Spuren im Land (15): Sie wollten uns
wieder katholisch machen
Passend zum Reformationsjubiläum möchten wir einen
Text abdrucken, der 2014 beim Themenabend
„Miesbach – Ort der Migration“ verlesen wurde. Es ist die fiktive
Geschichte der Gerbersfrau Anna Leder in
den Jahren 1563 bis 1584, als Miesbach mehrheitlich protestantisch
war.
„Sie wollten uns wieder katholisch machen“
Natürlich fragt man sich am Ende seiner Tage, ob es richtig war,
seine Heimat zu verlassen, sich von den
Verwandten zu trennen, ein bescheidenes aber gesichertes Leben
aufzugeben – um der neuen Lehre willen,
die uns „das reine Wort Gottes, die evangelische Freiheit!“
verkündete. Ja, ich war eines dieser „halsstarrigen
Weiber“, die, zusammen mit den Dienstboten, standhaft in der neuen
Lehre verblieben, während die
Männer schon mit dem Beichtzettel zum neuen Richter liefen, um von
der Handels- und Gewerbesperre, die
der überaus fromme Herzog Wilhelm V. über die Grafschaft
Hohenwaldeck verhängt hatte, befreit zu werden.
„Er sei mit der Ausfertigung der Beichtzettel überladen“, klagte
der Hilfspriester von Parsberg, „weil die Zahl
der Übergetretenen bereits die 400 überstiegen“. „Die Miesbacher“,
so der damalige Pfarrer Maurer, „wollen
mit Gewalt fromm werden“. Mit der Gewalt hatte er nicht Unrecht.
Warum wir die „bayrische Religion“, so nannte der
Herzog den katholischen Glauben, verlassen hatten, kam
ja nicht von ungefähr. Selbst die Visitationen der Bischöfe und
Päpste stellten bei den Priestern einen Tiefstand
an religiösen Kenntnissen und eine lasterhafte Lebensführung fest.
Ich erinnere mich, als unser Prediger
Abraham Preu in der Schlosskapelle zu Wallenburg in heiliger
Erregung, aber nicht ganz frei von Schadenfreude,
aus dem Bericht eines herzoglichen Beamten vorlas: „Die Priester
liegen Nacht und Tag in
Weinhäusern, … spielen mit Wirfeln und Karten, … schelten und
fluchen wie die Landsknecht, treiben Unzucht
mit Wort, Geberden und Werken.“
Aber es waren gar nicht so sehr die Missstände der
alten Kirche, die uns abstießen, sondern die Freiheiten
der neuen Lehre, die uns zu ihr hinzogen. Sie erlaubte uns das
Abendmahl unter zwei Gestalten gemäß der
Einsetzung Christi, eine Beschränkung der Fastengebote, und den
Priestern die Ehe. Für eine gute Beichte
genügte die ehrliche Reue, auf die Aufzählung der einzelnen Sünden
konnte man verzichten. Und mit Begeisterung
hörten wir Luthers Psalmen in deutscher Sprache und sangen seine
Lieder.
Das Zusammenleben der Konfessionen in der
Herrschaft war nicht einfach. Es gab zwar keine Hinrichtungen
von uns Ketzern wie dem Vernehmen nach in Wasserburg, aber die
Prediger, die der neuen Lehre anhingen,
hatten einen schweren Stand, obwohl sich unser Graf Wolf Dietrich
offen zu ihr bekannte. Aber sein
Vater hatte zu Augsburg den Salzburger Vertrag unterschrieben, der
die Unabhängigkeit von Bayern an die
Bedingung knüpfte, dass „in der religion und Ceremonien kain
neierung oder enderung vorzunehmen sei“.
Das führte dazu, dass auf Geheiß des Herzogs immer wieder
verdächtige Prediger abgesetzt und des Landes
verwiesen wurden. Dem Grafen zwang er Priester der alten Lehre
auf, die aber meist so schnell wieder
gingen, wie sie gekommen waren. Unsererseits, und wir waren in
Miesbach und Parsberg schon in der
Überzahl, gingen wir mit den Katholischen nicht gerade zimperlich
um: Die Priester hat man bis in die Wohnung
verfolgt, sie während der Predigt unterbrochen und einen
Fahnenträger beim Bittgang geschlagen. Das
ging so weit, dass einer der Pfarrer um seine Entlassung bat, weil
er „an diesem heillosen Ort (Parsberg)
seine Gesundheit eingebüßt habe“.
Mein Mann Jakob Leder, er war von Beruf Gerber,
mahnte immer wieder zur Zurückhaltung. Er kaufte weiterhin
bei katholischen Händlern ein und trat den Heißspornen entgegen,
wenn sie wieder einmal eine katholische
Prozession stören wollten. Er wusste genau, dass sich der Herzog
solche Vorfälle melden ließ und
ahnte, dass Wilhelm nur darauf wartete, unser „schwachgläubiges
Volk“ wieder zum katholischen Glauben
zurückzuführen.
Im Jahre 1583 schlug er dann zu. Im Juni forderte
er seinen Bruder, den Bischof von Freising, auf, gegen
den protestantischen „Unrat“ vorzugehen. Der Bischof verfügte,
dass kein Ketzer mehr in geweihter Erde
begraben werden dürfe, nur katholische Paten zur Taufe zugelassen
seien und Brautpaare nur dann getraut
werden könnten, wenn sie vorher gebeichtet und kommuniziert
hätten. Im November rückten dann von
Weyarn aus 100 „wohlstaffierte Leute“ in Miesbach ein: Von der
Kanzel wurde den Widerspenstigen der
Kirchenbann angedroht, auf dem Kirchplatz die Gewerbe- und
Handelssperre verkündet. Vergeblich protestierte
der Richter. Der Graf ließ sich nicht blicken, obwohl er uns für
seine Schreiben an Bischof und Herzog
manchen Kreuzer abgeknöpft hatte.
Die Sperre wurde mit aller Härte durchgeführt. An der Grenze der
Grafschaft wurden „sektische“ Händler
abgewiesen, und in Miesbach verkaufte man uns keine Lebensmittel
mehr. Was tun? Gehorsam zur alten
Lehre zurückkehren wie die Mehrheit unserer Glaubensgenossen oder
auswandern wie der Richter und der Gerichtsschreiber? Mein Mann
und ich beschlossen, zunächst einmal abzuwarten. Vielleicht würde
im Laufe
des nächsten Jahres die Sperre gelockert, da ja auch katholische
Untertanen unter ihr zu leiden hatten.
Deshalb verschaffte sich mein Mann den Beichtzettel, während ich
mich weiterhin an den Sonntagen nach
Wallenburg schlich, um in der Schlosskapelle den lutherischen
Prediger zu hören. Tatsächlich entspannte
sich die Lage, und wir schöpften wieder Hoffnung.
Doch im Mai 1584 schlug der Herzog ein zweites Mal
zu: der Bann wurde erneuert, die Handelssperre verschärft.
Meinem Mann wurde der Gewerbeschein nicht verlängert, weil man
mich wegen meiner sonntäglichen
Spaziergänge nach Wallenburg beim neuen Richter denunziert hatte.
Wir beschlossen zu verkaufen
und nach Regensburg zu gehen. Und da hatten wir noch Glück im
Unglück. Wir Gerber wohnten in Miesbach
zusammen in einer Straße, und da der Nachbar für seinen Sohn ein
eigenes Gewerbe suchte, zahlte
er einen guten Preis. An der Grenze der Grafschaft hatten wir noch
den Spott der Grenzwächter zu überstehen,
die uns „alsdann gar zum Teufel“ wünschten.
In Regensburg trafen wir auf alte Bekannte aus der
Grafschaft, die sich schon vor zwei Jahren zum Wegzug
entschlossen hatten. Mein Mann baute sich ein neues Gewerbe auf,
und mit den Kindern erging es uns ein
wenig wie dem Grafen Wolf Dietrich: einer unserer Söhne blieb der
neuen Lehre treu, der zweite trat in die
Dienste des Fürstbischofs und musste katholisch werden, die
Töchter heirateten brave Regensburger Bürger,
die sich scherzhaft über die „Halsstarrigkeit“ beschwerten, die
ihre Weiber offensichtlich von ihrer Mutter
geerbt hatten.
Miesbach spielte übrigens noch einmal in unser
Leben hinein. Georg II, der Sohn Wolf Dietrichs, der in der
neuen Lehre verblieben war, war in erster Ehe mit Maria von
Degenberg verheiratet. Sie starb 1609 und
wurde in Regensburg beerdigt. Zu ihrem Begräbnis kam eine Gruppe
aus Miesbach, die dort immer noch im
Geheimen an der neuen Lehre festhielt. Als der Herzog von dieser
Reise nach Regensburg erfuhr, legte er
beim damaligen Grafen Protest ein. Die beteiligten Bürger mussten
in München Abbitte leisten.