Satire!)

- Deutschland: Unter dem Titel „Rechte Richter …“ kam ein Buch des Juristen und Journalisten Joachim Wagner auf den Markt, das beim Rezensenten der SZ Erinnerungen an den Prozess gegen (Nazi-)Juristen in Nürnberg im Jahre 1947 hervorrief. Als Beispiel führte Wagner einen Fall an, wo eine Facebook-Nutzerin einen Brandanschlag auf eine Asylunterkunft angedroht hatte – und freigesprochen wurde. Und dann setzte der Richter noch eins drauf: „Die Entscheidung der Bundeskanzlerin (von 2015), eine bisher unbekannte Anzahl von Flüchtlingen unkontrolliert ins Land zu lassen, habe den öffentlichen Frieden stärker gestört hätte als der Facebook-Eintrag der Angeklagten“. Zur Ehrenrettung der Richterzunft stellte Wagner aber auch heraus, dass „die Rechtsausleger im Kollegenkreis häufig auf Ablehnung stießen“.

- Polen: In mehreren polnischen Städten gingen zehntausende Menschen auf die Strafe, um gegen das strenge Abtreibungsrecht zu protestieren. Auslöser der Proteste war der Tod einer 30-jährigen Frau im Krankenhaus von Pszczyna/Südpolen. Die Ärzte hatten es nicht gewagt, das Leben der Frau durch einen Schwangerschaftsabbruch zu retten. Die Demonstranten skandierten. „Nicht eine Einzige mehr.“ Jetzt hat das Krankenhaus den Staatsanwalt am Hals, denn ein Abbruch bei Gefahr für das Leben der Frau ist im Gesetz noch erlaubt. 


„Nicht eine Einzige mehr“

- Deutschland: Kirchenasyl - nächste Runde. Diesmal hat es den Pastor Stefan Schörk aus Pegnitz erwischt. Er wollte einen Iraner von der Trennung von seiner Familie und der Abschiebung nach Griechenland bewahren. Eine Richterin sprach eine „Verwarnung mit Strafvorbehalt“ in Höhe von 1.500,- Euro auf Bewährung aus. Weitere 1.500,- Euro musste er als Bewährungsauflage bezahlen. Die Gesamtsumme von 3.000,- Euro entsprach voll dem Strafbefehl des Staatsanwalts, der dennoch Berufung einlegte. Die Verteidigung natürlich auch! Im Hinterkopf schwirrt bei mir immer noch herum, dass nach Griechenland nicht abgeschoben werden darf, weil dort die Lebensbedingungen für Flüchtlinge nicht zumutbar sind. Scheint also besser geworden zu sein! (Vorsicht: Satire!)

- Myanmar: Habe ich an den Schluss gestellt, wie es sich für gute Nachrichten gehört. Myanmar und gute Nachrichten?!? Ein Militärgericht hat den US-Reporter Danny Fenster u.a wegen „Anstiftung zum Aufruhr“ zur Höchststrafe von 11 Jahren verurteilt. So weit so normal! Aber dann reiste Bill Richardson, der Gouverneur von Neu Mexiko an, führte ein persönliches Gespräch mit dem Oberbefehlshaber und Premierminister Min Aung Hlaing und erreichte, dass Fenster drei Tage nach der Urteilsverkündigung in die USA ausreisen durfte. Ob das nur dem Charme und der Eloquenz des Gouverneurs geschuldet war, kann bezweifelt werden, ist aber hier zweitrangig.


Opfer und Befreier


Kurznachrichten – und der Versuch, sie auch kurz zu halten

- Sudan: Der Militärputsch im Oktober, den die Generäle veranstaltet hatten, weil sie um ihre Pfründe fürchteten und die Aufarbeitung ihrer Verbrechen scheuten, ist (zur Abwechslung einmal) gescheitert. Unter dem Druck der Straße setzten sie den alten Premierminister Abdalla Hamdok wieder ein. Ob es gelingt, das Militär komplett von der Macht zu verdrängen, ist mehr als fraglich. Die Frage war im Januar 2022 bereits geklärt: Nach massiven Straßenprotesten trat Hamdok erneut zurück.

- Deutschland: Die SZ hat eine denkwürdige Anekdotensammlung zusammengestellt, die belegt, dass die deutsche Wirtschaft ein massives „Me Too Problem“ hat: Anzügliche Sprüche im Büro, Hände auf Hintern in Konferenzen, Einladungen zu sexuellen Dienstleistungen per Mail sind an der Tagesordnung. Es gibt besonders anfällige Branchen wie die Geldindustrie, und weit verbreitet ist die Verharmlosung sexueller Übergriffe als „Witz“. Und die Täter werden durch den strengen Kündigungsschutz des deutschen Arbeitsrechts vor Entlassung geschützt.


Ohne (weitere) Worte

- Mexiko: In Mexiko wird am „Tag der Toten“ (31. Oktober bis 2. November) mit einem prächtigen Volksfest der Verstorbenen gedacht. Da kommen die Toten aus dem Jenseits an und feiern kräftig mit. Im Bundesstaat Michoacán ging es heuer nicht um Ankunft, sondern um Abgang: Im Zusammenhang mit der Drogenkriminalität wurden 11 Männer erschossen.

- Deutschland: Zum 10. Jahrestag der Enttarnung des NSU-Quartetts gab es harsche Kommentare – zum Versagen der Sicherheitskräfte, zur Blindheit der Gesellschaft, zur Skrupellosigkeit der Helfershelfer.

„Im Prozess trugen sie (die Helfershelfer) ihre Verachtung für den Rechtsstaat wie auf dem Silbertablett vor sich her. Man konnte sehen: Da waren Leute, die auf ihre nächste Chance nur warteten.“

Und als in Zwickau, immerhin jahrelang der Wohnort des NSU, eine Abiturientin einen Vortrag über die Mordserie hielt und ihrer Klasse die Frage stellte, wer vom NSU schon gehört hatte, war die Antwort negativ. Aber das kann man glauben oder nicht!

- Serbien: In Belgrad grüßt von einer Hauswand das Gemälde des Kriegsverbrechers Ratko Mladic, der u.a. für das Massaker von Srebrenica verantwortlich war. Eine Menschenrechtsgruppe forderte die Entfernung des Gemäldes, doch es fand sich kein Malermeister, der bereit war, den riskanten Job zu übernehmen. Da schütteten Aktivisten der Gruppe des Nachts schwarze Farbe auf das Bild, aber schon am nächsten Mittag schrubbte eine Putztruppe der Nationalisten die schwarze Farbe wieder ab. EU-tauglich ist das noch nicht.

- Deutschland: Zum Fall Oury Jalloh, ein Asylbewerber, der 1995 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte, wurde ein neues Brandgutachten veröffentlicht. Der Sachverständige kam dabei zu dem Ergebnis, dass am Tode Jallohs die Polizei, vorsichtig ausgedrückt, „höchstwahrscheinlich“ stärker beteiligt war als bisher angenommen.

- China: Das Land hat einen „Me Too-Fall“ auf die ihm eigene Art angegangen. Die Tennisspielerin Peng Shuai hatte im Kurznachrichtendienst Weibo schwere Vorwürfe gegen einen Vizepremier erhoben. Er habe, Jahre nach ihrer Liebesbeziehung, erneut mit ihr „anbandeln“ wollen – und das ziemlich rabiat. Der Beitrag wurde sofort gelöscht, die Frau verschwand für mehrere Tage in der Versenkung, durfte dann in einem vorgefertigten Mail an den Präsidenten des WTA/Vereinigung der Tennisspielerinnen das Hohelied auf das chinesische Tennis (und wohl auch auf die Partei) singen, führte dann ein Videogespräch mit dem IOC-Präsidenten Thomas Bach, der ihr alles glaubte, was sie ihm (mutmaßlich) vorlügen musste und zog dann im Dezember ihre Anschuldigung zurück. Die Anmache durch den Vizepremier sei nur ein Missverständnis gewesen. Er habe wohl geglaubt, sie sei seine Frau. (Vorsicht: Satire!) Bei uns wird jetzt noch gestritten, was schlimmer war. Die Übergriffe des Vizepremiers oder die Naivität von Bach. Und man eiert herum, wie man die Olympischen Spiele herunterstufen kann, ohne sie gleich zu boycottieren.

Im Dezember war Peng Shuai auf mehreren Videoclips zu sehen, die eine Frau zei-gen, die mit ihrem Leben rundum zufrieden ist.

- Äthiopien: Wegen des Vormarschs der Tigray-Rebellen verhängte Präsident Abiy Ahmed den Notstand. Um die Männer zum Kriegseinsatz zu motivieren, ließ er verlauten: „Für Äthiopien zu sterben ist unser aller Pflicht.“ Nein, meinen wir, ist es nicht!


AI-Nachrichten – muss das sein?

- Folter: Ein entlassener Strafgefangener hat Videomaterial aus einem russischen Knast geschmuggelt. Die Szenen zeigen, wo Gefangene „auf jede erdenkliche Weise gequält werden“. Täter sind nicht nur die Wärter, sondern auch Mitgefangene, die sich dadurch Vorteile erkaufen. Die beschuldigten Beamten sollen zwar entlassen, aber nicht verhaftet worden sein. Ein Haftbefehl wurde gegen den Filmemacher erlassen. Er hat in Frankreich Asyl erhalten, fürchtet aber um sein Leben, denn die Liste der von den russischen Geheimdiensten getöteten Regierungskritiker ist lang.

Ich weiß nicht, für welche Vergehen die internationale Polizeiorganisation Interpol zuständig ist, aber wenn Folter in Gefängnissen dazugehört, dann hat man „einen Bock zum Gärtner gemacht.“. Zum Präsidenten wurde nämlich jetzt Ahmed Naser al-Raisi gewählt, ehemals Generalinspekteur im Innenministerium der Vereinigten Arabischen Emirate. Gegen ihn wurden in mindestens fünf Ländern Klage im Zusammenhang mit Foltervorwürfen eingereicht.

- Menschenrechtsorganisationen: Amnesty hat sein Büro in Hongkong geschlossen. Es sei jetzt „praktisch unmöglich, frei und ohne Angst vor Vergeltungsmaßnahmen der Regierung zu arbeiten“. In Russland droht Memorial, der ältesten MR-Organisation die Auflösung. Sie war eine der ersten Organisationen, die als „ausländischer Agent“ eingestuft wurden und ist jetzt zum Abschuss freigegeben, weil sie ihren Agentenstatus „nicht wie vorgeschrieben in ihren Publikationen und bei Auftritten kenntlich gemacht habe“. Aber hat man Putin je gesehen, wie er ein Schild mit der Aufschrift „Ich habe die Krim annektiert“ mit sich geführt hat?

- Sexuelle Orientierung: In Polens Parlament haben ultrakonservative Fanatiker den Entwurf für ein „Stop LGBT“ Gesetz begründet. Es soll sexuellen Minderheiten öffentliche Auftritte verbieten. Selbst wenn man nie bei einer Regenbogenparade mitmarschieren würde, stehen einem die Haare zu Berge, wenn man hört, dass Homosexuelle Kinder vergewaltigen und missbrauchen und die Demos für die Rechte dieser Minderheiten mit den Aufmärschen der Nazis verglichen werden. Die katholische Kirche in Polen sollte sich ihre „Bundesgenossen“ etwas genauer ansehen.

- Politische Gefangene: Der türkische Unternehmer und Kulturmäzen Osman Kavala bleibt in Haft, obwohl der EuGH für Menschenrechte schon 2019 seine Freilassung gefordert hatte und zehn westliche Botschafter sich im Oktober dafür öffentlich einsetzten. Jetzt könnte die Türkei (mit etwas Verspätung) aus dem Europarat fliegen, aber dazu bedarf es einer Zweidrittelmehrheit, die mit Staaten, die selbst politischen Gefangene „beherbergen“ (Russland) schwer zu erreichen ist. Die zehn Botschafter wurden übrigens zurückgepfiffen und haben versprochen, „sich nicht mehr in die inneren Angelegenheiten ihres Gaststaates einzumischen“. So blieb ihnen wenigstens das Erdrosseln mit einer seidenen Schnur erspart. (Vorsicht: Satire!)

Im Dezember wurde diese Zweidrittelmehrheit tatsächlich erreicht, ob ein möglicher Rauswurf „Präsident Erdogan nachhaltig erschüttern wird, ist eine andere Frage“.


Erfolgsmeldungen – spärlich aber wichtig

- Seenotrettung: Die Sea Eye 4, die vom Bündnis „United4Rescue“, EKD und drei katholischen Bistümern finanziert wird, hat im zentralen Mittelmeer mehr als 400 Migranten von einem überfüllten Holzboot gerettet. Damit waren 800 Menschen an Bord. Nach mehrtägiger Wartezeit durfte das Schiff in Sizilien landen. Ob die Bundesregierung der Bitte vom damaligen Ratsvorsitzenden Bedford-Strom, sich für die Zuweisung eines sicheren Hafens einzusetzen, entsprochen hat, wissen wir nicht. Beim damaligen Innenminister Seehofer lief das Schiff eher unter der Rubrik „illegale Schlepperhilfe“.

- Freilassung: In Missouri/USA wurde Kevin Strickland freigelassen – nach 43 Jahren. Der Richter befand jetzt, dass es keine Beweise gäbe, dass Strickland tatsächlich am Tatort gewesen sei, zudem habe die damalige Hauptzeugin des Überfalls ihre Aussage widerrufen. Selbst die Staatsanwältin feierte die Entlassung und sprach von einem Fehlurteil – ausgesprochen von einer (wohl ausschließlich) weißen Jury. Strickland erhält keine Entschädigung vom Staat, da er nicht auf Grund von DNA-Beweisen entlastet worden war, aber ein Spendenaufruf erbrachte 1,5 Millionen Dolwar. Jetzt möchte er erst einmal raus aus Missouri/nach Hawai.

- Ehrenmedaillen: Ministerpräsident Söder zeichnete 54 Menschen aus, die sich selbstlos für andere einsetzten. Die gibt es, Gott sei Dank, auch noch!

 
Links im Bild: die bayrischen „Nothelfer“ von 2021

Die Frauen – auch dabei, aber wie so oft, für den Fotografen unsichtbar!


Dezember 2021


„Das Vernünftige muss redlich erarbeitet werden,
das Irrationale hat jeder von selbst.“


Heinrich Mann: „Der Hass“


Beim Irrationalen sind wir nahtlos bei den Leuten angelangt, die, statt gemütlich fernzusehen, ein Buch zu lesen, oder gar versuchen, „sich das Vernünftige redlich zu erarbeiten“, am Abend durch die Städte spazieren, die

Querdenker

Wir haben nicht vor, ihnen die Aufmerksamkeit zu schenken, die ihnen nicht gebührt, aber an einige unliebsame Wucherungen dieses vorgezogenen Faschingstreibens möchten wir schon erinnern.

- In Grimma/Sachsen zogen etwa 30 Leute mit „Fackeln, Trillerpfeifen und Trommeln“ vor das Haus der sächsischen Sozialministerin Petra Köpping. Man kann davon ausgehen, dass sie ihr keine Liebesgaben vom Hl. Nikolaus brachten. Treiber der Proteste in Sachsen ist die Partei der „Freien Sachsen“, deren Vorliebe für Fackelzüge historische Vorbilder hat.

- In München führte eine Impfgegnerin einem Polizeibeamten vor, was sie von ihrem Geschichtsunterricht herübergerettet hatte. Sie brüllte in an: „Wie 1933 … Ihr gehört an die Wand gestellt … an die Wand gestellt!“ Viele der Demonstranten glauben allen Ernstes, dass wir an der Schwelle zur Diktatur leben. Gebe Gott, dass sie eine solche nicht einmal im Reinzustand erleben müssen!

- Bei einer anderen Demo in München kündigte der Organisator den Widerstand gegen die Regierung mit der rhetorischen Frage „Wollt ihr aufgeben?“ an. Die Menge jubelte und schrie ein vielhundertfaches „Nein!“ zurück. Und dann verließ sie den Sportpalast in Berlin. (Vorsicht: Schlusssatz ist Satire!)

- Zwei Tage vor dem Hl. Abend demonstrierte in München 5.000 Menschen gegen die Corona-Politik. Im Gegensatz zu den Demonstranten, die in Teilen gewaltsam vorrückten, war die Polizei „fahrlässig“ unterrepräsentiert. Eine Woche später wurde eine Allgemeinverfügung erlassen, die „Spaziergänge“ (ohne Anmeldung) zunächst einmal verbot. In einer Chatgruppe war aufgefordert worden, Messer mitzuführen.

- In Sachsen plauderten Mitglieder einer Telegram-Gruppe davon, den sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer abwechselnd „abzusägen“ und „aufzuhängen“. In Rosenheim drohte ein (angeblicher) Oberfeldwebel den Teilnehmern einer Mahnwache, sie „in Scherben zu schlagen“ und „ihre Leichen auf den Feldern zu verstreuen“.

Sie werden jetzt natürlich zu Recht einwenden, dass da jemand zu oft auf Telegram gewesen sei und sich nur die Gräuelmeldungen herausgepickt habe. Dass aber Gewaltbereitschaft und Hassbotschaften bei einigen Gruppen von Querdenkern eskalieren, ist unverkennbar. Erfreulich ist, dass sich zunehmend die schweigende Mehrheit zu Gegendemos aufrafft. Anfang Januar 2022 gelang es ihr in Unterhaching zum ersten Mal, mehr Menschen zu mobilisieren als die Impfgegner.

- In Miesbach trafen sich am 5. Januar 2022 ca. 50 Teilnehmer zu einer Gedenkveranstaltung für die Todesopfer der Pandemie. Die Polizei freute sich über den problemlosen Einsatz, eine Gruppe von „Spaziergängern“ betrachtete das Geschehen aus der Distanz, griff aber nicht ein/an. Die „Spaziergänge“ am Montag, die einige Teilnehmer bis zum Alkoholverbot für einen Becher Glühwein am Ausschank Lebzelterberg nutzten, haben deutlichen Zulauf, verliefen aber, mit einer Ausnahme, in den Augen der Polizei „entspannt“. Aber wenn man als Normaldenker in Gegenrichtung zu 400 „Spaziergängern“ marschiert und in deren entschlossene (wenn auch nicht aggressive) Gesichter schaut, dann macht man lieber einen Schritt zur Seite – um nicht angesteckt zu werden.


Irrationalismus passt aber auch zu den Betreibern der

Konfliktgebiete

Äthiopien/Tigray: Da er mit seinen Truppen in die Defensive gezwungen wurde, hat Debretsion Gebremichael, der Präsident der Region Tigray, einen sofortigen Waffenstillstand angeboten, so wie es sechs Monate der Präsident von Äthiopien getan hatte, als seine Truppen in der Defensive waren. Begründet hat Debretsion den Vorstoß mit einem Satz, der fast schon wieder rational ist: Es handle sich um einen „nutzlosen Krieg“, den keine Seite gewinnen könne.

Hongkong: In Hongkong waren Parlamentswahlen. Dabei werden allerdings, wie erwähnt, nur 20 von 90 Sitzen über Stimmzettel vergeben, und selbst für diese Mandate müssen die Bewerber „Patrioten“ sein. Die Bewohner Hongkongs haben auf die Wahlfarce auf ihre Art reagiert: die Wahlbeteiligung lag bei 25 Prozent.


Die Säule der Schande – als sie noch stand

In einer Nachtaktion wurde auch die „Säule der Schande“ entfernt. Sie stand nicht vor dem Parlament, wo eine solche Säule durchaus hinpassen würde, sondern auf dem Gelände der Universität und erinnerte an das Massaker auf dem Tiananmen-Platz von 1989.

Myanmar: Im Bundesstaat Kayah, der von einer Minderheit bewohnt wird, fand eines der brutalsten Massaker der Militärjunta statt. Mindestens 35 Zivilisten, darunter Frauen und Kinder und zwei Mitarbeiter der NGO „Save the children“, wurden am
Hl. Abend getötet und in ihren Fahrzeugen verbrannt. Die Opfer waren Katholiken und auf dem Weg zu einem Fest.

Bosnien-Herzegowina: Der Serbenführer Milorad Dodik zündelt in einer Gegend herum, wo das Zündeln Tradition hat und brandgefährlich ist. Er annuliert illegal Gesetze und bereitet die Aufstellung einer eigenen Armee vor. Damit betreibt er die Spaltung dieses ohnehin fragilen Staatsgebildes. Ermutigt wird er von Putin, der alle „Schwachstellen“ Europas nutzt, um den Kontinent zu destabilisieren. Dem sollte man kein Gas abkaufen!

Afghanistan: Die Taliban beginnen, wie zu erwarten war, ihr wahres Gesicht zu zeigen, oder, wie es Präsident Macron in seiner direkten Art formulieren würde, „die Hosen herunterzulassen“. Nach einem Bericht von Human Rights Watch ermorden die Taliban gezielt ehemalige Angehörige von Armee, Polizei und Geheimdienst, obwohl sie ihnen bei der Machtübernahme ein faires Verfahren bzw. eine Generalamnestie versprochen hatten. Kugelführend ist dabei die Terrorzelle der Haqqanis, die in der Regierung das Sagen zu haben scheinen. Auch der AI-Bericht zur Lage der Frauen ist verheerend: Frauenhäuser wurden geschlossen, die Frauen gezwungen, zu ihren gewalttätigen Ehemännern zurückzukehren. Die Mädchen dürfen lediglich die Grundschule besuchen. Im Norden wurde mit Frozan Safi die erste Frauenrechtlerin ermordet. Anrufer hatten ihr eine Falle gestellt und die Chance auf eine Ausreise nach Deutschland vorgetäuscht.


Frozan Safi (+)

Rassismus und Rechtsextremismus

Da wir in der braunen Sauce schon mehrmals umgerührt haben, fassen wir uns zu Weihnachten diesbezüglich extrem kurz.

- Eine AfD-nahe Chatgruppe ist durch „Revolutionsrhetorik“ aufgefallen. Die bayrische Landtagsabgeordnete Anne Cyron soll in einem internen Chat geschrieben haben: „Denke, dass wir ohne Bürgerkrieg aus dieser Nummer (?) nicht mehr rauskommen werden.“ Auf Anfrage erklärte sie, sie habe gar nicht zum Bürgerkrieg aufgerufen, sondern davor gewarnt.“ Ob sie mit diesem Dementi „aus dieser Nummer herauskommt“, ist zu bezweifeln.

- In Schweinfurt standen eine Polizistin und zwei ihrer Kollegen vor Gericht. Auf einem Smartphone fand man einen Kommentar zum Attentat von Halle: Dort habe „man ein paar Dönerboys weggemacht“. Und dazu ein Lachsmiley! Und einiges andere mehr: Verrat von Dienstgeheimnissen, Nötigung, Hausfriedensbruch und Einbehaltung von konfiszierten Drogen. Das Urteil blieb unter der Forderung der Staatsanwaltschaft.

- In Augsburg hat die Stadt eine antisemitische Demonstration genehmigt. Eine islamistische Schule, die einem Netzwerk nahesteht, das von der iranischen Regierung gesteuert wird, hatte einen Autokorso angemeldet, der unter dem Titel „Frieden für den Nahen Osten“ durch die Stadt fuhr. Friedlich war daran nichts: Auf einem Video wurde, vor dem Hintergrund brennender Israel-Fahnen und Steinewerfern im Gaza-Streifen, Hasspropaganda gegen Israel verbreitet.

- Der Bundesgerichtshof hat das milde Urteil des Oberlandesgerichts München gegen den NSU-Gehilfen André Eminger bestätigt, mehr oder weniger bestätigen müssen, da ein Revisionsgericht nur auf Rechtsfehler prüft. Die bereits zitierte SZ-Prozessbeobachterin meinte dazu nur: „Da lachen die braunen Brüder.“

- Und nun zum Sport. Im deutschen Profifußball ist zum ersten Mal wegen rassistischer Äußerungen abgebrochen worden. Beim Spiel zwischen Duisburg und Osna-brück wurde dem schwarzen Stürmer Aaron Opoku von einem Zuschauer zugerufen: „Du Affe kannst eh keine Ecken schießen.“ Beeindruckend waren die Reaktionen von Spielern, Zuschauern und der Stadionregie: die Spieler von Osnabrück zeigten sich solidarisch mit ihrem Mannschaftskollegen, ein Zeuge identifizierte den Tatverdächtigen, die Fans beider Mannschaften skandierten im Gleichklang „Nazis raus“ und auf der Anzeigetafel erschien der Slogan einer Toleranzkampagne des MSV Duisburg.
Der DFB folgte dem Antrag beider Vereine und setzte ein Wiederholungsspiel an. Wir wünschen, dass sie beide gewinnen.


AI-Nachrichten – im Fünferpack

- Politische Gefangene: In Myanmar wurden die ersten Urteile gegen Aung San Suu Kyi verhängt – u.a. wegen Verstöße gegen die Covid-19 Verordnungen. Sie hatte während des Wahlkampfs ihren Anhängern zugewunken, mit Maske und Gesichtsvisier. Sie bekam zunächst einmal zwei Jahre, aber es ist anzunehmen, dass weitere Verfahren folgen werden und sie für den Rest ihres Lebens weggesperrt wird.

In Ägypten erhielt der Blogger Alaa Abdel Fattah weitere fünf Jahre aufgebrummt. Er hatte aus dem Gefängnis heraus eine Sammlung seiner Schriften veröffentlicht und ihnen den Titel „You have not yet been defeated/Ihr habt noch nicht verloren“ gegeben. Genau das aber hat man mit ihm vor: Er soll nicht nur auf Dauer eingesperrt, sondern regelrecht vernichtet werden. Seine Haftbedingungen sind entsprechend.

In Belarus ist Sergej Tichanowski zu 18 Jahren Haft verurteilt worden. Er war im Mai 2020 festgenommen worden, kurz nachdem er seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen bekannt gegeben hatte. Und was macht man mit Widersachern, die eine Chance hätten? Wegsperren, was denn sonst? Der Putin wird’s schon decken.

- Pressefreiheit: In Vietnam wurde die Journalistin Pham Doan Trang zu neun Jahren verurteilt. Man warf ihr „Propaganda gegen den Staat“ vor und „stützte“ sich dabei auf Artikel, die sich mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit befasst hatten: Berichte über einen Konflikt um den Bau eines Militärflughafens, über eine Umweltkatastrophe und über die Religionsfreiheit in Vietnam. Auf der Rangliste der globalen Pressefreiheit liegt Vietnam auf Platz 175 von 180 Staaten. Das erklärt ihren bitteren Ausspruch zur misslichen Lage vietnamesischer Journalisten:

„wenn man ein vietnamesischer Journalist ist, gibt es viele Gründe, traurig zu sein. Aber wenn man seinen Seelenfrieden haben will, sollte man vielleicht kein Journalist werden.“

Auf den Philippinen ist der Journalist Jesus Malabanan mit einem Kopfschuss getötet worden. Er war in Ungnade gefallen, weil er bei einer Reportageserie über den harten Drogenkrieg von Präsident Duterte mitgearbeitet hatte. Malabanan ist damit der
22. Journalist, der seit Amtsantritt Dutertes im Jahre 2016 getötet wurde.

Als weiterer Rückschlag für die Pressefreiheit wurde die Entscheidung eines Londoner Gerichts gewertet, dass Julian Assange an die USA ausgeliefert werden kann, wenn das britische Innenministerium seine Zustimmung gibt. Man habe, so das Gericht, den Zusagen der USA geglaubt, dass Assange seine (möglichen) 175 Jahre nicht in Einzelhaft und sogar in seiner Heimat Australien absitzen dürfe. Seine Anwälte haben diese Sicherheitsgarantie nicht akzeptiert und Berufung eingelegt. Assange ist fürwahr kein Tugendbold – aus Schweden floh er, weil er ein Verfahren wegen Vergewaltigung am Hals hatte -, aber die USA sucht ihn wegen der Aufdeckung mutmaßlicher amerikanischer Kriegsverbrechen. Die Entscheidung in London fiel übrigens am „Tag der Menschenrechte“ und zeitgleich mit der Verleihung des Friedensnobelpreises an die Journalisten Maria Ressa und Dimitrij Muratow (s. Oktober).

- Menschenrechtsorganisationen: Der Oberste Gerichtshof in Russland hat, wie nach der öffentlichen Kritik durch Putin („Einsatz für Terroristen“) zu erwarten war, unsere Partnerorganisation „Memorial“ verboten. Man warf ihr Verstöße gegen das Gesetz über „ausländische Agenten“ vor, die im Wesentlichen darin bestanden, dass „Memorial“ sich einfach weigerte, „ausländischer Agent“ zu sein. Der wahre Grund für das Verbot ist wohl eher, dass „Memorial“ zu viele Verbrechen aus der Sowjetzeit aufgedeckt und die falschen Leute (politische Gefangene) verteidigt hat.

- Todesstrafe: In Japan wurden erstmals seit 2019 wieder Todesurteile an drei Mördern vollstreckt. Dem Justizminister ist abzunehmen, dass die Hinrichtungen „nach sorgfältiger Prüfung angeordnet“ wurden, denn die Männer hatten ihre Taten vor fast 20 Jahre begangen. Ein Regierungssprecher bemühte das Einverständnis der öffentlichen Meinung, die zu 80 Prozent dafür ist, dass die Todesstrafe für „extrem bösartige Verbrechen“ beibehalten werden sollte. Dafür gibt es die Sentenz „Volkes Stimme ist Gottes Stimme“, die ein britischer Anwalt (und wir auch!) in der Diskussion über die Todesstrafe mit Nachdruck in Frage stellt.

„Kein Land hat die Todesstrafe wegen der Ergebnisse von Meinungsumfragen abgeschafft. Dafür brauchte es immer politische Führung.“

- Rüstungsexporte: In letzter Minute hat die alte Bundesregierung, mit dem neuen Bundeskanzler in ihren Reihen, schnell noch zwei heikle Rüstungsexporte nach Ägypten genehmigt, also dahin, wo Abdel Fattah und viele andere einsitzen. Das Leitmotiv der neuen Regierung ist „Mehr Fortschritt wagen“. Jetzt warten wir gespannt, ob das angekündigte Rüstungsexportgesetz mit strengeren Exportkontrollen einen „Fortschritt“ bringt oder wiederum von den emsigen Lobbyisten der Rüstungsindustrie ausgehebelt wird.


Kurzmeldungen – wenn möglich in Form von (längeren) Schlagzeilen

- Tiergartenmord in Berlin: Der russische Täter erhält lebenslänglich, die Tat wird als „Staatsterrorismus“ eingestuft, Putin ist sauer.

- Amoklauf an einer Schule in Oxford/Michigan. Vier tote Kinder. Dazu eine grenzwertige Karikatur:


- Bei US-Drohneneinsätzen mehr zivile Opfer als bisher bekannt.

- Hilferuf aus der Altstadt von Jerusalem. Christliche Priester und Ordensleute ständigen Beleidigungen und Attacken durch jüdische Extremisten ausgesetzt.


Weihnachtssplitter – Erfreuliches und Erheiterndes

- Der Papst hat bei einem Besuch auf Lesbos den Umgang mit Migration als „Schiffbruch der Zivilisation“ bezeichnet. Das Mittelmeer, die „Wiege zahlreicher Zivilisationen“ werde zum „kalten Friedhof ohne Grabsteine“. Bei seinem Besuch in Zypern hat er zugesagt, 50 Migranten die Ausreise nach Italien zu ermöglichen. Zypern hat derzeit pro Kopf der Bevölkerung mehr Flüchtlinge als alle anderen EU-Länder.

- Andrzej Duda, der Präsident von Polen, der bisher den Spitznamen „Notar“ hatte, weil er alle Gesetze der PiS-Regierung abgesegnet hat, hat zum ersten Mal gegen den Stachel Kaczynkis gelöckt. Er hat gegen ein hochumstrittenes Mediengesetz sein Veto eingelegt. Das Gesetz hätte auch einen Fernsehsender betroffen, der einem US-Konzern gehört.

- Bayrische Gerichte haben Urteile erlassen, die ein schärferes Vorgehen gegen die Verharmloser des Judensterns erlauben. Den führen manche Impfgegner bei Demos mit, um auszudrücken, dass sie heute genauso unterdrückt würden wie die Juden durch die Nazis. Die Urteile machen fest, dass auch der Judenstern „sinnbildlich für den gesamten Holocaust“ steht. Die (unterdrückten) Impfgegner wird man natürlich nicht ins KZ stecken, aber sie können als „Holocaust-Verharmloser“ mit rechtsstaatlichen Mitteln verfolgt werden.

- Der Journalist Arne Semsrott hat den „Freiheitsfonds“ gegründet, der Spenden sammelt mit dem Ziel, Häftlinge freizukaufen, die man beim Schwarzfahren erwischt hat und die die fällige Strafe nicht bezahlen konnten. Das betrifft Tausende von Menschen in Deutschland, 58 von ihnen hat Semsrott schon freigekauft. Sein Ziel ist es, den Paragrafen 265a ganz abzuschaffen und die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs kostenfrei zu machen. Das wäre doch auch ein Gebiet, wo die Ampelkoalition „Mehr Fortschritt wagen“ könnte.

- Und wieder hat jemand einen „besonders schweren Diebstahl“ begangen, für den wir viel Verständnis haben. Der Jesuitenpater Jörg Alt hat Lebensmittel aus einem Container geklaut und sich gleich selbst angezeigt. Sein Ziel ist ein Lebensmittelrettungsgesetz, wie es in Frankreich existiert und das Menschen, die Nahrungsmittel „retten“, entkriminalisiert. (Stichwort: „Fortschritt wagen“)

- Weder erfreulich noch erheiternd ist ein Beitrag aus der reanimierten Fernsehserie „TV total“. Da unterhielt sich der Kabarettist Sebastian Pufpaff mit den Politiker Gregor Gysi, wer denn „die schärfste Biene des Bundestags“ sei. Wir Männer müssen einfach lernen, dass manche „Witze“ heute nicht mehr zum Lachen sind.

- Mit uneingeschränkter Schadenfreude haben wir eine Meldung aus den USA aufgenommen: Ex-Präsident Trump wurde von Anhängern ausgebuht, weil er zugegeben hat, geboostert zu sein. Wenn diese Anhänger aus Frust 2024 nicht zur Wahl gehen, dann könnten die USA noch einmal davonkommen.

Wir wollen natürlich das letzte Wort im Dezember nicht an Donald Trump verschwenden. Deshalb zitieren wir aus dem Weihnachtssegen des Papstes folgende Passage: Jeder soll sich einsetzen für „Begegnung und Dialog“, für „Trost und Zuneigung“ und gegen „Mobbing und Missbrauch“. Das ist, so die SZ, „eine ziemliche Herausforderung. Für die Kirche. Für die Hetzer. Für uns alle.“


3. Der Tätigkeitsbericht: das AI-Jahr im Landkreis Miesbach

Auch heuer standen unsere Saal- und Freiluftaktivitäten wieder im Zeichen der Pandemie – und damit stand es mit ihnen schlecht. Und dabei hätten wir in diesem Jahr mit dem 60. Gründungsjubiläum von Amnesty International Grund zum Feiern, besser zum Gedenken gehabt. Bei solchen Jubiläen stellt sich natürlich die Frage, „Was wäre, wenn“ - es Organisationen wie AI oder Human Rights Watch nicht gäbe? Wenn man sich die „Schlagseite“ (auch) dieses Jahresrückblicks in Richtung Negativa vornimmt, drängt sich die Antwort auf, dass die Menschenrechtslage nach wie vor zum Heulen ist, so wie auf der Karte dargestellt, die uns ein unverdrossener Leser mit folgendem Untertitel zugeschickt hat.


Die Hl. Amnestia weint über den Zustand der Welt

Aber dann kam im Januar 2021 ein Mailing mit den AI-Erfolgen des Jahres 2020: In Ägypten wurde die Frauenrechtlerin Amal Fathy freigesprochen, der US-Bundesstaat Colorado schaffte die Todesstrafe ab, im Südsudan wurde das Todesurteil Magai Matiop Ngong aufgehoben.

          
          Amal Fathy                                             Magai Matiop Ngong

Bei den Entscheidungen haben auch andere Faktoren eine Rolle gespielt, aber vorausgegangen ist immer eine (mehr oder weniger) massive Kampagne von Menschenrechtsorganisationen. Deshalb ist die Antwort auf die „Was wäre, wenn“-Frage ein (vorsichtig) selbstbewusstes „Wir haben (vielleicht) dazu beigetragen.“ Das würde die Hl. Amnestia auch so sehen, wenn sie wieder einmal zu weinen aufhört. Und deshalb haben wir auch in Miesbach wieder ganzjährlich zur Feder/zum Kugelschreiber/zu den IT-Geräten gegriffen und „beigetragen“.


3.1 Schreibtischtaten

Dr. Ahmadreza Djalali/Iran (Januar)

Der schwedisch-iranische Arzt mit Spezialgebiet Katastrophenmedizin erlebte seine persönliche Katastrophe im Jahre 2016, als er verhaftet wurde und wegen „Spionage für Israel und Verrat“ im Jahre 2017 zum Tode verurteilt wurde. Anfang des Jahres wurde er in Einzelhaft genommen, im Iran ein Signal dafür, dass eine Hinrichtung unmittelbar bevorstehen könnte. Dr. Djalali gehört zu der Gruppe von Wissenschaftlern, die im Iran mit Forschungsaufträgen betraut sind, häufig Doppelstaatler sind und wegen abwegiger Vorwürfe verurteilt werden. Die letzte Nachricht stammte vom April: Er wurde wieder in eine Gemeinschaftszelle überführt, wo das Risiko einer drohenden Hinrichtung geringer ist. Die Maßnahme mag auch den zahlreichen Protesten gegen das Urteil geschuldet sein. Unser Brief ging an den damaligen Justizbeauftragten und jetzigen Präsidenten Ebrahim Raisi, ein berüchtigter Hardliner, der bei solchen „Gnadenerweisen“ eher eine untergeordnete Rolle gespielt haben dürfte.

Todesstrafe in Südkorea (Februar)

In der Vollversammlung der UN stimmte Südkorea zum ersten Mal für einen Hinrichtungsstopp. Das Land hatte zum letzten Mal 1997 hingerichtet – aber dafür gleich
23 Personen auf einmal. Wir haben, was nicht sehr häufig vorkommt, ein „Glückwunschschreiben“ an den Präsidenten geschickt, das mit dem Satz endete: „Ich werde Beifall klatschen, wenn Südkorea die Todesstrafe (endgültig) abschafft.“ Der Briefschluss scheint den Behörden so gefallen zu haben, dass sie uns in einem aufwändigen Umschlag ein Antwortschreiben zukommen ließen, in dem sie darauf hinwiesen, dass die Regierung in Richtung Moratorium unterwegs sei, dass man aber zuvor in eine Debatte einsteigen und beispielsweise die Meinung des Volkes zur Todesstrafe einholen müsse. Ob das eine gute Idee ist, werden wir sehen. (s. Japan)


Das passiert nicht oft!

Alexej Nawalny/Russische Föderation (Februar)

Unser Brief an den Zaren wurde weder von Putin selbst noch von seinem Botschafter in Berlin beantwortet – und auch nicht ernst genommen. (s. Jahresrückblick)

Shafqat Emmanuel, Shagufta Kausar (Pakistan)

Die Eheleute sine Christen und hatten das zweifelhafte „Privileg“, im Jahre 2014 als erste nach dem Blasphemiegesetz zum Tode verurteilt zu werden. Man hatte ihnen vorgeworfen, SMS verschickt zu haben, in denen Mohammed und der Koran verunglimpft würden. Dabei können die beiden kaum lesen oder schreiben. Beim Prozess sollen die Staatsanwälte dem Richter gedroht haben, sie würden wie „muslimische Krieger“ mit ihm verfahren, wenn er kein Todesurteil ausspräche. Wir haben im April Postkarten verschickt, im Juni wurde das Urteil aufgehoben, im August war das Ehepaar „in einem europäischen Land in Sicherheit“. Das Land könne allerdings „aus Sicherheitsgründen“ nicht genannt werden.

Andrea Sahouri/USA (März)

Zielgenau zum Frauentag wurde in Des Moines/Iowa die Journalistin Andrea Sahouri von der Anklage des „Fehlverhaltens“ freigesprochen. Sie hatte im Mai 2020 eine „Black-Lives-Matter“ Demo journalistisch begleitet und war von der Polizei trotz Presseausweis mit Pfefferspray bedacht worden. Frau Sahouri feierte den Freispruch als Ermutigung für Journalisten „ihren Job zu tun“, während AI-USA auf einen Trend verwies, dass sich Polizeikräfte bei ihrem Einsatz auf Demos zunehmend gravierender Menschenrechtsverletzungen schuldig machten.

Chiou Ho-shun/Taiwan (April)

Chiou befindet sich seit 1989 im Todestrakt und kann jederzeit hingerichtet werden. Er wurde wegen Raubes, Entführung und Mordes zum Tode verurteilt, Sachbeweise wurden nicht erbracht, die „Geständnisse“, nach Chious Aussagen, unter Folter erzwungen. Am 7. April fand ein Protestmarsch von taiwanesischen NGOs zum Palast der Präsidentin statt, auf dem sie aufgefordert wurde, zur Petition vom Vorjahr, in der die Entlassung Chious gefordert worden war, Stellung zu nehmen. Wir begleiteten den Marsch mit einem Brief aus der Ferne, AI-Bremen stellte im November seinen Fall im Rahmen der Aktion „Städte gegen die Todesstrafe“ vor. Weitergehende Überlegungen, beispielsweise der Präsidentin im Austausch für eine Begnadigung die diplomatische Anerkennung Taiwans durch AI-Miesbach anzubieten, sind im Gange. (Vorsicht Satire!)

Vitalina Koval/Ukraine (Mai)

Frau Koval ist Feministin und aktives Mitglied der LGBTI-Gemeinschaft in der Ukraine. Sie hatte zum Frauentag 2018 eine öffentliche Aktion organisiert und wurde von sechs Mitgliedern einer rechtsextremen Gruppe mit Farbe bespritzt, was zu Verbrennungen in den Augen führte. Gegen die zwei Frauen, die den Angriff ausgeführt hatten, wurde Anklage wegen „leichter Körperverletzung“ erhoben. Die Tat wurde nicht als Hassverbrechen bewertet, obwohl die Gruppe auch homophobe Flugblätter geworfen hatte. Der Prozess wurde dann drei Jahre lang verzögert und endete in erster Instanz mit einem Freispruch wegen Verjährung. Darauf forderte der Anwalt von Frau Koval eine Einstufung als Hassverbrechen, und darüber soll Anfang 2022 entschieden werden. In unserem Brief an den Innenminister forderten wir auch, dass Täter, die Hassverbrechen gegen LGBTI-Leute begehen, nicht länger straffrei bleiben.

Nahid Taghavi/Iran (Juni)

Es wurde wieder einmal Zeit für einen Brief an unseren „Lieblings-Hardliner“ Ebrahim Raisi. Auch diesmal ging es wieder um eine Doppelstaatlerin. Die deutsch-Iranerin Nahid Taghavi wurde im Oktober 2020 aus (undefinierten) „Sicherheitsgründen“ festgenommen und in Einzelhaft gehalten. Wie üblich wurde ihr ein Rechtsbeistand ihrer Wahl verweigert. Freund Raisi und seine Justiz reagierten auf unseren Brief wie befürchtet: Im August wurde Frau Taghavi wegen „Beteiligung an einer illegalen Gruppierung und Propaganda gegen den Staat“ zu 10 Jahren verurteilt. Für letzteres gelten übrigens bei Frauen bereits Fotos ohne Kopftuch. Frau Taghavi ist eine von mehreren Doppelstaatlern, die vom Regime (bei Bedarf) als diplomatisches Druckmittel benutzt werden kann.

Hossein Shahbazi, Arman Abdolali/Iran (Juli-November)

Wir haben Mohseni Ejei,den Nachfolger von Raisi als Justizbeauftragter, artig mit „Exzellenz“ begrüßt, aber er zeigte sich genauso wort- und schreibkarg wie sein Vorgänger. Im Juli konfrontierten wir ihn gleich mit drei „Justizirrtümern“ seiner Behörden. Den Fall von Hossein und Arman möchten wir vorstellen, weil er die perfide Strategie der iranischen Justiz zeigt, wie mit weltweiten Protesten umzugehen ist. Beide Männer waren des Mordes angeklagt, zur Tatzeit aber minderjährig. Die Hinrichtung wurde zum ersten Mal im Juli angekündigt, dann nach besagten „weltweiten Protesten“ verschoben – und das sieben Mal, mutmaßlich, weil man die Familie dazu bringen wollte, eine Geldzahlung an die Familie des Opfers zu leisten. Im November wurde Abdolali schließlich hingerichtet.



Wir freuten uns zu früh

Wir wiesen in unseren Briefen mit Nachdruck darauf hin, dass die Hinrichtung von zur Tatzeit Minderjährigen mit der UN-Kinderrechtskonvention kollidiert, aber, obwohl das Papier auch vom Iran ratifiziert wurde, scheint Seine Exzellenz es noch nicht gelesen zu haben. Ob Shahbazi unser Weihnachtsfest überleben wird, ist fraglich.

Sechs Umweltaktivisten/Kambodscha (August)

In Kambodscha gibt es eine Umweltorganisation namens Mother Nature Cambodia. Sie setzt sich für die Bewahrung des Naturerbes ein und kritisiert, dass die Zerstörung der Natur als „Entwicklung“ getarnt wird, die aber nur der Bereicherung der Eliten dient. Sechs ihrer Aktivisten wurden in einem doppelten Gerichtsverfahren zum einen wegen „Aufwiegelung“, dann wegen „Verschwörung und Beleidigung des Königs“ zu kürzeren und längeren Haftstrafen verurteilt. Wir forderten ihre bedingungslose Freilassung aus den überfüllten und Covid-verseuchten Gefängnissen und ein Ende der Verfolgung von Umweltorganisationen.

Todesstrafe in Ghana (Oktober)

In Ghana ist seit 1993 kein Häftling mehr hingerichtet worden, die Todesstrafe wird aber nach wie vor verhängt bei bewaffnetem Diebstahl, Verrat und vorsätzlichem Mord. In einem Brief an den Staatsanwalt wiesen wir auch auf die abstrusesten Fälle unter den Todestraktinsassen hin: Frauen, die ihre gewalttätigen Partner umgebracht hatten und vor Gericht nicht von ihren Erfahrungen berichten durften, Angehörige der Unterschicht, Menschen mit geistiger Behinderung. Im Dezember haben wir dann noch eine Petition mit 54 Unterschriften hinterhergeschickt.

Ali Younesi, Amirhossein Moradi/Iran (November)

Mit dem Studenten Ali Younesi präsentierte der Iran eine andere Form von Geiselhaft. Seine Familie wird verdächtigt zu Beginn der Islamischen Revolution im Jahre 1979 die Volksmudschaheddin unterstützt zu haben, und da nahm man 40 Jahre später den Sohn als Sündenbock mit. Ali wurde bei seiner Verhaftung verprügelt und in Haft gefoltert, um ein Geständnis zu erzwingen. Sein Mitstudent Moradi war bei Straßenprotesten gefilmt worden und erfuhr in Haft eine ähnliche „Behandlung“ wie Younesi. Er scheint im Oktober gegen Kaution freigelassen worden zu sein. In unserem Brief haben wir neben der Freilassung auch gefordert, dass die Schläger und Folterer vor Gericht gestellt werden sollten, aber so wie es im iranischen Strafvollzug läuft, haben sie dafür eher ein paar freie Tage bekommen.

Das war eine Auswahl unserer Schreibtischtaten. Bei schwächeren Schülern stand früher oft ein „hat sich bemüht“ in der Zeugnisbemerkung, und die Lehrer meinten damit, dass der Erfolg eher suboptimal war. Für den Schüler selbst aber war sein ehrliches Bemühen eine beachtliche Leistung. Also gehen auch Sie gnädig mit uns um, nicht zuletzt deswegen, weil wir oft noch nach Jahren erfahren, dass die Briefe doch etwas bewirkt haben – von moralischer Unterstützung bis Verbesserung der Haftbedingungen zu vorzeitiger Entlassung oder Begnadigung.


