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Amnesty International Gruppe Miesbach (1431)

Impressum

Gruppe Miesbach (1431)

1. Einleitung

 

 

Eigentlich wollten wir Ihnen den Weihnachtsbaum von 2014 termingerecht anbieten, aber da haben wir uns dann doch nicht getraut, vielleicht auch in der Hoffnung, dass die martialische Dekoration gegen Jahresende einigen Kerzen Platz gemacht hat. Dem war leider nicht so, und so bleibt uns (wieder einmal) nur noch der Rückgriff auf den bayrische Räuber Mathias Kneißl, der, als er an einem Montag von seiner drohenden Hinrichtung erfuhr, gesagt haben soll: „De Woch fangt schon guat o.“

 

Beim Kneißl war es schwarzer Humor, bei einer stattlichen Anzahl von Deutschen, auf das Jahr 2015 bezogen, so etwas wie „verdrängender Optimismus“. Eine Umfrage hat ergeben, dass in Deutschland den 27% Pessimisten immerhin 45% Optimisten gegenüberstehen. Für Matthias Drobinski in der SZ aber ist das ein Optimismus mit Scheuklappen:

 

„Mir wird es schon noch gut gehen, wir werden schon noch durchkommen, die Sintflut ist verschoben; mögen auch die Katastrophen der Welt durch den Vorgarten getrampelt sein – das Wohnzimmer haben sie heil gelassen.“

 

Drobinski hingegen plädiert für eine „Tugend der Zuversicht“ und er führt als Kronzeugen einen Menschen an, der seine Zuversicht nicht lange überlebt hat: Dietrich Bonhoeffer, der „sich von wunderbaren Mächten wunderbar geborgen“ fühlte, obwohl er ahnte, dass er nur noch kurze Zeit zu leben hatte. Zuversicht, so Drobinski,

 

„wiegt den Bürger nicht in falschen Sicherheiten, leugnet nicht, dass dicke Bretter zu bohren sind, weiß aber auch, dass es Bohrer gibt“.

 

Für Bonhoeffer waren die „guten Mächte“ natürlich nicht beim Wachpersonal der Gestapozentrale zu finden, sondern in einer Welt angesiedelt, die Michael Ende in seinem Gedicht „Das Lied von der „Anderwelt“ zu beschreiben versucht. Dort heißt es in der zweiten Strophe:

 

„Es gibt ein Tal in der Anderwelt,

da gehen die Gelächter um,

die irgendjemand hätt’ lachen sollen

und blieb stattdessen stumm.“

 

Sie werden sich jetzt zu Recht fragen, ob wir uns da mit dem Sprung vom Räuber Kneißl über Dietrich Bonhoeffer zu Michael Ende nicht etwas übernommen haben. Zugestanden, das haben wir. Aber ein solcher Kraftakt ist auch (jedes Jahr) dieser Jahresbericht. Der Zustand dieser Welt ist nur mit Zuversicht und schwarz schraffiertem Humor zu ertragen. Und deshalb: „Bohren wir weiter – „trotz alledem“! Paul Gerhardt hat das frommer und poetischer ausgedrückt, wenn er schreibt: „… vor deiner Zukunft uns bemühn auf Erden“.

 

Ein Postskriptum zum Jahresausblick: Um den Eindruck zu vermeiden, dass man den „guten Mächten“ erst in der „Anderwelt“ begegnen kann und erst dort die „dicken Bretter“ zu bohren sind, möchten wir noch einmal auf den Artikel von Drobinski verweisen. Was ihn zuversichtlich macht, waren die Beispiele von Willkommenskultur, mit denen wir (bisher, wenn auch nicht flächendeckend) den Zuwanderern aus den Brennpunkten der Welt begegnet sind. Der Landkreis Miesbach kann sich da durchaus sehen lassen: So stand der Neujahrsempfang der CSU „im Zeichen der Integration“, und am Treffen mit Landrat Rzehak nahmen über 100 Ehrenamtliche teil, die in Helferkreisen und im Arbeitskreis Asyl engagiert sind.

 

 

 

2. Der Jahresrückblick

 

Januar 2015

 

 

Mit dem Gelächter, das stumm geblieben/gemacht worden ist, sind wir natürlich gleich bei dem Attentat auf die Belegschaft von Charlie Hebdo und den jüdischen Supermarkt in Paris angelangt. Und ganz gleich, was uns sonst noch dazu einfällt, wir sind betroffen wie Charlie Brown.

 

 

 

Betroffen gemacht hat uns natürlich auch, wie Frankreich auf das Massaker reagiert hat. Da gab es den eindrucksvollen Schulterschluss diverser Staatschefs auf den Champs-Elysées, zahlreiche Angriffe auf Moscheen, fatale Signale aus den Vororten (Victory-Zeichen vor Polizeistreifen) und Schulen (Verweigerung der Schweigeminute), Haftstrafen im Schnellverfahren gegen Personen, die man der „Verteidigung des Terrorismus“ beschuldigte, bedrückende Zahlen über die Auswanderung von Juden –aber auch einen französischen Pass für den „Helden von Paris“ Lassana Bathily/Mali, der im Supermarkt mehreren Menschen das Leben gerettet hat.

 

Und dann kam die erste (und bisher letzte) Ausgabe von Charlie Hebdo nach dem Attentat: der weinende Prophet, der alles vergeben hat. Die islamische Welt, von moderat bis extrem, reagierte sauer, die Türkei schwärzte die Titelseite, im Niger brannten christliche Kirchen. Dass ein übereifriger Twitterer seinen (Männer)Phantasien freien Lauf gelassen hat und eine eindeutige Zweideutigkeit bei der Darstellung Mohammeds entdeckt zu haben glaubte (und das natürlich nicht für sich behalten konnte), hat die Situation nicht gerade beruhigt.

 

In der westlichen Mehrheitsgesellschaft ist eine muntere Diskussion über eine Wiedereinführung des Paragrafen der Gotteslästerung und die Grenzen von Satire und Meinungsfreiheit in Gang gekommen. Der Imam von Penzberg, Benjamin Idriz, hat dazu eine bemerkenswerte Predigt gehalten:

 

Allah/Gott, der die Welt geschaffen hat und alles, was darin ist, kann jedoch gar nicht beleidigt werden durch irgendetwas, was Menschen sagen oder schreiben.“

 

Und zur möglichen Reaktion von Mohammed im Karikaturen-Streit meinte er:

 

„Er hätte den Menschen, die ein Gewissen besitzen, geraten, die Verlagshäuser, die die Karikaturen veröffentlicht hatten, anstatt zu beschießen, mit Blumen zu bewerfen.“

 

Der Papst war in Sachen Beleidigung schon etwas resoluter: „Wenn … mein lieber Freund meine Mutter beleidigt, erwartet ihn ein Fausthieb.“

 

Das Staatstheater Kassel hat den berühmten Satz von Kurt Tucholsky aufgegriffen und ergänzt, und zumindest über die Ergänzung sollten sich alle einig sein: „Satire darf alles, außer sterben.“

 

 

Darin einig waren sich auch die Miesbacher, die vor dem Gebäude des Merkurs auf Einladung der Türkisch-Islamischen Gemeinde eine eindrucksvolle und gut besuchte Mahnwache abhielten. Ein unbedarfter Leserbriefschreiber klagte im Anschluss über die „Schockstarre der friedlichen Muslime“. Und so sah diese „Schockstarre“ in Miesbach aus:

 

 

 

 



Und weil wir gerade vor dem Medienhaus in Miesbach stehen, sei an die Journalisten gedacht, die (zwar) noch nicht erschossen, aber beruflich hinter Gittern sind

 

 

 

Die Morde von Paris waren natürlich Rückenwind für die Wandervögel von der Pegida, die in „Reihen dicht geschlossen“ und „festen Schrittes“ durch Deutschlands Großstädte zog. 18 000 Menschen gingen am 5. Januar in Dresden auf die Straße, und da ist es kein Wunder, dass die Sternsinger die Flucht ergriffen.

Erich Kästner, in Dresden geboren, hat in seinem Gedicht „Kleine Führung durch die Jugend“ sein lyrisches Ich auf den Fleischer Kurzhals treffen lassen:

 

„Der Fleischer Kurzhals lehnt vor seinem Haus.

Nun ist er alt. Man winkt ihm wie vor Jahren.

Er nickt zurück. Und sieht verwundert aus.

Man kennt ihn noch. Er ist sich nicht im klaren.“

 

Und „nicht im klaren“ war man sich auch in der Beurteilung der Marschierer. Es gab Politiker, die sich als Pegida-Versteher outeten und solche, die bei Gegendemos das Wort ergriffen, es gab Bischöfe, die der Pegida „Gottlosigkeit“ vorwarfen und eindringlich vom Mitmarschieren abrieten, und es gab die Gegendemonstrationen und Lichterketten, die, von Dresden am 5. Januar einmal abgesehen, allesamt eine vielfach höhere Teilnehmerzahl aufwiesen. Und eingefallen ist ihnen auch mehr als nur die Deutschlandfahne zu schwingen und „Wir sind das Volk“ zu skandieren.

 

 

 

 

Und als der Pegida-Chef Lutz Bachmann (vorübergehend) abtreten musste, weil er auf Facebook als Hitler posierte und Ausländer als „Viehzeug, Gelumpe und Dreckspack“ bezeichnete, könnten das die ersten Töne des Sterbeglöckleins für seine „Bewegung“ sein. Die Klammer „vorübergehend“ hatte prophetischen Gehalt, denn „eh man sich’s im Februar versah, war der Bachmann wieder da“.

 

Und trotzdem: Da Sie diesen Bericht erst in zwölf Monaten in den Händen halten, ist es schon jetzt angebracht, daran zu erinnern, was Pegida eigentlich bedeutete: die Montagsspaziergänger waren die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Sie erinnern sich? Nein? Macht nichts!

 

Wussten Sie aber, dass es in Bayern damals auch eine Pagada gab? Das waren die „Patriotischen Altbayern gegen die Austrifizierung des Abendlandes“. Die wussten noch, wo tatsächlich die Gefahren lauern.

 

 

 

 

Da bekanntlich „das Hemd uns näher als die Hose ist“, ist es erklärlich wenn auch nicht verzeihlich, dass uns das Drama von Paris stärker bewegt hat als die Tragödie in Nigeria. Dabei zeigen Luftaufnahmen, dass die Islamistengruppe Boko Haram ganze Dörfer von der Landkarte getilgt, in der Stadt Baga/Nordnigeria bis zu 2000 Menschen massakriert und den Krieg in die Nachbarländer getragen hat. Sie trifft auf eine Armee, die zwar milliardenschwere Budgets einstreicht, deren Soldaten aber miserabel ausgerüstet und besoldet sind – und deshalb lieber (davon)laufen statt kämpfen. Vom Davonlaufen können die 200 Mädchen von Chibok nur träumen. Sie sind immer noch in der Hand der Terroristen – oder aber zwangsverheiratet oder als Sklavinnen verkauft. Mit Mädchen springt Boko Haram besonders grausam um: die Selbstmordattentäterin, die auf dem Markt von Maiduguri 19 Menschen mit sich in den Tod gerissen hat, war gerade erst einmal 10 Jahre alt, wusste vermutlich nicht, dass man ihr einen Sprengstoffgürtel umgebunden hatte und war sicher nicht vom Wunsch beseelt, im Himmel auf 72 Jungfrauen zu treffen.

 

 

„Rasierte Strukturen“/zerstörte Stadtteile in Nigeria

 

Im Februar sprach der nigerianische Schriftsteller von den „Doppelstandards dieser Welt“: Er leite beim Vergleich der (Medien)Reaktion auf Paris und Baga ab, „dass einige Leben mehr wert sind als andere“. Und dann kommt  er noch einmal zurück auf die Mädchen von Chibok: „Wenn Terroristen in den USA, England oder Deutschland 200 Schülerinnen verschleppt hätten, hätte doch die ganze westliche Welt ihre Armeen samt Drohnen zu ihrer Befreiung geschickt.“

 

 

Die Schlagzeilen

 

- Das Mittelmeer ist wieder in die Schlagzeilen geraten, lange bevor die Touristensaison begonnen hat. Die Schleuser setzen jetzt die Flüchtlinge auf ausrangierte Großfrachter, die Mannschaft setzt sich auf hoher See ab, das Schiff treibt führerlos auf das Festland zu und wird, wenn es Glück hat, von einer Küstenwache ins Schlepptau genommen. Als aber im Februar vor der libyschen Küste die Schlauchboote (!) kentern, sehnt man sich direkt wieder nach den Frachtern zurück. Unser Innenminister de Maizière hat sich in diesem Zusammenhang einen bösen Ausrutscher erlaubt: Er hat die (ausgelaufene) italienische Rettungsinitiative „Mare Nostrum“ kritisiert, weil sie „objektiv auch als Geldquelle für Schlepper gewirkt hat“. Hat sie wahrscheinlich, aber wäre es besser, die Flüchtlinge absaufen zu lassen?

 

- In Deutschland gab es 2014 eine deutliche Zunahme bei den Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte. Pro Asyl zählte satte 153 Anschläge, Bayern kam dabei auf den dritten Platz. Bei den tätlichen Übergriffen lag Sachsen „mit Abstand“ an der Spitze. Da war man dann fast schon „erleichtert“, dass der Mord an einem Asylbewerber in Dresden von einem Mitbewohner verübt worden war. Grund soll ein „Streit um die Haushaltsführung in der Unterkunft“ gewesen sein.

 

- Vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag sind serbische Offiziere für das Massaker in Srebrenica im Juli 1995 zu hohen Haftstrafen verurteilt worden – diesmal endgültig.

 

- Für die Miesbacher AI-Gruppe ein echter Zombie ist Ríos Montt, der ehemalige Diktator von Guatemala. Wir haben uns in den 80erJahren mit einem verschwundenen Gewerkschaftler beschäftigt, der mit 45.000 anderen Menschen nie mehr aufgetaucht ist. Deshalb freuen wir uns klammheimlich, dass das Verfahren gegen Montt neu aufgelegt wird.

 

- Mit offener Freude haben wir die Nachricht begrüßt, dass in Kuba drei politische Gefangene freigelassen wurden. Sie kamen offensichtlich in den Genuss der Annäherung zwischen den USA und Kuba, die der Vatikan eingefädelt und Obama den Republikanern vor den Latz geknallt hatte. Ob er sich den Friedensnobelpreis mit sechs Jahren Verspätung doch noch verdient?

 

 

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Raif Badawi




- Saudi-Arabien lieferte eine Horrormeldung besonderer Art. Raif Badawi, ein „Freigeist mit Charlie-Potential“, der einen Blog mit dem herrscherfreundlichen Namen „Freie saudische Liberale“ betrieben hatte, war wegen „Beleidigung des Islam“ – er war u.a. für die Trennung von Religion und Staat eingetreten – zu einer Geldstrafe von 195.000 Euro, zehn Jahren Haft und 1000 Peitschenhieben verurteilt worden. Die Prügel sollten ihm in 50er Portionen über einen Zeitraum von 20 Wochen verabreicht werden. Die erste Ration erhielt er am 9. Januar, dann wurde die Strafe „aus medizinischen Gründen“ ausgesetzt. Es wäre wohl das erste Mal, dass Proteste aus dem Ausland etwas bewirkt hätten.

- Oder war es gar der FC Bayern, der auf dem Rückweg von seinem Trainingslager im arbeitnehmerfreundlichen Katar in Riad ein Gastspiel absolvierte, das dem Klub (angeblich) eine Gage im Millionenbereich einbrachte, die (angeblich) vom Volkswagenkonzern bezahlt wurde? Die SZ hat im Sportteil einen sehr kritischen Kommentar gebracht, ist aber in ihrer Spalte „Profil“ recht schonend mit dem Klub umgegangen: „Die Bayern sind halt überall dabei – wo es sich lohnt.“ Wir halten es eher mit dem Sportteil und den „Toten Hosen“, die schon vor Jahren sangen: „Ich werde nie zum FC Bayern gehen.“

 

- Auch die Politikerinnen Dagmar Wöhrl (CSU) und Claudia Roth (Grüne) hat es in ein muslimisches Land verschlagen. Ihre Gage wird allerdings bescheidener gewesen sein, denn sie haben sich im Iran für den Menschenrechtler Abdolfattah Soltani eingesetzt. Prügel haben sie dann in Deutschland bezogen, weil sie bei einer Begegnung mit iranischen Frauen ein Kopftuch getragen haben. „Bleib am besten dort, du Miststück“, hat man Frau Wöhrl auf Facebook empfohlen. Da sollte man aber vorher wissen, dass eine Frau ohne Kopftuch keine Chance hat, mit den Menschen im Iran ins Gespräch zu kommen. Den Kampf gegen das Kopftuch, so sie das wollen, müssen die Iranerinnen selber austragen.

 

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- Sie merken, dass wir relativ mühelos von der Tragik und Grausamkeit über die Kaltschnäuzigkeit zur Dummheit übergewechselt haben. Und da darf natürliche der Pfarrer aus Deining/Oberpfalz nicht fehlen. Er möchte die „Weiber“ wieder am Herd sehen, schickt bei einer Beerdigung den Toten in die Hölle, weil er nicht in die Kirche gegangen sei und fragt bei einer Taufe ein Kind, das wegen Leukämie im Rollstuhl sitzt, ob es zu faul zum Laufen sei. Wir sind mit Gemeindemitgliedern auch der Meinung, dass sein Verhalten „nicht gesellschaftsfähig“ ist – nicht einmal in Polen, wo der Pfarrer herkommt. Der Pfarrer hat seine Äußerungen inzwischen bedauern müssen. Im März ist er dann zurückgetreten. Wir sagen in perfektem Filser-Englisch: „He’s good wider.“

 

- Schließen möchten wir diesen viel zu ereignisreichen Monat mit einem Zitat aus einem Interview mit dem israelischen Schriftsteller David Grossmann. Er setzt bei „einigen wenigen Israelis und Palästinensern“ auf die „Hoffnung des Trotz allem“ und meint:

 

„Dann würde die Hoffnung wachsen, dass wir unsere Kinder großziehen können, ohne um ihr Leben zu fürchten. Dann könnten wir ohne die Demütigung der Besatzung leben und ohne die Angst vor Terror und könnten grundlegende menschliche Wünsche verwirklichen.“

 

Februar 2015

 

Der IS verbrennt jordanischen Piloten bei lebendigem Leib und vor laufender Filmkamera, Jordanien hängt zwei Tage nach Veröffentlichung des Videos zwei Dschihadisten, darunter eine (gescheiterte) Selbstmordattentäterin. Dann ist wieder der IS am Zug: In Libyen werden 21 koptische Christen aus Ägypten am Strande des Mittelmeeres enthauptet – „eine … Nachricht an die Nation des Kreuzes“.

 

 

Ein Rechtsgelehrter der Al-Azhar Universität in Kairo fordert „koranische Strafen“ für die IS-Täter: köpfen, kreuzigen, ihnen die Glieder abschlagen. In welcher Reihenfolge hat er nicht gesagt. Und Karl-Theodor zu Guttenberg nennt die Welt ein „Tollhaus“, und das hat er nicht einmal irgendwo abschreiben müssen.

 

Wir halten uns an den Freiherrn, denn bei uns ist Fasching, allerdings ein „Karneval in ernster Lage“ (SZ) – vor allem für die Stadt Braunschweig. Dort musste nach der  Warnung eines „bewährten Informanten aus der islamistischen Szene“ der Umzug abgesagt werden. Passiert ist dann nichts – außer dass die Braunschweiger einen Großteil ihrer 100 Motivwagen abrüsten mussten und das Straßenbild am Faschingssonntag von Leuten geprägt wurde, die wie Polizisten ausschauten – und tatsächlich welche waren. Die Entscheidung war richtig, aber die Wagenbauer tun uns echt Leid.

 

 




Auch für Dortmund gibt es die Befürchtung, die Stadt könne „in Geiselhaft?“ genommen und  zum Aufmarschplatz einer braunen Szene werden, die weder vor Zynismen, Drohungen noch vor Tätlichkeiten zurückschreckt. Da hockt ein Vertreter der Partei „Die Rechte“ im Stadtrat, „der, wenn er mal da ist, Anfragen stellt, wie viele Juden in der Stadt leben“(„SZ“), da gibt es fingierte Todesanzeigen gegen Journalisten, da wollten die Nazis 2014 die Wahlparty im Rathaus stürmen. Die Stadt wehrt sich nach Kräften: Sie möchte wie der BVB Schwarz-Gelb bleiben und nicht Braun-Gelb werden. Vom Oberbürgermeister ist nach einer Gegendemonstration ein denkwürdiges Zitat überliefert: „Die haben ziemlich eins auf die Fresse bekommen.“ Wir gehen davon aus, dass der Ausspruch bildlich gemeint war.“

 

Im nahen Dietramszell gab es am Faschingsdienstag eine Bettelhochzeit - traditionsgemäß eine Veranstaltung, wo es nicht gerade wie bei den Thurn und Taxis zugeht. Da hat man neben dem Misthaufen eine Strohpuppe mit der Aufschrift „Aktionskünstler“ aufgehängt. Sie sollte an Wolfgang Kastner erinnern, der im Juli 2014 die Hindenburg-Büste von der Klostermauer abgeschraubt hatte, um eine Diskussion über den umstrittenen Reichspräsidenten auszulösen. Obwohl Hindenburgs Rolle im 1. Weltkrieg („Kriegstreiber“) und beim Aufstieg Hitlers („Steigbügelhalter“) unter Historikern zunehmend kritischer gesehen wird, haben die Dietramszeller mehr über Kastner als über ihren Feriengast Hindenburg diskutiert. Ein Vorschlag zur Güte: Bei der nächsten Bettelhochzeit den Hindenburg dazuhängen.

 

Und dann kam noch der Politische Aschermittwoch in (mindestens) sechsfacher Ausführung – und der war heuer zahmer als in früheren Jahren. Die Karikatur drucken wir trotzdem ab, weil sie so schön zu Minsk II passt.

 

 



Eine andere „Front“ öffnete das Bundesamt für Migranten und Flüchtlinge (BAMF) mit Innenminister de Maizière als Strippenzieher im Hintergrund. Man wollte die Frist, nach der Flüchtlinge im Kirchenasyl ein Recht auf ein Verfahren in Deutschland bekommen sollten, von sechs auf 18 Monate verlängern, ein Zeitraum, den Kirchengemeinden, so die Kalkulation des BAMF, nur schwer durchhalten würden. In diesem Zeitraum sollten Flüchtlinge als „untergetaucht“ gelten, obwohl jeder wusste, wo sie sich aufhielten

 

 



Widerstand gegen diese neue Ausformung einer „Asylverhinderungsrechtes“ kam von verschiedenen Seiten, u.a. vom Deutschen Städtetag, der mit Kirchenasyl „kein Problem“ habe. Und deutlich sprachen sich auch die Kirchen gegen die Tricksereien des BAMF und den Vergleich Kirchenasyl/Scharia des Innenministers aus. Kardinal Marx forderte „verbale Abrüstung“ und wies darauf hin, dass ein Großteil der Asylverfahren nach einem Kirchenasyl im Sinne der Flüchtlinge ausging. Der Münchner Pfarrer Rainer Maria Schießler hat bei seinem „Einspruch“ im Merkur die Sache auf den Punkt gebracht: „Das Kirchenasyl gehört abgeschafft? Nur zu, … aber dann musst du halt die Kirche gleich mit abschaffen.“

 

Im Gegenwind hat dann auch der Innenminister „verbal abgerüstet“. Er hat den Scharia-Vergleich als missverständlich bezeichnet und einem bis Herbst befristeten Pilotprojekt zugestimmt, wonach die Kirchenasylfälle nicht mehr lokal „gelöst“, sondern dem BAMF und den Kirchenleitungen vorgelegt werden sollen. Die Fristverlängerung auf 18 Monate ist zunächst einmal vom Tisch.

 

Ein „Land auf Ausreise“ war der Kosovo in den ersten Wochen des Februars. Über 500 Flüchtlinge kamen täglich in Bayern an, und es kamen nicht nur die Armutsflüchtlinge. Auch der Mittelstand glaubt den Gerüchten von den deutschen Fleischtöpfen, verkauft seine Häuser, lässt sich (mit dem Erlös) nach Deutschland schleusen – und wird nach einem verkürzten Asylverfahren wieder zurückgeschoben. Sie mögen in den meisten Fällen keinen Anspruch auf politisches Asyl haben, aber wen das Bild von den Flüchtlingsfamilien im Wald nicht anrührt, der gehört selber in den Kosovo verschickt.

 

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Die Schlagzeilen

 

 

Wir möchten Ihnen ja einen (etwas) anderen Jahresrückblick bieten und deshalb auch an Meldungen erinnern, die keine größeren Schlagzeilen machten. Wir greifen drei Fälle heraus:

 

- In Ägpten wurde der Blogger Alaa Abdel Fattah zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil er gegen das neue Demonstrationsrecht und gegen die Wiedereinführung der Militärgerichte auf die Straße ging. Demonstrationen sollten, aber das ist unsere private Zuspitzung, nur noch in den eigenen vier Wänden erlaubt sein. In der Ukraine wird dem Journalisten Ruslan Kotsaba Hochverrat vorgeworfen. Kotsaba hatte in einem Internetvideo dem Präsidenten vorgeworfen, dass die Einberufung von Reservisten gesetzeswidrig sei, weil (bisher) kein Kriegsrecht ausgerufen ist. AI betrachtet ihn als politischen Gefangenen. Und weil zur Ukraine derzeit immer auch Russland gehört: Da sitzt Swetlana Dawydowa in Haft, weil sie (angeblich) bei der ukrainischen Botschaft in Moskau angerufen und denen von einem Soldaten in einem Linienbus erzählt habe, der am Handy von einem Phantomeinsatz berichtete: „Sie (die Soldaten) würden in kleinen Gruppen nach Moskau geschickt, unbedingt in Zivil, von dort ginge es weiter auf Dienstreise.“ Die Anklage lautet wie bei Kotsaba auf Landesverrat; darauf steht zwischen 12 und 25 Jahre Haft. Eine harte Strafe für einen Sachverhalt, den es nach Darstellung des Kremls gar nicht gibt. Dawydowa zieht sieben Kinder auf, das Baby wird noch gestillt. Hoffen wir, dass das jetzt der Verteidigungsminister übernimmt!

 

- Die AI-Eilaktion 234/2014-2 galt dem iranischen Kurden Saman Naseem, der 2013 wegen „Feindschaft zu Gott“ und „Verderbtheit auf Erden“- er gehörte halt einer bewaffneten kurdischen Oppositionsgruppe an, die sich mit den Revolutionsgarden herumschlug – zum Tode verurteilt wurde. Zur (angeblichen) Tatzeit war er minderjährig, ein „Schönheitsfehler“, den man im Iran entweder ignoriert oder dadurch umgeht, dass man für die Hinrichtung die Volljährigkeit abwartet. Er sollte am 19. Februar hingerichtet werden: Die Hinrichtung wurde zunächst bestätigt, am nächsten Tag wieder dementiert.

 

- Ob das Dementi schon eine gute Nachricht ist, müssen wir offenlassen, aber so ist es immer bei den „guten Nachrichten“ von AI: Was vorausging, war schrecklich genug. In Den Haag wurden zwei serbische Ex-Offiziere für das Massaker in Srebrenica zu lebenslanger Haft verurteilt. In türkischen Städten wurde gegen Gewalt an Frauen protestiert, nachdem eine 20-jährige Passagierin von einem Busfahrer ermordet worden war, weil sie sein Vergewaltigungsangebot zurückgewiesen hatte.

 

Junge Frauen halten in Ankara Protest-Schilder mit Slogans und einem Foto der ermordeten Frau. (AFP / Adem Altan)

 

Protest der Frauen in Ankara

 

Und dann gab es noch einen „wegweisenden Prozess“ in Hongkong. Eine Hongkongerin wurde wegen Misshandlung ihrer indonesischen Putzfrau zu sechs Jahren Haft und einer Geldstrafe von 1700 Euro verurteilt. Sie hatte ihr u.a. den Schlauch eines Staubsaugers in den Mund gerammt. „Wegweisend“ ist das Urteil deshalb, weil die Misshandlung von Hausangestellten in Hongkong eher die Regel als die Ausnahme ist, und die Justiz bisher auf beiden Augen blind war. Bei unserem letzten Maiauftritt  auf der Gewerkschaftskundgebung in Schliersee haben wir übrigens auf das Los  dieser Hausangestellten hingewiesen. Wir freuen uns, dass die Richter auf unsere Proteste reagiert haben.

 

 

Cartoon: So muss Erziehung (medium) by tiede tagged jesuskind,jungfrau,ernst,max,züchtigung,strafe,franziskus,papst,papst,franziskus,strafe,züchtigung,max,ernst,jungfrau,jesuskind

 

frei nach Max Ernst




- Schließen möchten wir mit dem „Klaps des Monats“. Da uns Papst Franziskus recht sympathisch ist und viele von uns noch große Dinge von ihm erwarten, haben wir die sanfteste Karikatur herausgesucht, die wir zu seinem „Fehltritt“ finden konnten

 

 

März 2015

„Zu Anfang oder End, der März sein Gift entsend’t.“ Ehrlich gesagt, diese Bauernregel verstehe ich nicht, aber zumindest liefert sie mir eine Einleitung zum laufenden Monat, denn zum sich Giften war wieder reichlich Gelegenheit. Fangen wir mit Saudi-Arabien an: AI braucht dem Lande ja keine Leoparden oder sonstige Panzertiere zu verkaufen und erhält auch keine Fördergelder, weil wir keine Dschihadisten als Mitglieder haben. Deshalb können (und wollen) wir ein loseres Mundwerk riskieren als die deutschen Politiker, die derzeit dort die (goldenen) Klinken putzen. Es geht noch einmal um Raif Badawi, dessen Prügelstrafe vorerst ausgesetzt ist. „Hat der internationale Protest bewirkt“, jubiliert der Chor aus Politikern und Menschenrechtlern. „Hätt’s gmoant“, schallt es von den Saudis zurück. Da soll man nämlich einen neuen Prozess gegen Badawi vorbereiten, in dem ihm die Todesstrafe droht. Und warum soll man den Kandidaten dann noch vorher auspeitschen? Übrigens - das ist auch schon vorgekommen!

Als dann Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zu Besuch kam, hatte er nicht nur Wirtschaftsleute sondern auch einen Brief von Frau Badawi im Gepäck. Angeblich hat er König Salman den Brief auch überreicht und seinerseits um Gnade für den Blogger gebeten. Die „Zeit“ behauptet sogar, „dass er ein Drittel seiner Gesprächszeit mit dem König auf den armen Blogger verwendet“ hätte. Und dann hat er am Weltfrauentag noch drei saudische Menschenrechtlerinnen getroffen, die allerdings im Taxi vorfahren mussten.

 

 

Badawi hat im Vorwort zum Buch „1000 Peitschenhiebe“ seinen Gefängnisalltag beschrieben. Er muss sich eine 20 Quadratmeter große Zelle mit 30 Verbrechern teilen, Mördern, Dieben und Kinderschändern, habe aber bei einigen Zellengenossen ein „zartes, grandioses, menschliches Feingefühl“ entdeckt. Und seine Frau hat nicht nur an König Salman, sondern auch an AI geschrieben, und im Gegensatz zum König haben wir den Brief auch gelesen:

„Ich kenne euch nicht, aber zu wissen, dass ihr eine Petition unterzeichnet oder weitergeleitet habt, dass ihr in Gedanken bei uns seid, das gibt mir die Kraft, meinen Kampf fortzusetzen. … Wenn ich mit Raif direkt sprechen darf, … fragt er mich, wie viele Sitzstreiks es gegeben habe und wo sie stattgefunden hätten. Er weiß sogar, welche Sektionen die Mahnwachen organisieren.“

Während Gabriel in Saudi-Arabien in Sachen Menschenrechte einiges von seiner „SPD-Seele“ („Merkur“) investiert hatte, zeigte er sich in Katar diesbezüglich etwas zurückhaltender, „verständnisvoller“. Was die Arbeitsbedingungen auf den WM-Bauten betreffe, habe Katar „eine ganze Menge in die Wege geleitet“. Sein Wort in Allahs Ohr. Es ist natürlich auch schwierig, in einem solchen Ambiente von „Leibeigenschaft“ zu reden.

 

 

 

Im April wird Horst Seehofer nach Saudi-Arabien fahren, und das wird keine „Klassenfahrt“ werden wie damals in Peking, wo die „Schülerin“ Margarete Bause sich zu Ai Weiwei absetzte, ohne „Lehrer“ Seehofer zu verständigen. Und das Thema Menschenrechte werde man dezent bis gar nicht anschneiden, denn er sei nämlich „sehr allergisch gegenüber öffentlichen Aktionismen“. Eine Allergie dieser Art ist bei ihm ein eher neueres „Krankheitsbild“. In Katar hat er dann nicht nur in Gabriels Sessel gesessen, sondern auch nachgeplappert, was der schon gesagt hat. Aber „es ist natürlich auch schwierig, in einem solchen Ambiente über „Menschenrechte“ zu sprechen“.

 

 

 

Doch einen (wesentlichen) Unterschied gibt es zwischen den beiden Bildern: Beim Besuch von Seehofer sieht man die Sandalen des Emirs nicht.

 

Bei Seehofers Besuch sind dann die Menschenrechte „in angemessener Form, aber nicht im Detail“ angesprochen worden, haben also keine Rolle gespielt – im Gegensatz zu Waffenexporten. „Geschäfte wie üblich“ waren auch die Priorität beim Besuch der NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in Peking. Das Thema Menschenrechte wurde dabei vom Präsidenten der IHK/Industrie- und Handelskammer Köln (!) „angedeutet“, der sich beschwerte, dass „man Zeichen nicht twittern oder auf Facebook posten könne, weil die Seiten gesperrt sind“. Eine Woche vor Krafts Besuch war die Journalistin Gao Yu zu sieben Jahren Haft verurteilt worden, weil sie ein Dokument der Parteiführung gegen die Pressefreihit veröffentlicht hatte – und das auf einem Portal, das in den USA beheimatet ist.

 

 

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Boris Nemzow (+)




- Für die Opposition in Russland wird die Luft immer bleihaltiger. In Sichtweite des Kremls wurde Boris Nemzow erschossen, zwei Tage bevor er die Bevölkerung auffordern wollte, „gegen den Krieg, gegen die Krise und für den Frühling“ auf die Straße zu gehen. Nemzow hatte sich viele Feinde gemacht: die Ultranationalisten wegen seiner Sympathien für die Regierung in Kiew, Militärs und Geheimdienstler wegen seiner Kritik am Aggressionskrieg und Präsident Putin höchstpersönlich, dem er vorwarf, im Kreml eine „kriminelle Bande“ zu unterhalten, die „unter dem Deckmantel des Patriotismus das Land ausraubt“. Als „Täter vom Dienst“ herhalten aber mussten die Tschetschenen, die als „tiefgläubige Menschen“ (Republikchef Kadyrow über einen Tatverdächtigen) Nemzow liquidiert hatten, weil er die Charlie Hebdo Karikaturen mit den Worten verteidigt habe, der Islam betreibe eine „mittelalterliche Inquisition“. So deutlich (und lebensgefährlich) werden sich Nemzows Weggefährten in Russland nicht mehr äußern: Es soll eine Todesliste mit ihren Namen kursieren und eine von ihnen, Xenia Sobtschak, wurde auf der Trauerfeier für Nemzow von einem Unbekannten mit den Worten „getröstet“: „Du bist die Nächste.“ Es gibt Berichte, dass Xenia daraufhin eine Reise ins Ausland angetreten haben soll. Und was würde dazu der Vizedekan einer Moskauer Hochschule sagen? Das gleiche, was er zu Nemzows Tod gesagt hat: „Ein Miststück weniger.“ Ende des Jahres wurde dann der Name des mutmaßlichen Auftraggebers präsentiert: Er ist Polizeioffizier – und natürlich Tschetschene.

 

Die Ukraine hat auf ihre Art reagiert. Dort wurden im April in kurzer Folge der Abgeordnete Oleh Kalaschnikow und der Journalist Oles Busina ermordet. Beide waren Anhänger des gestürzten Präsidenten Janukowitsch, Gegner des Westkurses der Regierung und im Anti-Maidan engagiert. Als Täter werden ukrainische Nationalisten vermutet. Als AI-Mitglied darf man es eigentlich nicht sagen, aber wäre es nicht besser, wenn die Ultras gleich direkt aufeinander losgingen?

 

 

Die Schlagzeilen

 

 

- Unbequemer als die Sessel im Palast des Emirs von Katar sind derzeit manche Bürgermeister- und Landratssessel in Sachsen Anhalt/Deutschland. Der Bürgermeister von Tröglitz fühlte sich „allein im brauen Regen“ und trat zurück. Er hatte 40 Flüchtlinge in der Gemeinde unterbringen wollen, was zu einer Reihe von Sonntagsdemonstrationen führte, die von der NPD organisiert wurden, aber auch einige Bürger aus Tröglitz anlockten. Als einer der Züge vor seinem Wohnhaus enden sollte, hatte Bürgermeister Markus Nierth genug von seinem Ehrenamt. Im April ging es dann munter weiter: In der geplanten Asylunterkunft brannte der Dachstuhl, und dem zuständigen Landrat wurde gar die „Enthauptung“ angedroht – „wie damals in Frankreich, Fallbeil, weißte Bescheid.“ Das mit der „Enthauptung“ stand zwar in der „Bildzeitung“, aber inzwischen glaubt man es auch schon. Nach dem Brandanschlag rafften sich immerhin 300 Menschen zu einer (Art) Gegendemonstration auf. Nach dem letzten Stand der Dinge sollen zehn Flüchtlinge nach Tröglitz kommen. Es steht zu hoffen, dass sie vorher noch einen Kurs in Selbstverteidigung und Brandbekämpfung absolviert haben.

 

 

- Zur Flüchtlingsfrage hat es eine bemerkenswerte Bertelsmann-Studie gegeben. Darin wird „ein hoher Bedarf an Zuwanderung“ vorausgesagt. Nun, das ist nichts Neues, aber ungewohnt ist der Titel, mit dem die „SZ“ über die Studie berichtet: „Das Boot ist leer.“ Das scheint übrigens auch die Meinung griechischer Minister zu sein, denn sie stellen unverhohlen einen Zusammenhang zwischen Schuldenfrage und Flüchtlingswellen her: „Wenn sie Griechenland einen Schlag versetzen, dann sollen Sie wissen, dass Migranten Papiere bekommen und nach Berlin gehen.“

 

- Das Bundesverfassungsgericht hat in einem 2. Anlauf das Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen gekippt, hat aber ein Hintertürchen offen gelassen. Ein Verbot ist möglich, wenn das Tragen der Kopfbedeckung zu einer „konkreten Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität“ führen sollte. Jetzt ist man natürlich gespannt, wie viele Eltern sich zusammenrotten müssen, um mit ihrem Protest gegen eine Kopftuchträgerin den Schulfrieden zu stören. Doch man wird auch genau hinschauen müssen, ob eine solche Lehrerin missionarischen Eifer gegenüber ihren unbedeckten muslimischen Schülerinnen entwickelt. Dann würde ich sagen. „Tuch ab!“ Spannend ist weiterhin, welches Schlupfloch Bayern wieder finden wird, um den Spruch des Gerichtes zu umgehen. Und wie werden die Schüler reagieren?

 

 

- Aber ganz so lustig ist es leider nicht: An einer Grundschule in Neu-Ulm gibt es eine Minderheit von extremistischen Viertklässlern, die anlässlich eines Gesprächs über die Toten von Charlie Hebdo mit Äußerungen wie „Christen muss man töten“ und „Juden stehen auf der Stufe von Schweinen“ aufgefallen sind. Auch ist mehr als bedenklich, dass ein Großteil der muslimischen Schüler den Ethikunterricht besucht, weil den Eltern der offizielle Islamunterricht zu „liberal“ ist.

 

- „Voll normal“ wird man auch bei den Dschihadisten nicht sagen können, die von Deutschland aus in den HL. Krieg aufbrechen. Und noch weniger von den Dschihadistinnen.

 

 

 

Ob die emsigen „Gazellen“ die Kalaschnikows mit dem Besen vertauschen und die Trümmer des assyrischen Kulturerbes in Nimrud zusammenkehren, wissen wir nicht. Die Elif aus Neuried hat sich inzwischen auf Facebook gerührt. Sie macht Propaganda für den Islamischen Staat und fordert deutsche Teenager auf ihrem Beispiel zu folgen und „die Kämpfer zu belustigen, ihnen den Haushalt führen und Nachwuchs für den Gottesstaat auf die Welt zu bringen“. (SZ) Auf solche „Lehrerinnen“ können wir gut und gern verzichten.

 

Verfassungsschützer haben die Kunstfigur „Marwa“ geschaffen, um den Werdegang einer Dschihadistin zu schildern: Unterrichtsboykott, Burka, Besuch einschlägiger Moscheen, „Schwesternseminare“, Facebook Kontakte, Reisevorbereitungen, Ausreise, Karriere als Zweit- und Drittfrau. Die Verfassungsschützer lieben ein Happy End: Deshalb gelingt es Marwa, Kontakt zu ihrer Mutter aufzunehmen und mit deren Hilfe heimzukehren. Das ist eher die Ausnahme!

 

Ich glaube, wir haben für einen einzigen Monat genug gegiftet. Gehen wir zu erheiternden und erfreulichen Nachrichten über.

 

- Mit einem Fragebogen wollte die Bundesregierung wissen, ob die USA tatsächlich Drohnenflüge von Stützpunkten in Deutschland organisieren. Seit kurzem wissen wir, dass das nicht der Fall ist, denn die Amerikaner haben den Fragebogen dahingehend „beantwortet“, dass es keine von Deutschland aus gesteuerten Drohnen gäbe. Die Bundesregierung sähe die Angelegenheit damit als „geklärt“ an. Genosse Lenin würde sagen: „Kontrolle ist gut, Vertrauen besser.“ Oder hat er es umgekehrt gesagt?

 

- Der Briefmarathon, den AI immer um die Weihnachtszeit veranstaltet, hat erste Erfolge gezeigt. Dr. Tun Aung/Myanmar, der zu 2012 zu 17 Jahren Haft verurteilt worden war, wurde im Januar 2015 vorzeitig (wenn auch auf Bewährung) freigelassen. Seine Straftat: Er hatte versucht, einen Streit zwischen Buddhisten und Moslems zu schlichten.

 

 

Dr. Tun Aung

 

- Von Moses Akatugba/Nigeria, für den wir in Miesbach zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember

150 Postkarten verteilt haben, gibt es nichts Neues. Die Petition, die die Aufhebung des Todesurteils fordert, wurde bis 31. August 2015 verlängert. Aber Ende Mai gab es dann etwas Neues: Moses wurde begnadigt und aus der Haft entlassen. Der zuständige Gouverneur hat dazu in einer Weise Stellung genommen, die auch müde AI-Seelen wieder munter machen könnte: „Sein Fall hat in den sozialen Medien große Beachtung gefunden, und Amnesty International ist auch eingeschritten.“ Wir danken allen, die mit uns eingeschritten sind.

 

 

April 2015

 

 

„April is the cruellest month/ April ist der grausamste Monat“. So beginnt das Gedicht „The waste Land/ Das öde Land“ von T.S. Eliot, das als Bahnbrecher für die moderne Lyrik gilt. In einer neueren deutschen Übertragung geht’s dann wie folgt weiter: „(April) treibt Flieder aus der toten Erde, mischt Erinnerung mit Lust …“ Nun, den Duft und die Farbe des Flieders lassen wir uns gern gefallen, aber die Erinnerung mischt sich auch in diesem Monat eher mit „Last“. Da war die Debatte über den Völkermord an den Armeniern vor 100 Jahren, die zwischen Papst, Erdogan und dem deutschen Bundestag ausgetragen wurde. Papst Franziskus hatte in einem Gottesdienst die Armenier als Opfer des „ersten Völkermordes im 20. Jahrhundert“ bezeichnet, Erdogan sprach daraufhin zwar keine Fatwa aus, bestellte aber den päpstlichen Nuntius ins Außenministerium ein. Ansonsten aber „gehe ihm die Kritik (an der türkischen Weigerung, das Massaker und die Vertreibungen als Genozid anzuerkennen) zum einen Ohr rein und zum anderen Ohr wieder raus“. Sein Ministerpräsident gab den Juristen:

 

„Der Begriff ‚Völkermord’ sei schon aus rechtlichen Gründen unzulässig, da dieser Terminus erst nach dem 2. Weltkrieg ins Völkerrecht aufgenommen worden war.“

 

Kein Wort kein Mord!

 

 

Und dann legten Bundesregierung und Bundestag los. Zuerst Außenminister Steinmeier mit der ihm eigenen Eindeutigkeit:

 

„Man kann das, was damals geschehen ist, in dem Begriff des Völkermordes zusammenfassen wollen, und ich kann die Gründe dafür … gut verstehen.“

 

In der Folge faselten noch einige Bedenkenträger von der Gefährdung des Versöhnungsprozesses zwischen Türken und Armeniern und von der Brüskierung des Nato-Partners Türkei, aber in der Bundestagsdebatte hat man dann endlich Klartext gesprochen. Bundestagspräsident Lammert eröffnete die Sitzung mit der klaren Aussage: „Das, was im Ersten Weltkrieg im osmanischen Reich stattgefunden hat, war ein Völkermord.“

 

Dass man in der Sache bei uns so lange herumgeschwurbelt hat, hat natürlich seine Gründe. Vom damaligen Reichskanzler Bethmann Hollweg ist der Ausspruch überliefert:

 

„… Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht.“

 

Und dann kam die Frage auf, ob nicht Deutschland Anwärter auf den „ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts“ sei. Das Kaiserreich hatte nämlich zwischen 1904 und 1908 im heutigen Namibia etwa 90 000 Herero und Nama ermordet, und die Historiker streiten, ob das „Völkermord“ oder doch nur ein „Kolonialkrieg“ gewesen sei.

 

 

Wie grausam die beiden Genozide verlaufen sind, sollen zwei Zitate belegen. Vom Befehlshaber der deutschen Truppen, Lothar von Trotha, ist folgender Vernichtungsbefehl überliefert:

 

„Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen.“

 

Und die schwedische Krankenschwester Alma Johansson berichtet von der Folter gefangener armenischer Männer:

 

„ … (Ihnen) wurden die Füße mit Nägeln beschlagen wie Pferden, … sie wurden mit den Füßen nach oben gehängt … und dergleichen.“

 

An den Punktierungen merken sie, dass wir uns an die Krankenschwester gehalten haben: „Dergleichen“ entzieht sich der Beschreibung.

 

 



Es ist mehr als ein Gebot der Fairness, zu erwähnen, dass es „hinten in der Türkei“ auch andere Stimmen zum Völkermord an den Armeniern gibt.

 

Vom Völkermord zum Gruppenmord. Auch da hatte der „grausamste Monat“ wieder einiges zu bieten. In Libyen hat der IS, wie schon im Februar, wieder 30 äthiopische Christen für die Hinrichtung selektiert, im Flüchtlingslager Jarmuk/Syrien hat er sich zum Ausgleich muslimische und christliche (?) Palästinenser „vorgeknöpft“ – soweit man sie sich nach den Fassbombenabwürfen des Assad Regimes noch vorknöpfen konnte. Selektiert wurde auch an der Universität von Garissa/Kenia, wo 148 Menschen, darunter 142 Christen, der somalischen Al-Shabaab Miliz zum Opfer fielen. Die Studenten mussten sich vor ihre Wohnheime stellen und wurden aufgefordert, Koranverse zu rezitieren. Wer das nichts konnte, wurde erschossen. Zeit für die mündliche Prüfung hatten die Terroristen genug: Die Polizei traf erst nach sieben Stunden ein – nach den Journalisten, die mit dem Auto aus der Hauptstadt Nairobi gekommen waren.

 

Bildergebnis für Garissa - kenia - fotos

 

Garissa – Trauer um die Kommilitonen





Und dann gab es noch ein „Drama im Drama“. Von einem Flüchtlingsboot, das vor Sizilien in Seenot geraten war, wurden zwölf Christen aus Ghana und Nigeria von Muslimen über Bord geworfen, weil sie in ihrer Angst zu Gott und nicht zu Allah gebetet hatten. Da kann man dann schon (klammheimlich) Verständnis haben, wenn im „Merkur“ ein Kommentar unter dem Titel „Nicht alle passen zu uns“ erscheint – auch wenn zwischen den Zeilen ein „Im Grunde passt keiner zu uns“ durchklingt.

 

Schließlich vom Gruppenmord zum Einzelmord. Während man bei uns über die Freigabe von Cannabis diskutiert, gab es in Indonesien „keine Gnade“ für Drogenschmuggler. Trotz internationaler Proteste wurden acht Menschen hingerichtet, darunter zwei australische Staatsbürger. Die Empörung in Canberra war wohldosiert, schließlich ist „Indonesien das (Handels)Tor nach Asien“. Lediglich die Philippinin Mary Jane Veloso wurde ausgespart. Eine Landsmännin sagte aus, sie habe Veloso als Drogenkurierin missbraucht, ohne dass diese davon gewusst hätte. Veloso ist jetzt Zeugin der Anklage gegen ihre Auftraggeberin, aber das Todesurteil ist nicht aufgehoben.

 

Ein Zyniker würde sagen: „In Indonesien gab es zumindest noch eine Andeutung von Gerichtsverfahren, in den USA häufen sich die Fälle, wo die Polizei die Sache gleich im Vorfeld erledigt, und das bei Delikten, die nicht einmal in den USA mit dem Tode bestraft werden würden.“

 

- Tulsa/Oklahoma: Ein Schwarzer war wegen Verdachts auf illegalen Waffenhandel bei einem Fluchtversuch von einem Polizisten zu Boden gebracht worden. In dieser Stellung wurde er von einem 73-jährigen Hilfspolizisten erschossen, der statt zu seinem Elektroschocker zur Pistole gegriffen hatte. Die Bilder aus Tulsa stammen von der Körperkamera des jüngeren Polizisten. Ein Polizeisprecher verglich das Verhalten des Hilfspolizisten mit dem von Leuten, die „beim Autofahren die Pedale verwechseln“.

 

- North Charleston/South Carolina: Der Schwarze Walter Scott war wegen eines defekten Bremslichtes bei einer Verkehrskontrolle aufgefallen, wollte flüchten und wurde von einem weißen Polizisten achtmal in den Rücken geschossen. Der Polizist macht Notwehr geltend, aber dummerweise existiert ein Handyvideo, das zeigt, dass der Polizist seinen Elektroschocker, den ihm Scott angeblich entrissen hatte, erst nach den Schüssen neben den Toten abgelegt hatte.

 

 

Walter Scott auf der Flucht

 

 

- San Bernardino/Kalifornien: Ein Mann, der wegen Diebstahls gesucht wurde, wurde von zehn (!) Polizisten mit Elektroschocks traktiert und wiederholt getreten und geschlagen. Vom Hubschrauber eines Nachrichtensenders aus wurde der Vorfall gefilmt. Dass er überlebt hat, weil er weiß war, würde wiederum nur ein Zyniker sagen. Im Juni  stand dann in der „Washington Post“, dass in den ersten fünf Monaten dieses Jahres 385 Personen ihr Leben durch Polizeischüsse verloren. Damit liege die Zahl der tödlichen Schießereien mehr als doppelt so hoch wie vor zehn Jahren. Wenn Obama also wieder einmal die Waffengesetze verschärft/verschärfen will, sollte er die Polizisten nicht vergessen.

 

Allerdings sollte auch nicht mit Steinen werfen, wer selber im Glashaus sitzt. In Hannover soll ein Bundespolizist Flüchtlinge misshandelt haben. Seine Kurznachricht an einen Kollegen liest sich fast wie der Bericht der schwedischen Krankenschwester:

 

„Hab den weggeschlagen. Nen Afghanen. … Hab dem meinen Finger in die Nase gesteckt. Und gewürgt. War witzig. Und an den Fußfesseln durch die Wache geschliffen. … Gequikt wie ein Schwein. Das war ein Geschenk von Allah.“

 

Einen zweiten Fall kommentiert er noch drastischer – und das nicht nur von der Rechtschrift her. Die Vorfälle ereigneten sich vor einem Jahr. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass der Mann von seiner Dienststelle gedeckt wurde. Die Bundespolizei will jetzt eine Beschwerdestelle einrichten, wo solche Vorfälle „unter Umgehung des Dienstweges“ gemeldet werden können. AI hat ein solches Kontrollgremium für die Polizei schon vor Jahren gefordert. Das tat im Juni übrigens auch ein Professor an der Deutschen Hochschule der Polizei (!), als er schrieb:

 

„Die deutsche Polizei liegt auf der Vertrauensskala weit(er) oben. Damit das so bleibt, muss sie sich aber endlich einer Aufsicht von außen stellen.“

 

Es reicht ihnen? Dann hören Sie (fürs Erste) auf. Es reicht Ihnen nicht? Hier

 

 

Die Schlagzeilen

 

 

- Das Mittelmeer hat wieder einmal Flüchtlinge verschlungen, „so viele auf einmal wie nie zuvor“ (900?). Die Retter, so die Rekonstruktion der Vorgeschichte, waren (unbeabsichtigt) mit zum Auslöser des Unglücks geworden. Ein Frachter hatte auf einen Hilferuf der Flüchtlinge reagiert, von denen sich dann viele beim Nahen des Frachters auf eine Seite des Bootes gedrängt hatten. Außerdem scheint der Kapitän des Flüchtlingsbootes ein „abenteuerliches Manöver“ veranlasst zu haben, das zu einer Kollision mit dem Frachter führte. Darauf war das Boot gekentert.

 

 

Tod im Mittelmeer

 

- Ein Krisengipfel der EU beschloss einen umfangreichen Maßnahmenkatalog, von dem nur die Erweiterung der Rettungsaktionen unumstritten (und unproblematisch) ist. Der „Merkur“ schreibt – in Anlehnung an das Überlebensmotiv der „Bremer Stadtmusikanten“:

 

„Eine wirklich gute Lösung wird es angesichts der massiven Flüchtlingsströme nicht geben, aber eine weniger schlechte als der tausendfache Tod im Mittelmeer muss möglich sein.“

 

- Die Leipziger sind als Urlauber in Bayern nicht mehr willkommen, obwohl sie keine „Ausländer“ im engeren Sinne sind. Die Forscher an ihrer Uni wollen nämlich herausgebracht haben, dass in Bayern ausländerfeindliche (33,1%) und antisemitische Einstellungen (12,6%) weit verbreitet sind. Nur Sachsen-Anhalt hat (in Sachen Ausländerfeindlichkeit) die Nase noch weiter vorn. Nicht gerade beruhigend ist auch die Tatsache, dass …

 

„es nicht nur die kahlköpfigen Brandstifter sind. Das größte Biotop für Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus ist die bürgerliche Mitte. Die Parteizugehörigkeit spielt dabei eher eine Nebenrolle.“

 

- Zu dieser „bürgerlichen Mitte“ gehören wohl auch die acht Gruppen, die nicht mehr ins Kegelstüberl von Waakirchen/Oberbayern gehen, weil daneben ein Quartier von Asylbewerbern ist. Im Juli meldete sich dann das „andere Waakirchen“ zu Wort. Der Fußballklub drehte ein Video, in dem die Integration von Asylbewerbern in die örtlichen Sportvereine gezeigt wurde. Und der Helferkreis ist inzwischen auf 40 Leute angewachsen. „Es geht auch anders, doch so geht es auch.“

 

 

- Und dann sei es noch erlaubt, den Leipziger Demoskopen eine „Landkarte der Gewalt“ unter die Nase zu halten. Da zeigt sich, dass Brandanschläge oder sonstige Angriffe auf Unterkünfte oder Tätlichkeiten gegen Flüchtlinge im Nordwesten und (Nord)Osten der Republik doch noch häufiger vorkommen als in Bayern. Der Bayer pflegt seine Ressentiments, aber er langt nicht hin – von Vorra einmal abgesehen.

 

- In China wurde erst hingelangt und dann zurückgezogen. Zum Frauentag am 8. März erfolgte die Verhaftung von fünf Frauen, die Aufkleber und Flugblätter gegen sexuelle Belästigung verteilen wollten. Ihr Anliegen steht an sich im Einklang mit der Parteilinie, aber ihr Auftreten war der „Abteilung für die Bewahrung der Stabilität“ – so etwas gibt es in China – „zu frech und zu bunt“. Die Frauen wurden nach einem Monat Haft entlassen, werden aber noch immer von der Polizei schikaniert. Eine von ihnen, Wu Rongrong, kehrte von einem Polizeiverhör „emotional gebrochen“ zurück.

 

- Eine ähnliche Nachricht nach dem Motto „Ende gut, noch lange nicht alles gut“, kommt aus den USA: Vier Söldner der US-Firma Blackwater, die 2007 in Bagdad ohne ersichtlichen Anlass das Feuer auf unbewaffnete irakischen Zivilisten eröffnet hatten, wurden zu hohen Haftstrafen verurteilt. Der Prozess sollte die Botschaft verkünden, dass niemand über dem Gesetz stehe, auch nicht bewaffnete Amerikaner in fernen Ländern. Alle Verurteilten haben Berufung angekündigt, und Blackwater, das inzwischen Academi heißt, wird sicher bessere Anwälte finden, als manche Todesstrafenkandidaten in ihren Pflichtverteidigern haben.

 

- Der „SZ“ war es sogar ein Galilei-Zitat wert, um das „historische Fenster“ zu beschreiben, das sich durch und für die kurdischen PKK in der Türkei zu öffnen scheint. Die Organisation kündigte an, nicht mehr gegen die Türkei kämpfen zu wollen und hat sich bei Deutschland (!) für die Gewalttaten der Neunzigerjahre entschuldigt. „Sie bewegt sich doch“, hat es zwar schon öfter geheißen, aber zumindest der türkische Ministerpräsident hat die Friedensbotschaft des Kurdenführers Öcalan begrüßt. Ob sich Präsident Erdogan zur Erkenntnis durchringt, dass die Türkei auch ein „Kurdenproblem“ habe, steht noch in den Sternen.

 

- Der Schluss dieses „grausamen Monats“ aber sei einem Mann gewidmet, den die Grausamkeit nicht verbittert hat, Wladyslaw Bartoszewski, Widerstandskämpfer gegen die Nazis, polnischer Außenminister und einer der Wegbereiter der deutsch-polnischen Versöhnung. Und – unser (bisher) hochkarätigster Referent bei einem Infoabend von AI-Miesbach. Es muss in den Jahren kurz vor der Wende gewesen sein, als Bartoszewski prophetisch und zu unser aller Erstaunen voraussagte, dass die Spaltung Europas bald zu Ende gehen würde. Mit dem Gedenken an solche Männer ist auch dieser April auszuhalten.

 

 

Wladyslaw Bartoszewski

 

 

Mai 2015

 

 

Vom italienischen Jugendseelsorger Don Bosco stammt das folgende Zitat auf einem Abreißkalender: „Fröhlich sein, Gutes tun und die Spatzen pfeifen lassen.“ Ein passender Spruch für den Monat Mai, denn da ist „die Hauptbrutzeit des Haussperlings in Mitteleuropa“ bereits im Gange. Und weil der Monat nicht nur beim Spatzen, sondern auch beim Menschen positiv besetzt ist, wollen wir diesmal wider alle Tradition (und Vernunft) bei den positiven Nachrichten beginnen – was halt AI so unter „positiven Nachrichten“ versteht.

 

Als in Boston der Attentäter auf den Marathonlauf zum Tode verurteilt wurde, sprachen sich nur 15% der Einwohner Bostons für die Todesstrafe aus. Für viele sei die Entscheidung ein „Schandfleck“ für die Stadt. In Massachussetts ist die Todesstrafe abgeschafft, aber Terroranschläge werden nach Bundesrecht abgeurteilt. In Nebraska hat das Parlament die Todesstrafe abgeschafft und anschließend das Veto des (republikanischen) Gouverneurs überstimmt. Dafür waren mindestens 30 Stimmen nötig, und genau diese Zahl haben die Gegner der Todesstrafe im Parlament erreicht. Wie sagte schon Konrad Adenauer, als er 1949 mit einer Stimme Mehrheit (seiner eigenen) zum 1. Kanzler der Bundesrepublik gewählt wurde: „Et hätt noch immer jot jejange.“ Damit ist in 19 von 50 Staaten der USA die Todesstrafe abgeschafft.

 

In Zentralafrika, wo sich zehn (!) muslimische und christliche Milizen in der „größten vergessenen humanitären Krise unserer Zeit“ bekämpfen, wurden 357 Kindersoldaten freigelassen. Die Milizen können das verkraften: Es verbleiben ihnen noch mehr als 9500. Bewegung gab es auch in der Nachbarschaft: Nigerias abgewählter Präsident Goodluck Jonathan wollte noch seinen ramponierten Ruf verbessern, indem er in seinen letzten Amtstagen endlich gegen die Boko Haram mobil machte. Mit Hilfe dreier Nachbarländer und südafrikanischer Söldner gelang es, über 700 Frauen und Mädchen zu befreien. 214 von ihnen sollen schwanger sein, aber das nicht freiwillig. Wie es denen in ihren Familien ergehen wird, fragen wir uns lieber nicht.

 

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Befreit in Nigeria?

 

Zu einem historischen Händedruck kam es in Nordirland: Der ewige Thronfolger Charles, Ehrenoberst eines Fallschirmjägerregiments, das im Nordirlandkonflikt bei der Tötung von Zivilisten mitgewirkt hatte, schüttelte Händchen mit Gerry Adams, mutmaßlich ehemaliges Mitglied der IRA, die bei der Tötung von Zivilisten mitgewirkt hatte. Die „SZ“ schreibt dazu:

 

„Wenn diese beiden Männer einander die Hand schütteln, sollten sich alle ehemaligen Konfliktpartner aussöhnen können.“

 

Verbrüderung mit dem Feind? – Gerry Adams traf am Dienstag den b

 

Charles und Gerry

 

Und sie bewegt sich doch! Die katholische Kirche ist im Begriff, ihr Arbeitsrecht zu ändern, d.h. dem Grundgesetz anzupassen: Für die Beschäftigung von Wiederverheirateten und Homosexuellen soll der Kündigungsautomatismus (weitgehend) abgeschafft werden. Ob das aus höherer Einsicht geschieht, sei dahingestellt, eher ist es die massive Kritik, der das katholische Arbeitsrecht seit Jahren ausgesetzt ist. In den christlichen Kirchen wird der Hl. Geist gerne durch den Wind symbolisiert. Vielleicht muss man auch daran etwas ändern: Könnte es sein, dass er auch im Gegenwind zu finden ist? Und was wird sich die lesbische Hortleiterin aus Holzkirchen denken, der die Caritas gekündigt hat, weil sie mit ihrer Partnerin eine Lebensgemeinschaft eingehen will? Und was die Caritas, deren Begründungsgebäude von (Teilen) der deutschen Bischöfe über den Haufen geworfen wurde? Wird sie ihre bayrische Zentrale von München nach Passau oder Eichstätt verlegen?

 

Mit einem Gegenwind anderer Art sind die Flüchtlinge in Südostasien konfrontiert. Es handelt sich um etwa 8000 Menschen, Armutsflüchtlinge aus Bangladesch und Angehörige der muslimischen Rohingya, eine unterdrückte Minderheit in Myanmar. Früher, als die Schleuser noch unbehelligt operieren konnten, gab es das Problem auf hoher See noch nicht. Die Flüchtlinge wurden nach Thailand verbracht, dort in Lager gesperrt und erst gegen Zahlung einer horrenden Summe freigelassen. Wer nicht zahlen konnte, …? Als man dann in Thailand Massengräber von Flüchtlingen entdeckte, hat Thailand an der Küste Razzien durchgeführt, so dass die Schiffe der Schleuser nicht mehr ungestört landen konnten. Jetzt begann die Odyssee auf dem Wasser. In Indonesien wurden sie auf das offene Meer zurückgeschleppt, nachdem man sie „mit Essen und Trinken versorgt“ hatte. Ein Sprecher der Marine meinte dazu: „Sie sahen nicht so aus, als ob sie in Gefahr wären. Und außerdem wollten sie nach Malaysia. So haben wir sie wieder auf den Weg geschickt.“

 

Klingt fast wie eine humanitäre Aktion! Nur dass sie Malaysia (und Thailand, und Australien) zunächst auch nicht haben wollten. Und dann gab es Kapitäne, die das Seemannsprinzip „Der Kapitän geht als Letzter von Bord“ in sein Gegenteil verkehrten. Inzwischen haben Malaysia und Indonesien ihre Blockadepolitik aufgegeben und sind bereit, den Flüchtlingen „vorübergehend Unterschlupf zu gewähren“.

 

Im Gefolge dieser Flüchtlingswelle hat eine Ikone der Menschenrechtler arge Risse bekommen. Der „Merkur“ titelte lakonisch: „Die Nobelpreisträgerin schweigt.“ Gemeint ist Aung San Suu Kyi, die für einen Kommentar zum Schicksal der Rohingya nicht verfügbar, weil „auf Reisen“ war. Aber um das Problem herumgeeiert hat sie auch schon früher. Als sie der Dalai Lama, ihr Kollege vom Nobelpreisklub, auf die Rohingya hin ansprach, gab sie sich diplomatisch: die Frage sei „nicht einfach, sondern sehr kompliziert“.

 

 

Die Lady „chillt“

 

Radikale buddhistische Mönche in Myanmar haben hingegen sehr „einfache“ Lösungen parat: Um den Rohingya das Kinderkriegen zu erschweren, fordern sie ein Gesetz, das armen Frauen Zwangspausen zwischen Schwangerschaften aufzwingen soll. Übrigens, fast hätten wir es vergessen: Aung Sa Suu Kyi möchte nach den nächsten Wahlen Parlamentspräsidentin werden. Erinnert ein wenig an unseren Finanzminister Söder, der im Juni (vorsorglich) eine Verschärfung des Asylrechtes ins Gespräch brachte.

 

 

Flüchtlinge aus Myanmar und Bangladesch

 

Die Schlagzeilen

 

 



- Da sich Nordkorea bei AI beschwert hat, dass es in diesem Jahresrückblick schon so lange tot geschwiegen worden sei, aber durchaus etwas zu bieten hätte, präsentieren wir eine Karikatur, deren Absurdität nur noch von der Wirklichkeit übertroffen wird.

 

Der schlafende General, der durch Erschießen „aufgeweckt“ werden soll, war der nordkoreanische Verteidigungsminister Hyon Yong Chol, der mit 15 hohen Offizieren hingerichtet wurde. Angeblich habe der Minister dem Diktator Kim Jong Un „nicht genügend Respekt entgegengebracht und sei zudem bei einer Militärparade eingeschlafen“. Für Kim ein klarer Fall von „Verrat“.

 

 

- Die Todesstrafe grassierte auch weiter westlich. In Ägypten wurde Ex-Präsident Mursi in einem „grob unfairen Verfahren“ zum Tode verurteilt, weil er sich 2011 von der Hamas aus dem Gefängnis befreien ließ. Beim Ausbruch kamen einige Wärter ums Leben. Sein Nachfolger al-Sisi hat im Juni Berlin besucht, und ist (vermutlich) von Angela Merkel auf die „Epidemie“ von Todesurteilen in seinem Land angesprochen worden, wahrscheinlich aber nicht mit der Vehemenz, mit der eine regimekritische Journalistin den Präsidenten auf der Pressekonferenz angegangen ist. Sie bezeichnete ihn als „Mörder und Faschist“, worauf sich die Presseleute des Präsidenten geschlossen auf sie stürzten. Die Frau wurde abgeführt, die Presseleute blieben unbehelligt.

 

- „Epidemisch“ ist auch die Situation in Saudi-Arabien, nur dass die Todesurteile nicht nur verhängt, sondern auch vollstreckt werden. Man rechnet für 2015 mit etwa 200 Hinrichtungen, doppelt soviel wie 2014. Wen wundert dann, dass dem Land die Henker ausgehen? Das Ministerium für öffentliche Verwaltung/Enthauptung hat deshalb eine Stellenanzeige herausgegeben, mit der acht Henker gesucht werden. Sie bräuchten „keine besonderen Kenntnisse oder gar universitäre Qualifikationen“; sie müssten nur fähig sein „ein Todesurteil (oder eine Amputation) gemäß der islamischen Schariah“ durchzuführen. Unsere Partner von Human Rights Watch haben für den Anstieg der Hinrichtungszahlen eine „bürokratische“ Erklärung parat: Seit etwa fünf Jahren werden mehr Richter eingestellt und neue Gerichte geschaffen. Und die “arbeiten“ jetzt den Stau von potentiellen Todeskandidaten ab, wie bei uns die Postler, die nach dem Streik die liegen gebliebenen Sendungen weiterleiten müssen.

 

- Unter dem Titel „Rückschritt in die Dunkelheit“ brachte die „SZ“ einen langen Artikel über die grausame Ermordung der türkischen Studentin Özgecan Aslan. In dem Artikel kommt auch eine Anwältin zu Wort, die schon lange die toten Frauen in diesem Lande zählt. Sie berichtet, dass Frauenmörder nach ein paar Jahren Haft wieder frei kommen, weil die Richter alles tun, um das Strafmaß zu reduzieren, oder auch dass sie eine Bühne im Fernsehen bekommen, wo sie erzählen dürfen, dass „sie es im Leben nicht leicht hatten“ – und deshalb zwei ihrer Frauen ermorden mussten. Das Fazit der Anwältin:

 

„Sie hätte nie gedacht, dass sich die Lage für Frauen in der Türkei wieder so verschlimmern würde. Sie waren in diesem Land schon mal weiter.“

 

- Im nächsten Beitrag geht es zur Abwechslung einmal nicht gegen die Moslems, sondern gegen die Juden. Da gab es einen Plan des israelischen Verteidigungsministeriums, der verdächtig an das Apartheid-Regime in Südafrika und den Südstaaten der USA erinnerte. Für eine Testphase von drei Monaten sollten Palästinenser, die in Israel arbeiten, bei der Heimfahrt nicht mehr neben Siedlern sitzen dürfen. Nach den drei Monaten, aber diese Vermutung stammt von uns, hätten sie dann zu Fuß nach Hause gegen müssen. Zur (vorläufigen) Ehrenrettung des Landes ist vorzubringen, dass Kritik an der „Separierung zwischen Juden und Arabern“ von höchster Stelle/vom Präsidenten kam und dass Premierminister Netanjahu das Vorhaben noch am gleichen Morgen „einfror“.

 

- Im Grenzbereich der AI-Arbeit angesiedelt ist der Fall eines zehnjährigen Mädchens aus Paraguay, das (mutmaßlich) von seinem Stiefvater vergewaltigt wurde und jetzt schwanger ist. Eine Abtreibung ist in Paraguay nur bei Lebensgefahr für die Mutter erlaubt. Für den Gesundheitsminister des Landes ist die Sache klar: „Es wird nicht abgebrochen. Das Mädchen hat keine Schmerzen und ist in guter Verfassung.“ Das mit der „guten Verfassung“ ist anzuzweifeln. Das AI-Mandat, wo (bisher) kein generelles „Recht auf Abtreibung“ festgeschrieben ist (und hoffentlich auch nicht werden wird), würde dem Mädchen einen legalen Abbruch erlauben, weil ihre Schwangerschaft ein Ergebnis von Inzest und Vergewaltigung ist.

 

- Hier in Deutschland haben wir Gott sei Dank nichts mit Todesstrafe und (noch nicht) mit Apartheid zu tun, aber unsensible Richter haben wir auch zu bieten. Da kamen in München Rechtsextremisten in 2. Instanz gegen ein Demonstrationsverbot durch. Sie durften bei der Eröffnung des NS-Dokuzentrums gegen dessen Eröffnung protestieren. Und das am 30. April, als sich vor 70 Jahren Hitler erschoss. Und das Zentrum steht an der Stelle, wo sich die Parteizentrale der NSDAP befand. Für die Richter waren das weder ein „symbolträchtiger“ Ort, noch ein „symbolträchtiges“ Datum, denn dann hätte man nach dem Bayerischen Versammlungsgesetz die Demo verbieten müssen. Der Direktor des Zentrums hat mit Recht darauf hingewiesen, dass die Demo ein Zeichen dafür sei, wie nötig dieses Zentrum ist.

 

- Nötig ist es u.E. gerade wegen solcher Vorfälle, dass Jugendzentren auch politische Bildung betreiben sollten, wenn auch keine parteipolitische Propaganda. Und da hat sich der Verein Eigeninitiative mit dem Ordnungsamt und der Bürgermeisterin in Miesbach einigen Ärger eingehandelt, als er den Anti-Fa Journalisten Robert Andreasch zu einem Vortrag über „Neue Entwicklungen in der oberbayerischen Neonazi-Szene“ einlud. Nun, über die Präsenz von Sicherheitsleuten bei einer solchen Veranstaltung muss man (leider) reden, aber so etwas per Vertrag zu verbieten, ist problematisch. Da sollten die Stadt (und die Betreiber des Vereins) schleunigst den Vertrag ändern, denn Aufklärung über Entwicklungen in der „Szene“ können weder Schule noch Eltern leisten – und sie, die Aufklärung, wird zusehends dringlicher.

 

- Aber jetzt wollen wir den Mai ausklingen lassen, nicht gerade „fröhlich pfeifend“, aber irgendwie entspannt. Der kubanische Präsident Raúl Castro hat bei seinem Papstbesuch in Rom verlautet, dass er vorhabe, beim Gegenbesuch von Franziskus in Kuba alle Messen zu besuchen, und zwar „mit Vergnügen“. Da sollten sich die amerikanischen Touristen ein Beispiel nehmen, wie man mit Denkmustern aus der Vergangenheit umgehen kann.

 

 

- Und weil wir mit der Brutzeit der Spatzen angefangen haben, wollen wir auch mit dem Thema Paarverhalten enden. An der Uni Passau wurde von den Burschen ein Fensterln-Wettbewerb abgeblasen/ bzw. die Leitern entfernt, weil die Gleichstellungsbeauftragte kritisiert hatte, dass Frauen von dieser Veranstaltung ausgeschlossen würden. Und aus dem Hintergrund singt ein gemischter Chor aus Syrern, Südsudanesen und Ukrainern zur Melodie der Bayernhymne: „Deutschlands Sorgen möcht’ ich haben.“

 

 

Juni 2015

 

 

Die Siebenschläfer am 27. Juni sind auch nicht mehr das, was sie einst waren. Es hat zwar kurz geregnet, aber dann kam schon bald eine Hitzewelle, die es nötig machte, Donauwasser nach Unterfranken zu pumpen, weil man im Juli dort die schlimmste Dürreperiode seit Jahrzehnten erlebte. Das muss man sich mal vorstellen: Donauwasser im Frankenwein - wenn das kein Indiz für die nahende Klimakatastrophe ist! Aber gut, die Siebenschläfer standen ursprünglich nicht für „regnen“, sondern für „schlafen“, und damit sind wir bei der Justiz. Im Jahre 2008 wurde gegen den Präsidenten Omar al-Baschir/Sudan vom Internationalen Gerichtshof (IStGH) ein Haftbefehl erlassen. Grund: Völkermord und das übliche Zubehör. Im Jahre 2014 wurden „die Ermittlungen mangels Aussicht auf Erfolg zeitweilig eingestellt“. Al-Baschir konnte auf Reisen gehen. In Johannisburg/Südafrika traf sich die Afrikanische Union, in Pretoria verfügt ein Richter, dass man prüfen müsse, ob al-Baschir nicht an den IStGH zu überstellen sei. Bis dahin dürfe er das Land nicht verlassen – und müsse derweilen in Soweto Sozialarbeit leisten. Letzteres ist natürlich Satire, aber der Rest leider nicht. Da trat nämlich Jacob Zuma, der Präsident Südafrikas als Fluchthelfer auf und schleuste Omar aus dem Lande. Die „SZ“ sprach nur von einem „kleinen Trost“:

 

„Baschir war in Johannisburg zu einem peinlichen Abgang durch die Hintertür (Militärflughafen) gezwungen. Bislang flohen die Menschen vor ihm. Am Montag war er selbst auf der Flucht.“

 

Während in Südafrika die Justiz hellwach reagierte, kann man das von Deutschland nicht sagen. Da war eher „schlafen“ angesagt, wenn auch nicht zwei Jahrhunderte lang wie die sieben Jünglinge von Ephesus. Verschlafen (oder ignoriert) hat man jedenfalls in Berlin die Warnungen von Interpol und dem Bundeskriminalamt (BKA), dass es sich bei dem ägyptischen Haftbefehl gegen den unbequemen Al-Jazeera Reporter Ahmed Mansour um einen Fall von „politischer Verfolgung“ handeln könnte. Das Bundesjustizministerium und das Auswärtige Amt hingegen waren der Meinung, man müsse Ägyptens Justiz, die sich in jüngster Zeit durch Verhängung massiver Haftstrafen gegen kritische Journalisten und einer Welle von Todesurteilen gegen Muslimbrüder hervorgetan hatte, bei der Vollstreckung des Haftbefehls helfen, und so kam Mansour in Abschiebehaft. Erst nach 48 Stunden (und scharfen Protesten) kamen „politische Bedenken“ auf, und Mansour wurde freigelassen. Er kann von Glück sagen, dass er nicht am Monatsanfang verhaftet wurde. Da war nämlich Präsident Al-Sisi auf Staatsbesuch in Berlin – und wer weiß, vielleicht hätte man ihm Mansour als Gastgeschenk mitgegeben.

 

Ein vernünftiges Urteil fällte das Kölner Landgericht gegen die Femen-Aktivistin Josephine Witt. Sie hatte 2013 während der Weihnachtsmesse im Kölner Dom gegen die Missachtung der Frauenrechte in der katholischen Kirche demonstriert, in ihrem Aufzug aber gewaltig gegen die kirchliche Kleiderordnung verstoßen. Mit ihrem Protest hat sie ja Recht, aber das kann man auch angezogen zur Sprache bringen. Josephine wurde nach dem Jugendstrafrecht abgeurteilt und zu einer Geldstrafe von 600 Euro verurteilt. Das muss ihr der Spaß an der Provokation schon wert sein. Und froh soll sie sein, dass sie nicht in Saudi-Arabien lebt. Da sind zwei Männer und zwei Frauen wegen einer Tanzparty zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden:. die Frauen müssen zehn Intensivpatienten besuchen, die Männer müssen jeweils fünf Gräber graben. Für saudi-arabische Verhältnisse eine eher glimpfliche Strafe. Aber stellen Sie sich vor, Josephine hätte barbusig und im Lendenschurz in einer Moschee demonstriert! Dann wäre sie selber Intensivpatientin geworden und wäre ins Grab, das sie zu schaufeln hatte, gleich selber hineingeworfen worden.

 

Hart und gar nicht herzlich aber war ein Urteil in Düsseldorf. Da wurde eine Frau zu einer Geldstrafe von

200 Euro verurteilt, weil sie zu einem Polizisten „Du Mädchen“ gesagt hatte. Ihr Mann hat sie aus dem Zeugenstand heraus etwas ungeschickt verteidigt: „Sie würde so was nie zu einem Bullen sagen.“ Aber erinnern Sie sich noch an den deutschen Krimi von 1985? Da werden beide erschossen: „Der Bulle und das Mädchen.“

 

 

Die Schlagzeilen

 

 

- Fangen wir mit einem „Mädchen“ an, das es wirklich schlimm erwischt hat. Die 29-jährige iranische Zeichnerin Atena Farghadani wurde zu 12 Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt, weil sie auf ihre Facebook-Seite eine Karikatur gestellt hatte, die sechs Abgeordnete mit Kuh- und Affenköpfen zeigte. Sie waren gerade dabei, im Parlament ihre Stimme abzugeben, um ein Gesetz zu verabschieden, das den freien Zugang der iranischen Frauen zu Verhütungsmitteln beschränken soll. Dazu muss man wissen, dass der Iran seit zwei Jahren eine Bevölkerungspolitik verfolgt, die verdächtig an das „Schenkt dem Führer noch ein Kind“ von Nazideutschland erinnert. Die Verhandlung gegen Atena dauerte nur einen halben Tag. Seitdem hat man nichts mehr von ihr gehört.

 

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Frau mit Kühen und Affen

 

- In Belgrad hat man mit einem Jahr Verspätung Gavrilo Princip ein Denkmal gesetzt, der 1914 mit dem Attentat in Sarajevo den 1. Weltkrieg zwar nicht verschuldet aber doch ausgelöst hat. Princip hat für seine Tat schwer gebüßt: Die Österreicher haben ihn in Theresienstadt, wo später die Nazis ihr KZ betrieben, innerhalb von zwei Jahren zu Tode gebracht. Die eigentlichen Kriegstreiber saßen damals in den Hauptstädten Europas, und sie dürften ihre Denkmäler schon seit langem haben. Trotz alledem: Auf dem Weg Serbiens nach Europa ist dieses Denkmal eher ein Stolperstein.

 

 

Auf dem Sockel: Gavrilo Princip

 





Bushra Shafi



- Bushra Shafi wurde im Juli 1995 Opfer eines Säureattentats. Sie war in eine arrangierte Ehe gezwungen worden, musste auf Geheiß ihrer neuen Familie von ihrem Vater Geld einfordern und sollte, als der nicht mehr bezahlen wollte/konnte, „entsorgt“ werden. Man rieb ihr Säure ins Gesicht, sperrte sie in ein Zimmer ein und legte Feuer. Bushra überlebte, aber „ihr Gesicht war nur noch ein Klumpen Fleisch“. Sie musste 150 Mal operiert werden. Heute arbeitet sie als Kosmetikerin in einem Schönheitssalon – und richtet Bräute für die Hochzeit her.

 

 

- Dass Christen derzeit von Islamisten erst selektiert und dann getötet werden, ist allseits bekannt, dass sich jüdische Extremisten an Gotteshäusern und Moscheen vergreifen, eher weniger. Der Brandanschlag auf die Brotvermehrungskirche in Tabgha richtete enormen Sachschaden an und brachte einen Mönch wegen Rauchvergiftung ins Krankenhaus. Die Täter hinterließen ein Bekennerschreiben: „Die Götzenanbeter müssen vernichtet werden.“ Das klang noch vergleichsweise harmlos. Bei anderen Anschlägen konnte man lesen: „Jesus war ein Hurensohn, und Maria eine Prostituierte.“ Das offizielle Israel reagierte mit der gebührenden Betroffenheit, aber die Nachforschungen der Polizei liefen bisher im Schongang ab.

 

- In den USA hat eine große Mehrheit im Senat für ein klares Folterverbot bei der Befragung von Häftlingen gestimmt. Darunter fallen auch die Methoden des „verschärften Verhörs“. Allerdings stimmten einige der republikanischen Präsidentschaftskandidaten mit „Nein“. Sie hätten wohl eher eine Verschärfung des „verschärften Verhörs“ gewollt.

 

- Beschließen wir den Juni mit dem Thema „Asyl“. Im sächsischen Freital formierte sich der Protest gegen die Umwandlung eines Hotels in eine Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber. Eine „Protestantin“ machte ihrem Unmut mit einem gewagten Vergleich Luft: „Da geht jetzt alles durcheinander. Das ist ja schlimmer als im Krieg.“ Natürlich kann es in einem Ort Probleme geben, wenn statt 100 Flüchtlingen plötzlich 280 da sind, aber der Krieg, liebe Frau, findet anderswo statt. Aber schauen wir erst einmal, wie wir hier in Miesbach zurechtkommen, wenn im Juli an die 200 Asylbewerber in die Turnhalle der Berufsschule einziehen. Und was macht der Kardinal von Köln zum Flüchtlingsproblem? Auch er macht „Krach“, aber auf andere Weise. Er ließ in der ganzen Diözese die Glocken läuten, einen Schlag für jeden toten Flüchtling im Mittelmeer.

 

 

Juli 2015

 

 

 

Hans Thoma, Juli (1907)




Man weiß nicht, welche Scheibe der bärtige Muskelprotz da mit seinem Hammer zerdeppert, aber Scherben gab es zu Genüge an Orten, wo eine Unterkunft für Asylbewerber geplant war oder Unterkünfte in Erstaufnahmeeinrichtungen umgewandelt wurden. Die Sachsen gingen mit schlechtem Beispiel voran, aber die Hessen und Oberbayern marschierten ihnen nach – „mit ruhig festem Schritt“ gewissermaßen. Hier einige „Kostproben“: Im hessischen Mengerskirchen wurde ein geplante Flüchtlingsunterkunft mit Schweineköpfen und Innereien beschmutzt, im oberbayrischen Reichertshofen brannte der Raum eines Gasthauses und im sächsischen Freital hielten bis zu 150 Leute die Polizei auf Trab, brüllten in Sprechchören: „Kriminelle Ausländer raus! Und der Rest auch raus!“ und hoben (gelegentlich) die Arme zum Hitlergruß. Aus dieser Ecke stammen auch die Drohungen, denen sich Mitglieder des Bayrischen Flüchtlingsrates auf Facebook ausgesetzt sehen. Da können sie dann lesen, dass man sie „mit verbundenen Augen in den Hinterhof führen und dort erschießen“ wird.

 

Dass die Stimmung gegen Asylbewerber am Kippen ist, hat natürlich auch die Bayrische Staatsregierung erkannt, aber dass ihr Gerede vom „massiven Asylmissbrauch“ und ihre Vorschläge zur Ausgestaltung der bayrischen „Willkommenskultur“ (Kürzung des Taschengeldes, Einschränkung der Arbeitserlaubnis, Einrichtung von Abschiebezentren auf Ex-und-hopp Basis) eher dazu beitragen, die Fremdenfeindlichkeit zu fördern, ist gewollt oder wird billigend in Kauf genommen. Aus Mitleid mit der Staatsregierung und zur Entlastung von Oberbayern, wo sich die Urlauber und die Flüchtlinge besonders häufig auf die Füße treten, hat ein Journalist den Vorschlag gemacht, „Unterfranken und Mittelfranken zu sicheren Herkunftsländern erklären zu lassen, was uns die rechtliche Grundlage für Zehntausende von Abschiebungen liefern würde“.

 

Zurück zur Wirklichkeit! Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, was die „SZ“ in einem Kommentar zur Fremdenfeindlichkeit festgehalten hat:

 

„Auch die Menschen, deren Asylverfahren negativ ausgehen, auch die Flüchtlinge, die … dann nicht in Deutschland bleiben dürfen, brauchen jeden Schutz in der Zeit, in der sie in Deutschland leben.“

 

 

 

Buchstaben gegen Pegida





Aber jetzt ist es an der Zeit, auf das andere Deutschland/Bayern zu hören und zu schauen. So wurden im fränkischen Goldbach vier Männer, die einen Vortrag von Claudia Roth zum Thema Asyl stören wollten, mit dem Ruf „Nazis raus!“ des Saales verwiesen, da bildeten auf dem Königsplatz in München 900 Schüler und Lehrer als menschliche Buchstaben das „München ist bunt“ Motto ab.

 

Und da lud der Heimatpfleger Norbert Göttler, der von seiner Funktion her sicher nicht des „Landesverrates“ verdächtig ist, dazu ein, den Heimatbegriff zu erweitern:

 

„ Wir müssen vorhandenen Werten neue hinzufügen, wir müssen das Fremde integrieren und als Bereicherung verstehen.“

 

Da wir schon bei Heimat sind, möchten wir auch auf die Situation im Landkreis eingehen. Gebrannt hat bisher nichts, und man hat auch nicht den Eindruck, das jemandem nach Zündeln zumute ist. Aber in der der Kreisstadt hat man in der Turnhalle der Berufsschule eine Erstaufnahmeeinrichtung für 200 Flüchtlinge eingerichtet, und da konnten Probleme nicht ausbleiben. Es kam (unter Alkoholeinfluss) zu Streitigkeiten und (eher ohne Alkoholeinfluss) zu kleineren Diebstählen. Für größere Diebstähle fehlt ja sowieso die Substanz. Und einmal scheint eine junge Frau belästigt worden zu sein, aber als ein Passant eingriff, haute der Täter ab. