51 Jahre Amnesty International (Landkreis) Miesbach


1. Einleitung


Das Neue Jahr begann mit einem Dreifachknall, wie er dissonanter nicht sein konnte. In Kiew wurden Wohnhäuser bombardiert, in München (und Miesbach) verfeuerten die Pyromanen ihre (seit Corona) gehorteten Vorräte an Feuerwerkskörpern, und in Berlin-Neukölln wurden einige dieser Feuerwerkskörper nicht in die Luft geschossen, sondern auf Feuerwehr und Polizei.

 

Wer jetzt sowas wie Zukunftsangst verspürt, dem sei ein japanisches Sprichwort mitgegeben, an das der Verfasser dieses Berichts, wenn er ehrlich ist, auch nicht immer glaubt:

„Sobald man davon spricht, was im nächsten Jahr geschehen wird, lacht der Teufel.“

Wenn ich es recht verstehe, heißt das, dem neuen Jahr eine Chance zu geben, es mit Zuversicht/Gottvertrauen anzugehen, die Probleme nicht im vorauseilenden Angstzustand zu sehen, sondern sich ihnen zu stellen, wenn sie einmal da sind.

Eine Chance für das neue Jahr wäre natürlich, wenn folgende Herren durch einen kräftigen Tritt in den Hintern die Weltbühne verlassen und in der Besenkammer der Geschichte landen würden. Denen würde nur der Teufel nachweinen.

 

Aber wer verpasst ihnen diesen Tritt, den Weihnachtsmann soll es ja angeblich nicht geben?

Markus N.Beeko, Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion, hat zum Jahreseinstieg ebenfalls den Teufel zitiert mit einem Zitat der Kölner Band Bläck Fööss, das wir Ihnen aber nicht auf Kölsch zumuten möchten.

„Wir kleben wie der Teufel am Leben, uns nimmt keiner – egal was auch wird – den Spaß am Lachen, den Bock, was zu machen.“

Der Bock, was zu machen, das sei vorweggenommen, wird voraussichtlich heuer etwas sprungfaul sein, denn wir leiden an Personalknappheit und werden nur das machen, was möglich ist, getreu unserem Gruppenmotto, das wir bei den Münchnern abgekupfert haben: „Was passiert ist gut, was nicht passiert, passiert eben nicht.“

Aus der Rückschau vom Januar 2024 aus, waren wir gar nicht so „sprungfaul“.



2. Jahresrückblick


Januar 2023



„Was ich nicht mehr schaffe,
hast du eben anderen bestimmt.“

Alexander Solschenizyn


An der Zahl 51 merken Sie, dass wir uns Gedanken über unsere Zukunft machen. Mit der Gruppe, die letztes Jahr ihren 50. Geburtstag beging, sind auch die Mitglieder älter gewor-den, und wir zählen unsere Existenz nicht mehr in Jahrzehnten, sondern in Jahren. Aber noch gibt es uns, und wie es weitergeht, weiß Solschenyzin.

Wir werden zwar, um den Teufel nicht zum Lachen zu bringen, auf weitere Vorschauen verzichten, aber eine Rückschau auf das jeweilige Monat ist erlaubt. Wir beginnen, Sie sind ja nicht in einem Rosemarie Pilcher-Film, mit den

Konfliktherden

Ukraine – Russland

Unter dem erwartungsfrohen Titel „Die Richter warten schon“ hat sich die SZ Gedanken gemacht, was man mit Putin und seinen Generälen machen würde, wenn sie „einmal so leichtsinnig wären, ins nicht Moskau-hörige Ausland zu reisen“ und ist dabei auf eine juristische Lücke gestoßen. Wegen des Angriffskrieges, für Außenministerin Baerbock immerhin das „Urverbrechen“, könnte man die Bande nicht belangen, weil Russland (wie die USA und China) in weiser Voraussicht nicht dem Gerichtshof in Den Haag beigetreten ist. Aber eine Anklage wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist möglich – und würde für ein paar Jährchen reichen.

Bei einem Angriff auf einen Wohnblock in der ukrainischen Großstadt Dnipro wurden mindes-tens 46 Menschen getötet. Russland gab an, die ukrainische Luftabwehr habe die Rakete abgeschossen, und die Trümmer seien auf das Haus gefallen. Russland greife ja „keine Wohngebäude oder Objekte der sozialen Infrastruktur“ an. In Russland selbst, wo immer noch 74 Prozent das Vorgehen der russischen Streitkräfte unterstützen, gab es in einigen Städten vor den Statuen ukrainischer Dichter vereinzelt Demonstranten, die für die zivilen Opfer in der Ukraine Blumen niederlegten. Wo die Blumen zu einem Blumenmeer zu werden drohten, räumte die Polizei sie weg.

Der Schriftsteller Karl-Markus Gauß hat den Russlandverstehern, Rechtsradikalen und Friedensbewegten, die vor einer „Dämonisierung“ Russlands in den deutschen Medien warnen, ein Zitat von Ex-Präsident Medwedjew entgegengehalten, wo er sich über die Un-dankbarkeit des Westens anlässlich der Waffenruhe zur orthodoxen Weihnacht beschwert hatte. Originalton Medvedjew:

„Selbst das ungebildete Weib Baerbock und eine Reihe weiterer Aufseher im europäischen Schweinestall haben es geschafft, über die Unzulässigkeit einer Waffenruhe zu meckern.“

Die Waffenruhe war übrigens trügerisch, die Kampfhandlungen wurden auf „routinemäßigem Niveau“ fortgesetzt.

Iran

Wir übernehmen die Einleitung zum Thema des Tages in der SZ vom 13. Januar:

„Die Weltöffentlichkeit hat sich weitgehend abgewandt. Doch der Widerstand gegen die Herr-schaft der Theokraten geht weiter, trotz aller drakonischen Urteile und öffentlicher Exekutionen. Frauen gehen ohne Kopftuch einkaufen, Demonstranten wagen sich vor Gefängnisse, in denen Todeskandidaten sitzen. Das Regime reagiert mit noch mehr Härte.“

Widerstand: Der Widerstand hat sich weitgehend in die Regionen verlagert, wo Minderheiten leben und hat dort zu einer Solidarisierung der Volksgruppen geführt. Aserbaidschaner rufen „Aserbaidschan ist erwacht und steht hinter Kurdistan“.

Drakonische Urteile und öffentliche Exekutionen: Ali Resa Akbari, ein ehemaliger Vize-Verteidigungsminister wurde wegen Spionage hingerichtet, der Aktivist Mohammad Ghobadloo soll wegen „Korruption auf Erden“ an einem Kran erhängt werden, das gleiche Vergehen lastet man auch dem Journalisten Jamshid Sharmahd an, der seit mehr als 900 Tagen an einem unbekannten Ort in Einzelhaft sitzt. Akbari war Doppelstaatler mit britischer, Shar-mahd hat auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, der Belgier Olivier Vandecasteele, wurde in Geiselhaft genommen, weil in Belgien ein iranischer „Diplomat“ einsitzt, der verdächtig ist, in Paris einen Anschlag auf iranische Oppositionelle vorbereitet zu haben – und in Deutschland festgenommen worden war.

Frauen ohne Kopftuch. Offene Haare gehören inzwischen in Teheran zum Stadtbild, aber das Justizministerium hat verfügt, selbst kleinere Verstöße gegen die Kleiderordnung streng zu ahnden. Und es wurden Lokale geschlossen, weil dort Frauen ohne Kopftuch gesehen wurden. Da ist ein 2. Fall Mahsa Amini bereits vorprogrammiert, und die junge Frau auf dem Auto wird wohl nicht mehr lange das Siegeszeichen machen.


Handlanger der Mullahs: „Das Mullah-Regime ist immer in der Nähe“ sagt die Lokalpolitike-rin Maryam Giyahchi – aus München. Seit Beginn der Proteste werden Iraner und Doppel-staatler in Deutschland, die über die Proteste berichten oder Demos für Frauenrechte im Iran organisieren, ausgespäht und bedroht. In Berlin kam es sogar zu einem Überfall auf einen Wohnwagen, der als Protestcamp eingerichtet war. Wenn man solcher Typen habhaft wird, sollte man „den Mullahs geben, was der Mullahs ist“, also zügig abschieben. Da würde es mit Sicherheit keine Proteste von Pro Asyl geben.

Verstörende Nachrichten aus dem Ausland

Israel: Da merkt man schön langsam, was man sich mit den letzten Wahlen eingebrockt hat, zumindest im „Staat von Tel Aviv“, wo 80 000 Menschen auf die Straße gegangen sind, um gegen die geplante „Justiz(vernichtungs)reform“ zu protestieren – und, so kann man wohl hinzufügen, gegen die Steuergeschenke an die Siedler, gegen die Duldung von ultra-orthodoxen Männern, die weder zur Armee noch zur Arbeit gehen, gegen die Umwandlung des Staates in eine religiöse Diktatur, vielleicht auch für eine Perspektive auf einen Frieden mit den Palästinensern.

Myanmar: Ein Zeitgenosse der unangenehmsten Sorte ist der Mönch Asin Wirathu, der in Myanmar der eifrigste Hetzer gegen die Minderheit der Muslime ist und zu den Brandstiftern gehört, die den Boden für die Massenvertreibung der Rohingya bereiteten. Das US-Magazin Time verpasste ihm den Titel „Gesicht des buddhistischen Terrors“. Anfang Januar erhielt er von der Junta einen hohen Orden, Buddha Shakya-muni wird sich im Grab umdrehen.

Afghanistan: Neben dem öffentlichen Vollzug von Körperstrafen ist der Umgang mit Frauen der abstoßendste Aspekt der Scharia-Gesetzgebung – so wie zumindest die paschtunischen Männer diese Gesetze auslegen. Die Frau ist „fast rechtlos und ähnelt mehr einem Besitzge-genstand des Mannes als einem Individuum“. Die Töchter werden im frühen Pubertätsalter verheiratet, haben im Hause zu bleiben und dürfen die Ehre der Familie nicht gefährden, indem sie mit fremden Männern in Kontakt treten – beispielsweise bei ihrer Arbeit für eine der NGOs.

Das Arbeitsverbot für einheimische Frauen hat nur Verlierer. Die Taliban bekommen keine Entwicklungshilfe, die NGOs verlieren einen Großteil ihrer Mitarbeiterinnen und den Zugang zur weiblichen Hälfte der Bevölkerung, die notleidenden Menschen die Unterstützung durch die NGOs. Eine Mischung aus Dummheit und Zynismus ist die Begründung, mit der ein Sprecher der Regierung das Arbeitsverbot rechtfertigte. Die Regierung müsse „die Ehre und Würde der Frauen schützen“, die in den Büros der NGOs massiv gefährdet seien, weil sich die Blicke fremder Männer auf die Haare unverschleierter Frauen richten könnten. „Kein Afghane wird das akzeptieren, selbst wenn er verhungern muss.“ Er wird nicht so schnell verhungern, denn beim Verhungern sind ja auch wieder zuerst die Frauen (und Mädchen) dran.

Brasilien: Nah dem Sturm auf die Bastille in Paris (1789), dem Sturm auf den Reichstag in Berlin (2020) und dem Sturm aufs Kapitol in Washington D.C. (2021), hat jetzt auch Brasilien einen Angriff von Radaubrüdern/Radauschwestern auf öffentliche Gebäude erlebt. Etwa 3000 Anhänger des Ex-Präsidenten Bolsonaro schlugen Scheiben ein, verwüsteten Büros und setzten Teile des Obersten Gerichtshofs unter Wasser. Polizisten waren kaum im Einsatz und hätten, so Präsident da Silva, den Mob nicht aufgehalten, sondern nur „begleitet“. Der Gouverneur des Distrikts und sein Sicherheitschef wurden postwendend ihres Amtes enthoben. Bolsonaro hat den Angriff pflichtschuldigst verurteilt – nachdem er gescheitert ist. Er lebt derzeit in Florida, nur 150 Meilen von Donald Trump entfernt. Da können sie sich leicht zusammensetzen und beraten, wie man es nächstes Mal besser machen kann.


Wahlkampfparty in Brasilia

USA: Schon wieder wurde ein junger Afroamerikaner Opfer überzogener Polizeigewalt. In Memphis/Tennessee wurde Tyre Nichols nach einer Verkehrskontrolle, angeblich wegen „rücksichtslosen Fahrens“ von fünf Polizisten der Sondereinheit „Scorpions“/Truppe „zur Wiederherstellung des Friedens in unseren Stadtvierteln“ (!) brutal zusammengeschlagen. Zwei Sanitäter schauten sich die Sache geschlagene 19 Minuten an, bevor sie eingriffen, Nichols verstarb drei Tage später an starken Blutungen. Die Sondereinheit wurde aufgelöst, die fünf Beamten entlassen und des Mordes zweiten Grades angeklagt. Da es sich bei den Beamten ebenfalls um Afroamerikaner handelte, ist der Verdacht naheliegend, dass die „Allergie“, die Teile der Polizei gegenüber jungen Schwarzen entwickeln, unabhängig von der Hautfarbe der Polizisten ist. Die Proteste blieben weitgehend friedlich, nicht zuletzt deswe-gen, weil die Mutter von Tyre zu Gewaltlosigkeit aufgerufen hatte. Die Eltern waren beide Gäste bei Bidens „Rede an die Nation“. Eine gute Geste, aber ein schwacher Trost!

Randale in Deutschland

Silvesterfeier in Berlin: Einigen wir uns auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, den Bürgermeisterin Giffey vorgegeben hat: So ein Silvester darf es „nie wieder geben“ – auch wenn wir das schon vor sechs Jahren nach der Frauenjagd in Köln gesagt haben. Aber dann gehen die Meinungen auseinander: Sind die „Kiezgladiatoren“ nur testosterongesteuert, „kleine Paschas“, wie sie in Einwandererfamilien herangezüchtet werden, oder einfach frustriert über Ausgrenzung und Perspektivlosigkeit?

Auseinander driften auch die Zahlen der Tatverdächtigen. Ging man anfangs von 145 aus, spricht die Polizei Mitte Januar von 39 Tatverdächtigen, 38 Männern, eine Frau, 14 Personen mit deutscher, 10 Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit. Unbestritten sind das
39 Personen zu viel, aber doch etwas unterhalb der Grenze, die Berlin, nach Söder, zu einer „Chaosstadt“ machen würde, der man, so Dobrindt, die Mittel aus dem Länderfinanzausgleich kürzen sollte. Eher ist das Gegenteil richtig. Wenn wir Schadensbegrenzung betreiben wollen, müssen wir mehr Geld in die Hand nehmen.

 

Der Erwähnung wert ist, was Martin Hikel, der Bezirksbürgermeister von Neukölln, über die Mehrheit der Flüchtlingsfamilien in seinem Bezirk gesagt hat. Die waren genauso entsetzt über den Gewaltausbruch und betrachten die Randalierer als „Idioten, die alle in Sippenhaft nehmen“.

Die Putschpläne der Reichsbürger und die Krawalle in Berlin haben die Innenministerin Nancy Faeser in ihrem Entschluss bestärkt, die Waffengesetze zu verschärfen: Privatleuten soll der Besitz halbautomatischer Waffen verboten werden, für den Erwerb von Schreckschusspistolen und Armbrüsten soll künftig ein Waffenschein nötig sein. Die Reaktion von FDP, Sportschützen und Reichsbürgern war unisono ablehnend. Faeser kann sich jetzt raussuchen, ob sie lieber mit der Halbautomatischen eines Sportschützen oder mit der Armbrust eines Reichsbürgers erschossen werden möchte.

Die folgende Karikatur hat zwar nichts mit dem Thema, aber doch mit Waffen zu tun. Und mit dem verbreiteten Gefühl, dass die Welt irgendwie auf dem Kopf steht.

 

Räumung von Lützerath: Schon wieder so eine „einerseits-andererseits Situation“ – und eine gewisse Ratlosigkeit meinerseits. Einerseits der Kompromiss „fünf Dörfer gegen eins“, der in einer Zeit der Energieknappheit recht vernünftig klingt, andererseits die Befürchtung, dass die RWE Appetit bekommen hat auf einen Abbau der Braunkohle über das Jahr 2030 hinaus und der Kohleausstieg damit in weite Ferne rückt.

Einerseits die Klage der Besetzer, einschließlich eines Mitglieds der Miesbacher Amnesty Gruppe, über die „einseitige brutale Gewalt“ der Polizei, andererseits das Protokoll der Polizei, wo nur von „einfacher körperlicher Gewalt“ die Rede ist. Einerseits die Aussage des NRW-innenministers Reul, dass es einen gewaltbereiten „schwarzen Block“ gegeben habe, andererseits sein Eingeständnis, dass in fünf Fällen auch gegen Beamte ermittelt werde und dass in mindestens einem Fall Polizisten (!) Strafanzeige gegen einen Kollegen gestellt hätten.

„Meinerseits“ ziehe ich mich auf ein Foto zurück, das den „Abtransport“ von Greta Thunberg zeigt. Da schaut der Protest und der Umgang damit doch relativ entspannt aus. Und deshalb wieder einmal Bertold Brecht in leichter Abwandlung. „Es geht oft anders, aber so ginge es auch.“

 

Hetzrede in Deutschland: Bei einem Wahlkampfauftritt in der Moschee in Neuss/auf einem Video auf Twitter hat der türkische Abgeordnete Mustafa Acikgöz eine Brandrede gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK und die Gülen-Bewegung gehalten. Sie seien „gottlose Feinde“ der Religion und versuchten den muslimischen Glauben zu „christianisieren“. Und

„Mit Gottes Erlaubnis werden wir sie, egal wo auf der Welt, aus den Löchern ziehen, in denen sie sich verkrochen haben und vernichten.“

Da in der Diskussion um den Flüchtlingszuzug immer öfter von Zäunen an der europäischen Außengrenze die Rede ist, wüssten wir schon einen, den man nicht mehr hereinlassen sollte.

Chinas geheime Polizei in Deutschland: „Was der Iran kann, können wir schon lange“ könnten chinesische „Polizeichefs“ sagen, die nach Deutschland entsandt wurden und in mindestens fünf Großstädten sogenannte „Servicestationen“ betreiben. Sie wurden angeblich eingerichtet, um chinesischen Staatsbürgern in Deutschland bei Verwaltungsangelegenheiten zu helfen, dienen in Wirklichkeit aber deren Überwachung und Einschüchterung. Bei Dissidenten reicht das bis zu Todesdrohungen. Das Auswärtige Amt ist erst durch den Bericht einer NGO aufgeschreckt worden, die aufdeckte, dass die chinesische „Übersee-Polizei“ in Spanien und Serbien versucht hatte, regierungskritische Exilchinesen zurückzubringen. Jetzt hat das AA, nach vier Jahren, eine Protestnote an die chinesische Botschaft geschickt und die sofortige Auflösung dieser Polizeistationen gefordert. Dieser Forderung sind die chinesischen Behörden bisher/Mai 2023 nicht nachgekommen.

Der Eindruck drängt sich auf, dass wir uns von den Chinesen schon ziemlich viel gefallen lassen. Wenn Deutschland so etwas in China betreiben würde, wären die „Polizeibeamten“ schon längst in den „Berufsschulen“ von Xinjiang zur Umerziehung.

Morgenluft für die AfD: Im BR24-Bayerntrend erzielte die AfD mit 13 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis im Freistaat und stieg damit zur drittstärksten Partei auf. Das Ergebnis der Umfrage gefeiert hat sie vermutlich am 30. Januar. Da hat Hitler vor 90 Jahren die Macht ergriffen.

AI-Meldungen

Politische Gefangene: Um Russlands bekanntestem Häftling Alexej Nawalny die lange verweigerte aber auf Grund seines Gesundheitszustands dringend benötigte medizinische Behandlung zukommen zu lassen, haben mehr als 600 russische Ärzte einen Brief an Putin unterschrieben. Und siehe da – jetzt bekommt er ein Antibiotikum und hatte sogar den Besuch eines Chefarztes. Ob, wie auch gefordert, seine Einzelhaft beendet wurde, ist unge-wiss. Was er zu dieser Einzelhaft zu sagen hat, treibt einem die Haare zu Berge.

„Alles, was ihr lest über den Horror und die faschistischen Verbrechen unseres Gefängnissystems, das ist alles die Wahrheit. Mit einer Richtigstellung: Die Wirklichkeit ist noch schlimmer.“

Versammlungsfreiheit: Damit man ihm bei solchen Sachen nicht auf die Finger schaut, hat Putin jetzt durch seine hörigen Richter die Helsinki-Gruppe, die älteste Menschenrechtsorganisation des Landes, auflösen lassen. Sie habe, obwohl nur für die Region Moskau zugelassen, auch darüber hinaus gearbeitet, wo doch jeder weiß, dass es außerhalb Moskaus nicht zu Verletzungen der Menschenrechte kommen könne. Vielleicht lag der wahre Grund für die Zwangsauflösung darin, dass sich die Gruppe schwerpunktmäßig für die Rechte von Kriegsdienstverweigerern und Wehrpflichtigen eingesetzt hat, und solche „Weicheier“ braucht man in Kriegszeiten nicht zu verteidigen.

Todesstrafe: In Missouri/USA wurde zum ersten Mal ein Transgender hingerichtet. Amber McLaughlin, damals noch Scott MCLaughlin, hatte 2003 seine Ex-Partnerin vergewaltigt und ermordet. Scott hatte als Kind alles erlebt, was ein Kind nicht erleben sollte und hatte massive psychische Probleme. Diese strafmildernden Umstände wurden von einem Teil der Jury und dem Richter nicht berücksichtigt.

Abschiebehaft: Um Abschiebungen durchzusetzen, dürfen Flüchtlinge nach dem Gesetz auch in Haft genommen werden. Das soll aber die Ausnahme sein, etwa wenn Fluchtgefahr droht. Und sie ist, wenn es sich nicht um Straftäter und Gefährder handelt, auf die „kürzest mögliche Dauer“ zu beschränken. Oft aber wird die Ausnahme zur Regel, Bayern beispielsweise steckt vier von zehn Abzuschiebende in Haft. Und es ist vorgekommen, dass einzelne Flüchtlinge in der Haft vergessen wurden, obwohl ein Gericht ihre Freilassung angeordnet hatte.

Asyl: Im Jahresbericht von 2022 haben wir eine Karikatur abgedruckt, die den Abwurf von Asylbewerbern über Uganda zeigt. Großbritannien wollte damals das Flüchtlingsproblem „auslagern“. Dänemark hatte ebenfalls den Plan, ein dänisches Aufnahmezentrum in Ruanda einzurichten, wartet aber jetzt erst einmal ab, ob sich die EU zu einer gemeinsamen Asylpolitik aufraffen wird. Gerüchte, die EU sei bereits in Verhandlungen mit Jeff Bezos eingetreten, um ein solches Zentrum auf dem Mond zu betreiben, entbehren jeglicher Grundlage (Vor-sicht Teilsatire!).

AI-Probleme von eher sekundärer Wertigkeit: Da der Gruppensprecher und Teile der Gruppe bei manchen Fragen eher „retro“ sind, zuckten wir bei der Einladung zu einer AI-Mitgliederkonferenz etwas zusammen, als darin gebeten wurde, für die Namensschilder das selbstgewählte Pronomen abzugeben. Ein jüngeres (und aufgeklärteres) Mitglied unserer Gruppe erläuterte uns dann, dass das neben „er, sie“ auch ein „mensch, dey“ sein könne. Weil wir aber nicht so recht wissen, wer wir sind, werden wir nicht zur Konferenz fahren.

„Eure Sorgen möchten wir haben“, sagen da die Frauen im Iran und Afghanistan, die Menschen in den Kriegsgebieten, die Flüchtlinge im Mittelmeer, die deutschen Landratsämter, die Klimaaktivisten, die Long-Covid Kranken, die beiden Kirchen in Deutschland - und die Erdbebenopfer in Syrien und der Türkei.


Februar 2023


„Putin, Teufel, den Haag – wie reimt sich das zusamm?
Der Putin hat scho stets gern g’strittn,
vor am Jahr hat’n da Teifi g’rittn,
einst muaß a in Den Haag um Vergebung bitt’n. –
 So reimt sich das zusamm."



Bruderkuss

Kein Jahrestag zum Feiern

Der Krieg in der Ukraine, zu dem Putin vor einem Jahr die Messer zu seiner „Spezialoperation“ angesetzt hat, nahm in diesem Monat so viel Platz ein, dass wir uns auf (längere) Kurz-meldungen beschränken, die alle zum Heulen, aber einige auch zum Kopfschütteln sind.

Rechenschaftsablage: Das „einst in Den Haag“ kann noch dauern. Um eine Anklage wegen Angriffskrieg zu erheben, wäre nach geltendem Recht derzeit die Zustimmung Russlands nötig - und da müsste Putin vorher noch „zum Teufel gehen“. Deshalb hat man ein Sondertribunal vorgeschlagen, um die Regeln zu umgehen, die in Den Haag gelten. Die Chancen dafür die Zustimmung der UN-Vollversammlung zu bekommen, sind eher gering.

Kriegsziele: Wenn man von der deutschen Querfront einmal absieht, die der Ansicht ist, dass Putin einen Verteidigungskrieg gegen die USA führt, herrscht bei uns eher die Meinung vor, dass es ihm um die Einverleibung der Ukraine in das großrussische Imperium geht. In der Präsentation der westlichen Kriegsziele gibt es gewisse Nuancen: Macron und Biden propagieren eine „Unterstützung bis zum Sieg der Ukraine“, Bundeskanzler Scholz sagt, Russland dürfe „den Krieg nicht gewinnen“. Ganz sicher, so die SZ,

„wird dieser Krieg nicht enden mit einer ukrainischen Militärparade durch Moskau“.

Segen der Kirche: Patriarch Kyrill, von Papst Franziskus gewarnt, er solle sich nicht zum „Messdiener Putins“ machen lassen, hat seinen Geistlichen ein Gebet vorgegeben, in dem Gott aufgefordert wurde, sich „zu erheben“ und dem (russischen) Volk „durch seine Kraft den Sieg zu schenken“. Vater Johann Kowal, Priester der Diözese Moskau hat in einer Predigt das Wort „Sieg“ durch „Frieden“ ersetzt, wurde von Gemeindemitgliedern denunziert, darf bis auf Weiteres keine Gottesdienste mehr halten und wird von einer Disziplinarkommission durchleuchtet. Erinnert verdächtig an Ereignisse in der Nazizeit, und man frägt sich schon, ob es tatsächlich die Ukraine ist, die man „entnazifizieren“ muss.

Propaganda: Man hat in den russischen Fernsehstudios einiges zu tun, um die Bevölkerung zu Kriegsbefürwortern umzuerziehen, und man ist nicht wählerisch in der Wahl der Mittel. Da denkt man laut darüber nach, welche westeuropäischen Hauptstädte man mit Atombomben angreifen könne, ob Selenskij nur ein Jude oder schon der Antichrist sei und dass der „hanseatische Nazi“ Scholz vor ein Gericht à la Nürnberg gehöre. Und der russischen Jugend redet man ein, dass sie ruhigen Gewissens 30 Jahre vor der Zeit sterben könne, vorausge-setzt der Tod sei ehrenvoll. Im Herbst schlug ein Journalist allen Ernstes vor,

„ukrainische Kinder, die keine Russen sein wollten, in einem Fluss zu ertränken – und ungewöhnlich war nur, dass er darauf gefeuert wurde“.

Forderung nach „unsauberen“ Waffen: Im Juni 2022 hat AI den russischen Streitkräften vorgeworfen, Streubomben auf Zivilisten geworfen zu haben. Jetzt hat auch die Ukraine die Lieferung von geächteten Waffen gefordert. Sie würde sie allerdings nur gegen die russischen Streitkräfte und auf ihrem eigenen Staatsgebiet einsetzen. Und ein Einsatz sei rechtlich zulässig, weil die Ukraine (wie Russland, China und die USA) das Oslo-Abkommen, das diese Waffen verbiete, nicht unterzeichnet habe. Unabhängig von der Frage, ob es überhaupt saubere Waffen gibt, sollte man sich mit der Lieferung solcher Waffen nicht die Finger schmutzig machen – nicht die eigenen und nicht die der Ukraine.

Zwei Reden

Präsident Putin hielt vor einer ausgewählten Menge von Claqueuren eine Rede zur Lage der Nation, die über 105 Minuten (fast) nichts Neues enthielt. Der Westen sei für den Krieg verantwortlich, wolle Russland den Garaus machen, die Ukrainer seien Geiseln des Kiewer Nazi-Regimes. Auch das Recht auf die gleichgeschlechtliche Ehe im Westen stelle einen Grund für den Waffengang dar. Und schließlich kündigte er an, er lasse den „New Start“-Vertrag ruhen – vermutlich, weil er zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine amerikanischen Inspektionsbesuche seines Atomwaffenarsenals brauchen kann. Der schrägste Satz der Rede lautete: „Die Wahrheit ist auf unserer Seite.“

Präsident Biden hielt wenige Stunden später vor dem Warschauer Königsschloss eine vielbeachtete Rede, in der er die (wiedergewonnene) Einigkeit der NATO herausstellte, ein Loblied auf die Demokratien sang und neue Sanktionen gegen Russland und weitere Unterstützung der Ukraine ankündigte. Zwar ging er nicht auf Putins Rede ein, ging ihn aber so direkt an, dass eine CNN-Korrespondentin meinte, „er habe Putin regelrecht verdroschen“.

Und ein „Friedensplan“: China hat seine „grenzenlose Freundschaft“ zu Russland mit einem Friedensplan unter Beweis gestellt, der in weiten Teilen wie eine Auftragsarbeit Putins aussieht. Zwar hält man an der „territorialen Integrität aller Länder“ fest, (wobei Taiwan sicher nicht mitgemeint ist) und warnt vor dem Einsatz von Atomwaffen, aber damit sind die Ansagen an die Adresse Moskaus schon beendet. An die Ukraine und den Westen gerichtet, fordert Peking die Ernstnahme der „legitimen Sicherheitsinteressen aller Länder“ (wobei Taiwan sicher nicht mitgemeint ist), kritisiert die Waffenlieferungen des Westens, verlangt ein Ende der Sanktionen, die nicht vom UN-Sicherheitsrat genehmigt wurden und übergeht dabei, dass das russische und chinesische Vetorecht in diesem Gremium jede Sanktion verhindern würde. Und an keiner Stelle wird erwähnt, dass es einen Aggressor und ein Opfer gibt.

Zum Jahrestag des Kriegsbeginns haben fast alle westlichen Botschaften in Peking ukrainische Flaggen aufgezogen oder ihre Vertretung in gelber und blauer Farbe angestrahlt. Da werden die Botschafter wohl bald in uigurischen Umerziehungslagern landen.

„Der Tag der großen Geste“ (Merkur): Einen Tag vor der Rede Putins reiste Präsident Biden nach Kiew, um demonstrativ seine Solidarität mit der Ukraine zu bezeugen. Zeitweise gab es Luftalarm über der ukrainischen Hauptstadt, aber da man Moskau über die Blitzvisite informiert hatte, könnte das auch ein passender Willkommensgruß der Ukraine für den amerikanischen Präsidenten gewesen sein.

Kriegsendeprognose eines deutschen Strategen

„Aus diesem Krieg gehen die Ukraine und Russland als Verlierer hervor. Es gibt wieder nur einen Gewinner. Und dieser Gewinner heißt USA.“ (Tino Chrupalla im Bundestag)

Zwischenruf Saskia Eskens: „Geht’s noch?“ Da könnte man sich eine schärfere Reaktion vorstellen.

 

Auf dem Basar der EU: Wir kehren im Sturzflug in die Niederungen der EU-Politik zurück. Da mussten wegen eines Zollstreits mit der Slowakei deutsche Raketenwerfer, die nach einem Einsatz in der Ukraine gewartet werden mussten, auf einem über 2500 Kilometer langen Umweg über Polen nach Deutschland gebracht werden, obwohl es ein slowakisches Wartungszentrum in unmittelbarer Nähe der ukrainischen Grenze gäbe. Die Slowakei aber verlangt, dass

„bei Einfuhr aus dem Nicht-EU Staat Ukraine, einer Reparatur im EU-Land Slowakei und der Rückführung in die Ukraine Zoll zu zahlen sei, da durch die Reparatur und durch neue Teile eine Veredelung stattfinde“.

Wer solche Freunde hat, braucht auch vor seinen Feinden keine Angst zu haben. (Vorsicht Teilsatire!)

Weitere Brennpunkte

Iran

Größere Demonstrationen sind selten geworden, da, wie zu befürchten war, der iranische Sicherheitsapparat wieder mit gewohnter Brutalität arbeitet. Aber es klimmt immer noch „Feuer unter der Asche“. So haben Arbeiterverbände, Menschenrechtler und Studierende jetzt gemeinsam eine Charta veröffentlicht, die Meinungsfreiheit, die Gleichstellung von Mann und Frau, die Anerkennung der LGBT-Gemeinschaft, aber auch sichere Arbeitsbedingungen und sofortige Lohnerhöhungen einfordert. Und Frauen, die gegen die Kleiderordnung verstoßen, gehören (immer noch) zum Straßenbild.
 

„Anstiftung zur Prostitution“

Im Sommer 2021 verschafften sich Hacker Zugang zu den Überwachungskameras des Evin-Gefängnisses in Teheran. AI hat die Videoaufnahmen analysiert. Sie zeigen, wie Gefängniswärter Häftlinge misshandeln, wie sich Gefangene gegenseitig angreifen oder versuchen, sich selbst zu verletzen. Berichte von Gefangenen, die während der aktuellen Unruhen inhaftiert wurden, liefern ein ähnliches Bild, aber eher noch eine Spur grausamer. Die Demonstranten sollen in Haft gebrochen werden, mit physischer und psychischer Folter, die weiblichen Gefangenen zusätzlich mit frauenspezifischer Gewalt.

Ins Visier der Justiz geraten ist auch der Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd, der von einem Revolutionsgericht zum Tode verurteilt worden ist. Er soll Mitglied einer Oppositionsgruppe sein, die die Rückkehr zur Monarchie befürwortet (worauf die Iraner verzichten können!), und er wird für einen Anschlag auf eine Moschee in der Stadt Shiraz mitverantwortlich gemacht. Im Iran sagt man zu solchen Delikten „Korruption auf Erden“, obwohl für Korruption eher die Revolutionsgarden zuständig sind. Sharmahds Vita mag nicht so eindeutig sein wie die mancher iranischer Menschenrechtsaktivisten, aber sein Prozess und dessen Vorgeschichte (Entführung aus Dubai, erfoltertes Geständnis) waren krimineller als (vielleicht) er selbst. Friedrich Merz übernahm für Sharmahd eine „politische Patenschaft“, das Auswärtige Amt hat den Gesandten Teherans einbestellt und zwei Mitarbeiter der Botschaft ausgewiesen. Ob sich letztere beim Zwischenstopp mit den zwei deutschen Kollegen getroffen haben, die ihrerseits aus dem Iran ausgewiesen wurden, ist eher unwahrscheinlich. Sharmahds Hinrich-tung schien Anfang März unmittelbar bevor zu stehen.

Jemen: Der Bürgerkrieg im Jemen gehört für uns zu den vergessenen Konflikten, aber was jetzt über das Leben der Frauen, die in Huthi-Gebieten wohnen, bekannt wurde, erinnert an ein Land, dem wir gerade viel Platz gewidmet haben. Die Huthis werden von den Mullahs des Iran unterstützt, und wenn irgendwo „Iran“ draufsteht, kann man sicher sein, dass für Frauen auch „Iran“ drin ist. Und während das Land mit dem Hunger kämpft, überdenken die Huthis die Kleiderordnung – der Frauen. Verboten sind jetzt Gewänder, die auffallen oder aufreizen könnten, Verzierungen, Muster oder Farben haben, was Schönes halt! Das Kopftuch beim Gang zu den Behörden muss bis zur Hüfte gehen, damit die Beamten nicht auf dumme Gedanken kommen.

Israel – Palästina: Die Region ist (wieder einmal) weiter denn je vom Frieden entfernt. Dabei könnte man heuer einen 30. Jahrestag feiern. Nach Geheimverhandlungen in Oslo wurde 1993 in Washington von Israelis und Palästinensern die „Prinzipienerklärung über die vorübergehende Selbstverwaltung“ unterzeichnet, die als „Meilenstein im Friedensprozess“ bezeichnet wurde. Eine weitere Meile ist man nicht mehr gegangen – ganz im Gegenteil.

- Nablus/Westjordanland: Bei einem israelischen Militäreinsatz, die drei Terrorverdächtigen galt, wurden die drei Männer getötet. Während der Aktion gerieten die Militärs unter Beschuss und töteten weitere zehn Palästinenser.

- Huwara/Westjordanland: Dort rammte ein Palästinenser das Auto von zwei israelischen Brüdern und erschoss sie aus nächster Nähe. Ein paar Stunden später fiel eine Horde von Siedlern in der Kleinstadt ein und zündete Häuser und Autos an. Militante Palästinensergruppen feierten den Mord an den beiden Israelis als Vergeltung für einen blutigen israelischen Militäreinsatz in Nablus, ein israelischer Abgeordneter hingegen war mit dem Vorgehen des Mobs „sehr zufrieden“.

- In einer Stellungnahme des UN-Sicherheitsrates wurde die Legalisierung von neun Siedlungen in den Palästinensergebieten durch die israelische Regierung deutlich kritisiert. Die USA verhinderten zwar eine schärfere Resolution, stimmten aber der zweiten Version des Textes zu. Ministerpräsident Netanjahu war darüber nicht „amused“.

Flüchtlinge

Als Problem: Kommunalpolitiker sind wegen der hohen Flüchtlingszahlen in Sorge. Es fehlt an Wohnraum, Turnhallen drohen statt zu einer Notlösung eine Dauerlösung zu werden, man greift auf Zelte und Container zurück. Und wo Dörfer mit einer größeren Zuweisung zu rechnen haben, nehmen selbsternannte Vertreter des Volkszorns die Sache auf ihre Art in die Hand. So wurde eine noch leerstehende Zeltunterkunft in Marklkofen/Niederbayern prophylaktisch gleich zweimal angezündet. Auch manche Helferkreise weisen Ermüdungssymptome auf. Die Gegenstimmen kommen u.a. aus kirchlichen Kreisen: „Selbst in konservativen Gemeinden auf dem Land“, so ein Mitarbeiter eines kirchlichen Flüchtlingsdienstes, „gäbe es eine hohe Akzeptanz für geflüchtete Menschen.“

Als Objekt der Politik: in Brüssel traf man sich zu einem Sondergipfel, der deutlich auf Abschreckung (der Flüchtlinge) setzte. Dabei war schon nicht mehr strittig, dass es an den Außengrenzen mehr Zäune geben müsse, sondern nur noch, ob diese Zäune aus dem EU-Haushalt finanziert werden dürfen. Die Vorgabe ist jetzt ein waschechter EU-Kompromiss: Zäune nein, Grenzschutzinfrastruktur ja. Einig war man sich, dass man auf die Herkunftsstaaten mehr Druck ausüben wolle, wenn sie sich weigern, abgelehnte Flüchtlinge zurückzunehmen, doch als Bundeskanzler Scholz vorbrachte, dass man auch über Wege legaler Zuwanderung sprechen müsse, war er in der Minderheit. Zu denken gibt, dass sowohl Italiens Meloni wie auch Österreichs Nehammer von einem „großen Sieg“ und einem „echten Durchbruch“ sprachen.

Als Opfer: Da wollen wir uns gar nicht bei den „kleinen Paschas“ von Friedrich Merz aufhalten. Es können ja nicht alle solche Musterschüler wie er sein. Vor der Küste Kalabriens spielte sich erneut eine Flüchtlingstragödie ab. Man weiß nicht genau, wie viele Personen auf dem Boot waren, 80 konnten gerettet, 66 nur noch tot geborgen werden. Die Küstenwache griff erst ein, nachdem das Boot gekentert war. Die Regierung Meloni reagierte auf das Drama auf ihre Art. In Zukunft dürfen NGOs nur noch eine Rettungsoperation pro Mission durchführen und müssen anschließend einen sicheren Hafen (z.B. in Norditalien) ansteuern. Und auf dem Weg dorthin dürfen sie keine neuen Migranten aufnehmen, auch wenn diese in Seenot sind.


Zerschellte Hoffnungen

Aus Deutschland kamen im März etwas widersprüchliche Nachrichten – je nach Ministerium: Das Innenministerium (SPD) kündigte an, einige Überlebende des Unglücks aufzunehmen, das Verkehrsministerium (FDP) möchte Schiffe mit „politischen und humanitären Aktivitäten“ aus dem Freizeitbereich (!) nehmen, was für die Seenotrettungsorganisationen mit enormen Mehrkosten verbunden wäre.

Großveranstaltungen – kurzgefasst

Sicherheitskonferenz in München: Da war man natürlich zuvorderst um die Sicherheit der Konferenzteilnehmer besorgt. Es waren 4800 Polizisten im Einsatz, mit Hunden und auf Pferden – Elefanten waren unseres Wissens nicht dabei. Das massive Polizeiaufgebot hatte sich gleich mit drei Großdemonstrationen auseinanderzusetzen, deren Teilnehmer sich nur gelegentlich miteinander prügelten.

- die Querdenker und Russlandversteher auf dem Königsplatz: Da sprach der Linke Dieter Dehm schon einmal von „ukrainischen Killerbanden und Nazi-Faschisten“, da bekam der Ex-CDU’ler Jürgen Todenhöfer nur sparsamen Applaus, als er den Einmarsch Russlands in die Ukraine kritisierte, hörte aber Jubelrufe, als er die Schuld am Krieg dem Westen anlastete. Und beim Lied „Ami go home“ fing die Menge zum Schunkeln an.

- das linke Anti-Siko-Aktionsbündnis auf dem Stachus: Diese Veranstaltung begann mit Schweigeminuten für die Opfer von Kriegen und Erdbeben, die Plakate wie „Frieden schaffen ohne Waffen“ waren allgemein gehalten, und der Organisator Claus Schreer „grenzte sich deutlich gegen Nationalisten ab“. Radikaler geht es erst auf dem Marienplatz zu, als die Linke Sevim Dagdelen dem Westen eine „zynische Doppelmoral“ vorwirft.

- die Pro-Ukraine Demo auf dem Odeonsplatz: Da warben Anton Hofreiter und Marie-Agnes Strack-Zimmermann um Verständnis für Waffenlieferungen und zweifelten die Verhandlungsbereitschaft Putins an. Die anwesenden Ukrainer skandierten „Danke, Deutschland, für die Hilfe!“. Laut wird es erst, als die Siko-Demo um die Ecke biegt: Da hört man „Geht zu Putin!“- Rufe und einige Ukrainerinnen beginnen zu weinen, als sie die Plakate der Rüstungsgegner sehen.
 

Friedensparade von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht

- Titel und Karikatur verraten Ihnen bereits, dass der Passage eine gewisse Objektivität fehlen könnte. Die fällt mir tatsächlich etwas schwer, aber wenn Sie das „Manifest für Frieden“ unterzeichnet haben oder gar an der Demo in Berlin teilgenommen haben, dürfen Sie mein „Machwerk“ gerne überspringen. Man muss ja nicht immer einer Meinung sein.

- Das „Manifest für Frieden“ in dem gefordert wurde, die Waffenlieferungen an die Ukraine zu stoppen und Friedensverhandlungen aufzunehmen, haben inzwischen mehr als 700 000 Leute unterschrieben. Einige der Erstunterzeichner, haben ihre Unterschrift zurückgezogen, weil ihrer Meinung nach eine klare Distanzierung nach rechts außen fehlt. Der ukrainische Ex-Botschafter Melnyk, der Diplomat fürs Grobe, hat den beiden Initiatorinnen vorgeschla-gen,

„ihr Manifest zusammenzurollen und gleich in den Mülleimer am Brandenburger Tor zu werfen“.

- Die Demo in Berlin: Zur Demo der „Friedensfreunde“ kamen dann zwischen 13 000 und
50 000 Menschen. Die „Königin der Herzen“ war zweifelsfrei Sahra Wagenknecht, die vor einem „Atompilz über Berlin“ warnte, die Kriegstreiber in der Bundesregierung, allen voran Annalena Baerbock, als „kriegsbesoffen“ bezeichnete und Putin mit einem sanften Appell an seine Friedenssehnsucht davonkommen ließ. Alice Schwarzer kam eher großmütterlich daher, freute sich über die Fahnen und die Stimmung und hoffte mit der Demo, „ein bisschen Menschlichkeit in die Politik“ zu bringen. Angewandelt hatten sich natürlich einige Rechtsextremisten, an ihrer Spitze Jürgen Elsässer, Chefredakteur des Hetzblattes Compact, der seit einiger Zeit versucht, rechte und linke Extremisten zu einer Querfront zusammenzufügen. Der Fairness aber muss gesagt werden, dass die rechten Demonstranten ausdrücklich ausgeladen wurden und es ihnen auch nicht gelang, die Kundgebung mitzuprägen. Die SZ hat in einem Artikel über „Pazifismus“ die Schieflage der Demo gut auf den Punkt gebracht:

„Pazifistische Politik reicht nicht dem Aggressor die Hand, sondern denen, die ihm widerstehen. Mit ihnen ist sie solidarisch – und nicht nur mit denjenigen, die immer Angst haben, das nächste Opfer zu sein.“

Im Grunde wäre die Sache ja einfach!
 

Verschiedenes: zweifelhaftes, abstoßendes, aufmunterndes

Präventivhaft: Nach einer Woche im Gefängnis wurde ein Straßenblockierer aus Passau freigelassen – und das sogar noch vor dem politischen Aschermittwoch, den die CSU in Passau begeht. Der Passauer Oberbürgermeister hatte nämlich die Polizei aufgefordert, anlässlich des Politereignisses „klare Kante“ zu zeigen, und das hieß für den notorischen Kleber Micha Frey zunächst: Präventivhaft bis einen Tag nach Aschermittwoch. Der Vorwurf, die ursprüngliche Haftdauer sei „politisches Kakül“ gewesen, wurde vom Polizeipräsidium zurückgewiesen.

Hausdurchsuchung: Die Reaktionen auf die Hausdurchsuchung von Ordinariat und Bischofpalais in München wegen eines Falles aus dem Missbrauchsgutachten waren gemischt. Sie reichten von „längst überfällig“ bis „irritierend“. Christian Weisner von „Wir sind Kirche“ bedauerte, dass die Durchsuchung nicht schon 2010 stattgefunden hat, Michaela Huber, Vorsitzende der Aufarbeitungskommission, ärgerte sich darüber, dass man ausgerechnet in München zugeschlagen habe, wo doch „außerordentlich viel für die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauch gemacht“ wird. Gefunden aber wurde offenbar nichts – Neues.

Volksverhetzung oder nur Beleidigung: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat es abgelehnt, einen Neonazi zu verfolgen, der Journalisten als „Judenpack“ beschimpft und von einer „Judenpresse“ gesprochen hat. Die Journalisten seien keine Juden oder andere „rassische oder religiöse Gruppe“ und seien wegen ihres Berufes beleidigt worden. Juden seien also damit nicht betroffen. Es scheint nicht der einzige Fall, wo sich Staatsanwaltschaften beharrlich davor drücken, „am Befund einer Volksverhetzung“ vorbeizukommen.

Ehrenmord: In Berlin wurden zwei afghanische Brüder zu lebenslanger Haft verurteilt. Sie hatten ihre Schwester, die sich, so der Richter „von den ihr auferlegten Fesseln befreien wollte“, indem sie sich von ihrem gewalttätigen Ehemann scheiden ließ und eine neue Beziehung einging, ermordet, in einem Koffer nach Bayern verfrachtet und bei Donauwörth im Wald vergraben. Dem Gericht zufolge vertraten die Brüder „archaische Wertvorstellungen“. Damit wären sie besser bei den Taliban aufgehoben gewesen.

Finanzierung mit Auflagen: Die Bundesregierung will die Finanzierung von Entwicklungsprojekten in Afghanistan wieder aufnehmen. Allerdings sollen gemäß der neuen Leitlinie „von Frauen für Frauen“ nur Projekte unterstützt werden, die Frauen und Mädchen zukommen. Ob die Taliban diese Leitlinie akzeptieren?

Justizirrtum: In St.Louis/Missouri wurde Lamar Johnson für unschuldig erklärt und aus dem Gefängnis entlassen. Er hatte 28 Jahre eingesessen. Zwar hatte er für die Tatnacht ein Alibi, aber man hatte einem „Augenzeugen“ geglaubt. Später stellte sich heraus, dass der Augenzeuge von einem Polizisten gedrängt worden war, Johnson „wiederzuerkennen“. Und er hatte für seine Falschaussage 4.000 Dollar Zeugenentschädigung bekommen. Muss man noch erwähnen, dass Johnson Afroamerikaner ist?

Erinnerungsarbeit: Bundespräsident Steinmeier hat an der Uni München den Widerstand der Weißen Rose gewürdigt, ein „Widerstand der Außenseiter“, die noch lange als „Verräter“ gebrandmarkt wurden. Aber bei seiner Zustandsbeschreibung der Bundesrepublik klang Besorgnis an, die sich nicht nur auf die Aggression Russlands, sondern auch auf Anschläge von Rechtsextremisten und Hassreden gegen Minderheiten bezog. Und zur jungen Generation sagte er: „Stehen Sie auf und widersprechen Sie!“ Sollte man, wenn’s nötig ist, auch als älterer Mensch tun!

Annäherung: In Brüssel haben die Staatschefs Serbiens und des Kosovo ein EU-Dokument akzeptiert, das auf eine Normalisierung der Beziehungen abzielt. Es gäbe allerdings noch Gesprächsbedarf hinsichtlich der praktischen Umsetzung. Immerhin soll es Reisefreiheit, Anerkennung von Pässen und Schulabschlüssen geben. Der Hauptstreitpunkt, die Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos durch Serbien, wurde ausgeklammert. Immerhin – sie sprachen miteinander.


Schlusspunkt zum Kriegsbeginn

Der britische Graffitikünstler Banksy hat die Vorlage für eine ukrainische Briefmarke geliefert, die sich großer Beliebtheit erfreut. Sie zeigt einen Buben, der einen ausgewachsenen Judokämpfer zu Boden wirft. Der große Kämpfer ähnelt Putin, der selbst ein begeisterter Judoka ist. Und dann steht auf der Marke noch: „Putin, verpiss dich!“ So etwas würde Sahra Wagenknecht nie sagen!

 


März 2023



 

Da im März das Parlament am Nockerberg tagte, darf die Einleitung etwas derber ausfallen. Die Aussage des Bildes deckt sich aber durchaus mit unserem Anliegen, die düstere Weltlage durch eine Portion Ironie erträglich zu machen – wo immer es möglich ist.

Der Nockerberg

Pflichtgemäße Begeisterung bei den geschmähten Politikern, eine Standing Ovation für die die staatstragenden Schlussworte Schafroths über das „Glück der Freiheit“ – aber auch ein deutliches „Nachegrantln“ in den Leserbriefspalten des Merkur und den sozialen Medien. Was war geschehen? Im Gegensatz zu Veitshöchheim wurden die Unionsparteien nicht mit Glacéhandschuhen angefasst, sondern tüchtig abgewatscht. Und das hat man im tiefschwarzen Bayern gar nicht gern.

„Spezialoperationen“ – Kriege – und dergleichen

Russland – Ukraine

Der Krieg entwickelt Gewöhnungspotential und wandert in die hinteren Seiten der Zeitungen, obwohl an der Ostfront um Bachmut herum der „Fleischwolf“ tobt und Putin in Belarus taktische Atomwaffen stationieren möchte, die Lukaschenko ggf. gegen seine Opposition und Putins „hauptberuflicher Krawallmacher“ Medwedjew „gegen Bundestag und Kanzleramt“ einsetzen könnten (Vorsicht: Satire + O-Ton!).

Vom Internationalen Strafgerichtshof/ICC in Den Haag kam „ein Haftbefehl von historischer Bedeutung“, erlassen gegen Putin und seine Beauftragte für Kinderrechte (!) Maria Lwowa-Belowa. Die beiden werden dafür verantwortlich gemacht, dass mehr als 16 000 ukrainische Kinder nach Russland oder russisch kontrollierte Gebiete verschleppt wurden. „Kinder sind keine Kriegsbeute“ hatte der Haager Chefankläger gesagt, als er im Süden der Ukraine ein Kinderheim besuchte – das leer stand. Der Westen sah im Haftbefehl ein „wichtiges Signal der Entschlossenheit“, der Kreml hält ihn für „juristisch nichtig“, und die 123 Staaten, die das ICC-Statut ratifiziert haben, zerbrechen sich den Kopf, was sie tun würden, um bei einer Einreise Putins der Verpflichtung zur Auslieferung an die Strafbehörden nach- oder auszukommen. Ungarns Orban, wer denn sonst, hat schon einmal präventiv erklärt, er würde Putin nicht festnehmen lassen, da das Statut in Ungarn zwar ratifiziert, aber nicht vom Präsidenten gegengezeichnet worden ist. Solche Hintertürchen würden sich wohl auch andere Staaten offenlassen.



Im Grunde wäre alles (wieder einmal) so einfach:

Iran

Im November 2022 gab es zum ersten Mal Giftanschläge, überwiegend in Mädchenschulen. Seither sollen es über 5000 Fälle an 230 Schulen sein. Die Mädchen klagten über Übelkeit und Atemnot und waren am Schulgelände „unangenehmen“ Gerüchen ausgesetzt. Für die Anschläge gibt es bisher zwei Erklärungsversuche. Man hat von den Taliban gelernt, dass Mädchen besser ohne Bildung durchs Leben kommen, oder man will die Schülerinnen dafür bestrafen, dass einige der spektakulärsten Protestgesten auf ihr Konto gingen (kollektiver Mittelfinger vor dem Bild von Khamenei). Zu Beginn sprach die Regierung von „Massenhysterie“ und „fremden, teuflischen Mächten“, aber inzwischen sollen mehr als 100 Verdächtige festgenommen worden sein, über deren Identität (und Nähe zum Regime) noch nichts bekannt ist.

Eine dieser Protestgesten war ein 40-Sekunden Clip von fünf Frauen „mit lockerer Kleidung und offenen Haaren“, die am Frauentag in Teheran ein Tänzchen wagten, was Frauen im Iran natürlich verboten ist. So etwas kann noch Tage danach gefährlich werden, denn Spione filmen die Teilnehmerinnen, und Tage später kommt die Polizei ins Haus. Und die Videoüberwachung, die im Straßenverkehr eingesetzt wird, soll jetzt auch den Frauen „zugute-kommen“, damit sie wieder in der Öffentlichkeit auftreten können, ohne gleich die Männer durch ihre lockere Haartracht aufzureizen.

Der Westen, insbesondere Berlin und Brüssel, ergeht sich in „diplomatischen Unverbindlichkeiten“, weigert sich beispielsweise, die Revolutionsgarden als Terrororganisation einzustufen, um das Atomabkommen zu retten. Das mag mit ein Grund sein, warum die Protestwelle abebbt und „das Regime zäher ist als erwartet“.

Israel

In Israel gewinnt die Protestwelle eher an Schwung, weil die rechte Regierung ihr im Wochenrhythmus Material liefert. Die geplante Justizreform sieht vor, die 3. Kraft auszuhebeln, indem sie verfassungswidrige Gesetze durch eine einfache Mehrheit im Parlament außer Kraft setzen lässt. Eine „Lex Netanjahu“ soll dafür sorgen, dass ein Ministerpräsident nur „aus körperlichen und mentalen Gründen“ seines Amtes enthoben werden kann, nicht aber wegen Verfehlungen, sprich Korruption – die man Netanjahu vorwirft. Und dann hat man dem „Tiktok-Clown“, Innenminister Ben-Gvir, eine Nationalgarde versprochen, die er, so die Befürchtung, wahlweise gegen Demonstranten und Palästinenser einsetzen kann.

Dass diese Privatmiliz bald gegen Palästinenser zum Einsatz kommt, ist nicht auszuschließen, denn die Regierung treibt auch die Ausweitung der Siedlungsaktivitäten voran. So sollen Siedler in vier Siedlungen im Westjordanland, die 2005 schon aufgegeben wurden, wieder zurückkehren dürfen. Die deutsche Bundesregierung hat dieses Vorhaben „ungewöhnlich deutlich“ kritisiert.

Nach einer Intervention des Staatspräsidenten, dem Protest (und anschließender, später aufgeschobener Entlassung) des Verteidigungsministers, dem Aufstand der Reservisten und nach einer Demo in der Nähe von Netanjahus Wohnhaus, ruderte „König Bibi“ zurück und setzte die zweite und dritte Lesung des Gesetzes zur Justizreform zunächst einmal aus, nach Ansicht der Gegner, „um auf Zeit zu spielen“.

 
Protest gegen „König Bibi“

Irak

Als George W. Bush letztes Jahr Putin wegen des Ukrainekrieges kritisierte, sprach er von der

„Entscheidung eines einzigen Mannes, eine völlig ungerechtfertigte und brutale Invasion im Irak zu starten“.

Der Fehler, den Bush mit einem Lacher schnell verbesserte, war im Grunde genommen gar nicht falsch. Der Irakkrieg von 2003 gilt längst als völkerrechtswidriger amerikanischer Angriffskrieg, der auf Lügen basierte – und der Irak hat sich bis heute nicht davon erholt.

Das zeigt sich beispielsweise in den Repressalien gegen Regierungskritiker und Umweltaktivisten, die zur Zielscheibe von Regierung und Milizen geworden sind. Sie werden verschleppt, gefoltert, gezielt getötet – oder bleiben einfach verschwunden. „Sicher, so die SZ, ist nur die Unsicherheit.“

El Salvador

Da hat sich ein Staatschef von einem Kollegen etwas abgeschaut. Der Ex-Präsident der Philippinen Rodrigo Duterte hat ein Ermittlungsverfahren Den Haags am Hals, weil er im Drogenkrieg seine Todeskommandos nach Gutdünken morden ließ. In El Salvador geht Staatschef Bukele mit ähnlicher Brutalität gegen kriminelle Gangs vor. Mit deren Mitgliedern braucht man kein Mitleid zu haben, aber auch Bukele scheint über das Ziel hinauszuschießen. Seit Verhängung des Ausnahmezustands im März 2022 soll es 65 000 Festnahmen gegeben haben, das entspricht etwa einem Prozent der Gesamtbevölkerung. Es reicht schon aus, wenn ein junger Mann einmal als Jugendlicher beim Kiffen erwischt wurde oder eine verdächtige Tätowierung trägt. „Es kann jeden treffen, jederzeit“, meint die Juristin Ingrid Escobar. Die Gefängnisse hat der Staatschef Kolumbiens als „Konzentrationslager“ bezeichnet.

 
Füllmaterial für das neue Gefängnis

Ihnen ist beim Anblick dieses Bildes endgültig die Stimmung versaut? Dann kann ich ja gleich in dieser Richtung weitermachen – mit den

AI-Nachrichten

Davon im März jede Menge, die meisten (wie üblich) schwer erträglich. Vermeiden Sie eine Überdosis!

Menschenrechtler: In Moskau wurden die Wohnungen von Mitgliedern der (seit 2021) aufgelösten MR-Organisation „Memorial“ durchsucht. Man wirft der Organisation „Rehabilitierung des Nazismus“ vor. Was Nazimethoden anbelangt, hätte es in Russland geeignetere Kandidaten gegeben. Von der russischen Propaganda wahlweise als Nazi und britischer Spion bezeichnet, wurde der ukrainische Journalist Maksym Butkevych wegen angeblicher Kriegsverbrechen zu 13 Jahren Haft verurteilt. Er soll an einem Ort auf Zivilisten geschossen haben, wo er zum fraglichen Zeitpunkt gar nicht war.

In Kabul ist Matiullah Wesa verhaftet worden. Er hatte die Taliban in den sozialen Medien aufgefordert, weiterführende Schulen wieder für Mädchen zu öffnen. Aber wer soll dann die älteren Männer heiraten? Schon im Februar hatte man den Professor Ismail Maschal aus dem Verkehr gezogen. Er war mit einem bunten Karren durch die Straßen Kabuls gezogen, der mit Sprüchen beschrieben war, die ebenfalls für die Bildung von Frauen und Mädchen warben – ein klarer Fall von „provokativer Aktion gegen das System“.

Homophobie: Uganda hat ein Gesetz erlassen, das nicht nur praktizierte Homosexualität unter Strafe stellt, sondern auch das Outing, die Mitwisserschaft und den Einsatz für die Rechte von LGBTQ-Menschen. Es drohen bis zu zehn Jahre Haft, für „Serientäter“ sogar die Todesstrafe. Das Gesetz hat seine Vorläufer in der britischen Kolonialzeit. Importiert aus Europa wurde also nicht die Homosexualität, sondern die Homophobie. Der anglikanische Erzbischof in Uganda hat das Parlament für die „gewissenhafte Arbeit“ gelobt, die katholischen Bischöfe haben sich bisher noch nicht geoutet.

Hassrede: Eine Studie der britischen Zeitung The Guardian untersuchte, welche von ihren Autorinnen und Autoren am häufigsten in online-Kommentaren beleidigt wurden. Unter den zehn „Spitzenreitern“ waren acht Frauen, vier von ihnen nichtweiß. Die anderen beiden waren schwarze Männer.

Politische Gefangene: In Jekaterinenburg hat der russische Geheimdienst FSB den amerikanischen Journalisten Evan Gershkovich festgenommen, angeblich „auf frischer Tat“ – und das in der Nähe eines Grillrestaurants. Er wird der Spionage bezichtigt und bei einem Schuldspruch drohen ihm bis zu 20 Jahre Haft. Er soll Recherchen zur Gruppe Wagner gemacht haben und damit über den Krieg in der Ukraine berichtet haben. Für den FSB ist das entsprechend der verschärften Gesetzgebung bereits Spionage. Jetzt werden bereits Namen von russischen Häftlingen genannt, die in den USA (und in Deutschland) einsitzen und für einen Austausch in Frage kommen.

Gershkovich ist im modernen Russland ist der erste westliche Journalist, der wegen Spionage verhaftet wurde, aber für Russen gehört so etwas längst zum Alltag. Man spricht von 510 Fällen, die strafrechtlich verfolgt werden, weil sie sich kritisch zum Krieg geäußert haben. Im April schrieben deutsche Medien, darunter der Merkur, einen offenen Brief an den russischen Botschafter in Berlin, in dem sie die sofortige und bedingungslose Freiheit von Gershkovich forderten. Die „Antwort“ kam von einem Gericht in Moskau: Eine Freilassung auf Kaution wurde abgelehnt.

Mit unpäpstlicher Deutlichkeit hat Papst Franziskus das Regime in Nicaragua kritisiert. Dort war der regimekritische Bischof Rolando Alvarez wegen Anstiftung zu „Hassverbrechen“ zu 26 Jahren Haft verurteilt worden. Das hätte man ihm noch verziehen, wenn er bereit gewesen wäre, sich abschieben zu lassen. Der Papst verglich das Regime mit „der kommunistischen Diktatur von 1915 und der Hitler-Diktatur von 1935“, Managua suspendierte postwendend die Beziehungen zum Vatikan. Der Vatikan wird es überleben, die Sandinisten hoffentlich nicht.

Folter: Russland entführt, der Iran foltert – Kinder. AI hat jetzt dokumentiert, dass unter den 22 000 festgenommenen Demonstranten Tausende von Kindern waren, viel von ihnen nicht älter als 12 Jahre. Was man ihnen nach Aussagen von Zeugen und Angehörigen im Gefängnis angetan hat, möchten wir Ihnen ersparen.

Todesstrafe
- Israel: Die rechte Regierung plant eine Re-Aktivierung der Todesstrafe für Terroristen, die aus rassistischen Motiven einen israelischen Staatsbürger töten. Die Strafe käme aber nicht zur Anwendung, wenn der Täter Israeli und das Opfer Palästinenser wäre. Israel hat seit Staatsgründung zwei Menschen hingerichtet, Adolf Eichmann und Meir Tobianski, ein Offizier, der 1948 wegen Spionage hingerichtet und ein Jahr später für unschuldig erklärt wurde.

- Idaho/USA: Der Bundesstaat lässt in Zukunft zum Tode Verurteilte durch ein Erschießungskommando hinrichten, wenn eine Exekution durch die Giftspritze nicht möglich ist. Die Pharmakonzerne rücken die Substanzen ungern heraus, weil sie nicht mit der Todesstrafe in Verbindung gebracht werden wollen. Und wahrscheinlich kommt das Erschießen billiger. Das Personal wird die Waffenlobby von der NRA gerne zur Verfügung stellen.

- Iran: Das Land hat gute Aussichten, den Spitzenplatz bei Hinrichtungen (hinter China) auszubauen. Im Januar und Februar wurden mindestens 94 Todesurteile vollstreckt.

Asyl: Großbritannien verschärft das Asylrecht dahingehend, dass Menschen, die illegal einreisen, ihr Recht auf Schutz verlieren und so schnell wie möglich wieder fortgeschafft werden, beispielsweise nach Ruanda. Das neue Gesetz brachte Gary Lineker, britische Fußballikone und BBC-Kommentator, so in Rage, dass er die Sprache des Gesetzestextes mit der Sprache verglich, „die der von Deutschland in den 1930er Jahren nicht unähnlich ist“. Darauf wurde er von der BBC suspendiert – aber nur vorübergehend. Nach massiven Protesten konnte er wieder auf Sendung gehen. Das Gesetz dürfte gegen die UN-Flüchtlingskonvention verstoßen – aber was heißt das heute schon?

Justizirrtümer: Innerhalb kurzer Zeit wurden zwei US-Amerikaner für unschuldig erklärt und entlassen. Sidney Holmes, Afroamerikaner, Freilassung nach 34 Jahren und Lamar Johnson, Afroamerikaner, Freilassung nach 28 Jahren. Johnson saß in einer Zelle mit einem Häftling, der schon 2019 freikam und überlieferte eine Gesprächsnotiz mit Witzstruktur:

„Der eine Häftling sagt zum anderen: Ich bin unschuldig. Antwortet der andere: Ich auch!“

 
Sidney Holmes – Wiedersehen mit der Mutter

Flüchtlinge

- Der italienische Innenminister Piantedosi hat eine eigenartige Sicht auf die Seenotrettung im Mittelmeer. Für ihn geht es nicht um Retten oder Nichtretten. Sein Rat an die Flüchtlinge: „Sie sollen einfach nicht losfahren.“

- Chia Rabiei, der „Held von Würzburg“, der sich 2021 einem Messerstecher in den Weg stellte, wurde vom Bamf zunächst einmal abgelehnt, weil das Amt nur drohende Verfolgung im Herkunftsland, nicht aber Zivilcourage zu berücksichtigen hätte. Ein Richter gestand ihm jetzt ein Bleiberecht zu, weil ihm bei der Rückkehr in den Iran durch die Publizität seiner Tat „Nachteile“ erwachsen könnten. Wir sind der Meinung, seine Zivilcourage allein hätte auch schon gereicht.

- Ein juristisches Dunkelfeld soll gemäß der Istanbul-Konvention neu beackert werden. Bisher konnte eine Frau, die ihrem Ehemann nach Deutschland gefolgt ist, bei einer Trennung ihr Aufenthaltsrecht verlieren – selbst wenn die Trennung wegen häuslicher Gewalt erfolgte. Drei Jahre musste sie in Deutschland die Ehe aushalten, bis sie einen eigenständigen Aufenthaltstitel bekam. Das soll sich ändern, wenn Misshandlung im Spiel ist.

- In dem Dorf Upahl/Nordwestmecklenburg wurde seit Wochen gegen eine Flüchtlingsunterkunft protestiert, von „Normalos, Nachbarn und Neonazis“. Das Dorf hat 500 Einwohner und sollte 400 Flüchtlinge aufnehmen. Die Gemeinde klagte, weil sie übergangen worden war und kam mit der Klage durch. Der Bau wurde gestoppt, rechte Kreise sehen in diesem Protest eine „Blaupause“ für weitere Aktionen. Die Gegenseite sieht Probleme bei der Kommunikation: Gemeinden müssen „mitgenommen“, Bürger darauf eingestimmt werden, dass Menschen kommen, die nicht nur Probleme machen, sondern Hilfe brauchen. Und man sollte 500 Menschen nicht mit 400 Flüchtlingen überfluten.

- Die hohen Zuwanderungszahlen beginnen inzwischen auch die Partei zu beunruhigen, für die Zuwanderung bisher „unverhandelbar“ war. Eine Gruppe bei den Grünen, die sich „Vert Realos“ nennt und sich als Bürgerliche Grüne Mitte sieht, hat ein Memorandum verfasst, in dem eine „steuernde Migrationspolitik“ gefordert wird. Das Papier wurde von 350 Parteimitgliedern unterschrieben, darunter Jens Marco Scherf, Landrat in Miltenberg und Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen. Für die bayrischen Unterzeichner spielt sicher auch der nahende Wahlkampf eine Rolle, aber die Verteidiger einer humanitären Flüchtlingspolitik werden es bei gleichbleibenden Zuwanderungszahlen immer schwerer haben.

Und der Kraftakt der Europäer, eine „dauerhafte und solidarische Verteilung der Migranten zu ermöglichen“, liegt in weiter Ferne.

Was uns Angst macht oder nur den Kopf schütteln lässt

Sie merken an der holprigen Formulierung der Überschrift, dass es nicht leichtfiel, die folgenden Ereignisse unter einen Hut zu bringen, weil einige von ihnen schockieren, andere aber nur Unbehagen hervorrufen.

Amoklauf an einer Grundschule in Nashville/USA: In den USA war es schon das
13. School-Shooting des Jahres. Es forderte sechs Opfer, drei neunjährige Kinder und drei Lehrer. Die Täterin war transgender - ein wahres „Geschenk“ für die wohl dümmste
US-Abgeordnete Marjorie Taylor Greene, die die Schuld nicht bei den Waffen, sondern bei der Hormonbehandlung der Schützin sah.

Amok in Hamburg: Bei einer Gemeindeversammlung der Zeugen Jehovas erschoss ein ehemaliges Mitglied sechs Menschen, unter ihnen eine schwangere Frau. Die Tat weist (wieder einmal) auf eine gravierende Schwäche unsere Waffengesetze hin, denn wer in Deutschland einmal eine Waffenerlaubnis bekommen hat, muss viel anstellen, um sie wieder zu verlieren. Es reichte jedenfalls nicht aus, dass der Täter ein Buch geschrieben hat, in dem er einen „Massenmord im Auftrag Gottes“ als „legitim“ bezeichnet hat.

Waffennarren: Im Oktober 2022 wurden auf einem Parkplatz der A92 zwei Brüder aus dem Landkreis Miesbach kontrolliert und mit Molotow-Cocktails, Waffen großer Diversität (Armbrust, Schreckschusspistolen, Gewehr) und NS-Devotionalien erwischt. Auch in den anderen Behausungen der Brüder wurde man fündig. Eine zusätzliche Brisanz erhielt der Vorfall, als sich herausstellte, dass die Mutter eine Mitarbeiterin des BND ist und, nach Aussagen von Nachbarn, eine Halskette mit einem Neo-Nazisymbol getragen hat. Der Chef des BND war nicht „amused“.

Kriminalität: Die Statistik für das Jahr 2022 ist alles andere als erfreulich. Ein Anstieg der Straftaten um 11,5 Prozent, eine starke Zunahme der Gewaltdelikte (Messerangriffe, Sexualattacken), eine beängstigende Zahl von tatverdächtigen Kindern – ein Anstieg von 35,5 Prozent bei deutschen und von 48 Prozent bei nicht-deutschen Kindern. Da scheinen die Einschränkungen der Pandemie einen gewaltigen „Betätigungsstau“ ausgelöst zu haben, der oft jenseits der harmlosen Freizeitaktivitäten abreagiert wird.

Sicherheitswacht: Die Kriminalitätsstatistik wurde erst Ende März veröffentlicht, sonst hätte man sagen können, dass der Miesbacher Stadtrat mit der Einführung einer Sicherheitswacht (im vierten Anlauf seit 1994!) punktgenau auf die Ergebnisse der Statistik reagiert hat. Der Beschluss, einen Probeversuch zu wagen, wurde aber schon Anfang des Monats gefasst. Wir halten es mit der Bewertung der „Freizeitsheriffs“ mit dem Merkur:

„Jedoch ist das Verlagern hoheitlicher Aufgaben ins Ehrenamt generell kritisch zu sehen.“

Selbstjustiz: Wer mit Sicherheit für solche Aufgaben nicht geeignet ist und hoffentlich von der Polizei bei der Ausbildung noch rechtzeitig ausgesondert wird, sind die Autofahrer, die den Klebern gegenüber zur Selbstjustiz greifen, ihnen in den Bauch treten, über den Fuß fahren oder sie unsanft von der Straße zerren. Das ist, nach Ansicht der meisten Rechtswissenschaftler, nicht mehr mit dem „schneidigen“ Notwehrrecht vereinbar, wie es im Paragrafen 32 des STGB verankert ist.

Den Klebern geht’s jetzt auch juristisch an den Kragen, aber glücklicherweise nicht so drastisch wie der Staatsanwalt und die Autofahrer es wollen. Die zwei Frauen, die im September 2021 für eine Sperrung der Autobahn nach Lindau sorgten, erhielten eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen. Der Richter weigerte sich, die Rechnung der Staatsanwaltschaft zu übernehmen, wonach ca. 1296 Personen genötigt worden waren – aber niemand eine Nötigung angezeigt hatte.

Und die Stadt München hat verfügt, dass sieben Klimaaktivisten keinen Klebstoff mehr mitführen dürfen, ansonsten drohe ein Bußgeld von 1000€. Die Verfügung nennt sich „Sekundenklebertransportverbot“. Das Wort erinnert von der Länge her an einen Bahnhof in Wales.

„Pornografie“: In Florida wurde einer Schuldirektorin gekündigt, weil sie ihrer Klasse den David von Michelangelo gezeigt hatte, ohne die Eltern vorab zu informieren. Ein Elternteil hat das Bild des nackten Recken als „pornografisch“ bezeichnet. Der David steht in Florenz, und der dortige Bürgermeister hat sich beeilt, die geschasste Direktorin nach Florenz einzuladen, „um ihr im Namen der Stadt die Anerkennung auszusprechen.“ Auf einen Abdruck des David im Jahresbericht möchte ich lieber verzichten, nicht dass mir das Bayrische Kultusministerium die Pension kürzt.

Nachrichten zum Aufatmen

Georgien: In Georgien haben Tausende von Demonstranten, unterstützt von Staatspräsidentin, Schauspielern und Fußballstars das „Russische Gesetz“ gestoppt – wenigstens vorläufig. Die Regierung wollte nach dem Vorbild Moskaus ein Agentengesetz einführen, das es ihr erlaubt hätte, Aktivisten und Organisationen der Zivilgesellschaft zu schikanieren und der Opposition und der Mehrheit der Bevölkerung (80%) die Orientierung zur EU hin auszutreiben.

 
Traumziel EU

Bayern: Neue Töne vom Ministerpräsidenten! Er sagte zu, dass Asylbewerber mit einem Job und ohne Vorstrafen nicht mehr abgeschoben werden. Zuletzt hatte es einige solcher Fälle gegeben. Die Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft/VBW sieht in dieser Frage „keine Dissonanz“ zur CSU. Der Mangel an Arbeitskräften generiert Menschlichkeit.

Würzburg: Die Stadt schiebt dem Frauentag eine erfreuliche Meldung nach – „Keine „Layla“ im Festzelt. Auf städtischen Volksfesten sind rassistische und sexistische Lieder nicht zugelassen, selbst wenn das Publikum diese verlange. Hoffentlich läuft es nicht so wie im Oktoberfest von 2022. Dort wurde das Lied zum Wiesnhit.

Bamberg: Das Kirchenasyl-Verfahren gegen die Äbtissin Mechthild Thürmer ist ohne Auflagen eingestellt worden. Und das, nachdem man ihr zunächst einen Strafbefehl über 2500 € geschickt hatte und ihr bei Zahlungsverweigerung eine „empfindliche Freiheitsstrafe angedroht hatte. Zwar ist eine Einstellung nur ein Freispruch 2. Klasse, aber mit dieser „geringen Schuld“ kann sie gut leben. Gefragt, ob sie wieder jemand ins Kirchenasyl nehmen würde, sagte sie: „Im Prinzip schon!“


Die Äbtissin und ihr Anwalt Franz Bethäuser (AI)

Miesbach: Der Merkur nahm den Polizeieinsatz gegen die beiden Waffennarren zum Anlass, um die rechtsextreme Szene im Landkreis Miesbach zu beleuchten. Es habe zwar in der Vergangenheit Kameradschaften, Wehrsportverbände und Razzien bei Reichsbürgern gegeben, aber derzeit sei von organisierten Gruppierungen nichts bekannt. Der Verfasser des Artikels versäumte es aber nicht, hinzuzufügen „auch wenn es eine solche Szene im Verborgenen natürlich geben kann“.

Japan: Die anrührendste dieser Erfolgsnachrichten in Grautönen heben wir uns für das Ende auf. Sie weckt auch in uns Nostalgiegefühle, weil wir den Fall vor Jahren publik gemacht haben – offensichtlich ohne Erfolg, weil erst jetzt wieder Hoffnung aufkommt. Ein Obergericht in Tokio hat eine Wiederaufnahme des Prozesses gegen den 87-jährigen Ex-Boxer Iwao Hakamada angeordnet. Und nun halten Sie sich fest: Der Mann war 1968 wegen Mordes zum Tode verurteilt worden, saß 48 Jahre in der Todeszelle, hat in Haft „durchgedreht“, wurde 2014 unter Vorbehalt entlassen und wartet jetzt auf die Wiederaufnahme, weil „erhebliche Zweifel an früheren Beweisen“ aufgetaucht sind. Dass DNA-Abgleiche auf seine Unschuld hinwiesen, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

 
Iwao Hakamada – einst und jetzt

Schluss

 
Auch Männer feiern den Frauentag


April 2023



„Wir müssen Brücken zueinander bauen,
wenn wir in dieser wahnsinnigen Welt
Aussicht auf Rettung haben wollen.“


Peter Ustinov

Als Dan Smith, Direktor des Instituts für Friedensforschung/Sipri, von einem Freundgefragt wurde, wie es ihm gehe, hat er geantwortet, es gehe ihm gut, habe aber viel zu tun. Da sagte sein Freund: „Wie kann das sein, Dan? Deine Arbeit dreht sich um den Frieden, aber es gibt doch kaum welchen.“

Deshalb landen wir in diesem Monat auch gleich wieder bei den

Konfliktzonen

Der Sudan

In der Monatsmitte eskalierte der Machtkampf zwischen zwei Generälen, Präsident Burhan und Vize Daglo (genannt Hemeti/kleiner Mohammed), zu einem offenen Konflikt. Von Bürgerkrieg kann man nicht sprechen, da die Bürger seit dem Militärputsch von 2021 nichts mehr zu melden haben. Während Tiefflieger über die Hauptstadt Khartum hinwegdonnern und sich die Regierungstruppen und Paramilitärs Straßenkämpfe liefern, bleibt den Zivilisten nichts andres übrig als „den Kopf unten zu behalten und nicht ans Fenster zu gehen“. Vordergründig geht es um die Eingliederung von Hemetis Miliz in die regulären Streitkräfte, aber im Hinter-/Untergrund spielt sich ein Stellvertreterkrieg ab, an dem Ägypten, Saudi-Arabien, Libyen, der Tschad und (mutmaßlich auch) die unvermeidlichen russischen Wagner-Söldner beteiligt sind. Dass es auch um die Kontrolle der lukrativen Goldminen geht, versteht sich bei solchen Militärs von selbst. Beide Generäle sind Kriegsverbrecher, deshalb veröffentlichen wir ihre Fotos, in der Hoffnung, dass sie einst auf einem Steckbrief Verwendung finden.

         
                          Abdel Fattah Burhan                                   Mohammed Hamdan Daglo      

Russland – Ukraine

Es wird mit immer härteren Bandagen gekämpft. Den Gipfel der Scheußlichkeiten würde, wenn es echt ist, zweifellos ein Video erreichen, das die Enthauptung eines ukrainischen Soldaten zeigt. Russland spricht natürlich von einem Fake, aber ein Ex-Söldner der Wagner-Clique hat den Täter als einen früheren „Kollegen“ identifiziert.

In einem Café in St. Petersburg wurde der Militärblogger Wladlen Tatarskij Opfer eines Mordanschlags. Der Blogger hatte die „totale Vernichtung der Ukraine in ihrer heutigen Form“ gefordert und das Verteidigungsministerium in Moskau wegen seiner laxen Kriegsführung kritisiert. Als Tatverdächtige/r festgenommen wurde aber nicht der Verteidigungsminister, sondern Darya Petrova. Die Frau, die ihm eine Gipsfigur mit dem Sprengstoff überreichte, soll vom ukrainischen Geheimdienst rekrutiert worden sein und gilt als Sympathisantin von Nawalny. So gesehen, kam der Mord für Putin nicht ganz ungelegen, denn er konnte jetzt den ukrainischen Geheimdienst mit der Gefolgschaft seines bekanntesten Widersachers in Verbindung bringen.

Im UN-Sicherheitsrat hat man (satzungsgemäß) den Bock zum Gärtner gemacht. Russland übernahm den Vorsitz und sorgte prompte für einen Skandal. Per Video zugeschaltet wurde Maria Lwowa-Belowa. Sie erinnern sich – Beauftragte für Kinderrechte und mit Haftbefehl aus Den Haag gesucht? Sie zeigte Bilder, wo sie „gerettete“ ukrainische Kinder im Kindergarten besuchte und versprach, die Kinder in die Ukraine zurückzubringen, wenn es eine entsprechende Anfrage gäbe. Einige (westliche) Botschafter waren so gerührt, dass sie unter Tränen den Saal verließen. (Vorsicht Satire!) Keine Satire war ihre Behauptung, dass ukrainische Kinder in Deutschland in fremden Familien festgehalten werden. Das hat sie tatsächlich gesagt.

Aus Peking zurückgepfiffen wurde Lu Shaye, der chinesische Botschafter in Paris. Er gilt als „Wolfskrieger“. So bezeichnet man die harten Hunde unter den chinesischen Diplomaten, die nur durch ihre Immunität vor einer „Entnahme“ geschützt sind. Als er in einem Fernsehinterview die Souveränität der Länder der ehemaligen Sowjetunion, also u.a. Osteuropa und der Ukraine, in Frage stellte, wurde das von der Zentrale nicht als „politische Aussage“, sondern als „Ausdruck persönlicher Ansichten“ herabgestuft.

Unter der Überschrift „Frieden schaffen“ haben einige Sozialdemokraten und Gewerkschaftler einen neuen Appell für einen Waffenstillstand unterzeichnet. Auch Peter Brandt, Sohn von Willy Brandt, gehört zu den Unterstützern. So konnte es nicht ausbleiben, dass Willy Brandts Ostpolitik als Blaupause für einen neuen Anlauf zur Beendigung der Kämpfe herangezogen wurde. Gerhart Baum, ein ehemaliger Bundesinnenminister, weist diese Gleichführung zurück. Brandt, so Baum, ging es um eine „Sicherheitspartnerschaft“, Putin um die „Errichtung einer neuen Weltordnung gegen die Demokratien“.

Dann kam noch die Osterbotschaft des Papstes, bei der man Mühe hat, die zweite Hälfte der Bitte nicht als Ironie zu deuten.

„Hilf dem geliebten ukrainischen Volk auf dem Weg zum Frieden und ergieße dein österliches Licht über das russische Volk.“

 
Tod in Mariupol

Und zu mehr als zweifelhaftem Ruhm haben es eine schwangere Frau und ihr Baby gebracht, als es das Bild von ihrem Abtransport aus einem zerstörten Entbindungskrankenhaus zum „Foto des Jahres 2023“ geschafft hat. Frau und Baby haben nicht überlebt.

Streitorte im Abseits

Kosovo: In Den Haag hat ein Prozess begonnen, der angebliche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, begangen in Kosovo Ende der 1990er Jahre, zum Inhalt hat. Die meisten Opfer im damaligen Konflikt mit Serbien waren ethnische Albaner, die von Serben ermordet wurden, aber 102 Morde und 20 Fälle von Verschwindenlassen werden vier Kommandeuren der kosovarischen Befreiungsarmee UCK angelastet. Wie prekär das Verhältnis zwischen den beiden Volksgruppen immer noch ist, zeigt die Reaktion auf den Prozess. Die albanischen Kosovaren verehren die Angeklagten als Helden, die serbische Volksgruppe sieht den Prozess als Schritt zur Gerechtigkeit.

Indien: Premierminister Modi und seine hinduistische BJP-Partei bereiten jetzt schon das Terrain für die Wahlen von 2024, indem man im Vorgriff versucht, sich unliebsamer Oppositionspolitiker zu entledigen. Dem Anführer der Kongresspartei, Rahul Gandhi, droht eine Haftstrafe von zwei Jahren, weil er den Namen Modis in einer Wahlkampfrede im Jahre 2019 mit Diebstahl in Verbindung gebracht hatte. Dabei ist Modis Mehrheit nach Umfragen nicht gefährdet, sondern eher noch ausbaufähig. Und wenn dann der Umbau des Landes zur Hindukratie abgeschlossen ist, werden für Muslime, Christen, Sikhs und Opposition harte Zeiten folgen.


Mahatma Gandhi lässt grüßen

Haiti: Die Zustände im Land sind so, dass man lieber nichts davon hören möchte: ärmstes Land der westlichen Hemisphäre, Naturkatastrophen, machtlose Regierung – und UN-Soldaten, die die Cholera einschleppten und Mädchen und Frauen missbrauchten. Das Machtvakuum in der Regierung wird zunehmend von kriminellen Gangs ausgefüllt, die das Land in einem Maße terrorisieren, dass es kein Wunder war, dass verhaftete Bandenmitglieder in der Hauptstadt Port-au-Prince am helllichten Tage einem Lynchmord zum Opfer fielen, durch den wütenden Mob oder durch rivalisierende Banden – wer weiß das schon genau?

Myanmar: Um die Volksverteidigungskräfte/PDF, die in einigen Regionen Myanmars gegen die Militärjunta kämpfen, zu demoralisieren und ihnen den Rückhalt in der Bevölkerung zu entziehen, schicken die Generäle ihre Luftwaffe los, wenn sich der Einsatz „lohnt“ – im Oktober 2022 zu einem Konzert mit 80 Toten und jetzt im April, als die PDF in der Gemeinde Pazigyi eine Eröffnungszeremonie für ein neues Büro abhielt und die Gäste gerade beim Essen saßen. Es gab 171 Tote, darunter 38 Kinder und 24 Frauen.

 
Nach dem Essen

Bevor es mit „Wasser und Brot“ weitergeht, haben Sie sich etwas Entspannung verdient. Wie wär‘s mit einer Neuauflage der berühmten Rede von M.L. King?

 

AI-Nachrichten – weniger erfreulich

Rassismus und Antisemitismus

- In einem Berliner Polizeibericht vom Februar 2022 hieß es zunächst, es sei in einer Straßenbahn zu einem Streit gekommen, nachdem eine Gruppe von Fahrgästen eine Jugendliche, Dilan S., auf ihre fehlende Maske angesprochen hätten. Dilan landete im Krankenhaus und erzählte in einem Video ihre Version der Geschichte. Es sei genau umgekehrt gewesen, sie habe die Fahrgäste auf die Masken angesprochen, sei attackiert und zusätzlich von der Gruppe (und weiteren Personen) rassistisch beschimpft worden. Die Polizei hat ihre Meldung später korrigiert, und jetzt ist der Fall vor Gericht gekommen. Die Täter wurden mit Haft- und Geldstrafen belegt.

- Die evangelische Theologin Sarah Vecera ist wegen ihrer Mitwirkung an der „Alle-Kinder-Bibel“, die „divers und Rassismus kritisch“ ist, bei der Vorstellung ihres Buches „Wie ist Jesus weiß geworden?“ nur durch das Eingreifen der Sicherheitsleute vor einem tätlichen Angriff bewahrt worden. Ein (vermutlich weißer) Mann wollte ihr einen Judaskuss verpassen. Die Sicherheitsleute waren bestellt worden, weil der Veranstalter vorher rassistische Mails bekommen hatte. Auch Frau Vecera erhält Mails, „in denen aus der Bibel zitiert wird und man ihr den Tod an den Hals wünscht“. Da soll noch jemand sagen, dass die Bibel heute keine Sprengkraft mehr hat! (Vorsicht – Sie wissen schon!)

- Zugenommen hat die judenfeindliche Hasskriminalität in München (und wohl auch anders-wo). Der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern/Rias wurden im letzten Jahr 183 Fälle gemeldet, eine Zunahme von 70 Prozent im Vergleich zu 2020. Es kam zu Schmierereien in Supermärkten und an der Mauer eines Gymnasiums, zu einschlägigen Äußerungen auf Veranstaltungen, Attacken auf Gedenkorte, Pöbeleien in Gaststätten. Die Fälle im Netz, wo gegen Juden gehetzt wird, sind noch gar nicht mitgezählt. Die Leiterin von Rias spricht vom Judenhass als einer „grässlichen gesellschaftlichen Normalität“.

Flüchtlinge

Bei allem Verständnis für die Unterbringungsprobleme der Kommunen, möchten wir uns weniger mit dem Flüchtlingsansturm, sondern mehr mit der Flüchtlingsabwehr befassen. Zu letzterem gibt es Maßnahmen, die man diskutieren kann, etwa die Prüfung der Asylberechti-gung an den Außengrenzen in einem geordneten Verfahren und mit geeignetem Personal, aber auch Vorschläge und Horrorszenarien, die einem die Haare zu Berge treiben.

- Da beschwört der italienische Minister Francesco Lollobrigida, nicht mit der verstorbenen Schauspielerin identisch aber verwandt, das Gespenst des „ethnischen Austauschs“, bei der AfD auch „Umvolkung“ genannt. Er fürchtet, dass das italienische Staatsvolk wegen der abnehmenden Kinderzahl auf lange Sicht durch Nachkommen der Migranten ersetzt wird, die, nach Aussagen einer deutschen Adeligen und selbsternannten Völkerkundlerin, gerne „schnackseln“.

- Dass manche Deutsche auch heute noch „hart wie Kruppstahl“ sein können, zeigt ein Leserbrief im Merkur. Der Schreiberling fordert einen „sofortigen Abzug der Rettungsschiffe, die nichts anderes sind als Fluchthelferschiffe“ und die „Entsendung von Schnellbooten aller EU-Länder, um auslaufende Flüchtlingsschiffe an die afrikanische Küste zurückzudrängen“. Und „wenn das Flüchtlingsschiff nicht abgedrängt werden kann, weil es schon am Sinken ist, dann einfach drüber wegfahren“. Hat er nicht mehr geschrieben, aber mitgemeint!

Politische Gefangene

Alexej Nawalny/Russland: Russlands prominentester Häftling soll schwer erkrankt sein. Er hat in 15 Tagen acht Kilo verloren, und wegen heftiger Magenschmerzen musste einmal sogar der Notarzt gerufen werden. Sein Anwalt möchte nicht ausschließen, dass er „etwas vergiftet“ wird, stückchenweise, damit sich sein Zustand „allmählich, aber stetig verschlech-tert“. Die Gefängnisleitung denkt sich eine Schikane nach der anderen aus: Die Medikamen-te, die ihm seine Mutter schickt, werden ihm nicht ausgehändigt, er darf nur mehr frühmor-gens spazieren gehen, damit er keine Sonne sieht und als Zellengenosse hat man ihm einen „Obdachlosen“ zugeteilt, der hygienemäßig in einem „völlig tierischen Zustand“ ist. Ende April wurde ein neues Verfahren gegen ihn eröffnet: Vorwurf – Aufruf zum Terrorismus, Rechtfertigung des Nationalsozialismus, mögliches Strafmaß: weitere 30 Jahre.

In einem weiteren Verfahren wurde er im August zu 19 Jahren verurteilt. Seine Sprecherin rätselt noch, ob sein bisheriges Strafmaß davon abgezogen oder das neue Strafmaß drauf-gesattelt wird.

Wladimir Kara-Mursa/Russland: Zum ersten Mal seit Zerfall der Sowjetunion wurde ein Oppositioneller wegen Hochverrats verurteilt. Kara-Mursa hatte im Ausland dafür geworben, Menschenrechtsverletzungen zu sanktionieren, hatte Putin kritisiert und den Krieg verurteilt – also gleich drei Kapitalverbrechen begangen. Kara-Mursas erster Verteidiger hat noch während des Prozesses das Land verlassen, weil man ihn bedroht hatte, und der Richter, der ihn verurteilte, stand auf Kara-Mursas Sanktionsliste, aber „Befangenheit“ ist ein Fremdkörper in der russischen Justiz. Da Kara-Mursas Gesundheit angegriffen ist, weil er zwei Giftanschläge nur knapp überstanden hat, könnten die 25 Jahre Haft im strengen Regime für ihn ein Todesurteil sein. Jetzt kann man Wetten abschließen, ob er oder Nawalny zuerst stirbt. Der Todesfall einer dritten Person wäre uns lieber.

Im August wurde sein Berufungsantrag abgelehnt.

Xu Zhiyong/China: Der Menschenrechtsanwalt erhielt 14 Jahre, ebenfalls wegen „multipler Kriminalität“ – Verteidigung von Opfern des Milchpulverskandals, Berichte über MR-Verbrechen in Tibet, Forderung nach Zulassung unabhängiger Kandidaten für politische Gremien usw. Er teilt das Schicksal der meisten Bürgerrechtsanwälte. Sie sind weggesperrt, haben ihre Lizenz verloren oder sind verschwunden. Sein Kollege Ding Jiaxi wurde, gewis-sermaßen in einem Aufwasch, wegen „Untergrabung der Staatsgewalt gleich mitverurteilt. Der Prozess fand ohne Zeugen statt und dauerte einen Tag.
 
                 Alexander Nawalny                       Wladimir Kara-Mursa                      Xu Zhiyong

Wie unverfroren China mit seinen Dissidenten und den diplomatischen Konventionen um-springt, zeigte sich, als der Anwalt Yu Wensheng während des Besuches von Annalena Baerbock verhaftet wurde, als er auf dem Weg zum EU-Botschafter war.

Todesstrafe

Im Rennen um die republikanische Kandidatennominierung zwischen Trump und Dos Santos hat Floridas Gouverneur eins draufgelegt, um bei den „hartleibigen“ Amerikanern Punkte zu machen. Bei künftigen Strafverfahren ist für ein Todesurteil keine einstimmige Empfehlung der zwölf Geschworene mehr erforderlich. Vier Geschworene dürfen also dagegen sein. Damit hat Florida die Schwelle für Todesurteile in den USA am niedrigsten gesetzt.

Nachrichten aus Deutschland

Polizei

- Auf Kritik gestoßen ist Anfang März der Beschluss des Landgerichts in Frankfurt, die Anklage gegen eine Chatgruppe von fünf Polizisten wegen Austausches von rechten Inhalten nicht zugelassen. Die Gruppe hatte Bilder und Beleidigungen aller bekannten „-ismen“ geteilt. Ein Bild zeigte beispielsweise zwei schwarze Bluthunde, die sich nur von „Mett(wurst)“ ernähren – von Achmett, Mohammett, Mehmett“. Verstörend auch die Begründung des Gerichts: Die Chatgruppe sei geschlossen gewesen, Teile der Inhalte seien von der Kunstfreiheit gedeckt. Die Staatsanwaltschaft sah das anders und legte Beschwerde ein.

- Eine Studie der Deutschen Hochschule der Polizei mit dem Schwerpunkt Rassismus hat gezeigt, dass Polizisten in der Einstellung zu Demokratie und Diversität ein Abbild der Ge-sellschaft sind. Für die SZ ist das nur auf den ersten Blick beruhigend, denn, obwohl rechts-extreme Weltbilder eher abnehmen, rückt die Mitte der Gesellschaft verstärkt in einen „Grau-bereich, wo man sich gegenüber Rassismus oder Nationalchauvinismus indifferent verhält“, im Klartext, es einem egal ist, wenn bei einer Demo mal der Hitlergruß gezeigt wird. Und die Polizei rückt der Mitte der Gesellschaft hinterher, anstatt eindeutigen Gesten, Hasskommen-taren und Diskriminierung „vehement entgegenzutreten“.

- Die Publizistin Carolin Emcke stößt beim „Entgegentreten“ in das gleiche Horn. Sie schreibt:

„Der abmoderierende Reflex, die politischen Einstellungen in der Polizei spiegelten eben die der gesamten Gesellschaft, verkennt, dass die Polizei kein Abbild der Gesellschaft sein kann und darf. Die Polizei muss sich als unbedingte Verfechterin der freiheitlich-demokratischen Ordnung verstehen und zeigen.“

Diese Ordnung zu verfechten, würde der Polizei aber leichter fallen, wenn auch die Mitte der Gesellschaft ihre Wurstigkeit/Indifferenz gegenüber den Auswüchsen der „-ismen“ aufgeben würde.

Prozess gegen Linksextremisten

Die gibt es ja auch noch! Jetzt stehen vier von ihnen in Dresden vor Gericht. Man wirft ihnen tätliche Angriffe auf Rechtsextreme und Gründung einer linksextremen kriminellen Vereini-gung, einer NSU-links gewissermaßen, vor. Es kam allerdings nicht zu Serienmorden, wohl aber zu „gefährlicher Körperverletzung“. So wurde beispielsweise ein Kanalarbeiter zusam-mengeschlagen, „nur weil er die falsche Mütze/die von einem rechten Modelabel trug“. Die Verteidigung der Gruppenchefin Lina E. stellte deren Schuld in Frage mit dem (blauäugigen) Argument, dass man nicht habe nachweisen können, dass ihre Mandantin als „Überblicks-person“ daran beteiligt gewesen sei, was wohl bedeutet, dass sie im Augenblick des Nieder-schlags auch weggeschaut haben könnte. Ein Urteil in dem Prozess, der im September 2021 (!) begonnen hat, ist im Mai zu erwarten.

Missbrauch

 
Auf zum Papst!

Dass die vier älteren Herren noch lachen können, ist an sich schon erstaunlich. Sie werden sich am 6. Mai mit elf weiteren „Kollegen“ vom Marienplatz auf eine Radtour nach Rom aufmachen. Es sind Missbrauchsopfer, die den Papst mit ihrem Schicksal konfrontieren und das Thema aus der Tabuzone holen wollen. Und was fast noch erstaunlicher ist, sie fahren mit dem geballten Segen der Amtskirche. Sie werden vom Erzbistum München-Freising finanziell und logistisch unterstützt, in Schäftlarn vom Abt und in Tölz vom Pfarrer begrüßt, in Bozen von Kardinal Marx und Bischof Musef getroffen – und haben in Rom eine Audienz beim Papst. Man kann ihnen nur, wie der berühmten Bärenraupe eine Gute Reise wünschen!

Bei der Generalaudienz auf dem Petersplatz übergaben sie dem Papst einen Brief mit klaren Forderungen zum Umgang mit Missbrauch in der katholischen Kirche. Der Papst reagierte mit den Worten „Es ist sehr schwierig.“ Sichtlich bewegt hat ihn das Geschenk, das ihm die Radler mitbrachten, eine verkleinerte Ausgabe der Skulptur „Heart“ von Michael Pendrys.

 

Rassismus auf der Wiesn

Was wir aus Gründen des Jugend- und Erwachsenenschutzes definitiv nicht zeigen werden, ist eines der Bilder an den Buden und Fahrgeschäften der Wiesn, die der Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) als rassistisch (und sexistisch) aufgestoßen sind. Und es ist keine Verbeugung vor dem Wokeness-Wahn, den der Wiesnreferent der Stadt, Clemens Baumgärtner, den Grünen unterstellt, wenn man die Meinung von Frau Habenschaden teilt, dass solche Malereien „auf einem Familienfest und internationalen Aushängeschild Mün-chens“ nichts verloren haben. Sie zu verbannen ist, so die SZ, „ein überfälliger Schritt“. Ob es sich bei den Bildern um „Kunst“ handelt, darüber lässt sich streiten, dass sie moralisch anstößig sind und „geschmacklos“, wie auch Baumgärtner (inzwischen) einräumt, steht außer Zweifel. Und denen, die solche Bilder und Lieder wie „Layla“ brauchen, um in Stim-mung zu kommen, sollte man begreiflich machen, dass „sich die Zeiten geändert“ haben.

Man hörte im September, dass die Bilder übermalt worden sind und dass „Layla“ nicht mehr der Hit Nr. 1 ist. Wir werden doch nicht einmal gescheiter werden!

Von Spannungsabbau bis Entspannung

Attacke auf eine Stadtikone: In Regensburg haben 100 Kulturleute wegen der „rechtskonservativen Radikalisierung“ der Schirmherrin Gloria von Thurn und Taxis zum Boykott der Schlossfestspiele aufgerufen. Auf dem Sündenkonto der Fürstin stehen die Hetze gegen Flüchtlinge, die Bagatellisierung des Missbrauchs in der Kirche, die „Verteufelung“ von Homosexualität und Abtreibung, der Händedruck für „lupenreine Rassisten“, die Gleichset-zung von grünen „Kulturbanausen“ und Taliban. Als „Punk-Prinzessin“ des Jetsets war sie früher eher unpolitisch – und das wäre sie besser auch geblieben.

Klare Worte zur Migration: Im Gegensatz zur Fürstin, die es mit ihrem „Helden“ Orban gut, mit Flüchtlingen aber eher weniger gut kann, hat Papst Franziskus bei seinem Besuch in Ungarn Klartext gesprochen, was man in dieser Deutlichkeit nicht erwartet hätte. Auf heißem rechtspopulistischem Gelände warnte er vor einem „neuen Aufbranden der Nationalismen“ und forderte im Beisein des Ministerpräsidenten einen menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen. Da die Rede in einem Karmeliterkloster gehalten wurde, kann der Papst von Glück sagen, dass Orban ihn nicht auf Lebenszeit dort einweisen ließ.

Staatsgast der besonderen Art: Präsident Biden hat den jugendlichen Ralph Paul Yarl ins Weiße Haus eingeladen – sobald es ihm besser geht. Ralph war in Kansas City/Missouri von einem 84-jährigen Hausbesitzer angeschossen wurde, weil er an der falschen Tür geklingelt hatte. Der Hausbesitzer kann sich auf das in Missouri sehr weit gefasste Recht auf Selbstverteidigung berufen, aber die Staatsanwaltschaft hat Anklage erhoben. Und inzwischen kamen 2,9 Millionen Dollar an Spenden für die Behandlung und die Zukunft des Jugendlichen zusammen. Man sollte sich einmal kurz ausmalen, wie ein Präsident Trump auf den Vorfall reagiert hätte!

Im Mai haben die Todesschüsse als Folge von kleinen Fehlern - Klingeln an der falschen Tür, Wenden in einer fremden Gargeneinfahrt – dazu geführt, dass die SZ unter dem Titel „Register des Grauens“ Zahlen zum amerikanischen Waffenwahn veröffentlichte. Demnach kommen in Deutschland „nicht ganz 20 private Schusswaffen auf 100 Einwohner, in den USA hingegen deren 120 – so viel wie in keinem anderen Land“.

Tod eines „Jahrhundertzeugens“ mit drei Missionen: Am 7. April ist Benjamin Ferencz, „Vorkämpfer für das Völkerrecht“ in Florida gestorben.

- Seine erste Mission: Als US-Soldat sah Ferencz die Leichenberge in den deutschen KZs, arbeitete dem US-Chefankläger im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg zu, war seinerseits leitender Ankläger im sogenannten Einsatzgruppenprozess, dem neunten der „Nürnberger Nachfolgeprozesse“.
- Seine zweite Mission: Als Generaldirektor einer jüdischen Organisation verhandelte er über die Rückgabe von enteignetem jüdischem Vermögen und forderte mit Nachdruck Entschädigungszahlungen deutscher Unternehmen an überlebende KZ-Häftlinge.
- Seine dritte Mission: In den 1970er Jahren setzte er sich für die Neugestaltung des Völker-strafrechts ein, forderte die Anwendung der „Nürnberger Prinzipien“ u.a. auf den Vietnamkrieg – was nicht geschah, und leistete wichtige Vorarbeit für die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshof – dem die USA dann nicht beitraten.

Sein größter Wunsch, „dafür zu sorgen, dass der Krieg, der immer glorifiziert wurde, als das schreckliche Verbrechen gesehen wird, das er ist“, hat sich nicht erfüllt. Aber es ist schön, dass ein solcher Mann 103 Jahre alt werden durfte.

Kein Fall für den Verfassungsschutz

 


Mai 2023


„Das Merkwürdigste an der Zukunft
ist wohl die Vorstellung,
dass man unsere Zeit einmal
die gute alte Zeit nennen wird.“


Ernest Hemingway

Der dies schrieb, hatte als Soldat und Kriegsberichterstatter immerhin zwei Weltkriege und mehrere Regionalkonflikte mitgemacht. Wann und warum wird man auf unsere Zeit einmal als „gute alte Zeit“ zurückblicken. Und vor allem: Wer wird das tun? Die Urenkel der Klimakleber vielleicht?

Die Klimakleber

Wir fangen mit ihnen an, nicht nur, weil sie einen nahtlosen Übergang vom letzten Bild des Monats April bilden, sondern weil sie im Monat Mai, nachdem der bayrische Bär vom Zug überfahren war, die meisten Schlagzeilen lieferten - und weil sie die Frage aufwerfen, wie weit man gehen darf, um ein Problem in den Fokus zu rücken, bei dem dringender Hand-lungsbedarf besteht. Das dürfte auch noch die Mehrheit bei uns so sehen – solange sie nicht direkt betroffen ist. Wir halten uns zunächst an die Schlagzeilen:

- „Zehn Euro Buße für den Pattex-Pater“: Der Nürnberger Jesuit Jörg Alt wurde wegen Beteiligung an einer Straßenblockade am Stachus zu einer Geldstrafe von 10 Euro verurteilt. Die Richterin zeigte deutlich Sympathie für das Anliegen der Aktivisten. Der Pater meinte, in der Urteilsbegründung sei „viel Brauchbares dabei“. ich möchte lieber nicht so genau wissen, wie es der Richterin in Kollegenkreisen erging.

- „Tritte gegen Aktivisten“: In Berlin sind Autofahrer mit Gewalt auf die Kleber losgegan-gen. Sie zerrten an ihnen herum, schlugen auf sie ein und traten sie, um sie am Festkleben zu hindern. Selbst unter Juristen ist umstritten, ob dieses Verhalten als Notwehr gerechtfertigt ist. Ist es nicht, finde ich, genauso wenig wie der Todesschuss wegen der falschen Klingel.

- „Ist die ‚Letzte Generation‘ eine kriminelle Vereinigung?“ Vorgeprescht ist eine Staatsanwaltschaft in Brandenburg, die schon im Dezember 2022 den Vorwurf der „kriminellen Vereinigung“ erhoben hat. Nach einer Phase des Abwartens haben die Münchner jetzt nachgezogen und bei Mitgliedern der LG eine Razzia veranstaltet, „als wäre es die Mafia“ – so die SZ. Und sie fährt fort:

„Man mag die Klebeproteste für falsch halten, weil man Menschen nicht für eine gute Sache gewinnt, indem man sie vor den Kopf stößt, aber die Klimakleber mit Schleuserringen, Drogenkartellen und rechtsextremen Kameradschaften auf eine Stufe zu heben, ist absurd“.

 

Im November hat das Landgericht München diesen Anfangsverdacht bestätigt. Ein „Nebenzweck“ der Aktionen sei die Begehung von Straftaten und die Störung von „demokratischen Abläufen“ (Straßenverkehr). Ob letzteres bereits eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ darstellt, ist umstritten.

- „Die Mahnung aus New York“: So ähnlich meint es übrigens auch der UN-Generalsekretär, wenn er, an die Adresse Deutschlands gerichtet, sagt:

„Klima-Aktivisten … müssen geschützt werden, und wir brauchen sie jetzt mehr denn je.“

Und, um Ihrem Vorwurf der unzutreffenden Sympathielenkung zuvorzukommen, „Stimmt, ich habe noch nie in einem Kleberstau gestanden!“

Flüchtlinge

Der Monat begann mit hohen Erwartungen von Innenministerin Nancy Faeser. Sie hoffte auf ein „historische Momentum“ für ein neues europäisches Asylsystem. Ein „Momentum“ ist die „innewohnende Kraft zur Bewegung“, und das kann bei den steigenden Flüchtlingszahlen natürlich nur eine Abwehrbewegung sein. Die Bundesregierung würde jetzt mittragen, dass Migranten, die aus Ländern kommen, wo die Anerkennungsquote im EU-Durchschnitt bei 15/20 Prozent liegt, in einem Schnellverfahren bereits an der Grenze „bearbeitet“ werden. Bei einer Ablehnung soll der Bewerber/die Bewerberin gleich von der Grenze aus abgeschoben werden. Um zu verhindern, dass EU-Boden betreten wird, soll er/sie in Zentren kommen, die allerdings keinen Gefängnischarakter haben dürfen. Auch Bearbeitungseinrichtungen in Libyen und Tunesien sind im Gespräch. Dass an solchen „Grenzorten“ weniger Anwälte und Helfer zur Verfügung stehen, nimmt man (mehr als) billigend in Kauf.
 


Das Kontingent an Flüchtlingen, das dann noch übrigbleibt, soll dann nach dem Prinzip der (freiwilligen) Solidarität gerecht unter aufnahmebereiten EU-Ländern verteilt werden. Und wer nicht aufnimmt, soll zahlen. Es ist von 22 000 Euro pro Flüchtling die Rede.

Gegen Monatsende wurde in der SZ kontrovers diskutiert, ob wir einen solchen Deal“ brauchen oder nicht. Der Befürworter ist sich zwar im Klaren, dass ein solcher Deal „schmutzig und unvollkommen“ ist, hofft aber darauf, dass man dadurch „das Geschehen an Europas Grenzen unter gesamteuropäische Verantwortung bringen kann“. Auch die Gegnerin eines „schmutzigen Deals“ hält solche Aufenthaltslager für möglich, vorausgesetzt, es gäbe für Flüchtlinge sofort einen Rechtsbeistand und für NGOs ein Zutrittsrecht. Darüber hinaus fordert sie ein „Anreizsystem“, d.h. EU-Gelder für Kommunen, die aufnahmebereit sind und ein „Matching-System, wo Kommunen beispielsweise mitteilen können, was für Arbeitskräfte vor Ort gesucht werden. Von Abschiebungen ist bei ihr gar nicht die Rede.

Dass es in Deutschland immer schwieriger wird, solche Kommunen zu finden, zeigte sich am Beispiel der Kleinstadt Schleusingen in Thüringen. Dort steht das Krankenhaus leer und böte relativ anständige Unterkünfte. Im März sollten 80 bis100 Flüchtlinge aus der Ukraine untergebracht werden. Eine Initiative startete eine Petition mit dem suggestiven Text „Stoppt Flüchtlingsheim am Schulweg in Schleusingen“. Es kamen 6000 Unterschriften zusammen, bei einer Einwohnerzahl von etwas über 10 000. Seit Rechtsextremisten bei Veranstaltungen die Mikrofone an sich reißen, treten Mitglieder wieder aus der Initiative aus. 2014 erhielt ein „Schleusinger Bündnis“ den Thüringer Demokratiepreis für seinen Kampf gegen Neonazis.

Es ist mehr als bedenklich, wie sehr die Flüchtlingsfrage bei uns inzwischen zum „Absturz in der Demokratiezufriedenheit“/Stimmen für die AfD beiträgt – und das nicht nur in Sachsen und Thüringen!

Nachrichten – jenseits der guten alten Zeit

Russland: Ex-Präsident Medwedew, inzwischen zu Putins Scharfmacher avanciert, hat seine Lieblingsvariante zum Ausgang des Ukrainekrieges vorgetragen: Da die Ukraine ein „sterbender Staat“ sei, würde er die westlichen Regionen der Ukraine den angrenzenden EU-Staaten zuschlagen, während die Einwohner der zentralen Gebiete für den Beitritt zu Russ-land zu stimmen hätten. Damit würde aus der „Spezialoperation“ eine Totaloperation.

Arabische Emirate: Beim Gipfeltreffen der Arabischen Liga hat ein Mann sein Comeback gefeiert, der ein Jahrzehnt lang Krieg gegen sein eigenes Volk führte. Syriens Diktator Assad hat seine Verbrechen, so der Merkur „einfach ausgesessen“ – aber nicht in Haft, sondern im Präsidentenpalast von Damaskus. Eine Rehabilitierung nach einer gewissen Schamfrist, so etwas nennt sich Realpolitik. Putin wird sich freuen.

Israel: Der Palästinenser Khader Adnan, Mitglied des militanten Islamischen Dschihad, ist nach 87 Tagen Hungerstreik tot in seiner Zelle aufgefunden worden. Viele Warnungen wegen der dramatischen Verschlechterung seines Zustands waren zuvor verhallt. Auch eine Vertreterin der israelischen Organisation „Ärzte für Menschenrechte“ hat nur wenige Tage vor Adnans Tod eine Verlegung in ein Krankenhaus gefordert. Aber die Gefängnisbehörden schienen sich eher an Itamar Ben-Gvir, Minister für Nationale Sicherheit, gehalten zu haben, der gefordert hatte, „die Sommercamp-Bedingungen für mörderische Terroristen zu beenden“.

Türkei: Kurz vor der Stichwahl, in der Erdogan in seinem Amt bestätigt wurde, wurde an Menschen erinnert, für die ein anderer Wahlausgang sehr persönliche Folgen gehabt hätte, u.a. an Selahattin Demirtas, den ehemaligen Chef der prokurdischen HDP. Er ist seit mehr als sechs Jahren in U-Haft, wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte unmissverständlich als politischer Gefangener eingestuft, der sofort freizulassen ist. Für Erdogan ist er der „Terrorist, den er niemals freilassen wird“. An solche Menschen hätten die Türken in Deutschland auch denken sollen, bevor sie zu zwei Dritteln wieder ihren Großmeister wählten.


Deutschland – „Randnotizen“

Im Englischen gibt es den Begriff „lunatic fringe“ für „verrückte Randgruppen“ oder „Narrensaum“. Solche treten auch in Deutschland auf, v.a. in Zeiten von Wahlkämpfen. Und es ist offensichtlich, dass sich die Ränder hin zur Mitte weiten.

- Roger Waters, der Mitbegründer von Pink Floyd, hat kurz vor seinem Konzert in der Münchner Olympiahalle eine Nachricht veröffentlicht, in der er den Widerstand der Weißen Rose gegen das Naziregime mit dem der Palästinenser gegen den Staat Israel in Verbindung brachte. Und dazu passend gibt es ein Bild, das ihn am Grab von Sophie Scholl zeigt. Er hat sich auch dazu verstiegen, Israels Politik gegenüber den Palästinensern als „Völkermord“ zu bezeichnen. Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, hat ihn als „antisemitischen Brandstifter“ bezeichnet und kommentierte sichtlich verbittert:

„Der Antisemitismus hat offensichtlich einen Platz in diesem Land. Dieser Platz ist heute die Olympiahalle.“

- Die bayrische AfD hat im Wahlkampf mit Katrin Ebner-Steiner und Martin Böhm ein Spitzenduo aufgestellt, das eine gewisse Nähe zum (rechten) Rechtsaußen Björn Höcke aus Thüringen hat. Von Herrn Böhm gibt es ein Zitat, das im Streiflicht der SZ durch Verkürzung eine massive Bezugsstörung erfuhr. Da bietet sich Herr Böhm den Mitgliedern wie folgt an:

„Aus unserem Mund spricht eure Wut … Ihr lasst weder eure Frauen von Fremden penetrieren, noch eure Kinder von Messermännern bedrohen.“

Und dann geht es im Streiflicht weiter: Aber das seien „gute, deutsche Tugenden“.

- Als Kurt Tucholsky in der Weimarer Republik „einen älteren, aber leicht besoffenen Herrn“ nach Demokraten suchen ließ, da fand dieser keine. Das ist in der Jetztzeit nicht der Fall, aber wenn man die Liste der Kleinparteien/Gruppierungen durchgeht, die am Narrensaum angesiedelt sind, kommt man mit dem Kopfschütteln nicht mehr nach. Das geht von den „Bürgern in Wut“ über den „Dritten Weg“ bis zu den „Freien Sachsen“ – 20 Namen insgesamt. Wenn die an die Macht kämen, müsste, so Tucholsky, „der Reichstach uffjelöst werden“. Man sollte diese Gruppen nicht verharmlosen, aber sie evolutionär einzuordnen, muss erlaubt sein.

 

Mit den „Bürgern in Wut“ sind wir schnurstracks in Rottach-Egern gelandet. Dort hat eine Ladenbesitzerin folgenden Zettel in ihr Schaufenster gelegt – allerdings nur eine Stunde lang.

 

Wie zu erwarten war, gingen die Leserbriefschreiber im Merkur sofort in Stellung, schimpften über die Grünen und lobten die Zivilcourage der Ladenbesitzerin. Oder aber sie kritisierten die Ausgrenzung einer demokratischen Partei und forderten auf „den Anfängen zu wehren“. Das zu tun, hat man im Tegernseer Tal wie an vielen anderen Orten, allen Grund. Erfreulich war die Reaktion der Volksvertreter: Der Bürgermeister sprach von „unterirdisch“, eine Gemeinderätin kündigte an, in diesem Geschäft nicht mehr einzukaufen. Es wäre nicht uninteressant zu testen, wie man in diesem Geschäft bedient würde, wenn man sich als AfD-Sympathisant outen würde.

AI-Meldungen

Straffreiheit: In der Slowakei wurde ein Geschäftsmann zum 2. Mal freigesprochen, der bei der Ermordung des Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten im Jahre 2018 gewissermaßen auf der mittleren Ebene agierte. Kuciak hatte die Verbindungen von slowakischen Politikern und organisierter Kriminalität untersucht. Auf der unteren Ebne wurde eine Frau, eine enge Vertraute des Geschäftsmannes, zu 25 Jahren verurteilt. An die obere Ebene, wo gegen den Ex-Premier Robert Fico ermittelt wurde, traute man sich nicht heran, denn der wird im September möglicherweise die Parlamentswahlen gewinnen.

Religiöse Verfolgung: Ein erschütterndes Interview gab Nikodemus Schnabel, der neue Abt der Benediktiner in Jerusalem. Er sprach von einer spürbaren Zunahme von Gewalt gegen Christen, seit die „jüdischen Neonazis“ (Amos Oz) auf der Regierungsbank hocken. Er werde „praktisch täglich angespuckt, vor 20 Jahren sei das vielleicht einmal in einem halben Jahr passiert“. Allein im Jahre 2023 wurden Friedhöfe und Kirchen verwüstet, Statuen zerschmettert, Christen mit einer Eisenstange angegriffen. Die Attacken sind „ökumenisch gut verteilt“, ausgenommen sind nur die rechtsevangelikalen Christen. Die werden von der Regierung hofiert.

Todesstrafe: Im Gegensatz zu den letzten Jahren nahm die Zahl der Hinrichtungen weltweit wieder zu. AI verzeichnete 883 Fälle in den Ländern, wo Zahlen veröffentlicht werden. In China, Nordkorea und Vietnam bleiben sie geheim. Die Zunahme ist auf Hinrichtungsexzesse im Nahen Osten (Iran, Saudi-Arabien) und Nordafrika (Ägypten) zurückzuführen, 40 Prozent basieren auf Drogendelikten.

Ende April wurde im Iran das Todesurteil gegen den Doppelstaatler Djamshid Sharmahd bestätigt. Damit steht seine Hinrichtung (wieder einmal) bevor. Die Miesbacher AI-Gruppe hat im Mai auf den Hilferuf der Tochter reagiert. Diese hatte beklagt, dass Deutschland lange inaktiv geblieben sei.

 
Djamshid Sharmahd

Freilassung auf Austauschbasis

Ende April kam der belgische Entwicklungshelfer Olivier Vandecastelee aus iranischer Geiselhaft frei. Entlassen wurde er nicht wegen erwiesener Unschuld, daran gab es seit seinem Haftantritt vor 455 Tagen nie einen Zweifel, oder seines schlechten Gesundheitszustands, sondern auf Grund eines Deals, der dem iranischen Ex-Diplomaten Assadollah Assadi die Freiheit verschaffte. Belgiens Regierung hatte einen Notstandsparagrafen genutzt, weil sie Vandecastelees Leben akut gefährdet sah. Assadi hat die Freiheit nicht verdient, er hatte ein Attentat auf iranische Oppositionelle in Paris geplant, und deshalb sollte man genau hinschauen, wenn er wieder einmal in die EU einreisen sollte.

 
Endlich wieder daheim!

Der Austausch war natürlich umstritten, aber immerhin kamen im Rahmen dieses Deals im Juni noch drei weitere Europäer frei. Damit wären wir nahtlos bei den

Erfolgsmeldungen – bisweilen mit zweifelhafter Vorgeschichte

Belarus: Dort wurde am Monatsanfang der Blogger Roman Protassewitsch zu acht Jahren Straflager verurteilt – ausgerechnet am „Tag der Pressefreiheit“. Er war 2021 mit seiner Verlobten auf dem Weg von Athen nach Vilnius aus dem Flugzeug geholt worden. Am Ende des Monats wurde er begnadigt, bezeugte dem Präsidenten seine „unglaubliche Dankbarkeit“ und distanzierte sich von seinem oppositionellen Denken. Seine Beziehung war schon vorher in die Brüche gegangen. Seine Verlobte wurde aus der Haft heraus nach Russland überstellt. Wird dort wohl von der Wagner-Gruppe in der Ukraine eingesetzt.

Freispruch: Im letzten Jahresbericht haben wir Ihnen den Fall von Tsitsi Dangarembga vorgestellt. Sie ist Journalistin und Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels und wurde 2020 zu sechs Monaten Haft auf Bewährung und einer satten Geldstrafe verurteilt, weil sie mit einer Kollegin und einem Schild mit der Aufschrift „Wir wollen etwas Besseres. Reformiert unsere Institutionen“ durch die Hauptstadt Harare marschiert war. Jetzt wurde sie in letzter Instanz freigesprochen.

Friedensmissionen: Nach dem Weltkirchenrat, der seinen Generalsekretär zum Patriarchen Kyrill, einem eingefleischten Putin-Spezi und Kriegshetzer, entsandte, hat jetzt auch Papst Franziskus, der sich in Sachen Putin lange um eine Stellungnahme drückte, zwei hochrangige Gesandte mit Friedensbotschaften nach Moskau und Kiew geschickt. Teilen wir in christlicher Hoffnung den Optimismus der Kommentatorin im Merkur:

„Es ist eine Chance, das Christentum im 21. Jahrhundert als hoffnungsstiftende Kraft zu festigen.“

Was bisher dabei herausgekommen ist, ist unbekannt. Wenn es Ergebnisse gab, lassen wir wieder von uns hören.

Rabbiner-Konferenz in München: Die Konferenz der Europäischen Rabbiner verlegt ihren Sitz von London nach München, in die einstige „Hauptstadt der Bewegung“. Nirgendwo anders, so ihr Präsident, fühle sich die jüdische Gemeinde so gut beschützt und so warm willkommen. Um diese freundliche Bewertung richtig einzuordnen, sollte man allerdings wissen, dass er gerade aus Putins Moskau geflohen ist. Sei es wie es ist. Wir teilen (ausnahmsweise) die Meinung des Chefredakteurs des Merkur, der von einem „Münchner Wunder nach der Shoa“ gesprochen hat.

Wahlen in Thailand: Dort haben die Bewohner so gewählt, wie man sich von den Türken in Deutschland gewünscht hätte – und von den Sachsen, Thüringern und Deggendorfern wünschen würde. Die neue Partei „Move Forward/Auf geht’s“ wurde stärkste Kraft. Sie möchte „die politische Rolle des Militärs zurückdrängen, die alten Monopole aufbrechen und den Reichtum des Landes gerechter verteilen“. Hoffentlich wird das von den Militärs nicht nach dem Gesetz der Majestätsbeleidigung geahndet.

1. Mai in Berlin: Da scheint sich etwas wiederholt zu haben, was schon im letzten Jahr für Überraschung sorgte. „Die Polizei wurde anders als in allen früheren Jahren seit 1987 nicht angegriffen.“ Es war „erstaunlich friedlich“ – zumindest von Seiten der Demonstranten her. Stattdessen gab es Debatten über aggressives Auftreten von Polizisten in Kreuzberg. Da scheint es einen gewissen „Aufholbedarf“ gegeben zu haben. Für uns Bayern trotzdem eine Erfolgsmeldung, denn die rabiaten Polizisten sollen aus Mecklenburg-Vorpommern kommen.

Schlusschoral

Um noch einmal an den „Tag der Pressefreiheit“ (3. Mai) zu erinnern und den Monatskreislauf zu schließen, eine Karikatur zur „guten Presse“ in der „guten alten Zeit“.

 


Süsse heilige Censur,
Lass uns gehen auf deiner Spur;
Leite uns an deiner Hand
Kindern gleich, am Gängelband!

Möge es der Presse weltweit nie mehr so ergehen wie im Deutschland von 1847! Auch nicht den Medien, die nach Aiwanger nur „links-grünen Gender-Gaga“ verbreiten.


Juni 2023


„Wir sind wütend, wir sind laut,
Weil ihr uns die Heizung klaut.“


Volksaufstand in Erding?

So hätten die 13 000 Demonstranten skandieren können, die in Erding gegen die „Heizungs-Ideologie“ und noch gegen einiges mehr auftraten. Aber um den Eindruck zu vermeiden, es habe sich ein Protestgeschehen abgespielt, dessen Dimensionen an die historischen Bauernschlachten von Sendling und Aidenbach heranreichten, seien einige Details nachgereicht, die darauf hinweisen, dass es sich weniger um einen Aufstand des Volkes, sondern um einen Auftritt der Populisten gehandelt hat.

Die (Mit)Organisatorin

Was in Sendling der „Schmied von Kochel“ war, wurde Monika Gruber für die Demo in Erding. Sie sorgte mit für den Andrang des Publikums, kupferte mit einer Kurzpolemik gegen die Schüler den Titel „Saturday for Future“ für ihre Kundgebung ab, teilte einen Rundumschlag gegen Elektroauto, Gendern und Fleischverzicht aus und lud (zunächst „nicht geplant“) Politiker als Resonanzverstärker ein. Hubert Aiwanger revanchierte sich für die Einladung, indem er ihr den Ehrentitel „Heldin von Erding und ganz Bayern“ verlieh. Da hat der Hubsi sogar gegendert.

Das Publikum

Darunter waren sicher Leute aus „der Mitte der Gesellschaft“, die (unbegründet) Angst hatten, „im nächsten Winter in Bayern zu erfrieren“ (Aiwanger) oder sich über das stümperhafte Vorgehen der Ampel beim Zusammenbasteln des „Gebäudeenergiegesetzes“ ärgerten, aber es waren auch seltsame Paradiesvögel vertreten. Da befürchtete ein Bäckermeister, dass aus Bayern „eine DDR 2.0“ werden könnte – und erhielt dafür riesigen Applaus, und da trug eine Frau eine gelbe Weste mit der Aufschrift „Hängt die Grünen, solange es noch Bäume gibt“. (Urheber des Zitats: Ex-Bayernspieler Mehmet Scholl)

Die Politiker

Markus Söder und Hubert Aiwanger nutzten die Veranstaltung, wie zu erwarten war, zum Wahlkampfauftritt, der allerdings nur für den Vize erfolgreich verlief. Der Ministerpräsident wurde „von einem großen Teil der Besucher niedergetrommelt, ausgepfiffen und angeschrien“. Die meisten von ihnen waren mit Corona-Schildern ausgestattet. Als sich Söder mit einem „Haut selber ab!“ zur Wehr setzte, hätten auch wir applaudiert, obwohl die Situation ein wenig an Goethes „Zauberlehrling“ erinnert hat. Aiwanger hingegen ergeiferte sich schnell die Sympathie des Publikums und wurde mit „Hubsi-Sprechchören und Zugaberufen gefeiert“. In der Begeisterung verstieg er sich zum Versprechen/zur Drohung, „die Demokratie wieder zurückzuholen“.

Das Fazit

Volkszorn hin oder her – wir müssen weg von fossilen Heizungsträgern! Sonst werden wir nicht erfrieren, sondern verdampfen. Im Juli stand ein Leserbrief zum Thema Klimakleber im Merkur, der die wenig schmeichelhaften Bezeichnungen, mit denen sie in den meisten Leserbriefen bedacht werden, an die Adresse der Kleberkritiker zurückschickte:

„Aber alle, die jetzt dafür gesorgt haben, dass Öl- und Gasheizungskessel in den nächsten zwölf
Monaten ausverkauft sind, sollten sich fragen, was wohl ihre Enkel in 40 Jahren über Opa und Oma denken. Könnte sein, dass dann auch Worte wie ‚Verwirrte, Verbrecher, Egoisten‘ fallen oder gar die Frage gestellt wird, warum die ihr Hirn nicht sinnvoller eingesetzt haben.“


Wir verlassen den Volksaufstand mit einer Karikatur und der Frage, was der Mann mit dem Schlauch auf die Volksseele spritzt.

 


Weitere Konfliktherde – geordnet nach abnehmendem Hitzegrad

Die Eintagesmeuterei der Wagner-Gruppe

Da hat sich ein Mann verkalkuliert, der sonst genau berechnet, wo es was zu holen gibt. „Für einen Augenblick“, so die SZ, „schien alles möglich, der Fall Moskaus, der Sturz Putins“, doch dann lief alles wie das alte Sprichwort. „Pakt schlägt sich, Pack verträgt sich“. Der „Verräter“ Prigoschin und weitere Kommandeure kamen nur fünf Tage nach dem Putschversuch mit Putin zu einem dreistündigen Gespräch zusammen, wurden (vermutlich) mit giftfreiem Tee bewirtet und besprachen u.a. „Varianten der weiteren Verwendung“. Ein russischer General deutete an, dass man die Wagner-Söldner am Suwalki-Korridor einsetzen könnte. Das ist die einzige Landverbindung zwischen den baltischen Staaten und ihren übrigen NATO-Partnern.

Auf einem Video hat Prigoschin erklärt, dass Russland bei Kriegsbeginn von der Ukraine her nicht gefährdet war, und dass die „Spezialoperation“ nur der „Selbstdarstellung eines Haufens von Bastarden“ gedient hätte. Der Mann kann ja auch die Wahrheit sagen! Den Kurzaufstand hat er dann nicht lange überlebt. Im August stürzte er ab – oder wurde abgestürzt.

Volksjustiz in Haiti

Das Land, das genügend andere Probleme hätte, wird seit Jahren von brutaler Bandenkriminalität heimgesucht, Morde, Entführungen, Vergewaltigungen und Schutzgelderpressung sind an der Tagesordnung. Als Reaktion haben sich Bürgerwehren gebildet, die mangels Polizeipräsenz selbst Jagd auf die Banden machen. Eine dieser Bürgerwehren nennt sich Bwa Kale/Keine Gnade mehr – und ihre Methoden ähneln denen der Banden. Es kam zu Steinigungen, Verstümmelungen, Verbrennungen bei lebendigem Leib. Und, als Folge, zu einem Rückgang der Entführungen und der Morde. Die Gewaltspirale hat dazu geführt, dass die Bevölkerung und die NGOs jetzt sogar wieder den Einsatz internationaler Hilfstruppen fordern, obwohl man mit den Blauhelmen in der Vergangenheit sehr schlechte Erfahrungen (Seuchen, sexuelle Übergriffe) gemacht hat.

Extremismus in Deutschland – von links nach rechts

Dresden/Leipzig: Eine Art von Selbstjustiz praktizierten auch die Antifa-Aktivisten um Lina E., die in Sachsen und Thüringen Anschläge auf ausgewiesene (und vermeintliche?) Neona-zis verübt hatten. Sie wurden in Dresden wegen Bildung einer „kriminellen Vereinigung, gefährlicher Körperverletzung“ und anderer Delikte zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Obwohl der Haftbefehl gegen Lina E. ausgesetzt wurde und sie vorläufig freigelassen wurde, kam es zu einem bundesweiten Tag X, der in Leipzig zu massiven Auseinandersetzungen zwischen dem schwarzen Block der Linksextremisten und der Polizei kam. Ob Lina E. und ihre drei Mitangeklagten von der „Hammer-Bande“ mitmischten, war nicht auszumachen. In Hinblick auf das Urteil gegen Lina E. (fünf Jahre und drei Monate), merkte die SZ an, dass gegen rechte Hetzer, Helfershelfer und Gewalttäter bundesweit (und gerade auch in Sach-sen) „oft eher lasch“ vorgegangen wird.

Dresden: Ein Richter am Verwaltungsgericht Dresden darf weiter über Asylfälle entscheiden, obwohl er in der rechtsnationalen Junge Freiheit scharf gegen seine „Klientel“ vom Leder zog. Er schreibt von der „unbegrenzten Einwanderung in unsere Sozialsysteme“, behauptet, dass uns “Merkels Staatsdoktrin der offenen Grenzen“ eingeimpft wurde „wie zu Erichs Zeiten“ und ergeht sich in lyrischen Aneignungen wie: „Multikulti in seinem Lauf, hält weder Ochs noch Esel auf.“ Als eine Asylanwältin über ihn Klage führte, beschieden ihr seine Richterkollegen, dass er bei Asylentscheidungen nicht befangen sei, weil bei ihm keine „Überemotionalität oder gar ausländerfeindliche Gesinnung zu erkennen sei“.

Sonneberg: Die AfD „hat es geschafft“. In Thüringen hat der AfD-Kandidat die Landratswahl gewonnen, obwohl sich hinter seinem Gegner ein ganzes Parteienbündnis versammelt hatte. Als dann eine Woche später ein Umfrageergebnis veröffentlicht wurde, wonach 34 Prozent der Thüringer (wesentlich anfälliger als die Thüringerinnen!) AfD wählen möchten, wurde klar, dass der Karikaturist mit seiner neuen Einordnung von „Minderheiten und Mainstream“ gar nicht so sehr im Abseits liegt.

 

Wir in Bayern sollten uns aber vor Ossiephobie hüten. Auch bei uns ist die AfD im zweistelligen Bereich und wird wohl nur durch den Aiwanger-Flügel bei den Freien Wählern von weiteren Höhenflügen abgehalten.

Migration – Katastrophen, Probleme und Kompromisse

Die Katastrophe: Die AfD hat in ihrem Wahlkampfprogramm versprochen, der „Flutung Deutschlands und Europas durch Migranten“ entgegenzutreten. Das Wort „Flutung“ hat sich konkretisiert, als in der Nähe des griechischen Ferienortes Pylos ein Fischerboot mit bis zu 750 Flüchtlingen an Bord kenterte. Nur 104 Personen konnten gerettet werden, die meisten Todesopfer waren Frauen und Kinder, die sich im Schiffsinneren befanden – aus welchen Gründen auch immer. Die griechischen Behörden schalteten Europol ein, um gegen die Schleuserbande zu ermitteln, wohl aber auch, um davon abzulenken, dass kriminelle Energie auch auf Seiten der griechischen Küstenwache vorliegen könnte. Diese habe zunächst Hilfeleistung abgelehnt, obwohl das Schiff wegen Motorschadens bereits manövrierunfähig war und habe dann, so die Aussagen von Überlebenden, beim Abschleppen das Boot zum Kentern gebracht und erst wieder eingegriffen, als das Boot schon gesunken war. Der Vorwurf eines Überlebenden:

„Das Boot wäre ohne die griechische Küstenwache nie gesunken. … Die haben das mit Absicht getan.“

 
Überlebt, und jetzt?

Die Probleme: Der Bundestag hat mit deutlicher Mehrheit das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen. Es soll ausländischen Fachkräften erleichtern, nach Deutschland zu kommen und hier einen Job zu suchen. (Anerkennung von Berufsabschlüssen, Erleichterung des Familiennachzugs). Was nach Meinung der SZ aber bei uns noch etwas fehlt, ist die „Freundlichkeit“, sei es bei der Wohnungssuche, im Umgang mit Behörden, sei es die Reaktion auf der Straße, „wenn die Sprache noch nicht perfekt sitzt“. Aber das kann man leider nicht per Gesetz verordnen.
 


In Greifswald sprach sich in einem Bürgerentscheid eine Mehrheit von 65 Prozent dagegen aus, dass die Stadt Flächen für die Errichtung von Containerdörfern verpachtet. Die Kampagne der Verhinderer setzte voll auf Angstmacherei, Staatsverdrossenheit und fremdenfeindliche Clichés. Die Zukunft der Stadt sei gefährdet, weil man sie mit Flüchtlingen „vollstopfe“, es gebe in Deutschland keine Demokratie mehr und überhaupt sei die Bundesregierung, so die Christdemokraten, auf „migrationspolitischer Geisterfahrt“.

Der Kompromiss: Um die „Geister“ einzugrenzen, d.h. Flüchtlinge abzuschrecken, kamen in Brüssel die Innenminister zusammen und haben sich nach zähem Ringen, auf ein gemeinsames Verfahren für Asylbewerber geeinigt: „Lagerung“ von und Eilentscheidung über Asylbewerber aus relativ sicheren Herkunftsstaaten in Einrichtungen an den Außengrenzen, ein „Solidaritätsmechanismus“ zur Verteilung von Asylbewerbern mit hohen Anerkennungsquoten auf europäische Binnenländer, auf Ausgleichszahlungen durch Länder, die sich dem (verpflichtenden) Solidaritätsmechanismus entziehen, und, auf Drängen Deutschlands, auf den Verzicht auf Schnellverfahren für unbegleitete Minderjährige.

„Geeinigt“ sollte man unter einen zeitlichen Vorbehalt setzen, denn der Kompromiss wurde postwendend von einigen Seiten in Frage gestellt. Unsere Innenministerin versucht hartnäckig (aber einsam), auch Familien mit Kindern vom Schnellverfahren auszunehmen, die Grünen sind gespalten, und Polen und Ungarn agierten auf dem EU-Gipfel, als wären sie in Brüssel nicht dabei gewesen.

 


AI-Meldungen – fast schon alphabetfüllend

Argentinien: In der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 sind Zehntausende verschwunden. Eine der perfidesten Methoden war, sie aus einem Flugzeug in den Atlantik zu werfen. Jetzt brachten Junta-Opfer eine dieser Maschinen aus den USA zurück, wo sie zuletzt für Fallschirmsprünge genutzt wurde. Warum die Rückführung? Weil immer mehr Menschen die Verbrechen der Junta leugnen. „Der Hitler war doch auch nicht so … “

 
Das Todesflugzeug vom 14. Dezember 1977

Brasilien: Die Abgeordnetenkammer hat einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der die Rechte indigener Gemeinschaften massiv einschränken könnte. Es geht darum, dass indigene Völker in Zukunft nur noch Gebiete beanspruchen dürfen, wenn sie beweisen können, dass sie bereits vor Inkrafttreten der aktuellen brasilianischen Verfassung von 1988 dort gelebt haben. Der Entwurf berücksichtigt nicht, dass diese Völker in der Vergangenheit gewaltsam aus ihren ursprünglichen Siedlungsgebieten vertrieben wurden. Hinter dem Entwurf stehen Agrarlobby und Bergbauindustrie. Wer denn sonst?

Darfur/Sudan: Wie schon 2003 gehen Milizen wieder auf die Zivilbevölkerung los. Die Region ist zum „blutigsten Schlachtfeld“ im Duell der beiden Generäle geworden. Weit mehr als 1000 Menschen sollen allein in der Stadt el-Geneina getötet worden sein. Belagert wird die Stadt von der RSF-Miliz Hemetis, die Opfer gehören überwiegend zur ethnischen Minderheit der Masalit. Die „Ärzte ohne Grenzen“ bezeichnen die Stadt derzeit als „einen der schlimmsten Orte auf der Erde“.

Frankreich: „Mein Frankreich tut mir leid“, so kommentierte Fußballstar Mbappé die Erschießung eines 17-jährigen Jugendlichen algerischer Herkunft, der bei einer Verkehrskontrolle einem schussfreudigen Polizisten zum Opfer fiel. Präsident Macron sprach von einer Tat, die „nicht zu entschuldigen“ sei, und selbst sein strammer Innenminister, der das Problem überzogener Polizeigewalt beharrlich negiert, fand das Video vom Todesschuss „extrem schockierend“ und nicht „dem entsprechend, was wir uns von der Polizei wünschen“.

Der Aufstand in den Vororten folgte auf dem Fuß. Barrikaden wurden errichtet, Mülltonnen, Autos und der Anbau eines Rathauses in Brand gesteckt, Einsatzkräfte mit Feuerwerkskörpern beschossen. Selbst eine Grundschule wurde ein Raub der Flammen. Als aber dann Politiker und ihre Familien tätlich bedroht wurden, ging auch das Verständnis für das Anliegen der Demonstranten verloren. Nur gut, dass im Hintergrund Marine Le Pen lauert. Die wird die Polizei an die Leine nehmen und den Vorstädtern zeigen, wie man friedlich demonstriert. (Vorsicht Satire!)

Iran: Die Hinrichtungswelle rollt ungebrochen weiter. Bis Anfang Juni waren es schon 282 Menschen, doppelt so viel wie im Vorjahreszeitraum. Neben den Drogendelikten wurde auch „Ehebruch“ und Nutzung sozialer Medien/“Abfall vom Glauben“, mit dem Tode bestraft. Wenn letztere in Deutschland auch strafbar wären, hätten die Gerichte nichts anderes zu tun.

Libyen: Eine „Revolutionärin im Kampf gegen die Männer“ nannte man Amal Elhaj, die 2011, als man den Männern wieder die Ehe mit fünf Frauen zugestand, die „Bewegung libyscher Frauen“ gründete, die Libyerinnen über Frauenrechte aufklärte und sie zur Bewerbung für öffentliche Ämter ermutigte. Sie selbst wollte im Jahre 2012 Premierministerin werden, wurde aber als Frau nicht in die Kandidatenliste aufgenommen. Es folgten Morddrohungen und das Exil in Tunesien und Ägypten. 2022 kehrte sie zurück und schloss sich dem „Rat libyscher Frauen“ an, der nach einem Sitzstreik vor dem Parlament den Status einer staatlich legitimierten Institution erhielt. „An uns“, sagt Elhaj, „kommen die Machthaber nicht mehr vorbei“.

 
Amaal Elhaj

Russland: Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte/EGMR hat Russland wegen mangelnder Aufklärung des Giftanschlags auf Nawalny zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Gericht bemängelte, dass ein politisches Motiv für den Mordversuch und eine mögliche Beteiligung von staatlichen Agenten nicht in Betracht gezogen worden seien. Jetzt soll ihm Russland 40 000 € Schadenersatz leisten. Die könnte er gut für Anwaltskosten brauchen, denn seit Mitte Juni läuft ein neues Verfahren gegen ihn. Das Urteil ist zu begrüßen, selbst wenn man Putins Lachen bis nach Strasburg hörte.

Die russische Justiz reagierte auf ihre Weise. Im August wurde Nawalny zu einer weiteren Haftstrafe verurteilt, im September wegen „Unverbesserlichkeit für ein Jahr in eine EPKT-Zelle verlegt, nach Aussagen von Insassen ein Ort, wo „Folter am Fließband“ betrieben werde.

Uganda: In der Stadt Mpondwe haben fünf Kämpfer einer islamistischen Miliz eine Schule überfallen und mindestens 42 Menschen getötet – fast alle noch Kinder. Das Gebäude wurde in Brand gesteckt. Nach dem Überfall wurden 15 Kinder verschleppt, drei von ihnen sollen befreit worden sein.

Ukraine: Eine Strafanzeige, die wohl einen langen Weg vor sich hat, hat die Ukrainerin Marija Kowalenko beim deutschen Generalbundesanwalt gegen zwei russische Soldaten und deren Vorgesetzten gestellt. Die beiden Soldaten waren im März 2022 in ihr Haus eingedrungen, hatten ihren Mann erschossen und sie mehrmals vergewaltigt. Einer der Täter, Michail R., posiert in einem russischen Netzwerk als stolzer Vater einer Tochter und Arm in Arm mit seiner Frau. Die deutsche Justiz sammelt Hinweise auf russische Kriegsverbrechen, aber die „Aufarbeitung dieser Verbrechen … bringt jede Staatsanwaltschaft an ihre Grenzen“. Deutschland könnte nach dem Weltrechtsprinzip gegen die Täter vorgehen, aber dazu müssten die erst mal nach Deutschland kommen.

Grenzwertiges und Grenzen sprengendes

Diesen Abschnitt halte ich in weitgehend in Kurzform, nicht zuletzt deswegen, weil mir eine Meinungsbildung schwerfällt. Aber vielleicht haben Sie eine!

Evangelischer Kirchentag: Bundespräsident Steinmeier hat bei seinem Auftritt das Motto des Kirchentages „Jetzt ist die Zeit“ in einer Weise erweitert, die nicht auf allgemeine Zustimmung traf. Er fügte dem Motto den Zusatz bei „Es ist auch Zeit für Waffen“. Für die SZ war das eine „leichtfertige Bibelei“.

Dosenwerfen auf AfD-Politiker: Die Stadt München hat heuer wieder zum Rathaus-Clubbing eingeladen, Das ist eine Art Initiationsparty für 18-jährige. Die Grüne Jugend hat das Wort „clubbing“ in einem anderen Sinn verwendet. Es heißt nämlich auch „mit dem Stock oder einem anderen Objekt schlagen“, deshalb konnte man an ihrem Stand die Bilder von AfD-Politikern mit Dosen bewerfen. Was aber gar nicht geht, war, dass man auch die ehemalige Chefin der AfD in Bayern, die im Frühjahr verstorben ist, unbedacht auf einer Dose präsentiert hat. Die Grüne Jugend hat sich zwar postwendend dafür entschuldigt, aber da hatte die AfD bei ihrer Anzeige schon die „Verunglimpfung des Angedenkens Verstorbener“ mit aufgenommen.

Opfer oder Täter oder beides? Der Stadtrat der Grünen, Bernd Schreyer, legte sein Mandat nieder, nachdem er auf Twitter den Umgang mit den Grünen wegen des Heizungsgesetzes mit des Shoa verglichen hatte. Es sei

„gelungen, so gegen Grüne aufzuwiegeln, als seien sie die ‚neuen Juden‘, die ausgemerzt werden müssen, um Deutschland wieder alles Glück und Wohlstand zu bringen“.

Zugegeben ein überzogener Vergleich, aber denken sie kurz an die Frau in Erding!

Die Drag-Lesung: Ehrlich gesagt – muss ich in Miesbach nicht unbedingt haben, aber für die LGBTQ-Gemeinschaft besteht ein gewisser Nachholbedarf an Öffentlichkeit und gegenwärtig ist sie dabei, sich diese zu beschaffen. Und, ehrlich gesagt, Überprofilierung ist immer noch besser als Diskriminierung und Aggression von der Gegenseite! Vor der Stadtbibliothek fanden fünf Demonstrationen statt, vier gegen die Lesung und eine dafür. Da sah man erneut, welche Megaprobleme manche Leute auf die Straße treiben. Die Lesung selbst scheint so zu verlaufen sein, dass „das Kindswohl der kleinen Besucher (wohl nicht) gefährdet“ war.

Die Grenzen gesprengt hat eher das Anti-Plakat der AfD, das queere Menschen als potentielle Missbrauchstäter darstellte und „offen Anleihen bei antisemitische Karikaturen der NS-Zeit“ nahm. Ein katholischer Pfarrer hat die Partei dafür angezeigt.

 

„Rammstein“- hinter den Kulissen: Gegen den Frontmann der Gruppe Till Lindemann und ein weiteres Band(en)mitglied stehen Vorwürfe im Raum, sie hätten sich weibliche Groupies rekrutieren lassen, sie betäubt und dann sexuell missbraucht. Was schert’s die Fans? Die vier Konzerte in München waren ausverkauft, die Handvoll Gegendemonstrantinnen (und Gegendemonstranten!) erhielten zwar „sehr viel Zuspruch“, waren aber auch Übergriffen und übelsten Beleidigungen durch Rammstein-Fans ausgesetzt. Wer als Mädchen/junge Frau unbedingt hingehen und heil wieder heimkommen möchte, dem sei zur Vorbereitung folgende Karikatur empfohlen:

 

Entschuldigung! Einige Abschnitte haben leider die Grenzen der „Kurzform“ gesprengt!

Bessere Nachrichten – ja, die gab es auch!

Die „Galerie des Grauens“: Was, das soll eine gute Nachricht sein, dass ein besessener Verschwörungstheoretiker eine umfangreiche Ausstellung auf dem Stadtplatz von Miesbach über die vermeintlichen Opfer der Corona-Impfung abhielt – und diese Ausstellung auch noch genehmigt bekam? Eine Ausstellung, die die Impfkampagne mit der Ermordung von Juden in Auschwitz vergleicht und dem Urheber auch schon eine Verurteilung wegen Volksverhetzung eingebracht hat. Nein, die gute Nachricht war der engagierte Leserbrief eines Miesbachers, der allen Menschen dankte, die sich im Gesundheitsbereich dafür eingesetzt hatten, dass durch die Impfkampagne Hundertausende von Todesfällen vermieden wurden und der im „mutigen Verbot der Aktion das richtige Signal“ gesehen hätte.

Ehrendoktortitel für Angela Merkel: Die Ex-Kanzlerin ist in Paris mit der Ehrendoktorwürde der Hochschule Sciences Po ausgezeichnet worden. Es ist vermutlich nicht ihr erster Titel, aber ungewöhnlich (und für viele Deutsche fast schon aus der Zeit gefallen) ist die Begründung, die der Direktor der Hochschule anführte:

„Sie haben mit drei Worten die Ehre Europas gerettet: Wir schaffen das.“

Für manche Chefredakteure sind diese drei Worte immer noch das „Unwort des Jahrzehnts“.

Freispruch in der Türkei – auch das kommt vor: Die Amnesty-Vertreter/innen Taner Kilic, Idil Eser, Günal Kursun und Özlem Dalkiran sind von einem Gericht in Istanbul freigesprochen worden. Sie waren vor sechs Jahren festgenommen worden und saßen monatelang in Haft – und das allein wegen ihrer friedlichen Menschenrechtsarbeit.

 
Die „Terroristen“ nach dem Freispruch


Sintflut in der Ukraine: In der Einleitung habe ich vom Teufel gesprochen. Ich glaube zwar nicht, dass es ihn gibt, lasse ihn aber kurz im Zusammenhang mit der Sprengung des Kachowka-Staudamms wieder erscheinen – wenn auch nur in einer Nebenrolle.

 


Juli 2023


„Wenn der Wind der Veränderung weht,
bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“


Chinesisches Sprichwort

Dieses Sprichwort kam mir in den Sinn, als ich im August von der Forsa-Erhebung im Auftrag des Beamtenbundes las, wonach nur noch 27 Prozent der Bevölkerung den Staat für fähig hielt, seine Aufgaben zu erfüllen. Aber es kam mir auch der Verdacht, dass der Grund für diese Staatsverdrossenheit auch sein könnte, dass den Bürgern aufstößt, dass auch er/sie auf manchen Gebieten einen Beitrag zur Erfüllung dieser Aufgaben zu leisten haben wird, z.B. bei der Herausforderung Klimawandel. Aber da zeigt sich eine merkwürdige Diskrepanz: Zwar ist der Klimawandel für eine breite Mehrheit ein Problem, aber die Bereitschaft zur Veränderung ist eher unterentwickelt – selbst wenn es für viele gar nicht „ans Eingemachte“ gehen würde.

Zurück zum Thema „Staatsverdrossenheit“! Da sollten die Teilnehmer an der ForsaErhebung, aber nicht nur die, doch einmal den Blick auf andere Staaten werfen, wo die Bürger mehr Grund haben, verdrossen, wütend oder verängstigt zu sein, weil der Staat seine Aufgaben nicht wahrnehmen kann, seine Macht massiv überzieht oder Veränderungen blockiert. Wir sind bei den echten

Problemstaaten

Israel

Mit 64 zu 0 Stimmen hat die Knesset das erste Gesetz zur sogenannten Justizreform verabschiedet, die Opposition hatte die Abstimmung boykottiert. Voraus und parallel gab es heftige Proteste – und nur vereinzelt Sympathiekundgebungen. Die Protestbewegung sieht das Land „an der Schwelle zur Diktatur“, der Präsident spricht von einem „nationalen Notstand“, der Polizeipräsident von Tel Aviv tritt zurück, weil er dem Befehl, härter durchzugreifen, nicht nachkommen will, Reservisten drohen damit, nicht mehr zum Dienst zu erscheinen – und der Energieminister fordert die Verhaftung eines Protestführers wegen Aufruhr.

Zur „Zwei-Staaten Lösung“ gibt es seit längerer Zeit eine israelische Binnenversion: ein Staat für die religiösen Nationalisten und ein Staat für die säkularen Demokraten. „Doch lachen, so die SZ, kann darüber gerade niemand mehr.“

Zittern vor der Rechtsregierung muss aber nicht nur das oberste Gericht, sondern auch die Frauen. Die Regierung strebe nach Ansicht von Frauenrechtlerinnen den Aufbau eines religiösen Staates an, in dem Frauen nur eine untergeordnete Rolle spielen würden. Es liegen Gesetzesentwürfe vor, die Frauen vom Richterinnenamt ausschließen, die elektronischen Überwachung von gewalttätigen Männern verhindern und den Frauen den Einblick in die Familienfinanzen verweigern würden. Und wer in bunter Kleidung vor der Klagemauer betet, würde dann nicht nur weggeführt, sondern gleich im Gefängnis landen.

Palästina

Ende Juni erschossen zwei Palästinenser vier Israelis nahe der Siedlung Eli/Westjordanland. Die Siedler bezichtigten die Armee der Tatenlosigkeit und fielen noch am Abend des Anschlags zu Hunderten über mehrere palästinensische Ortschaften her. Da konnte die Armee natürlich nicht im Abseits bleiben. Anfang Juli kam es auf der Suche nach den zwei Verdäch-tigen zu einem massiven Militäreinsatz im Lager Dschenin, mit Bulldozern am Boden und Angriffen aus der Luft. 12 Palästinenser und ein israelischer Soldat wurden getötet, das Lager glich einem Trümmerfeld. Der Einsatz erfolgte unter dem Code-Namen „Heim und Garten“.

Beim Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern stellt sich (wieder so oft in der Geschichte) die Frage, ob der Mensch wirklich die „Krone der Schöpfung“ oder nicht doch eher eine Sackgasse der Entwicklung ist.

Sudan

In der leidgeprüften Region Darfur sind im Juni mindestens 87 Zivilisten getötet und in einem Massengrab verscharrt worden. Täter ist die arabische Miliz RSF, die schon vor 20 Jahren unter dem Namen Dschandschawid/Teufel auf Erden, die nicht-arabische Bevölkerung der Region tyrannisiert hat. Aber die Täter wären austauschbar. Den beiden Generälen ist nur gemeinsam, dass sie keinerlei Interesse haben, ihr Duell zu beenden. Der Teufel soll sie holen!

Der hatte sie leider auch im Oktober noch nicht geholt. Im Lande herrscht ein „mörderisches Patt“.

Iran

Sie ist wieder da – die Sittenpolizei, die Ende 2022 kurzzeitig aus dem Verkehr gezogen wurde, dreht wieder ihre Runden, „um unpassende Kleidung zu bekämpfen“. Ihre Arbeit wurde in der Ruhepause „digitalisiert“: Man hat Kameras an den Straßen installiert und kann damit auch Frauen verfolgen, die gegen die Verschleierungspflicht verstoßen. Die Strafen, so ein Gesetzentwurf, reichen von Verwarnungen über Geldbußen und Berufsverboten bis zu Gefängnisstrafen. Besonders hart sollen Prominente bestraft werden, denn im Herbst 2022 hatten sich zahlreiche Fimschaffende mit der Frauenbewegung solidarisiert.

Der Entwurf scheint inzwischen schon Gesetz zu sein, denn die Schauspielerin Afsaneh Bajegan, die bei einer Veranstaltung zu Ehren eines Kollegen ohne Kopftuch erschienen war, wurde zu zwei Jahren Haft auf Bewährung, zwei Jahren Ausreiseverbot und fünf Jahren Aussperrung von den sozialen Medien verurteilt. Besonders pikant ist die Auflage, dass sie sich einmal die Woche einer psychologischen Behandlung unterziehen muss. Da sollte man eher die Sittenpolizei und ihre Drahtzieher hinschicken.

 
Afsaneh Bajegan – mal ohne mal mit,

Thailand

Dort hat ein Verbund von Militärs und 250 Militär-hörigen Senatoren dem Wahlsieger Pita Limjaroenrat, dessen Partei Move Forward/MFP für einen tiefgreifenden Wandel im Land eintritt, den Wahlsieg gestohlen. In der ersten Abstimmung fiel Pita durch, weil seine Koalition keine Mehrheit bekam, zur zweiten Abstimmung durfte er gar nicht mehr antreten, weil ihn das (ebenfalls konservative) Verfassungsgericht wegen einer fragwürdigen Firmenbeteiligung noch während der laufenden Debatte suspendierte. Von seinen Gegnern vorgeschoben wurde, dass die MFP auch das vorsintflutliche Majestätsbeleidigungsgesetz überarbeiten möchte, aber im Grunde geht es um Abbau von Privilegien, demokratische Reformen, kurz um alt gegen neu – womit wir wieder beim Sprichwort des Monatsanfangs gelandet wären. Im August ist dann der Chef der zweitstärksten Partei als Premierminister eingesprungen. Eine online-Zeitung formulierte: Er hat sich mit den konservativen Parteien des Militärs „ins Bett gelegt“. Pita Limjaroenrat trat im September als Parteichef von MFP zurück. Damit ist wieder Ruhe im Regenwald.

Flüchtlinge und Asyl

Neben den Naturkatastrophen (Waldbrände, Überschwemmungen etc.) auch kein Thema, das Entspannungspotential hat.

Landkreis Miesbach

Da fand in Neuhaus eine Veranstaltung zum Thema „Ausnahmezustand an den Rändern Europas“ statt. Gesprochen wurde u.a. über die Zustände im griechischen Flüchtlingslager Moria, den Rechtsverstößen an den europäischen Außengrenzen und den Höhenflug rechter Parteien. Es herrschte zwar, so der Merkur, „ein großer Redebedarf“, aber zu einem „Ausnahmezustand“ im Publikum scheint es nicht gekommen zu sein. Moderiert wurde die Veranstaltung übrigens von Hubert Heinhold, der auch Mitglied unserer Gruppe ist.

Näher am „Ausnahmezustand“ war man schon beim Gespräch des Miesbacher Bürgermeisters mit unserem CSU-Bundestagsabgeordneten Alexander Radwan. Die Stadt und der Landkreis wenden sich mit Nachdruck gegen weitere Flüchtlingszuweisungen, mit der Integration „sei man am Limit“, aus dem Helferkreis werde „SOS gefunkt“. Bis jetzt sind aber, im Gegensatz zu den Flüchtlingsbooten, bei den Helfern noch genügend Schwimmwesten vorhanden.

Überfall

In Sebnitz/Sachsen haben vier maskierte Männer Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft attackiert, die Hintertüre eingetreten, einen Afghanen gegen eine Wand gestoßen und ihn mit Gegenständen beworfen. Bild beschaffte sich das Handyfoto eines Angreifers von einem Mitbewohner

 
Und die Fahne flattert uns voran

und titelte

„Das sind die Masken-Nazis aus dem Treppenhaus.“

Und da hat Bild einmal recht.

Deal mit Tunesien

Die EU hat mit Tunesien eine Absichtserklärung unterzeichnet, mit der die „irreguläre Migration“ über das Mittelmeer reduziert und chancenlose Flüchtlinge zurückgenommen werden sollen. Der Deal wurde als „hässlich aber nötig“ bezeichnet, gilt als Blaupause für weitere Abkommen mit afrikanischen Anrainerstaaten und wurde von Pro Asyl und grünen Politikern abgelehnt, weil man ihn mit einem „Autokraten“ ausgehandelt hat, „dessen Sicherheitskräfte Menschen in die Sahara verschleppen und dort ohne Wasser aussetzen“. Davon gibt es Fotos, die uns selbst in der Hitzewelle frösteln lassen. Das Foto von Fati Dosso und ihrer sechsjährigen Tochter Marie, die dabei verdurstet sind, wollen wir Ihnen/uns lieber ersparen.


 
 Ausgesetzt in der Wüste

Ein Leitartikel in der SZ versucht sich in Alternativen: Europa muss Perspektiven schaffen für Menschen in den Ländern, wo die Flüchtlinge ursprünglich herkommen, und man muss sie wissen lassen, dass es Chancen gibt, legal nach Europa zu kommen, „keine Garantie, aber eine Chance“. Das Problem ist, dass man keine legalen Kanäle für Armutsflüchtlinge schaffen wird und, angesichts ihrer Zahl, wohl auch nicht kann.

Institutsgarantie – Königsweg oder Hintertürl?

Vom Unionspolitiker Thorsten Frei wurde die Forderung erhoben, aus dem Individualrecht auf Asyl eine Institutionsgarantie zu machen. Das Wort klingt besser als es ist, schon weil es nirgendwo so richtig erklärt wird. Es meint wohl, dass Asyl in irgendeiner Form weiter existiert, aber in abgespeckter Form. Wer von Europa aus Schutz begehrt, wird abgewiesen, wer Schutz braucht, soll dies im Ausland beantragen. Wenn man Glück habe, käme man dann in ein Kontingent von 300 000 bis 400 000 Ausreiseberechtigten, die auf europäische Länder verteilt werden könnten. Auf diese Weise könne man den Flüchtlingen die Gefahren des Fluchtwegs ersparen, den Alten und Schwachen einen Zugangsweg schaffen – und damit die Zahl der jungen Männer reduzieren, die bei uns nur Blödsinn machen. Letzteres hat Frei so nicht gesagt! Außerdem könne man damit verhindern, dass Flüchtlinge bei Ablehnung den deutschen Rechtsweg belasten, denn mit Einsprüchen, die von Afghanistan aus erfolgen, wird sich kein deutsches Gericht befassen.

Nach Meinung der Kritiker ist Freis Vorschlag „realitätsfremd“, weil sich Flüchtlinge trotzdem auf den Weg machen werden, nicht zuletzt deswegen, weil es beispielsweise in Bürgerkriegsgebieten nicht an jeder Ecke ein EU-Büro gibt, wo man sich als Kontingentflüchtling anmelden kann – schon gar nicht, wenn man alt und krank ist.

Freis Vorschlag fiel bei einer Umfrage durch. Nur 32 Prozent der Bundesbürger waren dafür, das individuelle Asylrecht abzuschaffen. Wir sind doch nicht so fremdenfeindlich, wie wir manchmal glauben.

Sturm aufs Kirchenasyl

Im Landkreis Viersen/NRW schickte die Ausländerbehörde morgens um sechs Uhr Beamte in ein evangelisches Gemeindehaus und ließ ein kurdisches Paar aus den Kirchenräumen holen, wenige Tage bevor die sechsmonatige Überstellfrist abgelaufen wäre und das Paar nicht mehr in das Einreiseland Polen hätte abgeschoben können, sondern ein Asylverfahren in Deutschland bekommen hätte. Zur Abschiebung kam es dann nicht, weil die Frau auf dem Flughafen einen Zusammenbruch erlitt und die Abschiebung abgesagt wurde, weil es „Unklarheiten in der Bewertung des Falls“ gegeben hätte. Der Verdacht, man habe einen Versuchsballon gestartet, um auszukundschaften, wie weit man bei der Sabotage des Kirchenasyls gehen könne, ist nicht von der Hand zu weisen.

Verzerrung der Perspektiven

Es gab im Nachhinein erhebliche Kritik an dem Unternehmen der Tauchkapsel „Titan“, aber durch den schrecklichen Tod der Besatzung ist diese Kritik in den Hintergrund geraten. Was der Zeichner aber zu Recht in den Fokus rückt, ist die unterschiedliche Intensität (und Kapazität), mit der man sich um die anderen Opfer des Meeres kümmert.


 

AI-Nachrichten – Nein, danke? – Doch, es muss sein!

Kopfgeld: Im Rahmen seiner „globalen Einschüchterungskampagne“ hat China ein Kopfgeld von jeweils einer Million Hongkong-Dollar (rund 117.000 €) auf acht Aktivisten ausgesetzt, die sich in der Demokratiebewegung engagiert hatten und dann ins Exil gingen. „Die Kriminellen“, so Hongkongs Regierungschef, würden „ihr Leben lang verfolgt, bis sie sich stellen“. Das chinesische Außenministerium verbat sich Kritik als „Einmischung in innere Angelegenheiten“. Dass ein Kidnapping/Kidkilling in einem der Zufluchtsländer der Aktivisten auch eine gewisse „Einmischung“ darstellen könnte, ist für die aufstrebende Rambo-Weltmacht kein Thema.

Häusliche Gewalt: Bei der Vorstellung des „Lagebildes häusliche Gewalt“ sind die Zahlen in Deutschland so, dass man fast in Versuchung gerät, selbst gewalttätig zu werden – gegen die Täter. Man braucht hier nicht (lange) zu gendern, denn zu 80% geht die Gewalt von den Männern aus. Alle zwei Minuten wird ein Mensch Opfer von Partnerschafts- oder innerfamiliärer Gewalt, und jeden dritten Tag führt ein versuchtes Tötungsdelikt tatsächlich zum Tod der Frau. Die Tendenz ist steigend, der Anstieg setzte sich auch nach der Pandemie fort. Und der Bericht spiegelt nur das „Hellfeld“ der Lage, viele Fälle werde nie zur Anzeige gebracht.

Zur Abschreckung wird vorgeschlagen: Wenn Kinder das Opfer sind, muss der Täter „selbstverständlich“ das Umgangsrecht verlieren, ein „Annäherungsverbot“ muss von der Polizei auch kontrolliert werden – und dafür wäre eine elektronische Fußfessel gut geeignet. Aber davor schreckt man noch zurück. Dabei könnte man einen übergriffigen Stalker mit der Frage „Ist das Ihr Handy, das piept oder schon die Fußfessel?“ doch etwas in Verlegenheit bringen.

Pressefreiheit: Im Iran stehen die Journalistinnen Elaheh Mohammadi und Nilufar Hamedi vor dem Revolutionsgericht. Die Anklagepunkte folgen der üblichen Litanei: „Verschwörung gegen den Staat und die nationale Sicherheit, Kooperation mit dem Feindstaat USA“. Das mit der „nationalen Sicherheit“ ist aus der Sicht des Regimes irgendwie verständlich, denn die beiden Frauen waren unter den ersten, die über Jina Mahsa Amini berichteten, deren Tod im September 2022 zu einer Protestwelle führte, die für kurze Zeit die Hoffnung aufkommen ließ, dass die Tage der Mullahs gezählt seien. Jetzt ist die Zeit der Rache angesagt, und damit hat man einen Richter beauftragt, der „für besonders harte Urteile bekannt ist“.

 
Ein Foto vor dem Urteil

Im Oktober wurden sie zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, im Januar 2024 gegen eine Zahlung von 200.000 € Kaution (vorläufig) freigelassen.

„Was passiert mit der Pressefreiheit, wenn die AfD das Sagen hat?“ Mit diesem Untertitel entwarf die SZ ein düsteres Szenarium zum Umgang der Partei mit der „Lügenpresse“. Als Beispiel fungierte der AfD-Bürgermeister von Burladingen/Baden-Württemberg. Er hatte schon im Jahre 2018 gegenüber den Journalisten des Schwarzwälder Boten ein Hausverbot fürs Rathaus erlassen und ihnen eine strafrechtliche Verfolgung angedroht, sollten sie weiter über städtische Einrichtungen berichten. Das Hausverbot musste er damals zurücknehmen, nachdem die Zeitung einen Anwalt eingeschaltet hatte, aber man möchte sich nicht ausmalen, wie so etwas vor einen Volksgerichtshof geendet hätte.

Zwangsräumung: In Ostjerusalem wurde die Familie Sub-Laban aus ihrem Haus vertrieben, das sie seit 1953 bewohnt hatte. Ein Gesetz erlaubt es Juden, Grundstücke zurückzufordern, die vor dem Jahre 1948, dem Jahr der Staatsgründung, in jüdischem Besitz waren. Einen vergleichbaren Anspruch auf Rückgabe von „Alteigentum“ gibt es für Palästinenser nicht. Das Gesetz kommt den Siedlerverbänden entgegen, die es systematisch darauf angelegt haben, einen „Bevölkerungsaustausch“ durchzuführen und Jerusalem zu „entpalästinisieren“.

Streumunition: Die Zusage der USA, der Ukraine Streubomben zu liefern, ist auf massive Kritik und verquere Zustimmung gestoßen. Die Munition ist völkerrechtlich geächtet, weil sie mehr Zivilisten in Gefahr bringt und durch Blindgänger auch noch nach dem Krieg töten kann. Bundespräsident Steinmeier möchte „den USA nicht in den Arm fallen“, der Sicherheitsberater in Washington erklärte, die Ukraine „habe zugesichert, die Waffen sehr vorsichtig einzusetzen“. UN-Generalsekretär Guterres kritisierte den „Einsatz von Streumunition auf dem Schlachtfeld“, die NATO-Partner Großbritannien und Spanien lehnten die Lieferung ab. Auch wir sind natürlich der Meinung, dass man die bescheidenen Versuche, einen Krieg zu „zähmen“, nicht auch noch unterlaufen sollte.

 

Haftbedingungen in Belarus: „Unsere Gefängnisse sind Orte des langsamen Tötens“, sagte Natalja Pintschuk, Frau des Friedensnobelpreisträgers Ales Bjaljazki, die es noch geschafft hatte, das Land rechtzeitig zu verlassen. Die politischen Gefangenen dürfen keine Besuche empfangen, keine Telefonate annehmen, erhalten selten Briefe. Auf dem Handy der Ehefrauen tauchen anonyme Texte auf, die vom Tod ihres Mannes berichten. Und auch die Anwälte müssen mit Repressalien rechnen. Jetzt bereiten internationale Juristen in Bjaljazkis Namen eine Erklärung an den UN-Sonderberichterstatter vor. Es ist zu befürchten, dass sie im selben Papierkorb landet, wie ihre Vorgänger.

Sklaverei: Da hat sich Ron DeSantis, republikanischer Präsidentschaftskandidat und Gouverneur von Florida einen echten „Gag“ erlaubt, um den Listenführer Trump rechtsrassistisch zu überbieten. Er hat dafür gesorgt, dass der Bildungsrat seines Bundesstaates in den Lernzielen der Schulen „klarstellt“, dass Sklaven bei ihrer (Zwangs)Arbeit Fertigkeiten erwarben, „die sie, in einigen Fällen, zu ihrem eigenen Vorteil einsetzen konnten“. Kinder sollten beispielsweise lernen, wie ein versklavter Schmied „später im Leben Sachen gemacht hat“ – sofern, aber das sagt DeSantis nicht, er es überhaupt in ein „späteres Leben“ geschafft hat.

DeSantis sollte sich an Kardinal Marx ein Beispiel nehmen, der die Nachkommen von
17 Zivilisten, die im Juni 1944 in Filetto/Italien unter Beteiligung des späteren Weihbischofs Defregger erschossen worden waren, um Verzeihung bat – mit etwas Verspätung, aber immerhin. DeSantis hätte darauf hingewiesen, die Erschießung hätte auch einen positiven Effekt gehabt, weil man damit den 17 Zivilisten früher zum ewigen Leben verholfen hätte.

Todesstrafe: Singapur hat erstmals seit fast 20 Jahren wieder ein Todesurteil gegen eine Frau vollstreckt. Man darf ja nicht den Anschluss (an China, Iran, USA) verpassen. Die Frau war 2018 wegen des Besitzes von knapp 31 Gramm reinen Heroins verurteilt worden. Eine Woche später fanden die Hinrichtungen gleich im Dreierpack statt. AI betonte, dass es keine Belege dafür gibt, dass die Todesstrafe nennenswerte Auswirkungen auf Konsum und Verfügbarkeit illegaler Drogen habe. Aber der Stadtstaat verfährt wie ein deutscher Filmtitel: „Wer früher stirbt, ist länger tot.“

Ich habe gemerkt, dass der Juli schon sehr viel Platz eingenommen hat, deshalb biete ich

Verschiedenes im Schnelldurchgang

- Kriminelle Vereinigung(en)? Einige Ermittlungsbehörden in Bayern haben intern Zweifel geäußert, dass die „Letzte Generation“ eine kriminelle Vereinigung ist. Diese Einschätzung war offensichtlich so intern, dass sie noch nicht bis zur Generalstaatsanwaltschaft München vorgedrungen ist. Die ließ seit Oktober 2022 vorsorglich Gespräche der „Letzten Generation“ mit Journalisten abhören. Ende Juni wurde verlautet, dass die Abhöraktion inzwischen eingestellt ist. Hoffentlich!

- Umstrittener Freispruch: Der Inspekteur der Polizei Baden-Württembergs wurde vom Vorwurf der sexuellen Nötigung freigesprochen – aus Mangel an Beweisen. Er war angeklagt, die Abhängigkeit einer jungen Kommissarin entsprechend ausgenutzt zu haben. In der Urteilsbegründung nahm der Richter die Frau auseinander und führte „fast genüsslich“ vor, wie sie die Zärtlichkeiten ihres Chefs geschätzt habe. Als er am Schluss dann sagte, man müsse „die Opfer von sexuellen Übergriffen ermutigen, Anzeige zu erstatten“, lachte der ganze Saal.

- Paralleljustiz: In NRW ist ein Konflikt zwischen zwei Clans beigelegt worden. Der Friedensschluss hat aber einen mehr als faden Beigeschmack. Er wurde von einem (islamischen) „Friedensrichter“ getätigt, der von beiden Seiten akzeptiert wurde. Die deutschen Behörden blieben außen vor, obwohl Mitglieder der Clans auch in Straftaten verwickelt waren. Das stoßt auf, auch wenn man kein AfD’ler ist.

- „Bürgerkrieg“ auf deutschem Boden: In Gießen ist das „Familienfest“ der Eritreer ausgeartet. Es gab 26 verletzte Polizisten und 125 Strafanzeigen wegen Landfriedensbruch. Die Konfliktparteien: die Veranstalter des Eritrea-Festivals, denen eine Nähe zum autoritären Regime am Horn von Afrika nachgesagt wird, und die Flüchtlinge, die vor diesem Regime geflohen sind. Und dazwischen an die 1 000 Polizisten. Obwohl es bereits in der Vergangenheit zu Ausschreitungen gekommen war, hatte der Hessische Verwaltungsgerichtshof das Festival wieder gestattet. In den nächsten Jahren sollten Stadt und Gericht dafür sorgen, dass zuhause gefeiert wird.

In Stuttgart das gleiche Bild: Die Stadt genehmigte die Veranstaltung, da „keine Gründe für ein Verbot vorlagen“, die Situation eskalierte, weil die Gegner der Eritrea-Vereine Polizei und Teilnehmer angriffen, und es gab erneut Verletzte und Festnahmen. Selbst wenn man der Meinung ist, dass es keinen Grund gibt, dass man seine Loyalität zu einem der repressivsten Systeme Afrikas auch noch feiert, fehlt einem jegliches Verständnis, dass die Anhänger der „Brigade Nhamedu“/eine Gruppe junger Oppositioneller ihren Protest durch Krawalle auf Deutschlands Straßen auslebt. „Das“, so eine CSU-Abgeordnete, „muss sich der Staat nicht gefallen lassen.“

- Brisante Studie: Die Uni Leipzig legte eine Studie vor, in der 3500 Bürger Ostdeutschlands zu „autoritären Dynamiken und Unzufriedenheit mit der Demokratie“, so der Titel der Studie, befragt wurden. Es gab „hohe Zustimmungswerte zu Chauvinismus und rechtsextremen und migrationskritischen Aussagen“. Besonders befremdlich die Zahlen, die bezeugen, dass die braune Vergangenheit vergessen ist, obwohl die Formulierungen der Fragesteller (bewusst) im Nazijargon gehalten waren. Es stimmten 26,3 Prozent der Befragten zu, dass Deutschland jetzt eine „starke Partei brauche, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“. Und 14 Prozent fanden die Aussage richtig: „Wir sollten einen haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert.“ Da würden wir dann sagen: „Heil Höcke!“

Der Trend nach rechts ist aber beileibe nicht auf Ostdeutschland beschränkt. Eine weitere Studie, die im September veröffentlicht wurde, zeigte, dass

„dass mit rund acht Prozent bei weit mehr Bundesbürgern ein extrem rechtes Weltbild festgestellt wurde als noch vor zwei Jahren – damals waren es unter zwei Prozent.“

Dazu ein Vexierbild!

 

Aufheller – wie man’s nimmt

Myanmar: Aung San Suu Kyi, Ex-de-facto Regierungschefin von Myanmar, soll vom Gefängnis in den Hausarrest verlegt worden sein. Da gehört sie nach Meinung des Militärs als Frau auch hin. Und sie kennt sich aus mit dieser Behausung, denn seit 1989 hat sie ca.
15 Jahre im Hausarrest verbracht. Sie ist jetzt 78 Jahre alt und derzeit zu 33 Jahren Haft verurteilt. Anfang August soll die Haftstrafe auf 27 Jahre reduziert worden sein. Es wäre höchste Zeit, dass die Putschgeneräle wieder „weggeputscht“/abgewählt werden. Aber noch hält China seine schützende Hand über sie.

Brasilien: Präsident Lula hatte nach seinem Wahlsieg das Versprechen abgegeben, bis 2030 die Abholzung des Regenwaldes zu stoppen. Auch wenn die Daten noch nicht definitiv sind, scheint er dieses Versprechen auch einzulösen. Von Januar bis Juni 2023 wurde gut ein Drittel weniger Wald gerodet als im Vorjahreszeitraum, als noch der Kahlschläger Bolsonaro im Amte war.

Hongkong: Was hat denn eine Nachricht aus dieser Stadt unter den „Aufhellern“ zu suchen? Sie werden es nicht glauben: Der Oberste Gerichtshof Hongkongs hat einen Antrag der Stadtregierung zurückgewiesen, die Ausstrahlung und Verbreitung des Protestsongs „Glory to Hong Kong“ zu verbieten. Allerdings hat die Regierung 28 Tage Zeit, um Berufung einzulegen. In dieser Zeit wird der Richter sicher noch einen Anruf aus Peking bekommen.

München/Odeonsplatz: 8 000 Menschen demonstrierten unter dem Motto „Ausgetrumpt“ gegen Rechtspopulismus und die Spaltung der Gesellschaft – als Antwort auf den Aufmarsch der lärmenden „schweigenden Mehrheit“ in Erding. Der Linkskabarettist Christian Springer wurde sehr deutlich, als er zum Auftakt sagte:

„Aber dass wir heute überhaupt hier sein müssen, weil es zu viele gibt, die die Demokratie angreifen, ist ein Armutszeugnis.“

Der Merkur freute sich in einem Leitartikel, dass weniger Leute als in Erding gekommen waren und vergaß zu erwähnen, dass beim Protest auf der Theresienwiese gegen die Energiepolitik nur 250 Teilnehmer erschienen, obwohl 20 000 angemeldet waren.

Und weil wir schon (wieder) bei „Erding“ sind: In einer Umfrage verurteilte eine Mehrheit von 61 Prozent die Äußerung Aiwangers, dass man „sich die Demokratie zurückholen“ müsse. Selbst bei den Freien Wählern gingen noch 43 Prozent auf Distanz. Zu „Aiwanger“ – Fortsetzung folgt im August.

Rottach-Egern: Das Landgericht München I sprach Manfred Genditzki frei, der vor fast 14 Jahren in einem Indizienprozess zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Ein neuer Gutachter stellte fest, dass es sich beim sogenannten „Badewannen-Mord“ an einer Rentnerin um einen Unfall gehandelt hat. Die Vorsitzende Richterin übte scharfe Kritik an Ermittlern und Staatsanwaltschaft. Sie sprach von einer „Kumulation von Fehlleistungen“. Ob sie auch ihre Richterkollegen mit gemeint hat, war nicht herauszufinden. Dass es zum Freispruch kam, verdankt Genditzki neben dem Gutachter der engagierten Bürgerinitiative von Tegernsees Alt-Bürgermeister Peter Janssen und der hartnäckigen Rechtsanwältin Regina Rick.

Seine Ehefrau meinte: „Endlich, aber die 14 Jahre bringt niemand zurück.“


August 2023


„Der „Klimaschutz geht uns am Arsch vorbei.
Wir wollen Wohlstand!“

Demo in Aschaffenburg im August 2023

Da hat der Plakatbeschreiber gut bei der Demo in Erding aufgepasst, wo Aiwanger der Berliner Politik den Defiliermarsch geblasen hat. Und er hat die „alten weißen Männer“ bedient, die sich mit einem genüsslichen Rülpser freuen, wenn die „rot-grüne Mischpoke“ wieder einen vor den Latz kriegt.

 


„Wir wollen Anstand!“

Rätselhafter Angriff auf AfD-Politiker: In Augsburg wurde der AfD-Politiker Andreas Jurca nach eigenen Angaben von einer Gruppe von „Südländern“ angegriffen und niedergeschlagen. Das Foto von seinen Verletzungen zeigen deutliche Verletzungen im Gesicht. Allerdings wird derzeit in zwei Richtungen ermittelt: Ein „antifaschistischer Aktivist“ (so die Bildzeitung) aus dem Saarland hat Anklage wegen „Vortäuschung einer Straftat“ und „Volksverhetzung“ erhoben.

Grüner Härtetest in Chieming: Wenig Freude hatten die Grünen über ein volles Bierzelt in Hart, einem Ortsteil von Chieming. Die Redner hatten Mühe, sich gegen die Trillerpfeifen und „Haut-ab!“-Chöre durchzusetzen. Vor dem Zelt ein Proteststand, besetzt von drei „normalen Handwerkern“, die ein „grenzwertiges Sortiment“ an potentiellen Wurfgeschossen anboten: Tomaten, Eier, kleine und große Steine. Mit am Stand Flyer der Jungen Union, was „aber nicht organisiert war“, so der CSU-Landtagskandidat. Müssen wohl vom Himmel gefallen sein!

 
Multifunktionelle Produktpalette

Eskalation am Mittleren Ring: Am Tag 3 der Protestwelle der Letzten Generation in Mün-chen ist einigen Autofahrern, so die Verniedlichung im Merkur, „der Geduldsfaden gerissen“. Ein Autofahrer nahm zwei Aktivisten auf die Motorhaube und gab Gas, ein Jeepfahrer fuhr weiter, obwohl vor ihm ein Mensch stand. Jetzt soll auch gegen übergriffige Autofahrer wegen „Nötigung und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr“ ermittelt werden. Von einen Präventivgewahrsam für wütende Autofahrer hat man leider noch nichts gehört. Wären zu viele!

Aiwangers Jugend-/Judenstreich: Obwohl Hubert Aiwanger in einer Talkshow mit seinem Klagelied über die „formale Demokratie“ noch einen draufgesattelt hatte, wurde er im August v.a. wegen der Flugblattaffäre kritisiert – und entschuldet. Noch einmal in Stichworten – soweit „erinnerlich“: KZ-Flugblatt (vom Bruder verfasst), Fundort Schultasche (zwecks Deeskalation), schulische Höchststrafe (Referat übers 3. Reich). Das Hitlerbärtchen wurde ihm wahrscheinlich vom Fotografen raufretuschiert, die Judenwitze hat er erzählt, um seinen Abscheu gegenüber Leuten auszudrücken, die Judenwitze erzählen. (Vorsicht Satire!) Söder hat ihm im September „Reue und Demut“ verordnet, aber Aiwanger hat das so verstanden, dass man seine Gegner demütigen müsse, damit sie ihre Hexenjagd gebührlich bereuen könnten. Wer jetzt noch von einem verzeihlichen „Jugendstreich“ spricht, sollte bedenken, dass sich Aiwanger weitgehend gleichgeblieben ist. Heute hetzt er halt gegen Grüne, Genderer, Rote und Veganer. Und seine Partei liegt im September bei 17 Prozent!

Konfliktzonen – in Kürze

Pakistan: Der Ex-Premier Imran Khan sollte für drei Jahre ins Gefängnis. Er war im Volke sehr beliebt, hatte sich mit den zwei Politdynastien angelegt, die sich wiederum die Unterstützung des Militärs gesichert hatten. Das reichte für eine Anklage wegen Korruption. Ende August ordnete ein Gericht seine Freilassung an.

Niger: Unklar ist die Lage im westafrikanischen Land, das bisher als stabil gegolten hatte. Das Militär, das anscheinend sonst nichts zu tun hatte, stürzte den Präsidenten Bazoum, sperrte ihn samt Familie in den Keller seiner Residenz, setzte sie dort auf eine Notration von Reis und Nudeln und drehte ihnen den Strom und das saubere Wasser ab.

Indien: Ein Pilgerzug der anderen Art marschierte durch den Distrikt Nuh, 80 Kilometer südlich von Delhi. Die Gegend wird von vielen Muslimen bewohnt, und deshalb nahmen die Hindu-Pilger Stöcke, Schwerter und Schusswaffen mit. Als sie mit Brandbomben empfangen wurden, attackierten sie eine Moschee und töteten den Imam. Zu den zehn Lebensregeln des Hinduismus gehört übrigens „nicht zerstören und nicht verletzen“.

Israel/Palästina: In Tel Aviv wurden bei einem Schusswechsel auf offener Straße ein Polizist und ein Palästinenser getötet. Der Palästinenser hatte offensichtlich ein Attentat geplant, „um Märtyrer zu werden“. Im Gazastreifen wurden sieben Palästinenser wegen angeblicher Kollaboration mit Israel zum Tode verurteilt. Es ist zum Verzweifeln, aber „sie (alle) in die Erde schlagen, dass sie nicht mehr aufstehn“ (Psalm 140), ist für diese Region auch keine Lösung.

Ecuador am Abgrund“ war die Schlagzeile, als kurz vor der Präsidentschaftswahl der Kandidat Fernando Villavicencio ermordet wurde. Er war bekannt als Kritiker von Korruption und den Verflechtungen von ecuadorianischen Politikern mit dem organisierten Verbrechen. Jetzt kann man sich aussuchen, wer hinter dem Mord steckt. Der Miesbacher Heinrich Rosner, seit Jahren im Lande als Priester tätig, hatte in ihm einen echten Hoffnungsträger gesehen.

Russland: Die Maßnahmen gegen Kritiker an Putin und dem Krieg haben sich deutlich verschärft. AI spricht von 20 000 Sowjetbürgern, die kriminalisiert wurden, weil sie sich gegen den Krieg ausgesprochen – oder ihn nicht ausdrücklich befürwortet hatten. Ein Lehrer bekam fünfeinhalb Jahre Lagerhaft, weil er Putin, in Anspielung auf Hitler, als „Putler“ bezeichnet hatte, eine zustimmende Emoji unter einen kritischen Kommentar kann zu Gefängnisstrafen führen, Kinder werden zum Denunzieren von Eltern, Mitschülern und Lehrern erzogen. Die Atmosphäre erinnert immer mehr an den Großen Terror unter Stalin.

Und im Inland?

Wortwahl: In der ersten Version eines Interviews hat der CSU-Politiker Peter Ramsauer ein Zitat des früheren Chinesenchefs Deng Xiaoping etwas ungeschickt mit der deutschen Einwanderungspolitik verknüpft. Das Zitat lautete: „Wenn man die Fenster zu weit aufmacht, kommt auch viel Ungeziefer mit rein.“ Ramsauer wollte davor warnen, dass man neben den Fachkräften auch „x-beliebige Wirtschaftsflüchtlinge“ ins Land holen würde. Es waren dann aber nicht nur die Schufte, die sich bei diesem Link etwas Böses dachten, und so wurde das Zitat sehr schnell aus dem Interview entfernt.

Sippenhaft: Nicht gerade rechtsstaatkonform ist das Diskussionspapier, das das Bundesinnenministerium/BMI vorgelegt hat. Angehörige krimineller Clans sollen in Zukunft auch abgeschoben werden können, wenn sie noch gar nicht wegen einer Straftat verurteilt worden sind. Ein Sprecher des BMI ist inzwischen vom Papier abgerückt. Für eine Abschiebung müsse es einen klaren Bezug zu kriminellen Aktivitäten geben, eine Familienzugehörigkeit reiche nicht. Meinen wir auch!

Übergriffe: Die Ermittlungen gegen den Rammstein-Sänger Till Lindemann wegen des Verdachts auf Begehung von Sexualdelikten und Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz wurden aus Mangel an Beweisen eingestellt. Den Ermittlern standen keine mutmaßlich Geschädigten als Zeuginnen zur Verfügung, oder die Mädchen wollten anonym bleiben. Alles nur Einbildung oder Angst vor einem Shitstorm? Wer in eine ähnliche Lage wie Lindemann kommt, dem wäre zu raten, den Namen des Verteidigers zu googeln. Da das Verfahren „bei neuer Beweislage“ bis zur Verjährungsfrist wieder aufgenommen werden kann, sollte sich der Sänger in dieser Zeit (und auch danach!) auf seine Musik beschränken.

Strafverschärfung: Härter als in der Vorinstanz ging die Justiz mit der IS-Rückkehrerin Jennifer W. ins Gericht. Im Irak hatte sie im August 2015 tatenlos zugesehen, wie ein versklavtes Jessidenmädchen bei sengender Hitze verdurstete. In einem 2. Verfahren wurde die Tat nicht mehr als „minderschwerer Fall“ gewertet und das Strafmaß auf 14 Jahre erhöht. Verschärfend kam hinzu, dass sie der Mutter eine Pistole an den Kopf hielt und ihr mit Erschießung drohte, falls sie nicht aufhöre, um ihr ermordetes Kind zu weinen.

Störmanöver: Rund 600 Teilnehmer, nahmen am Christopher Street Day/CSD in Weißenfels/Sachsen-Anhalt teil. Am Straßenrand ca. 20 Rechtsradikale, die Gegenstände warfen und verbale Drohungen äußerten. Die Polizei war fahrlässig unterbesetzt, obwohl man die Bedrohungslage kannte. Der CDU-Landrat wertete die Teilnehmerzahl als Erfolg und betonte, dass auch „bei uns queere Menschen leben, die selbstverständlich … dazugehören“.

AfD- tut (nicht allen) weh!

Die queeren Menschen gehören, neben Nichtweißen, Juden und Mitgliedern der Antifa zu den Spezien, für die, meint die SZ, „der Aufstieg der AfD lebensbedrohlich ist“. Der jüdische Publizist Michel Friedmann würde bei einem Sieg der Partei im Bund noch am selben Tag den Koffer packen. Mit den Wählern der Partei geht die Zeitung hart ins Gericht: Eine Wahlentscheidung für die AfD sei „demokratie- und menschenfeindlich“.

Das sehen einige Leserbriefschreiber des Merkur etwas anders. Ausgehend von der Kritik an der (Ampel)Regierung, die den „Untergang Deutschlands“ herbeiführt, haben sie viel Verständnis für eine Position „ein Stückchen rechts von der Mitte“ und fordern die Schleifung der Brandmauer, um eine Zusammenarbeit mit der AfD hoffähig zu machen und sie (möglicherweise) zu verbürgerlichen. Das hat aber schon in der Weimarer Republik nicht funktioniert.

Die Präsidentin des ZK der deutschen Katholiken hält an der Brandmauer fest. Sie ist dagegen, dass AfD-Mitglieder Laienämter in der katholischen Kirche wahrnehmen.

AI-Nachrichten – überblättern, wenn Sie gerade essen

Politische Gefangene: Unser türkischer „Stammgast“ ist Osman Kavala. Er scheint dem Erdogan ähnlich „ans Herz gewachsen“ zu sein wie Nawalny dem Putin. Kavala sitzt seit sechs Jahren für Vergehen ein, für die es keine Beweise gibt oder für die er schon einmal freigesprochen wurde. Seine Kollegin Asena Günal beschreibt das Vorgehen der türkischen Justiz wie folgt:

„In der Türkei suche man nicht mehr nach dem Täter für ein Verbrechen. Man habe einen Beschuldigten und überlege, was er verbrochen haben könnte.“

 
Türkische Häftlinge diskutieren über Politik

Frauenrechte: In Israel soll nicht nur das Oberste Gericht in seinen Rechten beschnitten werden, auch die Frauen gehören, auf Betreiben der religiösen Kräfte, wieder auf ihren Platz verwiesen. In der Küstenstadt Aschdod forderte der Busfahrer eine Gruppe von Teenagern in sommerlicher Kleidung auf „sich züchtig zu bedecken und sich auf die hinteren Plätze zu setzen“. Der Mann war wohl beim Anblick von nackter Haut in seinem Konzentrationsvermögen eingeschränkt. Oder er befürwortet den Gesetzesentwurf, der die Befugnisse der Rabbinatsgerichte ausweiten soll, wo Frauen als Richterinnen nicht zugelassen sind. Fälle von Diskriminierung nehmen zu – und das in einem Land, das einmal bei der Gleichstellung eine Vorreiterrolle einnahm.

Christenverfolgung: Nein, wir sind nicht bei Diokletian im alten Rom, sondern im Pakistan des 21. Jahrhunderts. In der Hauptstadt Islamabad zog ein wütender Mob durch ein Christenviertel, zündete ein Dutzend Kirchen an und sorgte dafür, dass die Bewohner in Panik ihre Häuser verließen und die Nacht auf dem Feld verbrachten. Gegen zwei junge Christen wurde der Verdacht erhoben, sie hätten den Koran geschändet. Politiker verurteilten die Ausschreitungen, lassen aber den radikalen Predigern freien Lauf. Und wenn es in Pakistan um Blasphemie geht, sind sowieso keine Beweise erforderlich. Und das war schon so, bevor in Schweden der Koran verbrannt wurde. Die Christinnen aber stehen auf, schließlich sind wir nicht mehr im alten Rom.

 

Flüchtlinge: Unseren Partnern von Human Rights Watch/HRW zufolge, haben saudi-arabische Grenzschützer an der Grenze zum Jemen seit Anfang 2022 hunderte Migranten aus Äthiopien getötet, u.a. mit Mörsern und Granaten. Sie gehen dabei mit äußerster Rücksichtnahme vor und fragen die Migranten, in welches Körperteil sie „am liebsten geschossen werden möchten“. Grenzschützer wurden (und werden) übrigens von der Bundespolizei in Deutschland ausgebildet, u.a. steht die Vermittlung von menschenrechtskonformen Verhalten auf dem Lehrplan. Klassenziel also verfehlt! Jetzt ist nur noch zu hoffen, dass, angesichts der jetzigen Flüchtlingswelle, nicht an die deutschen Grenzschützer die Anweisung ergeht, gefälligst von ihren saudischen „Schülern“ zu lernen.

Wer jetzt den Kopf schüttelt und meint, „das gibt’s doch nicht“, der sollte einfach weiterlesen.

Russische Entsorgungsstatistik: Nur zwei Tage nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine machte sich eine Eliteeinheit aus Tschetschenien auf den Weg, um Präsident Selenskij zu erledigen. Seither hat man es schon öfter probiert. Die SZ
hat zusammengestellt, wer von Putins Gegnern in den letzten beiden Jahren (fast) dran glauben musste. Hier eine kleine Auswahl:
- Rawil Maganow, gestorben nach einem Sturz aus einem Moskauer Krankenhaus
- Iwan Petschorin, betrunken von seiner Luxusyacht gefallen
- Alexander Tjuljakow, erhängt in der Garage seines Anwesens gefunden
- Marina Jankina, aus dem 16. Stock eines Hochhauses in St. Petersburg gestürzt

Alle hatten sich vor ihrem „Ableben“ kritisch zum Krieg gegen die Ukraine geäußert.

Und im September berichtete der Merkur von der Möglichkeit eines Giftanschlags auf die Journalistin Jelena Kostjutschenko im Oktober 2022. Tatort: im Zug nach München oder in einem Münchner Café.

Erfolgsnachrichten- eher bescheiden

Erklärung von Bélem: In der brasilianischen Stadt trafen sich die Anrainerstaaten des Amazonas-Gebietes und unterzeichneten ein Abkommen zum Schutz des Regenwaldes. Ob es „bahnbrechend“ ist, sei dahingestellt, denn es fehlen ein gemeinsamer Zeitplan für den Stopp des Kahlschlags und Vorschläge, wie man mit den Ressourcen des Regenwaldes (Gold, Erdöl) umgehen soll. Die indigenen Völker haben ihren Folklore-Beitrag geleistet und kehren mit eher vagen Versprechungen in den Regenwald zurück.



Kolumbien: Von vorsichtigem Optimismus zu begleiten ist die Nachricht, dass die ELN, die größte noch aktive Guerillagruppe Kolumbiens die Waffen niederlegt. Das Abkommen, das schon im Juni unterzeichnet wurde, ist ein Verdienst des Präsidenten (und Ex-Guerilleros) Gustavo Petro, der bei der Unterzeichnung sagte: „Hier wird eine neue Welt geboren.“ Man wird sehen, wie lange die Wehen noch andauern!

NGOs kein Pull-Faktor: Der Vorwurf, der zum Dauerrepertoire von rechten Politikern gehört, dass Seenotretter Flüchtlinge nach Europa locken/“pullen“, wurde von Migrationsforschern schon immer bezweifelt und ist jetzt in einer Studie zurückgewiesen worden. „Die Rettungseinsätze sind eine Reaktion auf das Geschehen, nicht dessen Ursache.“ Also: Die Flüchtlinge fahren los, weil sie nach Europa wollen und brauchen Hilfe, wenn die Überfahrt zu scheitern droht.

Vermischtes

Fauxpas: Papst Franziskus hat, wenn er vom Manuskript abweicht, schon des Öfteren danebengegriffen. In einer Videoschalte zum 10. russischen Jugendtag in St. Petersburg verstieg er sich spontan zu einer Lobeshymne auf das

„große Russland der Heiligen, von Peter I. und Katharina II., dieses Imperium – groß und aufgeklärt, ein Land großer Kultur und großer Menschlichkeit (!)“.

Der Angriffskrieg Putins kam nur in der zaghaften Erwähnung eines „Kriegswinters“ zur Sprache. Kein Wunder, dass er vom Kreml wegen seiner „klugen Geschichtskenntnisse“ gelobt wurde. Wir übernehmen lieber die Schlagzeile des Merkur: „Der Papst ist unbelehrbar“. Ist er nicht immer (s. Besuch in Ungarn), aber immer wieder! Im Laufe der Woche war der Vatikan mit „Schadensbegrenzung“ beschäftigt. Der Papst habe natürlich nicht den russischen Imperialismus gemeint, aber der ist natürlich etymologisch vom „Imperium“ nicht weit entfernt.

Dummheit: Wenn man das Foto aus dem Death Valley/USA sieht, kann man nur noch Asterix zitieren: „Die Amerikaner, die spinnen!“

 


Zum Abschluss des Monats aber ein

Glücksfall: Dem Museum in Bozen hat ein Fund aus dem Jahre 1991 eine echte Touristenattraktion beschert. Aber es hätte auch anders kommen können.

 


September 2023


„Das Merkwürdigste an der Zukunft ist wohl die Vorstellung,
dass man unsere Zeit einmal die gute alte Zeit nennen wird.“


Ernest Hemingway


Hemingway starb 1961, er konnte mit „unsere Zeit“ also nicht gut die diesjährige Landtagswahl in Bayern gemeint haben. Dazu später.

 

Die Zeichnung spiegelt den gegenwärtigen Gemütszustand in weiten Teilen Deutschlands und Europas wider. Wir haben Angst, dass sie sich breitmachen, in unsere Lebensbereiche eindringen, uns „umvolken“ – die

Flüchtlinge

Es herrschen geleichzeitig Massenandrang und Massenhysterie. Am 12. September kamen in 120 Booten mehr als 5 000 Menschen auf Lampedusa an. Der Bürgermeister musste den Notstand ausrufen. In Sachsenkam/Lkr. Bad Tölz sollte es zur ersten Zwangseinweisung von Flüchtlingen kommen – in den ersten Stock des Rathauses. Für einen notorischen Leserbriefschreiber aus Miesbach stellte sich damit die Frage, ob bald nicht

„alle Rathäuser, öffentliche Gebäude, Schwimmbäder und Turnhallen voll sind“.

Was sich der Briefschreiber wahrscheinlich wünscht, ist eine „Einwanderungsblockade“ und eine „Abschiebungsoffensive“ – und zwar gleichzeitig, aber allen diesbezüglichen Vorschlägen gemeinsam ist, dass sie umgehend hinterfragt oder als untauglich abgelehnt werden. Auf der Gratwanderung zwischen Asylrecht und Arbeitsmigration fällt die Politik derzeit einmal links und einmal rechts hinunter, und ob die mühsame EU-Einigung bei der Krisenverordnung schon der „Stein der Weisen“ ist, sei dahingestellt. Dass Deutschland bis zuletzt an seiner „Humanitätsduselei“ festgehalten hat, sollte uns eigentlich mit Stolz erfüllen.

Der Migrationsforscher Gerald Knaus, der schon das Abkommen mit der Türkei ausgehandelt hat, fordert nach einer „fairen Prüfung eines Asylantrags humane Abschiebungen von einem Stichtag an und in einen sicheren Drittstaat“. Aber den muss man in Afrika oder im Mittleren Osten erst einmal finden!

Unsichere Drittstaaten

Zypern: In Limassol kam es zu „pogromartigen Zuständen“ als Hunderte von Rechtsradikalen Migranten und deren Geschäfte angriffen. Das Land hat sich wegen der härteren Migrationspolitik in Griechenland und der Schließung der Balkanroute zum Migrationshotspot Europas entwickelt.

Bergkarabach: Nach dem Eintageskrieg Aserbaidschans um die Exklave Bergkarabach ist ein Großteil der armenischen Bevölkerung ins Kernland Armenien geflohen. Die Flucht erfolgte diesmal in Lastwagen und Autos, im Jahre 1990 lud man die armseligen Habe noch auf Eselsrücken. Aber die Richtung und das Leid blieben gleich.

 


Warum, so frägt man sich, können zwei Ethnien nicht zusammenleben? Die Schweiz kann es seit langem, Südtirol hat es (mit Mühe) gelernt.

Iran: Das Regime war anlässlich des Jahrestages der Ermordung der jungen Kurdin Mahsa Amini „in Alarmbereitschaft“. Es gab eine verstärkte Polizeipräsenz, und über der Kurdenregion wurde der Ausnahmezustand verhängt. Aminis Vater soll vorübergehend festgenommen worden sein, weil er am Grabe seiner Tochter eine Gedenkfeier abhalten wollte. Ende August war der Sänger Mehdi Yarrahi verhaftet worden, weil er ein Lied mit dem Titel „Nimm dein Kopftuch ab“ vorgetragen hatte. Einer der zahlreichen Anklagepunkte war „Anstiftung zu Verbrechen gegen die Keuschheit“. Im Oktober wurde er gegen Kaution vorläufig freigelassen.

Anfang Oktober wurde die 16-jährige Armita Garawand Opfer der weiblichen Sittenpolizei. Da sie gegen das Kopftuchgebot verstieß, wurde sie in der U-Bahn so brutal zusammengeschlagen, dass sie ins Koma fiel und am 22. Oktober für „hirntot“ erklärt wurde. Ursache: Kollaps wegen „niedrigen Blutdrucks“. Auf einem Video sieht man, wie vier Schwarzkittel ein lebloses „Paket“ auf den Bahnsteig legen. Zu Garawands Beerdigung kam auch die Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotudeh, unverschleiert wie alle anderen Frauen. Mehr als 100 Personen wurden am Rande der Trauerfeier von der Sittenpolizei verhaftet.

Auf internationaler Ebene hingegen läuft es bestens für das Regime. Im Juli wurde der Iran vollwertiges Mitglied der anti-westlichen Shanghai-Organisation, mit dem Erzfeind Saudi-Arabien wurden Botschafter ausgetauscht, und in Folge des Geiselaustauschs mit den USA wurden sechs Milliarden für „humanitäre Zwecke“ frei, die, so ein durchaus glaubwürdiger Fake, beim Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober Verwendung fanden, obwohl der Überfall, streng genommen, keinen „humanitären Zweck“ erfüllte.

(Stark) Vermischtes

USA - Iran: Diesmal kein Gerassel mit Kriegsgerät, sondern „ein bisschen Tauwetter“. Die beiden Länder brachten einen Deal zum Abschluss, bei dem fünf Iraner und fünf Amerikaner (vier Männer, eine Frau) freikamen. Dass der Deal auf massive Kritik stieß, hatte mehrere Gründe: Die fünf Amerikaner, alles Doppelstaatler, hatten sich mit Sicherheit, weniger zuschulden kommen lassen, als die fünf Iraner, sondern hatten für den Iran eher eine Faustpfandfunktion. Und als Dreingabe gab es für den Iran den Zugriff auf sechs Milliarden Dollar (zweckbestimmt für humanitäre Anliegen), die Südkorea wegen internationaler Sanktionen gesperrt hatte, - was in den Augen der iranischen Exil-Opposition einen Anreiz „für das Regime darstellt, wieder Geiseln zu nehmen“. Biden mag gehofft haben, mit dem Deal etwas Entspannung mit dem „Sorgenkind Iran“ zu erkaufen, aber die Ereignisse im Oktober haben gezeigt, dass die Mullahs in der Region munter weiterzündeln.

Die Kritik am Deal mag berechtigt sein, aber, wenn man die Haftbedingungen in iranischen Gefängnissen kennt, sollte man, wider alle Bedenken, den Amerikanern ihre Freiheit gönnen. Von den freigelassenen fünf Iranern wollten übrigens nur zwei wieder in ihre Heimat zurückkehren.

China: Die deutsche Botschafterin in Peking musste stellvertretend für unsere Außenministerium einen gehörigen Anpfiff einstecken. Sie wurde ins chinesische Außenministerium einbestellt, weil Frau Baerbock in einem Interview bei Fox News behauptet hatte, Staats- und Parteichef Xi Jinping sei ein „Diktator“. Eine solche Behauptung „verletze ernsthaft Chinas politische Würde“. Tut sie nicht, das übernehmen die Partei und ihr Chef schon selbst.

Schweiz: Lange war das Kernthema von Witzen über die Schweizer/Berner ihre Langsamkeit. Auch bei der Untersuchung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche ließ man sich Zeit. Jetzt hat ein Team der Universität Zürich „grauenhafte Taten“ aufgedeckt. Viele Verbrechen wurden vertuscht, Täter wurden geschützt und versetzt. Kommt einem irgendwie bekannt vor! Immerhin – „Von einigen Ausnahmen abgesehen“ sei das Forschungsteam bei seinen Recherchen auf keine größeren Hürden gestoßen.

München: Für einen passionierten Radfahrer ist die IAA ein No-Go Ereignis, und deshalb werde ich meine Vorurteile kurzfassen. Die Präsentation stand von Seiten der Veranstalter unter dem Motto „Klotzen und nicht Kleckern“, bei den Klimaschützern war es eher ein „Kotzen und Meckern“. Aber bis auf einen „kritikwürdigem Schlagstockeinsatz der Polizei an der Donnersberger Brücke“, begegnete man sich weitgehend friedlich, so dass sich am Ende „alle Beteiligten auf die Schulter klopfen konnten“ – wenn auch nicht gegenseitig.

Gillamoos: Deftig auf die Schulter geklopft hat Friedrich Merz den Bierzeltinsassen von Gillamoos mit seiner Aussage

„Nicht Kreuzberg ist Deutschland – Gillamoos ist Deutschland.“

Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass er damit meinte, dass im Bierzelt die Normalos säßen, während die Kreuzbergler mit ihrer alternativen Szene und dem hohen Migrantenanteil eher nicht zu Deutschland gehörten.

 

Und drei Wochen später sattelte er auf der Suche nach Volkstümlichkeit (und Wählerstimmen) gleich noch eins drauf, als er die Flegelei des bayrischen AfD-Abgeordneten Martin Sichert, die ursprünglich gegen Ukrainer gerichtet war, auf abgelehnte Asylbewerber umleitete. Die ließen sich

„auf Kosten deutscher Beitragszahler die Zähne neu machen, während die deutschen Bürger nebendran keine Termine kriegten“.

Selbst der Merkur, der in manchen Kommentaren dem Vorwurf des „Sozialtourismus“ recht aufgeschlossen gegenübersteht, sah sich hier zu einem Faktencheck genötigt, der die „volle Heilfürsorge“ für Asylbewerber stark relativiert.

Flugblattaffäre: Der Historiker Volker Weiß hat in der SZ einen bitterbösen Artikel unter dem Titel „Unser Aiwanger“ veröffentlicht. Er stellte, das Wahlergebnis in Bayern vorausahnend, fest, dass dem Politiker das Flugblatt und die Diffamierung der „formalen Demokratie“ nicht geschadet hätten, weil er vielen Leuten nach dem Maul geredet hätte. Er habe nur das Feindbild seines Bruders, der angeblich das Flugblatt verfasst hat, ausgetauscht, und die Juden und die Nazigegner durch die Grünen ersetzt.

Bayerns AfD: Nach einer Eilentscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichts darf der Landesverband der bayerischen AfD weiterhin vom Verfassungsschutz beobachtet und die Öffentlichkeit über diese Beobachtung informiert werden. Einzelnen Mitgliedern des Verbandes warfen die Richter „Umsturzfantasien“ vor, aber jeder siebte unter Bayerns Wähler reagierte im Oktober mit einem „Jetzt erst recht!“

Darauf passen auch die

AI-Meldungen

Thailand: Im Juli war schon einmal von einem „vorsintflutlichem Gesetz gegen Majestätsbeleidigung“ die Rede. Bei Bedarf holt man es aber immer noch aus der Schublade. Anon Numpas wurde jetzt zu vier Jahren Haft verurteilt, weil er 2020 die Reform eines Gesetzes gefordert hatte, das den König mit Familie vor Kritik schützte. Man sollte also besser nicht sagen, dass Seine (aktuelle) Majestät als „Party-Prinz“ verschrien ist und einen Großteil seiner Zeit in einer Villa am Starnberger See verbringt.

Mordauftrag aus Tschetschenien: Es wäre nicht der erste Regimekritiker gewesen, den sich Ramsan Kadyrow, der Lord Voldemort von Tschetschenien, in Deutschland vom Halse schaffen wollte. Der Tatort wäre Schwabmünchen in Bayern gewesen, das Opfer Mochmad Abdurachmanow, in Stellvertretung für seinen Bruder, der in Schweden lebt und dort schon einen Hammerangriff überlebt hatte. In Bayern flog die Sache auf: Kadyrows Beauftragter Walid D. hatte einen Auftragskiller angeheuert, der kalte Füße bekam und Walid an die Polizei verriet. Walid wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt, wegen seiner „Bereitschaft, einen politischen Mord zu organisieren“. Das Weiterleben des „Verräters“ ruhe in Allahs Hand!

Umweltschutz mit Todesfolge: Die MR-Organisation Global Witness hat für das Jahr 2022 den Mord an 177 Umweltschützern dokumentiert. 90% der „Todesfälle“ ereigneten sich in Mittel- und Südamerika, und ein Drittel der Opfer kamen aus indigenen Gemeinschaften. Manche Regionen gleichen einem Kampfgebiet: Kriminelle Gruppen nutzen sie als Drogenrouten, fällen Bäume, fangen und exportieren Fische in und aus indigenen Schutzgebieten, suchen Gold. Viele Aktivisten setzen große Hoffnungen in das geplante Lieferkettengesetz der EU, es gibt bereits Unternehmen, die ihre Einkäufe aussetzten, wenn Produzenten Landraub betreiben, die Umwelt zerstören oder Menschenrechtsaktivisten verfolgen, und es kam zu ersten Fahndungserfolgen, weil manche Regierungen (Brasilien, Kolumbien) versprochen haben, die Aktivisten besser zu schützen.

 
Dom Phillips und Bruno Pereira, ermordet 2022

Unverhältnismäßigkeit: Ein Berliner Gericht schickte (im ersten Anlauf) eine Klimakleberin für acht Monate ins Gefängnis. Der Katalog ihrer Straftaten war geradezu „iranisch“. Da sie weiter protestieren möchte, gab es keine Bewährung. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Geldstrafe beantragt, aber da hat eine Richterin endlich einmal richtig „durchgegriffen“. (Vorsicht Satire!). Gegen das Urteil konnte Berufung eingelegt werden.

Die SZ hat zu beiden Gruppen einen mutigen Kommentar geschrieben.

„Es ist die Aufgabe von Umweltschützern, daran zu erinnern, dass erfolgreiches Wirtschaften ohne halbwegs intakte Natur und stabiles Klima kaum möglich sein wird. Dafür sollten sie nirgendwo ins Gefängnis müssen. Und schon gar nicht ins Grab.“

Rassismus: Eine gewisse Diskrepanz zeigt sich, wenn man bei den rassistischen Vorfällen im Profifußball die Zahlen des DFB mit denen der Meldestelle für Diskriminierung im Fußball in NRW vergleicht. Der DFB verzeichnet für die letzten Jahre eine sinkende Zahl, während die Meldestelle eher gegenläufig berichtet. Neben verbalen oder physischen Übergriffen käme es „vermehrt“ zu Hitlergrüßen und zum Tragen von rassistischen und rechten Symbolen auf Stickern, Kleidern oder Banner. Im August hat es einen Miesbacher erwischt. Julian Green, tätig bei Spielvereinigung Fürth, wurde beim Pokalspiel gegen Halle mehrmals als „Affe“ tituliert. Der Fürther Trainer Zorniger reagierte wie er heißt:

„Das Stadion ist zu 95 Prozent ausgelastet. Es waren genug Leute da, die hätten eingreifen können. … Sonst kriegt das braune Gesocks, das auch im Bundestag sitzt, immer mehr Oberwasser.“

Ich glaube, es reicht für einen Monat. Die helleren Momente des Septembers sind leider so dünn gesät, dass man schon die „Versöhnung“ der Genossen Schröder und Lafontaine dazu zählen muss. Aber es gibt noch weitere

Aufheller

Fridays for Future in Miesbach: Zu den Klängen des „Wir sind hier, wir sind laut …“ zogen rund 70 Demonstranten durch die Miesbacher Innenstadt. Sie griffen auf ihren Bannern und in ihren Redebeiträgen nicht nur nationale („Klimaschutz statt Kohleschmutz“), sondern auch lokale Probleme auf, z.B. dass der Landkreis nicht fahrradfreundlich sei, und Miesbach es noch nicht zum autofreien Marktplatz gebracht hätte. Sich festkleben wollten die meisten eher nicht, aber man hatte mehr Verständnis für die Klimakleber als die Berliner Richterin. Dass die Demo der „perfekte Zeitpunkt“ war, um die Landtagswahlen zu beeinflussen, erwies sich allerdings als Wunschtraum. AI war bei dieser Demo, meines Wissens, nicht vertreten.

Alternativer Nobelpreis für SOS Méditerrannée: Das ist eine Organisation, deren Ziel es ist, nicht nur Leben im Mittelmeer zu retten, sondern auch die Öffentlichkeit und die Regierungen an diese „humanitäre Krise“ zu erinnern. Die Erinnerung an die Krise kommt bei spektakulären Bootsunglücken wieder hoch, aber bei der Lebensrettung hat man einiges vergessen. Das Schiff der multinationalen Organisation, die Ocean Viking, hat in diesem Jahr fast 2000 schiffbrüchige Migranten gerettet.

Schalom in München: Mit dieser treffsicheren Überschrift begrüßte der Merkur die Verlegung des Hauptquartiers der Europäischen Rabbinerkonferenz/CER von London nach München. Ein Grund für die Verlegung soll der Brexit gewesen sein, denn die CER wollte innerhalb der EU angesiedelt bleiben. Ein wichtiges Gremium des Judentums in der „Hauptstadt der Bewegung“ – was will man mehr an Geschichtskorrektur? Da nimmt man sogar in Kauf, dass es sich um die orthodoxen Rabbiner Europas handelt.

Da die Zahl antisemitischer Vorfälle in Bayern seit dem Angriff der Hamas deutlich zugenommen hat, werden sich die Rabbiner manchmal fragen, ob die Verlegung nach München wirklich eine gute Idee gewesen ist.


Oktober 2023


„Hoffnung bedeutet, überzeigt zu sein, dass es niemals zu spät ist.“

Ludek Pachmann

Pachmann war ein bekannter tschechischer Schachspieler und 1968 im Prager Frühling engagiert. Sowohl als Schachspieler, wie auch als antikommunistischer Dissident in Osteuropa musste man warten können. Und wohl noch lange warten werden wir noch darauf müssen, dass sich die Szene auf dem folgenden Bild wiederholt – und von Dauer ist.

 

Krieg im Nahen Osten

Der Oktober 2023, und das schließt wohl noch einige Folgemonate mit ein, war nicht golden, sondern blutrot. Die Hamas und andere Terrorgruppen fielen am 7. Oktober in Israel ein, massakrierten 1200 Menschen und nahmen über 200 Geiseln. Der Gegenschlag der Israelis erfolgte auf dem Fuß und richtete sich nicht nur gegen die Terroristen, sondern auch gegen die Zivilbevölkerung. Ich möchte mich darauf beschränken, einige Ereignisse zu berichten, die mir besonders tief unter die Haut gegangen sind. Im Sinne von Ludek Pachmann versuche ich auch, „aufhellende“ Momente mit einzubeziehen, aber viele gibt’s davon nicht.

- Zum Ausgang des Laubhüttenfestes, im Morgengrauen des Schabbats, griffen Terroristen aus dem Gazastreifen über Land, Luft und Meer den Süden Israels an. Allein auf einem Rave-Festival im Kibbuz Re‘im wurden 260 Menschen getötet und 50 Geiseln verschleppt. Im Kibbuz Be’eri wurde die Friedensaktivistin Vivian Silver getötet. Von der Leiche fand man nur noch die Zähne. Aus deutscher Sicht war das Schicksal von Shani Louk der Megaschocker. Wir ersparen Ihnen Details, nur so viel:

„Was ihr am 7. Oktober widerfahren ist, lässt sich nur zum Teil rekonstruieren.“

Noch nie seit dem Holocaust wurden an einem Tag so viele Juden auf einmal getötet.

- Noch am selben Abend werden in Berlin-Neukölln vom palästinensischen Netzwerk „Samidoun“ Süßigkeiten als Siegestrophäe verteilt. Das Netzwerk wurde Anfang November in Deutschland verboten. Ein Imam in München schrieb auf Facebook: „Jeder hat seine eigene Art, den Oktober zu feiern.“ Und setzte ein Smiley dazu. Er wurde darauf „bis zur Klärung der Vorwürfe“ vom Dienst suspendiert, im Dezember aber von seinem Arbeitgeber (nicht aber von der Generalstaatsanwaltschaft München) „begnadigt“, weil er in der Vergangenheit „Herausragendes im interreligiösen Dialog geleistet“ habe. Und Präsident Erdogan veredelte die Hamas zur „Befreiungsgruppe“, eine seltsame Bezeichnung für Leute, die auch die eigene Bevölkerung in Geiselhaft nimmt.

- Für Vertreter der Hamas, dem Pink-Floyd Musiker Roger Waters und der Querdenker-Szene in München war der 1200-fache Mord an jüdischen Kindern, Frauen und Männern (möglicherweise) nichts anderes als eine israelische „False-Flag-Aktion“, zu neudeutsch also „Fake“.

 - Beim ersten Freitagsgebet nach dem Terrorangriff verurteilte Benjamin Idriz, Imam in Penzberg, „Gewalt – ohne Wenn und Aber“. Seine Anregung, auf dem Marienplatz in München ein gemeinsames Friedensgebet abzuhalten, wurde leider von seinen Partnern nicht aufgegriffen, da man bei einer der muslimischen Gruppen Nähe zum Islamismus feststellte. Ein gemeinsames Gebet hätte jedenfalls ein deutlicheres Zeichen gesetzt als die Simultandemos „Pro Israel“ und „Pro Palästina“. In Köln hat das besser geklappt: Dort besuchten muslimische Religionsverbände eine Synagoge und verurteilten den Terror der Hamas als „unislamisch“.

- Auch für Juden in Deutschland ist das Leben gefährlicher geworden. In Berlin flogen schon recht bald Brandsätze vor einer Synagoge, und einige Bürger jüdischen Glaubens klebten ihre Namen auf den Klingelschildern zu. In München hat man die jüdische Gemeinde aufgefordert, bestimmte Plätze in der Stadt zu meiden, insbesondere die Routen pro-palästinensischer Kundgebungen.

 

- Arg in die Nesseln gesetzt hat sich UN-Generalsekretär Guterres beim israelischen Außenminister, als er davon sprach, dass die Terrorattacke der Hamas „nicht im luftleeren Raum erfolgt“ sei, sondern im Kontext der „erstickenden Besatzung“ zu sehen sein, unter der die Palästinenser seit 56 Jahren zu leiden hätten. Während Guterres aber den Angriff der Hamas klar verurteilte, verzichtete die UN-Resolution, in der ein „humanitärer Waffenstillstand“ gefordert wurde, auf die Erwähnung der „Vorgeschichte“. Deutschland enthielt sich deshalb der Stimme. Hätte ich (zu diesem Zeitpunkt) wahrscheinlich auch getan! Die SZ macht aus dem „Ja, aber“ ein „Zugleich“, scheut jedoch etwas davor zurück, konkret zu werden:

„Aus deutscher Sicht ist … zu signalisieren, dass beides möglich ist: fest an der Seite Israels zu stehen und das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung nicht zu vergessen.“

- Israelische Siedler, v.a. solche, die früher in Gaza lebten, wittern jetzt Morgenluft. Sie befürworten eine Vertreibung der Palästinenser, mal nach „Ägypten oder Jordanien“, mal nach „Norwegen oder Schottland“. Ihr Argument ist ungewollt ironisch:

„Die Palästinenser hatten ihre Chance in Gaza. Jetzt gehört Gaza uns.“

- Ein zwiespältiges Bild soll Teil 1 beenden. Am 24. Oktober wurden die ersten Geiseln freigelassen. Unter ihnen Yocheved Lifshitz. Sie verabschiedete sich von ihren Entführern mit einem Handschlag und dem Wort „Salam“ – arabisch für „Frieden“.

 
Versöhnungsgeste oder Stockholm-Syndrom?

Der Geisel Rimon Kiirsht-Buchshtab hingegen, die im November freikam, war nicht nach Versöhnung zumute. Als einer ihrer Entführer sie „zu einer PR-tauglichen Abschiedsgeste drängen wollte, schaute sie ihm kühl und entschlossen in die Augen“. Der Blick ging „viral“ um die Welt.

Fortsetzung folgt im November – möglicherweise mit einer gewissen Empathieverlagerung Richtung Palästinenser.

Migration

Nachdem die Bayernwahlen neben dem Gendern und unseren Fressgewohnheiten auch vom Thema Migration beeinflusst wurden, können wir nicht umhin, uns auch im Monat Oktober mit dem Problem zu befassen, das für manche Leute (und Politiker) immer mehr zum Tsunami (aber ohne Wasser) wird. Wir zählen auf, was so an Vorschlägen aufgekommen ist - und oft gleich wieder verworfen wurde.

Obergrenze: Markus Söder hatte im September eine „Integrationsgrenze“ von
200 000 Flüchtlingen pro Jahr ins Gespräch gebracht. Für Innenministerin Faeser ist das aus juristischen Gründen nicht umsetzbar. Wir würden gerne wissen, was aus Flüchtling
Nr. 200 001 dann wird? Wird er von Jens Spahn, gegebenenfalls „mit physischer Gewalt“ aufgehalten? Und der war einmal Gesundheitsminister!!!

Abschiebungen: Da setzt man jetzt auf Härte gegenüber ausreisepflichtigen Asylbewerbern. Längere Inhaftierung im Transitbereich der Flughäfen, erweiterte Polizeibefugnisse bei nächtlichen Abschiebungen, Ausweisungen von verdächtigen Straftätern noch vor Gerichtsentscheidungen. Aber so ein „Abschiebefeuerwerk“ hat seine Blindgänger: Rückführungen scheitern, weil Herkunftsstaaten keine Papiere ausstellen oder weil mit ihnen, und das sind die meisten, keine Rücknahmevereinbarungen bestehen.

Auch der Bundeskanzler hat in einem Interview auf Härte gemacht –und grimmig dazu geschaut. Aber bevor man ihm einen goldenen Sheriffstern verpasst, sollte man ihn genau zitieren. Als er von Abschiebungen „im großen Stil“ sprach, meinte er „diejenigen, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben“. Und das sind nicht sehr viele: ein Netzwerk in Berlin kommt für August 2023 auf genau 13 784 Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die keine Duldung haben. Und dann sollte man sich noch davor hüten, Personen abzuschieben, die wir dringend brauchen.



 

Erweiterung der sicheren Herkunftsstaaten: Bei Georgien und Moldau ist man sich relativ einig, dass die Mehrzahl der Anträge „offensichtlich unbegründet“ ist. Die Union will allerdings auch die Maghreb-Staaten in die Liste der Unschuldslämmer aufnehmen, Staaten, wo es aus Gründen der Religion, der sexuellen Orientierung und der politischen Einstellung für manche Leute alles andere als sicher ist. Syrien und Afghanistan sind (vorläufig) noch ausgespart – außer bei der AfD natürlich. Die betrachtet „fast alle Länder als sichere Herkunftsstaaten“. Dann geht doch rüber, AfD’ler – hätte man früher gesagt!


Leistungskürzungen: Da, nach Goethe, „am Golde doch alles hängt“, wird natürlich auch der Finanzsektor bemüht, um das Flüchten weniger attraktiv zu machen. FDP-Politiker haben den Vorschlag gemacht, „unter besonders engen Voraussetzungen die Leistungen quasi auf ‚null‘ abzusenken“. Leider, für die FDP, hat das Verfassungsgericht etwas dagegen. Es hat mehrfach entschieden, dass ein „menschenwürdiges“ Existenzminimum für alle Menschen in Deutschland zu gewährleisten sei. Aber was Existenzminimum für Flüchtlinge bedeutet, ist umstritten. Jetzt feilscht man gerade darum, mit welchen Synergieeffekten man den „Warenkorb“ entlasten könnte. Von einer Gemeinschaftszahnbürste in Sammelunterkünften ist man allerdings abgekommen, denn dann würden die Flüchtlinge noch öfter zum Zahnarzt laufen und deutschen Bürgern die Termine wegnehmen. (Vorsicht Satire!)

Bezahlkarte: Um die Flüchtlinge zu zwingen, sich bei ihren Ausgaben auf Essen und Trinken zu beschränken und sich ja keine teure Markenkleidung zuzulegen oder gar, was wirklich nicht geht, Geld in ihre Heimat zu schicken, will man eine Bezahlkarte einführen. In Erding hat man damit eher schlechte Erfahrungen gemacht, und der Bayerische Städtetag fürchtet den Verwaltungsaufwand. Der Integrationsbeirat des Landkreises Miesbach formuliert mit gebotener Vorsicht, wird aber an einer Stelle ganz klar: „Ich empfinde das als Erniedrigung.“

Es ist leicht zu fordern und über die Forderungen zu lästern, aber tragbare und tragfähige Lösungen sind selten. Im seriösen Angebot, wie Migration zu reduzieren ist, ist v.a. die Veränderung der Lebensbedingungen in den Herkunftsstaaten, also Frieden, Arbeitsplätze, Ernährungssicherheit, Meinungsfreiheit, Schutz vor Naturkatastrophen. Und Ihre Fragen stelle ich mir gleich selbst: Wie macht man das? Wer sorgt dafür? Was kostet es? Bis jetzt sind wir wie „die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“.

Wir verbleiben im Krisenmodus und kommen zu den

AI-Nachrichten

Tunesien: Im sicheren Herkunftsland Tunesien ist erneut eine hochrangige Politikerin der Opposition festgenommen worden. Abir Moussi, Vorsitzende der Freien Destur-Partei, wurde vor dem Präsidentenpalast festgenommen, als sie einen Berufungsantrag gegen die Abhaltung der Kommunalwahlen einreichen wollte. Auch mehrere andere Oppositionspolitiker sind inhaftiert, sodass von der tunesischen Opposition derzeit „nichts übrig ist“.

Iran: Da läuft im Augenblick eine beispiellose Hinrichtungswelle. Seit Anfang 2023 hat man schon hunderte von Todesurteilen vollstreckt. Damit könnte die Zahl der Hinrichtungen bis zum Jahresende auf über 1000 steigen. Das Regime arbeitet auf seine Art die landesweiten Proteste gegen den Tod von Mahsa Amini im Herbst 2022 auf.

Russland: Die politischen Gefangenen hat man schon, jetzt nimmt man deren Verteidiger ins Visier. Als Nawalny zu einer Anhörung geladen war, erschien sein Verteidiger nicht. Konnte er auch schlecht, weil man ihn, zusammen mit zwei Kollegen, verhaftet hatte. Der Vorwurf: Mitgliedschaft in einer extremistischen Vereinigung. Sie waren für Nawalny der Draht zur Außenwelt, weil sie seine Kommentare in den sozialen Medien unterbrachten – und damit für die Behörden zu Mittätern wurden. Aus Protest gegen die Verhaftungen wollten 250 Anwälte drei Tage lang in Streik treten. Die Anwaltskammer war natürlich dagegen.

Australien: Gescheitert ist ein Referendum, das vorsah, die Verfassung so zu ändern, dass Ureinwohner bei bestimmten politischen Entscheidungsprozessen über einen Fachbeirat vertreten sind. De rechte Nein-Lobby führte einen schmutzigen Wahlkampf, streute z.B. die Fehlinformation aus, dass es durch die Verfassungsänderung zu Enteignungen käme und mobilisierte durch Schürung von Ängsten und postkoloniale Arroganz eine satte Mehrheit von 60 Prozent. Bei den Ureinwohnern wurde (einmal mehr) das Gefühl verstärkt, „der Rest des Landes interessiere sich nicht für sie“.

Karlsruhe: Bei der Bundesanwaltschaft traf ein umfangreiches Mail der Clooney Foundation for Justice ein, das russische Kriegsverbrechen dokumentierte. Aufgeführt sollen u.a. die Namen von 21 russischen Offizieren sein, die persönlich hinter Verbrechen in der Ukraine stecken. Ob es je zur Anklage kommt, ist zu bezweifeln, aber zumindest werden ihre Urlaubsziele reduziert.

Nachrichten von rechts und gegen rechts

Berufsverbot – akzeptabel: Jens Maier, Ex-Abgeordneter der AfD und Richter von Beruf, wurde endgültig in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, weil er, so die Begründung des Bundesgerichtshofs,

„sich in herausragender Stellung bei einer politischen Gruppierung betätigt, die die Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates ablehne und verächtlich mache“.

Maier gilt als „Rechtsausleger“ innerhalb der AfD (!), gehörte dem „Flügel“ der Partei an und bezeichnete sich selbst als „kleiner Höcke“. Zu seinem Repertoire gehörte natürlich auch die Forderung, den „Schuldkult zu beenden“, also nicht mehr über den Holocaust zu sprechen. Möge ihm der Ruhestand den Flügel stutzen!

Anschlag – rätselhaft: Auf den AfD-Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla gab es nach Angaben der Partei einen „tätlichen Vorfall“. Im Krankenhaus von Ingolstadt wurde ein Nadelstich diagnostiziert, in einer Klinik in Dresden zusätzlich „entzündliche Veränderungen“ festgestellt. Eine Vergiftung schien nicht vorzuliegen. War es vielleicht doch nur das neue Hemd, an dem die Nadeln nicht sorgfältig entfernt wurden? Viele bayrischen Wähler brachten jedoch ihre Anteilnahme zum Ausdruck, indem sie der AfD zum 3. Platz verhalfen.

Wohin die Reise geht, möchte man lieber nicht wissen.

 

Pfarrer – mutig: In Kulmbach hat ein Pfarrer in einem Aufsatz im örtlichen Gemeindeblatt für sich persönlich den Schluss gezogen, die AfD sei nicht wählbar. Für die Veröffentlichung seiner Meinung gab er eine denkwürdige Begründung:

„Der Kirche wird vorgeworfen, in den dunkelsten Zeiten unseres Landes zu sehr geschwiegen zu haben. Das darf nicht mehr geschehen.“

Demo - eindrucksvoll aber erfolglos: Vier Tage vor der Bayernwahl kamen in München
35 000 Menschen zusammen und demonstrierten gegen rechten Populismus, der dann in den Wahlen auf über 30 Prozent kam. Da werden sich die anderen Parteien weiter „zusammenreißen“ müssen. „Zammreißen!“ war auch das Motto der Demo, zu der die Veranstalter ursprünglich nur 4000 Teilnehmer erwartet hatten.

 
Jetzt erst recht!

Schluss

Der Schluss ist einer Frau gewidmet, die ihre Zivilcourage mit dem Leben bezahlte. Jina Mahsa Amini, von der iranischen Sittenpolizei wegen eines angeblich zu locker getragenen Kopftuchs zu Tode geprügelt, erhielt posthum den Sacharow-Peis des EU-Parlaments.

 
Jina Mahsa Amini


November 2023


 

Ich konnte meinem E-Wortschatz endlich einmal wieder ein neues Wort hinzufügen, das auch für Sie sehr nützlich ist, wenn man Ihnen diesen Jahresbericht aushändigt – oder aufzwingt: News Avoidance/Nachrichtenmüdigkeit. Immer mehr Menschen haben es satt, immer wieder mit Katastrophenmeldungen konfrontiert zu werden, sogar mit solchen, die einen nicht selbst betreffen. Die SZ hat darauf mit einer neuen Whatsapp reagiert: Sie bietet ein Abonnement, mit dem man jeden Tag eine gute Nachricht abrufen kann.

Wenn Sie jedoch in diesem Bericht weiterlesen, hier ist die angedrohte Fortsetzung zum

Krieg im Nahen Osten

Ich habe im Oktober Ereignisse aufgelistet, die mir „unter die Haut gegangen sind“, aber ich bin mir im Klaren, dass wir zwar betroffen sind, aber andere getroffen werden: palästinensische Zivilisten, israelische Geiseln – und die Kombattanten auf beiden Seiten.

- Auf einer Fläche von 365 km2, nur etwas größer als die Stadtfläche von München, wird zerbombt, was Mauern hat. Auch Bereiche in Krankenhäusern, unter denen man die „Kommandozentralen“ vermutet, werden „mit präzisen und zielgerichtenten“ Operationen gestürmt. Flüchtlinge werden von einer „sicheren Zone“ in die nächste vertrieben, Hilfslieferungen werden einmal zugelassen, dann wieder blockiert, zwei Drittel der zivilen Opfer sind, nach Angaben der Hamas, Frauen und Kinder, die entlassenen Geiseln sind traumatisiert. Anfang Dezember sollen an die 7000 Hamas-Krieger und über 100 israelische Soldaten getötet worden und 80 bis 85 Prozent der Bevölkerung auf der Flucht sein.

 
Überleben in Ruinen

- Die israelische Armee hat Aufnahmen vom Massaker der Hamas zusammengetragen, Handy-Videos der Terroristen und der Ersthelfer vor Ort. Der Film ist so grauenvoll, dass er zunächst nicht öffentlich gemacht wurde, „um die Familien zu schützen“.

- Irritationen ausgelöst hat der Verdacht, dass Fotojournalisten, die als freie Mitarbeiter für CNN und Associated Press arbeiteten, schon vorab über die Pläne der Hamas informiert waren. Einer von ihnen soll auf dem Rücksitz eines Motorrads den Einmarsch aus Gaza mitgemacht haben, damit er zeitgleich zur Stelle war, um Aufnahmen von der Terrorattacke zu schießen.

- Im Westjordanland führen radikale Siedler den Krieg an ihrer „Heimatfront“. Die Angriffe auf Palästinenser nehmen zu, seit dem 7. Oktober wurden 132 Palästinenser getötet, acht davon von Siedlern. Abgesehen hat man es v.a. auf die Beduinen. Die vertreiben sich leichter als Menschen in den Dörfern. Laut Angaben des UN-Büros OCHA mussten seit dem 7. Oktober mindestens 607 Menschen ihr Land verlassen. Im Dezember hat der britische Außenminister Einreisebeschränkungen gegen radikale israelische Siedler „in Aussicht gestellt“. Dann könnten sie bei einem Urlaub in Großbritannien selbst die Erfahrung machen, was es heißt, an einem Checkpoint zu warten.

- Ein „Israel vom Fluss bis zum Meer“ (und darüber hinaus) schwebt auch dem israelischen Finanzminister Bezalel Smotrich vor, der eine Auswanderung der Palästinenser aus dem Gazastreifen „auf freiwilliger Basis“ befürwortet. Was er vorhat, wenn die Basis nicht will, hat er nicht verraten, aber vorsorglich schon eine Landkarte veröffentlicht, die ein „Groß-Israel“ zeigt, das auch das Westjordanland und Teile von Jordanien umfasst.

- Nach zwei Feuerpausen kamen jetzt insgesamt 109 der israelischen und Gastarbeiter-Geiseln frei. Im Gegenzug dürften etwa 327 Palästinenser freigekommen sein, denn ist die Quote, mit der Geiseln und Gefangene aufgewogen werden.

 
Wiedersehen nach 49 Tagen

Die Fernwirkung des Konflikts

An Allerheiligen stellte Robert Habeck ein Video ins Netz, das von manchen als „Kanzlerrede“ bezeichnet wurde, weil man eine solche Rede vom Kanzler erwartete hätte. Habeck findet deutliche Worte zu den Gräueltaten der Hamas, zur Aufnahme der israelischen Sicherheit in die „deutsche Staatsräson“ und zum aufbrandenden Antisemitismus Im Land – den Antisemitismus, der eingewandert ist oder sich bei uns auf der Rechten und bei Teilen der Linken verfestigt hat. Im Dezember wurde ihm für das Video die Auszeichnung „Rede des Jahres 2023“ verliehen, aber es stellt sich schon die Frage, ob er wegen der „wahllosen Bombardierung“ des Gazastreifens (Biden) nicht vier Wochen später einen Passus hinzugefügt hätte.

Fridays for Future International: Die Umweltbewegung mit ihrer Ikone Greta Thunberg ist auf internationaler Ebene in Erklärungsnot geraten. Man wirft ihr einseitige Parteinahme für die Palästinenser vor. Greta hat das massive Vorgehen der israelischen Armee als „Völkermord“ bezeichnet, eine Einstufung, die Völkerrechtler mehrheitlich ablehnen, da es nicht um die Ausrottung der Palästinenser, sondern um die Zerstörung der Hamas geht. Der deutsche Zweig von FfF distanzierte sich deutlich – und das eher zweimal am Tag.

 

Die Kritik an Gretas Auftritt mit dem Palästinenser-Tuch sollte man etwas niedriger hängen. Ich erinnere mich, dass sich fromme Katholikinnen im Jahre des Oslo Abkommens (1993) in Jericho mit solchen Tüchern eindeckten, und die sind damit auch keine Fans von Arafat geworden.

Überfeifer von Beamten: In Berlin haben Polizisten Plakate von einer Litfaßsäule entfernt, die israelische Geiseln der Hamas zeigten. Eine Sprecherin der Polizei stellte sich hinter den Einsatz, weil die Säule, die ausschließlich Werbezwecken diene, „durch das vollständige Überkleben mit Plakaten erheblich verändert“ worden sei. Zum Guten oder zum Schlechten? - das ist hier die Frage.

Kontroversen: Bei uns findet zwar kein Krieg statt, aber gestritten wird allemal. Die Frauenbewegungen kriegen Prügel, weil sie die sexualisierte Gewalt der Hamas ignorieren, die Linken, weil sie sich den Antisemitismus mit der Rechten teilen, die Deutschen im anderen Lager, weil sie einen „verordneten Philosemitismus“ betreiben. Die palästinensischen Demonstranten streiten Israel das Existenzrecht ab, die deutschen Behörden werden kritisiert, weil sie bei den Pro-Palästina Demos zu strenge Auflagen machen. Ich glaube, es reicht jetzt.

Brückenbau: Abschließen möchte ich (zunächst einmal) mit Michael Brenner, Professor für jüdischen Geschichte und Kultur. Er meint (nach einem langen Blick auf den 7. Oktober):

„Es muss eine langfristige Lösung gefunden werden, die eine Überlebensgarantie für Palästinenser wie auch für Israelis beinhaltet. Sie muss zur Erkenntnis führen, dass man Palästinenser nicht mit Terroristen gleichsetzen darf und dass es in Gaza viele unschuldige Opfer gibt.“

Wäre doch gar nicht so kompliziert, oder? Aber fürs erste liegt diese Lösung unter den Trümmern.

 

Russland – Ukraine

Schändlich vernachlässigt haben wir in der letzten Zeit den Krieg in der Ukraine, der mit unverminderter Heftigkeit tobt und nur bei der Hilfe aus dem Westen Ermüdungserscheinungen zeigt. Ich folge einer Skala von „schlimm“ über „sarkastisch“ zu „ermutigend“.

- Ukrainische und UN-Ermittler haben neue russische Kriegsverbrechen ans Licht gebracht. „Bespredel“ bezeichnet eine russische Tradition, die eine Kriegsführung ohne jede Grenzen bezeichnet und Mord, Folter und Vergewaltigung einschließt. Besonders perfide sind die „Anrufe bei Putin“. Da werden bei ukrainischen Gefangenen sensitive Körperteile an Feldtelefone angeschlossen und der Strom angestellt.

- Ein weiterer Fall russischer Willkürjustiz ist das Strafmaß für Alexandra Skotschilenko.
Sie hatte im März 2022 in einem Supermarkt Preisschilder entfernt (s. JB 2022) und sie durch Sätze gegen den Krieg ersetzt. Eine ältere Kundin hatte sie denunziert, und jetzt wurde sie wegen „falscher Informationen über die russische Armee“ zu sieben Jahren Straflager verurteilt. Selbst die Angestellten im Untersuchungsgefängnis sollen sie gefragt haben: „Sperrt man jetzt wirklich Leute für sowas ein?“

- Vor russischen Gesetzen strafbar gemacht, halten Sie sich fest, hat sich auch Präsident Putin. Auf einer Pressekonferenz schon im Dezember 2022 ist ihm das Wort „Krieg“ statt der verordneten „Spezialoperation“ herausgerutscht. Ein Kommunalpolitiker forderte deshalb, gegen den Präsidenten zu ermitteln. Wir wünschen ihm die Höchststrafe und skandieren: „Nawalny raus, Putin rein!“

- Die folgende Zeichnung ist vor dem Hintergrund einer seit 2014 fallenden Geburtenrate und steigenden Abtreibungsziffer in Russland zu sehen. Ob eine eugenische Selektion nach „Kriegstauglichkeit“ Abhilfe schafft, ist fraglich.

 

- Am Marienplatz wurden bei der Demonstration der „Free Russians/Freie Russen“ vor dem Gitterwerk eines Bauzauns großflächige Porträts von politischen Gefangenen in Russland gezeigt. Obwohl samstäglicher Einkaufsnachmittag ist, stößt die Ausstellung „Gesichter des russischen Widerstands“ „auf nicht geringes Interesse“. Ukrainische Besucher bedanken sich, die Putin-Versteher sind in der Minderheit.

Ich glaube, wir haben uns jetzt alle einen Aufheller verdient.

 
Kindheit im Krieg

Migration

- Ein Gesetzesentwurf der Innenministerin sieht vor, die Helfer im Mittelmeer genauso zu kriminalisieren wie professionelle Schleuser. Flüchtlinge, die im Wasser treiben und kein Visum vorweisen können, sollte man als Seenotretter deshalb besser schwimmen lassen. Immerhin drohen bis zu 10 Jahren Haft. Auf Anfrage ruderte die Ministerin zurück, aber die entsprechende Passage ist im Entwurf so gut versteckt, dass sie sich alle Türen offenhalten kann.

- Für den „Asyltourismus“ von Markus Söder sind endlich passende Zielorte gefunden – in Ruanda und Umgebung. Die Asylverfahren sollen in sicheren Drittstaaten durchgeführt werden, und wenn ein Flüchtling anerkannt wird, soll er gefälligst auch gleich dort bleiben. Die Grünen warnen, dass solche Vorschläge das Recht auf Asyl faktischen aushebeln würden.

- Pro Asyl hat in seinem jüngsten Rundschreiben auf das Verhalten des kroatischen Militärs an der Grenze zu Slowenien hingewiesen. Dort wird „physische Gewalt“ bereits praktiziert. Eine Kugel traf einen Afghanen in den Rücken. Seitdem ist er querschnittsgelähmt.

- Mehr als unsanft geht auch Indonesien mit den Rohingya-Flüchtlingen um. An zwei Orten wurden 250 Menschen an der Landung gehindert und aufs offene Meer zurückgeschickt. Erst ein Appell der UN und mehrerer MR-Gruppen beendet ihre mehrwöchige Odyssee.

- Pakistan weist mit großer Härte afghanische Flüchtlinge aus, die keine Papiere haben, Papiere, die sie für ihre Flucht nie bekamen oder die sie nicht mit Schmiergeld bezahlen konnten. Einige von ihnen lebten schon seit 40 Jahren im Land.

Grellbuntes Allerlei – in Kurzfassung

- Wer die deutsche Geschichte der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts nicht mit Nostalgie betrachtet, ist zusammengezuckt, als er aus den neuen Leitlinien für die Bundeswehr erfuhr, dass Verteidigungsminister Pistorius das deutsche Militär wieder „kriegstauglich“ machen möchte. „Verteidigungstauglich“ hätte es auch getan.

- Mehr als bedenklich ist die Zahl der Gewalttaten, die in München (und wohl auch anderswo) von Minderjährigen begangen werden. Da scheint der Corona-Virus nicht nur die Lungen, sondern auch die Köpfe beschädigt zu haben, denn im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie stieg die Zahl der jugendlichen Strafverdächtigen um satte 48 Prozent.

- Für den juristischen Laien, der ich bin, ist der Grundsatz „Nicht zweimal in derselben Sa-che“ schwer verständlich. Nach diesem Grundsatz darf niemand wegen derselben Tat zweimal angeklagt werden, außer es liegt ein Geständnis vor. Im Bundestag saßen 2021 auch einige juristische Laien, denn man beschloss, dass eine Wiederaufnahme möglich sei, wenn es „klare“ neue Beweise gäbe. Karlsruhe kippte mit einer Mehrheitsentscheidung diesen Beschluss als grundgesetzwidrig. Der Mord an Frederike Möhlmann aus dem Jahre 1981 bleibt deshalb, trotz neuer DNA-Spuren, ungesühnt. „Wer es fassen kann, der fasse es!“ (Matthäus 19,11)

- Einen seltsamen Vogel haben die Wahlen vom Oktober in den bayrischen Landtag gespült. Daniel Halemba, AfD, wurde im Stimmkreis Hassberge mit 17 Prozent auf den zweiten Platz gewählt. Auf seinem „Sündenkonto“ eine Reihe von Posten, die einen Landtagskandidaten an sich amtsuntauglich machen - außer man ist bei der AfD: ein „Sieg Heil“ im Gästebuch einer Burschenschaft, der Verdacht auf Volksverhetzung, ein Haftbefehl wegen Verdunklungsgefahr. Er ist so rechts (und obendrein der Trickserei bei der Kandidatenkür verdächtig), dass es jetzt sogar der Bundespartei zu viel wird. Sie hat die bayrischen Parteigenossen aufgefordert, Ordnungsmaßnahmen zu ergreifen, die sogar zum Parteiausschluss führen könnten. Im Dezember hat er seine Parteiämter (zunächst einmal) abgegeben, sein Mandat aber natürlich behalten. Er braucht ja etwas zum Leben, und seine Partei legt Wert darauf, nicht die Oppositionsführerschaft zu verlieren.

Und jetzt, holen Sie tief Luft oder machen Sie zuvor noch einen Spaziergang. Es folgen die

AI-Nachrichten

Femizide: Die tödliche Gewalt gegen Frauen hat laut UN weltweit zugenommen. Es kam 2022 zu fast 89 000 Tötungsdelikten. Durchschnittlich seien damit jeden Tag 133 Frauen oder Mädchen (meist) von einer ihnen nahestehenden Person getötet worden.

Iran: Der Trägerin des diesjährigen Friedensnobelpreises, Narges Mohammadi, wird nicht nur die Entgegennahme des Preises, sondern auch die dringend benötigte medizinische Behandlung verweigert. Dreh- und Angelpunkt der Schikanen war die “heilige Kuh“ der Mullahs, die Kopftuchpflicht. Narges weigerte sich, für den Transport ins Krankenhaus ein Kopftuch aufzusetzen, wurde dann zweimal ohne Kopftuch ins Krankenhaus gebracht, aber postwendend und ohne Nachsorge wieder ins Gefängnis zurückgebracht. Für eine gründliche Behandlung, ganz gleich an welchem Körperteil, muss die Patientin doch ein Kopftuch tragen!

Hingerichtet wurde Hamidresa Asari wegen Mordes, den er begangen hat oder auch nicht. Schon die Todesstrafe an sich wäre anzuprangern, gehört aber für den Iran zur „Geschäftsordnung“. Allerdings war er zum Tatzeitpunkt erst 16, zum Zeitpunkt der Hinrichtung erst 17 Jahre. Das verstößt gegen die UN-Kinderkonvention, wenn auch nicht gegen iranisches Recht, wonach auch 15-jährige Teenager schon voll straffähig sind. Lieber hängen, bevor sie Rebellen werden!

Türkei: Da spielt sich derzeit eine Justizfarce ab, in der Richter aufeinander losgehen. Da hat ein Häftling, Can Atalay, aus dem Gefängnis heraus, bei den Parlamentswahlen ein Mandat errungen, dessen Ausübung ihm zunächst verwehrt wurde. Dann entschied das Verfassungsgericht zu seinen Gunsten und ordnete seine Freilassung an. Da man in Erdogans Türkei durch alle Instanzen geht, bis das Urteil „stimmt“, wandte man sich an das Kassationsgericht. Das wiederum forderte die Annullierung des Mandats und erstattete Anzeige gegen die Kollegen des Verfassungsgerichts.

DFB und Katar: Man hat ja ein gewisses Verständnis, dass der DFB nicht so gerne an die Fußball-WM in Katar erinnert werden möchte, aber sein Schweigen zu Transparenz bei den Entscheidungsfindungen und zur MR-Situation in Katar nach der WM, ist so „laut“, dass man es fast schon wieder hört. Nach Aussagen eines ARD-Journalisten ist der Status quo wieder hergestellt, d.h. den Arbeitsmigranten geht es wieder so schlecht wie vor der WM. „Niemand schaut mehr auf den Reformprozess“. Und, wer weiß, vielleicht wird der Investor, den der DFB an Bord nehmen will, ein Katarer?

Schluss

Als „finale Dissonanz“ seien zwei Frauen erwähnt, die beide auf ihre Art gegen die sexuelle Ausbeutung und Diskriminierung von Frauen gekämpft haben. Die eine, Lea Ackermann, hat erst in Kenia gegen Armutsprostitution und später in Deutschland gegen „Sex-Arbeit“ und Mädchenhandel protestiert, die andere, Jina Mahsa Amini, hat sich (nur um wenige Zentimeter) am Kopftuchgebot vergangen. Lea durfte, Gott und Maria sei Dank, eines natürlichen Todes sterben, Jina wurde von der Polizei erschlagen. Posthum erhielt sie jetzt den Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments.

 
                 
             Lea Ackermann (86 Jahre)                                      Jina Mahsa Amini (22 Jahre)

Sie mögen beide ruhen in Frieden!


Dezember 2023


„Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln
angesichts der schlimmsten Schrecken
und sich nicht an jeder Dummheit begeistern.“


Antonio Gramsci

Da kann man nur noch (abgeändert) den Film aus dem Jahre 1972 zitieren „Play it again, God/Mach’s nochmal, Gott“

Da Weihnachten und Silvester vorbei sind, erlaube ich mir wieder, Ihnen wieder die Stimmung zu verderben mit

Nachrichten vom Gazakrieg

Schicksal der Geiseln: Bis Anfang Dezember waren 105 israelische Geiseln freigekommen, vermutlich gegen Austausch von 300 palästinensischen Gefangenen. Dabei kam es in der SZ zu einem sehr fragwürdigen Nebensatz:

„Hinzu kommen die freigelassenen rund zwei Dutzend gekidnappter Saisonarbeiter aus Thailand, deren Schicksal eine Nebenrolle spielt.“

Nein, tut es nicht!

Von der Gefangenschaft der Geiseln gibt es erschütternde Berichte. Alle hatten Angst, nicht zuletzt auch vor den israelischen Bomben. Eine Frau wurde „wie eine Trophäe durch die Straßen geführt“, eine andere erlebte „jeden Tag wie die Hölle“, eine dritte „wollte einige Details ihrer Gefangenschaft nicht teilen“. Letzteres deckt sich mit einer (reichlich verspäteten) UN-Stellungnahme zum Leiden der Frauen und Mädchen beim Angriff der Hamas am 7. Oktober und in der Geiselhaft. Das Baby Kfir Bibas (10 Monate) wurde mit seiner Mutter und seinem Buder Ariel (4 Jahre) nach einer Meldung der Hamas angeblich bei einem Luftangriff getötet.

 
Kfir Bibas

Es kam auch zu tragischen Fehlschlägen: eine Geisel starb, als israelische Soldaten sie befreien wollten, und drei Geiseln wurden von den eigenen Soldaten erschossen, weil ihre Hilferufe (auf Hebräisch!) als „Täuschungsversuch der Hamas“ eingeschätzt wurden. Der israelische Generalstabschef räumte reumütig ein: „Die drei Toten hätten vermieden werden können.“ Viele palästinensische Zivilisten vermutlich auch! Der Tod der drei Geiseln hat den Druck verstärkt, den Angehörige auf die Regierung in Jerusalem ausüben. Die Aufforderung „Bringt sie nach Hause!“ ist vielerorts durch den Appell „Tötet sie nicht!“ ersetzt worden.

 
die Adressaten – Hamas und Armee

Bilder wie aus Abu Ghraib: Abu Ghraib/Irak wurde zum Symbol für die entwürdigende Behandlung von Gefangenen durch die Amerikaner. Aus dem Gazakrieg wurden jetzt ähnliche Fotos veröffentlicht. Sie zeigen Männer in Unterhosen, auf dem Boden kauern oder knien, manche auch mit verbundenen Augen und gefesselten Händen. Die Armee behauptet, die Männer hätten sich ausziehen müssen, damit man sie nach Waffen durchsuchen könne, aber warum müssen sie dann, vermutlich für längere Zeit, in dieser entwürdigenden Stellung verbleiben? Unter den „Leibesvisitierten“ scheinen Dutzende von Zivilisten (Ärzte, Journalisten, ältere Männer) gewesen zu sein.

 
Verschärfte Vernehmung

Unverhältnismäßigkeit: Bei den Hilfsorganisationen, aber auch in den westlichen Regierungen wächst die Kritik am Vorgehen der israelischen Armee. Die Opferzahlen stiegen rapide an, und die Armee unternähme zu wenig für den Schutz der Zivilbevölkerung, setze durch die Blockade der Versorgung den Hunger als Kriegswaffe ein, gehe „unpräzise und überzogen“ vor. Premier Netanjahu spricht von einem „überwältigenden Krafteinsatz“ gegen die Hamas und meint dabei die palästinensische Zivilbevölkerung offensichtlich mit. Es gibt jedenfalls bereits Juristen, die Militäreinsätze danach beurteilen, „ob es „unnötige zivile Opfer bei geringem erwartbarem militärischem Vorteil gäbe“. Die Formulierung ist komplex, der Einsatz aber eindeutig ein Kriegsverbrechen.

Völkermord oder nicht? Für den pakistanischen UN-Beauftragten ist die Sache klar. Israel bekämpfe nicht nur die Hamas, sondern das palästinensische Volk, es handle sich also um Völkermord. Der juristischen Definition von „Völkermord“ entspricht das nicht. Das wäre, wie erwähnt, „eine Gewalttat, die in der Absicht begangen wird, ein Volk ganz oder teilweise auszulöschen“. Das Kriegsziel ist aber, nach wie vor, der Kampf gegen die Hamas. Wenn man sich allerdings auf die Philosophin Hannah Arendt beruft, die bei Völkermord vom Willen spricht, „die Erde nicht mehr mit einem bestimmten Volk zu teilen“ und die rechten israelischen Politiker heranzieht, von denen ein Minister gefordert hat, eine Atombombe auf Gaza abzuwerfen und „jeden einzelnen Palästinenser zu eliminieren“, käme man einem Völkermord ziemlich nahe, wenn es denn die Mehrheitsmeinung der Israelis wäre und nicht die eines durchgeknallten Außenseiters.

Kritik an Israel: Der ägyptische Menschenrechtsaktivist Hossam Baghat warf der Bundesregierung vor, in ihrer Nahostpolitik das Leid der Palästinenser auszublenden, eine „direkte Mitschuld“ daran zu haben, dass es in Gaza keine sicheren Räume mehr gäbe. Im Westen und bei der UN stößt eine solche Kritik auf immer mehr Resonanz. Eine breite Mehrheit von Mitgliedsstaaten forderte eine sofortige Waffenruhe, Präsident Biden sprach von einer „willkürlichen Bombardierung“ des Gazastreifens, und unsere Außenministerin forderte bei ihrem Besuch in Israel „eine weniger intensive Operationsführung“ – was immer das heißt. Wohlweislich hat sie das Gespräch mit dem israelischen Staatspräsidenten und ihrem Kollegen und nicht mit dem Premierminister geführt.

Ein Blick in die Zukunft: Die frühere israelische Außen- und Justizministerin Tzipi Livni steht voll hinter dem Vorgehen der israelischen Armee und nimmt auch die zivilen Opfer unter den Palästinensern billigend in Kauf. Dass sie sie als Opfer eines „Unfalls“ bezeichnet, der nun einmal vorkommen kann, ist arg daneben. Aber sie ist eine der wenigen Israelis, die sich Gedanken machen, was nach dem Krieg passieren soll. Sie plädiert für eine Zweistaatenlösung unter drei Bedingungen: Es brauche eine Übereinkunft über die Grenzen, der palästinensische Staat müsse demilitarisiert sein und Israel müsse sich um Sicherheitsfragen kümmern. Ob ein souveräner Staat das auf Dauer hinnähme, ist zu bezweifeln, aber als Übergangslösung wäre es einen Versuch wert. Als Justizministerin unterstützte Livni 2005 die Räumung des Gazastreifens durch die jüdischen Siedler. Was sie heute mit den Siedlern im Westjordanland machen würde, hat sie verschwiegen.

Kriegsgebiete und Problemländer

Russland – Ukraine: Der Konflikt im Nahen Osten hat die Kämpfe in der Ukraine aus den Schlagzeilen verdrängt, doch sie gehen mit unverminderter Brutalität weiter. Die russischen Angreifer verfolgen dabei eine schmutzige Strategie und greifen gezielt Gesundheitseinrichtungen und Ambulanzen an. Die Weltgesundheitsorganisation/WHO hat seit Beginn des russischen Angriffs bi Anfang Dezember 2023 an die 1400 solcher Attacken gezählt. „Für die Russen“, so ein ukrainischer Arzt, „ist jedes rote Kreuz auf einer Ambulanz ein hochrangiges Ziel“.

Präsident Putin hat am 9. Januar zum orthodoxen Weihnachtsfest den Gottesdienst besucht. In der „guten alten Zeit“ hätte ein göttlicher Blitz eingeschlagen, bevor so ein Typ eine Kirche betreten hätte. Aber der liebe Gott ist auch nicht mehr der alte! Im letzten Jahr hatte Putin noch allein gefeiert, diesmal waren die Familien von Gefallenen dabei. Schließlich ist im März Präsidentenwahl.

 

Myanmar: Die Junta liegt im Demokratie-Index als zweitautoritärstes Regime der Welt nur einen Rang über dem Schlusslicht, den afghanischen Taliban. Und jetzt scheint den Militärs die Kontrolle zu entgleiten. Die Widerstandsgruppen haben eine gemeinsame Offensive gestartet, und der Juntachef hat zum ersten Mal so etwas wie ein Gesprächsangebot gemacht. Einige Pipelines scheinen den Regimegegnern in die Hände gefallen zu sein, und das Land steuert auf eine Energiekrise zu. Beim Anbau von Opium hingegen ist das Land Spitzenreiter geworden, seit die Taliban den Anbau verboten haben. Aber das Opium kann man nicht verheizen.

Ungarn: „Der Geist von Europa ist mit mir“, ein Satz nicht von Macron, sondern von Viktor Orbán, Obersaboteur von Entscheidungen europäischer Tragweite. Beim Gipfel ging es diesmal um ein Gesprächsangebot an die Ukraine (und Moldau), der EU beizutreten. Eine Einigung wurde schließlich durch einen Trick ermöglicht, der Olav Scholz und Charles Michel eingefallen war: Viktor wurde auf die Toilette geschickt, und seine Abwesenheit als Zustimmung gewertet. Vorher hatte er noch betont, dass die Freigabe von 10 Milliarden gesperrtes EU-Geld für seine Entscheidung keine Rolle gespielt hätte. Schließlich ließe er sich nicht erpressen!

Die Vorwürfe, die Orban der Ukraine macht, Korruption und mangelnde Rechtsstaatlichkeit, fallen weitgehend auch auf ihn selbst zurück. EU-Gelder gehen häufig an Kommunen, die von seiner Fidesz-Partei regiert werden, und das neue „Souveränitätsgesetz“ verfolgt „alle Feinde der Macht“, d.h. die Oppositionsparteien und die Restbestände an freier Presse, denen es verboten wird, auch nur einen Cent aus dem Ausland anzunehmen. Freund Putin lässt schön grüßen!

Niederlande: Ein trauriger Neuzugang in unserem Jahresbericht! Dort hat die Partei PVV des Rechtspopulisten Geert Wilders bei den Parlamentswahlen im November fast ein Viertel der Stimmen bekommen. Und im Dezember ist Martin Bosma, ein „identitärer Hardcoreideologe“ neuer Parlamentspräsident geworden. Da kann man nur noch sagen: „Linke und Muslime, zieht euch warm an!“ Bosma sieht sich im „Kulturkrieg“ gegen die „linke Elite“ und den Aufmarsch des Islam, den er als „mittelalterliche Wüstenideologie“ bezeichnet. Und er hat Begriffe wie „Kopflappensteuer“ geprägt, die Wilders von den Muslima erheben möchte, für die Lizenz, ein Kopftuch zu tragen.

Wilders in den Niederlanden, die AfD in Deutschland, Marine Le Pen in Frankreich und Trump als Präsident – wenn das passiert, sollte man schön langsam bei Elon Musk nachfragen, ob er einen nicht zum Mars schießen könnte. Aber vielleicht geht der Trump an uns vorüber. (s. S.36)

Aber wenn man die Vorwahlen in Iowa und New Hampshire verfolgt hat, verfahren die republikanischen Wähler eher nach dem Motto: „Je krimineller, desto präsidentieller!“

Und wir machen gleich (un)lustig weiter mit den

AI-Nachrichten

Pressefreiheit: In Hongkong steht der Medienunternehmer und Demokratieaktivist Jimmy Lai erneut vor Gericht, diesmal wegen „Zusammenarbeit mit Kräften im Ausland“. Jimmy Lai sitzt schon seit drei Jahren in Haft und kommt bei einer weiteren Verurteilung lebenslang hinter Gitter. Da gehört er nach Meinung Pekings auch hin, denn er gilt als Gesicht des Widerstands im Kampf um Hongkongs Pressefreiheit. Das Verfahren liegt in den Händen von drei Richtern, die der (pekinghörige) Regierungschef John Lee bestimmt hat, Lais eigener Anwalt wurde nicht zugelassen.

 
Jimmy Lai – gut verwahrt

Waffenexporte: Genüßlich ausgeschlachtet hat die deutsche Presse die Diskrepanz zwi-schen dem Versprechen der Ampel, eine „restriktive Rüstungspolitik“ zu betreiben und den Rüstungsexporten, die 2023 einen neuen Höchststand erreichten. Aber da muss man einräumen, dass ein Großteil an die Ukraine ging, ein Land wie Norwegen nicht gerade zu den Kriegstreibern oder Spannungsgebieten zählt, und die Lieferungen an Israel überwiegend nach dem Angriff der Hamas erfolgten. Problematischer ist der Verzicht auf das Vetorecht, der es nun Großbritannien ermöglicht, 48 Eurofighter nach Saudi-Arabien zu liefern, weil das Land (derzeit) zur Sicherheit in der Region beitrage. Ob die Saudis schon zu einem „Stabilitätsfaktor“ werden, weil sie ein paar Raketen der Huthi-Miliz abgeschossen haben, muss man abwarten.

Odyssee eines politischen Gefangenen: Alexander Nawalny war 20 Tage lang „auf Etape“. So beschreibt man die Verlegung eines Gefangenen in ein Straflager, die Wochen, manchmal Monate dauern kann. Nawalny kam in das Lager „Polarwolf“ im hohen Norden Russlands, wo die Haftbedingungen besonders hart sind. Seinen Humor hat er nicht eingebüßt: Er bezeichnete sich als „Väterchen Frost“, der aber leider keine Geschenke bringen könne, da er „unter besonders strengem Regime“ stehe. Wegen einer Lappalie wurde er schon im Januar zu sieben Tagen Isolationshaft verdonnert, weil er sich geweigert hatte, „sich im Einklang mit dem Protokoll vorzustellen“. Hat wohl den Kniefall vergessen!

Frauenrechte: Der folgende Text ist so ungeheuerlich, dass ich mir lange überlegt habe, ob ich ihn aufnehmen soll. Er zeigt die Täter in ihrer ganzen Bösartigkeit und (religiös untermauerter) Dummheit, und die Opfer in ihrer Angst und Ohnmacht. Er stammt aus einem Interview mit der Iranerin Jasmin Taylor („Im Namen Gottes – die Unterdrückung der Frauen im Iran“), die mit 15 Jahren selbst von der Sittenpolizei verhaftet worden war. Sie berichtet von ihrer Freundin Soraya, in deren Schultasche man Flugblätter über Freiheit und Demokratie gefunden hatte. Das zeugt nach dem Rechtsbegriff der Mullahs von „Verdorbenheit auf Erden/Krieg gegen Gott“ und kann mit dem Tod bestraft werden.

„Vor ihrer Hinrichtung wurde sie zwangsverheiratet und vergewaltigt, um sicherzustellen, dass sie nicht mehr als Jungfrau galt. Auf diese Weise wurde ihr, so glauben die Mullahs, die Unschuld genommen, und sie konnte nach ihrem Tod nicht ins Paradies gelangen. … Die Mädchen haben mehr Angst vor dieser Vergewaltigung als vor der Hinrichtung am nächsten Morgen.“

Ich kenne Allah nicht persönlich, aber ich glaube, dass die Mullahs vor dem Paradies mehr Probleme haben werden als Soraya.

Menschenhandel: Im Iran sitzt der schwedische EU-Beamte Johan Floderus ein. Er wurde im April 2022 festgenommen und beschuldigt, ein Spion für Israel zu sein. Was im Iran darauf steht, kann man sich ausdenken. Der wahre Grund seiner Verhaftung war, dass man einen Schweden als „Faustpfand“ brauchte, denn im Juli 2022 war der Iraner Hamid Nouri in Stockholm zu lebenslanger Haft verurteilt worden, weil er 1988 in leitender Funktion an den Massenhinrichtungen im Gefängnis von Gohardascht beteiligt war. Das Urteil wurde im Dezember 2023 in zweiter Instanz bestätigt. Zehn Tage vor dieser Gerichtsentscheidung begann auch der Prozess gegen Floderus in Teheran. Ausgang des Erpressungsversuchs ungewiss.

Justizirrtum: Der Afro-Amerikaner Glynn Simmons kann mit einem Rekord aufwarten, auf den er sicher gerne verzichtet hätte. Er war mit 48 Jahren „Knasterfahrung“ der Häftling, der in der US-Geschichte am längsten unschuldig hinter Gittern saß. Seine Verurteilung beruhte auf der Aussage einer Zeugin, die sich bei der Gegenüberstellung in Widersprüche verwickelte, die aber von der Polizei „nicht kommuniziert“, d.h. verschwiegen wurden.

 
Ich habe es noch erleben dürfen.

Schlagzeilen – manche wörtlich zu nehmen

Die Einigung der EU auf ein neues Asylrecht wurde kommentiert mit „Spuren von Solidarität“, „Unter dem Druck der Umfragen“ und „Herberge zu“.

 

Terrorwarnung am Hl. Abend: Der Kölner Dom war durch ein umfangreiches Polizeiaufgebot abgesichert. An den Eingängen gab es Taschen- und Personenkontrollen. Die Leute kamen trotzdem zum Gottesdienst. Respekt! Im Verdacht: der afghanische Ableger des Islamischen Staates.

Aufforderung zum Alarmismus: Gerhart Baum, Ex-Innenminister, war „noch nie seit 1945 so voller Sorge um die Demokratie in Deutschland“. Der Grund: die Umfragewerte der AfD. Ein Vorgeschmack: das Treffen von AfD-Politikern mit noch rechteren Extremisten im No-vember in Potsdam.

Fotoauktion: Ein Berliner Auktionshaus hatte am Nikolaustag eine seltsame Sammlung im Angebot – Privataufnahmen von Wehrmachtssoldaten in Polen. Die Alben zeigen jüdische Menschen in erbarmungswürdigem Zustand, möglicherweise kurz vor ihrer Ermordung. Der Gipfel des Zynismus: Im Begleittext wird vermerkt, dass die Abzüge „in very good condition/in sehr gutem Zustand“ sind.

Anklänge an Weihnachten

Kurswechsel im Vatikan: In einer Grundsatzerklärung unter dem Titel „Das flehende Vertrauen“ – „fliehendes Vertrauen“ wäre eine passende Alternative gewesen – hat der Vatikan die Vorschriften für katholische Priester dahingehend abgeändert, dass homosexuelle Paare nicht mehr hinter vorgehaltener Hand gesegnet werden müssen, aber eine Nähe zur Eheschließung sei tunlichst zu vermeiden. Der Segen müsse deshalb außerhalb des Kirchenraumes stattfinden, er dürfe keine eigene liturgische oder rituelle Form haben und nicht im Anschluss an eine standesamtliche Zeremonie und in festlicher Kleidung stattfinden. Für mutige Priester also genügend Ansatzpunkte für klerikalen Ungehorsam. Aber zuversichtlich wie wir sind, werten wir das Papier als einen ersten Schritt, dem irgendwann, auch das ist katholisch, ein zweiter folgen wird. Wie heißt es so schön in dem Weihnachtslied: „Kehrt mit seinem Segen ein in jedes Haus …“?

Friedensnobelpreis 2023: Wie schon mehrfach erwähnt, ging der diesjährige Friedensnobelpreis an die iranische Menschenrechtlerin Narges Mohammadi. Den Preis in Oslo nahmen ihre beiden Kinder entgegen.

 
Der leere Stuhl von Oslo

Sie verlasen auch die Botschaft von Narges aus dem Gefängnis. Darin sieht sich Narges als eine von Millionen stolzer und widerstandsfähiger iranischer Frauen, die sich gegen Unterdrückung und Tyrannei erhoben hätten. Damit die Bewegung Erfolg habe, brauche es eine starke iranische Zivilgesellschaft und internationale Unterstützung. Ob unsere Briefe an den europäischen Statthalter der Mullahs in Brüssel zu dieser internationalen Unterstützung“ beitragen, können wir nur hoffen.

Und wenn es schon um Hoffnung geht, wie wär’s mit dieser Karikatur?

 
Vexierbild: Das Klettergerät ist ein Rollator.

Und damit leiten wir über zum



3. Tätigkeitsbericht: Das AI-Jahr
im Landkreis Miesbach


3.1 Schreibtischtaten

„Briefe schreiben, Petitionen unterzeichnen“, was bringt das schon? Das ist eine Frage, die wir nicht nur von außen hören, sondern oft auch uns selbst stellen. Und der Antworten gibt es drei:
- Was soll man aus der Ferne sonst tun?
- Es gibt „Erfolge“, zu denen wir (vielleicht) etwas beigetragen haben.
- Wir erhalten Rückmeldungen von Seiten der „Fälle“, in denen man sich für unsere Unterstützung bedankt.

Aus dem Talmud stammt der Satz, den Sie als treue JB-Leser schon öfter vorgesetzt bekommen haben:

„Wer auch nur ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.“

Wir präsentieren Ihnen 12 Fälle, wo wir versucht haben, „ein Leben zu retten“ (oder erträglicher zu machen) und ergänzen sie, wo verfügbar, mit Informationen über deren weiteres Schicksal.

Mohammad Ghobadiou/Iran (Januar 2023)

Im Zuge der Amini-Proteste angeklagt, weil er auf einer Kundgebung angeblich einen Polizeioffizier überfahren hat - im Prozess keine Rücksicht auf eine psychische Erkrankung - zweimal Verurteilung zum Tode wegen „Krieg gegen Gott“ - letzte Nachricht vom Juli 2023: das Oberste Gericht widerruft die Verurteilung zum Tode.

Gewalt gegen Demonstranten/Peru (Februar 2023)

Demonstranten versuchen, den Flughafen der Stadt Juliaca zu besetzen – Verdacht auf überzogene Gewaltausübung durch Sicherheitskräfte – 18 tote Demonstranten – letzte Nachricht vom Oktober 2023: Ermittlungen gegen Präsidentin Boluarte und weiterer Minister wegen „schweren Mordes“ verlängert.

Ebrahim Babaei/Iran (März 2023)

Er engagierte sich gegen das Kopftuchgebot und wurde bei einem Fluchtversuch in die Türkei verhaftet – seit Dezember 2021 verschwunden – wahrscheinlich in ein „safe house“/Geheimgefängnis verbracht – letzte Nachricht vom Mai 2023: Tochter Shima erhält in Genf einen Preis, Vater bleibt verschwunden.

Verbot einer Frauenorganisation/Türkei (April 2023)

Justiz strengt Verbot der Organisation „Wir werden die Frauenmorde beenden“ an. – Vorwurf: Tätigkeiten, die „gegen das Gesetz und die Moral“ verstoßen – hohe Femizidrate in der Türkei: fast ein Fall pro Tag – letzte Nachricht vom September 2023: Gericht weist Verbotsantrag der Staatsanwaltschaft ab.

Wladimir Kara-Mursa/Russische Föderation (Mai 2023)

Er kritisierte den Ukraine-Krieg und gründete ein Antikriegskomitee. – im April 2023 wegen „Hochverrats und Falschinformationen über die Armee“ zur Höchststrafe von 25 Jahren
verurteilt – verliert im Juli 2023 sein Berufungsverfahren und wird nach Omsk verlegt, nach Auskunft seines Anwalts in Einzelhaft – letzte Meldung vom Dezember 2023: Er hofft auf ein „dramatisches Ereignis“ in Russland oder auf einen Gefangenenaustausch.

Loreto Hernández García, Donaida Pérez Paseiro/Kuba (Juni 2023)

Das Ehepaar nahm im Juli 2021 friedlich an Demonstrationen gegen die Regierung und die Kommunistische Partei teil – wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ und „Angriff“ auf einen Staatsbediensteten zu sieben und acht Jahren Gefängnis verurteilt – unfaires Gerichtsverfahren: zugelassen wurden nur Zeugen aus den Reihen der Ordnungskräfte – Nachricht vom November 2023: beide noch in Haft, Verwandte beim Besuch streng kontrolliert.

Jamshid Sharmahd/Iran (Juli 2023)

Der deutsch-iranische Journalist wurde im Sommer 2020 aus den Vereinigten Arabischen Emiraten in den Iran entführt. – Er blieb 32 Monate verschwunden. – 2023 in zwei Schauprozessen wegen „Verdorbenheit auf Erden“ zum Tode verurteilt – im Juli 2023 Telefonat mit der Tochter, oft das Anzeichen einer bevorstehenden Hinrichtung – letzte Nachrichten vom November 2023: Schwere Erkrankung an Parkinson, Familie klagt über mangelnde Unterstützung von Seiten der Bundesregierung.

Ibrahim Metwaly/Ägypten (August 2023)

Der MR-Anwalt, der die Organisation „Familien von Opfern des Verschwindenlassens in Ägypten“ gegründet hat, wurde im September 2017 vor seinem Abflug zu einer UN-Arbeitsgruppe in Genf in U-Haft genommen – Vorwurf: „Gründung einer illegalen Organisation, Verschwörung mit ausländischen Gruppen“ – U-Haft durch Erfindung neuer Tatbestände willkürlich verlängert – letzte Nachricht vom Oktober 2023: sitzt immer noch in einem Hochsicherheitsgefängnis für Terroristen.

Maksym Butkevych/Russland (Oktober 2023)

Der MR-Aktivist ging freiwillig in die ukrainische Armee, wurde im Juni 2022 mit seiner Einheit in der Region Luhansk gefangengenommen und wegen angeblicher Kriegsverbrechen zu 13 Jahren Haft verurteilt. – Scheinprozess mit erzwungenem „Geständnis“ – war u.a. mehrere Jahre im Vorstand von AI-Ukraine – letzte Nachricht vom November 2023: seit Ende August „im Labyrinth des russischen Strafvollzugs“ verschollen.

Matiullah Wesa/Afghanistan (Oktober 2023)

Sein Bild erschien auf unserem Veranstaltungsplakat zum Infoabend „Afghanistan zwischen Flucht und Verfolgung“. – Er gründete die Organisation PenPath/Füllfederhalterweg, die sich um den Zugang von Frauen und Mädchen zu Bildung einsetzt. – verhaftet im März 2023 auf dem Heimweg von der Moschee – beschuldigt geheimer Aktivitäten – Proteste gegen die Inhaftierung durch Stammesälteste – im Oktober 2023 freigelassen.

Reza Rasaei/Iran (November 2023)

Auch er wurde im November 2022 während der Amini-Proteste verhaftet. – angeklagt der Tötung eines Geheimdienstmitarbeiters – Geständnis unter Folter – zum Tode verurteilt im September 2023 – letzte Nachricht vom Dezember 2023: Hinrichtung steht kurz bevor.

Toomaj Salehi/Iran (Dezember 2023)

Der Rapper ist seit Oktober 2022 (wieder) in Haft. – Vorwurf: alle im Iran denkbaren politi-schen und religiösen Delikte – Grund seiner Haft: die regimekritischen Texte seiner Lieder –im Juli 2023 zu sechs Jahren und drei Monaten verurteilt - im November 2023 gegen Kaution freigelassen – Ende November wegen „Verbreitung von Falschinformationen“ erneut verhaftet.

3.2 Veranstaltungen und Aktionen

„Totgesagte leben länger“ kann man nur sagen, wenn wir unseren diesjährigen Veranstaltungs- und Aktionskalender mit der Zukunftsprognose des letzten Jahresberichts vergleichen, die eher in Grautönen gehalten war. Trotz des reduzierten Personalstands sind wir (noch) nicht in der Versenkung verschwunden und ca. 20mal in der örtlichen Presse aufgetaucht. Den beiden Lokalblättern an dieser Stelle unseren herzlichen Dank für die wohlwollende Berichterstattung.

Neujahrsempfang der Stadt Miesbach (Januar)

Da wurden wir schmerzlich daran erinnert, dass wir in einer Stadt, die von sportlichen und kulturellen Aktivitäten geradezu überbordet, nur eine Randexistenz führen, im Gegensatz zur Wasserwacht am Seehamer See, zum Klub der Oldtimerfans und zu den Aufstellern des Maibaums. Trotz unseres 50-jährigen „Geburtstages“ wurden wir in der Jahresbilanz nicht erwähnt, waren dabei aber in guter Gesellschaft mit Muslimen, Helferkreis, Flüchtlingen und Nachbarschaftshilfe. In einem Mail im März versprach der Bürgermeister allerdings, dass er beim Empfang 2024 auf unser Jubiläum (und hoffentlich auch auf die anderen Gruppen) zu sprechen käme. Ich habe ihm versöhnlich zurückgemailt, dass die „Weglassung keine so gravierende Menschenrechtsverletzung sei, dass wir uns mit dem geballten AI-Arsenal dagegen wehren müssten“.

Beim Empfang 2024 hat der Bürgermeister sein Versprechen eingelöst. Er hat uns mit der Nachbarschaftshilfe an prominenter Stelle in seinem Eventkalender der Vereine platziert. Wir wurden vom Publikum „zur Kenntnis genommen“, aber geklatscht wurde erst bei der Feuerwehr.

Erinnerung an den Kriegsbeginn in der Ukraine (März)

Diesen traurigen Jahrestag haben wir gleich im Doppelpack begangen. Am Rathaus kamen etwa 140 Leute zusammen, wobei im Gefolge des Landrates auch noch andere Bürgermeister erschienen. Lautstarke Störung durch Putin-Versteher gab es keine, auf einem Plakat prangte eine Russlandfahne, und die Querdenker trugen ein Transparent mit der gleichen Friedenstaube, die einige Tage später auch wieder bei der Bühnenshow von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht in Berlin flatterte.

Die Reden waren von unterschiedlicher Stoßrichtung. Der Integrationsbeauftragte Max Niedermeier sprach eindringlich von der Notwendigkeit, eine solche Veranstaltung auszurichten, die Ukrainerin Yuliia Usikova erzählte von ihrer Flucht, gab bewegende Impressionen aus der alten und der neuen Heimat wieder und bedankte sich ausdrücklich bei den Helferkreisen. Die Politiker gingen relativ kurz auf den Krieg und das Leid der Ukrainer ein, dafür aber sehr ausführlich auf die Probleme, die sich für den Landkreis und die Gemeinden daraus ergeben. Eine Leserbriefschreiberin aus Schliersee war „vom politischen Personal schwer enttäuscht“. Bei allem Verständnis für die Belastung der Region konnte man diese Enttäuschung nachfühlen.

Als die (schrillen) Klänge der Bandura ertönten, waren die anwesenden ukrainischen Flüchtlinge sichtlich gerührt.

Es ging weiter zu einem ökumenischen Friedensgebet in die katholische Kirche. Sie war gut gefüllt, die ukrainischen Familien hatten auch ihre Kinder mitgebracht. Die Musik der ukrainischen Gruppe mit ihrer grandiosen Sängerin brachten manche zum Weinen. Im Gedicht, das ein 8-jährigen Bub aus Israel verfasst hatte, klang die Friedenssehnsucht an, deren Erfüllung man sich vom Oktober an auch für den Nahen Osten wünschen würde. Und in den Fürbitten wurde sowohl den Opfern des Krieges als auch jener gedacht, die „auf dem Weg der Gewalt festgefahren sind“. An einem Baum konnte man seine Wünsche aufhängen, und da fanden sich dann friedlich nebeneinander „dass die Hasspropaganda gegen Russen aufhört“ und „dass mein Land wieder frei wird“. Das Vaterunser wurde in mindestens zwei Sprachen gebetet, aber vermutlich war auch noch russisch dabei. Und am Ende sangen wir „Hevenu schalom alejchem“ auf hebräisch, deutsch und ukrainisch.

 
Der Wunschbaum in der Kirche

Demo „Fridays for Future“ (März)

Da hatten wir nur Gaststatus, aber das Thema „Nachhaltigkeit“, das in den Reden behandelt wurde, kam in beängstigender Weise auch in den Kommentaren der Straße zum Ausdruck. „Nachhaltig“ ist bei manchen Leuten die Einstellung aus der Nazizeit, dass Demos in Deutschland nichts verloren haben – außer es ist Reichsparteitag. Ein SUV-Fahrer schrie „Sch…“ beim Vorüberfahren, und eine ältere Frau plapperte in ihr Handy, dass „die nichts zu tun haben und deshalb demonstrieren“. Solche Leute würden wahrscheinlich auch den Hitler wieder wählen!

Internationaler Frauentag (8. März)

Wir waren, wir müssen gestehen nach längerer Abwesenheit, wieder einmal bei diesem Treffen vertreten und wurden in der „sehr gemischten und interessanten Gruppe“ mühelos unsere 30 Karten los, mit denen wir, leider auf Deutsch und damit vom schnellen Wegwerfen gefährdet, den Generalstaatsanwalt des Bundesstaates México aufforderten, gefälligst etwas gegen die Femizide in seinem Bundesstaat zu tun. In Mexiko werden täglich zehn Frauen ermordet. Als willkommenen „Beifang“ haben wir drei Abonnentinnen für unsere Monatsbriefe geworben.

Ostermarkt in Fischbachau (März)

Wir wurden auch von der neuen Marktleiterin freundlichst und kostenfrei aufgenommen. Die Kosten verursachten wir selbst, denn beim Auspacken zerbrach eine Packung unserer herrlichen Ostereier. Zu einer weiteren Panikattacke kam es, als wir merkten, dass wir den Schlüssel zur Wechselgeldkasse vergessen hatten. Der Markttag verlief dann eher ruhig – zu ruhig. Man bewunderte zwar unser bestechendes Angebot an Keramik, Restbeständen an Ostereiern, Astviehern, hielt sich aber beim Kauf zurück. Am Nachmittag war „tote Hose“, die Standbetreiber besuchten sich gegenseitig. Nachfragen zu AI gab es kaum, was aber auch daran lag, dass wir, dem Gruppensprecher sei Undank, auf jegliche Infomaterialien verzichtet hatten. Der Erlös von 316,-€ bedeutete „Limit erfüllt“, die Eigenkäufe der Gruppenmitglieder trugen wesentlich dazu bei. Aber Präsenz ist alles!

 
Das macht doch was her, oder?

Themenabend Menschenrechte (März)

Präsent waren wir auch bei der „Ehrenrunde für die Menschenrechte“ (Merkur), die das Gymnasium Miesbach zum 2. Mal innerhalb von vier Jahren absolvierte. Bei der Einladung sprach der Organisator verzweifelt von einem „Disaster“, weil alle beteiligten Gruppen, und es waren viele, ihren zeitlichen Rahmen überzogen hatten und man ja nicht gut bis in die Osterferien hinein weitermachen konnte. Deshalb bat man uns (händeringend) um eine Kurzversion unserer „50 Jahre AI“, die wir in Form von Schlagzeilen ablieferten. Diese Schlagzeilen können/wollen wir Ihnen nicht ersparen. Ich hätte ja auch die fünf Seiten meiner Langfassung abdrucken können.

1972 – 1982

- 1. Auftritt im Mai 1973 am Marktplatz in Miesbach: Die Miesbacher hielten sich, so die Pressenotiz, in respektvoller Entfernung und begleiteten das Geschehen mit einer Mischung aus Wohlwollen und Gleichgültigkeit.

- Ein erster Fall, Danylo Shumuk/Ukraine: mit 42 Jahren hinter Gittern damals der dienstälteste politische Gefangene der Welt

1982 – 1992

- Große Kunstauktion mit dem damaligen Landrat Norbert Kerkel: Erlös 9430 Mark.

- Auftritt vor der Amikaserne in Bad Tölz: die Flugblätter gegen die Todesstrafe wurden zurückgewiesen oder landeten auf dem Boden, die Militärpolizei kontrollierte die Personalien.

1992 – 2002

- Unser 25. Geburtstag: „Feierabend“ mit Gerhard Polt und der Biermösl Blosn. Volles Haus im Waitzinger Keller.

- Infostand zum 40. Geburtstag von AI weltweit und zur Anti-Folter Kampagne: die gewagte Kombination von Geburtstagskuchen für Unterstützer und Schaufensterpuppe aufgehängt am Lichtmasten trifft nicht auf allgemeine Zustimmung.

2002 – 2012

- Eröffnung der Olympischen Spiele in Miesbach: eine Gegenveranstaltung zu den Spielen in Peking.

- China Keitetsi: ein Infoabend mit einer ehemaligen Kindersoldatin aus Uganda

2012 – 2023

- Miesbach – Ort der Migration: Anlässlich der Ersterwähnung Miesbachs im Jahre 1114 Berichte und Musik zur Migrationsgeschichte des Ortes, von der Reformation im 16. Jahrhundert zu den Fluchtbewegungen der Gegenwart.

- 15. Februar 2023: Im Iran werden Yasaman Aryani und Monireh Arabshahi vorzeitig freigelassen. Sie hatten 2019 in der U-Bahn von Teheran Blumen an Mitreisende verteilt – unverschleiert. Dafür bekamen sie fünfeinhalb Jahre Haft wegen „Förderung der Prostitution“. Für uns endlich wieder einmal ein Fall, der vorzeitig zu Ende ging.

Ich wünsche Ihnen einen Abend von unterhaltsamer Besinnlichkeit.


Letzteres war jetzt für das zahlreiche Publikum (300 Besucher) des Abends, nicht für Sie als Leser gedacht.

Das Programm war von beeindruckender Vielfalt: eine Theater- und Videoshow zu unterschiedlich gedeckten Frühstückstischen, eine knallige Kostümierung beim „multikulturellen Komposthaufen“, tolle Bilder zum Thema „Solidarität“, ein Streifzug durch fünf Problemländer (Iran, China etc.) und ein Bericht über den AI-Briefmarathon, bei dem die Schule jetzt schon seit mehreren Jahren „mitläuft“.

Dazu ein berührender Auftritt des Kammerchors mit einem Lied im Gedenken an den verstorbenen Hausmeister Carlo Schäffer und die Verabschiedung durch das „The lady is a tramp“ der Big Band. Wir sind sehr beeindruckt nach Hause „getrampt“ – und waren froh, ein solches zu haben.

 
Schüler in Aktion

Infoabend: Krieg in Europa (März)

Wir griffen das Thema „Krieg in der Ukraine“ noch einmal auf, um den „historischen Wurzeln“ des aktuellen Konflikts nachzuspüren. Von der Besucherzahl her befriedigend (30), konkurrierten wir doch mit der Vernissage der Haberer-Ausstellung und einer „Radltour durch Irland“. Wir hatten allerdings mit der SPD einen klugen Deal eingefädelt: Wir gehen zu eurer Veranstaltung „90 Jahre Ermächtigungsgesetz“, und ihr kommt dafür zu unserem Infoabend.

Der Referent, das sei hervorgehoben, hatte ein fundiertes Wissen und war glänzend vorbereitet, aber leider ist ihm etwas der Schwerpunkt verrutscht. Er reservierte 60 Minuten für die Geschichte und behandelte das aktuelle Geschehen nur noch in einer Kurzfassung. Ich saß auf Kohlen und fragte mich. „Wann kommt er endlich von den Kosaken zu Putin?“ Auch die Zuhörer waren sichtlich erschöpft und stellten ihre Fragen eher aus Höflichkeit.

Als ich einige Tage später das Konzept schriftlich bekam, sagte ich nur noch: „Das wäre es gewesen. Alles war da, wir sind nur nicht mehr dazugekommen.“

Ostermarsch - stationär“ (April)

Wie letztes Jahr schwappte der Krieg in der Ukraine auch heuer wieder nach Miesbach über, aber hier war er tatsächlich nur eine „Spezialoperation“ zwischen den Retro-Pazifisten und den Realos. Im Vorfeld kam es zu einem regen Mailverkehr, zu vielen Absagen und zu einigen Alternativvorschlägen (Schweigemarsch, Marsch zum Kriegerfriedhof in Gmund). Zu den Absagern gehörte auch die AI-Gruppe, weil wir die unschönen Szenen des letzten Jahres noch in Erinnerung hatten und auch davor Angst hatten, dass eine zerstrittene Marschgruppe mit kontroversen Transparenten und dissonanten Slogans das Anliegen der Ostermärsche bei denjenigen stärker in Misskredit bringen würde, die sowieso nichts mit Ostermärschen am Hut haben.

Am Ende traf man sich zu einem Oster“marsch“ am Miesbacher Rathaus: Transparente und Parolen waren verboten, sodass die Lesung von Texten zu Krieg und Frieden friedlich verlief. Dazu spielte die unverwüstliche Band von Ludwig Pschierl für die ca. 30 Leute fetzige Musik aus ihrer Jugendzeit („Hey, Jude“). Ein unbarmherzig einsetzender Regen und ihre gestutzten Flügel hinderten die Friedenstaube am Wegflug.

Trotz alledem – ein Kompliment an die hartnäckigen Organisatoren Christine Negele und Hermann Kraus. Sie haben aus einer verfahrenen Situation das Beste gemacht.

Attentat auf unseren Schaukasten (April)

Unser Schaukastendesigner hat bisweilen den Verdacht, dass die Passanten in der Unterführung am Stadtplatz diesem Schaukasten nicht die gebührende Aufmerksamkeit zukommen lassen, obwohl er (und seine Vorgängerin) ihn liebevoll gestaltet (gestaltet haben). Deshalb war er überrascht, wenn auch unangenehm, als auf die Scheibe andeutungsweise ein Z, Symbol des russischen Angriffskriegs, geschmiert war. Schauen Sie sich doch gelegentlich den Schaukasten an, aber lassen Sie bitte die Marker daheim.

DGB-Maikundgebung (1. Mai)

Wie immer ein Heimspiel – wenn auch kein übermäßiger Andrang bei unseren Briefen. Die Einladung war so freundlich, als ob man schon auf uns gewartet hätte. Immerhin waren wir in den letzten 10 Jahren viermal präsent – und von den verbleibenden sechs Jahren waren drei von Corona blockiert. Mit anwesend waren ca. 40 Besucher, darunter viele jüngere Gesichter, ein MdB, ein Ex-MdB, zwei Vizebürgermeister, nach Augenschein eine Koalition von SPD und Grünen, die aber besser harmonierte als das Ampelbündnis. Späßchen am Rande: Im Merkur tauchte als AI-Vertreter der Landtagskandidat der SPD auf. Ob ihm das einige zusätzliche Stimmen eingebracht (oder gekostet) hat, kann man nicht wissen.

Bei unserem Kurzauftritt erhielten wir viel Beifall, obwohl wir leider nur eine magere Erfolgsbilanz vorweisen konnten. Immerhin haben wir inzwischen erfahren, dass unser langjähriger „Stammgast“, der Lehrergewerkschaftler Esmail Abdi, im November 2023 gegen Kaution freigelassen wurde. Und wir konnten zwei neue Fälle vorstellen: Mehran Raouf, britisch-iranischer Arbeitsrechtler, und die kambodschanische Gewerkschaftschefin Chim Sithar, die gegen Kautionsauflagen verstoßen haben soll, von denen sie gar nichts wusste.

Der Publikumsverkehr hielt sich, wie erwähnt, in Grenzen. Wir wurden je 13 Briefe und fünf Jahresberichte los. Rühmliche Ausnahme war die DGB-Chefin von Schliersee. Sie nahm gleich drei Doppelbriefe mit. 1. Mai 2024? Wir sind wieder dabei – wenn man uns haben will!

Infostand in Miesbach (Juli)

Am Samstag zuvor hätte uns der heißeste Vormittag des Jahres geblüht, und deshalb blieben wir zuhause im Schatten. Im zweiten Anlauf passte das Wetter, aber auch bei moderaten Temperaturen hielt sich der Zulauf in Grenzen. Wahrscheinlich waren schon einige Interessenten vor einer Woche gekommen und nahmen uns übel, dass wir uns nicht den 35 Grad ausgesetzt hatten. Die Frühschicht jedenfalls klagte resigniert über die mangelnde Resonanz.

„Mit Müh und Not haben drei Bekannte unterschrieben. Wenn wir versucht haben, jemand anzusprechen, sind diese Personen nur noch schneller am Stand vorbeigegangen.“

 
Der Massenandrang sind wir selbst.

Dabei wäre unser Angebot an Postkarten mehr als attraktiv gewesen. Wir hatten zwei Nobelpreisträger anzubieten, die beide im Gefängnis saßen – inzwischen fast schon eine Voraussetzung, um den Friedensnobelpreis zu bekommen: Zum einen die Iranerin Narges Mohammadi, zum anderen Ales Bialiatski aus Belarus. Und dann konnten wir noch mit leibhaftigen Erfolgsmeldungen aufwarten: Unsere „Blumenfrauen“ aus Teheran waren im Februar freigelassen worden, und unser Drogenkleinhändler aus Malaysia durfte zumindest die Todeszelle verlassen. Und als Dreingabe eine Petition an den russischen Botschafter, mit der Forderung, den Angriffskrieg in der Ukraine zu stoppen. Da er diese Petition mit den 15 (!) Unterschriften und durch ein wohlwollendes Begleitschreiben ergänzt, postwendend an Putin weitergeleitet hat, wurde er postwendend seines Amtes enthoben. (Vorsicht Satire!)

Für die 2. Schicht war es „ok“.

„Ein Miesbacher mittleren Alters in legerer Tracht diskutierte eine halbe Stunde mit uns über … ein Potpourri an Themen. Eine Inderin unterschrieb Postkarten. Ein schwäbisches Ehepaar erzählte, dass sie ihr Haus mit neun Ukrainern teilten. Es war unterhaltsam.“

Nicht unerwähnt bleiben soll das Engagement der Gruppe: der „harte Kern“ hatte sich vollzählig zum Standdienst gemeldet – mit einer Ausnahme, die war in der Bretagne. Und da war auch noch beim Aufbau das Gespräch mit der Bäckerin. Auf meine Ankündigung, wir würden einen Infostand aufbauen, fragte sie:

„Wer ist ‚wir‘? Ach, Amnesty?“

Und das klang so, als würde sie uns mögen – oder zumindest nicht als „geschäftsschädigend“ einstufen.

Rekord in der Stadtbücherei – Guinessbook-verdächtig (September)

Die Monatsbriefe, die wir in der katholischen Kirche und in der Stadtbücherei auslegen, haben eher Aufforderungs- als Mitnahmecharakter. Umso erstaunter waren wir, als im September von den fünf Briefen nur noch zwei übrig waren. Ich habe es nicht versäumt, dem Büchereipersonal meine Glückwünsche auszusprechen.

Landtagswahlen in Bayern (Oktober)

An uns lag es nicht, dass die … und die … so viele Stimmen bekamen, wir waren bei der AI-Bayernaktion nämlich total unparteiisch und haben uns dafür Missstände und Defizite bei der Polizei und der Justiz vorgeknöpft, z.B. „Strenge Voraussetzungen für Präventivgewahrsam schaffen“ und „Für unabhängige Untersuchungen bei Vorwürfen gegen die Polizei“. Diese Forderungen haben wir an die fünf Stimmkreiskandidaten geschickt, aber weder die Siegerin noch die Verlierer haben uns einer Antwort gewürdigt. Waren wohl anderweitig beschäftigt! Aber auch in der Gruppe war die Resonanz bescheiden – eher infostandähnlich. Nur vier Mitglieder riefen unser Kartenset ab. Dabei hätte es durchaus „Handlungsbedarf“ gegeben, denn Bayern war damals neben Brandenburg das einzige Bundesland, dass damit liebäugelte, die „letzte Generation“ als kriminelle Vereinigung einzustufen. Als die Bauern einige Monate später wegen des Agrodiesels die Straßen blockierten, haben offizielle Stellen (nicht aber einige Leserbriefler) das Wort „kriminelle Vereinigung“ tunlichst vermieden. Wie wär’s, wenn man bei beiden Gruppen darauf verzichtet?

Verstärkung für AI-Kirchheim (Oktober)

Wir ließen uns nicht lange bitten, an der Postkartenaktion der Kirchheimer in Richtung Vereinigte Arabische Emirate/VAR teilzunehmen. Zum einen, weil uns der Gedanke gefallen hat, deren Botschaft zehn Tage lang mit Karten zu „fluten“/nerven, zum anderen, weil es sich um einen Justizskandal der gemeinsten Art handelt. Acht Lehrberufler und Studenten waren 2013 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden, weil sie eine Verfassungsreform und mehr politische Teilhabe gefordert hatten. Alle Haftstrafen waren 2020 und 2023 abgesessen, aber die Männer wurden nicht freigelassen. Und zum dritten, weil die VAR zwar die höchsten Gebäude baut, aber die Menschenrechte im Keller belässt. Und zum vierten, weil die Postkarte recht originell war. Man sollte sie, aus welchen Gründen auch immer, nur mit dem Vornamen unterschreiben. Und so hieß ich ab-wechselnd „Martin, Jens“ oder auch mal „Ali“.

 
 „Nach oben ‚hui‘, nach innen ‚pfui“.

Im Dezember wurden gegen einige der Männer neue Verfahren eingeleitet.

Tag der Todesstrafe (10. Oktober)

Im Umfeld dieses Tages standen wir mehrmals auf dem Marktplatz in Holzkirchen, aber dazu fehlte uns das Personal, wenn auch nicht das Material. Für AI ging es dieses Jahr um die Todesstrafe in Singapur. (s. Juli) Der Stadtstaat gehört zu der Handvoll von Staaten, die in den letzten Jahren wegen Drogendelikten hingerichtet haben. Singapur hat die Todesstrafe für Drogendelikte im März 2022 wieder aufgenommen und seither schon 16 Menschen hingerichtet. Diese Delikte gehören nicht einmal zu den „schwersten Verbrechen“, für die der „Pakt für bürgerliche und politische Rechte“ von 1966 die Todesstrafe noch erlaubt hat. Wir schrieben an den Premierminister, forderten ein Moratorium und haben noch bis März 2024 eine Petition laufen, die Sie auf unserer Homepage finden.

Demo in München: 75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrech-te/AEMR (21. Oktober)

Der folgende Text entstand unmittelbar nach der Demo – aus einem Gefühl zufriedener Selbstgefälligkeit.

Münchner Freiheit: Angelika empfing mich mit Sorge. „Wir brauchen 30 Leute für die Schilder. Hoffentlich müssen wir nicht absagen.“ Trotz nachdrücklicher Einladungsmails kamen nämlich nur
21 Leute, aber mangelnde Resonanz halten erfahrene AI’ler/innen nicht von Taten ab. Einige bewaffneten sich mit zwei Schildern, und wir zogen mit Polizeischutz los. Durch geschickte Abstandshaltung haben wir den Zug auf mindestens 3x21 Meter verlängert.

 
AI-Demo, optimal aufgestellt

Der Weg: Polizeischutz wäre nicht nötig gewesen. Die Autofahrer fuhren diszipliniert an uns vorbei, es gab keine Wutbürger, die lautstark hupten oder uns von der Straße zerrten. Die Passanten schauten uns von neutral bis wohlwollend an. Nähe Siegestor hob ein Frühtrinker seine Flasche und prostete uns ein „Auf die Freiheit“ zu, bei der Residenz fing ein Mann zu klatschen an, folgte leider aber nicht meiner Aufforderung mitzumarschieren.

Marienplatz: Der Höhepunkt unsere Demo – ein Massenpublikum, neugierige Blicke, klickende Handys, ein begeistertes Raunen durch die Reihen. Leider galt der Andrang aber nicht unserer Demo, sondern dem Glockenspiel am Rathaus, und geraunt wurde nicht wegen unserer Schilder mit den Artikeln der AEMR, sondern weil der bayrische Ritter den Österreicher aus dem Sattel lanzierte.

Am Rindermarkt: Unsere Organisatorinnen verabschiedeten sich freundschaftlich von der Polizei, die offensichtlich dankbar war, dass sie unsere Demo, und nicht einen pro-palästinensischen Autokorso überwachen mussten – und die uns nicht nachtrugen, dass wir bei der diesjährigen Bayernaktion gegen Justizwillkür und Polizeiübergriffe Stellung bezogen hatten.

Persönliches Fazit: Ich habe ein gutes Gespräch mit meiner „Nebenfrau“ geführt, es genossen, dass ich in der Spitzengruppe mithalten konnte und von den (jüngeren) Mitgliedern am Ende des Zuges zu hören, dass wir langsamer gehen sollten. Mein Dank geht an die Organisatorinnen, verbunden mit der Bitte, sich nicht entmutigen zu lassen. Ich jedenfalls habe es nicht bereut, mitmarschiert zu sein.

Die Teilnehmer aus Miesbach haben sich auf wundersame Weise vermehrt, denn nach einer Irrfahrt mit dem Nahverkehr kam am Rindermarkt noch ein Gruppenmitglied dazu, und schon waren wir – zu zweit.

Vernissage: Ausstellung Heinrich Skudlik (8. November)

Die Eröffnung der Ausstellung in Erinnerung an unseren Gruppengründer, der im November 2020 verstorben ist, wurde zum Höhepunkt unseres AI-Jahres, wobei natürlich die Werke des Künstlers im Zentrum standen - und die Hauptlast der Arbeit bei anderen war. Wir durften uns mit fremden Federn schmücken. Meine Erinnerungssplitter, „denen ich verzaubert nachschaue“ in Stichworten:

- engagierter Einsatz von Sohn Johannes, der Chefin des Kulturamtes Frau Krobisch und ihres Personals, des Ehepaars Hermenau
- reiches Angebot: hätte leicht für zwei weitere Ausstellungen gereicht
- 124 Besucher, der Bürgermeister, der Ex-Chef vom Gymnasium+ fünf frühere Kollegen, viele Ex-Schüler, die in Erinnerungen schwelgten, die Verfasser des Buches „Angesichts des Grauens die Hoffnung“, die eigens aus Spanien angereist waren, die drei Töchter von Heinrich Skudlik, die Frau, die er „in einer schwierigen Lebensphase“ mit ihren Kindern beherbergt hatte
- die drei Reden, die ein eindrucksvolles Gesamtbild von Heinrich Skudlik entwarfen und das über einen Zeitraum von 50 Jahren:

AI-Gruppensprecher: schilderte in Form eines strukturierten Deutschvortrags HS als Lehrer und Kollegen, als Initiator und als Christ.

Horst Hermenau: hob seine innovativen Konzepte, seinen entspannenden Unterrichts-stil und die Einbeziehung der Schüler hervor.

Ernesto Holthaus (92): führte ein intimes Zwiegespräch mit einem Foto von HS, berichtete vom Goa-Projekt und vom Hungermarsch-Denkmal in Landsberg, verabschiedete sich von seinem Freund mit einem ergreifenden „Bis bald, Heinrich!“

- die einfühlsame Musik am Flügel durch Sohn Johannes
- drei Zeitungsartikel, einer davon ganzseitig
- der Dankesbrief eines Ex-Schülers: drei Seiten
- Reaktionen exponentieller Begeisterung: „ein Volltreffer“, „ein großer Moment in meinem Leben“, „war selbst ganz beseelt von diesem Abend“.

Es grenzt in unserer schnelllebigen Zeit fast schon an ein Wunder, dass ein Mensch nach einer Abwesenheit von 40 Jahren und drei Jahre nach seinem Tod mit solcher Lebenskraft wiederkommt.

 
Der Gefangene

Die Ausstellung wurde nach mehreren Anfragen bis Anfang Januar verlängert. Johannes Skudlik wird mit einem Benefizkonzert für AI am 13. Januar 2024 den Schlusspunkt setzen. „Jauchzet, frohlocket“, kann man da nur noch sagen! Aber: s. später!

Infoabend: „Afghanistan – zwischen Flucht und Hoffnung“ (November)

Der Abend wartete mit einigen Überraschungen auf. Im Vorfeld wie immer die reibungslose Koalition zwischen den vier Veranstaltern, ein eindrucksvolles Plakat von Frau Egginger,

 
Lehrer in Aktion

das in Geschäften unterzubringen, immer schwieriger wird, eine gelungene optische Einstimmung durch die Ausstellung „Bilder aus Afghanistan“ im Treppenhaus – und der spontane Einsatz von Herrn Titov, der uns vor einem technischen Kollaps bewahrte. Zu unserer Überraschung kamen über 50 Besucher, die Hälfte Flüchtlinge, manche mit Kindern, sodass wir zum 1. Mal die Anrede „Meine Damen und Herren“ durch „Liebe Kinder“ ergänzen konnten.

 

 Die Auswahl der Referenten erwies sich (im Nachhinein) als Glückstreffer. Den ersten Teil des Abends bestritt Hassina Quaraishi. Sie war vor 11 Jahren als unbegleitete Minderjährige geflüchtet und engagiert sich von Deutschland aus, so gut es geht, für afghanische Mädchen und Frauen. Sie trat mit einem einnehmenden Selbstbewusstsein auf und entwarf ein erschreckendes Bild von der aktuellen Situation der weiblichen Bevölkerung in ihrer Heimat. In der Diskussion kamen Fragen auf, für die wir alle keine rechte Antwort hatten. („Warum gibt es keinen Aufstand der Männer?“ und: „Was haben 20 Jahre westlicher Präsenz gebracht?“). In der Pause hatten wir den Entspannungstee von Frau Sultani bitter nötig.

Den 2. Teil des Abends gestaltete Jamal Farani, der auch die Ausstellung geliefert hatte. Für die deutschen Besucher war sein Reisebericht im Plauderton zu wenig politisch (Kommentar: „Was ist eigentlich das Thema?“), aber bei den afghanischen Flüchtlingen riefen seine wunderschönen Fotos offensichtlich Erinnerungen hervor, deren Gefühlsgehalt wir als Indigene nicht beurteilen können. Faranis Kalender jedenfalls fand reißenden Absatz, deutlich mehr als unsere Ai-Karten.

Adventsmarkt (November)

Der Markt ist mit dem Umzug ins katholische Pfarrheim wieder in seinen Ursprungsort zurückgekehrt, wo er vor 50 Jahren auf Initiative von Heinrich Skudlik seinen Ausgang nahm. Diesmal hat ihn die Kolpingsfamilie mustergültig organisiert und für ein erlesenes Angebot an „Zwischenmahlzeiten“ (Käsespatzen!) zubereitet, die dazu führten, dass die Plaudergruppen im Gegensatz zu den Käufergruppen deutlich in der Überzahl waren, aber für eine gelöste und familiäre Atmosphäre sorgten. Unseren herzlichen Dank, dass wir auf den festlichen „Adventszug“ aufspringen durften.

Und wie wir das taten! Wir hatten ein Überangebot an hochwertigen Waren und ein kleines Sortiment an Flohmarktartikeln, die wir kostenlos oder zu Schleuderpreisen abgaben. Das Angebot, das wir zu regulären Preisen verkauften, stammte von den Produzenten, die uns schon seit Jahrzehnten beliefern – die Berufsschule Miesbach, der Missionskreis Fischbachau, die Damen Schreiber und Schneckenburger, Eugen Schmucker. Und dazu kamen neu einige Raritäten aus einem Nachlass in Hundham – Barometer, Markenfüller, Hirschhornknöpfe. Reißenden Absatz fanden unsere „Ladenhüter“, die beim Schild „Zu verschenken“ standen. Auf unseren AI-Materialien (Karten, Kalender, Jahresberichte) blieben wir weitgehend sitzen. Insgesamt kamen wir auf 630,-€.

Der Schichtwechsel klappte reibungslos, die Verkäufer, darunter die Damen Wick und Weigl als „Gastarbeiterinnen“, genossen die Wärme des Innenraums und waren froh, dass die Schicht von drei Stunden auch wieder einmal zu Ende ging.

Johannes Skudlik – Benefizkonzert 1 (Dezember)

Es wäre so schön gewesen! Der hiesige Organist, Herr Hamberger, hat uns tatkräftig unterstützt, Frau Knaus vom Kulturzentrum einen einfühlsamen Artikel in die Zeitung setzen lassen, und AI hätte die Spenden kassiert. Und dann kam der Jahrhundertschneefall, und J.S. Bach ging nicht den Bach, aber den Schnee hinunter. Wir hatten zwar abgesagt, wo es möglich war, aber immerhin standen noch sieben Interessenten an der Kirchentür, die wir wieder nach Hause schicken mussten. Für den 13. Januar 2024 war, wie gesagt der Ersatztermin geplant. Der fiel aber wegen Erkrankung aus und wird zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt. Der Abend am 13. Januar wurde überzeugend durch Ortskräfte bestritten.

Briefmarathon am Gymnasium Miesbach (Dezember)

Wir ließen andere für uns arbeiten und drucken dankbar ihr Foto und den Text ab, den sie auf die Homepage der Schule gestellt haben.

 
Die Läuferinnen und Läufer im AI-Briefmarathon

#Schreib für die Freiheit

Trotz der nun schon 75 Jahren bestehenden Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gab es auch im Jahr 2023 wieder einmal zahlreiche Menschenrechtsverletzungen auf der Welt. Der Menschenrechtsorganisation Amnesty International war es dieses Jahr wie schon in den vergangenen Jahren deswegen ein Anliegen, durch den Amnesty-Briefmarathon auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen und diese im besten Fall zu beheben. Zum wiederholten Male wurde so der Amnesty Briefmarathon am Gymnasium Miesbach durchgeführt. Schüler und Schülerinnen des Profilfachs Politik und Zeitgeschichte besuchten dabei Schüler und Schülerinnen der Klassen 9 bis 12 im Unterricht und stellten jeweils zwei ausgewählte Fälle des diesjährigen Briefmarathons vor. Im Verlauf von vier Tagen wurden so 339 Briefe unterschrieben, die nun an Regierungen in der ganzen Welt geschickt werden und so einen Beitrag zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen leisten.

Postkartenaktion zum Tag der Menschenrechte (10. Dezember)

Der Gedenktag fiel heuer ordnungsgemäß auf einen Sonntag, und wir marschierten zum
1. Mal seit der Pandemie wieder an den Kirchentüren auf. In einem Gottesdienst wurden wir bei den Ankündigungen ignoriert, im 2. Gottesdienst in die Fürbitten mit eingebaut, und in der evangelischen Kirche durften wir selbst ans Mikrofon. Wir verteilten 95 Karten, die bereitwillig, wenn auch ohne Redebedarf, entgegengenommen wurden. In der Weihnachtsgeschichte „Herr Wohllieb wartet auf ein Zeichen“ hätte sich der Held über diese Bereitwilligkeit gefreut.

Die Karten gingen aber nicht an H. Wohllieb, sondern an den iranischen Botschafter, und es traf sich, dass unsere Aktion zeitgleich mit der Verleihung des Friedensnobelpreises an Narges Mohammadi stattfand, die wieder im Clinch mit den Gefängnisbehörden ist. (s. November)

Das also war unser Jahr und dazu der passende (Film)Titel „Wer später stirbt, ist länger lebendig.“

3.3 Die Fälle

Ich erlaube mir, den Artikel abzudrucken, den wir im Sommer im Pfarrbrief der katholischen Kirchengemeinde veröffentlichen konnten.

(Halbwegs) Gute Nachrichten von Amnesty International


Die Amnesty Gruppe im Landkreis Miesbach, die sonst eher für Krisenmeldungen zuständig ist, kann heuer mit zwei Meldungen aufwarten, die Grund zur Freude und zur Hoffnung sind. Dass man bei einer „Frohbotschaft“ von AI allerdings viel zu relativieren hat, ist darauf zurückzuführen, dass der „halbwegs Guten Nachricht“ fast immer ein langer Leidensweg vorausgegangen ist.

Mit Erleichterung aufgenommen hat AI Miesbach die Freilassung der beiden „Blumenfrauen“ aus Teheran, Yasaman Aryani und deren Mutter Monireh Arabshahi. Die beiden Frauen hatten in der U-Bahn von Teheran Blumen verteilt, um gegen das Kopftuchgebot zu protestieren. Sie waren damit Vorläuferinnen von Mahsa Jina Amini, deren Tod im September 2022 die landesweiten Proteste gegen die bärtigen Mullahs und ihrer Schlägermilizen auslösten, Proteste, die das Regime ins Wanken, aber leider nicht zum Absturz brachten.

Die beiden Frauen wurden 2019 zunächst zu 16 Jahren Haft verurteilt, das Strafmaß wurde in der Berufung etwas reduziert, und schließlich hätten sie insgesamt fünf Jahre und sechs Monate absitzen müssen – und das wegen „Anstiftung zu Verdorbenheit und Prostitution“. Dass sie vorzeitig freigelassen wurden, war entweder einer Amnestie geschuldet oder der Platzbeschaffung für Nachfolgerinnen. Ob ihnen der Bekanntheitsgrad, den ihnen unsere AI-Briefe verschafft haben, geholfen hat, wissen wir nicht – und werden uns die Mullahs nie sagen.

Bewegend war der Videoauftritt der beiden Frauen bei ihrer Entlassung. Die Mutter, halb verschleiert, sagte: „Diese Freiheit verdanken wir denen, die protestiert haben, insbesondere denen, die während der Proteste gestorben sind.“ Die Tochter trug ihre Haare offen und skandierte den Slogan der Protestbewegung: „Frauen, Leben, Freiheit!“ Man kann nur hoffen, dass sie immer noch auf freiem Fuße sind.

 
In Freiheit und (augenscheinlich) ungebrochen

Hoffnung auf niedrigem Niveau gibt es beim 2. Fall der AI-Gruppe. Der Malaysier Hoo Yew Wah wurde 2005 im Alter von 20 Jahren mit 188 Gramm Crystal Meth erwischt. Das brachte ihm 2011 den Tatvorwurf des Drogenhandels ein, was damals zwingend zur Verhängung der Todesstrafe führte. Im April 2023 haben Parlament und Senat eine Gesetzesänderung beschlossen, wonach bei bestimmten Delikten, z.B. Drogenhandel, die Todesstrafe nicht mehr automatisch verhängt werden muss. Der Justizminister hat in einem Gespräch mit AI-Malaysia sogar verlautet, dass man für Fälle wie Hoo „unter gewissen Bedingungen die Türen nicht verschlossen halten würde“. Hoo sitzt jetzt seit 18 Jahren ein. Das bedeutet ein Jahr Haft für je 10 Gramm. Das sollte reichen, meint AI.


Nach neuesten Meldungen soll er sich nicht im Todestrakt befinden.

3.4 Verschiedenes

Reaktionen auf den Jahresbericht 2022

- Von einem unserer treuesten Leser wurden wir gelobt, weil wir „nicht müde werden“, angesichts der Grausamkeiten in dieser Welt, „eine Gegen-seite zu bilden“.

- Vom zweiten unserer treuesten Leser kam eine Deutung des „zähnefletschenden Raubtiers“, das das Gymnasium Miesbach kreiert hatte, als Symbol „für die schaurige menschliche Abgründigkeit, die Zerstörung und Liquidierung humaner Wertigkeiten“, aber auch als Symbol für 50 Jahre „Bissigkeit“ als AI-Gruppe.

- Und vom dritten unserer treuesten Leser kam ein Schwung Ansichtskarten und auf einer die Erwartung, dass wir unsere Hände (noch) nicht in den Schoß legen sollen,

 

denn dann könne man erreichen, dass
- - die Mullahs im Iran ihren Kurs ändern,
- - die Taliban den Frauen gegenüber ihre Versprechen halten
- - die Ukrainerinnen überall willkommen sind – und ihre Kinder und Männer auch.

Das werden wir nicht schaffen, aber wie heißt es so schön in „Dinner for One“: „We’ll do our very best.“

- Und dann kam noch als Nachlese zu unserem „Jubiläum“ im Oktober 2022 (und als Ausgleich zur Nichterwähnung beim Neujahrsempfang) ein umwerfender Artikel mit tollen Fotos von Monika Ziegler in der KulturVision. Wir hätten nie geglaubt, dass wir so gut sind. (Vorsicht Satire!)

AI-Interna – ausgeplaudert

- der AI-Kodex: Da es in der Vergangenheit einige unschöne Mobbing-Fälle in der Organisation gegeben hat, sah sich der Vorstand in Deutschland in der Pflicht ein Benimmpapier zu veröffentlichen. So etwas hieß früher „Das Einmaleins des guten Tons“. In dem Papier werden die Mitglieder aufgefordert,
- wertschätzend miteinander umzugehen und auf andere Beiträge wertschätzend Bezug zu nehmen,
- keine stigmatisierenden Fremdbezeichnungen zu verwenden und einen Kommentar mit einer Inhaltswarnung zu versehen, falls die Bezeichnung nicht vermieden werden kann,
- nur konstruktive Beiträge zu liefern und damit die Zielgruppen nicht zu belasten,
- zu akzeptieren, dass man bei Nichtbefolgung als AI-Mitglied selbst ein Fall für eine Eilaktion von AI wird.

Nein, die letzte Forderung ist nicht Bestandteil des Kodex, wäre auch nicht sehr „konstruktiv“.

Sollten Beitrittskandidaten für unsere Gruppe jetzt ins Zögern geraten, kann ich ihnen versichern, dass wir in den 50 Jahren noch niemand traumatisiert haben.

- Kuscheltherapie auf der Jahresversammlung 2023

Da hatte man gleich zwei Teams eingesetzt, die bei Konflikten und Diskriminierungsvorfällen angesprochen werden konnten, ein Team von Vertrauenspersonen und ein „awareness team/Achtsamkeitsmannschaft“. Außerdem stand für Gespräche (vielleicht auch für Mittagsschlaf) ein Ruheraum zur Verfügung. Fairerweise müssen wir sagen, dass uns eigentlich nicht zusteht zu spotten, weil wir seit Jahren nicht mehr auf Jahresversammlungen vertreten sind – und ein chinesischer Parteitag, wo alle schön artig sind, auch nicht unser Vorbild ist.

- dubiose Workshops und Kommissionen

Wo ich bei der Jahresversammlung sicher nicht hingegangen wäre, weil ich möglicherweise „eine Zielgruppe belastet“ hätte, waren folgende Veranstaltungen:

- - Geht’s dir gut bei Amnesty?
- - Let’s talk about menstruation!
- - Die genozidale Tendenz der Transfeindlichkeit in den USA

Ich gebe zu, das ist die Perspektive eines alten weißen Mannes!

Abspann in schwarz und weiß

- Todesstrafe: Der AI-Bericht für das Jahr 2022 bietet ein widersprüchliches Bild. Zwar haben sechs Länder im vergangenen Jahr die Todesstrafe ganz oder teilweise abgeschafft, aber dafür hat die Zahl der Hinrichtungen weltweit den höchsten Stand seit 2017 erreicht. Es gab in 20 Ländern 883 Exekutionen – gegenüber 579 im Vorjahr, die Dunkelziffern aus China, Nordkorea und Vietnam nicht eingeschlossen. Die Spitzenreiter bei den 20 Ländern waren Saudi-Arabien und der Iran.

- Erfolgsmeldungen: Als Antwort auf die Standardfrage unserer Kundschaft „Was bringt’s?“ kam heuer ein Faltblatt aus Berlin mit den „Erfolgen für die Menschenrechte 2022“. Bei den Freilassungen waren Vertreter fast aller Berufsgruppen erwähnt. Wir übernehmen den Fall der beiden thailändischen Aktivistinnen, die zwar relativ glimpflich davongekommen sind, aber doch vieles durchgemacht haben, was politische Gefangene in Haft erleben, was sie dabei fühlen, und was unsere Anteilnahme/Aktivitäten bewirken können.

 

 
Kein Respekt vor der Majestät

3.5 Die Gruppe

Von einer kurzen Krise im Oktober abgesehen, wo wir – Wie sagt man auf Hochdeutsch „ums Verrecken“? – beim besten Willen keinen Termin für unsere Gruppensitzung fanden, haben wir uns auf einem Level von 6-10 anwesenden/aktiven Mitgliedern stabilisiert. Es gab nur einen Neuzugangang, aber, Gott sei Dank, auch keine Todesfälle. Die deutlichste Veränderung gab es in unserem „Finanzministerium“. Siegfried Komm, der dieses Amt 51 Jahre zu aller Zufriedenheit verwaltet hatte und der in dieser Funktion 12 Bundesfinanzminister überlebte, übergab an Birgit Nédélec, die sich in einem harten Konkurrenzkampf gegen fünf Mitbewerber (!) durchsetzte. (Vorsicht Satire!) Wir danken – Ende der Satire - dem Siegi, dass er unsere Gelder – die schwarzen und die weißen Kassen – so umsichtig bewacht hat und der Birgit für die bereitwillige Übernahme des Amtes. Es gibt auch seit 2 Jahren ein Außenbüro der ai Gruppe Miesbach in Schleswig-Holstein, da Johanna leider dort hingezogen ist. Unter Ihrer Führung ist dieses Jahr die Facebook Seite der Gruppe entstanden, und kurze Zeit später die Instagram-Seite (siehe die Links ganz unten).

3.6 Ausblick

Im Jahresbericht von 2022 hieß es „Vor einer ‚freundlichen Übernahme‘ haben wir keine Angst. Ganz im Gegenteil: Wir wären wir erfreut, wenn die Pflege des Zahnstandes unseres „MR-Tigers“ in jüngere Hände überginge.


Kontaktadressen und Kontonummer

Fritz Weigl, Wallenburger Straße 28 d, 83714 Miesbach
Tel.: 08025/3895      
Mail: fritz.weigl@gmx.de           
Homepage: http://www.amnesty-miesbach.de
https://www.facebook.com/amnestymiesbach/     
https://www.instagram.com/amnestymiesbach/

Bank für Sozialwirtschaft (BfS) Köln, IBAN: DE23 3702 0500 0008 0901 00
Verwendungszweck: Gruppe 1431 Miesbach (Gruppennummer unbedingt mit angeben)