3.2 Veranstaltungen

Im Vergleich zu 2019, wo wir satte 18 Auftritte und Veranstaltungen bestritten, war das Jahr 2021 ereignisarmes Brachland. Haben Sie deshalb Verständnis, wenn wir unsere diesjährigen Auftritte breitwalzen, damit sie etwas hermachen.

„Nein zu Rassismus“ (23. März)

In den „Wochen gegen Rassismus“, die in Miesbach mit einem aufwändigen Programm und einem breiten Unterstützerkreis begangen wurden, übernahmen wir die Vorstellung rassistischer Vorfälle und Straftaten – am Rathausplatz in Miesbach. Die Vorstellung fand statt, aber den Rathausplatz haben wir wegen der Pandemie durch das Internet ersetzt. Dank versierter Unterstützung durch Herrn Kallup vom Kulturzentrum und unter Mitwirkung eines türkischen Ehepaars stellten wir eine beängstigende Reihung von rassistischen, antisemitischen und rechtsextremen Entgleisungen ins Netz, wo sie übrigens noch heute/Januar 2022 zu finden ist. Im Gegensatz zu den Rassisten hielten wir uns streng an Regeln und Gesetze und vermeldeten im Vorspann, dass „die Aufzeichnung unter Einhaltung der 12. bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung entstand“.

Trotz der komplizierten Choreographie – es durften immer nur zwei Hausstände präsent sein, kam im Aufnahmeraum Stimmung auf, denn von der Wand grüßten die Plakate mit den „Miesbacher Bürgerinnen und Bürger gegen Rassismus“, und auf der Straße zog die Friday for Future-Demo vorbei.


Ein Beispiel aus dem Landkreis: An einer Schule hatten Mitschülerinnen die Hausschuhe eines achtjährigen albanischen Mädchens in den Papierkorb gesteckt. Als die Lehrerin die Sache thematisierte, antwortete man ihr: „Ausländer sind Müll, also gehören die Hausschuhe in den Papierkorb.“

Aktion Schilder-Aufstellen (21. April)

Stadträtinnen der Grünen in Miesbach wollten ein Zeichen setzen gegen die Auftritte des „Stammtisches“, der Miesbach zu einem Hotspot des Demo-Tourismus gemacht hatte und, neben Gemeinderatssitzungen und Geburtstagsfeiern, dafür sorgte, dass Miesbach der einzige Landkreis in Südbayern war, wo die Inzidenzzahl über 100 lag. Als AI ist uns ja Distanz geboten, wenn Veranstaltungen von politischen Parteien organisiert werden, aber diesmal machten wir ohne Skrupel mit, weil das Anliegen nicht nur wichtig war, sondern auch parteineutral formuliert war. Da hieß es: „Gemeinsam gut durch die Pandemie. Sorgen und Ängste ernst nehmen. Wir sind FÜReinander da.“ Und wir sind dabei!

Bei der Auswahl der Bilder bin ich in einem Dilemma. Einerseits sollte man den Schilderwald im Waitzinger-Park sehen, andererseits das schöne Plakat, das Monika Wiegert für uns gestaltet hat. Ich entschied mich für ihr Plakat, den Gruppensprecher daneben müssen Sie in Kauf nehmen.


Querdenker – Nein, danke!

Demo 60 Jahre Amnesty International (29. Mai)

Zur Demo in München ließen sich auch zwei Miesbacher aus dem Coronaschlaf wach rütteln. Die Teilnehmer bestanden hauptsächlich aus Jungvolk, aber auch die beiden Ü-70er wurden freundlich begrüßt. Leider konnten wir mit dem Tempo nicht so recht Schritt halten und fielen immer weiter zurück, bis wir schließlich vor dem Schlussfahrzeug der Polizei landeten. Die Demo verlief sehr diszipliniert, die Beamten der fünf (!) Streifenwagen verlebten einen ruhigen Vormittag. Die Passanten waren mitleidig bis wohlwollend, ein entgegenkommendes Auto begrüßte uns mit einem Hupkonzert – aber nicht, weil wir sie blockierten, sondern weil sie tatsächlich mit uns sympathisierten. Die Organisatoren waren etwas enttäuscht, weil die Miesbacher und Kirchheimer gekommen waren, aber „die Münchner zu Hause blieben“.


 

Erste Präsenzsitzung nach neun Monaten (23. Juli)

Das Bedürfnis nach Direktkontakten war offensichtlich. Es kamen acht Leute, und es gab vier Absagen. Damit war der gesamte aktive Personalstand der Gruppe vertreten. Das Bedürfnis, sich Arbeit zuteilen zu lassen und zündende Ideen zu „50 Jahre AI Landkreis Miesbach“ im nächsten Jahr beizusteuern, hielt sich leider in Grenzen. Wir verbrachten 75 Minuten in Arbeitssitzung und 150 Minuten im Plaudermodus. Allerdings gab es für den etwas verrückten Schwerpunkt gute Gründe: eine Entlassung aus dem Krankenhaus und ein 80. Geburtstag. So etwas zu feiern, ist auch ein Menschenrecht!

Aktivitäten zur Bundestagswahl (August)

Wir wurden von der Zentrale aufgefordert, unsere Kandidaten zu kontaktieren und sie auffordern, „Menschenrechte in den Mittelpunkt ihrer Politik zu rücken“. Genannt wurden die Betätigungsfelder Covid-19, Rassismus, Flucht und Asyl, Klimaschutz, Digitalisierung, Wirtschaft und Rüstung, Außenpolitik und EU, alles Themen, die es verdienen, in den Mittelpunkt gerückt zu werden – auch wenn der Platz um den Mittelpunkt damit etwas eng werden wird. Ein Kandidat hat geantwortet, wurde aber nicht gewählt, ein Kandidat wurde gewählt, bat aber darum, von weiteren Zuschriften verschont zu bleiben.

Infostand in Holzkirchen (9. Oktober)

Mit dem Infostand nahmen wir (kurzfristig) unsere „Freiluftaktivitäten“ wieder auf. Da Wetter war kalt und neblig, und ich beschloss, dass es für mich der letzte Infostand wäre. Dann aber nahm mich der „Zauber des Infostands“ gefangen, das Gefühl eine gute Sache zu vertreten. Wir hatten uns die drei Fälle der bayernweiten Aktion im Juli vorgenommen, die leider immer noch aktuell waren: die kolumbianische Umweltaktivistin Jani Silva (Morddrohungen), die Gruppe El Hiblu 3 (falsche Anschuldigungen) und die iranische Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh (langjährige Haftstrafe).

Zum „Zauber des Infostandes“ gehören auch die Reaktionen der Passanten und Standbesucher. Da gibt es einerseits:
- auf die Frage „Wollen Sie uns unterstützen?“ ein „Nein, danke!“
- ein „Nein!“, das so definitiv klang, als würden wir für Terrorismus und Missbrauch von Kindern werben;
- die Anfrage, ob wir den „Landtag abschaffen“ wollten – das Plakat der Querdenker hing in der Nähe unseres Standes.

Und andererseits:
- Leute, die spenden, aber keine Karten verschicken wollen;
- eine Lehrerin die das ganze Sortiment für ihre Schule mitnimmt;
- die Frau, die sich bedankt, weil wir uns engagieren.

Wir werden 92 Karten los, nehmen 31 Euro an Spenden ein und gehen (überwiegend) mit dem Gefühl nach Hause, dass die Sache recht positiv verlaufen ist – und es vielleicht noch einen weiteren „letzten Infostand“ geben wird.


Wir sind wieder da!

Claus-Peter Reisch: „Flüchtlingsrettung im Mittelmeer“ (Oktober)


Das ist unsere „Unendliche Geschichte“, auf niederschwelligem Niveau genauso „unendlich“ wie das Problem Seenotrettung selbst. Bei uns geht es nämlich nur um Terminkollisionen und Terminverschiebungen. Der erste Termin platzte 2020 wegen Corona, den zweiten Termin versemmelte der Ex-Kapitän, der dritte Termin fiel wieder der Pandemie zum Opfer. Wir wären froh, wenn wir ihn endgültig absagen könnten, weil es dank der Einigung auf eine gemeinsame europäische Asylpolitik das Problem nicht mehr gibt, aber von einer solchen Einigung sind wir weit entfernt. Der vierte Anlauf soll im Frühjahr 2022 stattfinden.

Ausstellung „Grenzerfahrungen“ (November-Dezember)

Wir haben die Ausstellung von Pro Asyl gekauft, und die VHS hat sie uns aufgehängt. Der Merkur hat sie offensichtlich besucht, fotografiert und eine treffliche Überschrift gefunden: „Grenzerfahrungen im Treppenhaus“. Ein Treppenhaus zur Präsentation einer Ausstellung ist von der Dimension her nicht der richtige Platz, aber wenn man an die Enge in den Flüchtlingsbooten und Rettungsschiffen denkt, dann hat ein Treppenhaus für eine Ausstellung doch einen gewissen Symbolcharakter. Wir waren jedenfalls der VHS sehr dankbar für das Angebot und die damit verbundene Arbeit.

Die Ausstellung zeigte auf eindrucksvollen Bildern die Methoden, mit der Europa Flüchtlingsabwehr betreibt, Methoden, die nicht immer mit der Genfer Flüchtlingskonvention, die heuer 70 Jahre alt wurde, vereinbar sind. Ein Geburtstagsgeschenk stellt man sich irgendwie anders vor.

Funken der Hoffnung (Dezember)

Auf Vorschlag eines Gruppenmitglieds, das inzwischen leider nach Husum ausgewandert ist, ermöglichte uns das Gelbe Blatt an vier Sonntagen einen „Adventskalender der anderen Art“ zu veröffentlichen. Wir konnten vier Erfolgsmeldungen aus der AI-Datei vorstellen, gewissermaßen zur Einstimmung auf „50 Jahre AI im Landkreis Miesbach“ und auch als Antwort auf die eingangs gestellte Frage „Was wäre wenn…?“

Zum 4. Adventssonntag erschien das „Gleichnis vom verlorenen Vater“, Hüseyin Galip Kücüközyigit. Er wurde 2019 wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ verurteilt und galt seit Dezember 2020 als vermisst. Seine Tochter startete mit Hilfe von AI eine erfolgreiche Suchaktion. Hier ein Bild aus glücklicheren Tagen:


Vater und Tochter Nursena

Briefmarathon am Gymnasium Miesbach (Dezember)

Ich übernehme Text und Bild von dem Lehrer, der uns derzeit die Tür zum Gymnasium offenhält. Nicolas Klöcker hat heuer zum 3. Mal den Briefmarathon betreut. Ihm und seinem Wahlkurs „Politik und Zeitgeschichte“ unseren herzlichen Dank.

Der Briefmarathon ist sehr erfreulich verlaufen. Die Teilnehmer des Wahlkurses "Politik und Zeitgeschichte" haben 601 Protestbriefe an ai in Berlin weitergeleitet. Beschwerden gab es keine.... ganz im Gegenteil. Im Anhang siehst Du das Foto, das wir in unserem Jahresbericht verwenden und das Du auch gerne weiterverwenden darfst.

Herzliche Grüße aus der Haidmühl
 

Die „Marathonläufer“ vom Gymnasium

Trotz des „ereignisarmen Brachlandes“ haben wir es 13-mal in die beiden Lokalzeitungen geschafft, weil sie zuverlässig über unsere Veranstaltungen, Rückschläge und Erfolgserlebnisse berichtet haben. Wir bedanken uns bei den Redaktionen von Merkur und Gelbem Blatt und erneuern unser Versprechen, „weiterhin mit Nachdruck für ihre verfolgten Berufskolleginnen und Berufskollegen einzutreten“.


3.3 Die Fälle

Narges Mohammadi/Iran


Wir hatten ihr bei ihrer vorzeitigen Entlassung im Oktober 2020 gewünscht, dass „sie wieder ins Leben zurückfindet“ und meinten damit ein Leben, dass außerhalb der Gefängnismauern abläuft. Aber Narges hat sich nicht lange damit aufgehalten, ein „normales“ Leben zu führen, bzw. wie es die Ayatollahs formulieren würden „endlich Ruhe zu geben“. Zu Jahresbeginn 2021 veröffentlichte sie ein Video und eine Erklärung, mit denen sie gegen den Umgang mit Frauen in iranischen Gefängnissen protestierte. Darauf bestellte sie im Februar der Staatsanwalt wegen „Widerstand gegen die Gefängnisleitung“ ein.

Im Mai wurde sie erneut verurteilt: zwei Geldbußen, 80 Peitschenhiebe, zweieinhalb Jahre Haft. An Delikten hatte man zusammengesucht, was sich Narges während ihrer vorausgegangenen Haftzeit „geleistet“ hatte. Die Strafe bezog sich auf einen Sitzstreik, mit dem sie im Dezember 2019 mit Mitgefangenen gegen die Tötung von Demonstranten und die Todesstrafe als solche protestiert hatte und damit „Propaganda gegen das System“ gemacht habe.

Die kurze „Schonzeit“ nutzte sie auf ihre Weise: Sie machte einen Solidaritätsbesuch bei der Familie des hingerichteten Ringerchampions Navid Afkari und wurde von Sicherheitsleuten in Zivil verprügelt, fuhr fünf Tage später in die Stadt Shazand, um die Familie des inhaftierten Menschenrechtsanwalts Mohammadi Najafi zu besuchen. In Shazand ließ man sie nicht einmal in die Stadt hinein. Sie wurde von Agenten in ein Auto gestoßen und einige Stunden „spazieren gefahren“. Im September kündigte sie an, dass sie ihre Haft nicht antreten würde, aber es kam nicht gerade überraschend, dass das von den Behörden so nicht akzeptiert wurde. Im November landete Narges nach (mehr als) unsanfter Behandlung durch Geheimdienstler wieder im Evin-Ge-fängnis. Wir machen uns wieder ans Schreiben, zur Erstürmung des Evin-Kerkers fehlen uns Mandat, Mut und Mittel.

Monireh Arabshahi, Yasaman Aryani/Iran

Bei den beiden Frauen, Mutter und Tochter, handelt es sich um die Blumenverteilerinnen in der U-Bahn in Teheran, die mit der Aktion gegen den Kopftuchzwang protestieren wollten. Das brachte ihnen eine Anklage wegen “Anstiftung zu und Begünstigung von Verdorbenheit und Prostitution“ und eine Mindeststrafe von fünfeinhalb Jahren ein. Inzwischen hat man wenigstens auf die „blumigen“ Umschreibungen verzichtet, denn bei dem Streit um Haftverschonung wegen medizinischer Behandlung, bezeichnete man sie als „Aktivistinnen“ – und nicht mehr als „Frauenverderberinnen“.

Den (schriftlichen) Protest gegen ihre Inhaftierung begannen wir im Januar mit einer Petition an - ja an wen wohl? - den damaligen Justizbeauftragten Raisi. Wir erinnerten ihn an den Appell der sechs UN-Sonderberichterstatterinnen, die im August 2019, also nur einen Monat nach der Verurteilung die sofortige Freilassung der beiden Frauen gefordert hatten. Exzellenz Raisi konnte sich leider nicht erinnern. Am Frauentag 2021 schickten wir ihm einen Brief hinterher, in dem wir auf die bedrohliche Schilddrüsenerkrankung der Mutter hinwiesen. Die Operation fand dann im Juli statt. Dann folgten in kurzer Folge eine eintägige Einweisung ins Krankenhaus ohne medizinische Behandlung, eine Haftverschonung von August bis Oktober und eine Rückverlegung ins Gefängnis vor Beendigung der Behandlung. Verstärkung bekamen wir von zwei Bundestagsabgeordneten der SPD. Sie übernahmen eine politische Patenschaft für die beiden Frauen.

Von der Tochter haben wir nur erfahren, dass sie eine Zahnbehandlung erhielt. Ihr Antrag auf Haftverschonung, um ihrer kranken Mutter beizustehen, wurde abgelehnt. Ihr Vater war naiv genug zu behaupten, dass politische Gefangene schlechter behandelt werden als Drogendealer und Mörder: Die bekämen nämlich Haftverschonung zur medizinischen Behandlung.

Hoo Yew Wah/Malaysia

Im Land ging es heuer drunter und drüber. Deshalb wurde der Einsatz von AI-Ma-laysia für die Abschaffung der Todesstrafe und die Begnadigung der Todeszelleninsassen eher zu einem Randthema. Immerhin: das Moratorium für den Vollzug der Todesstrafe blieb bestehen. Im Oktober erhielt AI-Malaysia Petitionen mit über
50. 000 Unterschriften. Die dortige Sektion hatte auch vor, Workshops und Diskussionen über Hoos Fall zu organisieren.

Hoo ist zwar immer noch in der Todeszelle, scheint aber bei guter Gesundheit zu sein. Auf Grund der Pandemie hat er lange keinen Besuch von Familienangehörigen erhalten. Wir bleiben dran, denn in einer Region, wo seit langem (China, Singapur, Indonesien) oder von neuem hingerichtet wird (Japan), wäre eine Abschaffung der Todesstrafe ein dringend benötigtes Hoffnungszeichen.
 
3.4 Die Gruppe

Von einem Gruppenmitglied habe ich einen kurzen Beitrag zu diesem Jahresbericht bekommen, den ich aus mehreren Gründen gerne übernehme.
- Es kommt äußerst selten vor, dass sich jemand aus der Gruppe in die Abfassung des Jahresberichts „einmischt“. Deshalb bin ich auch für kurze Beiträge dankbar.
- Der Beitrag weist daraufhin, dass die Gruppe sich endlich dem digitalen Zeitalter gestellt hat. Ob sie bereits auf Dauer darin angekommen ist, entscheidet sich in Kürze. (s. unten)
- Und schließlich verrät der Tonfall dieses Beitrags etwas von der entspannten Atmosphäre, die normalerweise in unserer Gruppe herrscht – außer es geht um Gendern, gleiche Bezahlung für Frauen und Männer und dem Vorpreschen der Generation Woke bei den Anträgen zu den AI-Jahresversammlungen.

Hier der Beitrag von Thierry:

„Der Gruppensprecher hat sich das ganze Jahr 2021 (und schon 2020) erfolgreich geweigert, virtuelle Sitzungen abzuhalten. Erst jetzt hat er unter Androhung von Folter -damit kennen wir uns ja aus! – nachgegeben. Er hat seinen PC nachgerüstet/nachrüsten lassen, und im Januar soll die erste Sitzung virtuell stattfinden, sofern die Coronazahlen nicht ins Unendliche gefallen sind.“

Mit Bedauern haben wir, wie bereits erwähnt, den Wegzug eines jüngeren Mitglieds verkraften müssen, aber dafür ist weder von den früheren noch von den aktiven Mitgliedern jemand gestorben. Für den Beitritt von weiteren Mitgliedern, unabhängig von Alter, Geschlecht, Religion und politischer Einstellung (keine AfD!) und deren baldiger „Machtergreifung“ hätten wir nichts einzuwenden. Einige von uns haben an sich ihren Teil geleistet.

3.5 Die Organisation

Wir möchten in dieser Rubrik einige Nachrichten präsentieren, die sich mit dem „Innenleben“ der Großorganisation befassen und die uns abwechselnd wütend, traurig und irgendwie heimatlos gemacht haben, aber manchmal auch ein sanftes Lächeln auslösten.

- Instrumentalisierung: Wütend gemacht hat uns der Aufruf eines Münchner Rechtsanwalts, der im Januar ein Demonstrationsverbot gegen die Querdenker als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ einstufte, seinerseits in München zu einem Protestmarsch aufrief und dabei als Redner auch „Menschenrechtsaktivisten von Amnesty International und Human Rights Watch“ aufführte. Wir sind ziemlich sicher, dass er sich diese Aktivisten aus dem Hut gezaubert hat, denn die Position von AI zur Pandemie ist eindeutig: Wir wollen sie und ihre Folgen für unsere Klientel bekämpfen (Überfüllung der Gefängnisse, Verweigerung von medizinischer Behandlung) und nicht sie fördern.

- Unterdrückung: Traurig gemacht hat uns die Politik der indischen Regierung, die schon im September 2020 alle Konten von AI eingefroren hat, weil AI „über Polizeigewalt in Neu-Delhi berichtet, Folter angeprangert und Diskriminierung von Minderheiten sichtbar gemacht, und sich für Menschenrechtsverteidiger eingesetzt hat“. Im Regierungsjargon hieße die Begründung allerdings etwas anders: „Ai ist eine Organisation, die sich nicht den (harten) Regeln für NGOs unterwirft und deren Finanzierung aus dem Ausland der Geldwäsche dient“. Als Folge der Kontosperrung musste das dortige AI-Büro schließen, und 138 Mitarbeiter standen auf der Straße.

- Ausgrenzung: Zugegeben – das Wort „heimatlos“ ist maßlos übertrieben, aber wenn man manche Anträge zu den AI-Jahresversammlungen liest, dann hat man schon das Gefühl, dass wir hier in Miesbach mit unseren Positionen bisweilen nicht mehr zum Mainstream von AI gehören. Da finden sich auf einer Prioritätenliste des Jahres 2020 beispielsweise die Forderung, dass auf den „Namensschildern die (gendergerechten) Pronomen“ erscheinen und dass die Aufkleber „klein und rund“ sein sollten. Gott sei Dank sind wir nicht allein auf der „Insel der Gestrigen“, die so beharrlich am Kernmandat von Ai festhält. In einem Leserbrief vom Juli heißt es:

„Amnesty ist keine Gewerkschaftsbewegung, setzt sich aber für verfolgte Gewerkschaftler ein. … Amnesty ist keine feministische Bewegung, steht aber für Frauen und Mädchen ein, die ihre Rechte verteidigen. Amnesty ist keine Umweltbewegung, kämpft aber dafür, dass Umweltschützer und Klimaaktivisten vor staatlicher Gewalt geschützt werden.“

- Neuausrichtung: In den Dokumenten zur vorletzten Jahresversammlung findet sich auch ein Beitrag unter dem Titel: „Humor als Mittel der Menschenrechtsarbeit“. Der Autor berichtet von der (geplanten) Teilnahme an einem lokalen Faschingsumzug in Düsseldorf. Die dortigen AI’ler wollten „das närrische Brauchtum aufgreifen und die Narrenfreiheit/Meinungsfreiheit nutzen, um unseren intellektuellen Leuchtturm (was immer das ist) zu verlassen“. Der lokale Umzug wurde abgesagt, aber der Gruppe gelang es, beim großen Rosenmontagszug in Düsseldorf einen politischen Wagen „einzuschmuggeln“, der dem Thema „Kein Platz für Rassismus“ gewidmet war. Warum nicht? Wenn’s hilft!


3.6 Verschiedenes

- Reaktionen: (Galgen)Humor braucht man auch, um eine Antwort der Justizabteilung von Hongkong zu verdauen. Leider wird nicht erwähnt, um welchen AI-Fall es sich handelt, aber dem Verfasser des Mails geht es sowieso nicht um das Schicksal von Justizopfern, sondern um einen Persilschein für das System. Da ist zunächst davon die Rede, dass man durch „absichtliche oder nachlässige Fehldarstellung“ das Justizsystem von Hongkong und das Nationale Sicherheitsgesetz/NSL „beschmieren“ wolle. Und dann versteigt sich der Autor zu der Behauptung, dass „die Menschenrechte und Freiheiten“ der Bewohner Hongkongs „ausdrücklich garantiert“ seien, wenn auch unter Maßgabe des Grundgesetzes. Dieses Grundgesetz garantiere auch faire Gerichtsverfahren. Das NSL wiederum habe „die Ordnung wiederhergestellt“ und „trage zur Stabilität und zum Wohlstand von Hongkong bei“. Und AI sollte sich nicht so haben wegen der paar Verhaftungen! Nein, letzteres hat er nicht gesagt, sondern nur gemeint.

- Briefe gegen das Vergessen: Unser Abo mit den Monatsbriefen sollten Sie sich unbedingt zulegen oder weiterempfehlen. Wenn sie wegen der ständigen Portoerhöhungen davor zurückschrecken, bestellen Sie die Briefe elektronisch. Unser langjähriger Abonnentenbetreuer Thierry Nédélec wird Sie zuverlässig (und mit bretonischem Humor) bedienen.

Einen Fall möchte ich aufgreifen, weil er exemplarisch zeigt, wie breit gefächert die Arbeit von AI ist – und dass wir uns wahrlich nicht bei Pronomen und Etiketten aufhalten sollten. Im März setzten wir uns im Rahmen dieser Aktion für Menschen mit
Albinismus in Malawi ein. Dort sind solche Menschen in ständiger Angst, entführt, verstümmelt oder getötet zu werden. Ihre Körperteile, so der Aberglaube, sollen Glück, Wohlstand und Macht bringen. Seit 2020 wird gegen Albinomörder schärfer vorgegangen, und neuerdings wird sogar die Todesstrafe gegen sie verhängt, aber bisher wird sie wenigstens nicht vollstreckt. Das wäre uns natürlich auch nicht recht.

- Finanzen: Da es dazu nach Aussagen unseres immerwährenden Finanzministers Siegfried Komm nicht allzu viel zu sagen gibt, fange ich mit dem berühmten Zitat aus Goethes „Faust“ an:

„Am Golde hängt, zum Golde drängt, doch alles. Ach wir Armen!“

Ach, werden Sie sagen, so kann doch nur ein Bettelbrief beginnen. Die Antwort ist ein klares „Jein“! Wir sind als Gruppe nicht arm, weil wir auf einen Kreis von beharrlichen Spendern und Förderern zählen können, die es uns ermöglichen, auch ohne Einnahmen aus Märkten und Veranstaltungen, unseren Jahresbeitrag von 2300,- € zusammenzubringen und noch kein einziges Mal mit dem internen AI-Gerichts-vollzieher konfrontiert waren. Ihnen unseren herzlichen Dank! Sollten Sie aber in Ihrem Bekanntenkreis Leute haben, die Geldabsatzprobleme haben, reichen Sie sie bitte an uns weiter. Wir akzeptieren auch Bitcoins – und tauschen sie um.


4. Das Deckblatt
Wie Sie nach zweimaliger Lektüre dieses Jahresberichts sicher bemerkt haben, spielte der 60. Geburtstag von AI in Miesbach eine eher untergeordnete Rolle. Zwei Mitglieder der Gruppe auf einem zweistündigen Fußmarsch zum Rotkreuzplatz in München bei der Mai-Demo – das war’s auch schon. Schuld am verschämten Schweigen war zum einen die Pandemie, zum anderen aber auch die Tatsache, dass AI im Landkreis Miesbach im Jahre 2022 stolze 50 Jahre alt wird. Und dafür, sagten wir uns, müssen wir unsere (noch verbliebenen) Kräfte aufsparen. Geplant sind der Vortrag zur Flüchtlingsrettung, eine Ausstellung über die 50 Jahre und ein Abend mit der Big Band des Gymnasiums und der Kabarettistin Christine Eixenberger. Schauen wir mal, was draus wird. Dazu eine Ausstellung des Kulturzentrums mit Werken unseres verstorbenen Gruppengründers Heinrich Skudlik und, pandemieabhängig, Mitwirkung am Menschenrechtsfestival in Holzkirchen. Aber s. Unterschrift zu
Bild 1: „Schaung ma amoal!“

Um die Gründung von AI vor 60 Jahren wenigstens visuell zu gedenken, haben wir auf dem Deckblatt den Artikel im Observer abgedruckt, der als Startschuss für die Gründung von Amnesty International gilt. Der Initiator Peter Benenson hat in dem Artikel „The forgotten prisoners/Die vergessenen Gefangenen“ zur Bündelung der Kräfte aufgerufen:

„Wenn aber eine einzelne Person protestiert, bewirkt das nur wenig, aber wenn es viele Leute gleichzeitig tun würden, könnte es einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.“


Peter Benenson (1921 – 2005)

Er ist unserer Gruppe auch deswegen sympathisch, weil er später die Entwicklung seiner Organisation (zu Recht oder zu Unrecht) aus kritischer Distanz verfolgte, aber dennoch zum 25. Geburtstag von AI in einer Londoner Kirche eine Kerze anzündete. Wir hingegen bleiben auf Tuchfühlung, sagen aber auch nicht zu allen Beschlüssen Ja und AMEN.

Kontaktadressen und Kontonummer

Fritz Weigl, Wallenburger Straße 28 d, 83714 Miesbach
Tel.: 08025/3895, Fax: 08025/998030,
Mail:fritz.weigl@gmx.de

Bernard Brown, Carl-Weinberger-Str. 5, 83607 Holzkirchen
Tel.: 08024/3502,
Mail:bernard.brown@web.de

Homepage: http://www.amnesty-miesbach.de

Bank für Sozialwirtschaft (BfS) Köln, IBAN: DE 233 70 20 50 0000 80 90 100
Verwendungszweck: Gruppe 1431 Miesbach (Gruppennummer unbedingt mit angeben)