51 Jahre Amnesty International (Landkreis) Miesbach
1. Einleitung
Das Neue Jahr begann mit einem Dreifachknall, wie er dissonanter nicht sein
konnte. In Kiew wurden Wohnhäuser bombardiert, in München (und Miesbach)
verfeuerten die Pyromanen ihre (seit Corona) gehorteten Vorräte an
Feuerwerkskörpern, und in Berlin-Neukölln wurden einige dieser
Feuerwerkskörper nicht in die Luft geschossen, sondern auf Feuerwehr und
Polizei.
Wer jetzt sowas wie Zukunftsangst verspürt, dem sei ein japanisches
Sprichwort mitgegeben, an das der Verfasser dieses Berichts, wenn er ehrlich
ist, auch nicht immer glaubt:
„Sobald man davon spricht, was im nächsten Jahr geschehen wird, lacht der
Teufel.“
Wenn ich es recht verstehe, heißt das, dem neuen Jahr eine Chance zu geben,
es mit Zuversicht/Gottvertrauen anzugehen, die Probleme nicht im
vorauseilenden Angstzustand zu sehen, sondern sich ihnen zu stellen, wenn
sie einmal da sind.
Eine Chance für das neue Jahr wäre natürlich, wenn folgende Herren durch
einen kräftigen Tritt in den Hintern die Weltbühne verlassen und in der
Besenkammer der Geschichte landen würden. Denen würde nur der Teufel
nachweinen.
Aber wer verpasst ihnen diesen Tritt, den Weihnachtsmann soll es ja
angeblich nicht geben?
Markus N.Beeko, Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion, hat zum
Jahreseinstieg ebenfalls den Teufel zitiert mit einem Zitat der Kölner Band
Bläck Fööss, das wir Ihnen aber nicht auf Kölsch zumuten möchten.
„Wir kleben wie der Teufel am Leben, uns nimmt keiner – egal was auch
wird – den Spaß am Lachen, den Bock, was zu machen.“
Der Bock, was zu machen, das sei vorweggenommen, wird voraussichtlich heuer
etwas sprungfaul sein, denn wir leiden an Personalknappheit und werden nur
das machen, was möglich ist, getreu unserem Gruppenmotto, das wir bei den
Münchnern abgekupfert haben: „Was passiert ist gut, was nicht passiert,
passiert eben nicht.“
Aus der Rückschau vom Januar 2024 aus, waren wir gar nicht so „sprungfaul“.
2. Jahresrückblick
Januar 2023
„Was ich nicht mehr schaffe,
hast du eben anderen bestimmt.“
Alexander Solschenizyn
An der Zahl 51 merken Sie, dass wir uns Gedanken über unsere Zukunft machen.
Mit der Gruppe, die letztes Jahr ihren 50. Geburtstag beging, sind auch die
Mitglieder älter gewor-den, und wir zählen unsere Existenz nicht mehr in
Jahrzehnten, sondern in Jahren. Aber noch gibt es uns, und wie es
weitergeht, weiß Solschenyzin.
Wir werden zwar, um den Teufel nicht zum Lachen zu bringen, auf weitere
Vorschauen verzichten, aber eine Rückschau auf das jeweilige Monat ist
erlaubt. Wir beginnen, Sie sind ja nicht in einem Rosemarie Pilcher-Film,
mit den
Konfliktherden
Ukraine – Russland
Unter dem erwartungsfrohen Titel „Die Richter warten schon“ hat sich die SZ
Gedanken gemacht, was man mit Putin und seinen Generälen machen würde, wenn
sie „einmal so leichtsinnig wären, ins nicht Moskau-hörige Ausland zu
reisen“ und ist dabei auf eine juristische Lücke gestoßen. Wegen des
Angriffskrieges, für Außenministerin Baerbock immerhin das „Urverbrechen“,
könnte man die Bande nicht belangen, weil Russland (wie die USA und China)
in weiser Voraussicht nicht dem Gerichtshof in Den Haag beigetreten ist.
Aber eine Anklage wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit ist möglich – und würde für ein paar Jährchen reichen.
Bei einem Angriff auf einen Wohnblock in der ukrainischen Großstadt Dnipro
wurden mindes-tens 46 Menschen getötet. Russland gab an, die ukrainische
Luftabwehr habe die Rakete abgeschossen, und die Trümmer seien auf das Haus
gefallen. Russland greife ja „keine Wohngebäude oder Objekte der sozialen
Infrastruktur“ an. In Russland selbst, wo immer noch 74 Prozent das Vorgehen
der russischen Streitkräfte unterstützen, gab es in einigen Städten vor den
Statuen ukrainischer Dichter vereinzelt Demonstranten, die für die zivilen
Opfer in der Ukraine Blumen niederlegten. Wo die Blumen zu einem Blumenmeer
zu werden drohten, räumte die Polizei sie weg.
Der Schriftsteller Karl-Markus Gauß hat den Russlandverstehern,
Rechtsradikalen und Friedensbewegten, die vor einer „Dämonisierung“
Russlands in den deutschen Medien warnen, ein Zitat von Ex-Präsident
Medwedjew entgegengehalten, wo er sich über die Un-dankbarkeit des Westens
anlässlich der Waffenruhe zur orthodoxen Weihnacht beschwert hatte.
Originalton Medvedjew:
„Selbst das ungebildete Weib Baerbock und eine Reihe weiterer Aufseher im
europäischen Schweinestall haben es geschafft, über die Unzulässigkeit
einer Waffenruhe zu meckern.“
Die Waffenruhe war übrigens trügerisch, die Kampfhandlungen wurden auf
„routinemäßigem Niveau“ fortgesetzt.
Iran
Wir übernehmen die Einleitung zum Thema des Tages in der SZ vom 13.
Januar:
„Die Weltöffentlichkeit hat sich weitgehend abgewandt. Doch der
Widerstand gegen die Herr-schaft der Theokraten geht weiter, trotz aller
drakonischen Urteile und öffentlicher Exekutionen. Frauen gehen ohne
Kopftuch einkaufen, Demonstranten wagen sich vor Gefängnisse, in denen
Todeskandidaten sitzen. Das Regime reagiert mit noch mehr Härte.“
Widerstand: Der Widerstand hat sich weitgehend in die Regionen
verlagert, wo Minderheiten leben und hat dort zu einer Solidarisierung der
Volksgruppen geführt. Aserbaidschaner rufen „Aserbaidschan ist erwacht und
steht hinter Kurdistan“.
Drakonische Urteile und öffentliche Exekutionen: Ali Resa Akbari, ein
ehemaliger Vize-Verteidigungsminister wurde wegen Spionage hingerichtet, der
Aktivist Mohammad Ghobadloo soll wegen „Korruption auf Erden“ an einem Kran
erhängt werden, das gleiche Vergehen lastet man auch dem Journalisten
Jamshid Sharmahd an, der seit mehr als 900 Tagen an einem unbekannten Ort in
Einzelhaft sitzt. Akbari war Doppelstaatler mit britischer, Shar-mahd hat
auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Mitarbeiter einer
Hilfsorganisation, der Belgier Olivier Vandecasteele, wurde in Geiselhaft
genommen, weil in Belgien ein iranischer „Diplomat“ einsitzt, der verdächtig
ist, in Paris einen Anschlag auf iranische Oppositionelle vorbereitet zu
haben – und in Deutschland festgenommen worden war.
Frauen ohne Kopftuch. Offene Haare gehören inzwischen in Teheran
zum Stadtbild, aber das Justizministerium hat verfügt, selbst kleinere
Verstöße gegen die Kleiderordnung streng zu ahnden. Und es wurden Lokale
geschlossen, weil dort Frauen ohne Kopftuch gesehen wurden. Da ist ein 2.
Fall Mahsa Amini bereits vorprogrammiert, und die junge Frau auf dem Auto
wird wohl nicht mehr lange das Siegeszeichen machen.
Handlanger der Mullahs: „Das Mullah-Regime ist immer in der Nähe“
sagt die Lokalpolitike-rin Maryam Giyahchi – aus München. Seit Beginn der
Proteste werden Iraner und Doppel-staatler in Deutschland, die über die
Proteste berichten oder Demos für Frauenrechte im Iran organisieren,
ausgespäht und bedroht. In Berlin kam es sogar zu einem Überfall auf einen
Wohnwagen, der als Protestcamp eingerichtet war. Wenn man solcher Typen
habhaft wird, sollte man „den Mullahs geben, was der Mullahs ist“, also
zügig abschieben. Da würde es mit Sicherheit keine Proteste von Pro Asyl
geben.
Verstörende Nachrichten aus dem Ausland
Israel: Da merkt man schön langsam, was man sich mit den letzten
Wahlen eingebrockt hat, zumindest im „Staat von Tel Aviv“, wo 80 000
Menschen auf die Straße gegangen sind, um gegen die geplante
„Justiz(vernichtungs)reform“ zu protestieren – und, so kann man wohl
hinzufügen, gegen die Steuergeschenke an die Siedler, gegen die Duldung von
ultra-orthodoxen Männern, die weder zur Armee noch zur Arbeit gehen, gegen
die Umwandlung des Staates in eine religiöse Diktatur, vielleicht auch für
eine Perspektive auf einen Frieden mit den Palästinensern.
Myanmar: Ein Zeitgenosse der unangenehmsten Sorte ist der Mönch Asin
Wirathu, der in Myanmar der eifrigste Hetzer gegen die Minderheit der
Muslime ist und zu den Brandstiftern gehört, die den Boden für die
Massenvertreibung der Rohingya bereiteten. Das US-Magazin Time
verpasste ihm den Titel „Gesicht des buddhistischen Terrors“. Anfang Januar
erhielt er von der Junta einen hohen Orden, Buddha Shakya-muni wird sich im
Grab umdrehen.
Afghanistan: Neben dem öffentlichen Vollzug von Körperstrafen ist der
Umgang mit Frauen der abstoßendste Aspekt der Scharia-Gesetzgebung – so wie
zumindest die paschtunischen Männer diese Gesetze auslegen. Die Frau ist
„fast rechtlos und ähnelt mehr einem Besitzge-genstand des Mannes als einem
Individuum“. Die Töchter werden im frühen Pubertätsalter verheiratet, haben
im Hause zu bleiben und dürfen die Ehre der Familie nicht gefährden, indem
sie mit fremden Männern in Kontakt treten – beispielsweise bei ihrer Arbeit
für eine der NGOs.
Das Arbeitsverbot für einheimische Frauen hat nur Verlierer. Die Taliban
bekommen keine Entwicklungshilfe, die NGOs verlieren einen Großteil ihrer
Mitarbeiterinnen und den Zugang zur weiblichen Hälfte der Bevölkerung, die
notleidenden Menschen die Unterstützung durch die NGOs. Eine Mischung aus
Dummheit und Zynismus ist die Begründung, mit der ein Sprecher der Regierung
das Arbeitsverbot rechtfertigte. Die Regierung müsse „die Ehre und Würde der
Frauen schützen“, die in den Büros der NGOs massiv gefährdet seien, weil
sich die Blicke fremder Männer auf die Haare unverschleierter Frauen richten
könnten. „Kein Afghane wird das akzeptieren, selbst wenn er verhungern
muss.“ Er wird nicht so schnell verhungern, denn beim Verhungern
sind ja auch wieder zuerst die Frauen (und Mädchen) dran.
Brasilien: Nah dem Sturm auf die Bastille in Paris (1789), dem Sturm
auf den Reichstag in Berlin (2020) und dem Sturm aufs Kapitol in Washington
D.C. (2021), hat jetzt auch Brasilien einen Angriff von
Radaubrüdern/Radauschwestern auf öffentliche Gebäude erlebt. Etwa 3000
Anhänger des Ex-Präsidenten Bolsonaro schlugen Scheiben ein, verwüsteten
Büros und setzten Teile des Obersten Gerichtshofs unter Wasser. Polizisten
waren kaum im Einsatz und hätten, so Präsident da Silva, den Mob nicht
aufgehalten, sondern nur „begleitet“. Der Gouverneur des Distrikts und sein
Sicherheitschef wurden postwendend ihres Amtes enthoben. Bolsonaro hat den
Angriff pflichtschuldigst verurteilt – nachdem er gescheitert ist. Er lebt
derzeit in Florida, nur 150 Meilen von Donald Trump entfernt. Da können sie
sich leicht zusammensetzen und beraten, wie man es nächstes Mal besser
machen kann.
Wahlkampfparty in Brasilia
USA: Schon wieder wurde ein junger Afroamerikaner Opfer überzogener
Polizeigewalt. In Memphis/Tennessee wurde Tyre Nichols nach einer
Verkehrskontrolle, angeblich wegen „rücksichtslosen Fahrens“ von fünf
Polizisten der Sondereinheit „Scorpions“/Truppe „zur Wiederherstellung des
Friedens in unseren Stadtvierteln“ (!) brutal zusammengeschlagen. Zwei
Sanitäter schauten sich die Sache geschlagene 19 Minuten an, bevor sie
eingriffen, Nichols verstarb drei Tage später an starken Blutungen. Die
Sondereinheit wurde aufgelöst, die fünf Beamten entlassen und des Mordes
zweiten Grades angeklagt. Da es sich bei den Beamten ebenfalls um
Afroamerikaner handelte, ist der Verdacht naheliegend, dass die „Allergie“,
die Teile der Polizei gegenüber jungen Schwarzen entwickeln, unabhängig von
der Hautfarbe der Polizisten ist. Die Proteste blieben weitgehend friedlich,
nicht zuletzt deswe-gen, weil die Mutter von Tyre zu Gewaltlosigkeit
aufgerufen hatte. Die Eltern waren beide Gäste bei Bidens „Rede an die
Nation“. Eine gute Geste, aber ein schwacher Trost!
Randale in Deutschland
Silvesterfeier in Berlin: Einigen wir uns auf den kleinsten
gemeinsamen Nenner, den Bürgermeisterin Giffey vorgegeben hat: So ein
Silvester darf es „nie wieder geben“ – auch wenn wir das schon vor sechs
Jahren nach der Frauenjagd in Köln gesagt haben. Aber dann gehen die
Meinungen auseinander: Sind die „Kiezgladiatoren“ nur testosterongesteuert,
„kleine Paschas“, wie sie in Einwandererfamilien herangezüchtet werden, oder
einfach frustriert über Ausgrenzung und Perspektivlosigkeit?
Auseinander driften auch die Zahlen der Tatverdächtigen. Ging man anfangs
von 145 aus, spricht die Polizei Mitte Januar von 39 Tatverdächtigen, 38
Männern, eine Frau, 14 Personen mit deutscher, 10 Personen mit doppelter
Staatsangehörigkeit. Unbestritten sind das
39 Personen zu viel, aber doch etwas unterhalb der Grenze, die Berlin, nach
Söder, zu einer „Chaosstadt“ machen würde, der man, so Dobrindt, die Mittel
aus dem Länderfinanzausgleich kürzen sollte. Eher ist das Gegenteil richtig.
Wenn wir Schadensbegrenzung betreiben wollen, müssen wir mehr Geld in die
Hand nehmen.
Der Erwähnung wert ist, was Martin Hikel, der Bezirksbürgermeister von
Neukölln, über die Mehrheit der Flüchtlingsfamilien in seinem Bezirk gesagt
hat. Die waren genauso entsetzt über den Gewaltausbruch und betrachten die
Randalierer als „Idioten, die alle in Sippenhaft nehmen“.
Die Putschpläne der Reichsbürger und die Krawalle in Berlin haben die
Innenministerin Nancy Faeser in ihrem Entschluss bestärkt, die Waffengesetze
zu verschärfen: Privatleuten soll der Besitz halbautomatischer Waffen
verboten werden, für den Erwerb von Schreckschusspistolen und Armbrüsten
soll künftig ein Waffenschein nötig sein. Die Reaktion von FDP,
Sportschützen und Reichsbürgern war unisono ablehnend. Faeser kann sich
jetzt raussuchen, ob sie lieber mit der Halbautomatischen eines
Sportschützen oder mit der Armbrust eines Reichsbürgers erschossen werden
möchte.
Die folgende Karikatur hat zwar nichts mit dem Thema, aber doch mit Waffen
zu tun. Und mit dem verbreiteten Gefühl, dass die Welt irgendwie auf dem
Kopf steht.
Räumung von Lützerath: Schon wieder so eine „einerseits-andererseits
Situation“ – und eine gewisse Ratlosigkeit meinerseits. Einerseits der
Kompromiss „fünf Dörfer gegen eins“, der in einer Zeit der Energieknappheit
recht vernünftig klingt, andererseits die Befürchtung, dass die RWE Appetit
bekommen hat auf einen Abbau der Braunkohle über das Jahr 2030 hinaus und
der Kohleausstieg damit in weite Ferne rückt.
Einerseits die Klage der Besetzer, einschließlich eines Mitglieds der
Miesbacher Amnesty Gruppe, über die „einseitige brutale Gewalt“ der Polizei,
andererseits das Protokoll der Polizei, wo nur von „einfacher körperlicher
Gewalt“ die Rede ist. Einerseits die Aussage des NRW-innenministers Reul,
dass es einen gewaltbereiten „schwarzen Block“ gegeben habe, andererseits
sein Eingeständnis, dass in fünf Fällen auch gegen Beamte ermittelt werde
und dass in mindestens einem Fall Polizisten (!) Strafanzeige gegen einen
Kollegen gestellt hätten.
„Meinerseits“ ziehe ich mich auf ein Foto zurück, das den „Abtransport“ von
Greta Thunberg zeigt. Da schaut der Protest und der Umgang damit doch
relativ entspannt aus. Und deshalb wieder einmal Bertold Brecht in leichter
Abwandlung. „Es geht oft anders, aber so ginge es auch.“
Hetzrede in Deutschland: Bei einem Wahlkampfauftritt in der Moschee
in Neuss/auf einem Video auf Twitter hat der türkische Abgeordnete Mustafa
Acikgöz eine Brandrede gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK und die
Gülen-Bewegung gehalten. Sie seien „gottlose Feinde“ der Religion und
versuchten den muslimischen Glauben zu „christianisieren“. Und
„Mit Gottes Erlaubnis werden wir sie, egal wo auf der Welt, aus den
Löchern ziehen, in denen sie sich verkrochen haben und vernichten.“
Da in der Diskussion um den Flüchtlingszuzug immer öfter von Zäunen an der
europäischen Außengrenze die Rede ist, wüssten wir schon einen, den man
nicht mehr hereinlassen sollte.
Chinas geheime Polizei in Deutschland: „Was der Iran kann, können wir
schon lange“ könnten chinesische „Polizeichefs“ sagen, die nach Deutschland
entsandt wurden und in mindestens fünf Großstädten sogenannte
„Servicestationen“ betreiben. Sie wurden angeblich eingerichtet, um
chinesischen Staatsbürgern in Deutschland bei Verwaltungsangelegenheiten zu
helfen, dienen in Wirklichkeit aber deren Überwachung und Einschüchterung.
Bei Dissidenten reicht das bis zu Todesdrohungen. Das Auswärtige Amt ist
erst durch den Bericht einer NGO aufgeschreckt worden, die aufdeckte, dass
die chinesische „Übersee-Polizei“ in Spanien und Serbien versucht hatte,
regierungskritische Exilchinesen zurückzubringen. Jetzt hat das AA, nach
vier Jahren, eine Protestnote an die chinesische Botschaft geschickt und die
sofortige Auflösung dieser Polizeistationen gefordert. Dieser Forderung sind
die chinesischen Behörden bisher/Mai 2023 nicht nachgekommen.
Der Eindruck drängt sich auf, dass wir uns von den Chinesen schon ziemlich
viel gefallen lassen. Wenn Deutschland so etwas in China betreiben würde,
wären die „Polizeibeamten“ schon längst in den „Berufsschulen“ von Xinjiang
zur Umerziehung.
Morgenluft für die AfD: Im BR24-Bayerntrend erzielte die AfD mit 13
Prozent ihr bisher bestes Ergebnis im Freistaat und stieg damit zur
drittstärksten Partei auf. Das Ergebnis der Umfrage gefeiert hat sie
vermutlich am 30. Januar. Da hat Hitler vor 90 Jahren die Macht ergriffen.
AI-Meldungen
Politische Gefangene: Um Russlands bekanntestem Häftling Alexej
Nawalny die lange verweigerte aber auf Grund seines Gesundheitszustands
dringend benötigte medizinische Behandlung zukommen zu lassen, haben mehr
als 600 russische Ärzte einen Brief an Putin unterschrieben. Und siehe da –
jetzt bekommt er ein Antibiotikum und hatte sogar den Besuch eines
Chefarztes. Ob, wie auch gefordert, seine Einzelhaft beendet wurde, ist
unge-wiss. Was er zu dieser Einzelhaft zu sagen hat, treibt einem die Haare
zu Berge.
„Alles, was ihr lest über den Horror und die faschistischen Verbrechen
unseres Gefängnissystems, das ist alles die Wahrheit. Mit einer
Richtigstellung: Die Wirklichkeit ist noch schlimmer.“
Versammlungsfreiheit: Damit man ihm bei solchen Sachen nicht auf die
Finger schaut, hat Putin jetzt durch seine hörigen Richter die
Helsinki-Gruppe, die älteste Menschenrechtsorganisation des Landes, auflösen
lassen. Sie habe, obwohl nur für die Region Moskau zugelassen, auch darüber
hinaus gearbeitet, wo doch jeder weiß, dass es außerhalb Moskaus nicht zu
Verletzungen der Menschenrechte kommen könne. Vielleicht lag der wahre Grund
für die Zwangsauflösung darin, dass sich die Gruppe schwerpunktmäßig für die
Rechte von Kriegsdienstverweigerern und Wehrpflichtigen eingesetzt hat, und
solche „Weicheier“ braucht man in Kriegszeiten nicht zu verteidigen.
Todesstrafe: In Missouri/USA wurde zum ersten Mal ein Transgender
hingerichtet. Amber McLaughlin, damals noch Scott MCLaughlin, hatte 2003
seine Ex-Partnerin vergewaltigt und ermordet. Scott hatte als Kind alles
erlebt, was ein Kind nicht erleben sollte und hatte massive psychische
Probleme. Diese strafmildernden Umstände wurden von einem Teil der Jury und
dem Richter nicht berücksichtigt.
Abschiebehaft: Um Abschiebungen durchzusetzen, dürfen Flüchtlinge
nach dem Gesetz auch in Haft genommen werden. Das soll aber die Ausnahme
sein, etwa wenn Fluchtgefahr droht. Und sie ist, wenn es sich nicht um
Straftäter und Gefährder handelt, auf die „kürzest mögliche Dauer“ zu
beschränken. Oft aber wird die Ausnahme zur Regel, Bayern beispielsweise
steckt vier von zehn Abzuschiebende in Haft. Und es ist vorgekommen, dass
einzelne Flüchtlinge in der Haft vergessen wurden, obwohl ein Gericht ihre
Freilassung angeordnet hatte.
Asyl: Im Jahresbericht von 2022 haben wir eine Karikatur abgedruckt,
die den Abwurf von Asylbewerbern über Uganda zeigt. Großbritannien wollte
damals das Flüchtlingsproblem „auslagern“. Dänemark hatte ebenfalls den
Plan, ein dänisches Aufnahmezentrum in Ruanda einzurichten, wartet aber
jetzt erst einmal ab, ob sich die EU zu einer gemeinsamen Asylpolitik
aufraffen wird. Gerüchte, die EU sei bereits in Verhandlungen mit Jeff Bezos
eingetreten, um ein solches Zentrum auf dem Mond zu betreiben, entbehren
jeglicher Grundlage (Vor-sicht Teilsatire!).
AI-Probleme von eher sekundärer Wertigkeit: Da der Gruppensprecher
und Teile der Gruppe bei manchen Fragen eher „retro“ sind, zuckten wir bei
der Einladung zu einer AI-Mitgliederkonferenz etwas zusammen, als darin
gebeten wurde, für die Namensschilder das selbstgewählte Pronomen abzugeben.
Ein jüngeres (und aufgeklärteres) Mitglied unserer Gruppe erläuterte uns
dann, dass das neben „er, sie“ auch ein „mensch, dey“ sein könne. Weil wir
aber nicht so recht wissen, wer wir sind, werden wir nicht zur Konferenz
fahren.
„Eure Sorgen möchten wir haben“, sagen da die Frauen im Iran und
Afghanistan, die Menschen in den Kriegsgebieten, die Flüchtlinge im
Mittelmeer, die deutschen Landratsämter, die Klimaaktivisten, die Long-Covid
Kranken, die beiden Kirchen in Deutschland - und die Erdbebenopfer in Syrien
und der Türkei.
Februar 2023
„Putin,
Teufel, den Haag – wie reimt sich das zusamm?
Der Putin hat scho stets gern g’strittn,
vor am Jahr hat’n da Teifi g’rittn,
einst muaß a in Den Haag um Vergebung bitt’n. –
So reimt sich das zusamm."
Bruderkuss
Kein Jahrestag zum Feiern
Der Krieg in der Ukraine, zu dem Putin vor
einem Jahr die Messer zu seiner „Spezialoperation“ angesetzt hat, nahm in
diesem Monat so viel Platz ein, dass wir uns auf (längere) Kurz-meldungen
beschränken, die alle zum Heulen, aber einige auch zum Kopfschütteln sind.
Rechenschaftsablage: Das „einst in Den Haag“ kann noch dauern. Um
eine Anklage wegen Angriffskrieg zu erheben, wäre nach geltendem Recht
derzeit die Zustimmung Russlands nötig - und da müsste Putin vorher noch
„zum Teufel gehen“. Deshalb hat man ein Sondertribunal vorgeschlagen, um
die Regeln zu umgehen, die in Den Haag gelten. Die Chancen dafür die
Zustimmung der UN-Vollversammlung zu bekommen, sind eher gering.
Kriegsziele: Wenn man von der deutschen Querfront einmal absieht,
die der Ansicht ist, dass Putin einen Verteidigungskrieg gegen die USA
führt, herrscht bei uns eher die Meinung vor, dass es ihm um die
Einverleibung der Ukraine in das großrussische Imperium geht. In der
Präsentation der westlichen Kriegsziele gibt es gewisse Nuancen: Macron
und Biden propagieren eine „Unterstützung bis zum Sieg der Ukraine“,
Bundeskanzler Scholz sagt, Russland dürfe „den Krieg nicht gewinnen“. Ganz
sicher, so die
SZ,
„wird dieser Krieg nicht enden mit einer ukrainischen Militärparade
durch Moskau“.
Segen der Kirche: Patriarch Kyrill, von Papst Franziskus gewarnt,
er solle sich nicht zum „Messdiener Putins“ machen lassen, hat seinen
Geistlichen ein Gebet vorgegeben, in dem Gott aufgefordert wurde, sich „zu
erheben“ und dem (russischen) Volk „durch seine Kraft den Sieg zu
schenken“. Vater Johann Kowal, Priester der Diözese Moskau hat in einer
Predigt das Wort „Sieg“ durch „Frieden“ ersetzt, wurde von
Gemeindemitgliedern denunziert, darf bis auf Weiteres keine Gottesdienste
mehr halten und wird von einer Disziplinarkommission durchleuchtet.
Erinnert verdächtig an Ereignisse in der Nazizeit, und man frägt sich
schon, ob es tatsächlich die Ukraine ist, die man „entnazifizieren“ muss.
Propaganda: Man hat in den russischen Fernsehstudios einiges zu
tun, um die Bevölkerung zu Kriegsbefürwortern umzuerziehen, und man ist
nicht wählerisch in der Wahl der Mittel. Da denkt man laut darüber nach,
welche westeuropäischen Hauptstädte man mit Atombomben angreifen könne, ob
Selenskij nur ein Jude oder schon der Antichrist sei und dass der
„hanseatische Nazi“ Scholz vor ein Gericht à la Nürnberg gehöre. Und der
russischen Jugend redet man ein, dass sie ruhigen Gewissens 30 Jahre vor
der Zeit sterben könne, vorausge-setzt der Tod sei ehrenvoll. Im Herbst
schlug ein Journalist allen Ernstes vor,
„ukrainische Kinder, die keine Russen sein wollten, in einem Fluss zu
ertränken – und ungewöhnlich war nur, dass er darauf gefeuert wurde“.
Forderung nach „unsauberen“ Waffen: Im Juni 2022 hat AI den
russischen Streitkräften vorgeworfen, Streubomben auf Zivilisten geworfen
zu haben. Jetzt hat auch die Ukraine die Lieferung von geächteten Waffen
gefordert. Sie würde sie allerdings nur gegen die russischen Streitkräfte
und auf ihrem eigenen Staatsgebiet einsetzen. Und ein Einsatz sei
rechtlich zulässig, weil die Ukraine (wie Russland, China und die USA) das
Oslo-Abkommen, das diese Waffen verbiete, nicht unterzeichnet habe.
Unabhängig von der Frage, ob es überhaupt saubere Waffen gibt, sollte man
sich mit der Lieferung solcher Waffen nicht die Finger schmutzig machen –
nicht die eigenen und nicht die der Ukraine.
Zwei Reden
Präsident Putin hielt vor einer ausgewählten Menge von Claqueuren eine
Rede zur Lage der Nation, die über 105 Minuten (fast) nichts Neues
enthielt. Der Westen sei für den Krieg verantwortlich, wolle Russland den
Garaus machen, die Ukrainer seien Geiseln des Kiewer Nazi-Regimes. Auch
das Recht auf die gleichgeschlechtliche Ehe im Westen stelle einen Grund
für den Waffengang dar. Und schließlich kündigte er an, er lasse den „New
Start“-Vertrag ruhen – vermutlich, weil er zum gegenwärtigen Zeitpunkt
keine amerikanischen Inspektionsbesuche seines Atomwaffenarsenals brauchen
kann. Der schrägste Satz der Rede lautete: „Die Wahrheit ist auf unserer
Seite.“
Präsident Biden hielt wenige Stunden später vor dem Warschauer
Königsschloss eine vielbeachtete Rede, in der er die (wiedergewonnene)
Einigkeit der NATO herausstellte, ein Loblied auf die Demokratien sang und
neue Sanktionen gegen Russland und weitere Unterstützung der Ukraine
ankündigte. Zwar ging er nicht auf Putins Rede ein, ging ihn aber so
direkt an, dass eine CNN-Korrespondentin meinte, „er habe Putin regelrecht
verdroschen“.
Und ein „Friedensplan“: China hat seine „grenzenlose Freundschaft“
zu Russland mit einem Friedensplan unter Beweis gestellt, der in weiten
Teilen wie eine Auftragsarbeit Putins aussieht. Zwar hält man an der
„territorialen Integrität aller Länder“ fest, (wobei Taiwan sicher nicht
mitgemeint ist) und warnt vor dem Einsatz von Atomwaffen, aber damit sind
die Ansagen an die Adresse Moskaus schon beendet. An die Ukraine und den
Westen gerichtet, fordert Peking die Ernstnahme der „legitimen
Sicherheitsinteressen aller Länder“ (wobei Taiwan sicher nicht mitgemeint
ist), kritisiert die Waffenlieferungen des Westens, verlangt ein Ende der
Sanktionen, die nicht vom UN-Sicherheitsrat genehmigt wurden und übergeht
dabei, dass das russische und chinesische Vetorecht in diesem Gremium jede
Sanktion verhindern würde. Und an keiner Stelle wird erwähnt, dass es
einen Aggressor und ein Opfer gibt.
Zum Jahrestag des Kriegsbeginns haben fast alle westlichen Botschaften in
Peking ukrainische Flaggen aufgezogen oder ihre Vertretung in gelber und
blauer Farbe angestrahlt. Da werden die Botschafter wohl bald in
uigurischen Umerziehungslagern landen.
„Der Tag der großen Geste“ (Merkur): Einen Tag vor der Rede Putins
reiste Präsident Biden nach Kiew, um demonstrativ seine Solidarität mit
der Ukraine zu bezeugen. Zeitweise gab es Luftalarm über der ukrainischen
Hauptstadt, aber da man Moskau über die Blitzvisite informiert hatte,
könnte das auch ein passender Willkommensgruß der Ukraine für den
amerikanischen Präsidenten gewesen sein.
Kriegsendeprognose eines deutschen Strategen
„Aus diesem Krieg gehen die Ukraine und Russland als Verlierer hervor.
Es gibt wieder nur einen Gewinner. Und dieser Gewinner heißt USA.“
(Tino Chrupalla im Bundestag)
Zwischenruf Saskia Eskens: „Geht’s noch?“ Da könnte man sich eine
schärfere Reaktion vorstellen.
Auf dem Basar der EU: Wir kehren im Sturzflug in die Niederungen
der EU-Politik zurück. Da mussten wegen eines Zollstreits mit der Slowakei
deutsche Raketenwerfer, die nach einem Einsatz in der Ukraine gewartet
werden mussten, auf einem über 2500 Kilometer langen Umweg über Polen nach
Deutschland gebracht werden, obwohl es ein slowakisches Wartungszentrum in
unmittelbarer Nähe der ukrainischen Grenze gäbe. Die Slowakei aber
verlangt, dass
„bei Einfuhr aus dem Nicht-EU Staat Ukraine, einer Reparatur im EU-Land
Slowakei und der Rückführung in die Ukraine Zoll zu zahlen sei, da durch
die Reparatur und durch neue Teile eine Veredelung stattfinde“.
Wer solche Freunde hat, braucht auch vor seinen Feinden keine Angst zu
haben. (
Vorsicht Teilsatire!)
Weitere Brennpunkte
Iran
Größere Demonstrationen sind selten geworden, da, wie zu befürchten war,
der iranische Sicherheitsapparat wieder mit gewohnter Brutalität arbeitet.
Aber es klimmt immer noch „Feuer unter der Asche“. So haben
Arbeiterverbände, Menschenrechtler und Studierende jetzt gemeinsam eine
Charta veröffentlicht, die Meinungsfreiheit, die Gleichstellung von Mann
und Frau, die Anerkennung der LGBT-Gemeinschaft, aber auch sichere
Arbeitsbedingungen und sofortige Lohnerhöhungen einfordert. Und Frauen,
die gegen die Kleiderordnung verstoßen, gehören (immer noch) zum
Straßenbild.
„Anstiftung
zur Prostitution“
Im
Sommer 2021 verschafften sich Hacker Zugang zu den Überwachungskameras des
Evin-Gefängnisses in Teheran. AI hat die Videoaufnahmen analysiert. Sie
zeigen, wie Gefängniswärter Häftlinge misshandeln, wie sich Gefangene
gegenseitig angreifen oder versuchen, sich selbst zu verletzen. Berichte
von Gefangenen, die während der aktuellen Unruhen inhaftiert wurden,
liefern ein ähnliches Bild, aber eher noch eine Spur grausamer. Die
Demonstranten sollen in Haft gebrochen werden, mit physischer und
psychischer Folter, die weiblichen Gefangenen zusätzlich mit
frauenspezifischer Gewalt.
Ins Visier der Justiz geraten ist auch der Deutsch-Iraner Jamshid
Sharmahd, der von einem Revolutionsgericht zum Tode verurteilt worden ist.
Er soll Mitglied einer Oppositionsgruppe sein, die die Rückkehr zur
Monarchie befürwortet (worauf die Iraner verzichten können!), und er wird
für einen Anschlag auf eine Moschee in der Stadt Shiraz mitverantwortlich
gemacht. Im Iran sagt man zu solchen Delikten „Korruption auf Erden“,
obwohl für Korruption eher die Revolutionsgarden zuständig sind. Sharmahds
Vita mag nicht so eindeutig sein wie die mancher iranischer
Menschenrechtsaktivisten, aber sein Prozess und dessen Vorgeschichte
(Entführung aus Dubai, erfoltertes Geständnis) waren krimineller als
(vielleicht) er selbst. Friedrich Merz übernahm für Sharmahd eine
„politische Patenschaft“, das Auswärtige Amt hat den Gesandten Teherans
einbestellt und zwei Mitarbeiter der Botschaft ausgewiesen. Ob sich
letztere beim Zwischenstopp mit den zwei deutschen Kollegen getroffen
haben, die ihrerseits aus dem Iran ausgewiesen wurden, ist eher
unwahrscheinlich. Sharmahds Hinrich-tung schien Anfang März unmittelbar
bevor zu stehen.
Jemen: Der Bürgerkrieg im Jemen gehört für uns zu den vergessenen
Konflikten, aber was jetzt über das Leben der Frauen, die in
Huthi-Gebieten wohnen, bekannt wurde, erinnert an ein Land, dem wir gerade
viel Platz gewidmet haben. Die Huthis werden von den Mullahs des Iran
unterstützt, und wenn irgendwo „Iran“ draufsteht, kann man sicher sein,
dass für Frauen auch „Iran“ drin ist. Und während das Land mit dem Hunger
kämpft, überdenken die Huthis die Kleiderordnung – der Frauen. Verboten
sind jetzt Gewänder, die auffallen oder aufreizen könnten, Verzierungen,
Muster oder Farben haben, was Schönes halt! Das Kopftuch beim Gang zu den
Behörden muss bis zur Hüfte gehen, damit die Beamten nicht auf dumme
Gedanken kommen.
Israel – Palästina: Die Region ist (wieder einmal) weiter denn je
vom Frieden entfernt. Dabei könnte man heuer einen 30. Jahrestag feiern.
Nach Geheimverhandlungen in Oslo wurde 1993 in Washington von Israelis und
Palästinensern die „Prinzipienerklärung über die vorübergehende
Selbstverwaltung“ unterzeichnet, die als „Meilenstein im Friedensprozess“
bezeichnet wurde. Eine weitere Meile ist man nicht mehr gegangen – ganz im
Gegenteil.
- Nablus/Westjordanland: Bei einem israelischen Militäreinsatz, die drei
Terrorverdächtigen galt, wurden die drei Männer getötet. Während der
Aktion gerieten die Militärs unter Beschuss und töteten weitere zehn
Palästinenser.
- Huwara/Westjordanland: Dort rammte ein Palästinenser das Auto von zwei
israelischen Brüdern und erschoss sie aus nächster Nähe. Ein paar Stunden
später fiel eine Horde von Siedlern in der Kleinstadt ein und zündete
Häuser und Autos an. Militante Palästinensergruppen feierten den Mord an
den beiden Israelis als Vergeltung für einen blutigen israelischen
Militäreinsatz in Nablus, ein israelischer Abgeordneter hingegen war mit
dem Vorgehen des Mobs „sehr zufrieden“.
- In einer Stellungnahme des UN-Sicherheitsrates wurde die Legalisierung
von neun Siedlungen in den Palästinensergebieten durch die israelische
Regierung deutlich kritisiert. Die USA verhinderten zwar eine schärfere
Resolution, stimmten aber der zweiten Version des Textes zu.
Ministerpräsident Netanjahu war darüber nicht „amused“.
Flüchtlinge
Als
Problem: Kommunalpolitiker sind wegen der hohen Flüchtlingszahlen in
Sorge. Es fehlt an Wohnraum, Turnhallen drohen statt zu einer Notlösung
eine Dauerlösung zu werden, man greift auf Zelte und Container zurück. Und
wo Dörfer mit einer größeren Zuweisung zu rechnen haben, nehmen
selbsternannte Vertreter des Volkszorns die Sache auf ihre Art in die
Hand. So wurde eine noch leerstehende Zeltunterkunft in
Marklkofen/Niederbayern prophylaktisch gleich zweimal angezündet. Auch
manche Helferkreise weisen Ermüdungssymptome auf. Die Gegenstimmen kommen
u.a. aus kirchlichen Kreisen: „Selbst in konservativen Gemeinden auf dem
Land“, so ein Mitarbeiter eines kirchlichen Flüchtlingsdienstes, „gäbe es
eine hohe Akzeptanz für geflüchtete Menschen.“
Als Objekt der Politik: in Brüssel traf man sich zu einem
Sondergipfel, der deutlich auf Abschreckung (der Flüchtlinge) setzte.
Dabei war schon nicht mehr strittig, dass es an den Außengrenzen mehr
Zäune geben müsse, sondern nur noch, ob diese Zäune aus dem EU-Haushalt
finanziert werden dürfen. Die Vorgabe ist jetzt ein waschechter
EU-Kompromiss: Zäune nein, Grenzschutzinfrastruktur ja. Einig war man
sich, dass man auf die Herkunftsstaaten mehr Druck ausüben wolle, wenn sie
sich weigern, abgelehnte Flüchtlinge zurückzunehmen, doch als
Bundeskanzler Scholz vorbrachte, dass man auch über Wege legaler
Zuwanderung sprechen müsse, war er in der Minderheit. Zu denken gibt, dass
sowohl Italiens Meloni wie auch Österreichs Nehammer von einem „großen
Sieg“ und einem „echten Durchbruch“ sprachen.
Als Opfer: Da wollen wir uns gar nicht bei den „kleinen Paschas“
von Friedrich Merz aufhalten. Es können ja nicht alle solche Musterschüler
wie er sein. Vor der Küste Kalabriens spielte sich erneut eine
Flüchtlingstragödie ab. Man weiß nicht genau, wie viele Personen auf dem
Boot waren, 80 konnten gerettet, 66 nur noch tot geborgen werden. Die
Küstenwache griff erst ein, nachdem das Boot gekentert war. Die Regierung
Meloni reagierte auf das Drama auf ihre Art. In Zukunft dürfen NGOs nur
noch eine Rettungsoperation pro Mission durchführen und müssen
anschließend einen sicheren Hafen (z.B. in Norditalien) ansteuern. Und auf
dem Weg dorthin dürfen sie keine neuen Migranten aufnehmen, auch wenn
diese in Seenot sind.
Zerschellte Hoffnungen
Aus Deutschland kamen im März etwas widersprüchliche Nachrichten – je nach
Ministerium: Das Innenministerium (SPD) kündigte an, einige Überlebende des
Unglücks aufzunehmen, das Verkehrsministerium (FDP) möchte Schiffe mit
„politischen und humanitären Aktivitäten“ aus dem Freizeitbereich (!)
nehmen, was für die Seenotrettungsorganisationen mit enormen Mehrkosten
verbunden wäre.
Großveranstaltungen – kurzgefasst
Sicherheitskonferenz in München: Da war man natürlich zuvorderst um
die Sicherheit der Konferenzteilnehmer besorgt. Es waren 4800 Polizisten im
Einsatz, mit Hunden und auf Pferden – Elefanten waren unseres Wissens nicht
dabei. Das massive Polizeiaufgebot hatte sich gleich mit drei
Großdemonstrationen auseinanderzusetzen, deren Teilnehmer sich nur
gelegentlich miteinander prügelten.
- die Querdenker und Russlandversteher auf dem Königsplatz: Da sprach der
Linke Dieter Dehm schon einmal von „ukrainischen Killerbanden und
Nazi-Faschisten“, da bekam der Ex-CDU’ler Jürgen Todenhöfer nur sparsamen
Applaus, als er den Einmarsch Russlands in die Ukraine kritisierte, hörte
aber Jubelrufe, als er die Schuld am Krieg dem Westen anlastete. Und beim
Lied „Ami go home“ fing die Menge zum Schunkeln an.
- das linke Anti-Siko-Aktionsbündnis auf dem Stachus: Diese Veranstaltung
begann mit Schweigeminuten für die Opfer von Kriegen und Erdbeben, die
Plakate wie „Frieden schaffen ohne Waffen“ waren allgemein gehalten, und der
Organisator Claus Schreer „grenzte sich deutlich gegen Nationalisten ab“.
Radikaler geht es erst auf dem Marienplatz zu, als die Linke Sevim Dagdelen
dem Westen eine „zynische Doppelmoral“ vorwirft.
- die Pro-Ukraine Demo auf dem Odeonsplatz: Da warben Anton Hofreiter und
Marie-Agnes Strack-Zimmermann um Verständnis für Waffenlieferungen und
zweifelten die Verhandlungsbereitschaft Putins an. Die anwesenden Ukrainer
skandierten „Danke, Deutschland, für die Hilfe!“. Laut wird es erst, als die
Siko-Demo um die Ecke biegt: Da hört man „Geht zu Putin!“- Rufe und einige
Ukrainerinnen beginnen zu weinen, als sie die Plakate der Rüstungsgegner
sehen.
Friedensparade von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht
- Titel und Karikatur verraten Ihnen bereits, dass der Passage eine gewisse
Objektivität fehlen könnte. Die fällt mir tatsächlich etwas schwer, aber
wenn Sie das „Manifest für Frieden“ unterzeichnet haben oder gar an der Demo
in Berlin teilgenommen haben, dürfen Sie mein „Machwerk“ gerne überspringen.
Man muss ja nicht immer einer Meinung sein.
- Das „Manifest für Frieden“ in dem gefordert wurde, die Waffenlieferungen
an die Ukraine zu stoppen und Friedensverhandlungen aufzunehmen, haben
inzwischen mehr als 700 000 Leute unterschrieben. Einige der
Erstunterzeichner, haben ihre Unterschrift zurückgezogen, weil ihrer Meinung
nach eine klare Distanzierung nach rechts außen fehlt. Der ukrainische
Ex-Botschafter Melnyk, der Diplomat fürs Grobe, hat den beiden
Initiatorinnen vorgeschla-gen,
„ihr Manifest zusammenzurollen und gleich in den Mülleimer am
Brandenburger Tor zu werfen“.
- Die Demo in Berlin: Zur Demo der „Friedensfreunde“ kamen dann zwischen 13
000 und
50 000 Menschen. Die „Königin der Herzen“ war zweifelsfrei Sahra
Wagenknecht, die vor einem „Atompilz über Berlin“ warnte, die Kriegstreiber
in der Bundesregierung, allen voran Annalena Baerbock, als „kriegsbesoffen“
bezeichnete und Putin mit einem sanften Appell an seine Friedenssehnsucht
davonkommen ließ. Alice Schwarzer kam eher großmütterlich daher, freute sich
über die Fahnen und die Stimmung und hoffte mit der Demo, „ein bisschen
Menschlichkeit in die Politik“ zu bringen. Angewandelt hatten sich natürlich
einige Rechtsextremisten, an ihrer Spitze Jürgen Elsässer, Chefredakteur des
Hetzblattes Compact, der seit einiger Zeit versucht, rechte und
linke Extremisten zu einer Querfront zusammenzufügen. Der Fairness aber muss
gesagt werden, dass die rechten Demonstranten ausdrücklich ausgeladen wurden
und es ihnen auch nicht gelang, die Kundgebung mitzuprägen. Die SZ hat in
einem Artikel über „Pazifismus“ die Schieflage der Demo gut auf den Punkt
gebracht:
„Pazifistische Politik reicht nicht dem Aggressor die Hand, sondern
denen, die ihm widerstehen. Mit ihnen ist sie solidarisch – und nicht nur
mit denjenigen, die immer Angst haben, das nächste Opfer zu sein.“
Im Grunde wäre die Sache ja einfach!
Verschiedenes: zweifelhaftes, abstoßendes, aufmunterndes
Präventivhaft: Nach einer Woche im Gefängnis wurde ein
Straßenblockierer aus Passau freigelassen – und das sogar noch vor dem
politischen Aschermittwoch, den die CSU in Passau begeht. Der Passauer
Oberbürgermeister hatte nämlich die Polizei aufgefordert, anlässlich des
Politereignisses „klare Kante“ zu zeigen, und das hieß für den notorischen
Kleber Micha Frey zunächst: Präventivhaft bis einen Tag nach Aschermittwoch.
Der Vorwurf, die ursprüngliche Haftdauer sei „politisches Kakül“ gewesen,
wurde vom Polizeipräsidium zurückgewiesen.
Hausdurchsuchung: Die Reaktionen auf die Hausdurchsuchung von
Ordinariat und Bischofpalais in München wegen eines Falles aus dem
Missbrauchsgutachten waren gemischt. Sie reichten von „längst überfällig“
bis „irritierend“. Christian Weisner von „Wir sind Kirche“ bedauerte, dass
die Durchsuchung nicht schon 2010 stattgefunden hat, Michaela Huber,
Vorsitzende der Aufarbeitungskommission, ärgerte sich darüber, dass man
ausgerechnet in München zugeschlagen habe, wo doch „außerordentlich viel für
die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauch gemacht“ wird. Gefunden aber wurde
offenbar nichts – Neues.
Volksverhetzung oder nur Beleidigung: Die Staatsanwaltschaft
Braunschweig hat es abgelehnt, einen Neonazi zu verfolgen, der Journalisten
als „Judenpack“ beschimpft und von einer „Judenpresse“ gesprochen hat. Die
Journalisten seien keine Juden oder andere „rassische oder religiöse Gruppe“
und seien wegen ihres Berufes beleidigt worden. Juden seien also damit nicht
betroffen. Es scheint nicht der einzige Fall, wo sich Staatsanwaltschaften
beharrlich davor drücken, „am Befund einer Volksverhetzung“ vorbeizukommen.
Ehrenmord: In Berlin wurden zwei afghanische Brüder zu lebenslanger
Haft verurteilt. Sie hatten ihre Schwester, die sich, so der Richter „von
den ihr auferlegten Fesseln befreien wollte“, indem sie sich von ihrem
gewalttätigen Ehemann scheiden ließ und eine neue Beziehung einging,
ermordet, in einem Koffer nach Bayern verfrachtet und bei Donauwörth im Wald
vergraben. Dem Gericht zufolge vertraten die Brüder „archaische
Wertvorstellungen“. Damit wären sie besser bei den Taliban aufgehoben
gewesen.
Finanzierung mit Auflagen: Die Bundesregierung will die Finanzierung
von Entwicklungsprojekten in Afghanistan wieder aufnehmen. Allerdings sollen
gemäß der neuen Leitlinie „von Frauen für Frauen“ nur Projekte unterstützt
werden, die Frauen und Mädchen zukommen. Ob die Taliban diese Leitlinie
akzeptieren?
Justizirrtum: In St.Louis/Missouri wurde Lamar Johnson für unschuldig
erklärt und aus dem Gefängnis entlassen. Er hatte 28 Jahre eingesessen. Zwar
hatte er für die Tatnacht ein Alibi, aber man hatte einem „Augenzeugen“
geglaubt. Später stellte sich heraus, dass der Augenzeuge von einem
Polizisten gedrängt worden war, Johnson „wiederzuerkennen“. Und er hatte für
seine Falschaussage 4.000 Dollar Zeugenentschädigung bekommen. Muss man noch
erwähnen, dass Johnson Afroamerikaner ist?
Erinnerungsarbeit: Bundespräsident Steinmeier hat an der Uni München
den Widerstand der Weißen Rose gewürdigt, ein „Widerstand der Außenseiter“,
die noch lange als „Verräter“ gebrandmarkt wurden. Aber bei seiner
Zustandsbeschreibung der Bundesrepublik klang Besorgnis an, die sich nicht
nur auf die Aggression Russlands, sondern auch auf Anschläge von
Rechtsextremisten und Hassreden gegen Minderheiten bezog. Und zur jungen
Generation sagte er: „Stehen Sie auf und widersprechen Sie!“ Sollte man,
wenn’s nötig ist, auch als älterer Mensch tun!
Annäherung: In Brüssel haben die Staatschefs Serbiens und des
Kosovo ein EU-Dokument akzeptiert, das auf eine Normalisierung der
Beziehungen abzielt. Es gäbe allerdings noch Gesprächsbedarf hinsichtlich
der praktischen Umsetzung. Immerhin soll es Reisefreiheit, Anerkennung von
Pässen und Schulabschlüssen geben. Der Hauptstreitpunkt, die Anerkennung
der Unabhängigkeit Kosovos durch Serbien, wurde ausgeklammert. Immerhin –
sie sprachen miteinander.
Schlusspunkt zum Kriegsbeginn
Der britische Graffitikünstler Banksy hat die Vorlage für eine ukrainische
Briefmarke geliefert, die sich großer Beliebtheit erfreut. Sie zeigt einen
Buben, der einen ausgewachsenen Judokämpfer zu Boden wirft. Der große
Kämpfer ähnelt Putin, der selbst ein begeisterter Judoka ist. Und dann steht
auf der Marke noch: „Putin, verpiss dich!“ So etwas würde Sahra Wagenknecht
nie sagen!
März
2023
Da im März das Parlament am Nockerberg tagte, darf die Einleitung etwas
derber ausfallen. Die Aussage des Bildes deckt sich aber durchaus mit
unserem Anliegen, die düstere Weltlage durch eine Portion Ironie erträglich
zu machen – wo immer es möglich ist.
Der Nockerberg
Pflichtgemäße Begeisterung bei den geschmähten Politikern, eine Standing
Ovation für die die staatstragenden Schlussworte Schafroths über das „Glück
der Freiheit“ – aber auch ein deutliches „Nachegrantln“ in den
Leserbriefspalten des Merkur und den sozialen Medien. Was war
geschehen? Im Gegensatz zu Veitshöchheim wurden die Unionsparteien nicht mit
Glacéhandschuhen angefasst, sondern tüchtig abgewatscht. Und das hat man im
tiefschwarzen Bayern gar nicht gern.
„Spezialoperationen“ – Kriege – und dergleichen
Russland – Ukraine
Der Krieg entwickelt Gewöhnungspotential und wandert in die hinteren Seiten
der Zeitungen, obwohl an der Ostfront um Bachmut herum der „Fleischwolf“
tobt und Putin in Belarus taktische Atomwaffen stationieren möchte, die
Lukaschenko ggf. gegen seine Opposition und Putins „hauptberuflicher
Krawallmacher“ Medwedjew „gegen Bundestag und Kanzleramt“ einsetzen könnten
(Vorsicht: Satire + O-Ton!).
Vom Internationalen Strafgerichtshof/ICC in Den Haag kam „ein Haftbefehl von
historischer Bedeutung“, erlassen gegen Putin und seine Beauftragte für
Kinderrechte (!) Maria Lwowa-Belowa. Die beiden werden dafür verantwortlich
gemacht, dass mehr als 16 000 ukrainische Kinder nach Russland oder russisch
kontrollierte Gebiete verschleppt wurden. „Kinder sind keine Kriegsbeute“
hatte der Haager Chefankläger gesagt, als er im Süden der Ukraine ein
Kinderheim besuchte – das leer stand. Der Westen sah im Haftbefehl ein
„wichtiges Signal der Entschlossenheit“, der Kreml hält ihn für „juristisch
nichtig“, und die 123 Staaten, die das ICC-Statut ratifiziert haben,
zerbrechen sich den Kopf, was sie tun würden, um bei einer Einreise Putins
der Verpflichtung zur Auslieferung an die Strafbehörden nach- oder
auszukommen. Ungarns Orban, wer denn sonst, hat schon einmal präventiv
erklärt, er würde Putin nicht festnehmen lassen, da das Statut in Ungarn
zwar ratifiziert, aber nicht vom Präsidenten gegengezeichnet worden ist.
Solche Hintertürchen würden sich wohl auch andere Staaten offenlassen.
Im Grunde wäre alles (wieder einmal) so
einfach:
Iran
Im November 2022 gab es zum ersten Mal Giftanschläge, überwiegend in
Mädchenschulen. Seither sollen es über 5000 Fälle an 230 Schulen sein. Die
Mädchen klagten über Übelkeit und Atemnot und waren am Schulgelände
„unangenehmen“ Gerüchen ausgesetzt. Für die Anschläge gibt es bisher zwei
Erklärungsversuche. Man hat von den Taliban gelernt, dass Mädchen besser
ohne Bildung durchs Leben kommen, oder man will die Schülerinnen dafür
bestrafen, dass einige der spektakulärsten Protestgesten auf ihr Konto
gingen (kollektiver Mittelfinger vor dem Bild von Khamenei). Zu Beginn
sprach die Regierung von „Massenhysterie“ und „fremden, teuflischen
Mächten“, aber inzwischen sollen mehr als 100 Verdächtige festgenommen
worden sein, über deren Identität (und Nähe zum Regime) noch nichts bekannt
ist.
Eine dieser Protestgesten war ein 40-Sekunden Clip von fünf Frauen „mit
lockerer Kleidung und offenen Haaren“, die am Frauentag in Teheran ein
Tänzchen wagten, was Frauen im Iran natürlich verboten ist. So etwas kann
noch Tage danach gefährlich werden, denn Spione filmen die Teilnehmerinnen,
und Tage später kommt die Polizei ins Haus. Und die Videoüberwachung, die im
Straßenverkehr eingesetzt wird, soll jetzt auch den Frauen „zugute-kommen“,
damit sie wieder in der Öffentlichkeit auftreten können, ohne gleich die
Männer durch ihre lockere Haartracht aufzureizen.
Der Westen, insbesondere Berlin und Brüssel, ergeht sich in „diplomatischen
Unverbindlichkeiten“, weigert sich beispielsweise, die Revolutionsgarden als
Terrororganisation einzustufen, um das Atomabkommen zu retten. Das mag mit
ein Grund sein, warum die Protestwelle abebbt und „das Regime zäher ist als
erwartet“.
Israel
In Israel gewinnt die Protestwelle eher an Schwung, weil die rechte
Regierung ihr im Wochenrhythmus Material liefert. Die geplante Justizreform
sieht vor, die 3. Kraft auszuhebeln, indem sie verfassungswidrige Gesetze
durch eine einfache Mehrheit im Parlament außer Kraft setzen lässt. Eine
„Lex Netanjahu“ soll dafür sorgen, dass ein Ministerpräsident nur „aus
körperlichen und mentalen Gründen“ seines Amtes enthoben werden kann, nicht
aber wegen Verfehlungen, sprich Korruption – die man Netanjahu vorwirft. Und
dann hat man dem „Tiktok-Clown“, Innenminister Ben-Gvir, eine Nationalgarde
versprochen, die er, so die Befürchtung, wahlweise gegen Demonstranten und
Palästinenser einsetzen kann.
Dass diese Privatmiliz bald gegen Palästinenser zum Einsatz kommt, ist nicht
auszuschließen, denn die Regierung treibt auch die Ausweitung der
Siedlungsaktivitäten voran. So sollen Siedler in vier Siedlungen im
Westjordanland, die 2005 schon aufgegeben wurden, wieder zurückkehren
dürfen. Die deutsche Bundesregierung hat dieses Vorhaben „ungewöhnlich
deutlich“ kritisiert.
Nach einer Intervention des Staatspräsidenten, dem Protest (und
anschließender, später aufgeschobener Entlassung) des
Verteidigungsministers, dem Aufstand der Reservisten und nach einer Demo in
der Nähe von Netanjahus Wohnhaus, ruderte „König Bibi“ zurück und setzte die
zweite und dritte Lesung des Gesetzes zur Justizreform zunächst einmal aus,
nach Ansicht der Gegner, „um auf Zeit zu spielen“.
Protest gegen „König Bibi“
Irak
Als George W. Bush letztes Jahr Putin wegen des Ukrainekrieges kritisierte,
sprach er von der
„Entscheidung eines einzigen Mannes, eine völlig ungerechtfertigte und
brutale Invasion im Irak zu starten“.
Der Fehler, den Bush mit einem Lacher schnell verbesserte, war im Grunde
genommen gar nicht falsch. Der Irakkrieg von 2003 gilt längst als
völkerrechtswidriger amerikanischer Angriffskrieg, der auf Lügen basierte –
und der Irak hat sich bis heute nicht davon erholt.
Das zeigt sich beispielsweise in den Repressalien gegen Regierungskritiker
und Umweltaktivisten, die zur Zielscheibe von Regierung und Milizen geworden
sind. Sie werden verschleppt, gefoltert, gezielt getötet – oder bleiben
einfach verschwunden. „Sicher, so die SZ, ist nur die Unsicherheit.“
El Salvador
Da hat sich ein Staatschef von einem Kollegen etwas abgeschaut. Der
Ex-Präsident der Philippinen Rodrigo Duterte hat ein Ermittlungsverfahren
Den Haags am Hals, weil er im Drogenkrieg seine Todeskommandos nach
Gutdünken morden ließ. In El Salvador geht Staatschef Bukele mit ähnlicher
Brutalität gegen kriminelle Gangs vor. Mit deren Mitgliedern braucht man
kein Mitleid zu haben, aber auch Bukele scheint über das Ziel
hinauszuschießen. Seit Verhängung des Ausnahmezustands im März 2022 soll es
65 000 Festnahmen gegeben haben, das entspricht etwa einem Prozent der
Gesamtbevölkerung. Es reicht schon aus, wenn ein junger Mann einmal als
Jugendlicher beim Kiffen erwischt wurde oder eine verdächtige Tätowierung
trägt. „Es kann jeden treffen, jederzeit“, meint die Juristin Ingrid
Escobar. Die Gefängnisse hat der Staatschef Kolumbiens als
„Konzentrationslager“ bezeichnet.
Füllmaterial für das neue Gefängnis
Ihnen ist beim Anblick dieses Bildes endgültig die Stimmung versaut? Dann
kann ich ja gleich in dieser Richtung weitermachen – mit den
AI-Nachrichten
Davon im März jede Menge, die meisten (wie üblich) schwer erträglich.
Vermeiden Sie eine Überdosis!
Menschenrechtler: In Moskau wurden die Wohnungen von Mitgliedern der
(seit 2021) aufgelösten MR-Organisation „Memorial“ durchsucht. Man wirft der
Organisation „Rehabilitierung des Nazismus“ vor. Was Nazimethoden anbelangt,
hätte es in Russland geeignetere Kandidaten gegeben. Von der russischen
Propaganda wahlweise als Nazi und britischer Spion bezeichnet, wurde der
ukrainische Journalist Maksym Butkevych wegen angeblicher Kriegsverbrechen
zu 13 Jahren Haft verurteilt. Er soll an einem Ort auf Zivilisten geschossen
haben, wo er zum fraglichen Zeitpunkt gar nicht war.
In Kabul ist Matiullah Wesa verhaftet worden. Er hatte die Taliban in den
sozialen Medien aufgefordert, weiterführende Schulen wieder für Mädchen zu
öffnen. Aber wer soll dann die älteren Männer heiraten? Schon im Februar
hatte man den Professor Ismail Maschal aus dem Verkehr gezogen. Er war mit
einem bunten Karren durch die Straßen Kabuls gezogen, der mit Sprüchen
beschrieben war, die ebenfalls für die Bildung von Frauen und Mädchen warben
– ein klarer Fall von „provokativer Aktion gegen das System“.
Homophobie: Uganda hat ein Gesetz erlassen, das nicht nur
praktizierte Homosexualität unter Strafe stellt, sondern auch das Outing,
die Mitwisserschaft und den Einsatz für die Rechte von LGBTQ-Menschen. Es
drohen bis zu zehn Jahre Haft, für „Serientäter“ sogar die Todesstrafe. Das
Gesetz hat seine Vorläufer in der britischen Kolonialzeit. Importiert aus
Europa wurde also nicht die Homosexualität, sondern die Homophobie. Der
anglikanische Erzbischof in Uganda hat das Parlament für die „gewissenhafte
Arbeit“ gelobt, die katholischen Bischöfe haben sich bisher noch nicht
geoutet.
Hassrede: Eine Studie der britischen Zeitung The Guardian
untersuchte, welche von ihren Autorinnen und Autoren am häufigsten in
online-Kommentaren beleidigt wurden. Unter den zehn „Spitzenreitern“ waren
acht Frauen, vier von ihnen nichtweiß. Die anderen beiden waren schwarze
Männer.
Politische Gefangene: In Jekaterinenburg hat der russische
Geheimdienst FSB den amerikanischen Journalisten Evan Gershkovich
festgenommen, angeblich „auf frischer Tat“ – und das in der Nähe eines
Grillrestaurants. Er wird der Spionage bezichtigt und bei einem Schuldspruch
drohen ihm bis zu 20 Jahre Haft. Er soll Recherchen zur Gruppe Wagner
gemacht haben und damit über den Krieg in der Ukraine berichtet haben. Für
den FSB ist das entsprechend der verschärften Gesetzgebung bereits Spionage.
Jetzt werden bereits Namen von russischen Häftlingen genannt, die in den USA
(und in Deutschland) einsitzen und für einen Austausch in Frage kommen.
Gershkovich ist im modernen Russland ist der erste westliche Journalist, der
wegen Spionage verhaftet wurde, aber für Russen gehört so etwas längst zum
Alltag. Man spricht von 510 Fällen, die strafrechtlich verfolgt werden, weil
sie sich kritisch zum Krieg geäußert haben. Im April schrieben deutsche
Medien, darunter der Merkur, einen offenen Brief an den russischen
Botschafter in Berlin, in dem sie die sofortige und bedingungslose Freiheit
von Gershkovich forderten. Die „Antwort“ kam von einem Gericht in Moskau:
Eine Freilassung auf Kaution wurde abgelehnt.
Mit unpäpstlicher Deutlichkeit hat Papst Franziskus das Regime in Nicaragua
kritisiert. Dort war der regimekritische Bischof Rolando Alvarez wegen
Anstiftung zu „Hassverbrechen“ zu 26 Jahren Haft verurteilt worden. Das
hätte man ihm noch verziehen, wenn er bereit gewesen wäre, sich abschieben
zu lassen. Der Papst verglich das Regime mit „der kommunistischen Diktatur
von 1915 und der Hitler-Diktatur von 1935“, Managua suspendierte postwendend
die Beziehungen zum Vatikan. Der Vatikan wird es überleben, die Sandinisten
hoffentlich nicht.
Folter: Russland entführt, der Iran foltert – Kinder. AI hat jetzt
dokumentiert, dass unter den 22 000 festgenommenen Demonstranten Tausende
von Kindern waren, viel von ihnen nicht älter als 12 Jahre. Was man ihnen
nach Aussagen von Zeugen und Angehörigen im Gefängnis angetan hat, möchten
wir Ihnen ersparen.
Todesstrafe
- Israel: Die rechte Regierung plant eine Re-Aktivierung der
Todesstrafe für Terroristen, die aus rassistischen Motiven einen
israelischen Staatsbürger töten. Die Strafe käme aber nicht zur Anwendung,
wenn der Täter Israeli und das Opfer Palästinenser wäre. Israel hat seit
Staatsgründung zwei Menschen hingerichtet, Adolf Eichmann und Meir
Tobianski, ein Offizier, der 1948 wegen Spionage hingerichtet und ein Jahr
später für unschuldig erklärt wurde.
- Idaho/USA: Der Bundesstaat lässt in Zukunft zum Tode Verurteilte
durch ein Erschießungskommando hinrichten, wenn eine Exekution durch die
Giftspritze nicht möglich ist. Die Pharmakonzerne rücken die Substanzen
ungern heraus, weil sie nicht mit der Todesstrafe in Verbindung gebracht
werden wollen. Und wahrscheinlich kommt das Erschießen billiger. Das
Personal wird die Waffenlobby von der NRA gerne zur Verfügung stellen.
- Iran: Das Land hat gute Aussichten, den Spitzenplatz bei
Hinrichtungen (hinter China) auszubauen. Im Januar und Februar wurden
mindestens 94 Todesurteile vollstreckt.
Asyl: Großbritannien verschärft das Asylrecht dahingehend, dass
Menschen, die illegal einreisen, ihr Recht auf Schutz verlieren und so
schnell wie möglich wieder fortgeschafft werden, beispielsweise nach Ruanda.
Das neue Gesetz brachte Gary Lineker, britische Fußballikone und
BBC-Kommentator, so in Rage, dass er die Sprache des Gesetzestextes mit der
Sprache verglich, „die der von Deutschland in den 1930er Jahren nicht
unähnlich ist“. Darauf wurde er von der BBC suspendiert – aber nur
vorübergehend. Nach massiven Protesten konnte er wieder auf Sendung gehen.
Das Gesetz dürfte gegen die UN-Flüchtlingskonvention verstoßen – aber was
heißt das heute schon?
Justizirrtümer: Innerhalb kurzer Zeit wurden zwei US-Amerikaner für
unschuldig erklärt und entlassen. Sidney Holmes, Afroamerikaner, Freilassung
nach 34 Jahren und Lamar Johnson, Afroamerikaner, Freilassung nach 28
Jahren. Johnson saß in einer Zelle mit einem Häftling, der schon 2019
freikam und überlieferte eine Gesprächsnotiz mit Witzstruktur:
„Der eine Häftling sagt zum anderen: Ich bin unschuldig. Antwortet der
andere: Ich auch!“
Sidney Holmes – Wiedersehen mit der Mutter
Flüchtlinge
- Der italienische Innenminister Piantedosi hat eine eigenartige Sicht auf
die Seenotrettung im Mittelmeer. Für ihn geht es nicht um Retten oder
Nichtretten. Sein Rat an die Flüchtlinge: „Sie sollen einfach nicht
losfahren.“
- Chia Rabiei, der „Held von Würzburg“, der sich 2021 einem Messerstecher in
den Weg stellte, wurde vom Bamf zunächst einmal abgelehnt, weil das Amt nur
drohende Verfolgung im Herkunftsland, nicht aber Zivilcourage zu
berücksichtigen hätte. Ein Richter gestand ihm jetzt ein Bleiberecht zu,
weil ihm bei der Rückkehr in den Iran durch die Publizität seiner Tat
„Nachteile“ erwachsen könnten. Wir sind der Meinung, seine Zivilcourage
allein hätte auch schon gereicht.
- Ein juristisches Dunkelfeld soll gemäß der Istanbul-Konvention neu
beackert werden. Bisher konnte eine Frau, die ihrem Ehemann nach Deutschland
gefolgt ist, bei einer Trennung ihr Aufenthaltsrecht verlieren – selbst wenn
die Trennung wegen häuslicher Gewalt erfolgte. Drei Jahre musste sie in
Deutschland die Ehe aushalten, bis sie einen eigenständigen Aufenthaltstitel
bekam. Das soll sich ändern, wenn Misshandlung im Spiel ist.
- In dem Dorf Upahl/Nordwestmecklenburg wurde seit Wochen gegen eine
Flüchtlingsunterkunft protestiert, von „Normalos, Nachbarn und Neonazis“.
Das Dorf hat 500 Einwohner und sollte 400 Flüchtlinge aufnehmen. Die
Gemeinde klagte, weil sie übergangen worden war und kam mit der Klage durch.
Der Bau wurde gestoppt, rechte Kreise sehen in diesem Protest eine
„Blaupause“ für weitere Aktionen. Die Gegenseite sieht Probleme bei der
Kommunikation: Gemeinden müssen „mitgenommen“, Bürger darauf eingestimmt
werden, dass Menschen kommen, die nicht nur Probleme machen, sondern Hilfe
brauchen. Und man sollte 500 Menschen nicht mit 400 Flüchtlingen überfluten.
- Die hohen Zuwanderungszahlen beginnen inzwischen auch die Partei zu
beunruhigen, für die Zuwanderung bisher „unverhandelbar“ war. Eine Gruppe
bei den Grünen, die sich „Vert Realos“ nennt und sich als Bürgerliche Grüne
Mitte sieht, hat ein Memorandum verfasst, in dem eine „steuernde
Migrationspolitik“ gefordert wird. Das Papier wurde von 350
Parteimitgliedern unterschrieben, darunter Jens Marco Scherf, Landrat in
Miltenberg und Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen. Für die
bayrischen Unterzeichner spielt sicher auch der nahende Wahlkampf eine
Rolle, aber die Verteidiger einer humanitären Flüchtlingspolitik werden es
bei gleichbleibenden Zuwanderungszahlen immer schwerer haben.
Und der Kraftakt der Europäer, eine „dauerhafte und solidarische Verteilung
der Migranten zu ermöglichen“, liegt in weiter Ferne.
Was uns Angst macht oder nur den Kopf schütteln lässt
Sie merken an der holprigen Formulierung der Überschrift, dass es nicht
leichtfiel, die folgenden Ereignisse unter einen Hut zu bringen, weil einige
von ihnen schockieren, andere aber nur Unbehagen hervorrufen.
Amoklauf an einer Grundschule in Nashville/USA: In den USA war es
schon das
13. School-Shooting des Jahres. Es forderte sechs Opfer, drei neunjährige
Kinder und drei Lehrer. Die Täterin war transgender - ein wahres „Geschenk“
für die wohl dümmste
US-Abgeordnete Marjorie Taylor Greene, die die Schuld nicht bei den Waffen,
sondern bei der Hormonbehandlung der Schützin sah.
Amok in Hamburg: Bei einer Gemeindeversammlung der Zeugen Jehovas
erschoss ein ehemaliges Mitglied sechs Menschen, unter ihnen eine schwangere
Frau. Die Tat weist (wieder einmal) auf eine gravierende Schwäche unsere
Waffengesetze hin, denn wer in Deutschland einmal eine Waffenerlaubnis
bekommen hat, muss viel anstellen, um sie wieder zu verlieren. Es reichte
jedenfalls nicht aus, dass der Täter ein Buch geschrieben hat, in dem er
einen „Massenmord im Auftrag Gottes“ als „legitim“ bezeichnet hat.
Waffennarren: Im Oktober 2022 wurden auf einem Parkplatz der A92 zwei
Brüder aus dem Landkreis Miesbach kontrolliert und mit Molotow-Cocktails,
Waffen großer Diversität (Armbrust, Schreckschusspistolen, Gewehr) und
NS-Devotionalien erwischt. Auch in den anderen Behausungen der Brüder wurde
man fündig. Eine zusätzliche Brisanz erhielt der Vorfall, als sich
herausstellte, dass die Mutter eine Mitarbeiterin des BND ist und, nach
Aussagen von Nachbarn, eine Halskette mit einem Neo-Nazisymbol getragen hat.
Der Chef des BND war nicht „amused“.
Kriminalität: Die Statistik für das Jahr 2022 ist alles andere als
erfreulich. Ein Anstieg der Straftaten um 11,5 Prozent, eine starke Zunahme
der Gewaltdelikte (Messerangriffe, Sexualattacken), eine beängstigende Zahl
von tatverdächtigen Kindern – ein Anstieg von 35,5 Prozent bei deutschen und
von 48 Prozent bei nicht-deutschen Kindern. Da scheinen die Einschränkungen
der Pandemie einen gewaltigen „Betätigungsstau“ ausgelöst zu haben, der oft
jenseits der harmlosen Freizeitaktivitäten abreagiert wird.
Sicherheitswacht: Die Kriminalitätsstatistik wurde erst Ende März
veröffentlicht, sonst hätte man sagen können, dass der Miesbacher Stadtrat
mit der Einführung einer Sicherheitswacht (im vierten Anlauf seit 1994!)
punktgenau auf die Ergebnisse der Statistik reagiert hat. Der Beschluss,
einen Probeversuch zu wagen, wurde aber schon Anfang des Monats gefasst. Wir
halten es mit der Bewertung der „Freizeitsheriffs“ mit dem Merkur:
„Jedoch ist das Verlagern hoheitlicher Aufgaben ins Ehrenamt generell
kritisch zu sehen.“
Selbstjustiz: Wer mit Sicherheit für solche Aufgaben nicht geeignet
ist und hoffentlich von der Polizei bei der Ausbildung noch rechtzeitig
ausgesondert wird, sind die Autofahrer, die den Klebern gegenüber zur
Selbstjustiz greifen, ihnen in den Bauch treten, über den Fuß fahren oder
sie unsanft von der Straße zerren. Das ist, nach Ansicht der meisten
Rechtswissenschaftler, nicht mehr mit dem „schneidigen“ Notwehrrecht
vereinbar, wie es im Paragrafen 32 des STGB verankert ist.
Den Klebern geht’s jetzt auch juristisch an den Kragen, aber
glücklicherweise nicht so drastisch wie der Staatsanwalt und die Autofahrer
es wollen. Die zwei Frauen, die im September 2021 für eine Sperrung der
Autobahn nach Lindau sorgten, erhielten eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen.
Der Richter weigerte sich, die Rechnung der Staatsanwaltschaft zu
übernehmen, wonach ca. 1296 Personen genötigt worden waren – aber niemand
eine Nötigung angezeigt hatte.
Und die Stadt München hat verfügt, dass sieben Klimaaktivisten keinen
Klebstoff mehr mitführen dürfen, ansonsten drohe ein Bußgeld von 1000€. Die
Verfügung nennt sich „Sekundenklebertransportverbot“. Das Wort erinnert von
der Länge her an einen Bahnhof in Wales.
„Pornografie“: In Florida wurde einer Schuldirektorin gekündigt, weil
sie ihrer Klasse den David von Michelangelo gezeigt hatte, ohne die Eltern
vorab zu informieren. Ein Elternteil hat das Bild des nackten Recken als
„pornografisch“ bezeichnet. Der David steht in Florenz, und der dortige
Bürgermeister hat sich beeilt, die geschasste Direktorin nach Florenz
einzuladen, „um ihr im Namen der Stadt die Anerkennung auszusprechen.“ Auf
einen Abdruck des David im Jahresbericht möchte ich lieber verzichten, nicht
dass mir das Bayrische Kultusministerium die Pension kürzt.
Nachrichten zum Aufatmen
Georgien: In Georgien haben Tausende von Demonstranten, unterstützt
von Staatspräsidentin, Schauspielern und Fußballstars das „Russische Gesetz“
gestoppt – wenigstens vorläufig. Die Regierung wollte nach dem Vorbild
Moskaus ein Agentengesetz einführen, das es ihr erlaubt hätte, Aktivisten
und Organisationen der Zivilgesellschaft zu schikanieren und der Opposition
und der Mehrheit der Bevölkerung (80%) die Orientierung zur EU hin
auszutreiben.
Traumziel EU
Bayern: Neue Töne vom Ministerpräsidenten! Er sagte zu, dass
Asylbewerber mit einem Job und ohne Vorstrafen nicht mehr abgeschoben
werden. Zuletzt hatte es einige solcher Fälle gegeben. Die Vereinigung der
Bayrischen Wirtschaft/VBW sieht in dieser Frage „keine Dissonanz“ zur CSU.
Der Mangel an Arbeitskräften generiert Menschlichkeit.
Würzburg: Die Stadt schiebt dem Frauentag eine erfreuliche Meldung
nach – „Keine „Layla“ im Festzelt. Auf städtischen Volksfesten sind
rassistische und sexistische Lieder nicht zugelassen, selbst wenn das
Publikum diese verlange. Hoffentlich läuft es nicht so wie im Oktoberfest
von 2022. Dort wurde das Lied zum Wiesnhit.
Bamberg: Das Kirchenasyl-Verfahren gegen die Äbtissin Mechthild
Thürmer ist ohne Auflagen eingestellt worden. Und das, nachdem man ihr
zunächst einen Strafbefehl über 2500 € geschickt hatte und ihr bei
Zahlungsverweigerung eine „empfindliche Freiheitsstrafe angedroht hatte.
Zwar ist eine Einstellung nur ein Freispruch 2. Klasse, aber mit dieser
„geringen Schuld“ kann sie gut leben. Gefragt, ob sie wieder jemand ins
Kirchenasyl nehmen würde, sagte sie: „Im Prinzip schon!“
Die Äbtissin und ihr Anwalt Franz
Bethäuser (AI)
Miesbach: Der Merkur nahm den Polizeieinsatz gegen die
beiden Waffennarren zum Anlass, um die rechtsextreme Szene im Landkreis
Miesbach zu beleuchten. Es habe zwar in der Vergangenheit Kameradschaften,
Wehrsportverbände und Razzien bei Reichsbürgern gegeben, aber derzeit sei
von organisierten Gruppierungen nichts bekannt. Der Verfasser des Artikels
versäumte es aber nicht, hinzuzufügen „auch wenn es eine solche Szene im
Verborgenen natürlich geben kann“.
Japan: Die anrührendste dieser Erfolgsnachrichten in Grautönen heben
wir uns für das Ende auf. Sie weckt auch in uns Nostalgiegefühle, weil wir
den Fall vor Jahren publik gemacht haben – offensichtlich ohne Erfolg, weil
erst jetzt wieder Hoffnung aufkommt. Ein Obergericht in Tokio hat eine
Wiederaufnahme des Prozesses gegen den 87-jährigen Ex-Boxer Iwao Hakamada
angeordnet. Und nun halten Sie sich fest: Der Mann war 1968 wegen Mordes zum
Tode verurteilt worden, saß 48 Jahre in der Todeszelle, hat in Haft
„durchgedreht“, wurde 2014 unter Vorbehalt entlassen und wartet jetzt auf
die Wiederaufnahme, weil „erhebliche Zweifel an früheren Beweisen“
aufgetaucht sind. Dass DNA-Abgleiche auf seine Unschuld hinwiesen, sei nur
der Vollständigkeit halber erwähnt.
Iwao Hakamada – einst und jetzt
Schluss
Auch Männer feiern den Frauentag
April 2023
„Wir müssen Brücken zueinander bauen,
wenn wir in dieser wahnsinnigen Welt
Aussicht auf Rettung haben wollen.“
Peter Ustinov
Als Dan Smith, Direktor des Instituts für Friedensforschung/Sipri, von einem
Freundgefragt wurde, wie es ihm gehe, hat er geantwortet, es gehe ihm gut,
habe aber viel zu tun. Da sagte sein Freund: „Wie kann das sein, Dan? Deine
Arbeit dreht sich um den Frieden, aber es gibt doch kaum welchen.“
Deshalb landen wir in diesem Monat auch gleich wieder bei den
Konfliktzonen
Der Sudan
In der Monatsmitte eskalierte der Machtkampf zwischen zwei Generälen,
Präsident Burhan und Vize Daglo (genannt Hemeti/kleiner Mohammed), zu einem
offenen Konflikt. Von Bürgerkrieg kann man nicht sprechen, da die Bürger
seit dem Militärputsch von 2021 nichts mehr zu melden haben. Während
Tiefflieger über die Hauptstadt Khartum hinwegdonnern und sich die
Regierungstruppen und Paramilitärs Straßenkämpfe liefern, bleibt den
Zivilisten nichts andres übrig als „den Kopf unten zu behalten und nicht ans
Fenster zu gehen“. Vordergründig geht es um die Eingliederung von Hemetis
Miliz in die regulären Streitkräfte, aber im Hinter-/Untergrund spielt sich
ein Stellvertreterkrieg ab, an dem Ägypten, Saudi-Arabien, Libyen, der
Tschad und (mutmaßlich auch) die unvermeidlichen russischen Wagner-Söldner
beteiligt sind. Dass es auch um die Kontrolle der lukrativen Goldminen geht,
versteht sich bei solchen Militärs von selbst. Beide Generäle sind
Kriegsverbrecher, deshalb veröffentlichen wir ihre Fotos, in der Hoffnung,
dass sie einst auf einem Steckbrief Verwendung finden.
Abdel Fattah
Burhan
Mohammed Hamdan
Daglo
Russland – Ukraine
Es wird mit immer härteren Bandagen gekämpft. Den Gipfel der
Scheußlichkeiten würde, wenn es echt ist, zweifellos ein Video erreichen,
das die Enthauptung eines ukrainischen Soldaten zeigt. Russland spricht
natürlich von einem Fake, aber ein Ex-Söldner der Wagner-Clique hat den
Täter als einen früheren „Kollegen“ identifiziert.
In einem Café in St. Petersburg wurde der Militärblogger Wladlen Tatarskij
Opfer eines Mordanschlags. Der Blogger hatte die „totale Vernichtung der
Ukraine in ihrer heutigen Form“ gefordert und das Verteidigungsministerium
in Moskau wegen seiner laxen Kriegsführung kritisiert. Als Tatverdächtige/r
festgenommen wurde aber nicht der Verteidigungsminister, sondern Darya
Petrova. Die Frau, die ihm eine Gipsfigur mit dem Sprengstoff überreichte,
soll vom ukrainischen Geheimdienst rekrutiert worden sein und gilt als
Sympathisantin von Nawalny. So gesehen, kam der Mord für Putin nicht ganz
ungelegen, denn er konnte jetzt den ukrainischen Geheimdienst mit der
Gefolgschaft seines bekanntesten Widersachers in Verbindung bringen.
Im UN-Sicherheitsrat hat man (satzungsgemäß) den Bock zum Gärtner gemacht.
Russland übernahm den Vorsitz und sorgte prompte für einen Skandal. Per
Video zugeschaltet wurde Maria Lwowa-Belowa. Sie erinnern sich – Beauftragte
für Kinderrechte und mit Haftbefehl aus Den Haag gesucht? Sie zeigte Bilder,
wo sie „gerettete“ ukrainische Kinder im Kindergarten besuchte und
versprach, die Kinder in die Ukraine zurückzubringen, wenn es eine
entsprechende Anfrage gäbe. Einige (westliche) Botschafter waren so gerührt,
dass sie unter Tränen den Saal verließen. (Vorsicht Satire!) Keine
Satire war ihre Behauptung, dass ukrainische Kinder in Deutschland in
fremden Familien festgehalten werden. Das hat sie tatsächlich gesagt.
Aus Peking zurückgepfiffen wurde Lu Shaye, der chinesische Botschafter in
Paris. Er gilt als „Wolfskrieger“. So bezeichnet man die harten Hunde unter
den chinesischen Diplomaten, die nur durch ihre Immunität vor einer
„Entnahme“ geschützt sind. Als er in einem Fernsehinterview die Souveränität
der Länder der ehemaligen Sowjetunion, also u.a. Osteuropa und der Ukraine,
in Frage stellte, wurde das von der Zentrale nicht als „politische Aussage“,
sondern als „Ausdruck persönlicher Ansichten“ herabgestuft.
Unter der Überschrift „Frieden schaffen“ haben einige Sozialdemokraten und
Gewerkschaftler einen neuen Appell für einen Waffenstillstand unterzeichnet.
Auch Peter Brandt, Sohn von Willy Brandt, gehört zu den Unterstützern. So
konnte es nicht ausbleiben, dass Willy Brandts Ostpolitik als Blaupause für
einen neuen Anlauf zur Beendigung der Kämpfe herangezogen wurde. Gerhart
Baum, ein ehemaliger Bundesinnenminister, weist diese Gleichführung zurück.
Brandt, so Baum, ging es um eine „Sicherheitspartnerschaft“, Putin um die
„Errichtung einer neuen Weltordnung gegen die Demokratien“.
Dann kam noch die Osterbotschaft des Papstes, bei der man Mühe hat, die
zweite Hälfte der Bitte nicht als Ironie zu deuten.
„Hilf dem geliebten ukrainischen Volk auf dem Weg zum Frieden und ergieße
dein österliches Licht über das russische Volk.“
Tod in Mariupol
Und zu mehr als zweifelhaftem Ruhm haben es eine schwangere Frau und ihr
Baby gebracht, als es das Bild von ihrem Abtransport aus einem zerstörten
Entbindungskrankenhaus zum „Foto des Jahres 2023“ geschafft hat. Frau und
Baby haben nicht überlebt.
Streitorte im Abseits
Kosovo: In Den Haag hat ein Prozess begonnen, der angebliche
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, begangen in Kosovo
Ende der 1990er Jahre, zum Inhalt hat. Die meisten Opfer im damaligen
Konflikt mit Serbien waren ethnische Albaner, die von Serben ermordet
wurden, aber 102 Morde und 20 Fälle von Verschwindenlassen werden vier
Kommandeuren der kosovarischen Befreiungsarmee UCK angelastet. Wie prekär
das Verhältnis zwischen den beiden Volksgruppen immer noch ist, zeigt die
Reaktion auf den Prozess. Die albanischen Kosovaren verehren die Angeklagten
als Helden, die serbische Volksgruppe sieht den Prozess als Schritt zur
Gerechtigkeit.
Indien: Premierminister Modi und seine hinduistische BJP-Partei
bereiten jetzt schon das Terrain für die Wahlen von 2024, indem man im
Vorgriff versucht, sich unliebsamer Oppositionspolitiker zu entledigen. Dem
Anführer der Kongresspartei, Rahul Gandhi, droht eine Haftstrafe von zwei
Jahren, weil er den Namen Modis in einer Wahlkampfrede im Jahre 2019 mit
Diebstahl in Verbindung gebracht hatte. Dabei ist Modis Mehrheit nach
Umfragen nicht gefährdet, sondern eher noch ausbaufähig. Und wenn dann der
Umbau des Landes zur Hindukratie abgeschlossen ist, werden für Muslime,
Christen, Sikhs und Opposition harte Zeiten folgen.
Mahatma Gandhi lässt grüßen
Haiti: Die Zustände im Land sind so, dass man lieber nichts davon
hören möchte: ärmstes Land der westlichen Hemisphäre, Naturkatastrophen,
machtlose Regierung – und UN-Soldaten, die die Cholera einschleppten und
Mädchen und Frauen missbrauchten. Das Machtvakuum in der Regierung wird
zunehmend von kriminellen Gangs ausgefüllt, die das Land in einem Maße
terrorisieren, dass es kein Wunder war, dass verhaftete Bandenmitglieder in
der Hauptstadt Port-au-Prince am helllichten Tage einem Lynchmord zum Opfer
fielen, durch den wütenden Mob oder durch rivalisierende Banden – wer weiß
das schon genau?
Myanmar: Um die Volksverteidigungskräfte/PDF, die in einigen Regionen
Myanmars gegen die Militärjunta kämpfen, zu demoralisieren und ihnen den
Rückhalt in der Bevölkerung zu entziehen, schicken die Generäle ihre
Luftwaffe los, wenn sich der Einsatz „lohnt“ – im Oktober 2022 zu einem
Konzert mit 80 Toten und jetzt im April, als die PDF in der Gemeinde Pazigyi
eine Eröffnungszeremonie für ein neues Büro abhielt und die Gäste gerade
beim Essen saßen. Es gab 171 Tote, darunter 38 Kinder und 24 Frauen.
Nach dem Essen
Bevor es mit „Wasser und Brot“ weitergeht, haben Sie sich etwas Entspannung
verdient. Wie wär‘s mit einer Neuauflage der berühmten Rede von M.L. King?
AI-Nachrichten – weniger erfreulich
Rassismus und Antisemitismus
- In einem Berliner Polizeibericht vom Februar 2022 hieß es zunächst, es sei
in einer Straßenbahn zu einem Streit gekommen, nachdem eine Gruppe von
Fahrgästen eine Jugendliche, Dilan S., auf ihre fehlende Maske angesprochen
hätten. Dilan landete im Krankenhaus und erzählte in einem Video ihre
Version der Geschichte. Es sei genau umgekehrt gewesen, sie habe die
Fahrgäste auf die Masken angesprochen, sei attackiert und zusätzlich von der
Gruppe (und weiteren Personen) rassistisch beschimpft worden. Die Polizei
hat ihre Meldung später korrigiert, und jetzt ist der Fall vor Gericht
gekommen. Die Täter wurden mit Haft- und Geldstrafen belegt.
- Die evangelische Theologin Sarah Vecera ist wegen ihrer Mitwirkung an der
„Alle-Kinder-Bibel“, die „divers und Rassismus kritisch“ ist, bei der
Vorstellung ihres Buches „Wie ist Jesus weiß geworden?“ nur durch das
Eingreifen der Sicherheitsleute vor einem tätlichen Angriff bewahrt worden.
Ein (vermutlich weißer) Mann wollte ihr einen Judaskuss verpassen. Die
Sicherheitsleute waren bestellt worden, weil der Veranstalter vorher
rassistische Mails bekommen hatte. Auch Frau Vecera erhält Mails, „in denen
aus der Bibel zitiert wird und man ihr den Tod an den Hals wünscht“. Da soll
noch jemand sagen, dass die Bibel heute keine Sprengkraft mehr hat! (Vorsicht
– Sie wissen schon!)
- Zugenommen hat die judenfeindliche Hasskriminalität in München (und wohl
auch anders-wo). Der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus
Bayern/Rias wurden im letzten Jahr 183 Fälle gemeldet, eine Zunahme von 70
Prozent im Vergleich zu 2020. Es kam zu Schmierereien in Supermärkten und an
der Mauer eines Gymnasiums, zu einschlägigen Äußerungen auf Veranstaltungen,
Attacken auf Gedenkorte, Pöbeleien in Gaststätten. Die Fälle im Netz, wo
gegen Juden gehetzt wird, sind noch gar nicht mitgezählt. Die Leiterin von
Rias spricht vom Judenhass als einer „grässlichen gesellschaftlichen
Normalität“.
Flüchtlinge
Bei allem Verständnis für die Unterbringungsprobleme der Kommunen, möchten
wir uns weniger mit dem Flüchtlingsansturm, sondern mehr mit der
Flüchtlingsabwehr befassen. Zu letzterem gibt es Maßnahmen, die man
diskutieren kann, etwa die Prüfung der Asylberechti-gung an den Außengrenzen
in einem geordneten Verfahren und mit geeignetem Personal, aber auch
Vorschläge und Horrorszenarien, die einem die Haare zu Berge treiben.
- Da beschwört der italienische Minister Francesco Lollobrigida, nicht mit
der verstorbenen Schauspielerin identisch aber verwandt, das Gespenst des
„ethnischen Austauschs“, bei der AfD auch „Umvolkung“ genannt. Er fürchtet,
dass das italienische Staatsvolk wegen der abnehmenden Kinderzahl auf lange
Sicht durch Nachkommen der Migranten ersetzt wird, die, nach Aussagen einer
deutschen Adeligen und selbsternannten Völkerkundlerin, gerne „schnackseln“.
- Dass manche Deutsche auch heute noch „hart wie Kruppstahl“ sein können,
zeigt ein Leserbrief im Merkur. Der Schreiberling fordert einen
„sofortigen Abzug der Rettungsschiffe, die nichts anderes sind als
Fluchthelferschiffe“ und die „Entsendung von Schnellbooten aller EU-Länder,
um auslaufende Flüchtlingsschiffe an die afrikanische Küste
zurückzudrängen“. Und „wenn das Flüchtlingsschiff nicht abgedrängt werden
kann, weil es schon am Sinken ist, dann einfach drüber wegfahren“. Hat er
nicht mehr geschrieben, aber mitgemeint!
Politische Gefangene
Alexej Nawalny/Russland: Russlands prominentester Häftling soll
schwer erkrankt sein. Er hat in 15 Tagen acht Kilo verloren, und wegen
heftiger Magenschmerzen musste einmal sogar der Notarzt gerufen werden. Sein
Anwalt möchte nicht ausschließen, dass er „etwas vergiftet“ wird,
stückchenweise, damit sich sein Zustand „allmählich, aber stetig
verschlech-tert“. Die Gefängnisleitung denkt sich eine Schikane nach der
anderen aus: Die Medikamen-te, die ihm seine Mutter schickt, werden ihm
nicht ausgehändigt, er darf nur mehr frühmor-gens spazieren gehen, damit er
keine Sonne sieht und als Zellengenosse hat man ihm einen „Obdachlosen“
zugeteilt, der hygienemäßig in einem „völlig tierischen Zustand“ ist. Ende
April wurde ein neues Verfahren gegen ihn eröffnet: Vorwurf – Aufruf zum
Terrorismus, Rechtfertigung des Nationalsozialismus, mögliches Strafmaß:
weitere 30 Jahre.
In einem weiteren Verfahren wurde er im August zu 19 Jahren verurteilt.
Seine Sprecherin rätselt noch, ob sein bisheriges Strafmaß davon abgezogen
oder das neue Strafmaß drauf-gesattelt wird.
Wladimir Kara-Mursa/Russland: Zum ersten Mal seit Zerfall der
Sowjetunion wurde ein Oppositioneller wegen Hochverrats verurteilt.
Kara-Mursa hatte im Ausland dafür geworben, Menschenrechtsverletzungen zu
sanktionieren, hatte Putin kritisiert und den Krieg verurteilt – also gleich
drei Kapitalverbrechen begangen. Kara-Mursas erster Verteidiger hat noch
während des Prozesses das Land verlassen, weil man ihn bedroht hatte, und
der Richter, der ihn verurteilte, stand auf Kara-Mursas Sanktionsliste, aber
„Befangenheit“ ist ein Fremdkörper in der russischen Justiz. Da Kara-Mursas
Gesundheit angegriffen ist, weil er zwei Giftanschläge nur knapp überstanden
hat, könnten die 25 Jahre Haft im strengen Regime für ihn ein Todesurteil
sein. Jetzt kann man Wetten abschließen, ob er oder Nawalny zuerst stirbt.
Der Todesfall einer dritten Person wäre uns lieber.
Im August wurde sein Berufungsantrag abgelehnt.
Xu Zhiyong/China: Der Menschenrechtsanwalt erhielt 14 Jahre,
ebenfalls wegen „multipler Kriminalität“ – Verteidigung von Opfern des
Milchpulverskandals, Berichte über MR-Verbrechen in Tibet, Forderung nach
Zulassung unabhängiger Kandidaten für politische Gremien usw. Er teilt das
Schicksal der meisten Bürgerrechtsanwälte. Sie sind weggesperrt, haben ihre
Lizenz verloren oder sind verschwunden. Sein Kollege Ding Jiaxi wurde,
gewis-sermaßen in einem Aufwasch, wegen „Untergrabung der Staatsgewalt
gleich mitverurteilt. Der Prozess fand ohne Zeugen statt und dauerte einen
Tag.
Wie unverfroren China mit seinen Dissidenten und den diplomatischen
Konventionen um-springt, zeigte sich, als der Anwalt Yu Wensheng während
des Besuches von Annalena Baerbock verhaftet wurde, als er auf dem Weg zum
EU-Botschafter war.
Todesstrafe
Im Rennen um die republikanische Kandidatennominierung zwischen Trump und
Dos Santos hat Floridas Gouverneur eins draufgelegt, um bei den
„hartleibigen“ Amerikanern Punkte zu machen. Bei künftigen Strafverfahren
ist für ein Todesurteil keine einstimmige Empfehlung der zwölf Geschworene
mehr erforderlich. Vier Geschworene dürfen also dagegen sein. Damit hat
Florida die Schwelle für Todesurteile in den USA am niedrigsten gesetzt.
Nachrichten aus Deutschland
Polizei
- Auf Kritik gestoßen ist Anfang März der Beschluss des Landgerichts in
Frankfurt, die Anklage gegen eine Chatgruppe von fünf Polizisten wegen
Austausches von rechten Inhalten nicht zugelassen. Die Gruppe hatte Bilder
und Beleidigungen aller bekannten „-ismen“ geteilt. Ein Bild zeigte
beispielsweise zwei schwarze Bluthunde, die sich nur von „Mett(wurst)“
ernähren – von Achmett, Mohammett, Mehmett“. Verstörend auch die Begründung
des Gerichts: Die Chatgruppe sei geschlossen gewesen, Teile der Inhalte
seien von der Kunstfreiheit gedeckt. Die Staatsanwaltschaft sah das anders
und legte Beschwerde ein.
- Eine Studie der Deutschen Hochschule der Polizei mit dem Schwerpunkt
Rassismus hat gezeigt, dass Polizisten in der Einstellung zu Demokratie und
Diversität ein Abbild der Ge-sellschaft sind. Für die SZ ist das
nur auf den ersten Blick beruhigend, denn, obwohl rechts-extreme Weltbilder
eher abnehmen, rückt die Mitte der Gesellschaft verstärkt in einen
„Grau-bereich, wo man sich gegenüber Rassismus oder Nationalchauvinismus
indifferent verhält“, im Klartext, es einem egal ist, wenn bei einer Demo
mal der Hitlergruß gezeigt wird. Und die Polizei rückt der Mitte der
Gesellschaft hinterher, anstatt eindeutigen Gesten, Hasskommen-taren und
Diskriminierung „vehement entgegenzutreten“.
- Die Publizistin Carolin Emcke stößt beim „Entgegentreten“ in das gleiche
Horn. Sie schreibt:
„Der abmoderierende Reflex, die politischen Einstellungen in der Polizei
spiegelten eben die der gesamten Gesellschaft, verkennt, dass die Polizei
kein Abbild der Gesellschaft sein kann und darf. Die Polizei muss sich als
unbedingte Verfechterin der freiheitlich-demokratischen Ordnung verstehen
und zeigen.“
Diese Ordnung zu verfechten, würde der Polizei aber leichter fallen, wenn
auch die Mitte der Gesellschaft ihre Wurstigkeit/Indifferenz gegenüber den
Auswüchsen der „-ismen“ aufgeben würde.
Prozess gegen Linksextremisten
Die gibt es ja auch noch! Jetzt stehen vier von ihnen in Dresden vor
Gericht. Man wirft ihnen tätliche Angriffe auf Rechtsextreme und Gründung
einer linksextremen kriminellen Vereini-gung, einer NSU-links gewissermaßen,
vor. Es kam allerdings nicht zu Serienmorden, wohl aber zu „gefährlicher
Körperverletzung“. So wurde beispielsweise ein Kanalarbeiter
zusam-mengeschlagen, „nur weil er die falsche Mütze/die von einem rechten
Modelabel trug“. Die Verteidigung der Gruppenchefin Lina E. stellte deren
Schuld in Frage mit dem (blauäugigen) Argument, dass man nicht habe
nachweisen können, dass ihre Mandantin als „Überblicks-person“ daran
beteiligt gewesen sei, was wohl bedeutet, dass sie im Augenblick des
Nieder-schlags auch weggeschaut haben könnte. Ein Urteil in dem Prozess, der
im September 2021 (!) begonnen hat, ist im Mai zu erwarten.
Missbrauch
Auf zum Papst!
Dass die vier älteren Herren noch lachen können, ist an sich schon
erstaunlich. Sie werden sich am 6. Mai mit elf weiteren „Kollegen“ vom
Marienplatz auf eine Radtour nach Rom aufmachen. Es sind Missbrauchsopfer,
die den Papst mit ihrem Schicksal konfrontieren und das Thema aus der
Tabuzone holen wollen. Und was fast noch erstaunlicher ist, sie fahren mit
dem geballten Segen der Amtskirche. Sie werden vom Erzbistum
München-Freising finanziell und logistisch unterstützt, in Schäftlarn vom
Abt und in Tölz vom Pfarrer begrüßt, in Bozen von Kardinal Marx und Bischof
Musef getroffen – und haben in Rom eine Audienz beim Papst. Man kann ihnen
nur, wie der berühmten Bärenraupe eine Gute Reise wünschen!
Bei der Generalaudienz auf dem Petersplatz übergaben sie dem Papst einen
Brief mit klaren Forderungen zum Umgang mit Missbrauch in der katholischen
Kirche. Der Papst reagierte mit den Worten „Es ist sehr schwierig.“
Sichtlich bewegt hat ihn das Geschenk, das ihm die Radler mitbrachten, eine
verkleinerte Ausgabe der Skulptur „Heart“ von Michael Pendrys.
Rassismus auf der Wiesn
Was wir aus Gründen des Jugend- und Erwachsenenschutzes definitiv nicht
zeigen werden, ist eines der Bilder an den Buden und Fahrgeschäften der
Wiesn, die der Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) als rassistisch
(und sexistisch) aufgestoßen sind. Und es ist keine Verbeugung vor dem
Wokeness-Wahn, den der Wiesnreferent der Stadt, Clemens Baumgärtner, den
Grünen unterstellt, wenn man die Meinung von Frau Habenschaden teilt, dass
solche Malereien „auf einem Familienfest und internationalen Aushängeschild
Mün-chens“ nichts verloren haben. Sie zu verbannen ist, so die SZ,
„ein überfälliger Schritt“. Ob es sich bei den Bildern um „Kunst“ handelt,
darüber lässt sich streiten, dass sie moralisch anstößig sind und
„geschmacklos“, wie auch Baumgärtner (inzwischen) einräumt, steht außer
Zweifel. Und denen, die solche Bilder und Lieder wie „Layla“ brauchen, um in
Stim-mung zu kommen, sollte man begreiflich machen, dass „sich die Zeiten
geändert“ haben.
Man hörte im September, dass die Bilder übermalt worden sind und dass
„Layla“ nicht mehr der Hit Nr. 1 ist. Wir werden doch nicht einmal
gescheiter werden!
Von Spannungsabbau bis Entspannung
Attacke auf eine Stadtikone: In Regensburg haben 100 Kulturleute
wegen der „rechtskonservativen Radikalisierung“ der Schirmherrin Gloria von
Thurn und Taxis zum Boykott der Schlossfestspiele aufgerufen. Auf dem
Sündenkonto der Fürstin stehen die Hetze gegen Flüchtlinge, die
Bagatellisierung des Missbrauchs in der Kirche, die „Verteufelung“ von
Homosexualität und Abtreibung, der Händedruck für „lupenreine Rassisten“,
die Gleichset-zung von grünen „Kulturbanausen“ und Taliban. Als
„Punk-Prinzessin“ des Jetsets war sie früher eher unpolitisch – und das wäre
sie besser auch geblieben.
Klare Worte zur Migration: Im Gegensatz zur Fürstin, die es mit ihrem
„Helden“ Orban gut, mit Flüchtlingen aber eher weniger gut kann, hat Papst
Franziskus bei seinem Besuch in Ungarn Klartext gesprochen, was man in
dieser Deutlichkeit nicht erwartet hätte. Auf heißem rechtspopulistischem
Gelände warnte er vor einem „neuen Aufbranden der Nationalismen“ und
forderte im Beisein des Ministerpräsidenten einen menschenwürdigen Umgang
mit Flüchtlingen. Da die Rede in einem Karmeliterkloster gehalten wurde,
kann der Papst von Glück sagen, dass Orban ihn nicht auf Lebenszeit dort
einweisen ließ.
Staatsgast der besonderen Art: Präsident Biden hat den jugendlichen
Ralph Paul Yarl ins Weiße Haus eingeladen – sobald es ihm besser geht. Ralph
war in Kansas City/Missouri von einem 84-jährigen Hausbesitzer angeschossen
wurde, weil er an der falschen Tür geklingelt hatte. Der Hausbesitzer kann
sich auf das in Missouri sehr weit gefasste Recht auf Selbstverteidigung
berufen, aber die Staatsanwaltschaft hat Anklage erhoben. Und inzwischen
kamen 2,9 Millionen Dollar an Spenden für die Behandlung und die Zukunft des
Jugendlichen zusammen. Man sollte sich einmal kurz ausmalen, wie ein
Präsident Trump auf den Vorfall reagiert hätte!
Im Mai haben die Todesschüsse als Folge von kleinen Fehlern - Klingeln an
der falschen Tür, Wenden in einer fremden Gargeneinfahrt – dazu geführt,
dass die SZ unter dem Titel „Register des Grauens“ Zahlen zum amerikanischen
Waffenwahn veröffentlichte. Demnach kommen in Deutschland „nicht ganz 20
private Schusswaffen auf 100 Einwohner, in den USA hingegen deren 120 – so
viel wie in keinem anderen Land“.
Tod eines „Jahrhundertzeugens“ mit drei Missionen: Am 7. April ist
Benjamin Ferencz, „Vorkämpfer für das Völkerrecht“ in Florida gestorben.
- Seine erste Mission: Als US-Soldat sah Ferencz die Leichenberge in den
deutschen KZs, arbeitete dem US-Chefankläger im Prozess gegen die
Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg zu, war seinerseits leitender Ankläger im
sogenannten Einsatzgruppenprozess, dem neunten der „Nürnberger
Nachfolgeprozesse“.
- Seine zweite Mission: Als Generaldirektor einer jüdischen Organisation
verhandelte er über die Rückgabe von enteignetem jüdischem Vermögen und
forderte mit Nachdruck Entschädigungszahlungen deutscher Unternehmen an
überlebende KZ-Häftlinge.
- Seine dritte Mission: In den 1970er Jahren setzte er sich für die
Neugestaltung des Völker-strafrechts ein, forderte die Anwendung der
„Nürnberger Prinzipien“ u.a. auf den Vietnamkrieg – was nicht geschah, und
leistete wichtige Vorarbeit für die Errichtung des Internationalen
Strafgerichtshof – dem die USA dann nicht beitraten.
Sein größter Wunsch, „dafür zu sorgen, dass der Krieg, der immer
glorifiziert wurde, als das schreckliche Verbrechen gesehen wird, das er
ist“, hat sich nicht erfüllt. Aber es ist schön, dass ein solcher Mann 103
Jahre alt werden durfte.
Kein Fall für den Verfassungsschutz
Mai
2023
„Das Merkwürdigste an der Zukunft
ist wohl die Vorstellung,
dass man unsere Zeit einmal
die gute alte Zeit nennen wird.“
Ernest Hemingway
Der dies schrieb, hatte als Soldat und Kriegsberichterstatter immerhin zwei
Weltkriege und mehrere Regionalkonflikte mitgemacht. Wann und warum wird man
auf unsere Zeit einmal als „gute alte Zeit“ zurückblicken. Und vor allem:
Wer wird das tun? Die Urenkel der Klimakleber vielleicht?
Die Klimakleber
Wir fangen mit ihnen an, nicht nur, weil sie einen nahtlosen Übergang vom
letzten Bild des Monats April bilden, sondern weil sie im Monat Mai, nachdem
der bayrische Bär vom Zug überfahren war, die meisten Schlagzeilen lieferten
- und weil sie die Frage aufwerfen, wie weit man gehen darf, um ein Problem
in den Fokus zu rücken, bei dem dringender Hand-lungsbedarf besteht. Das
dürfte auch noch die Mehrheit bei uns so sehen – solange sie nicht direkt
betroffen ist. Wir halten uns zunächst an die Schlagzeilen:
- „Zehn Euro Buße für den Pattex-Pater“: Der Nürnberger Jesuit Jörg
Alt wurde wegen Beteiligung an einer Straßenblockade am Stachus zu einer
Geldstrafe von 10 Euro verurteilt. Die Richterin zeigte deutlich Sympathie
für das Anliegen der Aktivisten. Der Pater meinte, in der Urteilsbegründung
sei „viel Brauchbares dabei“. ich möchte lieber nicht so genau wissen, wie
es der Richterin in Kollegenkreisen erging.
- „Tritte gegen Aktivisten“: In Berlin sind Autofahrer mit Gewalt
auf die Kleber losgegan-gen. Sie zerrten an ihnen herum, schlugen auf sie
ein und traten sie, um sie am Festkleben zu hindern. Selbst unter Juristen
ist umstritten, ob dieses Verhalten als Notwehr gerechtfertigt ist. Ist es
nicht, finde ich, genauso wenig wie der Todesschuss wegen der falschen
Klingel.
- „Ist die ‚Letzte Generation‘ eine kriminelle Vereinigung?“
Vorgeprescht ist eine Staatsanwaltschaft in Brandenburg, die schon im
Dezember 2022 den Vorwurf der „kriminellen Vereinigung“ erhoben hat. Nach
einer Phase des Abwartens haben die Münchner jetzt nachgezogen und bei
Mitgliedern der LG eine Razzia veranstaltet, „als wäre es die Mafia“ – so
die SZ. Und sie fährt fort:
„Man mag die Klebeproteste für falsch halten, weil man Menschen nicht für
eine gute Sache gewinnt, indem man sie vor den Kopf stößt, aber die
Klimakleber mit Schleuserringen, Drogenkartellen und rechtsextremen
Kameradschaften auf eine Stufe zu heben, ist absurd“.
Im November hat das Landgericht München diesen Anfangsverdacht bestätigt.
Ein „Nebenzweck“ der Aktionen sei die Begehung von Straftaten und die
Störung von „demokratischen Abläufen“ (Straßenverkehr). Ob letzteres bereits
eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ darstellt, ist umstritten.
- „Die Mahnung aus New York“: So ähnlich meint es übrigens auch der
UN-Generalsekretär, wenn er, an die Adresse Deutschlands gerichtet, sagt:
„Klima-Aktivisten … müssen geschützt werden, und wir brauchen sie jetzt
mehr denn je.“
Und, um Ihrem Vorwurf der unzutreffenden Sympathielenkung zuvorzukommen,
„Stimmt, ich habe noch nie in einem Kleberstau gestanden!“
Flüchtlinge
Der Monat begann mit hohen Erwartungen von Innenministerin Nancy Faeser. Sie
hoffte auf ein „historische Momentum“ für ein neues europäisches Asylsystem.
Ein „Momentum“ ist die „innewohnende Kraft zur Bewegung“, und das kann bei
den steigenden Flüchtlingszahlen natürlich nur eine Abwehrbewegung sein. Die
Bundesregierung würde jetzt mittragen, dass Migranten, die aus Ländern
kommen, wo die Anerkennungsquote im EU-Durchschnitt bei 15/20 Prozent liegt,
in einem Schnellverfahren bereits an der Grenze „bearbeitet“ werden. Bei
einer Ablehnung soll der Bewerber/die Bewerberin gleich von der Grenze aus
abgeschoben werden. Um zu verhindern, dass EU-Boden betreten wird, soll
er/sie in Zentren kommen, die allerdings keinen Gefängnischarakter haben
dürfen. Auch Bearbeitungseinrichtungen in Libyen und Tunesien sind im
Gespräch. Dass an solchen „Grenzorten“ weniger Anwälte und Helfer zur
Verfügung stehen, nimmt man (mehr als) billigend in Kauf.
Das Kontingent an Flüchtlingen, das dann noch übrigbleibt, soll dann nach
dem Prinzip der (freiwilligen) Solidarität gerecht unter aufnahmebereiten
EU-Ländern verteilt werden. Und wer nicht aufnimmt, soll zahlen. Es ist von
22 000 Euro pro Flüchtling die Rede.
Gegen Monatsende wurde in der SZ kontrovers diskutiert, ob wir
einen solchen Deal“ brauchen oder nicht. Der Befürworter ist sich zwar im
Klaren, dass ein solcher Deal „schmutzig und unvollkommen“ ist, hofft aber
darauf, dass man dadurch „das Geschehen an Europas Grenzen unter
gesamteuropäische Verantwortung bringen kann“. Auch die Gegnerin eines
„schmutzigen Deals“ hält solche Aufenthaltslager für möglich, vorausgesetzt,
es gäbe für Flüchtlinge sofort einen Rechtsbeistand und für NGOs ein
Zutrittsrecht. Darüber hinaus fordert sie ein „Anreizsystem“, d.h. EU-Gelder
für Kommunen, die aufnahmebereit sind und ein „Matching-System, wo Kommunen
beispielsweise mitteilen können, was für Arbeitskräfte vor Ort gesucht
werden. Von Abschiebungen ist bei ihr gar nicht die Rede.
Dass es in Deutschland immer schwieriger wird, solche Kommunen zu finden,
zeigte sich am Beispiel der Kleinstadt Schleusingen in Thüringen. Dort steht
das Krankenhaus leer und böte relativ anständige Unterkünfte. Im März
sollten 80 bis100 Flüchtlinge aus der Ukraine untergebracht werden. Eine
Initiative startete eine Petition mit dem suggestiven Text „Stoppt
Flüchtlingsheim am Schulweg in Schleusingen“. Es kamen 6000 Unterschriften
zusammen, bei einer Einwohnerzahl von etwas über 10 000. Seit
Rechtsextremisten bei Veranstaltungen die Mikrofone an sich reißen, treten
Mitglieder wieder aus der Initiative aus. 2014 erhielt ein „Schleusinger
Bündnis“ den Thüringer Demokratiepreis für seinen Kampf gegen Neonazis.
Es ist mehr als bedenklich, wie sehr die Flüchtlingsfrage bei uns inzwischen
zum „Absturz in der Demokratiezufriedenheit“/Stimmen für die AfD beiträgt –
und das nicht nur in Sachsen und Thüringen!
Nachrichten – jenseits der guten alten Zeit
Russland: Ex-Präsident Medwedew, inzwischen zu Putins Scharfmacher
avanciert, hat seine Lieblingsvariante zum Ausgang des Ukrainekrieges
vorgetragen: Da die Ukraine ein „sterbender Staat“ sei, würde er die
westlichen Regionen der Ukraine den angrenzenden EU-Staaten zuschlagen,
während die Einwohner der zentralen Gebiete für den Beitritt zu Russ-land zu
stimmen hätten. Damit würde aus der „Spezialoperation“ eine Totaloperation.
Arabische Emirate: Beim Gipfeltreffen der Arabischen Liga hat ein
Mann sein Comeback gefeiert, der ein Jahrzehnt lang Krieg gegen sein eigenes
Volk führte. Syriens Diktator Assad hat seine Verbrechen, so der Merkur
„einfach ausgesessen“ – aber nicht in Haft, sondern im Präsidentenpalast
von Damaskus. Eine Rehabilitierung nach einer gewissen Schamfrist, so etwas
nennt sich Realpolitik. Putin wird sich freuen.
Israel: Der Palästinenser Khader Adnan, Mitglied des militanten
Islamischen Dschihad, ist nach 87 Tagen Hungerstreik tot in seiner Zelle
aufgefunden worden. Viele Warnungen wegen der dramatischen Verschlechterung
seines Zustands waren zuvor verhallt. Auch eine Vertreterin der israelischen
Organisation „Ärzte für Menschenrechte“ hat nur wenige Tage vor Adnans Tod
eine Verlegung in ein Krankenhaus gefordert. Aber die Gefängnisbehörden
schienen sich eher an Itamar Ben-Gvir, Minister für Nationale Sicherheit,
gehalten zu haben, der gefordert hatte, „die Sommercamp-Bedingungen für
mörderische Terroristen zu beenden“.
Türkei: Kurz vor der Stichwahl, in der Erdogan in seinem Amt
bestätigt wurde, wurde an Menschen erinnert, für die ein anderer Wahlausgang
sehr persönliche Folgen gehabt hätte, u.a. an Selahattin Demirtas, den
ehemaligen Chef der prokurdischen HDP. Er ist seit mehr als sechs Jahren in
U-Haft, wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
unmissverständlich als politischer Gefangener eingestuft, der sofort
freizulassen ist. Für Erdogan ist er der „Terrorist, den er niemals
freilassen wird“. An solche Menschen hätten die Türken in Deutschland auch
denken sollen, bevor sie zu zwei Dritteln wieder ihren Großmeister wählten.
Deutschland – „Randnotizen“
Im Englischen gibt es den Begriff „lunatic fringe“ für „verrückte
Randgruppen“ oder „Narrensaum“. Solche treten auch in Deutschland auf, v.a.
in Zeiten von Wahlkämpfen. Und es ist offensichtlich, dass sich die Ränder
hin zur Mitte weiten.
- Roger Waters, der Mitbegründer von Pink Floyd, hat kurz vor seinem Konzert
in der Münchner Olympiahalle eine Nachricht veröffentlicht, in der er den
Widerstand der Weißen Rose gegen das Naziregime mit dem der Palästinenser
gegen den Staat Israel in Verbindung brachte. Und dazu passend gibt es ein
Bild, das ihn am Grab von Sophie Scholl zeigt. Er hat sich auch dazu
verstiegen, Israels Politik gegenüber den Palästinensern als „Völkermord“ zu
bezeichnen. Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen
Kultusgemeinde, hat ihn als „antisemitischen Brandstifter“ bezeichnet und
kommentierte sichtlich verbittert:
„Der Antisemitismus hat offensichtlich einen Platz in diesem Land. Dieser
Platz ist heute die Olympiahalle.“
- Die bayrische AfD hat im Wahlkampf mit Katrin Ebner-Steiner und Martin
Böhm ein Spitzenduo aufgestellt, das eine gewisse Nähe zum (rechten)
Rechtsaußen Björn Höcke aus Thüringen hat. Von Herrn Böhm gibt es ein Zitat,
das im Streiflicht der SZ durch Verkürzung eine massive
Bezugsstörung erfuhr. Da bietet sich Herr Böhm den Mitgliedern wie folgt an:
„Aus unserem Mund spricht eure Wut … Ihr lasst weder eure Frauen von
Fremden penetrieren, noch eure Kinder von Messermännern bedrohen.“
Und dann geht es im Streiflicht weiter: Aber das seien „gute, deutsche
Tugenden“.
- Als Kurt Tucholsky in der Weimarer Republik „einen älteren, aber leicht
besoffenen Herrn“ nach Demokraten suchen ließ, da fand dieser keine. Das ist
in der Jetztzeit nicht der Fall, aber wenn man die Liste der
Kleinparteien/Gruppierungen durchgeht, die am Narrensaum angesiedelt sind,
kommt man mit dem Kopfschütteln nicht mehr nach. Das geht von den „Bürgern
in Wut“ über den „Dritten Weg“ bis zu den „Freien Sachsen“ – 20 Namen
insgesamt. Wenn die an die Macht kämen, müsste, so Tucholsky, „der
Reichstach uffjelöst werden“. Man sollte diese Gruppen nicht verharmlosen,
aber sie evolutionär einzuordnen, muss erlaubt sein.
Mit den „Bürgern in Wut“ sind wir schnurstracks in Rottach-Egern gelandet.
Dort hat eine Ladenbesitzerin folgenden Zettel in ihr Schaufenster gelegt –
allerdings nur eine Stunde lang.
Wie zu erwarten war, gingen die Leserbriefschreiber im Merkur sofort
in Stellung, schimpften über die Grünen und lobten die Zivilcourage der
Ladenbesitzerin. Oder aber sie kritisierten die Ausgrenzung einer
demokratischen Partei und forderten auf „den Anfängen zu wehren“. Das zu
tun, hat man im Tegernseer Tal wie an vielen anderen Orten, allen Grund.
Erfreulich war die Reaktion der Volksvertreter: Der Bürgermeister sprach von
„unterirdisch“, eine Gemeinderätin kündigte an, in diesem Geschäft nicht
mehr einzukaufen. Es wäre nicht uninteressant zu testen, wie man in diesem
Geschäft bedient würde, wenn man sich als AfD-Sympathisant outen würde.
AI-Meldungen
Straffreiheit: In der Slowakei wurde ein Geschäftsmann zum 2. Mal
freigesprochen, der bei der Ermordung des Journalisten Jan Kuciak und seiner
Verlobten im Jahre 2018 gewissermaßen auf der mittleren Ebene agierte.
Kuciak hatte die Verbindungen von slowakischen Politikern und organisierter
Kriminalität untersucht. Auf der unteren Ebne wurde eine Frau, eine enge
Vertraute des Geschäftsmannes, zu 25 Jahren verurteilt. An die obere Ebene,
wo gegen den Ex-Premier Robert Fico ermittelt wurde, traute man sich nicht
heran, denn der wird im September möglicherweise die Parlamentswahlen
gewinnen.
Religiöse Verfolgung: Ein erschütterndes Interview gab Nikodemus
Schnabel, der neue Abt der Benediktiner in Jerusalem. Er sprach von einer
spürbaren Zunahme von Gewalt gegen Christen, seit die „jüdischen Neonazis“
(Amos Oz) auf der Regierungsbank hocken. Er werde „praktisch täglich
angespuckt, vor 20 Jahren sei das vielleicht einmal in einem halben Jahr
passiert“. Allein im Jahre 2023 wurden Friedhöfe und Kirchen verwüstet,
Statuen zerschmettert, Christen mit einer Eisenstange angegriffen. Die
Attacken sind „ökumenisch gut verteilt“, ausgenommen sind nur die
rechtsevangelikalen Christen. Die werden von der Regierung hofiert.
Todesstrafe: Im Gegensatz zu den letzten Jahren nahm die Zahl der
Hinrichtungen weltweit wieder zu. AI verzeichnete 883 Fälle in den Ländern,
wo Zahlen veröffentlicht werden. In China, Nordkorea und Vietnam bleiben sie
geheim. Die Zunahme ist auf Hinrichtungsexzesse im Nahen Osten (Iran,
Saudi-Arabien) und Nordafrika (Ägypten) zurückzuführen, 40 Prozent basieren
auf Drogendelikten.
Ende April wurde im Iran das Todesurteil gegen den Doppelstaatler Djamshid
Sharmahd bestätigt. Damit steht seine Hinrichtung (wieder einmal) bevor. Die
Miesbacher AI-Gruppe hat im Mai auf den Hilferuf der Tochter reagiert. Diese
hatte beklagt, dass Deutschland lange inaktiv geblieben sei.
Djamshid Sharmahd
Freilassung auf Austauschbasis
Ende April kam der belgische Entwicklungshelfer Olivier Vandecastelee aus
iranischer Geiselhaft frei. Entlassen wurde er nicht wegen erwiesener
Unschuld, daran gab es seit seinem Haftantritt vor 455 Tagen nie einen
Zweifel, oder seines schlechten Gesundheitszustands, sondern auf Grund eines
Deals, der dem iranischen Ex-Diplomaten Assadollah Assadi die Freiheit
verschaffte. Belgiens Regierung hatte einen Notstandsparagrafen genutzt,
weil sie Vandecastelees Leben akut gefährdet sah. Assadi hat die Freiheit
nicht verdient, er hatte ein Attentat auf iranische Oppositionelle in Paris
geplant, und deshalb sollte man genau hinschauen, wenn er wieder einmal in
die EU einreisen sollte.
Endlich wieder daheim!
Der Austausch war natürlich umstritten, aber immerhin kamen im Rahmen dieses
Deals im Juni noch drei weitere Europäer frei. Damit wären wir nahtlos bei
den
Erfolgsmeldungen – bisweilen mit zweifelhafter Vorgeschichte
Belarus: Dort wurde am Monatsanfang der Blogger Roman Protassewitsch
zu acht Jahren Straflager verurteilt – ausgerechnet am „Tag der
Pressefreiheit“. Er war 2021 mit seiner Verlobten auf dem Weg von Athen nach
Vilnius aus dem Flugzeug geholt worden. Am Ende des Monats wurde er
begnadigt, bezeugte dem Präsidenten seine „unglaubliche Dankbarkeit“ und
distanzierte sich von seinem oppositionellen Denken. Seine Beziehung war
schon vorher in die Brüche gegangen. Seine Verlobte wurde aus der Haft
heraus nach Russland überstellt. Wird dort wohl von der Wagner-Gruppe in der
Ukraine eingesetzt.
Freispruch: Im letzten Jahresbericht haben wir Ihnen den Fall von
Tsitsi Dangarembga vorgestellt. Sie ist Journalistin und
Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels und wurde 2020 zu sechs
Monaten Haft auf Bewährung und einer satten Geldstrafe verurteilt, weil sie
mit einer Kollegin und einem Schild mit der Aufschrift „Wir wollen etwas
Besseres. Reformiert unsere Institutionen“ durch die Hauptstadt Harare
marschiert war. Jetzt wurde sie in letzter Instanz freigesprochen.
Friedensmissionen: Nach dem Weltkirchenrat, der seinen
Generalsekretär zum Patriarchen Kyrill, einem eingefleischten Putin-Spezi
und Kriegshetzer, entsandte, hat jetzt auch Papst Franziskus, der sich in
Sachen Putin lange um eine Stellungnahme drückte, zwei hochrangige Gesandte
mit Friedensbotschaften nach Moskau und Kiew geschickt. Teilen wir in
christlicher Hoffnung den Optimismus der Kommentatorin im Merkur:
„Es ist eine Chance, das Christentum im 21. Jahrhundert als
hoffnungsstiftende Kraft zu festigen.“
Was bisher dabei herausgekommen ist, ist unbekannt. Wenn es Ergebnisse
gab, lassen wir wieder von uns hören.
Rabbiner-Konferenz in München: Die Konferenz der Europäischen
Rabbiner verlegt ihren Sitz von London nach München, in die einstige
„Hauptstadt der Bewegung“. Nirgendwo anders, so ihr Präsident, fühle sich
die jüdische Gemeinde so gut beschützt und so warm willkommen. Um diese
freundliche Bewertung richtig einzuordnen, sollte man allerdings wissen,
dass er gerade aus Putins Moskau geflohen ist. Sei es wie es ist. Wir teilen
(ausnahmsweise) die Meinung des Chefredakteurs des Merkur, der von
einem „Münchner Wunder nach der Shoa“ gesprochen hat.
Wahlen in Thailand: Dort haben die Bewohner so gewählt, wie man sich
von den Türken in Deutschland gewünscht hätte – und von den Sachsen,
Thüringern und Deggendorfern wünschen würde. Die neue Partei „Move
Forward/Auf geht’s“ wurde stärkste Kraft. Sie möchte „die politische Rolle
des Militärs zurückdrängen, die alten Monopole aufbrechen und den Reichtum
des Landes gerechter verteilen“. Hoffentlich wird das von den Militärs nicht
nach dem Gesetz der Majestätsbeleidigung geahndet.
1. Mai in Berlin: Da scheint sich etwas wiederholt zu haben, was
schon im letzten Jahr für Überraschung sorgte. „Die Polizei wurde anders als
in allen früheren Jahren seit 1987 nicht angegriffen.“ Es war „erstaunlich
friedlich“ – zumindest von Seiten der Demonstranten her. Stattdessen gab es
Debatten über aggressives Auftreten von Polizisten in Kreuzberg. Da scheint
es einen gewissen „Aufholbedarf“ gegeben zu haben. Für uns Bayern trotzdem
eine Erfolgsmeldung, denn die rabiaten Polizisten sollen aus
Mecklenburg-Vorpommern kommen.
Schlusschoral
Um noch einmal an den „Tag der Pressefreiheit“ (3. Mai) zu erinnern und den
Monatskreislauf zu schließen, eine Karikatur zur „guten Presse“ in der
„guten alten Zeit“.
Süsse heilige Censur,
Lass uns gehen auf deiner Spur;
Leite uns an deiner Hand
Kindern gleich, am Gängelband!
Möge es der Presse weltweit nie mehr so ergehen wie im Deutschland von 1847!
Auch nicht den Medien, die nach Aiwanger nur „links-grünen Gender-Gaga“
verbreiten.
Juni
2023
„Wir sind wütend, wir sind laut,
Weil ihr uns die Heizung klaut.“
Volksaufstand in Erding?
So hätten die 13 000 Demonstranten skandieren können, die in Erding gegen
die „Heizungs-Ideologie“ und noch gegen einiges mehr auftraten. Aber um den
Eindruck zu vermeiden, es habe sich ein Protestgeschehen abgespielt, dessen
Dimensionen an die historischen Bauernschlachten von Sendling und Aidenbach
heranreichten, seien einige Details nachgereicht, die darauf hinweisen, dass
es sich weniger um einen Aufstand des Volkes, sondern um einen Auftritt der
Populisten gehandelt hat.
Die (Mit)Organisatorin
Was in Sendling der „Schmied von Kochel“ war, wurde Monika Gruber für die
Demo in Erding. Sie sorgte mit für den Andrang des Publikums, kupferte mit
einer Kurzpolemik gegen die Schüler den Titel „Saturday for Future“ für ihre
Kundgebung ab, teilte einen Rundumschlag gegen Elektroauto, Gendern und
Fleischverzicht aus und lud (zunächst „nicht geplant“) Politiker als
Resonanzverstärker ein. Hubert Aiwanger revanchierte sich für die Einladung,
indem er ihr den Ehrentitel „Heldin von Erding und ganz Bayern“ verlieh. Da
hat der Hubsi sogar gegendert.
Das Publikum
Darunter waren sicher Leute aus „der Mitte der Gesellschaft“, die
(unbegründet) Angst hatten, „im nächsten Winter in Bayern zu erfrieren“
(Aiwanger) oder sich über das stümperhafte Vorgehen der Ampel beim
Zusammenbasteln des „Gebäudeenergiegesetzes“ ärgerten, aber es waren auch
seltsame Paradiesvögel vertreten. Da befürchtete ein Bäckermeister, dass aus
Bayern „eine DDR 2.0“ werden könnte – und erhielt dafür riesigen Applaus,
und da trug eine Frau eine gelbe Weste mit der Aufschrift „Hängt die Grünen,
solange es noch Bäume gibt“. (Urheber des Zitats: Ex-Bayernspieler Mehmet
Scholl)
Die Politiker
Markus Söder und Hubert Aiwanger nutzten die Veranstaltung, wie zu erwarten
war, zum Wahlkampfauftritt, der allerdings nur für den Vize erfolgreich
verlief. Der Ministerpräsident wurde „von einem großen Teil der Besucher
niedergetrommelt, ausgepfiffen und angeschrien“. Die meisten von ihnen waren
mit Corona-Schildern ausgestattet. Als sich Söder mit einem „Haut selber
ab!“ zur Wehr setzte, hätten auch wir applaudiert, obwohl die Situation ein
wenig an Goethes „Zauberlehrling“ erinnert hat. Aiwanger hingegen ergeiferte
sich schnell die Sympathie des Publikums und wurde mit „Hubsi-Sprechchören
und Zugaberufen gefeiert“. In der Begeisterung verstieg er sich zum
Versprechen/zur Drohung, „die Demokratie wieder zurückzuholen“.
Das Fazit
Volkszorn hin oder her – wir müssen weg von fossilen Heizungsträgern! Sonst
werden wir nicht erfrieren, sondern verdampfen. Im Juli stand ein Leserbrief
zum Thema Klimakleber im Merkur, der die wenig schmeichelhaften
Bezeichnungen, mit denen sie in den meisten Leserbriefen bedacht werden, an
die Adresse der Kleberkritiker zurückschickte:
„Aber alle, die jetzt dafür gesorgt haben, dass Öl- und Gasheizungskessel
in den nächsten zwölf
Monaten ausverkauft sind, sollten sich fragen, was wohl ihre Enkel in 40
Jahren über Opa und Oma denken. Könnte sein, dass dann auch Worte wie
‚Verwirrte, Verbrecher, Egoisten‘ fallen oder gar die Frage gestellt wird,
warum die ihr Hirn nicht sinnvoller eingesetzt haben.“
Wir verlassen den Volksaufstand mit einer Karikatur und der Frage, was der
Mann mit dem Schlauch auf die Volksseele spritzt.
Weitere Konfliktherde – geordnet nach abnehmendem Hitzegrad
Die Eintagesmeuterei der Wagner-Gruppe
Da hat sich ein Mann verkalkuliert, der sonst genau berechnet, wo es was zu
holen gibt. „Für einen Augenblick“, so die SZ, „schien alles
möglich, der Fall Moskaus, der Sturz Putins“, doch dann lief alles wie das
alte Sprichwort. „Pakt schlägt sich, Pack verträgt sich“. Der „Verräter“
Prigoschin und weitere Kommandeure kamen nur fünf Tage nach dem
Putschversuch mit Putin zu einem dreistündigen Gespräch zusammen, wurden
(vermutlich) mit giftfreiem Tee bewirtet und besprachen u.a. „Varianten der
weiteren Verwendung“. Ein russischer General deutete an, dass man die
Wagner-Söldner am Suwalki-Korridor einsetzen könnte. Das ist die einzige
Landverbindung zwischen den baltischen Staaten und ihren übrigen
NATO-Partnern.
Auf einem Video hat Prigoschin erklärt, dass Russland bei Kriegsbeginn von
der Ukraine her nicht gefährdet war, und dass die „Spezialoperation“ nur der
„Selbstdarstellung eines Haufens von Bastarden“ gedient hätte. Der Mann kann
ja auch die Wahrheit sagen! Den Kurzaufstand hat er dann nicht lange
überlebt. Im August stürzte er ab – oder wurde abgestürzt.
Volksjustiz in Haiti
Das Land, das genügend andere Probleme hätte, wird seit Jahren von brutaler
Bandenkriminalität heimgesucht, Morde, Entführungen, Vergewaltigungen und
Schutzgelderpressung sind an der Tagesordnung. Als Reaktion haben sich
Bürgerwehren gebildet, die mangels Polizeipräsenz selbst Jagd auf die Banden
machen. Eine dieser Bürgerwehren nennt sich Bwa Kale/Keine Gnade mehr – und
ihre Methoden ähneln denen der Banden. Es kam zu Steinigungen,
Verstümmelungen, Verbrennungen bei lebendigem Leib. Und, als Folge, zu einem
Rückgang der Entführungen und der Morde. Die Gewaltspirale hat dazu
geführt, dass die Bevölkerung und die NGOs jetzt sogar wieder den Einsatz
internationaler Hilfstruppen fordern, obwohl man mit den Blauhelmen in der
Vergangenheit sehr schlechte Erfahrungen (Seuchen, sexuelle Übergriffe)
gemacht hat.
Extremismus in Deutschland – von links nach rechts
Dresden/Leipzig: Eine Art von Selbstjustiz praktizierten auch die
Antifa-Aktivisten um Lina E., die in Sachsen und Thüringen Anschläge auf
ausgewiesene (und vermeintliche?) Neona-zis verübt hatten. Sie wurden in
Dresden wegen Bildung einer „kriminellen Vereinigung, gefährlicher
Körperverletzung“ und anderer Delikte zu mehrjährigen Haftstrafen
verurteilt. Obwohl der Haftbefehl gegen Lina E. ausgesetzt wurde und sie
vorläufig freigelassen wurde, kam es zu einem bundesweiten Tag X, der in
Leipzig zu massiven Auseinandersetzungen zwischen dem schwarzen Block der
Linksextremisten und der Polizei kam. Ob Lina E. und ihre drei
Mitangeklagten von der „Hammer-Bande“ mitmischten, war nicht auszumachen. In
Hinblick auf das Urteil gegen Lina E. (fünf Jahre und drei Monate), merkte
die SZ an, dass gegen rechte Hetzer, Helfershelfer und Gewalttäter
bundesweit (und gerade auch in Sach-sen) „oft eher lasch“ vorgegangen wird.
Dresden: Ein Richter am Verwaltungsgericht Dresden darf weiter über
Asylfälle entscheiden, obwohl er in der rechtsnationalen Junge Freiheit
scharf gegen seine „Klientel“ vom Leder zog. Er schreibt von der
„unbegrenzten Einwanderung in unsere Sozialsysteme“, behauptet, dass uns
“Merkels Staatsdoktrin der offenen Grenzen“ eingeimpft wurde „wie zu Erichs
Zeiten“ und ergeht sich in lyrischen Aneignungen wie: „Multikulti in seinem
Lauf, hält weder Ochs noch Esel auf.“ Als eine Asylanwältin über ihn Klage
führte, beschieden ihr seine Richterkollegen, dass er bei Asylentscheidungen
nicht befangen sei, weil bei ihm keine „Überemotionalität oder gar
ausländerfeindliche Gesinnung zu erkennen sei“.
Sonneberg: Die AfD „hat es geschafft“. In Thüringen hat der
AfD-Kandidat die Landratswahl gewonnen, obwohl sich hinter seinem Gegner ein
ganzes Parteienbündnis versammelt hatte. Als dann eine Woche später ein
Umfrageergebnis veröffentlicht wurde, wonach 34 Prozent der Thüringer
(wesentlich anfälliger als die Thüringerinnen!) AfD wählen möchten, wurde
klar, dass der Karikaturist mit seiner neuen Einordnung von „Minderheiten
und Mainstream“ gar nicht so sehr im Abseits liegt.
Wir in Bayern sollten uns aber vor Ossiephobie hüten. Auch bei uns ist die
AfD im zweistelligen Bereich und wird wohl nur durch den Aiwanger-Flügel bei
den Freien Wählern von weiteren Höhenflügen abgehalten.
Migration – Katastrophen, Probleme und Kompromisse
Die Katastrophe: Die AfD hat in ihrem Wahlkampfprogramm versprochen,
der „Flutung Deutschlands und Europas durch Migranten“ entgegenzutreten. Das
Wort „Flutung“ hat sich konkretisiert, als in der Nähe des griechischen
Ferienortes Pylos ein Fischerboot mit bis zu 750 Flüchtlingen an Bord
kenterte. Nur 104 Personen konnten gerettet werden, die meisten Todesopfer
waren Frauen und Kinder, die sich im Schiffsinneren befanden – aus welchen
Gründen auch immer. Die griechischen Behörden schalteten Europol ein, um
gegen die Schleuserbande zu ermitteln, wohl aber auch, um davon abzulenken,
dass kriminelle Energie auch auf Seiten der griechischen Küstenwache
vorliegen könnte. Diese habe zunächst Hilfeleistung abgelehnt, obwohl das
Schiff wegen Motorschadens bereits manövrierunfähig war und habe dann, so
die Aussagen von Überlebenden, beim Abschleppen das Boot zum Kentern
gebracht und erst wieder eingegriffen, als das Boot schon gesunken war. Der
Vorwurf eines Überlebenden:
„Das Boot wäre ohne die griechische Küstenwache nie gesunken. … Die haben
das mit Absicht getan.“
Überlebt, und jetzt?
Die Probleme: Der Bundestag hat mit deutlicher Mehrheit das neue
Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen. Es soll ausländischen Fachkräften
erleichtern, nach Deutschland zu kommen und hier einen Job zu suchen.
(Anerkennung von Berufsabschlüssen, Erleichterung des Familiennachzugs). Was
nach Meinung der SZ aber bei uns noch etwas fehlt, ist die „Freundlichkeit“,
sei es bei der Wohnungssuche, im Umgang mit Behörden, sei es die Reaktion
auf der Straße, „wenn die Sprache noch nicht perfekt sitzt“. Aber das kann
man leider nicht per Gesetz verordnen.
In Greifswald sprach sich in einem Bürgerentscheid eine Mehrheit von 65
Prozent dagegen aus, dass die Stadt Flächen für die Errichtung von
Containerdörfern verpachtet. Die Kampagne der Verhinderer setzte voll auf
Angstmacherei, Staatsverdrossenheit und fremdenfeindliche Clichés. Die
Zukunft der Stadt sei gefährdet, weil man sie mit Flüchtlingen „vollstopfe“,
es gebe in Deutschland keine Demokratie mehr und überhaupt sei die
Bundesregierung, so die Christdemokraten, auf „migrationspolitischer
Geisterfahrt“.
Der Kompromiss: Um die „Geister“ einzugrenzen, d.h. Flüchtlinge
abzuschrecken, kamen in Brüssel die Innenminister zusammen und haben sich
nach zähem Ringen, auf ein gemeinsames Verfahren für Asylbewerber geeinigt:
„Lagerung“ von und Eilentscheidung über Asylbewerber aus relativ sicheren
Herkunftsstaaten in Einrichtungen an den Außengrenzen, ein
„Solidaritätsmechanismus“ zur Verteilung von Asylbewerbern mit hohen
Anerkennungsquoten auf europäische Binnenländer, auf Ausgleichszahlungen
durch Länder, die sich dem (verpflichtenden) Solidaritätsmechanismus
entziehen, und, auf Drängen Deutschlands, auf den Verzicht auf
Schnellverfahren für unbegleitete Minderjährige.
„Geeinigt“ sollte man unter einen zeitlichen Vorbehalt setzen, denn der
Kompromiss wurde postwendend von einigen Seiten in Frage gestellt. Unsere
Innenministerin versucht hartnäckig (aber einsam), auch Familien mit Kindern
vom Schnellverfahren auszunehmen, die Grünen sind gespalten, und Polen und
Ungarn agierten auf dem EU-Gipfel, als wären sie in Brüssel nicht dabei
gewesen.
AI-Meldungen – fast schon alphabetfüllend
Argentinien: In der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 sind
Zehntausende verschwunden. Eine der perfidesten Methoden war, sie aus einem
Flugzeug in den Atlantik zu werfen. Jetzt brachten Junta-Opfer eine dieser
Maschinen aus den USA zurück, wo sie zuletzt für Fallschirmsprünge genutzt
wurde. Warum die Rückführung? Weil immer mehr Menschen die Verbrechen der
Junta leugnen. „Der Hitler war doch auch nicht so … “
Das Todesflugzeug vom 14. Dezember 1977
Brasilien: Die Abgeordnetenkammer hat einen Gesetzesentwurf
verabschiedet, der die Rechte indigener Gemeinschaften massiv einschränken
könnte. Es geht darum, dass indigene Völker in Zukunft nur noch Gebiete
beanspruchen dürfen, wenn sie beweisen können, dass sie bereits vor
Inkrafttreten der aktuellen brasilianischen Verfassung von 1988 dort gelebt
haben. Der Entwurf berücksichtigt nicht, dass diese Völker in der
Vergangenheit gewaltsam aus ihren ursprünglichen Siedlungsgebieten
vertrieben wurden. Hinter dem Entwurf stehen Agrarlobby und
Bergbauindustrie. Wer denn sonst?
Darfur/Sudan: Wie schon 2003 gehen Milizen wieder auf die
Zivilbevölkerung los. Die Region ist zum „blutigsten Schlachtfeld“ im Duell
der beiden Generäle geworden. Weit mehr als 1000 Menschen sollen allein in
der Stadt el-Geneina getötet worden sein. Belagert wird die Stadt von der
RSF-Miliz Hemetis, die Opfer gehören überwiegend zur ethnischen Minderheit
der Masalit. Die „Ärzte ohne Grenzen“ bezeichnen die Stadt derzeit als
„einen der schlimmsten Orte auf der Erde“.
Frankreich: „Mein Frankreich tut mir leid“, so kommentierte
Fußballstar Mbappé die Erschießung eines 17-jährigen Jugendlichen
algerischer Herkunft, der bei einer Verkehrskontrolle einem schussfreudigen
Polizisten zum Opfer fiel. Präsident Macron sprach von einer Tat, die „nicht
zu entschuldigen“ sei, und selbst sein strammer Innenminister, der das
Problem überzogener Polizeigewalt beharrlich negiert, fand das Video vom
Todesschuss „extrem schockierend“ und nicht „dem entsprechend, was wir uns
von der Polizei wünschen“.
Der Aufstand in den Vororten folgte auf dem Fuß. Barrikaden wurden
errichtet, Mülltonnen, Autos und der Anbau eines Rathauses in Brand
gesteckt, Einsatzkräfte mit Feuerwerkskörpern beschossen. Selbst eine
Grundschule wurde ein Raub der Flammen. Als aber dann Politiker und ihre
Familien tätlich bedroht wurden, ging auch das Verständnis für das Anliegen
der Demonstranten verloren. Nur gut, dass im Hintergrund Marine Le Pen
lauert. Die wird die Polizei an die Leine nehmen und den Vorstädtern zeigen,
wie man friedlich demonstriert. (Vorsicht Satire!)
Iran: Die Hinrichtungswelle rollt ungebrochen weiter. Bis Anfang Juni
waren es schon 282 Menschen, doppelt so viel wie im Vorjahreszeitraum. Neben
den Drogendelikten wurde auch „Ehebruch“ und Nutzung sozialer Medien/“Abfall
vom Glauben“, mit dem Tode bestraft. Wenn letztere in Deutschland auch
strafbar wären, hätten die Gerichte nichts anderes zu tun.
Libyen: Eine „Revolutionärin im Kampf gegen die Männer“ nannte man
Amal Elhaj, die 2011, als man den Männern wieder die Ehe mit fünf Frauen
zugestand, die „Bewegung libyscher Frauen“ gründete, die Libyerinnen über
Frauenrechte aufklärte und sie zur Bewerbung für öffentliche Ämter
ermutigte. Sie selbst wollte im Jahre 2012 Premierministerin werden, wurde
aber als Frau nicht in die Kandidatenliste aufgenommen. Es folgten
Morddrohungen und das Exil in Tunesien und Ägypten. 2022 kehrte sie zurück
und schloss sich dem „Rat libyscher Frauen“ an, der nach einem Sitzstreik
vor dem Parlament den Status einer staatlich legitimierten Institution
erhielt. „An uns“, sagt Elhaj, „kommen die Machthaber nicht mehr vorbei“.
Amaal Elhaj
Russland: Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte/EGMR hat
Russland wegen mangelnder Aufklärung des Giftanschlags auf Nawalny zu einer
Geldstrafe verurteilt. Das Gericht bemängelte, dass ein politisches Motiv
für den Mordversuch und eine mögliche Beteiligung von staatlichen Agenten
nicht in Betracht gezogen worden seien. Jetzt soll ihm Russland 40 000 €
Schadenersatz leisten. Die könnte er gut für Anwaltskosten brauchen, denn
seit Mitte Juni läuft ein neues Verfahren gegen ihn. Das Urteil ist zu
begrüßen, selbst wenn man Putins Lachen bis nach Strasburg hörte.
Die russische Justiz reagierte auf ihre Weise. Im August wurde Nawalny zu
einer weiteren Haftstrafe verurteilt, im September wegen
„Unverbesserlichkeit für ein Jahr in eine EPKT-Zelle verlegt, nach Aussagen
von Insassen ein Ort, wo „Folter am Fließband“ betrieben werde.
Uganda: In der Stadt Mpondwe haben fünf Kämpfer einer islamistischen
Miliz eine Schule überfallen und mindestens 42 Menschen getötet – fast alle
noch Kinder. Das Gebäude wurde in Brand gesteckt. Nach dem Überfall wurden
15 Kinder verschleppt, drei von ihnen sollen befreit worden sein.
Ukraine: Eine Strafanzeige, die wohl einen langen Weg vor sich hat,
hat die Ukrainerin Marija Kowalenko beim deutschen Generalbundesanwalt gegen
zwei russische Soldaten und deren Vorgesetzten gestellt. Die beiden Soldaten
waren im März 2022 in ihr Haus eingedrungen, hatten ihren Mann erschossen
und sie mehrmals vergewaltigt. Einer der Täter, Michail R., posiert in einem
russischen Netzwerk als stolzer Vater einer Tochter und Arm in Arm mit
seiner Frau. Die deutsche Justiz sammelt Hinweise auf russische
Kriegsverbrechen, aber die „Aufarbeitung dieser Verbrechen … bringt jede
Staatsanwaltschaft an ihre Grenzen“. Deutschland könnte nach dem
Weltrechtsprinzip gegen die Täter vorgehen, aber dazu müssten die erst mal
nach Deutschland kommen.
Grenzwertiges und Grenzen sprengendes
Diesen Abschnitt halte ich in weitgehend in Kurzform, nicht zuletzt
deswegen, weil mir eine Meinungsbildung schwerfällt. Aber vielleicht haben
Sie eine!
Evangelischer Kirchentag: Bundespräsident Steinmeier hat bei seinem
Auftritt das Motto des Kirchentages „Jetzt ist die Zeit“ in einer Weise
erweitert, die nicht auf allgemeine Zustimmung traf. Er fügte dem Motto den
Zusatz bei „Es ist auch Zeit für Waffen“. Für die SZ war das eine
„leichtfertige Bibelei“.
Dosenwerfen auf AfD-Politiker: Die Stadt München hat heuer wieder zum
Rathaus-Clubbing eingeladen, Das ist eine Art Initiationsparty für
18-jährige. Die Grüne Jugend hat das Wort „clubbing“ in einem anderen Sinn
verwendet. Es heißt nämlich auch „mit dem Stock oder einem anderen Objekt
schlagen“, deshalb konnte man an ihrem Stand die Bilder von AfD-Politikern
mit Dosen bewerfen. Was aber gar nicht geht, war, dass man auch die
ehemalige Chefin der AfD in Bayern, die im Frühjahr verstorben ist,
unbedacht auf einer Dose präsentiert hat. Die Grüne Jugend hat sich zwar
postwendend dafür entschuldigt, aber da hatte die AfD bei ihrer Anzeige
schon die „Verunglimpfung des Angedenkens Verstorbener“ mit aufgenommen.
Opfer oder Täter oder beides? Der Stadtrat der Grünen, Bernd
Schreyer, legte sein Mandat nieder, nachdem er auf Twitter den Umgang mit
den Grünen wegen des Heizungsgesetzes mit des Shoa verglichen hatte. Es sei
„gelungen, so gegen Grüne aufzuwiegeln, als seien sie die ‚neuen Juden‘,
die ausgemerzt werden müssen, um Deutschland wieder alles Glück und
Wohlstand zu bringen“.
Zugegeben ein überzogener Vergleich, aber denken sie kurz an die Frau in
Erding!
Die Drag-Lesung: Ehrlich gesagt – muss ich in Miesbach nicht
unbedingt haben, aber für die LGBTQ-Gemeinschaft besteht ein gewisser
Nachholbedarf an Öffentlichkeit und gegenwärtig ist sie dabei, sich diese zu
beschaffen. Und, ehrlich gesagt, Überprofilierung ist immer noch besser als
Diskriminierung und Aggression von der Gegenseite! Vor der Stadtbibliothek
fanden fünf Demonstrationen statt, vier gegen die Lesung und eine dafür. Da
sah man erneut, welche Megaprobleme manche Leute auf die Straße treiben. Die
Lesung selbst scheint so zu verlaufen sein, dass „das Kindswohl der kleinen
Besucher (wohl nicht) gefährdet“ war.
Die Grenzen gesprengt hat eher das Anti-Plakat der AfD, das queere Menschen
als potentielle Missbrauchstäter darstellte und „offen Anleihen bei
antisemitische Karikaturen der NS-Zeit“ nahm. Ein katholischer Pfarrer hat
die Partei dafür angezeigt.
„Rammstein“- hinter den Kulissen: Gegen den Frontmann der Gruppe Till
Lindemann und ein weiteres Band(en)mitglied stehen Vorwürfe im Raum, sie
hätten sich weibliche Groupies rekrutieren lassen, sie betäubt und dann
sexuell missbraucht. Was schert’s die Fans? Die vier Konzerte in München
waren ausverkauft, die Handvoll Gegendemonstrantinnen (und
Gegendemonstranten!) erhielten zwar „sehr viel Zuspruch“, waren aber auch
Übergriffen und übelsten Beleidigungen durch Rammstein-Fans ausgesetzt. Wer
als Mädchen/junge Frau unbedingt hingehen und heil wieder heimkommen möchte,
dem sei zur Vorbereitung folgende Karikatur empfohlen:
Entschuldigung! Einige Abschnitte haben leider die Grenzen der „Kurzform“
gesprengt!
Bessere Nachrichten – ja, die gab es auch!
Die „Galerie des Grauens“: Was, das soll eine gute Nachricht sein,
dass ein besessener Verschwörungstheoretiker eine umfangreiche Ausstellung
auf dem Stadtplatz von Miesbach über die vermeintlichen Opfer der
Corona-Impfung abhielt – und diese Ausstellung auch noch genehmigt bekam?
Eine Ausstellung, die die Impfkampagne mit der Ermordung von Juden in
Auschwitz vergleicht und dem Urheber auch schon eine Verurteilung wegen
Volksverhetzung eingebracht hat. Nein, die gute Nachricht war der engagierte
Leserbrief eines Miesbachers, der allen Menschen dankte, die sich im
Gesundheitsbereich dafür eingesetzt hatten, dass durch die Impfkampagne
Hundertausende von Todesfällen vermieden wurden und der im „mutigen Verbot
der Aktion das richtige Signal“ gesehen hätte.
Ehrendoktortitel für Angela Merkel: Die Ex-Kanzlerin ist in Paris mit
der Ehrendoktorwürde der Hochschule Sciences Po ausgezeichnet worden. Es ist
vermutlich nicht ihr erster Titel, aber ungewöhnlich (und für viele Deutsche
fast schon aus der Zeit gefallen) ist die Begründung, die der Direktor der
Hochschule anführte:
„Sie haben mit drei Worten die Ehre Europas gerettet: Wir schaffen das.“
Für manche Chefredakteure sind diese drei Worte immer noch das „Unwort des
Jahrzehnts“.
Freispruch in der Türkei – auch das kommt vor: Die
Amnesty-Vertreter/innen Taner Kilic, Idil Eser, Günal Kursun und Özlem
Dalkiran sind von einem Gericht in Istanbul freigesprochen worden. Sie waren
vor sechs Jahren festgenommen worden und saßen monatelang in Haft – und das
allein wegen ihrer friedlichen Menschenrechtsarbeit.
Die „Terroristen“ nach dem Freispruch
Sintflut in der Ukraine: In der Einleitung habe ich vom Teufel
gesprochen. Ich glaube zwar nicht, dass es ihn gibt, lasse ihn aber kurz im
Zusammenhang mit der Sprengung des Kachowka-Staudamms wieder erscheinen –
wenn auch nur in einer Nebenrolle.
Juli
2023
„Wenn der Wind der Veränderung weht,
bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“
Chinesisches Sprichwort
Dieses Sprichwort kam mir in den Sinn, als ich im August von der
Forsa-Erhebung im Auftrag des Beamtenbundes las, wonach nur noch 27 Prozent
der Bevölkerung den Staat für fähig hielt, seine Aufgaben zu erfüllen. Aber
es kam mir auch der Verdacht, dass der Grund für diese Staatsverdrossenheit
auch sein könnte, dass den Bürgern aufstößt, dass auch er/sie auf manchen
Gebieten einen Beitrag zur Erfüllung dieser Aufgaben zu leisten haben wird,
z.B. bei der Herausforderung Klimawandel. Aber da zeigt sich eine
merkwürdige Diskrepanz: Zwar ist der Klimawandel für eine breite Mehrheit
ein Problem, aber die Bereitschaft zur Veränderung ist eher unterentwickelt
– selbst wenn es für viele gar nicht „ans Eingemachte“ gehen würde.
Zurück zum Thema „Staatsverdrossenheit“! Da sollten die Teilnehmer an der
ForsaErhebung, aber nicht nur die, doch einmal den Blick auf andere Staaten
werfen, wo die Bürger mehr Grund haben, verdrossen, wütend oder verängstigt
zu sein, weil der Staat seine Aufgaben nicht wahrnehmen kann, seine Macht
massiv überzieht oder Veränderungen blockiert. Wir sind bei den echten
Problemstaaten
Israel
Mit 64 zu 0 Stimmen hat die Knesset das erste Gesetz zur sogenannten
Justizreform verabschiedet, die Opposition hatte die Abstimmung boykottiert.
Voraus und parallel gab es heftige Proteste – und nur vereinzelt
Sympathiekundgebungen. Die Protestbewegung sieht das Land „an der Schwelle
zur Diktatur“, der Präsident spricht von einem „nationalen Notstand“, der
Polizeipräsident von Tel Aviv tritt zurück, weil er dem Befehl, härter
durchzugreifen, nicht nachkommen will, Reservisten drohen damit, nicht mehr
zum Dienst zu erscheinen – und der Energieminister fordert die Verhaftung
eines Protestführers wegen Aufruhr.
Zur „Zwei-Staaten Lösung“ gibt es seit längerer Zeit eine israelische
Binnenversion: ein Staat für die religiösen Nationalisten und ein Staat für
die säkularen Demokraten. „Doch lachen, so die SZ, kann darüber
gerade niemand mehr.“
Zittern vor der Rechtsregierung muss aber nicht nur das oberste Gericht,
sondern auch die Frauen. Die Regierung strebe nach Ansicht von
Frauenrechtlerinnen den Aufbau eines religiösen Staates an, in dem Frauen
nur eine untergeordnete Rolle spielen würden. Es liegen Gesetzesentwürfe
vor, die Frauen vom Richterinnenamt ausschließen, die elektronischen
Überwachung von gewalttätigen Männern verhindern und den Frauen den Einblick
in die Familienfinanzen verweigern würden. Und wer in bunter Kleidung vor
der Klagemauer betet, würde dann nicht nur weggeführt, sondern gleich im
Gefängnis landen.
Palästina
Ende Juni erschossen zwei Palästinenser vier Israelis nahe der Siedlung
Eli/Westjordanland. Die Siedler bezichtigten die Armee der Tatenlosigkeit
und fielen noch am Abend des Anschlags zu Hunderten über mehrere
palästinensische Ortschaften her. Da konnte die Armee natürlich nicht im
Abseits bleiben. Anfang Juli kam es auf der Suche nach den zwei
Verdäch-tigen zu einem massiven Militäreinsatz im Lager Dschenin, mit
Bulldozern am Boden und Angriffen aus der Luft. 12 Palästinenser und ein
israelischer Soldat wurden getötet, das Lager glich einem Trümmerfeld. Der
Einsatz erfolgte unter dem Code-Namen „Heim und Garten“.
Beim Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern stellt sich (wieder so
oft in der Geschichte) die Frage, ob der Mensch wirklich die „Krone der
Schöpfung“ oder nicht doch eher eine Sackgasse der Entwicklung ist.
Sudan
In der leidgeprüften Region Darfur sind im Juni mindestens 87 Zivilisten
getötet und in einem Massengrab verscharrt worden. Täter ist die arabische
Miliz RSF, die schon vor 20 Jahren unter dem Namen Dschandschawid/Teufel auf
Erden, die nicht-arabische Bevölkerung der Region tyrannisiert hat. Aber die
Täter wären austauschbar. Den beiden Generälen ist nur gemeinsam, dass sie
keinerlei Interesse haben, ihr Duell zu beenden. Der Teufel soll sie holen!
Der hatte sie leider auch im Oktober noch nicht geholt. Im Lande herrscht
ein „mörderisches Patt“.
Iran
Sie ist wieder da – die Sittenpolizei, die Ende 2022 kurzzeitig aus dem
Verkehr gezogen wurde, dreht wieder ihre Runden, „um unpassende Kleidung zu
bekämpfen“. Ihre Arbeit wurde in der Ruhepause „digitalisiert“: Man hat
Kameras an den Straßen installiert und kann damit auch Frauen verfolgen, die
gegen die Verschleierungspflicht verstoßen. Die Strafen, so ein
Gesetzentwurf, reichen von Verwarnungen über Geldbußen und Berufsverboten
bis zu Gefängnisstrafen. Besonders hart sollen Prominente bestraft werden,
denn im Herbst 2022 hatten sich zahlreiche Fimschaffende mit der
Frauenbewegung solidarisiert.
Der Entwurf scheint inzwischen schon Gesetz zu sein, denn die Schauspielerin
Afsaneh Bajegan, die bei einer Veranstaltung zu Ehren eines Kollegen ohne
Kopftuch erschienen war, wurde zu zwei Jahren Haft auf Bewährung, zwei
Jahren Ausreiseverbot und fünf Jahren Aussperrung von den sozialen Medien
verurteilt. Besonders pikant ist die Auflage, dass sie sich einmal die Woche
einer psychologischen Behandlung unterziehen muss. Da sollte man eher die
Sittenpolizei und ihre Drahtzieher hinschicken.
Afsaneh Bajegan – mal ohne mal mit,
Thailand
Dort hat ein Verbund von Militärs und 250 Militär-hörigen Senatoren dem
Wahlsieger Pita Limjaroenrat, dessen Partei Move Forward/MFP für einen
tiefgreifenden Wandel im Land eintritt, den Wahlsieg gestohlen. In der
ersten Abstimmung fiel Pita durch, weil seine Koalition keine Mehrheit
bekam, zur zweiten Abstimmung durfte er gar nicht mehr antreten, weil ihn
das (ebenfalls konservative) Verfassungsgericht wegen einer fragwürdigen
Firmenbeteiligung noch während der laufenden Debatte suspendierte. Von
seinen Gegnern vorgeschoben wurde, dass die MFP auch das vorsintflutliche
Majestätsbeleidigungsgesetz überarbeiten möchte, aber im Grunde geht es um
Abbau von Privilegien, demokratische Reformen, kurz um alt gegen neu – womit
wir wieder beim Sprichwort des Monatsanfangs gelandet wären. Im August ist
dann der Chef der zweitstärksten Partei als Premierminister eingesprungen.
Eine online-Zeitung formulierte: Er hat sich mit den konservativen Parteien
des Militärs „ins Bett gelegt“. Pita Limjaroenrat trat im September als
Parteichef von MFP zurück. Damit ist wieder Ruhe im Regenwald.
Flüchtlinge und Asyl
Neben den Naturkatastrophen (Waldbrände, Überschwemmungen etc.) auch kein
Thema, das Entspannungspotential hat.
Landkreis Miesbach
Da fand in Neuhaus eine Veranstaltung zum Thema „Ausnahmezustand an den
Rändern Europas“ statt. Gesprochen wurde u.a. über die Zustände im
griechischen Flüchtlingslager Moria, den Rechtsverstößen an den europäischen
Außengrenzen und den Höhenflug rechter Parteien. Es herrschte zwar, so der Merkur,
„ein großer Redebedarf“, aber zu einem „Ausnahmezustand“ im Publikum scheint
es nicht gekommen zu sein. Moderiert wurde die Veranstaltung übrigens von
Hubert Heinhold, der auch Mitglied unserer Gruppe ist.
Näher am „Ausnahmezustand“ war man schon beim Gespräch des Miesbacher
Bürgermeisters mit unserem CSU-Bundestagsabgeordneten Alexander Radwan. Die
Stadt und der Landkreis wenden sich mit Nachdruck gegen weitere
Flüchtlingszuweisungen, mit der Integration „sei man am Limit“, aus dem
Helferkreis werde „SOS gefunkt“. Bis jetzt sind aber, im Gegensatz zu den
Flüchtlingsbooten, bei den Helfern noch genügend Schwimmwesten vorhanden.
Überfall
In Sebnitz/Sachsen haben vier maskierte Männer Bewohner einer
Flüchtlingsunterkunft attackiert, die Hintertüre eingetreten, einen Afghanen
gegen eine Wand gestoßen und ihn mit Gegenständen beworfen. Bild beschaffte
sich das Handyfoto eines Angreifers von einem Mitbewohner
Und die Fahne flattert uns voran
und titelte
„Das sind die Masken-Nazis aus dem Treppenhaus.“
Und da hat Bild einmal recht.
Deal mit Tunesien
Die EU hat mit Tunesien eine Absichtserklärung unterzeichnet, mit der die
„irreguläre Migration“ über das Mittelmeer reduziert und chancenlose
Flüchtlinge zurückgenommen werden sollen. Der Deal wurde als „hässlich aber
nötig“ bezeichnet, gilt als Blaupause für weitere Abkommen mit afrikanischen
Anrainerstaaten und wurde von Pro Asyl und grünen Politikern abgelehnt, weil
man ihn mit einem „Autokraten“ ausgehandelt hat, „dessen Sicherheitskräfte
Menschen in die Sahara verschleppen und dort ohne Wasser aussetzen“. Davon
gibt es Fotos, die uns selbst in der Hitzewelle frösteln lassen. Das Foto
von Fati Dosso und ihrer sechsjährigen Tochter Marie, die dabei verdurstet
sind, wollen wir Ihnen/uns lieber ersparen.
Ausgesetzt in der Wüste
Ein Leitartikel in der SZ versucht sich in Alternativen: Europa
muss Perspektiven schaffen für Menschen in den Ländern, wo die Flüchtlinge
ursprünglich herkommen, und man muss sie wissen lassen, dass es Chancen
gibt, legal nach Europa zu kommen, „keine Garantie, aber eine Chance“. Das
Problem ist, dass man keine legalen Kanäle für Armutsflüchtlinge schaffen
wird und, angesichts ihrer Zahl, wohl auch nicht kann.
Institutsgarantie – Königsweg oder Hintertürl?
Vom Unionspolitiker Thorsten Frei wurde die Forderung erhoben, aus dem
Individualrecht auf Asyl eine Institutionsgarantie zu machen. Das Wort
klingt besser als es ist, schon weil es nirgendwo so richtig erklärt wird.
Es meint wohl, dass Asyl in irgendeiner Form weiter existiert, aber in
abgespeckter Form. Wer von Europa aus Schutz begehrt, wird abgewiesen, wer
Schutz braucht, soll dies im Ausland beantragen. Wenn man Glück habe, käme
man dann in ein Kontingent von 300 000 bis 400 000 Ausreiseberechtigten, die
auf europäische Länder verteilt werden könnten. Auf diese Weise könne man
den Flüchtlingen die Gefahren des Fluchtwegs ersparen, den Alten und
Schwachen einen Zugangsweg schaffen – und damit die Zahl der jungen Männer
reduzieren, die bei uns nur Blödsinn machen. Letzteres hat Frei so nicht
gesagt! Außerdem könne man damit verhindern, dass Flüchtlinge bei Ablehnung
den deutschen Rechtsweg belasten, denn mit Einsprüchen, die von Afghanistan
aus erfolgen, wird sich kein deutsches Gericht befassen.
Nach Meinung der Kritiker ist Freis Vorschlag „realitätsfremd“, weil sich
Flüchtlinge trotzdem auf den Weg machen werden, nicht zuletzt deswegen, weil
es beispielsweise in Bürgerkriegsgebieten nicht an jeder Ecke ein EU-Büro
gibt, wo man sich als Kontingentflüchtling anmelden kann – schon gar nicht,
wenn man alt und krank ist.
Freis Vorschlag fiel bei einer Umfrage durch. Nur 32 Prozent der
Bundesbürger waren dafür, das individuelle Asylrecht abzuschaffen. Wir sind
doch nicht so fremdenfeindlich, wie wir manchmal glauben.
Sturm aufs Kirchenasyl
Im Landkreis Viersen/NRW schickte die Ausländerbehörde morgens um sechs Uhr
Beamte in ein evangelisches Gemeindehaus und ließ ein kurdisches Paar aus
den Kirchenräumen holen, wenige Tage bevor die sechsmonatige Überstellfrist
abgelaufen wäre und das Paar nicht mehr in das Einreiseland Polen hätte
abgeschoben können, sondern ein Asylverfahren in Deutschland bekommen hätte.
Zur Abschiebung kam es dann nicht, weil die Frau auf dem Flughafen einen
Zusammenbruch erlitt und die Abschiebung abgesagt wurde, weil es
„Unklarheiten in der Bewertung des Falls“ gegeben hätte. Der Verdacht, man
habe einen Versuchsballon gestartet, um auszukundschaften, wie weit man bei
der Sabotage des Kirchenasyls gehen könne, ist nicht von der Hand zu weisen.
Verzerrung der Perspektiven
Es gab im Nachhinein erhebliche Kritik an dem Unternehmen der Tauchkapsel
„Titan“, aber durch den schrecklichen Tod der Besatzung ist diese Kritik in
den Hintergrund geraten. Was der Zeichner aber zu Recht in den Fokus rückt,
ist die unterschiedliche Intensität (und Kapazität), mit der man sich um die
anderen Opfer des Meeres kümmert.
AI-Nachrichten – Nein, danke? – Doch, es muss sein!
Kopfgeld: Im Rahmen seiner „globalen Einschüchterungskampagne“ hat
China ein Kopfgeld von jeweils einer Million Hongkong-Dollar (rund 117.000
€) auf acht Aktivisten ausgesetzt, die sich in der Demokratiebewegung
engagiert hatten und dann ins Exil gingen. „Die Kriminellen“, so Hongkongs
Regierungschef, würden „ihr Leben lang verfolgt, bis sie sich stellen“. Das
chinesische Außenministerium verbat sich Kritik als „Einmischung in innere
Angelegenheiten“. Dass ein Kidnapping/Kidkilling in einem der
Zufluchtsländer der Aktivisten auch eine gewisse „Einmischung“ darstellen
könnte, ist für die aufstrebende Rambo-Weltmacht kein Thema.
Häusliche Gewalt: Bei der Vorstellung des „Lagebildes häusliche
Gewalt“ sind die Zahlen in Deutschland so, dass man fast in Versuchung
gerät, selbst gewalttätig zu werden – gegen die Täter. Man braucht hier
nicht (lange) zu gendern, denn zu 80% geht die Gewalt von den Männern aus.
Alle zwei Minuten wird ein Mensch Opfer von Partnerschafts- oder
innerfamiliärer Gewalt, und jeden dritten Tag führt ein versuchtes
Tötungsdelikt tatsächlich zum Tod der Frau. Die Tendenz ist steigend, der
Anstieg setzte sich auch nach der Pandemie fort. Und der Bericht spiegelt
nur das „Hellfeld“ der Lage, viele Fälle werde nie zur Anzeige gebracht.
Zur Abschreckung wird vorgeschlagen: Wenn Kinder das Opfer sind, muss der
Täter „selbstverständlich“ das Umgangsrecht verlieren, ein
„Annäherungsverbot“ muss von der Polizei auch kontrolliert werden – und
dafür wäre eine elektronische Fußfessel gut geeignet. Aber davor schreckt
man noch zurück. Dabei könnte man einen übergriffigen Stalker mit der Frage
„Ist das Ihr Handy, das piept oder schon die Fußfessel?“ doch etwas in
Verlegenheit bringen.
Pressefreiheit: Im Iran stehen die Journalistinnen Elaheh Mohammadi
und Nilufar Hamedi vor dem Revolutionsgericht. Die Anklagepunkte folgen der
üblichen Litanei: „Verschwörung gegen den Staat und die nationale
Sicherheit, Kooperation mit dem Feindstaat USA“. Das mit der „nationalen
Sicherheit“ ist aus der Sicht des Regimes irgendwie verständlich, denn die
beiden Frauen waren unter den ersten, die über Jina Mahsa Amini berichteten,
deren Tod im September 2022 zu einer Protestwelle führte, die für kurze Zeit
die Hoffnung aufkommen ließ, dass die Tage der Mullahs gezählt seien. Jetzt
ist die Zeit der Rache angesagt, und damit hat man einen Richter beauftragt,
der „für besonders harte Urteile bekannt ist“.
Ein Foto vor dem Urteil
Im Oktober wurden sie zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, im Januar 2024
gegen eine Zahlung von 200.000 € Kaution (vorläufig) freigelassen.
„Was passiert mit der Pressefreiheit, wenn die AfD das Sagen hat?“ Mit
diesem Untertitel entwarf die SZ ein düsteres Szenarium zum Umgang
der Partei mit der „Lügenpresse“. Als Beispiel fungierte der
AfD-Bürgermeister von Burladingen/Baden-Württemberg. Er hatte schon im Jahre
2018 gegenüber den Journalisten des Schwarzwälder Boten ein
Hausverbot fürs Rathaus erlassen und ihnen eine strafrechtliche Verfolgung
angedroht, sollten sie weiter über städtische Einrichtungen berichten. Das
Hausverbot musste er damals zurücknehmen, nachdem die Zeitung einen Anwalt
eingeschaltet hatte, aber man möchte sich nicht ausmalen, wie so etwas vor
einen Volksgerichtshof geendet hätte.
Zwangsräumung: In Ostjerusalem wurde die Familie Sub-Laban aus ihrem
Haus vertrieben, das sie seit 1953 bewohnt hatte. Ein Gesetz erlaubt es
Juden, Grundstücke zurückzufordern, die vor dem Jahre 1948, dem Jahr der
Staatsgründung, in jüdischem Besitz waren. Einen vergleichbaren Anspruch auf
Rückgabe von „Alteigentum“ gibt es für Palästinenser nicht. Das Gesetz kommt
den Siedlerverbänden entgegen, die es systematisch darauf angelegt haben,
einen „Bevölkerungsaustausch“ durchzuführen und Jerusalem zu
„entpalästinisieren“.
Streumunition: Die Zusage der USA, der Ukraine Streubomben zu
liefern, ist auf massive Kritik und verquere Zustimmung gestoßen. Die
Munition ist völkerrechtlich geächtet, weil sie mehr Zivilisten in Gefahr
bringt und durch Blindgänger auch noch nach dem Krieg töten kann.
Bundespräsident Steinmeier möchte „den USA nicht in den Arm fallen“, der
Sicherheitsberater in Washington erklärte, die Ukraine „habe zugesichert,
die Waffen sehr vorsichtig einzusetzen“. UN-Generalsekretär Guterres
kritisierte den „Einsatz von Streumunition auf dem Schlachtfeld“, die
NATO-Partner Großbritannien und Spanien lehnten die Lieferung ab. Auch wir
sind natürlich der Meinung, dass man die bescheidenen Versuche, einen Krieg
zu „zähmen“, nicht auch noch unterlaufen sollte.
Haftbedingungen in Belarus: „Unsere Gefängnisse sind Orte des
langsamen Tötens“, sagte Natalja Pintschuk, Frau des
Friedensnobelpreisträgers Ales Bjaljazki, die es noch geschafft hatte, das
Land rechtzeitig zu verlassen. Die politischen Gefangenen dürfen keine
Besuche empfangen, keine Telefonate annehmen, erhalten selten Briefe. Auf
dem Handy der Ehefrauen tauchen anonyme Texte auf, die vom Tod ihres Mannes
berichten. Und auch die Anwälte müssen mit Repressalien rechnen. Jetzt
bereiten internationale Juristen in Bjaljazkis Namen eine Erklärung an den
UN-Sonderberichterstatter vor. Es ist zu befürchten, dass sie im selben
Papierkorb landet, wie ihre Vorgänger.
Sklaverei: Da hat sich Ron DeSantis, republikanischer
Präsidentschaftskandidat und Gouverneur von Florida einen echten „Gag“
erlaubt, um den Listenführer Trump rechtsrassistisch zu überbieten. Er hat
dafür gesorgt, dass der Bildungsrat seines Bundesstaates in den Lernzielen
der Schulen „klarstellt“, dass Sklaven bei ihrer (Zwangs)Arbeit Fertigkeiten
erwarben, „die sie, in einigen Fällen, zu ihrem eigenen Vorteil einsetzen
konnten“. Kinder sollten beispielsweise lernen, wie ein versklavter Schmied
„später im Leben Sachen gemacht hat“ – sofern, aber das sagt DeSantis nicht,
er es überhaupt in ein „späteres Leben“ geschafft hat.
DeSantis sollte sich an Kardinal Marx ein Beispiel nehmen, der die
Nachkommen von
17 Zivilisten, die im Juni 1944 in Filetto/Italien unter Beteiligung des
späteren Weihbischofs Defregger erschossen worden waren, um Verzeihung bat –
mit etwas Verspätung, aber immerhin. DeSantis hätte darauf hingewiesen, die
Erschießung hätte auch einen positiven Effekt gehabt, weil man damit den 17
Zivilisten früher zum ewigen Leben verholfen hätte.
Todesstrafe: Singapur hat erstmals seit fast 20 Jahren wieder ein
Todesurteil gegen eine Frau vollstreckt. Man darf ja nicht den Anschluss (an
China, Iran, USA) verpassen. Die Frau war 2018 wegen des Besitzes von knapp
31 Gramm reinen Heroins verurteilt worden. Eine Woche später fanden die
Hinrichtungen gleich im Dreierpack statt. AI betonte, dass es keine Belege
dafür gibt, dass die Todesstrafe nennenswerte Auswirkungen auf Konsum und
Verfügbarkeit illegaler Drogen habe. Aber der Stadtstaat verfährt wie ein
deutscher Filmtitel: „Wer früher stirbt, ist länger tot.“
Ich habe gemerkt, dass der Juli schon sehr viel Platz eingenommen hat,
deshalb biete ich
Verschiedenes im Schnelldurchgang
- Kriminelle Vereinigung(en)? Einige Ermittlungsbehörden in Bayern
haben intern Zweifel geäußert, dass die „Letzte Generation“ eine kriminelle
Vereinigung ist. Diese Einschätzung war offensichtlich so intern, dass sie
noch nicht bis zur Generalstaatsanwaltschaft München vorgedrungen ist. Die
ließ seit Oktober 2022 vorsorglich Gespräche der „Letzten Generation“ mit
Journalisten abhören. Ende Juni wurde verlautet, dass die Abhöraktion
inzwischen eingestellt ist. Hoffentlich!
- Umstrittener Freispruch: Der Inspekteur der Polizei
Baden-Württembergs wurde vom Vorwurf der sexuellen Nötigung freigesprochen –
aus Mangel an Beweisen. Er war angeklagt, die Abhängigkeit einer jungen
Kommissarin entsprechend ausgenutzt zu haben. In der Urteilsbegründung nahm
der Richter die Frau auseinander und führte „fast genüsslich“ vor, wie sie
die Zärtlichkeiten ihres Chefs geschätzt habe. Als er am Schluss dann sagte,
man müsse „die Opfer von sexuellen Übergriffen ermutigen, Anzeige zu
erstatten“, lachte der ganze Saal.
- Paralleljustiz: In NRW ist ein Konflikt zwischen zwei Clans
beigelegt worden. Der Friedensschluss hat aber einen mehr als faden
Beigeschmack. Er wurde von einem (islamischen) „Friedensrichter“ getätigt,
der von beiden Seiten akzeptiert wurde. Die deutschen Behörden blieben außen
vor, obwohl Mitglieder der Clans auch in Straftaten verwickelt waren. Das
stoßt auf, auch wenn man kein AfD’ler ist.
- „Bürgerkrieg“ auf deutschem Boden: In Gießen ist das „Familienfest“
der Eritreer ausgeartet. Es gab 26 verletzte Polizisten und 125
Strafanzeigen wegen Landfriedensbruch. Die Konfliktparteien: die
Veranstalter des Eritrea-Festivals, denen eine Nähe zum autoritären Regime
am Horn von Afrika nachgesagt wird, und die Flüchtlinge, die vor diesem
Regime geflohen sind. Und dazwischen an die 1 000 Polizisten. Obwohl es
bereits in der Vergangenheit zu Ausschreitungen gekommen war, hatte der
Hessische Verwaltungsgerichtshof das Festival wieder gestattet. In den
nächsten Jahren sollten Stadt und Gericht dafür sorgen, dass zuhause
gefeiert wird.
In Stuttgart das gleiche Bild: Die Stadt genehmigte die Veranstaltung, da
„keine Gründe für ein Verbot vorlagen“, die Situation eskalierte, weil die
Gegner der Eritrea-Vereine Polizei und Teilnehmer angriffen, und es gab
erneut Verletzte und Festnahmen. Selbst wenn man der Meinung ist, dass es
keinen Grund gibt, dass man seine Loyalität zu einem der repressivsten
Systeme Afrikas auch noch feiert, fehlt einem jegliches Verständnis, dass
die Anhänger der „Brigade Nhamedu“/eine Gruppe junger Oppositioneller ihren
Protest durch Krawalle auf Deutschlands Straßen auslebt. „Das“, so eine
CSU-Abgeordnete, „muss sich der Staat nicht gefallen lassen.“
- Brisante Studie: Die Uni Leipzig legte eine Studie vor, in der
3500 Bürger Ostdeutschlands zu „autoritären Dynamiken und Unzufriedenheit
mit der Demokratie“, so der Titel der Studie, befragt wurden. Es gab „hohe
Zustimmungswerte zu Chauvinismus und rechtsextremen und migrationskritischen
Aussagen“. Besonders befremdlich die Zahlen, die bezeugen, dass die braune
Vergangenheit vergessen ist, obwohl die Formulierungen der Fragesteller
(bewusst) im Nazijargon gehalten waren. Es stimmten 26,3 Prozent der
Befragten zu, dass Deutschland jetzt eine „starke Partei brauche, die die
Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“. Und 14 Prozent fanden die Aussage
richtig: „Wir sollten einen haben, der Deutschland zum Wohle aller mit
starker Hand regiert.“ Da würden wir dann sagen: „Heil Höcke!“
Der Trend nach rechts ist aber beileibe nicht auf Ostdeutschland beschränkt.
Eine weitere Studie, die im September veröffentlicht wurde, zeigte, dass
„dass mit rund acht Prozent bei weit mehr Bundesbürgern ein extrem
rechtes Weltbild festgestellt wurde als noch vor zwei Jahren – damals
waren es unter zwei Prozent.“
Dazu ein Vexierbild!
Aufheller – wie man’s nimmt
Myanmar: Aung San Suu Kyi, Ex-de-facto Regierungschefin von Myanmar,
soll vom Gefängnis in den Hausarrest verlegt worden sein. Da gehört sie nach
Meinung des Militärs als Frau auch hin. Und sie kennt sich aus mit dieser
Behausung, denn seit 1989 hat sie ca.
15 Jahre im Hausarrest verbracht. Sie ist jetzt 78 Jahre alt und derzeit zu
33 Jahren Haft verurteilt. Anfang August soll die Haftstrafe auf 27 Jahre
reduziert worden sein. Es wäre höchste Zeit, dass die Putschgeneräle wieder
„weggeputscht“/abgewählt werden. Aber noch hält China seine schützende Hand
über sie.
Brasilien: Präsident Lula hatte nach seinem Wahlsieg das Versprechen
abgegeben, bis 2030 die Abholzung des Regenwaldes zu stoppen. Auch wenn die
Daten noch nicht definitiv sind, scheint er dieses Versprechen auch
einzulösen. Von Januar bis Juni 2023 wurde gut ein Drittel weniger Wald
gerodet als im Vorjahreszeitraum, als noch der Kahlschläger Bolsonaro im
Amte war.
Hongkong: Was hat denn eine Nachricht aus dieser Stadt unter den
„Aufhellern“ zu suchen? Sie werden es nicht glauben: Der Oberste Gerichtshof
Hongkongs hat einen Antrag der Stadtregierung zurückgewiesen, die
Ausstrahlung und Verbreitung des Protestsongs „Glory to Hong Kong“ zu
verbieten. Allerdings hat die Regierung 28 Tage Zeit, um Berufung
einzulegen. In dieser Zeit wird der Richter sicher noch einen Anruf aus
Peking bekommen.
München/Odeonsplatz: 8 000 Menschen demonstrierten unter dem Motto
„Ausgetrumpt“ gegen Rechtspopulismus und die Spaltung der Gesellschaft – als
Antwort auf den Aufmarsch der lärmenden „schweigenden Mehrheit“ in Erding.
Der Linkskabarettist Christian Springer wurde sehr deutlich, als er zum
Auftakt sagte:
„Aber dass wir heute überhaupt hier sein müssen, weil es zu viele gibt,
die die Demokratie angreifen, ist ein Armutszeugnis.“
Der Merkur freute sich in einem Leitartikel, dass weniger Leute als
in Erding gekommen waren und vergaß zu erwähnen, dass beim Protest auf der
Theresienwiese gegen die Energiepolitik nur 250 Teilnehmer erschienen,
obwohl 20 000 angemeldet waren.
Und weil wir schon (wieder) bei „Erding“ sind: In einer Umfrage verurteilte
eine Mehrheit von 61 Prozent die Äußerung Aiwangers, dass man „sich die
Demokratie zurückholen“ müsse. Selbst bei den Freien Wählern gingen noch 43
Prozent auf Distanz. Zu „Aiwanger“ – Fortsetzung folgt im August.
Rottach-Egern: Das Landgericht München I sprach Manfred Genditzki
frei, der vor fast 14 Jahren in einem Indizienprozess zu lebenslanger Haft
verurteilt worden war. Ein neuer Gutachter stellte fest, dass es sich beim
sogenannten „Badewannen-Mord“ an einer Rentnerin um einen Unfall gehandelt
hat. Die Vorsitzende Richterin übte scharfe Kritik an Ermittlern und
Staatsanwaltschaft. Sie sprach von einer „Kumulation von Fehlleistungen“. Ob
sie auch ihre Richterkollegen mit gemeint hat, war nicht herauszufinden.
Dass es zum Freispruch kam, verdankt Genditzki neben dem Gutachter der
engagierten Bürgerinitiative von Tegernsees Alt-Bürgermeister Peter Janssen
und der hartnäckigen Rechtsanwältin Regina Rick.
Seine Ehefrau meinte: „Endlich, aber die 14 Jahre bringt niemand
zurück.“
August
2023
„Der „Klimaschutz geht uns am Arsch vorbei.
Wir wollen Wohlstand!“
Demo in Aschaffenburg im August 2023
Da hat der Plakatbeschreiber gut bei der Demo in Erding aufgepasst, wo
Aiwanger der Berliner Politik den Defiliermarsch geblasen hat. Und er hat
die „alten weißen Männer“ bedient, die sich mit einem genüsslichen Rülpser
freuen, wenn die „rot-grüne Mischpoke“ wieder einen vor den Latz kriegt.
„Wir wollen Anstand!“
Rätselhafter Angriff auf AfD-Politiker: In Augsburg wurde der
AfD-Politiker Andreas Jurca nach eigenen Angaben von einer Gruppe von
„Südländern“ angegriffen und niedergeschlagen. Das Foto von seinen
Verletzungen zeigen deutliche Verletzungen im Gesicht. Allerdings wird
derzeit in zwei Richtungen ermittelt: Ein „antifaschistischer Aktivist“ (so
die Bildzeitung) aus dem Saarland hat Anklage wegen „Vortäuschung
einer Straftat“ und „Volksverhetzung“ erhoben.
Grüner Härtetest in Chieming: Wenig Freude hatten die Grünen über ein
volles Bierzelt in Hart, einem Ortsteil von Chieming. Die Redner hatten
Mühe, sich gegen die Trillerpfeifen und „Haut-ab!“-Chöre durchzusetzen. Vor
dem Zelt ein Proteststand, besetzt von drei „normalen Handwerkern“, die ein
„grenzwertiges Sortiment“ an potentiellen Wurfgeschossen anboten: Tomaten,
Eier, kleine und große Steine. Mit am Stand Flyer der Jungen Union, was
„aber nicht organisiert war“, so der CSU-Landtagskandidat. Müssen wohl vom
Himmel gefallen sein!
Multifunktionelle Produktpalette
Eskalation am Mittleren Ring: Am Tag 3 der Protestwelle der Letzten
Generation in Mün-chen ist einigen Autofahrern, so die Verniedlichung im
Merkur, „der Geduldsfaden gerissen“. Ein Autofahrer nahm zwei
Aktivisten auf die Motorhaube und gab Gas, ein Jeepfahrer fuhr weiter,
obwohl vor ihm ein Mensch stand. Jetzt soll auch gegen übergriffige
Autofahrer wegen „Nötigung und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr“
ermittelt werden. Von einen Präventivgewahrsam für wütende Autofahrer hat
man leider noch nichts gehört. Wären zu viele!
Aiwangers Jugend-/Judenstreich: Obwohl Hubert Aiwanger in einer
Talkshow mit seinem Klagelied über die „formale Demokratie“ noch einen
draufgesattelt hatte, wurde er im August v.a. wegen der Flugblattaffäre
kritisiert – und entschuldet. Noch einmal in Stichworten – soweit
„erinnerlich“: KZ-Flugblatt (vom Bruder verfasst), Fundort Schultasche
(zwecks Deeskalation), schulische Höchststrafe (Referat übers 3. Reich). Das
Hitlerbärtchen wurde ihm wahrscheinlich vom Fotografen raufretuschiert, die
Judenwitze hat er erzählt, um seinen Abscheu gegenüber Leuten auszudrücken,
die Judenwitze erzählen. (Vorsicht Satire!) Söder hat ihm im
September „Reue und Demut“ verordnet, aber Aiwanger hat das so verstanden,
dass man seine Gegner demütigen müsse, damit sie ihre Hexenjagd gebührlich
bereuen könnten. Wer jetzt noch von einem verzeihlichen „Jugendstreich“
spricht, sollte bedenken, dass sich Aiwanger weitgehend gleichgeblieben ist.
Heute hetzt er halt gegen Grüne, Genderer, Rote und Veganer. Und seine
Partei liegt im September bei 17 Prozent!
Konfliktzonen – in Kürze
Pakistan: Der Ex-Premier Imran Khan sollte für drei Jahre ins
Gefängnis. Er war im Volke sehr beliebt, hatte sich mit den zwei
Politdynastien angelegt, die sich wiederum die Unterstützung des Militärs
gesichert hatten. Das reichte für eine Anklage wegen Korruption. Ende August
ordnete ein Gericht seine Freilassung an.
Niger: Unklar ist die Lage im westafrikanischen Land, das bisher als
stabil gegolten hatte. Das Militär, das anscheinend sonst nichts zu tun
hatte, stürzte den Präsidenten Bazoum, sperrte ihn samt Familie in den
Keller seiner Residenz, setzte sie dort auf eine Notration von Reis und
Nudeln und drehte ihnen den Strom und das saubere Wasser ab.
Indien: Ein Pilgerzug der anderen Art marschierte durch den Distrikt
Nuh, 80 Kilometer südlich von Delhi. Die Gegend wird von vielen Muslimen
bewohnt, und deshalb nahmen die Hindu-Pilger Stöcke, Schwerter und
Schusswaffen mit. Als sie mit Brandbomben empfangen wurden, attackierten sie
eine Moschee und töteten den Imam. Zu den zehn Lebensregeln des Hinduismus
gehört übrigens „nicht zerstören und nicht verletzen“.
Israel/Palästina: In Tel Aviv wurden bei einem Schusswechsel auf
offener Straße ein Polizist und ein Palästinenser getötet. Der Palästinenser
hatte offensichtlich ein Attentat geplant, „um Märtyrer zu werden“. Im
Gazastreifen wurden sieben Palästinenser wegen angeblicher Kollaboration mit
Israel zum Tode verurteilt. Es ist zum Verzweifeln, aber „sie (alle) in die
Erde schlagen, dass sie nicht mehr aufstehn“ (Psalm 140), ist für diese
Region auch keine Lösung.
„Ecuador am Abgrund“ war die Schlagzeile, als kurz vor der
Präsidentschaftswahl der Kandidat Fernando Villavicencio ermordet wurde. Er
war bekannt als Kritiker von Korruption und den Verflechtungen von
ecuadorianischen Politikern mit dem organisierten Verbrechen. Jetzt kann man
sich aussuchen, wer hinter dem Mord steckt. Der Miesbacher Heinrich Rosner,
seit Jahren im Lande als Priester tätig, hatte in ihm einen echten
Hoffnungsträger gesehen.
Russland: Die Maßnahmen gegen Kritiker an Putin und dem Krieg haben
sich deutlich verschärft. AI spricht von 20 000 Sowjetbürgern, die
kriminalisiert wurden, weil sie sich gegen den Krieg ausgesprochen – oder
ihn nicht ausdrücklich befürwortet hatten. Ein Lehrer bekam fünfeinhalb
Jahre Lagerhaft, weil er Putin, in Anspielung auf Hitler, als „Putler“
bezeichnet hatte, eine zustimmende Emoji unter einen kritischen Kommentar
kann zu Gefängnisstrafen führen, Kinder werden zum Denunzieren von Eltern,
Mitschülern und Lehrern erzogen. Die Atmosphäre erinnert immer mehr an den
Großen Terror unter Stalin.
Und im Inland?
Wortwahl: In der ersten Version eines Interviews hat der
CSU-Politiker Peter Ramsauer ein Zitat des früheren Chinesenchefs Deng
Xiaoping etwas ungeschickt mit der deutschen Einwanderungspolitik verknüpft.
Das Zitat lautete: „Wenn man die Fenster zu weit aufmacht, kommt auch viel
Ungeziefer mit rein.“ Ramsauer wollte davor warnen, dass man neben den
Fachkräften auch „x-beliebige Wirtschaftsflüchtlinge“ ins Land holen würde.
Es waren dann aber nicht nur die Schufte, die sich bei diesem Link etwas
Böses dachten, und so wurde das Zitat sehr schnell aus dem Interview
entfernt.
Sippenhaft: Nicht gerade rechtsstaatkonform ist das
Diskussionspapier, das das Bundesinnenministerium/BMI vorgelegt hat.
Angehörige krimineller Clans sollen in Zukunft auch abgeschoben werden
können, wenn sie noch gar nicht wegen einer Straftat verurteilt worden sind.
Ein Sprecher des BMI ist inzwischen vom Papier abgerückt. Für eine
Abschiebung müsse es einen klaren Bezug zu kriminellen Aktivitäten geben,
eine Familienzugehörigkeit reiche nicht. Meinen wir auch!
Übergriffe: Die Ermittlungen gegen den Rammstein-Sänger Till
Lindemann wegen des Verdachts auf Begehung von Sexualdelikten und Verstößen
gegen das Betäubungsmittelgesetz wurden aus Mangel an Beweisen eingestellt.
Den Ermittlern standen keine mutmaßlich Geschädigten als Zeuginnen zur
Verfügung, oder die Mädchen wollten anonym bleiben. Alles nur Einbildung
oder Angst vor einem Shitstorm? Wer in eine ähnliche Lage wie Lindemann
kommt, dem wäre zu raten, den Namen des Verteidigers zu googeln. Da das
Verfahren „bei neuer Beweislage“ bis zur Verjährungsfrist wieder aufgenommen
werden kann, sollte sich der Sänger in dieser Zeit (und auch danach!) auf
seine Musik beschränken.
Strafverschärfung: Härter als in der Vorinstanz ging die Justiz mit
der IS-Rückkehrerin Jennifer W. ins Gericht. Im Irak hatte sie im August
2015 tatenlos zugesehen, wie ein versklavtes Jessidenmädchen bei sengender
Hitze verdurstete. In einem 2. Verfahren wurde die Tat nicht mehr als
„minderschwerer Fall“ gewertet und das Strafmaß auf 14 Jahre erhöht.
Verschärfend kam hinzu, dass sie der Mutter eine Pistole an den Kopf hielt
und ihr mit Erschießung drohte, falls sie nicht aufhöre, um ihr ermordetes
Kind zu weinen.
Störmanöver: Rund 600 Teilnehmer, nahmen am Christopher Street
Day/CSD in Weißenfels/Sachsen-Anhalt teil. Am Straßenrand ca. 20
Rechtsradikale, die Gegenstände warfen und verbale Drohungen äußerten. Die
Polizei war fahrlässig unterbesetzt, obwohl man die Bedrohungslage kannte.
Der CDU-Landrat wertete die Teilnehmerzahl als Erfolg und betonte, dass auch
„bei uns queere Menschen leben, die selbstverständlich … dazugehören“.
AfD- tut (nicht allen) weh!
Die queeren Menschen gehören, neben Nichtweißen, Juden und Mitgliedern der
Antifa zu den Spezien, für die, meint die SZ, „der Aufstieg der AfD
lebensbedrohlich ist“. Der jüdische Publizist Michel Friedmann würde bei
einem Sieg der Partei im Bund noch am selben Tag den Koffer packen. Mit den
Wählern der Partei geht die Zeitung hart ins Gericht: Eine Wahlentscheidung
für die AfD sei „demokratie- und menschenfeindlich“.
Das sehen einige Leserbriefschreiber des Merkur etwas anders.
Ausgehend von der Kritik an der (Ampel)Regierung, die den „Untergang
Deutschlands“ herbeiführt, haben sie viel Verständnis für eine Position „ein
Stückchen rechts von der Mitte“ und fordern die Schleifung der Brandmauer,
um eine Zusammenarbeit mit der AfD hoffähig zu machen und sie
(möglicherweise) zu verbürgerlichen. Das hat aber schon in der Weimarer
Republik nicht funktioniert.
Die Präsidentin des ZK der deutschen Katholiken hält an der Brandmauer fest.
Sie ist dagegen, dass AfD-Mitglieder Laienämter in der katholischen Kirche
wahrnehmen.
AI-Nachrichten – überblättern, wenn Sie gerade essen
Politische Gefangene: Unser türkischer „Stammgast“ ist Osman Kavala.
Er scheint dem Erdogan ähnlich „ans Herz gewachsen“ zu sein wie Nawalny dem
Putin. Kavala sitzt seit sechs Jahren für Vergehen ein, für die es keine
Beweise gibt oder für die er schon einmal freigesprochen wurde. Seine
Kollegin Asena Günal beschreibt das Vorgehen der türkischen Justiz wie
folgt:
„In der Türkei suche man nicht mehr nach dem Täter für ein Verbrechen.
Man habe einen Beschuldigten und überlege, was er verbrochen haben
könnte.“
Türkische Häftlinge diskutieren über
Politik
Frauenrechte: In Israel soll nicht nur das Oberste Gericht in seinen
Rechten beschnitten werden, auch die Frauen gehören, auf Betreiben der
religiösen Kräfte, wieder auf ihren Platz verwiesen. In der Küstenstadt
Aschdod forderte der Busfahrer eine Gruppe von Teenagern in sommerlicher
Kleidung auf „sich züchtig zu bedecken und sich auf die hinteren Plätze zu
setzen“. Der Mann war wohl beim Anblick von nackter Haut in seinem
Konzentrationsvermögen eingeschränkt. Oder er befürwortet den
Gesetzesentwurf, der die Befugnisse der Rabbinatsgerichte ausweiten soll, wo
Frauen als Richterinnen nicht zugelassen sind. Fälle von Diskriminierung
nehmen zu – und das in einem Land, das einmal bei der Gleichstellung eine
Vorreiterrolle einnahm.
Christenverfolgung: Nein, wir sind nicht bei Diokletian im alten Rom,
sondern im Pakistan des 21. Jahrhunderts. In der Hauptstadt Islamabad zog
ein wütender Mob durch ein Christenviertel, zündete ein Dutzend Kirchen an
und sorgte dafür, dass die Bewohner in Panik ihre Häuser verließen und die
Nacht auf dem Feld verbrachten. Gegen zwei junge Christen wurde der Verdacht
erhoben, sie hätten den Koran geschändet. Politiker verurteilten die
Ausschreitungen, lassen aber den radikalen Predigern freien Lauf. Und wenn
es in Pakistan um Blasphemie geht, sind sowieso keine Beweise erforderlich.
Und das war schon so, bevor in Schweden der Koran verbrannt wurde. Die
Christinnen aber stehen auf, schließlich sind wir nicht mehr im alten Rom.
Flüchtlinge: Unseren Partnern von Human Rights Watch/HRW zufolge,
haben saudi-arabische Grenzschützer an der Grenze zum Jemen seit Anfang 2022
hunderte Migranten aus Äthiopien getötet, u.a. mit Mörsern und Granaten. Sie
gehen dabei mit äußerster Rücksichtnahme vor und fragen die Migranten, in
welches Körperteil sie „am liebsten geschossen werden möchten“.
Grenzschützer wurden (und werden) übrigens von der Bundespolizei in
Deutschland ausgebildet, u.a. steht die Vermittlung von
menschenrechtskonformen Verhalten auf dem Lehrplan. Klassenziel also
verfehlt! Jetzt ist nur noch zu hoffen, dass, angesichts der jetzigen
Flüchtlingswelle, nicht an die deutschen Grenzschützer die Anweisung ergeht,
gefälligst von ihren saudischen „Schülern“ zu lernen.
Wer jetzt den Kopf schüttelt und meint, „das gibt’s doch nicht“, der sollte
einfach weiterlesen.
Russische Entsorgungsstatistik: Nur zwei Tage nach Beginn der
russischen Invasion in der Ukraine machte sich eine Eliteeinheit aus
Tschetschenien auf den Weg, um Präsident Selenskij zu erledigen. Seither hat
man es schon öfter probiert. Die SZ
hat zusammengestellt, wer von Putins Gegnern in den letzten beiden Jahren
(fast) dran glauben musste. Hier eine kleine Auswahl:
- Rawil Maganow, gestorben nach einem Sturz aus einem Moskauer Krankenhaus
- Iwan Petschorin, betrunken von seiner Luxusyacht gefallen
- Alexander Tjuljakow, erhängt in der Garage seines Anwesens gefunden
- Marina Jankina, aus dem 16. Stock eines Hochhauses in St. Petersburg
gestürzt
Alle hatten sich vor ihrem „Ableben“ kritisch zum Krieg gegen die Ukraine
geäußert.
Und im September berichtete der Merkur von der Möglichkeit eines
Giftanschlags auf die Journalistin Jelena Kostjutschenko im Oktober 2022.
Tatort: im Zug nach München oder in einem Münchner Café.
Erfolgsnachrichten- eher bescheiden
Erklärung von Bélem: In der brasilianischen Stadt trafen sich die
Anrainerstaaten des Amazonas-Gebietes und unterzeichneten ein Abkommen zum
Schutz des Regenwaldes. Ob es „bahnbrechend“ ist, sei dahingestellt, denn es
fehlen ein gemeinsamer Zeitplan für den Stopp des Kahlschlags und
Vorschläge, wie man mit den Ressourcen des Regenwaldes (Gold, Erdöl) umgehen
soll. Die indigenen Völker haben ihren Folklore-Beitrag geleistet und kehren
mit eher vagen Versprechungen in den Regenwald zurück.
Kolumbien: Von vorsichtigem Optimismus zu begleiten ist die
Nachricht, dass die ELN, die größte noch aktive Guerillagruppe Kolumbiens
die Waffen niederlegt. Das Abkommen, das schon im Juni unterzeichnet wurde,
ist ein Verdienst des Präsidenten (und Ex-Guerilleros) Gustavo Petro, der
bei der Unterzeichnung sagte: „Hier wird eine neue Welt geboren.“ Man wird
sehen, wie lange die Wehen noch andauern!
NGOs kein Pull-Faktor: Der Vorwurf, der zum Dauerrepertoire von
rechten Politikern gehört, dass Seenotretter Flüchtlinge nach Europa
locken/“pullen“, wurde von Migrationsforschern schon immer bezweifelt und
ist jetzt in einer Studie zurückgewiesen worden. „Die Rettungseinsätze sind
eine Reaktion auf das Geschehen, nicht dessen Ursache.“ Also: Die
Flüchtlinge fahren los, weil sie nach Europa wollen und brauchen Hilfe, wenn
die Überfahrt zu scheitern droht.
Vermischtes
Fauxpas: Papst Franziskus hat, wenn er vom Manuskript abweicht, schon
des Öfteren danebengegriffen. In einer Videoschalte zum 10. russischen
Jugendtag in St. Petersburg verstieg er sich spontan zu einer Lobeshymne auf
das
„große Russland der Heiligen, von Peter I. und Katharina II., dieses
Imperium – groß und aufgeklärt, ein Land großer Kultur und großer
Menschlichkeit (!)“.
Der Angriffskrieg Putins kam nur in der zaghaften Erwähnung eines
„Kriegswinters“ zur Sprache. Kein Wunder, dass er vom Kreml wegen seiner
„klugen Geschichtskenntnisse“ gelobt wurde. Wir übernehmen lieber die
Schlagzeile des Merkur: „Der Papst ist unbelehrbar“. Ist er nicht
immer (s. Besuch in Ungarn), aber immer wieder! Im Laufe der Woche war der
Vatikan mit „Schadensbegrenzung“ beschäftigt. Der Papst habe natürlich nicht
den russischen Imperialismus gemeint, aber der ist natürlich etymologisch
vom „Imperium“ nicht weit entfernt.
Dummheit: Wenn man das Foto aus dem Death Valley/USA sieht, kann man
nur noch Asterix zitieren: „Die Amerikaner, die spinnen!“
Zum Abschluss des Monats aber ein
Glücksfall: Dem Museum in Bozen hat ein Fund aus dem Jahre 1991 eine
echte Touristenattraktion beschert. Aber es hätte auch anders kommen können.
September
2023
„Das Merkwürdigste an der Zukunft ist wohl die Vorstellung,
dass man unsere Zeit einmal die gute alte Zeit nennen wird.“
Ernest Hemingway
Hemingway starb 1961, er konnte mit „unsere Zeit“ also nicht gut die
diesjährige Landtagswahl in Bayern gemeint haben. Dazu später.
Die Zeichnung spiegelt den gegenwärtigen Gemütszustand in weiten Teilen
Deutschlands und Europas wider. Wir haben Angst, dass sie sich breitmachen,
in unsere Lebensbereiche eindringen, uns „umvolken“ – die
Flüchtlinge
Es herrschen geleichzeitig Massenandrang und Massenhysterie. Am 12.
September kamen in 120 Booten mehr als 5 000 Menschen auf Lampedusa an. Der
Bürgermeister musste den Notstand ausrufen. In Sachsenkam/Lkr. Bad Tölz
sollte es zur ersten Zwangseinweisung von Flüchtlingen kommen – in den
ersten Stock des Rathauses. Für einen notorischen Leserbriefschreiber aus
Miesbach stellte sich damit die Frage, ob bald nicht
„alle Rathäuser, öffentliche Gebäude, Schwimmbäder und Turnhallen voll
sind“.
Was sich der Briefschreiber wahrscheinlich wünscht, ist eine
„Einwanderungsblockade“ und eine „Abschiebungsoffensive“ – und zwar
gleichzeitig, aber allen diesbezüglichen Vorschlägen gemeinsam ist, dass sie
umgehend hinterfragt oder als untauglich abgelehnt werden. Auf der
Gratwanderung zwischen Asylrecht und Arbeitsmigration fällt die Politik
derzeit einmal links und einmal rechts hinunter, und ob die mühsame
EU-Einigung bei der Krisenverordnung schon der „Stein der Weisen“ ist, sei
dahingestellt. Dass Deutschland bis zuletzt an seiner „Humanitätsduselei“
festgehalten hat, sollte uns eigentlich mit Stolz erfüllen.
Der Migrationsforscher Gerald Knaus, der schon das Abkommen mit der Türkei
ausgehandelt hat, fordert nach einer „fairen Prüfung eines Asylantrags
humane Abschiebungen von einem Stichtag an und in einen sicheren
Drittstaat“. Aber den muss man in Afrika oder im Mittleren Osten erst einmal
finden!
Unsichere Drittstaaten
Zypern: In Limassol kam es zu „pogromartigen Zuständen“ als Hunderte
von Rechtsradikalen Migranten und deren Geschäfte angriffen. Das Land hat
sich wegen der härteren Migrationspolitik in Griechenland und der Schließung
der Balkanroute zum Migrationshotspot Europas entwickelt.
Bergkarabach: Nach dem Eintageskrieg Aserbaidschans um die Exklave
Bergkarabach ist ein Großteil der armenischen Bevölkerung ins Kernland
Armenien geflohen. Die Flucht erfolgte diesmal in Lastwagen und Autos, im
Jahre 1990 lud man die armseligen Habe noch auf Eselsrücken. Aber die
Richtung und das Leid blieben gleich.
Warum, so frägt man sich, können zwei Ethnien nicht zusammenleben? Die
Schweiz kann es seit langem, Südtirol hat es (mit Mühe) gelernt.
Iran: Das Regime war anlässlich des Jahrestages der Ermordung der
jungen Kurdin Mahsa Amini „in Alarmbereitschaft“. Es gab eine verstärkte
Polizeipräsenz, und über der Kurdenregion wurde der Ausnahmezustand
verhängt. Aminis Vater soll vorübergehend festgenommen worden sein, weil er
am Grabe seiner Tochter eine Gedenkfeier abhalten wollte. Ende August war
der Sänger Mehdi Yarrahi verhaftet worden, weil er ein Lied mit dem Titel
„Nimm dein Kopftuch ab“ vorgetragen hatte. Einer der zahlreichen
Anklagepunkte war „Anstiftung zu Verbrechen gegen die Keuschheit“. Im
Oktober wurde er gegen Kaution vorläufig freigelassen.
Anfang Oktober wurde die 16-jährige Armita Garawand Opfer der weiblichen
Sittenpolizei. Da sie gegen das Kopftuchgebot verstieß, wurde sie in der
U-Bahn so brutal zusammengeschlagen, dass sie ins Koma fiel und am 22.
Oktober für „hirntot“ erklärt wurde. Ursache: Kollaps wegen „niedrigen
Blutdrucks“. Auf einem Video sieht man, wie vier Schwarzkittel ein lebloses
„Paket“ auf den Bahnsteig legen. Zu Garawands Beerdigung kam auch die
Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotudeh, unverschleiert wie alle anderen
Frauen. Mehr als 100 Personen wurden am Rande der Trauerfeier von der
Sittenpolizei verhaftet.
Auf internationaler Ebene hingegen läuft es bestens für das Regime. Im Juli
wurde der Iran vollwertiges Mitglied der anti-westlichen
Shanghai-Organisation, mit dem Erzfeind Saudi-Arabien wurden Botschafter
ausgetauscht, und in Folge des Geiselaustauschs mit den USA wurden sechs
Milliarden für „humanitäre Zwecke“ frei, die, so ein durchaus glaubwürdiger
Fake, beim Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober Verwendung fanden,
obwohl der Überfall, streng genommen, keinen „humanitären Zweck“ erfüllte.
(Stark) Vermischtes
USA - Iran: Diesmal kein Gerassel mit Kriegsgerät, sondern „ein
bisschen Tauwetter“. Die beiden Länder brachten einen Deal zum Abschluss,
bei dem fünf Iraner und fünf Amerikaner (vier Männer, eine Frau) freikamen.
Dass der Deal auf massive Kritik stieß, hatte mehrere Gründe: Die fünf
Amerikaner, alles Doppelstaatler, hatten sich mit Sicherheit, weniger
zuschulden kommen lassen, als die fünf Iraner, sondern hatten für den Iran
eher eine Faustpfandfunktion. Und als Dreingabe gab es für den Iran den
Zugriff auf sechs Milliarden Dollar (zweckbestimmt für humanitäre Anliegen),
die Südkorea wegen internationaler Sanktionen gesperrt hatte, - was in den
Augen der iranischen Exil-Opposition einen Anreiz „für das Regime darstellt,
wieder Geiseln zu nehmen“. Biden mag gehofft haben, mit dem Deal etwas
Entspannung mit dem „Sorgenkind Iran“ zu erkaufen, aber die Ereignisse im
Oktober haben gezeigt, dass die Mullahs in der Region munter weiterzündeln.
Die Kritik am Deal mag berechtigt sein, aber, wenn man die Haftbedingungen
in iranischen Gefängnissen kennt, sollte man, wider alle Bedenken, den
Amerikanern ihre Freiheit gönnen. Von den freigelassenen fünf Iranern
wollten übrigens nur zwei wieder in ihre Heimat zurückkehren.
China: Die deutsche Botschafterin in Peking musste stellvertretend
für unsere Außenministerium einen gehörigen Anpfiff einstecken. Sie wurde
ins chinesische Außenministerium einbestellt, weil Frau Baerbock in einem
Interview bei Fox News behauptet hatte, Staats- und Parteichef Xi Jinping
sei ein „Diktator“. Eine solche Behauptung „verletze ernsthaft Chinas
politische Würde“. Tut sie nicht, das übernehmen die Partei und ihr Chef
schon selbst.
Schweiz: Lange war das Kernthema von Witzen über die Schweizer/Berner
ihre Langsamkeit. Auch bei der Untersuchung von Missbrauchsfällen in der
katholischen Kirche ließ man sich Zeit. Jetzt hat ein Team der Universität
Zürich „grauenhafte Taten“ aufgedeckt. Viele Verbrechen wurden vertuscht,
Täter wurden geschützt und versetzt. Kommt einem irgendwie bekannt vor!
Immerhin – „Von einigen Ausnahmen abgesehen“ sei das Forschungsteam bei
seinen Recherchen auf keine größeren Hürden gestoßen.
München: Für einen passionierten Radfahrer ist die IAA ein No-Go
Ereignis, und deshalb werde ich meine Vorurteile kurzfassen. Die
Präsentation stand von Seiten der Veranstalter unter dem Motto „Klotzen und
nicht Kleckern“, bei den Klimaschützern war es eher ein „Kotzen und
Meckern“. Aber bis auf einen „kritikwürdigem Schlagstockeinsatz der Polizei
an der Donnersberger Brücke“, begegnete man sich weitgehend friedlich, so
dass sich am Ende „alle Beteiligten auf die Schulter klopfen konnten“ – wenn
auch nicht gegenseitig.
Gillamoos: Deftig auf die Schulter geklopft hat Friedrich Merz den
Bierzeltinsassen von Gillamoos mit seiner Aussage
„Nicht Kreuzberg ist Deutschland – Gillamoos ist Deutschland.“
Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass er damit meinte, dass im
Bierzelt die Normalos säßen, während die Kreuzbergler mit ihrer alternativen
Szene und dem hohen Migrantenanteil eher nicht zu Deutschland gehörten.
Und drei Wochen später sattelte er auf der Suche nach Volkstümlichkeit (und
Wählerstimmen) gleich noch eins drauf, als er die Flegelei des bayrischen
AfD-Abgeordneten Martin Sichert, die ursprünglich gegen Ukrainer gerichtet
war, auf abgelehnte Asylbewerber umleitete. Die ließen sich
„auf Kosten deutscher Beitragszahler die Zähne neu machen, während die
deutschen Bürger nebendran keine Termine kriegten“.
Selbst der Merkur, der in manchen Kommentaren dem Vorwurf des
„Sozialtourismus“ recht aufgeschlossen gegenübersteht, sah sich hier zu
einem Faktencheck genötigt, der die „volle Heilfürsorge“ für Asylbewerber
stark relativiert.
Flugblattaffäre: Der Historiker Volker Weiß hat in der SZ einen
bitterbösen Artikel unter dem Titel „Unser Aiwanger“ veröffentlicht. Er
stellte, das Wahlergebnis in Bayern vorausahnend, fest, dass dem Politiker
das Flugblatt und die Diffamierung der „formalen Demokratie“ nicht geschadet
hätten, weil er vielen Leuten nach dem Maul geredet hätte. Er habe nur das
Feindbild seines Bruders, der angeblich das Flugblatt verfasst hat,
ausgetauscht, und die Juden und die Nazigegner durch die Grünen ersetzt.
Bayerns AfD: Nach einer Eilentscheidung des Bayerischen
Verwaltungsgerichts darf der Landesverband der bayerischen AfD weiterhin vom
Verfassungsschutz beobachtet und die Öffentlichkeit über diese Beobachtung
informiert werden. Einzelnen Mitgliedern des Verbandes warfen die Richter
„Umsturzfantasien“ vor, aber jeder siebte unter Bayerns Wähler reagierte im
Oktober mit einem „Jetzt erst recht!“
Darauf passen auch die
AI-Meldungen
Thailand: Im Juli war schon einmal von einem „vorsintflutlichem
Gesetz gegen Majestätsbeleidigung“ die Rede. Bei Bedarf holt man es aber
immer noch aus der Schublade. Anon Numpas wurde jetzt zu vier Jahren Haft
verurteilt, weil er 2020 die Reform eines Gesetzes gefordert hatte, das den
König mit Familie vor Kritik schützte. Man sollte also besser nicht sagen,
dass Seine (aktuelle) Majestät als „Party-Prinz“ verschrien ist und einen
Großteil seiner Zeit in einer Villa am Starnberger See verbringt.
Mordauftrag aus Tschetschenien: Es wäre nicht der erste
Regimekritiker gewesen, den sich Ramsan Kadyrow, der Lord Voldemort von
Tschetschenien, in Deutschland vom Halse schaffen wollte. Der Tatort wäre
Schwabmünchen in Bayern gewesen, das Opfer Mochmad Abdurachmanow, in
Stellvertretung für seinen Bruder, der in Schweden lebt und dort schon einen
Hammerangriff überlebt hatte. In Bayern flog die Sache auf: Kadyrows
Beauftragter Walid D. hatte einen Auftragskiller angeheuert, der kalte Füße
bekam und Walid an die Polizei verriet. Walid wurde zu zehn Jahren Haft
verurteilt, wegen seiner „Bereitschaft, einen politischen Mord zu
organisieren“. Das Weiterleben des „Verräters“ ruhe in Allahs Hand!
Umweltschutz mit Todesfolge: Die MR-Organisation Global Witness hat
für das Jahr 2022 den Mord an 177 Umweltschützern dokumentiert. 90% der
„Todesfälle“ ereigneten sich in Mittel- und Südamerika, und ein Drittel der
Opfer kamen aus indigenen Gemeinschaften. Manche Regionen gleichen einem
Kampfgebiet: Kriminelle Gruppen nutzen sie als Drogenrouten, fällen Bäume,
fangen und exportieren Fische in und aus indigenen Schutzgebieten, suchen
Gold. Viele Aktivisten setzen große Hoffnungen in das geplante
Lieferkettengesetz der EU, es gibt bereits Unternehmen, die ihre Einkäufe
aussetzten, wenn Produzenten Landraub betreiben, die Umwelt zerstören oder
Menschenrechtsaktivisten verfolgen, und es kam zu ersten Fahndungserfolgen,
weil manche Regierungen (Brasilien, Kolumbien) versprochen haben, die
Aktivisten besser zu schützen.
Dom Phillips und Bruno Pereira, ermordet
2022
Unverhältnismäßigkeit: Ein Berliner Gericht schickte (im ersten
Anlauf) eine Klimakleberin für acht Monate ins Gefängnis. Der Katalog ihrer
Straftaten war geradezu „iranisch“. Da sie weiter protestieren möchte, gab
es keine Bewährung. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Geldstrafe beantragt,
aber da hat eine Richterin endlich einmal richtig „durchgegriffen“. (Vorsicht
Satire!). Gegen das Urteil konnte Berufung eingelegt werden.
Die SZ hat zu beiden Gruppen einen mutigen Kommentar geschrieben.
„Es ist die Aufgabe von Umweltschützern, daran zu erinnern, dass
erfolgreiches Wirtschaften ohne halbwegs intakte Natur und stabiles Klima
kaum möglich sein wird. Dafür sollten sie nirgendwo ins Gefängnis müssen.
Und schon gar nicht ins Grab.“
Rassismus: Eine gewisse Diskrepanz zeigt sich, wenn man bei den
rassistischen Vorfällen im Profifußball die Zahlen des DFB mit denen der
Meldestelle für Diskriminierung im Fußball in NRW vergleicht. Der DFB
verzeichnet für die letzten Jahre eine sinkende Zahl, während die
Meldestelle eher gegenläufig berichtet. Neben verbalen oder physischen
Übergriffen käme es „vermehrt“ zu Hitlergrüßen und zum Tragen von
rassistischen und rechten Symbolen auf Stickern, Kleidern oder Banner. Im
August hat es einen Miesbacher erwischt. Julian Green, tätig bei
Spielvereinigung Fürth, wurde beim Pokalspiel gegen Halle mehrmals als
„Affe“ tituliert. Der Fürther Trainer Zorniger reagierte wie er heißt:
„Das Stadion ist zu 95 Prozent ausgelastet. Es waren genug Leute da, die
hätten eingreifen können. … Sonst kriegt das braune Gesocks, das auch im
Bundestag sitzt, immer mehr Oberwasser.“
Ich glaube, es reicht für einen Monat. Die helleren Momente des Septembers
sind leider so dünn gesät, dass man schon die „Versöhnung“ der Genossen
Schröder und Lafontaine dazu zählen muss. Aber es gibt noch weitere
Aufheller
Fridays for Future in Miesbach: Zu den Klängen des „Wir sind hier,
wir sind laut …“ zogen rund 70 Demonstranten durch die Miesbacher
Innenstadt. Sie griffen auf ihren Bannern und in ihren Redebeiträgen nicht
nur nationale („Klimaschutz statt Kohleschmutz“), sondern auch lokale
Probleme auf, z.B. dass der Landkreis nicht fahrradfreundlich sei, und
Miesbach es noch nicht zum autofreien Marktplatz gebracht hätte. Sich
festkleben wollten die meisten eher nicht, aber man hatte mehr Verständnis
für die Klimakleber als die Berliner Richterin. Dass die Demo der „perfekte
Zeitpunkt“ war, um die Landtagswahlen zu beeinflussen, erwies sich
allerdings als Wunschtraum. AI war bei dieser Demo, meines Wissens, nicht
vertreten.
Alternativer Nobelpreis für SOS Méditerrannée: Das ist eine
Organisation, deren Ziel es ist, nicht nur Leben im Mittelmeer zu retten,
sondern auch die Öffentlichkeit und die Regierungen an diese „humanitäre
Krise“ zu erinnern. Die Erinnerung an die Krise kommt bei spektakulären
Bootsunglücken wieder hoch, aber bei der Lebensrettung hat man einiges
vergessen. Das Schiff der multinationalen Organisation, die Ocean Viking,
hat in diesem Jahr fast 2000 schiffbrüchige Migranten gerettet.
Schalom in München: Mit dieser treffsicheren Überschrift begrüßte der
Merkur die Verlegung des Hauptquartiers der Europäischen
Rabbinerkonferenz/CER von London nach München. Ein Grund für die Verlegung
soll der Brexit gewesen sein, denn die CER wollte innerhalb der EU
angesiedelt bleiben. Ein wichtiges Gremium des Judentums in der „Hauptstadt
der Bewegung“ – was will man mehr an Geschichtskorrektur? Da nimmt man sogar
in Kauf, dass es sich um die orthodoxen Rabbiner Europas handelt.
Da die Zahl antisemitischer Vorfälle in Bayern seit dem Angriff der Hamas
deutlich zugenommen hat, werden sich die Rabbiner manchmal fragen, ob die
Verlegung nach München wirklich eine gute Idee gewesen ist.
Oktober
2023
„Hoffnung bedeutet, überzeigt zu sein, dass es niemals zu spät ist.“
Ludek Pachmann
Pachmann war ein bekannter tschechischer Schachspieler und 1968 im Prager
Frühling engagiert. Sowohl als Schachspieler, wie auch als
antikommunistischer Dissident in Osteuropa musste man warten können. Und
wohl noch lange warten werden wir noch darauf müssen, dass sich die Szene
auf dem folgenden Bild wiederholt – und von Dauer ist.
Krieg im Nahen Osten
Der Oktober 2023, und das schließt wohl noch einige Folgemonate mit ein, war
nicht golden, sondern blutrot. Die Hamas und andere Terrorgruppen fielen am
7. Oktober in Israel ein, massakrierten 1200 Menschen und nahmen über 200
Geiseln. Der Gegenschlag der Israelis erfolgte auf dem Fuß und richtete sich
nicht nur gegen die Terroristen, sondern auch gegen die Zivilbevölkerung.
Ich möchte mich darauf beschränken, einige Ereignisse zu berichten, die mir
besonders tief unter die Haut gegangen sind. Im Sinne von Ludek Pachmann
versuche ich auch, „aufhellende“ Momente mit einzubeziehen, aber viele
gibt’s davon nicht.
- Zum Ausgang des Laubhüttenfestes, im Morgengrauen des Schabbats, griffen
Terroristen aus dem Gazastreifen über Land, Luft und Meer den Süden Israels
an. Allein auf einem Rave-Festival im Kibbuz Re‘im wurden 260 Menschen
getötet und 50 Geiseln verschleppt. Im Kibbuz Be’eri wurde die
Friedensaktivistin Vivian Silver getötet. Von der Leiche fand man nur noch
die Zähne. Aus deutscher Sicht war das Schicksal von Shani Louk der
Megaschocker. Wir ersparen Ihnen Details, nur so viel:
„Was ihr am 7. Oktober widerfahren ist, lässt sich nur zum Teil
rekonstruieren.“
Noch nie seit dem Holocaust wurden an einem Tag so viele Juden auf einmal
getötet.
- Noch am selben Abend werden in Berlin-Neukölln vom palästinensischen
Netzwerk „Samidoun“ Süßigkeiten als Siegestrophäe verteilt. Das Netzwerk
wurde Anfang November in Deutschland verboten. Ein Imam in München schrieb
auf Facebook: „Jeder hat seine eigene Art, den Oktober zu feiern.“ Und
setzte ein Smiley dazu. Er wurde darauf „bis zur Klärung der Vorwürfe“ vom
Dienst suspendiert, im Dezember aber von seinem Arbeitgeber (nicht aber von
der Generalstaatsanwaltschaft München) „begnadigt“, weil er in der
Vergangenheit „Herausragendes im interreligiösen Dialog geleistet“ habe. Und
Präsident Erdogan veredelte die Hamas zur „Befreiungsgruppe“, eine seltsame
Bezeichnung für Leute, die auch die eigene Bevölkerung in Geiselhaft nimmt.
- Für Vertreter der Hamas, dem Pink-Floyd Musiker Roger Waters und der
Querdenker-Szene in München war der 1200-fache Mord an jüdischen Kindern,
Frauen und Männern (möglicherweise) nichts anderes als eine israelische
„False-Flag-Aktion“, zu neudeutsch also „Fake“.
- Beim ersten Freitagsgebet nach dem Terrorangriff verurteilte
Benjamin Idriz, Imam in Penzberg, „Gewalt – ohne Wenn und Aber“. Seine
Anregung, auf dem Marienplatz in München ein gemeinsames Friedensgebet
abzuhalten, wurde leider von seinen Partnern nicht aufgegriffen, da man bei
einer der muslimischen Gruppen Nähe zum Islamismus feststellte. Ein
gemeinsames Gebet hätte jedenfalls ein deutlicheres Zeichen gesetzt als die
Simultandemos „Pro Israel“ und „Pro Palästina“. In Köln hat das besser
geklappt: Dort besuchten muslimische Religionsverbände eine Synagoge und
verurteilten den Terror der Hamas als „unislamisch“.
- Auch für Juden in Deutschland ist das Leben gefährlicher geworden. In
Berlin flogen schon recht bald Brandsätze vor einer Synagoge, und einige
Bürger jüdischen Glaubens klebten ihre Namen auf den Klingelschildern zu. In
München hat man die jüdische Gemeinde aufgefordert, bestimmte Plätze in der
Stadt zu meiden, insbesondere die Routen pro-palästinensischer Kundgebungen.
- Arg in die Nesseln gesetzt hat sich UN-Generalsekretär Guterres beim
israelischen Außenminister, als er davon sprach, dass die Terrorattacke der
Hamas „nicht im luftleeren Raum erfolgt“ sei, sondern im Kontext der
„erstickenden Besatzung“ zu sehen sein, unter der die Palästinenser seit 56
Jahren zu leiden hätten. Während Guterres aber den Angriff der Hamas klar
verurteilte, verzichtete die UN-Resolution, in der ein „humanitärer
Waffenstillstand“ gefordert wurde, auf die Erwähnung der „Vorgeschichte“.
Deutschland enthielt sich deshalb der Stimme. Hätte ich (zu diesem
Zeitpunkt) wahrscheinlich auch getan! Die SZ macht aus dem „Ja,
aber“ ein „Zugleich“, scheut jedoch etwas davor zurück, konkret zu werden:
„Aus deutscher Sicht ist … zu signalisieren, dass beides möglich ist:
fest an der Seite Israels zu stehen und das Leid der palästinensischen
Zivilbevölkerung nicht zu vergessen.“
- Israelische Siedler, v.a. solche, die früher in Gaza lebten, wittern jetzt
Morgenluft. Sie befürworten eine Vertreibung der Palästinenser, mal nach
„Ägypten oder Jordanien“, mal nach „Norwegen oder Schottland“. Ihr Argument
ist ungewollt ironisch:
„Die Palästinenser hatten ihre Chance in Gaza. Jetzt gehört Gaza uns.“
- Ein zwiespältiges Bild soll Teil 1 beenden. Am 24. Oktober wurden die
ersten Geiseln freigelassen. Unter ihnen Yocheved Lifshitz. Sie
verabschiedete sich von ihren Entführern mit einem Handschlag und dem Wort
„Salam“ – arabisch für „Frieden“.
Versöhnungsgeste oder Stockholm-Syndrom?
Der Geisel Rimon Kiirsht-Buchshtab hingegen, die im November freikam, war
nicht nach Versöhnung zumute. Als einer ihrer Entführer sie „zu einer
PR-tauglichen Abschiedsgeste drängen wollte, schaute sie ihm kühl und
entschlossen in die Augen“. Der Blick ging „viral“ um die Welt.
Fortsetzung folgt im November – möglicherweise mit einer gewissen
Empathieverlagerung Richtung Palästinenser.
Migration
Nachdem die Bayernwahlen neben dem Gendern und unseren Fressgewohnheiten
auch vom Thema Migration beeinflusst wurden, können wir nicht umhin, uns
auch im Monat Oktober mit dem Problem zu befassen, das für manche Leute (und
Politiker) immer mehr zum Tsunami (aber ohne Wasser) wird. Wir zählen auf,
was so an Vorschlägen aufgekommen ist - und oft gleich wieder verworfen
wurde.
Obergrenze: Markus Söder hatte im September eine „Integrationsgrenze“
von
200 000 Flüchtlingen pro Jahr ins Gespräch gebracht. Für Innenministerin
Faeser ist das aus juristischen Gründen nicht umsetzbar. Wir würden gerne
wissen, was aus Flüchtling
Nr. 200 001 dann wird? Wird er von Jens Spahn, gegebenenfalls „mit
physischer Gewalt“ aufgehalten? Und der war einmal Gesundheitsminister!!!
Abschiebungen: Da setzt man jetzt auf Härte gegenüber
ausreisepflichtigen Asylbewerbern. Längere Inhaftierung im Transitbereich
der Flughäfen, erweiterte Polizeibefugnisse bei nächtlichen Abschiebungen,
Ausweisungen von verdächtigen Straftätern noch vor Gerichtsentscheidungen.
Aber so ein „Abschiebefeuerwerk“ hat seine Blindgänger: Rückführungen
scheitern, weil Herkunftsstaaten keine Papiere ausstellen oder weil mit
ihnen, und das sind die meisten, keine Rücknahmevereinbarungen bestehen.
Auch der Bundeskanzler hat in einem Interview auf Härte gemacht –und grimmig
dazu geschaut. Aber bevor man ihm einen goldenen Sheriffstern verpasst,
sollte man ihn genau zitieren. Als er von Abschiebungen „im großen Stil“
sprach, meinte er „diejenigen, die kein Recht haben, in Deutschland zu
bleiben“. Und das sind nicht sehr viele: ein Netzwerk in Berlin kommt für
August 2023 auf genau 13 784 Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde und
die keine Duldung haben. Und dann sollte man sich noch davor hüten, Personen
abzuschieben, die wir dringend brauchen.
Erweiterung der sicheren Herkunftsstaaten: Bei Georgien und Moldau
ist man sich relativ einig, dass die Mehrzahl der Anträge „offensichtlich
unbegründet“ ist. Die Union will allerdings auch die Maghreb-Staaten in die
Liste der Unschuldslämmer aufnehmen, Staaten, wo es aus Gründen der
Religion, der sexuellen Orientierung und der politischen Einstellung für
manche Leute alles andere als sicher ist. Syrien und Afghanistan sind
(vorläufig) noch ausgespart – außer bei der AfD natürlich. Die betrachtet
„fast alle Länder als sichere Herkunftsstaaten“. Dann geht doch rüber,
AfD’ler – hätte man früher gesagt!
Leistungskürzungen: Da, nach Goethe, „am Golde doch alles hängt“,
wird natürlich auch der Finanzsektor bemüht, um das Flüchten weniger
attraktiv zu machen. FDP-Politiker haben den Vorschlag gemacht, „unter
besonders engen Voraussetzungen die Leistungen quasi auf ‚null‘ abzusenken“.
Leider, für die FDP, hat das Verfassungsgericht etwas dagegen. Es hat
mehrfach entschieden, dass ein „menschenwürdiges“ Existenzminimum für alle
Menschen in Deutschland zu gewährleisten sei. Aber was Existenzminimum für
Flüchtlinge bedeutet, ist umstritten. Jetzt feilscht man gerade darum, mit
welchen Synergieeffekten man den „Warenkorb“ entlasten könnte. Von einer
Gemeinschaftszahnbürste in Sammelunterkünften ist man allerdings abgekommen,
denn dann würden die Flüchtlinge noch öfter zum Zahnarzt laufen und
deutschen Bürgern die Termine wegnehmen. (Vorsicht Satire!)
Bezahlkarte: Um die Flüchtlinge zu zwingen, sich bei ihren Ausgaben
auf Essen und Trinken zu beschränken und sich ja keine teure Markenkleidung
zuzulegen oder gar, was wirklich nicht geht, Geld in ihre Heimat zu
schicken, will man eine Bezahlkarte einführen. In Erding hat man damit eher
schlechte Erfahrungen gemacht, und der Bayerische Städtetag fürchtet den
Verwaltungsaufwand. Der Integrationsbeirat des Landkreises Miesbach
formuliert mit gebotener Vorsicht, wird aber an einer Stelle ganz klar: „Ich
empfinde das als Erniedrigung.“
Es ist leicht zu fordern und über die Forderungen zu lästern, aber tragbare
und tragfähige Lösungen sind selten. Im seriösen Angebot, wie Migration zu
reduzieren ist, ist v.a. die Veränderung der Lebensbedingungen in den
Herkunftsstaaten, also Frieden, Arbeitsplätze, Ernährungssicherheit,
Meinungsfreiheit, Schutz vor Naturkatastrophen. Und Ihre Fragen stelle ich
mir gleich selbst: Wie macht man das? Wer sorgt dafür? Was kostet es? Bis
jetzt sind wir wie „die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“.
Wir verbleiben im Krisenmodus und kommen zu den
AI-Nachrichten
Tunesien: Im sicheren Herkunftsland Tunesien ist erneut eine
hochrangige Politikerin der Opposition festgenommen worden. Abir Moussi,
Vorsitzende der Freien Destur-Partei, wurde vor dem Präsidentenpalast
festgenommen, als sie einen Berufungsantrag gegen die Abhaltung der
Kommunalwahlen einreichen wollte. Auch mehrere andere Oppositionspolitiker
sind inhaftiert, sodass von der tunesischen Opposition derzeit „nichts übrig
ist“.
Iran: Da läuft im Augenblick eine beispiellose Hinrichtungswelle.
Seit Anfang 2023 hat man schon hunderte von Todesurteilen vollstreckt. Damit
könnte die Zahl der Hinrichtungen bis zum Jahresende auf über 1000 steigen.
Das Regime arbeitet auf seine Art die landesweiten Proteste gegen den Tod
von Mahsa Amini im Herbst 2022 auf.
Russland: Die politischen Gefangenen hat man schon, jetzt nimmt man
deren Verteidiger ins Visier. Als Nawalny zu einer Anhörung geladen war,
erschien sein Verteidiger nicht. Konnte er auch schlecht, weil man ihn,
zusammen mit zwei Kollegen, verhaftet hatte. Der Vorwurf: Mitgliedschaft in
einer extremistischen Vereinigung. Sie waren für Nawalny der Draht zur
Außenwelt, weil sie seine Kommentare in den sozialen Medien unterbrachten –
und damit für die Behörden zu Mittätern wurden. Aus Protest gegen die
Verhaftungen wollten 250 Anwälte drei Tage lang in Streik treten. Die
Anwaltskammer war natürlich dagegen.
Australien: Gescheitert ist ein Referendum, das vorsah, die
Verfassung so zu ändern, dass Ureinwohner bei bestimmten politischen
Entscheidungsprozessen über einen Fachbeirat vertreten sind. De rechte
Nein-Lobby führte einen schmutzigen Wahlkampf, streute z.B. die
Fehlinformation aus, dass es durch die Verfassungsänderung zu Enteignungen
käme und mobilisierte durch Schürung von Ängsten und postkoloniale Arroganz
eine satte Mehrheit von 60 Prozent. Bei den Ureinwohnern wurde (einmal mehr)
das Gefühl verstärkt, „der Rest des Landes interessiere sich nicht für sie“.
Karlsruhe: Bei der Bundesanwaltschaft traf ein umfangreiches Mail der
Clooney Foundation for Justice ein, das russische Kriegsverbrechen
dokumentierte. Aufgeführt sollen u.a. die Namen von 21 russischen Offizieren
sein, die persönlich hinter Verbrechen in der Ukraine stecken. Ob es je zur
Anklage kommt, ist zu bezweifeln, aber zumindest werden ihre Urlaubsziele
reduziert.
Nachrichten von rechts und gegen rechts
Berufsverbot – akzeptabel: Jens Maier, Ex-Abgeordneter der AfD und
Richter von Beruf, wurde endgültig in den vorzeitigen Ruhestand versetzt,
weil er, so die Begründung des Bundesgerichtshofs,
„sich in herausragender Stellung bei einer politischen Gruppierung
betätigt, die die Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates ablehne
und verächtlich mache“.
Maier gilt als „Rechtsausleger“ innerhalb der AfD (!), gehörte dem „Flügel“
der Partei an und bezeichnete sich selbst als „kleiner Höcke“. Zu seinem
Repertoire gehörte natürlich auch die Forderung, den „Schuldkult zu
beenden“, also nicht mehr über den Holocaust zu sprechen. Möge ihm der
Ruhestand den Flügel stutzen!
Anschlag – rätselhaft: Auf den AfD-Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla
gab es nach Angaben der Partei einen „tätlichen Vorfall“. Im Krankenhaus von
Ingolstadt wurde ein Nadelstich diagnostiziert, in einer Klinik in Dresden
zusätzlich „entzündliche Veränderungen“ festgestellt. Eine Vergiftung schien
nicht vorzuliegen. War es vielleicht doch nur das neue Hemd, an dem die
Nadeln nicht sorgfältig entfernt wurden? Viele bayrischen Wähler brachten
jedoch ihre Anteilnahme zum Ausdruck, indem sie der AfD zum 3. Platz
verhalfen.
Wohin die Reise geht, möchte man lieber nicht wissen.
Pfarrer – mutig: In Kulmbach hat ein Pfarrer in einem Aufsatz im
örtlichen Gemeindeblatt für sich persönlich den Schluss gezogen, die AfD sei
nicht wählbar. Für die Veröffentlichung seiner Meinung gab er eine
denkwürdige Begründung:
„Der Kirche wird vorgeworfen, in den dunkelsten Zeiten unseres Landes zu
sehr geschwiegen zu haben. Das darf nicht mehr geschehen.“
Demo - eindrucksvoll aber erfolglos: Vier Tage vor der Bayernwahl
kamen in München
35 000 Menschen zusammen und demonstrierten gegen rechten Populismus, der
dann in den Wahlen auf über 30 Prozent kam. Da werden sich die anderen
Parteien weiter „zusammenreißen“ müssen. „Zammreißen!“ war auch das Motto
der Demo, zu der die Veranstalter ursprünglich nur 4000 Teilnehmer erwartet
hatten.
Jetzt erst recht!
Schluss
Der Schluss ist einer Frau gewidmet, die ihre Zivilcourage mit dem Leben
bezahlte. Jina Mahsa Amini, von der iranischen Sittenpolizei wegen eines
angeblich zu locker getragenen Kopftuchs zu Tode geprügelt, erhielt posthum
den Sacharow-Peis des EU-Parlaments.
Jina Mahsa Amini
November
2023
Ich konnte meinem E-Wortschatz endlich einmal wieder ein neues Wort
hinzufügen, das auch für Sie sehr nützlich ist, wenn man Ihnen diesen
Jahresbericht aushändigt – oder aufzwingt: News
Avoidance/Nachrichtenmüdigkeit. Immer mehr Menschen haben es satt, immer
wieder mit Katastrophenmeldungen konfrontiert zu werden, sogar mit solchen,
die einen nicht selbst betreffen. Die SZ hat darauf mit einer neuen
Whatsapp reagiert: Sie bietet ein Abonnement, mit dem man jeden Tag eine
gute Nachricht abrufen kann.
Wenn Sie jedoch in diesem Bericht weiterlesen, hier ist die angedrohte
Fortsetzung zum
Krieg im Nahen Osten
Ich habe im Oktober Ereignisse aufgelistet, die mir „unter die Haut gegangen
sind“, aber ich bin mir im Klaren, dass wir zwar betroffen sind, aber andere
getroffen werden: palästinensische Zivilisten, israelische Geiseln – und die
Kombattanten auf beiden Seiten.
- Auf einer Fläche von 365 km2, nur etwas größer als die Stadtfläche von
München, wird zerbombt, was Mauern hat. Auch Bereiche in Krankenhäusern,
unter denen man die „Kommandozentralen“ vermutet, werden „mit präzisen und
zielgerichtenten“ Operationen gestürmt. Flüchtlinge werden von einer
„sicheren Zone“ in die nächste vertrieben, Hilfslieferungen werden einmal
zugelassen, dann wieder blockiert, zwei Drittel der zivilen Opfer sind, nach
Angaben der Hamas, Frauen und Kinder, die entlassenen Geiseln sind
traumatisiert. Anfang Dezember sollen an die 7000 Hamas-Krieger und über 100
israelische Soldaten getötet worden und 80 bis 85 Prozent der Bevölkerung
auf der Flucht sein.
Überleben in Ruinen
- Die israelische Armee hat Aufnahmen vom Massaker der Hamas
zusammengetragen, Handy-Videos der Terroristen und der Ersthelfer vor Ort.
Der Film ist so grauenvoll, dass er zunächst nicht öffentlich gemacht wurde,
„um die Familien zu schützen“.
- Irritationen ausgelöst hat der Verdacht, dass Fotojournalisten, die als
freie Mitarbeiter für CNN und Associated Press arbeiteten, schon vorab über
die Pläne der Hamas informiert waren. Einer von ihnen soll auf dem Rücksitz
eines Motorrads den Einmarsch aus Gaza mitgemacht haben, damit er zeitgleich
zur Stelle war, um Aufnahmen von der Terrorattacke zu schießen.
- Im Westjordanland führen radikale Siedler den Krieg an ihrer
„Heimatfront“. Die Angriffe auf Palästinenser nehmen zu, seit dem 7. Oktober
wurden 132 Palästinenser getötet, acht davon von Siedlern. Abgesehen hat man
es v.a. auf die Beduinen. Die vertreiben sich leichter als Menschen in den
Dörfern. Laut Angaben des UN-Büros OCHA mussten seit dem 7. Oktober
mindestens 607 Menschen ihr Land verlassen. Im Dezember hat der britische
Außenminister Einreisebeschränkungen gegen radikale israelische Siedler „in
Aussicht gestellt“. Dann könnten sie bei einem Urlaub in Großbritannien
selbst die Erfahrung machen, was es heißt, an einem Checkpoint zu warten.
- Ein „Israel vom Fluss bis zum Meer“ (und darüber hinaus) schwebt auch dem
israelischen Finanzminister Bezalel Smotrich vor, der eine Auswanderung der
Palästinenser aus dem Gazastreifen „auf freiwilliger Basis“ befürwortet. Was
er vorhat, wenn die Basis nicht will, hat er nicht verraten, aber
vorsorglich schon eine Landkarte veröffentlicht, die ein „Groß-Israel“
zeigt, das auch das Westjordanland und Teile von Jordanien umfasst.
- Nach zwei Feuerpausen kamen jetzt insgesamt 109 der israelischen und
Gastarbeiter-Geiseln frei. Im Gegenzug dürften etwa 327 Palästinenser
freigekommen sein, denn ist die Quote, mit der Geiseln und Gefangene
aufgewogen werden.
Wiedersehen nach 49 Tagen
Die Fernwirkung des Konflikts
An Allerheiligen stellte Robert Habeck ein Video ins Netz, das von manchen
als „Kanzlerrede“ bezeichnet wurde, weil man eine solche Rede vom Kanzler
erwartete hätte. Habeck findet deutliche Worte zu den Gräueltaten der Hamas,
zur Aufnahme der israelischen Sicherheit in die „deutsche Staatsräson“ und
zum aufbrandenden Antisemitismus Im Land – den Antisemitismus, der
eingewandert ist oder sich bei uns auf der Rechten und bei Teilen der Linken
verfestigt hat. Im Dezember wurde ihm für das Video die Auszeichnung „Rede
des Jahres 2023“ verliehen, aber es stellt sich schon die Frage, ob er wegen
der „wahllosen Bombardierung“ des Gazastreifens (Biden) nicht vier Wochen
später einen Passus hinzugefügt hätte.
Fridays for Future International: Die Umweltbewegung mit ihrer Ikone
Greta Thunberg ist auf internationaler Ebene in Erklärungsnot geraten. Man
wirft ihr einseitige Parteinahme für die Palästinenser vor. Greta hat das
massive Vorgehen der israelischen Armee als „Völkermord“ bezeichnet, eine
Einstufung, die Völkerrechtler mehrheitlich ablehnen, da es nicht um die
Ausrottung der Palästinenser, sondern um die Zerstörung der Hamas geht. Der
deutsche Zweig von FfF distanzierte sich deutlich – und das eher zweimal am
Tag.
Die Kritik an Gretas Auftritt mit dem Palästinenser-Tuch sollte man etwas
niedriger hängen. Ich erinnere mich, dass sich fromme Katholikinnen im Jahre
des Oslo Abkommens (1993) in Jericho mit solchen Tüchern eindeckten, und die
sind damit auch keine Fans von Arafat geworden.
Überfeifer von Beamten: In Berlin haben Polizisten Plakate von einer
Litfaßsäule entfernt, die israelische Geiseln der Hamas zeigten. Eine
Sprecherin der Polizei stellte sich hinter den Einsatz, weil die Säule, die
ausschließlich Werbezwecken diene, „durch das vollständige Überkleben mit
Plakaten erheblich verändert“ worden sei. Zum Guten oder zum Schlechten? -
das ist hier die Frage.
Kontroversen: Bei uns findet zwar kein Krieg statt, aber gestritten
wird allemal. Die Frauenbewegungen kriegen Prügel, weil sie die
sexualisierte Gewalt der Hamas ignorieren, die Linken, weil sie sich den
Antisemitismus mit der Rechten teilen, die Deutschen im anderen Lager, weil
sie einen „verordneten Philosemitismus“ betreiben. Die palästinensischen
Demonstranten streiten Israel das Existenzrecht ab, die deutschen Behörden
werden kritisiert, weil sie bei den Pro-Palästina Demos zu strenge Auflagen
machen. Ich glaube, es reicht jetzt.
Brückenbau: Abschließen möchte ich (zunächst einmal) mit Michael
Brenner, Professor für jüdischen Geschichte und Kultur. Er meint (nach einem
langen Blick auf den 7. Oktober):
„Es muss eine langfristige Lösung gefunden werden, die eine
Überlebensgarantie für Palästinenser wie auch für Israelis beinhaltet. Sie
muss zur Erkenntnis führen, dass man Palästinenser nicht mit Terroristen
gleichsetzen darf und dass es in Gaza viele unschuldige Opfer gibt.“
Wäre doch gar nicht so kompliziert, oder? Aber fürs erste liegt diese Lösung
unter den Trümmern.
Russland – Ukraine
Schändlich vernachlässigt haben wir in der letzten Zeit den Krieg in der
Ukraine, der mit unverminderter Heftigkeit tobt und nur bei der Hilfe aus
dem Westen Ermüdungserscheinungen zeigt. Ich folge einer Skala von „schlimm“
über „sarkastisch“ zu „ermutigend“.
- Ukrainische und UN-Ermittler haben neue russische Kriegsverbrechen ans
Licht gebracht. „Bespredel“ bezeichnet eine russische Tradition, die eine
Kriegsführung ohne jede Grenzen bezeichnet und Mord, Folter und
Vergewaltigung einschließt. Besonders perfide sind die „Anrufe bei Putin“.
Da werden bei ukrainischen Gefangenen sensitive Körperteile an Feldtelefone
angeschlossen und der Strom angestellt.
- Ein weiterer Fall russischer Willkürjustiz ist das Strafmaß für Alexandra
Skotschilenko.
Sie hatte im März 2022 in einem Supermarkt Preisschilder entfernt (s. JB
2022) und sie durch Sätze gegen den Krieg ersetzt. Eine ältere Kundin hatte
sie denunziert, und jetzt wurde sie wegen „falscher Informationen über die
russische Armee“ zu sieben Jahren Straflager verurteilt. Selbst die
Angestellten im Untersuchungsgefängnis sollen sie gefragt haben: „Sperrt man
jetzt wirklich Leute für sowas ein?“
- Vor russischen Gesetzen strafbar gemacht, halten Sie sich fest, hat sich
auch Präsident Putin. Auf einer Pressekonferenz schon im Dezember 2022 ist
ihm das Wort „Krieg“ statt der verordneten „Spezialoperation“
herausgerutscht. Ein Kommunalpolitiker forderte deshalb, gegen den
Präsidenten zu ermitteln. Wir wünschen ihm die Höchststrafe und skandieren:
„Nawalny raus, Putin rein!“
- Die folgende Zeichnung ist vor dem Hintergrund einer seit 2014 fallenden
Geburtenrate und steigenden Abtreibungsziffer in Russland zu sehen. Ob eine
eugenische Selektion nach „Kriegstauglichkeit“ Abhilfe schafft, ist
fraglich.
- Am Marienplatz wurden bei der Demonstration der „Free Russians/Freie
Russen“ vor dem Gitterwerk eines Bauzauns großflächige Porträts von
politischen Gefangenen in Russland gezeigt. Obwohl samstäglicher
Einkaufsnachmittag ist, stößt die Ausstellung „Gesichter des russischen
Widerstands“ „auf nicht geringes Interesse“. Ukrainische Besucher bedanken
sich, die Putin-Versteher sind in der Minderheit.
Ich glaube, wir haben uns jetzt alle einen Aufheller verdient.
Kindheit im Krieg
Migration
- Ein Gesetzesentwurf der Innenministerin sieht vor, die Helfer im
Mittelmeer genauso zu kriminalisieren wie professionelle Schleuser.
Flüchtlinge, die im Wasser treiben und kein Visum vorweisen können, sollte
man als Seenotretter deshalb besser schwimmen lassen. Immerhin drohen bis zu
10 Jahren Haft. Auf Anfrage ruderte die Ministerin zurück, aber die
entsprechende Passage ist im Entwurf so gut versteckt, dass sie sich alle
Türen offenhalten kann.
- Für den „Asyltourismus“ von Markus Söder sind endlich passende Zielorte
gefunden – in Ruanda und Umgebung. Die Asylverfahren sollen in sicheren
Drittstaaten durchgeführt werden, und wenn ein Flüchtling anerkannt wird,
soll er gefälligst auch gleich dort bleiben. Die Grünen warnen, dass solche
Vorschläge das Recht auf Asyl faktischen aushebeln würden.
- Pro Asyl hat in seinem jüngsten Rundschreiben auf das Verhalten des
kroatischen Militärs an der Grenze zu Slowenien hingewiesen. Dort wird
„physische Gewalt“ bereits praktiziert. Eine Kugel traf einen Afghanen in
den Rücken. Seitdem ist er querschnittsgelähmt.
- Mehr als unsanft geht auch Indonesien mit den Rohingya-Flüchtlingen um. An
zwei Orten wurden 250 Menschen an der Landung gehindert und aufs offene Meer
zurückgeschickt. Erst ein Appell der UN und mehrerer MR-Gruppen beendet ihre
mehrwöchige Odyssee.
- Pakistan weist mit großer Härte afghanische Flüchtlinge aus, die keine
Papiere haben, Papiere, die sie für ihre Flucht nie bekamen oder die sie
nicht mit Schmiergeld bezahlen konnten. Einige von ihnen lebten schon seit
40 Jahren im Land.
Grellbuntes Allerlei – in Kurzfassung
- Wer die deutsche Geschichte der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts nicht
mit Nostalgie betrachtet, ist zusammengezuckt, als er aus den neuen
Leitlinien für die Bundeswehr erfuhr, dass Verteidigungsminister Pistorius
das deutsche Militär wieder „kriegstauglich“ machen möchte.
„Verteidigungstauglich“ hätte es auch getan.
- Mehr als bedenklich ist die Zahl der Gewalttaten, die in München (und wohl
auch anderswo) von Minderjährigen begangen werden. Da scheint der
Corona-Virus nicht nur die Lungen, sondern auch die Köpfe beschädigt zu
haben, denn im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie stieg die Zahl der
jugendlichen Strafverdächtigen um satte 48 Prozent.
- Für den juristischen Laien, der ich bin, ist der Grundsatz „Nicht zweimal
in derselben Sa-che“ schwer verständlich. Nach diesem Grundsatz darf niemand
wegen derselben Tat zweimal angeklagt werden, außer es liegt ein Geständnis
vor. Im Bundestag saßen 2021 auch einige juristische Laien, denn man
beschloss, dass eine Wiederaufnahme möglich sei, wenn es „klare“ neue
Beweise gäbe. Karlsruhe kippte mit einer Mehrheitsentscheidung diesen
Beschluss als grundgesetzwidrig. Der Mord an Frederike Möhlmann aus dem
Jahre 1981 bleibt deshalb, trotz neuer DNA-Spuren, ungesühnt. „Wer es fassen
kann, der fasse es!“ (Matthäus 19,11)
- Einen seltsamen Vogel haben die Wahlen vom Oktober in den bayrischen
Landtag gespült. Daniel Halemba, AfD, wurde im Stimmkreis Hassberge mit 17
Prozent auf den zweiten Platz gewählt. Auf seinem „Sündenkonto“ eine Reihe
von Posten, die einen Landtagskandidaten an sich amtsuntauglich machen -
außer man ist bei der AfD: ein „Sieg Heil“ im Gästebuch einer
Burschenschaft, der Verdacht auf Volksverhetzung, ein Haftbefehl wegen
Verdunklungsgefahr. Er ist so rechts (und obendrein der Trickserei bei der
Kandidatenkür verdächtig), dass es jetzt sogar der Bundespartei zu viel
wird. Sie hat die bayrischen Parteigenossen aufgefordert, Ordnungsmaßnahmen
zu ergreifen, die sogar zum Parteiausschluss führen könnten. Im Dezember hat
er seine Parteiämter (zunächst einmal) abgegeben, sein Mandat aber natürlich
behalten. Er braucht ja etwas zum Leben, und seine Partei legt Wert darauf,
nicht die Oppositionsführerschaft zu verlieren.
Und jetzt, holen Sie tief Luft oder machen Sie zuvor noch einen Spaziergang.
Es folgen die
AI-Nachrichten
Femizide: Die tödliche Gewalt gegen Frauen hat laut UN weltweit
zugenommen. Es kam 2022 zu fast 89 000 Tötungsdelikten. Durchschnittlich
seien damit jeden Tag 133 Frauen oder Mädchen (meist) von einer ihnen
nahestehenden Person getötet worden.
Iran: Der Trägerin des diesjährigen Friedensnobelpreises, Narges
Mohammadi, wird nicht nur die Entgegennahme des Preises, sondern auch die
dringend benötigte medizinische Behandlung verweigert. Dreh- und Angelpunkt
der Schikanen war die “heilige Kuh“ der Mullahs, die Kopftuchpflicht. Narges
weigerte sich, für den Transport ins Krankenhaus ein Kopftuch aufzusetzen,
wurde dann zweimal ohne Kopftuch ins Krankenhaus gebracht, aber postwendend
und ohne Nachsorge wieder ins Gefängnis zurückgebracht. Für eine gründliche
Behandlung, ganz gleich an welchem Körperteil, muss die Patientin doch ein
Kopftuch tragen!
Hingerichtet wurde Hamidresa Asari wegen Mordes, den er begangen hat oder
auch nicht. Schon die Todesstrafe an sich wäre anzuprangern, gehört aber für
den Iran zur „Geschäftsordnung“. Allerdings war er zum Tatzeitpunkt erst 16,
zum Zeitpunkt der Hinrichtung erst 17 Jahre. Das verstößt gegen die
UN-Kinderkonvention, wenn auch nicht gegen iranisches Recht, wonach auch
15-jährige Teenager schon voll straffähig sind. Lieber hängen, bevor sie
Rebellen werden!
Türkei: Da spielt sich derzeit eine Justizfarce ab, in der Richter
aufeinander losgehen. Da hat ein Häftling, Can Atalay, aus dem Gefängnis
heraus, bei den Parlamentswahlen ein Mandat errungen, dessen Ausübung ihm
zunächst verwehrt wurde. Dann entschied das Verfassungsgericht zu seinen
Gunsten und ordnete seine Freilassung an. Da man in Erdogans Türkei durch
alle Instanzen geht, bis das Urteil „stimmt“, wandte man sich an das
Kassationsgericht. Das wiederum forderte die Annullierung des Mandats und
erstattete Anzeige gegen die Kollegen des Verfassungsgerichts.
DFB und Katar: Man hat ja ein gewisses Verständnis, dass der DFB
nicht so gerne an die Fußball-WM in Katar erinnert werden möchte, aber sein
Schweigen zu Transparenz bei den Entscheidungsfindungen und zur MR-Situation
in Katar nach der WM, ist so „laut“, dass man es fast schon wieder hört.
Nach Aussagen eines ARD-Journalisten ist der Status quo wieder hergestellt,
d.h. den Arbeitsmigranten geht es wieder so schlecht wie vor der WM.
„Niemand schaut mehr auf den Reformprozess“. Und, wer weiß, vielleicht wird
der Investor, den der DFB an Bord nehmen will, ein Katarer?
Schluss
Als „finale Dissonanz“ seien zwei Frauen erwähnt, die beide auf ihre Art
gegen die sexuelle Ausbeutung und Diskriminierung von Frauen gekämpft haben.
Die eine, Lea Ackermann, hat erst in Kenia gegen Armutsprostitution und
später in Deutschland gegen „Sex-Arbeit“ und Mädchenhandel protestiert, die
andere, Jina Mahsa Amini, hat sich (nur um wenige Zentimeter) am
Kopftuchgebot vergangen. Lea durfte, Gott und Maria sei Dank, eines
natürlichen Todes sterben, Jina wurde von der Polizei erschlagen. Posthum
erhielt sie jetzt den Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments.
Lea Ackermann (86
Jahre)
Jina Mahsa Amini (22 Jahre)
Sie mögen beide ruhen in Frieden!
Dezember
2023
„Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln
angesichts der schlimmsten Schrecken
und sich nicht an jeder Dummheit begeistern.“
Antonio Gramsci
Da kann man nur noch (abgeändert) den Film aus dem Jahre 1972 zitieren „Play
it again, God/Mach’s nochmal, Gott“
Da Weihnachten und Silvester vorbei sind, erlaube ich mir wieder, Ihnen
wieder die Stimmung zu verderben mit
Nachrichten vom Gazakrieg
Schicksal der Geiseln: Bis Anfang Dezember waren 105 israelische
Geiseln freigekommen, vermutlich gegen Austausch von 300 palästinensischen
Gefangenen. Dabei kam es in der SZ zu einem sehr fragwürdigen
Nebensatz:
„Hinzu kommen die freigelassenen rund zwei Dutzend gekidnappter
Saisonarbeiter aus Thailand, deren Schicksal eine Nebenrolle spielt.“
Nein, tut es nicht!
Von der Gefangenschaft der Geiseln gibt es erschütternde Berichte. Alle
hatten Angst, nicht zuletzt auch vor den israelischen Bomben. Eine Frau
wurde „wie eine Trophäe durch die Straßen geführt“, eine andere erlebte
„jeden Tag wie die Hölle“, eine dritte „wollte einige Details ihrer
Gefangenschaft nicht teilen“. Letzteres deckt sich mit einer (reichlich
verspäteten) UN-Stellungnahme zum Leiden der Frauen und Mädchen beim Angriff
der Hamas am 7. Oktober und in der Geiselhaft. Das Baby Kfir Bibas (10
Monate) wurde mit seiner Mutter und seinem Buder Ariel (4 Jahre) nach einer
Meldung der Hamas angeblich bei einem Luftangriff getötet.
Kfir Bibas
Es kam auch zu tragischen Fehlschlägen: eine Geisel starb, als israelische
Soldaten sie befreien wollten, und drei Geiseln wurden von den eigenen
Soldaten erschossen, weil ihre Hilferufe (auf Hebräisch!) als
„Täuschungsversuch der Hamas“ eingeschätzt wurden. Der israelische
Generalstabschef räumte reumütig ein: „Die drei Toten hätten vermieden
werden können.“ Viele palästinensische Zivilisten vermutlich auch! Der Tod
der drei Geiseln hat den Druck verstärkt, den Angehörige auf die Regierung
in Jerusalem ausüben. Die Aufforderung „Bringt sie nach Hause!“ ist
vielerorts durch den Appell „Tötet sie nicht!“ ersetzt worden.
die Adressaten – Hamas und Armee
Bilder wie aus Abu Ghraib: Abu Ghraib/Irak wurde zum Symbol für die
entwürdigende Behandlung von Gefangenen durch die Amerikaner. Aus dem
Gazakrieg wurden jetzt ähnliche Fotos veröffentlicht. Sie zeigen Männer in
Unterhosen, auf dem Boden kauern oder knien, manche auch mit verbundenen
Augen und gefesselten Händen. Die Armee behauptet, die Männer hätten sich
ausziehen müssen, damit man sie nach Waffen durchsuchen könne, aber warum
müssen sie dann, vermutlich für längere Zeit, in dieser entwürdigenden
Stellung verbleiben? Unter den „Leibesvisitierten“ scheinen Dutzende von
Zivilisten (Ärzte, Journalisten, ältere Männer) gewesen zu sein.
Verschärfte Vernehmung
Unverhältnismäßigkeit: Bei den Hilfsorganisationen, aber auch in den
westlichen Regierungen wächst die Kritik am Vorgehen der israelischen Armee.
Die Opferzahlen stiegen rapide an, und die Armee unternähme zu wenig für den
Schutz der Zivilbevölkerung, setze durch die Blockade der Versorgung den
Hunger als Kriegswaffe ein, gehe „unpräzise und überzogen“ vor. Premier
Netanjahu spricht von einem „überwältigenden Krafteinsatz“ gegen die Hamas
und meint dabei die palästinensische Zivilbevölkerung offensichtlich mit. Es
gibt jedenfalls bereits Juristen, die Militäreinsätze danach beurteilen, „ob
es „unnötige zivile Opfer bei geringem erwartbarem militärischem Vorteil
gäbe“. Die Formulierung ist komplex, der Einsatz aber eindeutig ein
Kriegsverbrechen.
Völkermord oder nicht? Für den pakistanischen UN-Beauftragten
ist die Sache klar. Israel bekämpfe nicht nur die Hamas, sondern das
palästinensische Volk, es handle sich also um Völkermord. Der juristischen
Definition von „Völkermord“ entspricht das nicht. Das wäre, wie erwähnt,
„eine Gewalttat, die in der Absicht begangen wird, ein Volk ganz oder
teilweise auszulöschen“. Das Kriegsziel ist aber, nach wie vor, der Kampf
gegen die Hamas. Wenn man sich allerdings auf die Philosophin Hannah
Arendt beruft, die bei Völkermord vom Willen spricht, „die Erde nicht mehr
mit einem bestimmten Volk zu teilen“ und die rechten israelischen
Politiker heranzieht, von denen ein Minister gefordert hat, eine Atombombe
auf Gaza abzuwerfen und „jeden einzelnen Palästinenser zu eliminieren“,
käme man einem Völkermord ziemlich nahe, wenn es denn die Mehrheitsmeinung
der Israelis wäre und nicht die eines durchgeknallten Außenseiters.
Kritik an Israel: Der ägyptische Menschenrechtsaktivist Hossam Baghat
warf der Bundesregierung vor, in ihrer Nahostpolitik das Leid der
Palästinenser auszublenden, eine „direkte Mitschuld“ daran zu haben, dass es
in Gaza keine sicheren Räume mehr gäbe. Im Westen und bei der UN stößt eine
solche Kritik auf immer mehr Resonanz. Eine breite Mehrheit von
Mitgliedsstaaten forderte eine sofortige Waffenruhe, Präsident Biden sprach
von einer „willkürlichen Bombardierung“ des Gazastreifens, und unsere
Außenministerin forderte bei ihrem Besuch in Israel „eine weniger intensive
Operationsführung“ – was immer das heißt. Wohlweislich hat sie das Gespräch
mit dem israelischen Staatspräsidenten und ihrem Kollegen und nicht mit dem
Premierminister geführt.
Ein Blick in die Zukunft: Die frühere israelische Außen- und
Justizministerin Tzipi Livni steht voll hinter dem Vorgehen der israelischen
Armee und nimmt auch die zivilen Opfer unter den Palästinensern billigend in
Kauf. Dass sie sie als Opfer eines „Unfalls“ bezeichnet, der nun einmal
vorkommen kann, ist arg daneben. Aber sie ist eine der wenigen Israelis, die
sich Gedanken machen, was nach dem Krieg passieren soll. Sie plädiert für
eine Zweistaatenlösung unter drei Bedingungen: Es brauche eine Übereinkunft
über die Grenzen, der palästinensische Staat müsse demilitarisiert sein und
Israel müsse sich um Sicherheitsfragen kümmern. Ob ein souveräner Staat das
auf Dauer hinnähme, ist zu bezweifeln, aber als Übergangslösung wäre es
einen Versuch wert. Als Justizministerin unterstützte Livni 2005 die Räumung
des Gazastreifens durch die jüdischen Siedler. Was sie heute mit den
Siedlern im Westjordanland machen würde, hat sie verschwiegen.
Kriegsgebiete und Problemländer
Russland – Ukraine: Der Konflikt im Nahen Osten hat die Kämpfe in der
Ukraine aus den Schlagzeilen verdrängt, doch sie gehen mit unverminderter
Brutalität weiter. Die russischen Angreifer verfolgen dabei eine schmutzige
Strategie und greifen gezielt Gesundheitseinrichtungen und Ambulanzen an.
Die Weltgesundheitsorganisation/WHO hat seit Beginn des russischen Angriffs
bi Anfang Dezember 2023 an die 1400 solcher Attacken gezählt. „Für die
Russen“, so ein ukrainischer Arzt, „ist jedes rote Kreuz auf einer Ambulanz
ein hochrangiges Ziel“.
Präsident Putin hat am 9. Januar zum orthodoxen Weihnachtsfest den
Gottesdienst besucht. In der „guten alten Zeit“ hätte ein göttlicher Blitz
eingeschlagen, bevor so ein Typ eine Kirche betreten hätte. Aber der liebe
Gott ist auch nicht mehr der alte! Im letzten Jahr hatte Putin noch allein
gefeiert, diesmal waren die Familien von Gefallenen dabei. Schließlich ist
im März Präsidentenwahl.
Myanmar: Die Junta liegt im Demokratie-Index als zweitautoritärstes
Regime der Welt nur einen Rang über dem Schlusslicht, den afghanischen
Taliban. Und jetzt scheint den Militärs die Kontrolle zu entgleiten. Die
Widerstandsgruppen haben eine gemeinsame Offensive gestartet, und der
Juntachef hat zum ersten Mal so etwas wie ein Gesprächsangebot gemacht.
Einige Pipelines scheinen den Regimegegnern in die Hände gefallen zu sein,
und das Land steuert auf eine Energiekrise zu. Beim Anbau von Opium hingegen
ist das Land Spitzenreiter geworden, seit die Taliban den Anbau verboten
haben. Aber das Opium kann man nicht verheizen.
Ungarn: „Der Geist von Europa ist mit mir“, ein Satz nicht von
Macron, sondern von Viktor Orbán, Obersaboteur von Entscheidungen
europäischer Tragweite. Beim Gipfel ging es diesmal um ein Gesprächsangebot
an die Ukraine (und Moldau), der EU beizutreten. Eine Einigung wurde
schließlich durch einen Trick ermöglicht, der Olav Scholz und Charles Michel
eingefallen war: Viktor wurde auf die Toilette geschickt, und seine
Abwesenheit als Zustimmung gewertet. Vorher hatte er noch betont, dass die
Freigabe von 10 Milliarden gesperrtes EU-Geld für seine Entscheidung keine
Rolle gespielt hätte. Schließlich ließe er sich nicht erpressen!
Die Vorwürfe, die Orban der Ukraine macht, Korruption und mangelnde
Rechtsstaatlichkeit, fallen weitgehend auch auf ihn selbst zurück. EU-Gelder
gehen häufig an Kommunen, die von seiner Fidesz-Partei regiert werden, und
das neue „Souveränitätsgesetz“ verfolgt „alle Feinde der Macht“, d.h. die
Oppositionsparteien und die Restbestände an freier Presse, denen es verboten
wird, auch nur einen Cent aus dem Ausland anzunehmen. Freund Putin lässt
schön grüßen!
Niederlande: Ein trauriger Neuzugang in unserem Jahresbericht! Dort
hat die Partei PVV des Rechtspopulisten Geert Wilders bei den
Parlamentswahlen im November fast ein Viertel der Stimmen bekommen. Und im
Dezember ist Martin Bosma, ein „identitärer Hardcoreideologe“ neuer
Parlamentspräsident geworden. Da kann man nur noch sagen: „Linke und
Muslime, zieht euch warm an!“ Bosma sieht sich im „Kulturkrieg“ gegen die
„linke Elite“ und den Aufmarsch des Islam, den er als „mittelalterliche
Wüstenideologie“ bezeichnet. Und er hat Begriffe wie „Kopflappensteuer“
geprägt, die Wilders von den Muslima erheben möchte, für die Lizenz, ein
Kopftuch zu tragen.
Wilders in den Niederlanden, die AfD in Deutschland, Marine Le Pen in
Frankreich und Trump als Präsident – wenn das passiert, sollte man schön
langsam bei Elon Musk nachfragen, ob er einen nicht zum Mars schießen
könnte. Aber vielleicht geht der Trump an uns vorüber. (s. S.36)
Aber wenn man die Vorwahlen in Iowa und New Hampshire verfolgt hat,
verfahren die republikanischen Wähler eher nach dem Motto: „Je krimineller,
desto präsidentieller!“
Und wir machen gleich (un)lustig weiter mit den
AI-Nachrichten
Pressefreiheit: In Hongkong steht der Medienunternehmer und
Demokratieaktivist Jimmy Lai erneut vor Gericht, diesmal wegen
„Zusammenarbeit mit Kräften im Ausland“. Jimmy Lai sitzt schon seit drei
Jahren in Haft und kommt bei einer weiteren Verurteilung lebenslang hinter
Gitter. Da gehört er nach Meinung Pekings auch hin, denn er gilt als Gesicht
des Widerstands im Kampf um Hongkongs Pressefreiheit. Das Verfahren liegt in
den Händen von drei Richtern, die der (pekinghörige) Regierungschef John Lee
bestimmt hat, Lais eigener Anwalt wurde nicht zugelassen.
Jimmy Lai – gut verwahrt
Waffenexporte: Genüßlich ausgeschlachtet hat die deutsche Presse die
Diskrepanz zwi-schen dem Versprechen der Ampel, eine „restriktive
Rüstungspolitik“ zu betreiben und den Rüstungsexporten, die 2023 einen neuen
Höchststand erreichten. Aber da muss man einräumen, dass ein Großteil an die
Ukraine ging, ein Land wie Norwegen nicht gerade zu den Kriegstreibern oder
Spannungsgebieten zählt, und die Lieferungen an Israel überwiegend nach dem
Angriff der Hamas erfolgten. Problematischer ist der Verzicht auf das
Vetorecht, der es nun Großbritannien ermöglicht, 48 Eurofighter nach
Saudi-Arabien zu liefern, weil das Land (derzeit) zur Sicherheit in der
Region beitrage. Ob die Saudis schon zu einem „Stabilitätsfaktor“ werden,
weil sie ein paar Raketen der Huthi-Miliz abgeschossen haben, muss man
abwarten.
Odyssee eines politischen Gefangenen: Alexander Nawalny war 20 Tage
lang „auf Etape“. So beschreibt man die Verlegung eines Gefangenen in ein
Straflager, die Wochen, manchmal Monate dauern kann. Nawalny kam in das
Lager „Polarwolf“ im hohen Norden Russlands, wo die Haftbedingungen
besonders hart sind. Seinen Humor hat er nicht eingebüßt: Er bezeichnete
sich als „Väterchen Frost“, der aber leider keine Geschenke bringen könne,
da er „unter besonders strengem Regime“ stehe. Wegen einer Lappalie wurde er
schon im Januar zu sieben Tagen Isolationshaft verdonnert, weil er sich
geweigert hatte, „sich im Einklang mit dem Protokoll vorzustellen“. Hat wohl
den Kniefall vergessen!
Frauenrechte: Der folgende Text ist so ungeheuerlich, dass ich mir
lange überlegt habe, ob ich ihn aufnehmen soll. Er zeigt die Täter in ihrer
ganzen Bösartigkeit und (religiös untermauerter) Dummheit, und die Opfer in
ihrer Angst und Ohnmacht. Er stammt aus einem Interview mit der Iranerin
Jasmin Taylor („Im Namen Gottes – die Unterdrückung der Frauen im Iran“),
die mit 15 Jahren selbst von der Sittenpolizei verhaftet worden war. Sie
berichtet von ihrer Freundin Soraya, in deren Schultasche man Flugblätter
über Freiheit und Demokratie gefunden hatte. Das zeugt nach dem
Rechtsbegriff der Mullahs von „Verdorbenheit auf Erden/Krieg gegen Gott“ und
kann mit dem Tod bestraft werden.
„Vor ihrer Hinrichtung wurde sie zwangsverheiratet und vergewaltigt, um
sicherzustellen, dass sie nicht mehr als Jungfrau galt. Auf diese Weise
wurde ihr, so glauben die Mullahs, die Unschuld genommen, und sie konnte
nach ihrem Tod nicht ins Paradies gelangen. … Die Mädchen haben mehr Angst
vor dieser Vergewaltigung als vor der Hinrichtung am nächsten Morgen.“
Ich kenne Allah nicht persönlich, aber ich glaube, dass die Mullahs vor dem
Paradies mehr Probleme haben werden als Soraya.
Menschenhandel: Im Iran sitzt der schwedische EU-Beamte Johan
Floderus ein. Er wurde im April 2022 festgenommen und beschuldigt, ein Spion
für Israel zu sein. Was im Iran darauf steht, kann man sich ausdenken. Der
wahre Grund seiner Verhaftung war, dass man einen Schweden als „Faustpfand“
brauchte, denn im Juli 2022 war der Iraner Hamid Nouri in Stockholm zu
lebenslanger Haft verurteilt worden, weil er 1988 in leitender Funktion an
den Massenhinrichtungen im Gefängnis von Gohardascht beteiligt war. Das
Urteil wurde im Dezember 2023 in zweiter Instanz bestätigt. Zehn Tage vor
dieser Gerichtsentscheidung begann auch der Prozess gegen Floderus in
Teheran. Ausgang des Erpressungsversuchs ungewiss.
Justizirrtum: Der Afro-Amerikaner Glynn Simmons kann mit einem Rekord
aufwarten, auf den er sicher gerne verzichtet hätte. Er war mit 48 Jahren
„Knasterfahrung“ der Häftling, der in der US-Geschichte am längsten
unschuldig hinter Gittern saß. Seine Verurteilung beruhte auf der Aussage
einer Zeugin, die sich bei der Gegenüberstellung in Widersprüche
verwickelte, die aber von der Polizei „nicht kommuniziert“, d.h.
verschwiegen wurden.
Ich habe es noch erleben dürfen.
Schlagzeilen – manche wörtlich zu nehmen
Die Einigung der EU auf ein neues Asylrecht wurde kommentiert mit
„Spuren von Solidarität“, „Unter dem Druck der Umfragen“ und „Herberge zu“.
Terrorwarnung am Hl. Abend: Der Kölner Dom war durch ein
umfangreiches Polizeiaufgebot abgesichert. An den Eingängen gab es Taschen-
und Personenkontrollen. Die Leute kamen trotzdem zum Gottesdienst. Respekt!
Im Verdacht: der afghanische Ableger des Islamischen Staates.
Aufforderung zum Alarmismus: Gerhart Baum, Ex-Innenminister, war
„noch nie seit 1945 so voller Sorge um die Demokratie in Deutschland“. Der
Grund: die Umfragewerte der AfD. Ein Vorgeschmack: das Treffen von
AfD-Politikern mit noch rechteren Extremisten im No-vember in Potsdam.
Fotoauktion: Ein Berliner Auktionshaus hatte am Nikolaustag eine
seltsame Sammlung im Angebot – Privataufnahmen von Wehrmachtssoldaten in
Polen. Die Alben zeigen jüdische Menschen in erbarmungswürdigem Zustand,
möglicherweise kurz vor ihrer Ermordung. Der Gipfel des Zynismus: Im
Begleittext wird vermerkt, dass die Abzüge „in very good condition/in sehr
gutem Zustand“ sind.
Anklänge an Weihnachten
Kurswechsel im Vatikan: In einer Grundsatzerklärung unter dem Titel
„Das flehende Vertrauen“ – „fliehendes Vertrauen“ wäre eine passende
Alternative gewesen – hat der Vatikan die Vorschriften für katholische
Priester dahingehend abgeändert, dass homosexuelle Paare nicht mehr hinter
vorgehaltener Hand gesegnet werden müssen, aber eine Nähe zur Eheschließung
sei tunlichst zu vermeiden. Der Segen müsse deshalb außerhalb des
Kirchenraumes stattfinden, er dürfe keine eigene liturgische oder rituelle
Form haben und nicht im Anschluss an eine standesamtliche Zeremonie und in
festlicher Kleidung stattfinden. Für mutige Priester also genügend
Ansatzpunkte für klerikalen Ungehorsam. Aber zuversichtlich wie wir sind,
werten wir das Papier als einen ersten Schritt, dem irgendwann, auch das ist
katholisch, ein zweiter folgen wird. Wie heißt es so schön in dem
Weihnachtslied: „Kehrt mit seinem Segen ein in jedes Haus …“?
Friedensnobelpreis 2023: Wie schon mehrfach erwähnt, ging der
diesjährige Friedensnobelpreis an die iranische Menschenrechtlerin Narges
Mohammadi. Den Preis in Oslo nahmen ihre beiden Kinder entgegen.
Der leere Stuhl von Oslo
Sie verlasen auch die Botschaft von Narges aus dem Gefängnis. Darin sieht
sich Narges als eine von Millionen stolzer und widerstandsfähiger iranischer
Frauen, die sich gegen Unterdrückung und Tyrannei erhoben hätten. Damit die
Bewegung Erfolg habe, brauche es eine starke iranische Zivilgesellschaft und
internationale Unterstützung. Ob unsere Briefe an den europäischen
Statthalter der Mullahs in Brüssel zu dieser internationalen Unterstützung“
beitragen, können wir nur hoffen.
Und wenn es schon um Hoffnung geht, wie wär’s mit dieser Karikatur?
Vexierbild: Das Klettergerät ist ein
Rollator.
Und damit leiten wir über zum
3.
Tätigkeitsbericht: Das AI-Jahr
im Landkreis Miesbach
3.1 Schreibtischtaten
„Briefe schreiben, Petitionen unterzeichnen“, was bringt das schon? Das ist
eine Frage, die wir nicht nur von außen hören, sondern oft auch uns selbst
stellen. Und der Antworten gibt es drei:
- Was soll man aus der Ferne sonst tun?
- Es gibt „Erfolge“, zu denen wir (vielleicht) etwas beigetragen haben.
- Wir erhalten Rückmeldungen von Seiten der „Fälle“, in denen man sich für
unsere Unterstützung bedankt.
Aus dem Talmud stammt der Satz, den Sie als treue JB-Leser schon öfter
vorgesetzt bekommen haben:
„Wer auch nur ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.“
Wir präsentieren Ihnen 12 Fälle, wo wir versucht haben, „ein Leben zu
retten“ (oder erträglicher zu machen) und ergänzen sie, wo verfügbar, mit
Informationen über deren weiteres Schicksal.
Mohammad Ghobadiou/Iran (Januar 2023)
Im Zuge der Amini-Proteste angeklagt, weil er auf einer Kundgebung angeblich
einen Polizeioffizier überfahren hat - im Prozess keine Rücksicht auf eine
psychische Erkrankung - zweimal Verurteilung zum Tode wegen „Krieg gegen
Gott“ - letzte Nachricht vom Juli 2023: das Oberste Gericht widerruft die
Verurteilung zum Tode.
Gewalt gegen Demonstranten/Peru (Februar 2023)
Demonstranten versuchen, den Flughafen der Stadt Juliaca zu besetzen –
Verdacht auf überzogene Gewaltausübung durch Sicherheitskräfte – 18 tote
Demonstranten – letzte Nachricht vom Oktober 2023: Ermittlungen gegen
Präsidentin Boluarte und weiterer Minister wegen „schweren Mordes“
verlängert.
Ebrahim Babaei/Iran (März 2023)
Er engagierte sich gegen das Kopftuchgebot und wurde bei einem Fluchtversuch
in die Türkei verhaftet – seit Dezember 2021 verschwunden – wahrscheinlich
in ein „safe house“/Geheimgefängnis verbracht – letzte Nachricht vom Mai
2023: Tochter Shima erhält in Genf einen Preis, Vater bleibt verschwunden.
Verbot einer Frauenorganisation/Türkei (April 2023)
Justiz strengt Verbot der Organisation „Wir werden die Frauenmorde beenden“
an. – Vorwurf: Tätigkeiten, die „gegen das Gesetz und die Moral“ verstoßen –
hohe Femizidrate in der Türkei: fast ein Fall pro Tag – letzte Nachricht vom
September 2023: Gericht weist Verbotsantrag der Staatsanwaltschaft ab.
Wladimir Kara-Mursa/Russische Föderation (Mai 2023)
Er kritisierte den Ukraine-Krieg und gründete ein Antikriegskomitee. – im
April 2023 wegen „Hochverrats und Falschinformationen über die Armee“ zur
Höchststrafe von 25 Jahren
verurteilt – verliert im Juli 2023 sein Berufungsverfahren und wird nach
Omsk verlegt, nach Auskunft seines Anwalts in Einzelhaft – letzte Meldung
vom Dezember 2023: Er hofft auf ein „dramatisches Ereignis“ in Russland oder
auf einen Gefangenenaustausch.
Loreto Hernández García, Donaida Pérez Paseiro/Kuba (Juni 2023)
Das Ehepaar nahm im Juli 2021 friedlich an Demonstrationen gegen die
Regierung und die Kommunistische Partei teil – wegen „Störung der
öffentlichen Ordnung“ und „Angriff“ auf einen Staatsbediensteten zu sieben
und acht Jahren Gefängnis verurteilt – unfaires Gerichtsverfahren:
zugelassen wurden nur Zeugen aus den Reihen der Ordnungskräfte – Nachricht
vom November 2023: beide noch in Haft, Verwandte beim Besuch streng
kontrolliert.
Jamshid Sharmahd/Iran (Juli 2023)
Der deutsch-iranische Journalist wurde im Sommer 2020 aus den Vereinigten
Arabischen Emiraten in den Iran entführt. – Er blieb 32 Monate verschwunden.
– 2023 in zwei Schauprozessen wegen „Verdorbenheit auf Erden“ zum Tode
verurteilt – im Juli 2023 Telefonat mit der Tochter, oft das Anzeichen einer
bevorstehenden Hinrichtung – letzte Nachrichten vom November 2023: Schwere
Erkrankung an Parkinson, Familie klagt über mangelnde Unterstützung von
Seiten der Bundesregierung.
Ibrahim Metwaly/Ägypten (August 2023)
Der MR-Anwalt, der die Organisation „Familien von Opfern des
Verschwindenlassens in Ägypten“ gegründet hat, wurde im September 2017 vor
seinem Abflug zu einer UN-Arbeitsgruppe in Genf in U-Haft genommen –
Vorwurf: „Gründung einer illegalen Organisation, Verschwörung mit
ausländischen Gruppen“ – U-Haft durch Erfindung neuer Tatbestände
willkürlich verlängert – letzte Nachricht vom Oktober 2023: sitzt immer noch
in einem Hochsicherheitsgefängnis für Terroristen.
Maksym Butkevych/Russland (Oktober 2023)
Der MR-Aktivist ging freiwillig in die ukrainische Armee, wurde im Juni 2022
mit seiner Einheit in der Region Luhansk gefangengenommen und wegen
angeblicher Kriegsverbrechen zu 13 Jahren Haft verurteilt. – Scheinprozess
mit erzwungenem „Geständnis“ – war u.a. mehrere Jahre im Vorstand von
AI-Ukraine – letzte Nachricht vom November 2023: seit Ende August „im
Labyrinth des russischen Strafvollzugs“ verschollen.
Matiullah Wesa/Afghanistan (Oktober 2023)
Sein Bild erschien auf unserem Veranstaltungsplakat zum Infoabend
„Afghanistan zwischen Flucht und Verfolgung“. – Er gründete die Organisation
PenPath/Füllfederhalterweg, die sich um den Zugang von Frauen und Mädchen zu
Bildung einsetzt. – verhaftet im März 2023 auf dem Heimweg von der Moschee –
beschuldigt geheimer Aktivitäten – Proteste gegen die Inhaftierung durch
Stammesälteste – im Oktober 2023 freigelassen.
Reza Rasaei/Iran (November 2023)
Auch er wurde im November 2022 während der Amini-Proteste verhaftet. –
angeklagt der Tötung eines Geheimdienstmitarbeiters – Geständnis unter
Folter – zum Tode verurteilt im September 2023 – letzte Nachricht vom
Dezember 2023: Hinrichtung steht kurz bevor.
Toomaj Salehi/Iran (Dezember 2023)
Der Rapper ist seit Oktober 2022 (wieder) in Haft. – Vorwurf: alle im Iran
denkbaren politi-schen und religiösen Delikte – Grund seiner Haft: die
regimekritischen Texte seiner Lieder –im Juli 2023 zu sechs Jahren und drei
Monaten verurteilt - im November 2023 gegen Kaution freigelassen – Ende
November wegen „Verbreitung von Falschinformationen“ erneut verhaftet.
3.2 Veranstaltungen und Aktionen
„Totgesagte leben länger“ kann man nur sagen, wenn wir unseren diesjährigen
Veranstaltungs- und Aktionskalender mit der Zukunftsprognose des letzten
Jahresberichts vergleichen, die eher in Grautönen gehalten war. Trotz des
reduzierten Personalstands sind wir (noch) nicht in der Versenkung
verschwunden und ca. 20mal in der örtlichen Presse aufgetaucht. Den beiden
Lokalblättern an dieser Stelle unseren herzlichen Dank für die wohlwollende
Berichterstattung.
Neujahrsempfang der Stadt Miesbach (Januar)
Da wurden wir schmerzlich daran erinnert, dass wir in einer Stadt, die von
sportlichen und kulturellen Aktivitäten geradezu überbordet, nur eine
Randexistenz führen, im Gegensatz zur Wasserwacht am Seehamer See, zum Klub
der Oldtimerfans und zu den Aufstellern des Maibaums. Trotz unseres
50-jährigen „Geburtstages“ wurden wir in der Jahresbilanz nicht erwähnt,
waren dabei aber in guter Gesellschaft mit Muslimen, Helferkreis,
Flüchtlingen und Nachbarschaftshilfe. In einem Mail im März versprach der
Bürgermeister allerdings, dass er beim Empfang 2024 auf unser Jubiläum (und
hoffentlich auch auf die anderen Gruppen) zu sprechen käme. Ich habe ihm
versöhnlich zurückgemailt, dass die „Weglassung keine so gravierende
Menschenrechtsverletzung sei, dass wir uns mit dem geballten AI-Arsenal
dagegen wehren müssten“.
Beim Empfang 2024 hat der Bürgermeister sein Versprechen eingelöst. Er hat
uns mit der Nachbarschaftshilfe an prominenter Stelle in seinem
Eventkalender der Vereine platziert. Wir wurden vom Publikum „zur Kenntnis
genommen“, aber geklatscht wurde erst bei der Feuerwehr.
Erinnerung an den Kriegsbeginn in der Ukraine (März)
Diesen traurigen Jahrestag haben wir gleich im Doppelpack begangen. Am
Rathaus kamen etwa 140 Leute zusammen, wobei im Gefolge des Landrates auch
noch andere Bürgermeister erschienen. Lautstarke Störung durch
Putin-Versteher gab es keine, auf einem Plakat prangte eine Russlandfahne,
und die Querdenker trugen ein Transparent mit der gleichen Friedenstaube,
die einige Tage später auch wieder bei der Bühnenshow von Alice Schwarzer
und Sahra Wagenknecht in Berlin flatterte.
Die Reden waren von unterschiedlicher Stoßrichtung. Der
Integrationsbeauftragte Max Niedermeier sprach eindringlich von der
Notwendigkeit, eine solche Veranstaltung auszurichten, die Ukrainerin Yuliia
Usikova erzählte von ihrer Flucht, gab bewegende Impressionen aus der alten
und der neuen Heimat wieder und bedankte sich ausdrücklich bei den
Helferkreisen. Die Politiker gingen relativ kurz auf den Krieg und das Leid
der Ukrainer ein, dafür aber sehr ausführlich auf die Probleme, die sich für
den Landkreis und die Gemeinden daraus ergeben. Eine Leserbriefschreiberin
aus Schliersee war „vom politischen Personal schwer enttäuscht“. Bei allem
Verständnis für die Belastung der Region konnte man diese Enttäuschung
nachfühlen.
Als die (schrillen) Klänge der Bandura ertönten, waren die anwesenden
ukrainischen Flüchtlinge sichtlich gerührt.
Es ging weiter zu einem ökumenischen Friedensgebet in die katholische
Kirche. Sie war gut gefüllt, die ukrainischen Familien hatten auch ihre
Kinder mitgebracht. Die Musik der ukrainischen Gruppe mit ihrer grandiosen
Sängerin brachten manche zum Weinen. Im Gedicht, das ein 8-jährigen Bub aus
Israel verfasst hatte, klang die Friedenssehnsucht an, deren Erfüllung man
sich vom Oktober an auch für den Nahen Osten wünschen würde. Und in den
Fürbitten wurde sowohl den Opfern des Krieges als auch jener gedacht, die
„auf dem Weg der Gewalt festgefahren sind“. An einem Baum konnte man seine
Wünsche aufhängen, und da fanden sich dann friedlich nebeneinander „dass die
Hasspropaganda gegen Russen aufhört“ und „dass mein Land wieder frei wird“.
Das Vaterunser wurde in mindestens zwei Sprachen gebetet, aber vermutlich
war auch noch russisch dabei. Und am Ende sangen wir „Hevenu schalom
alejchem“ auf hebräisch, deutsch und ukrainisch.
Der Wunschbaum in der Kirche
Demo „Fridays for Future“ (März)
Da hatten wir nur Gaststatus, aber das Thema „Nachhaltigkeit“, das in den
Reden behandelt wurde, kam in beängstigender Weise auch in den Kommentaren
der Straße zum Ausdruck. „Nachhaltig“ ist bei manchen Leuten die Einstellung
aus der Nazizeit, dass Demos in Deutschland nichts verloren haben – außer es
ist Reichsparteitag. Ein SUV-Fahrer schrie „Sch…“ beim Vorüberfahren, und
eine ältere Frau plapperte in ihr Handy, dass „die nichts zu tun haben und
deshalb demonstrieren“. Solche Leute würden wahrscheinlich auch den Hitler
wieder wählen!
Internationaler Frauentag (8. März)
Wir waren, wir müssen gestehen nach längerer Abwesenheit, wieder einmal bei
diesem Treffen vertreten und wurden in der „sehr gemischten und
interessanten Gruppe“ mühelos unsere 30 Karten los, mit denen wir, leider
auf Deutsch und damit vom schnellen Wegwerfen gefährdet, den
Generalstaatsanwalt des Bundesstaates México aufforderten, gefälligst etwas
gegen die Femizide in seinem Bundesstaat zu tun. In Mexiko werden täglich
zehn Frauen ermordet. Als willkommenen „Beifang“ haben wir drei
Abonnentinnen für unsere Monatsbriefe geworben.
Ostermarkt in Fischbachau (März)
Wir wurden auch von der neuen Marktleiterin freundlichst und kostenfrei
aufgenommen. Die Kosten verursachten wir selbst, denn beim Auspacken
zerbrach eine Packung unserer herrlichen Ostereier. Zu einer weiteren
Panikattacke kam es, als wir merkten, dass wir den Schlüssel zur
Wechselgeldkasse vergessen hatten. Der Markttag verlief dann eher ruhig – zu
ruhig. Man bewunderte zwar unser bestechendes Angebot an Keramik,
Restbeständen an Ostereiern, Astviehern, hielt sich aber beim Kauf zurück.
Am Nachmittag war „tote Hose“, die Standbetreiber besuchten sich
gegenseitig. Nachfragen zu AI gab es kaum, was aber auch daran lag, dass
wir, dem Gruppensprecher sei Undank, auf jegliche Infomaterialien verzichtet
hatten. Der Erlös von 316,-€ bedeutete „Limit erfüllt“, die Eigenkäufe der
Gruppenmitglieder trugen wesentlich dazu bei. Aber Präsenz ist alles!
Das macht doch was her, oder?
Themenabend Menschenrechte (März)
Präsent waren wir auch bei der „Ehrenrunde für die Menschenrechte“ (Merkur),
die das Gymnasium Miesbach zum 2. Mal innerhalb von vier Jahren absolvierte.
Bei der Einladung sprach der Organisator verzweifelt von einem „Disaster“,
weil alle beteiligten Gruppen, und es waren viele, ihren zeitlichen Rahmen
überzogen hatten und man ja nicht gut bis in die Osterferien hinein
weitermachen konnte. Deshalb bat man uns (händeringend) um eine Kurzversion
unserer „50 Jahre AI“, die wir in Form von Schlagzeilen ablieferten. Diese
Schlagzeilen können/wollen wir Ihnen nicht ersparen. Ich hätte ja auch die
fünf Seiten meiner Langfassung abdrucken können.
1972 – 1982
- 1. Auftritt im Mai 1973 am Marktplatz in Miesbach: Die Miesbacher
hielten sich, so die Pressenotiz, in respektvoller Entfernung und
begleiteten das Geschehen mit einer Mischung aus Wohlwollen und
Gleichgültigkeit.
- Ein erster Fall, Danylo Shumuk/Ukraine: mit 42 Jahren hinter Gittern
damals der dienstälteste politische Gefangene der Welt
1982 – 1992
- Große Kunstauktion mit dem damaligen Landrat Norbert Kerkel: Erlös 9430
Mark.
- Auftritt vor der Amikaserne in Bad Tölz: die Flugblätter gegen die
Todesstrafe wurden zurückgewiesen oder landeten auf dem Boden, die
Militärpolizei kontrollierte die Personalien.
1992 – 2002
- Unser 25. Geburtstag: „Feierabend“ mit Gerhard Polt und der Biermösl
Blosn. Volles Haus im Waitzinger Keller.
- Infostand zum 40. Geburtstag von AI weltweit und zur Anti-Folter
Kampagne: die gewagte Kombination von Geburtstagskuchen für Unterstützer
und Schaufensterpuppe aufgehängt am Lichtmasten trifft nicht auf
allgemeine Zustimmung.
2002 – 2012
- Eröffnung der Olympischen Spiele in Miesbach: eine Gegenveranstaltung zu
den Spielen in Peking.
- China Keitetsi: ein Infoabend mit einer ehemaligen Kindersoldatin aus
Uganda
2012 – 2023
- Miesbach – Ort der Migration: Anlässlich der Ersterwähnung Miesbachs im
Jahre 1114 Berichte und Musik zur Migrationsgeschichte des Ortes, von der
Reformation im 16. Jahrhundert zu den Fluchtbewegungen der Gegenwart.
- 15. Februar 2023: Im Iran werden Yasaman Aryani und Monireh Arabshahi
vorzeitig freigelassen. Sie hatten 2019 in der U-Bahn von Teheran Blumen
an Mitreisende verteilt – unverschleiert. Dafür bekamen sie fünfeinhalb
Jahre Haft wegen „Förderung der Prostitution“. Für uns endlich wieder
einmal ein Fall, der vorzeitig zu Ende ging.
Ich wünsche Ihnen einen Abend von unterhaltsamer Besinnlichkeit.
Letzteres war jetzt für das zahlreiche Publikum (300 Besucher) des Abends,
nicht für Sie als Leser gedacht.
Das Programm war von beeindruckender Vielfalt: eine Theater- und Videoshow
zu unterschiedlich gedeckten Frühstückstischen, eine knallige Kostümierung
beim „multikulturellen Komposthaufen“, tolle Bilder zum Thema „Solidarität“,
ein Streifzug durch fünf Problemländer (Iran, China etc.) und ein Bericht
über den AI-Briefmarathon, bei dem die Schule jetzt schon seit mehreren
Jahren „mitläuft“.
Dazu ein berührender Auftritt des Kammerchors mit einem Lied im Gedenken an
den verstorbenen Hausmeister Carlo Schäffer und die Verabschiedung durch das
„The lady is a tramp“ der Big Band. Wir sind sehr beeindruckt nach Hause
„getrampt“ – und waren froh, ein solches zu haben.
Schüler in Aktion
Infoabend: Krieg in Europa (März)
Wir griffen das Thema „Krieg in der Ukraine“ noch einmal auf, um den
„historischen Wurzeln“ des aktuellen Konflikts nachzuspüren. Von der
Besucherzahl her befriedigend (30), konkurrierten wir doch mit der
Vernissage der Haberer-Ausstellung und einer „Radltour durch Irland“. Wir
hatten allerdings mit der SPD einen klugen Deal eingefädelt: Wir gehen zu
eurer Veranstaltung „90 Jahre Ermächtigungsgesetz“, und ihr kommt dafür zu
unserem Infoabend.
Der Referent, das sei hervorgehoben, hatte ein fundiertes Wissen und war
glänzend vorbereitet, aber leider ist ihm etwas der Schwerpunkt verrutscht.
Er reservierte 60 Minuten für die Geschichte und behandelte das aktuelle
Geschehen nur noch in einer Kurzfassung. Ich saß auf Kohlen und fragte mich.
„Wann kommt er endlich von den Kosaken zu Putin?“ Auch die Zuhörer waren
sichtlich erschöpft und stellten ihre Fragen eher aus Höflichkeit.
Als ich einige Tage später das Konzept schriftlich bekam, sagte ich nur
noch: „Das wäre es gewesen. Alles war da, wir sind nur nicht mehr
dazugekommen.“
Ostermarsch - stationär“ (April)
Wie letztes Jahr schwappte der Krieg in der Ukraine auch heuer wieder nach
Miesbach über, aber hier war er tatsächlich nur eine „Spezialoperation“
zwischen den Retro-Pazifisten und den Realos. Im Vorfeld kam es zu einem
regen Mailverkehr, zu vielen Absagen und zu einigen Alternativvorschlägen
(Schweigemarsch, Marsch zum Kriegerfriedhof in Gmund). Zu den Absagern
gehörte auch die AI-Gruppe, weil wir die unschönen Szenen des letzten Jahres
noch in Erinnerung hatten und auch davor Angst hatten, dass eine
zerstrittene Marschgruppe mit kontroversen Transparenten und dissonanten
Slogans das Anliegen der Ostermärsche bei denjenigen stärker in Misskredit
bringen würde, die sowieso nichts mit Ostermärschen am Hut haben.
Am Ende traf man sich zu einem Oster“marsch“ am Miesbacher Rathaus:
Transparente und Parolen waren verboten, sodass die Lesung von Texten zu
Krieg und Frieden friedlich verlief. Dazu spielte die unverwüstliche Band
von Ludwig Pschierl für die ca. 30 Leute fetzige Musik aus ihrer Jugendzeit
(„Hey, Jude“). Ein unbarmherzig einsetzender Regen und ihre gestutzten
Flügel hinderten die Friedenstaube am Wegflug.
Trotz alledem – ein Kompliment an die hartnäckigen Organisatoren Christine
Negele und Hermann Kraus. Sie haben aus einer verfahrenen Situation das
Beste gemacht.
Attentat auf unseren Schaukasten (April)
Unser Schaukastendesigner hat bisweilen den Verdacht, dass die Passanten in
der Unterführung am Stadtplatz diesem Schaukasten nicht die gebührende
Aufmerksamkeit zukommen lassen, obwohl er (und seine Vorgängerin) ihn
liebevoll gestaltet (gestaltet haben). Deshalb war er überrascht, wenn auch
unangenehm, als auf die Scheibe andeutungsweise ein Z, Symbol des
russischen Angriffskriegs, geschmiert war. Schauen Sie sich doch
gelegentlich den Schaukasten an, aber lassen Sie bitte die Marker daheim.
DGB-Maikundgebung (1. Mai)
Wie immer ein Heimspiel – wenn auch kein übermäßiger Andrang bei unseren
Briefen. Die Einladung war so freundlich, als ob man schon auf uns gewartet
hätte. Immerhin waren wir in den letzten 10 Jahren viermal präsent – und von
den verbleibenden sechs Jahren waren drei von Corona blockiert. Mit anwesend
waren ca. 40 Besucher, darunter viele jüngere Gesichter, ein MdB, ein
Ex-MdB, zwei Vizebürgermeister, nach Augenschein eine Koalition von SPD und
Grünen, die aber besser harmonierte als das Ampelbündnis. Späßchen am Rande:
Im Merkur tauchte als AI-Vertreter der Landtagskandidat der SPD
auf. Ob ihm das einige zusätzliche Stimmen eingebracht (oder gekostet) hat,
kann man nicht wissen.
Bei unserem Kurzauftritt erhielten wir viel Beifall, obwohl wir leider nur
eine magere Erfolgsbilanz vorweisen konnten. Immerhin haben wir inzwischen
erfahren, dass unser langjähriger „Stammgast“, der Lehrergewerkschaftler
Esmail Abdi, im November 2023 gegen Kaution freigelassen wurde. Und
wir konnten zwei neue Fälle vorstellen: Mehran Raouf, britisch-iranischer
Arbeitsrechtler, und die kambodschanische Gewerkschaftschefin Chim Sithar,
die gegen Kautionsauflagen verstoßen haben soll, von denen sie gar nichts
wusste.
Der Publikumsverkehr hielt sich, wie erwähnt, in Grenzen. Wir wurden je 13
Briefe und fünf Jahresberichte los. Rühmliche Ausnahme war die DGB-Chefin
von Schliersee. Sie nahm gleich drei Doppelbriefe mit. 1. Mai 2024? Wir sind
wieder dabei – wenn man uns haben will!
Infostand in Miesbach (Juli)
Am Samstag zuvor hätte uns der heißeste Vormittag des Jahres geblüht, und
deshalb blieben wir zuhause im Schatten. Im zweiten Anlauf passte das
Wetter, aber auch bei moderaten Temperaturen hielt sich der Zulauf in
Grenzen. Wahrscheinlich waren schon einige Interessenten vor einer Woche
gekommen und nahmen uns übel, dass wir uns nicht den 35 Grad ausgesetzt
hatten. Die Frühschicht jedenfalls klagte resigniert über die mangelnde
Resonanz.
„Mit Müh und Not haben drei Bekannte unterschrieben. Wenn wir versucht
haben, jemand anzusprechen, sind diese Personen nur noch schneller am
Stand vorbeigegangen.“
Der Massenandrang sind wir selbst.
Dabei wäre unser Angebot an Postkarten mehr als attraktiv gewesen. Wir
hatten zwei Nobelpreisträger anzubieten, die beide im Gefängnis saßen –
inzwischen fast schon eine Voraussetzung, um den Friedensnobelpreis zu
bekommen: Zum einen die Iranerin Narges Mohammadi, zum anderen Ales
Bialiatski aus Belarus. Und dann konnten wir noch mit leibhaftigen
Erfolgsmeldungen aufwarten: Unsere „Blumenfrauen“ aus Teheran waren im
Februar freigelassen worden, und unser Drogenkleinhändler aus Malaysia
durfte zumindest die Todeszelle verlassen. Und als Dreingabe eine Petition
an den russischen Botschafter, mit der Forderung, den Angriffskrieg in der
Ukraine zu stoppen. Da er diese Petition mit den 15 (!) Unterschriften und
durch ein wohlwollendes Begleitschreiben ergänzt, postwendend an Putin
weitergeleitet hat, wurde er postwendend seines Amtes enthoben. (Vorsicht
Satire!)
Für die 2. Schicht war es „ok“.
„Ein Miesbacher mittleren Alters in legerer Tracht diskutierte eine halbe
Stunde mit uns über … ein Potpourri an Themen. Eine Inderin unterschrieb
Postkarten. Ein schwäbisches Ehepaar erzählte, dass sie ihr Haus mit neun
Ukrainern teilten. Es war unterhaltsam.“
Nicht unerwähnt bleiben soll das Engagement der Gruppe: der „harte Kern“
hatte sich vollzählig zum Standdienst gemeldet – mit einer Ausnahme, die war
in der Bretagne. Und da war auch noch beim Aufbau das Gespräch mit der
Bäckerin. Auf meine Ankündigung, wir würden einen Infostand aufbauen, fragte
sie:
„Wer ist ‚wir‘? Ach, Amnesty?“
Und das klang so, als würde sie uns mögen – oder zumindest nicht als
„geschäftsschädigend“ einstufen.
Rekord in der Stadtbücherei – Guinessbook-verdächtig (September)
Die Monatsbriefe, die wir in der katholischen Kirche und in der
Stadtbücherei auslegen, haben eher Aufforderungs- als Mitnahmecharakter.
Umso erstaunter waren wir, als im September von den fünf Briefen nur noch
zwei übrig waren. Ich habe es nicht versäumt, dem Büchereipersonal meine
Glückwünsche auszusprechen.
Landtagswahlen in Bayern (Oktober)
An uns lag es nicht, dass die … und die … so viele Stimmen bekamen, wir
waren bei der AI-Bayernaktion nämlich total unparteiisch und haben uns dafür
Missstände und Defizite bei der Polizei und der Justiz vorgeknöpft, z.B.
„Strenge Voraussetzungen für Präventivgewahrsam schaffen“ und „Für
unabhängige Untersuchungen bei Vorwürfen gegen die Polizei“. Diese
Forderungen haben wir an die fünf Stimmkreiskandidaten geschickt, aber weder
die Siegerin noch die Verlierer haben uns einer Antwort gewürdigt. Waren
wohl anderweitig beschäftigt! Aber auch in der Gruppe war die Resonanz
bescheiden – eher infostandähnlich. Nur vier Mitglieder riefen unser
Kartenset ab. Dabei hätte es durchaus „Handlungsbedarf“ gegeben, denn Bayern
war damals neben Brandenburg das einzige Bundesland, dass damit liebäugelte,
die „letzte Generation“ als kriminelle Vereinigung einzustufen. Als die
Bauern einige Monate später wegen des Agrodiesels die Straßen blockierten,
haben offizielle Stellen (nicht aber einige Leserbriefler) das Wort
„kriminelle Vereinigung“ tunlichst vermieden. Wie wär’s, wenn man bei beiden
Gruppen darauf verzichtet?
Verstärkung für AI-Kirchheim (Oktober)
Wir ließen uns nicht lange bitten, an der Postkartenaktion der Kirchheimer
in Richtung Vereinigte Arabische Emirate/VAR teilzunehmen. Zum einen, weil
uns der Gedanke gefallen hat, deren Botschaft zehn Tage lang mit Karten zu
„fluten“/nerven, zum anderen, weil es sich um einen Justizskandal der
gemeinsten Art handelt. Acht Lehrberufler und Studenten waren 2013 zu
mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden, weil sie eine Verfassungsreform
und mehr politische Teilhabe gefordert hatten. Alle Haftstrafen waren 2020
und 2023 abgesessen, aber die Männer wurden nicht freigelassen. Und zum
dritten, weil die VAR zwar die höchsten Gebäude baut, aber die
Menschenrechte im Keller belässt. Und zum vierten, weil die Postkarte recht
originell war. Man sollte sie, aus welchen Gründen auch immer, nur mit dem
Vornamen unterschreiben. Und so hieß ich ab-wechselnd „Martin, Jens“ oder
auch mal „Ali“.
„Nach oben ‚hui‘, nach innen ‚pfui“.
Im Dezember wurden gegen einige der Männer neue Verfahren eingeleitet.
Tag der Todesstrafe (10. Oktober)
Im Umfeld dieses Tages standen wir mehrmals auf dem Marktplatz in
Holzkirchen, aber dazu fehlte uns das Personal, wenn auch nicht das
Material. Für AI ging es dieses Jahr um die Todesstrafe in Singapur. (s.
Juli) Der Stadtstaat gehört zu der Handvoll von Staaten, die in den letzten
Jahren wegen Drogendelikten hingerichtet haben. Singapur hat die Todesstrafe
für Drogendelikte im März 2022 wieder aufgenommen und seither schon 16
Menschen hingerichtet. Diese Delikte gehören nicht einmal zu den
„schwersten Verbrechen“, für die der „Pakt für bürgerliche und politische
Rechte“ von 1966 die Todesstrafe noch erlaubt hat. Wir schrieben an den
Premierminister, forderten ein Moratorium und haben noch bis März 2024 eine
Petition laufen, die Sie auf unserer Homepage finden.
Demo in München: 75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrech-te/AEMR
(21. Oktober)
Der folgende Text entstand unmittelbar nach der Demo – aus einem Gefühl
zufriedener Selbstgefälligkeit.
Münchner Freiheit: Angelika empfing mich mit Sorge. „Wir brauchen 30
Leute für die Schilder. Hoffentlich müssen wir nicht absagen.“ Trotz
nachdrücklicher Einladungsmails kamen nämlich nur
21 Leute, aber mangelnde Resonanz halten erfahrene AI’ler/innen nicht von
Taten ab. Einige bewaffneten sich mit zwei Schildern, und wir zogen mit
Polizeischutz los. Durch geschickte Abstandshaltung haben wir den Zug auf
mindestens 3x21 Meter verlängert.
AI-Demo, optimal aufgestellt
Der Weg: Polizeischutz wäre nicht nötig gewesen. Die Autofahrer
fuhren diszipliniert an uns vorbei, es gab keine Wutbürger, die lautstark
hupten oder uns von der Straße zerrten. Die Passanten schauten uns von
neutral bis wohlwollend an. Nähe Siegestor hob ein Frühtrinker seine Flasche
und prostete uns ein „Auf die Freiheit“ zu, bei der Residenz fing ein Mann
zu klatschen an, folgte leider aber nicht meiner Aufforderung
mitzumarschieren.
Marienplatz: Der Höhepunkt unsere Demo – ein Massenpublikum,
neugierige Blicke, klickende Handys, ein begeistertes Raunen durch die
Reihen. Leider galt der Andrang aber nicht unserer Demo, sondern dem
Glockenspiel am Rathaus, und geraunt wurde nicht wegen unserer Schilder mit
den Artikeln der AEMR, sondern weil der bayrische Ritter den Österreicher
aus dem Sattel lanzierte.
Am Rindermarkt: Unsere Organisatorinnen verabschiedeten sich
freundschaftlich von der Polizei, die offensichtlich dankbar war, dass sie
unsere Demo, und nicht einen pro-palästinensischen Autokorso überwachen
mussten – und die uns nicht nachtrugen, dass wir bei der diesjährigen
Bayernaktion gegen Justizwillkür und Polizeiübergriffe Stellung bezogen
hatten.
Persönliches Fazit: Ich habe ein gutes Gespräch mit meiner
„Nebenfrau“ geführt, es genossen, dass ich in der Spitzengruppe mithalten
konnte und von den (jüngeren) Mitgliedern am Ende des Zuges zu hören, dass
wir langsamer gehen sollten. Mein Dank geht an die Organisatorinnen,
verbunden mit der Bitte, sich nicht entmutigen zu lassen. Ich jedenfalls
habe es nicht bereut, mitmarschiert zu sein.
Die Teilnehmer aus Miesbach haben sich auf wundersame Weise vermehrt, denn
nach einer Irrfahrt mit dem Nahverkehr kam am Rindermarkt noch ein
Gruppenmitglied dazu, und schon waren wir – zu zweit.
Vernissage: Ausstellung Heinrich Skudlik (8. November)
Die Eröffnung der Ausstellung in Erinnerung an unseren Gruppengründer, der
im November 2020 verstorben ist, wurde zum Höhepunkt unseres AI-Jahres,
wobei natürlich die Werke des Künstlers im Zentrum standen - und die
Hauptlast der Arbeit bei anderen war. Wir durften uns mit fremden Federn
schmücken. Meine Erinnerungssplitter, „denen ich verzaubert nachschaue“ in
Stichworten:
- engagierter Einsatz von Sohn Johannes, der Chefin des Kulturamtes Frau
Krobisch und ihres Personals, des Ehepaars Hermenau
- reiches Angebot: hätte leicht für zwei weitere Ausstellungen gereicht
- 124 Besucher, der Bürgermeister, der Ex-Chef vom Gymnasium+ fünf frühere
Kollegen, viele Ex-Schüler, die in Erinnerungen schwelgten, die Verfasser
des Buches „Angesichts des Grauens die Hoffnung“, die eigens aus Spanien
angereist waren, die drei Töchter von Heinrich Skudlik, die Frau, die er „in
einer schwierigen Lebensphase“ mit ihren Kindern beherbergt hatte
- die drei Reden, die ein eindrucksvolles Gesamtbild von Heinrich Skudlik
entwarfen und das über einen Zeitraum von 50 Jahren:
AI-Gruppensprecher: schilderte in Form eines strukturierten
Deutschvortrags HS als Lehrer und Kollegen, als Initiator und als Christ.
Horst Hermenau: hob seine innovativen Konzepte, seinen entspannenden
Unterrichts-stil und die Einbeziehung der Schüler hervor.
Ernesto Holthaus (92): führte ein intimes Zwiegespräch mit einem
Foto von HS, berichtete vom Goa-Projekt und vom Hungermarsch-Denkmal in
Landsberg, verabschiedete sich von seinem Freund mit einem ergreifenden „Bis
bald, Heinrich!“
- die einfühlsame Musik am Flügel durch Sohn Johannes
- drei Zeitungsartikel, einer davon ganzseitig
- der Dankesbrief eines Ex-Schülers: drei Seiten
- Reaktionen exponentieller Begeisterung: „ein Volltreffer“, „ein großer
Moment in meinem Leben“, „war selbst ganz beseelt von diesem Abend“.
Es grenzt in unserer schnelllebigen Zeit fast schon an ein Wunder, dass ein
Mensch nach einer Abwesenheit von 40 Jahren und drei Jahre nach seinem Tod
mit solcher Lebenskraft wiederkommt.
Der Gefangene
Die Ausstellung wurde nach mehreren Anfragen bis Anfang Januar verlängert.
Johannes Skudlik wird mit einem Benefizkonzert für AI am 13. Januar 2024 den
Schlusspunkt setzen. „Jauchzet, frohlocket“, kann man da nur noch sagen!
Aber: s. später!
Infoabend: „Afghanistan – zwischen Flucht und Hoffnung“ (November)
Der Abend wartete mit einigen Überraschungen auf. Im Vorfeld wie immer die
reibungslose Koalition zwischen den vier Veranstaltern, ein eindrucksvolles
Plakat von Frau Egginger,
Lehrer in Aktion
das in Geschäften unterzubringen, immer schwieriger wird, eine gelungene
optische Einstimmung durch die Ausstellung „Bilder aus Afghanistan“ im
Treppenhaus – und der spontane Einsatz von Herrn Titov, der uns vor einem
technischen Kollaps bewahrte. Zu unserer Überraschung kamen über 50
Besucher, die Hälfte Flüchtlinge, manche mit Kindern, sodass wir zum 1. Mal
die Anrede „Meine Damen und Herren“ durch „Liebe Kinder“ ergänzen konnten.
Die Auswahl der Referenten erwies sich (im Nachhinein) als
Glückstreffer. Den ersten Teil des Abends bestritt Hassina Quaraishi. Sie
war vor 11 Jahren als unbegleitete Minderjährige geflüchtet und engagiert
sich von Deutschland aus, so gut es geht, für afghanische Mädchen und
Frauen. Sie trat mit einem einnehmenden Selbstbewusstsein auf und entwarf
ein erschreckendes Bild von der aktuellen Situation der weiblichen
Bevölkerung in ihrer Heimat. In der Diskussion kamen Fragen auf, für die wir
alle keine rechte Antwort hatten. („Warum gibt es keinen Aufstand der
Männer?“ und: „Was haben 20 Jahre westlicher Präsenz gebracht?“). In der
Pause hatten wir den Entspannungstee von Frau Sultani bitter nötig.
Den 2. Teil des Abends gestaltete Jamal Farani, der auch die Ausstellung
geliefert hatte. Für die deutschen Besucher war sein Reisebericht im
Plauderton zu wenig politisch (Kommentar: „Was ist eigentlich das Thema?“),
aber bei den afghanischen Flüchtlingen riefen seine wunderschönen Fotos
offensichtlich Erinnerungen hervor, deren Gefühlsgehalt wir als Indigene
nicht beurteilen können. Faranis Kalender jedenfalls fand reißenden Absatz,
deutlich mehr als unsere Ai-Karten.
Adventsmarkt (November)
Der Markt ist mit dem Umzug ins katholische Pfarrheim wieder in seinen
Ursprungsort zurückgekehrt, wo er vor 50 Jahren auf Initiative von Heinrich
Skudlik seinen Ausgang nahm. Diesmal hat ihn die Kolpingsfamilie
mustergültig organisiert und für ein erlesenes Angebot an
„Zwischenmahlzeiten“ (Käsespatzen!) zubereitet, die dazu führten, dass die
Plaudergruppen im Gegensatz zu den Käufergruppen deutlich in der Überzahl
waren, aber für eine gelöste und familiäre Atmosphäre sorgten. Unseren
herzlichen Dank, dass wir auf den festlichen „Adventszug“ aufspringen
durften.
Und wie wir das taten! Wir hatten ein Überangebot an hochwertigen Waren und
ein kleines Sortiment an Flohmarktartikeln, die wir kostenlos oder zu
Schleuderpreisen abgaben. Das Angebot, das wir zu regulären Preisen
verkauften, stammte von den Produzenten, die uns schon seit Jahrzehnten
beliefern – die Berufsschule Miesbach, der Missionskreis Fischbachau, die
Damen Schreiber und Schneckenburger, Eugen Schmucker. Und dazu kamen neu
einige Raritäten aus einem Nachlass in Hundham – Barometer, Markenfüller,
Hirschhornknöpfe. Reißenden Absatz fanden unsere „Ladenhüter“, die beim
Schild „Zu verschenken“ standen. Auf unseren AI-Materialien (Karten,
Kalender, Jahresberichte) blieben wir weitgehend sitzen. Insgesamt kamen wir
auf 630,-€.
Der Schichtwechsel klappte reibungslos, die Verkäufer, darunter die Damen
Wick und Weigl als „Gastarbeiterinnen“, genossen die Wärme des Innenraums
und waren froh, dass die Schicht von drei Stunden auch wieder einmal zu Ende
ging.
Johannes Skudlik – Benefizkonzert 1 (Dezember)
Es wäre so schön gewesen! Der hiesige Organist, Herr Hamberger, hat uns
tatkräftig unterstützt, Frau Knaus vom Kulturzentrum einen einfühlsamen
Artikel in die Zeitung setzen lassen, und AI hätte die Spenden kassiert. Und
dann kam der Jahrhundertschneefall, und J.S. Bach ging nicht den Bach, aber
den Schnee hinunter. Wir hatten zwar abgesagt, wo es möglich war, aber
immerhin standen noch sieben Interessenten an der Kirchentür, die wir wieder
nach Hause schicken mussten. Für den 13. Januar 2024 war, wie gesagt der
Ersatztermin geplant. Der fiel aber wegen Erkrankung aus und wird zu einem
späteren Zeitpunkt nachgeholt. Der Abend am 13. Januar wurde überzeugend
durch Ortskräfte bestritten.
Briefmarathon am Gymnasium Miesbach (Dezember)
Wir ließen andere für uns arbeiten und drucken dankbar ihr Foto und den Text
ab, den sie auf die Homepage der Schule gestellt haben.
Die Läuferinnen und Läufer im
AI-Briefmarathon
#Schreib für die Freiheit
Trotz der nun schon 75 Jahren bestehenden Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte gab es auch im Jahr 2023 wieder einmal zahlreiche
Menschenrechtsverletzungen auf der Welt. Der Menschenrechtsorganisation
Amnesty International war es dieses Jahr wie schon in den vergangenen Jahren
deswegen ein Anliegen, durch den Amnesty-Briefmarathon auf
Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen und diese im besten Fall zu
beheben. Zum wiederholten Male wurde so der Amnesty Briefmarathon am
Gymnasium Miesbach durchgeführt. Schüler und Schülerinnen des Profilfachs
Politik und Zeitgeschichte besuchten dabei Schüler und Schülerinnen der
Klassen 9 bis 12 im Unterricht und stellten jeweils zwei ausgewählte Fälle
des diesjährigen Briefmarathons vor. Im Verlauf von vier Tagen wurden so
339 Briefe unterschrieben, die nun an Regierungen in der ganzen Welt
geschickt werden und so einen Beitrag zur Bekämpfung von
Menschenrechtsverletzungen leisten.
Postkartenaktion zum Tag der Menschenrechte (10. Dezember)
Der Gedenktag fiel heuer ordnungsgemäß auf einen Sonntag, und wir
marschierten zum
1. Mal seit der Pandemie wieder an den Kirchentüren auf. In einem
Gottesdienst wurden wir bei den Ankündigungen ignoriert, im 2. Gottesdienst
in die Fürbitten mit eingebaut, und in der evangelischen Kirche durften wir
selbst ans Mikrofon. Wir verteilten 95 Karten, die bereitwillig, wenn auch
ohne Redebedarf, entgegengenommen wurden. In der Weihnachtsgeschichte „Herr
Wohllieb wartet auf ein Zeichen“ hätte sich der Held über diese
Bereitwilligkeit gefreut.
Die Karten gingen aber nicht an H. Wohllieb, sondern an den iranischen
Botschafter, und es traf sich, dass unsere Aktion zeitgleich mit der
Verleihung des Friedensnobelpreises an Narges Mohammadi stattfand, die
wieder im Clinch mit den Gefängnisbehörden ist. (s. November)
Das also war unser Jahr und dazu der passende (Film)Titel „Wer später
stirbt, ist länger lebendig.“
3.3 Die Fälle
Ich erlaube mir, den Artikel abzudrucken, den wir im Sommer im Pfarrbrief
der katholischen Kirchengemeinde veröffentlichen konnten.
(Halbwegs) Gute Nachrichten von Amnesty International
Die Amnesty Gruppe im Landkreis Miesbach, die sonst eher für
Krisenmeldungen zuständig ist, kann heuer mit zwei Meldungen aufwarten,
die Grund zur Freude und zur Hoffnung sind. Dass man bei einer
„Frohbotschaft“ von AI allerdings viel zu relativieren hat, ist darauf
zurückzuführen, dass der „halbwegs Guten Nachricht“ fast immer ein langer
Leidensweg vorausgegangen ist.
Mit Erleichterung aufgenommen hat AI Miesbach die Freilassung der beiden
„Blumenfrauen“ aus Teheran, Yasaman Aryani und deren Mutter Monireh
Arabshahi. Die beiden Frauen hatten in der U-Bahn von Teheran Blumen
verteilt, um gegen das Kopftuchgebot zu protestieren. Sie waren damit
Vorläuferinnen von Mahsa Jina Amini, deren Tod im September 2022 die
landesweiten Proteste gegen die bärtigen Mullahs und ihrer Schlägermilizen
auslösten, Proteste, die das Regime ins Wanken, aber leider nicht zum
Absturz brachten.
Die beiden Frauen wurden 2019 zunächst zu 16 Jahren Haft verurteilt, das
Strafmaß wurde in der Berufung etwas reduziert, und schließlich hätten sie
insgesamt fünf Jahre und sechs Monate absitzen müssen – und das wegen
„Anstiftung zu Verdorbenheit und Prostitution“. Dass sie vorzeitig
freigelassen wurden, war entweder einer Amnestie geschuldet oder der
Platzbeschaffung für Nachfolgerinnen. Ob ihnen der Bekanntheitsgrad, den
ihnen unsere AI-Briefe verschafft haben, geholfen hat, wissen wir nicht –
und werden uns die Mullahs nie sagen.
Bewegend war der Videoauftritt der beiden Frauen bei ihrer Entlassung. Die
Mutter, halb verschleiert, sagte: „Diese Freiheit verdanken wir denen, die
protestiert haben, insbesondere denen, die während der Proteste gestorben
sind.“ Die Tochter trug ihre Haare offen und skandierte den Slogan der
Protestbewegung: „Frauen, Leben, Freiheit!“ Man kann nur hoffen, dass sie
immer noch auf freiem Fuße sind.
In Freiheit und (augenscheinlich)
ungebrochen
Hoffnung auf niedrigem Niveau gibt es beim 2. Fall der AI-Gruppe. Der
Malaysier Hoo Yew Wah wurde 2005 im Alter von 20 Jahren mit 188 Gramm
Crystal Meth erwischt. Das brachte ihm 2011 den Tatvorwurf des
Drogenhandels ein, was damals zwingend zur Verhängung der Todesstrafe
führte. Im April 2023 haben Parlament und Senat eine Gesetzesänderung
beschlossen, wonach bei bestimmten Delikten, z.B. Drogenhandel, die
Todesstrafe nicht mehr automatisch verhängt werden muss. Der
Justizminister hat in einem Gespräch mit AI-Malaysia sogar verlautet, dass
man für Fälle wie Hoo „unter gewissen Bedingungen die Türen nicht
verschlossen halten würde“. Hoo sitzt jetzt seit 18 Jahren ein. Das
bedeutet ein Jahr Haft für je 10 Gramm. Das sollte reichen, meint AI.
Nach neuesten Meldungen soll er sich nicht im Todestrakt befinden.
3.4 Verschiedenes
Reaktionen auf den Jahresbericht 2022
- Von einem unserer treuesten Leser wurden wir gelobt, weil wir „nicht müde
werden“, angesichts der Grausamkeiten in dieser Welt, „eine Gegen-seite zu
bilden“.
- Vom zweiten unserer treuesten Leser kam eine Deutung des
„zähnefletschenden Raubtiers“, das das Gymnasium Miesbach kreiert hatte, als
Symbol „für die schaurige menschliche Abgründigkeit, die Zerstörung und
Liquidierung humaner Wertigkeiten“, aber auch als Symbol für 50 Jahre
„Bissigkeit“ als AI-Gruppe.
- Und vom dritten unserer treuesten Leser kam ein Schwung Ansichtskarten und
auf einer die Erwartung, dass wir unsere Hände (noch) nicht in den Schoß
legen sollen,
denn dann könne man erreichen, dass
- - die Mullahs im Iran ihren Kurs ändern,
- - die Taliban den Frauen gegenüber ihre Versprechen halten
- - die Ukrainerinnen überall willkommen sind – und ihre Kinder und Männer
auch.
Das werden wir nicht schaffen, aber wie heißt es so schön in „Dinner for
One“: „We’ll do our very best.“
- Und dann kam noch als Nachlese zu unserem „Jubiläum“ im Oktober 2022 (und
als Ausgleich zur Nichterwähnung beim Neujahrsempfang) ein umwerfender
Artikel mit tollen Fotos von Monika Ziegler in der KulturVision. Wir
hätten nie geglaubt, dass wir so gut sind. (Vorsicht Satire!)
AI-Interna – ausgeplaudert
- der AI-Kodex: Da es in der Vergangenheit einige unschöne
Mobbing-Fälle in der Organisation gegeben hat, sah sich der Vorstand in
Deutschland in der Pflicht ein Benimmpapier zu veröffentlichen. So etwas
hieß früher „Das Einmaleins des guten Tons“. In dem Papier werden die
Mitglieder aufgefordert,
- wertschätzend miteinander umzugehen und auf andere Beiträge wertschätzend
Bezug zu nehmen,
- keine stigmatisierenden Fremdbezeichnungen zu verwenden und einen
Kommentar mit einer Inhaltswarnung zu versehen, falls die Bezeichnung nicht
vermieden werden kann,
- nur konstruktive Beiträge zu liefern und damit die Zielgruppen nicht zu
belasten,
- zu akzeptieren, dass man bei Nichtbefolgung als AI-Mitglied selbst ein
Fall für eine Eilaktion von AI wird.
Nein, die letzte Forderung ist nicht Bestandteil des Kodex, wäre auch nicht
sehr „konstruktiv“.
Sollten Beitrittskandidaten für unsere Gruppe jetzt ins Zögern geraten, kann
ich ihnen versichern, dass wir in den 50 Jahren noch niemand traumatisiert
haben.
- Kuscheltherapie auf der Jahresversammlung 2023
Da hatte man gleich zwei Teams eingesetzt, die bei Konflikten und
Diskriminierungsvorfällen angesprochen werden konnten, ein Team von
Vertrauenspersonen und ein „awareness team/Achtsamkeitsmannschaft“. Außerdem
stand für Gespräche (vielleicht auch für Mittagsschlaf) ein Ruheraum zur
Verfügung. Fairerweise müssen wir sagen, dass uns eigentlich nicht zusteht
zu spotten, weil wir seit Jahren nicht mehr auf Jahresversammlungen
vertreten sind – und ein chinesischer Parteitag, wo alle schön artig sind,
auch nicht unser Vorbild ist.
- dubiose Workshops und Kommissionen
Wo ich bei der Jahresversammlung sicher nicht hingegangen wäre, weil ich
möglicherweise „eine Zielgruppe belastet“ hätte, waren folgende
Veranstaltungen:
- - Geht’s dir gut bei Amnesty?
- - Let’s talk about menstruation!
- - Die genozidale Tendenz der Transfeindlichkeit in den USA
Ich gebe zu, das ist die Perspektive eines alten weißen Mannes!
Abspann in schwarz und weiß
- Todesstrafe: Der AI-Bericht für das Jahr 2022 bietet ein
widersprüchliches Bild. Zwar haben sechs Länder im vergangenen Jahr die
Todesstrafe ganz oder teilweise abgeschafft, aber dafür hat die Zahl der
Hinrichtungen weltweit den höchsten Stand seit 2017 erreicht. Es gab in 20
Ländern 883 Exekutionen – gegenüber 579 im Vorjahr, die Dunkelziffern aus
China, Nordkorea und Vietnam nicht eingeschlossen. Die Spitzenreiter bei den
20 Ländern waren Saudi-Arabien und der Iran.
- Erfolgsmeldungen: Als Antwort auf die Standardfrage unserer
Kundschaft „Was bringt’s?“ kam heuer ein Faltblatt aus Berlin mit den
„Erfolgen für die Menschenrechte 2022“. Bei den Freilassungen waren
Vertreter fast aller Berufsgruppen erwähnt. Wir übernehmen den Fall der
beiden thailändischen Aktivistinnen, die zwar relativ glimpflich
davongekommen sind, aber doch vieles durchgemacht haben, was politische
Gefangene in Haft erleben, was sie dabei fühlen, und was unsere
Anteilnahme/Aktivitäten bewirken können.
Kein Respekt vor der Majestät
3.5 Die Gruppe
Von einer kurzen Krise im Oktober abgesehen, wo wir – Wie sagt man auf
Hochdeutsch „ums Verrecken“? – beim besten Willen keinen Termin für unsere
Gruppensitzung fanden, haben wir uns auf einem Level von 6-10
anwesenden/aktiven Mitgliedern stabilisiert. Es gab nur einen Neuzugangang,
aber, Gott sei Dank, auch keine Todesfälle. Die deutlichste Veränderung gab
es in unserem „Finanzministerium“. Siegfried Komm, der dieses Amt 51 Jahre
zu aller Zufriedenheit verwaltet hatte und der in dieser Funktion 12
Bundesfinanzminister überlebte, übergab an Birgit Nédélec, die sich in einem
harten Konkurrenzkampf gegen fünf Mitbewerber (!) durchsetzte. (Vorsicht
Satire!) Wir danken – Ende der Satire - dem Siegi, dass er unsere
Gelder – die schwarzen und die weißen Kassen – so umsichtig bewacht hat und
der Birgit für die bereitwillige Übernahme des Amtes. Es gibt auch seit 2
Jahren ein Außenbüro der ai Gruppe Miesbach in Schleswig-Holstein, da
Johanna leider dort hingezogen ist. Unter Ihrer Führung ist dieses Jahr die
Facebook Seite der Gruppe entstanden, und kurze Zeit später die
Instagram-Seite (siehe die Links ganz unten).
3.6 Ausblick
Im Jahresbericht von 2022 hieß es „Vor einer ‚freundlichen Übernahme‘
haben wir keine Angst. Ganz im Gegenteil: Wir wären wir erfreut, wenn die
Pflege des Zahnstandes unseres „MR-Tigers“ in jüngere Hände überginge.
Kontaktadressen und Kontonummer
Fritz Weigl, Wallenburger Straße 28 d, 83714 Miesbach
Tel.: 08025/3895
Mail:
fritz.weigl@gmx.de
Homepage: http://www.amnesty-miesbach.de
https://www.facebook.com/amnestymiesbach/
https://www.instagram.com/amnestymiesbach/
Bank für Sozialwirtschaft (BfS) Köln, IBAN: DE23 3702 0500 0008 0901 00
Verwendungszweck: Gruppe 1431 Miesbach (Gruppennummer unbedingt mit
angeben)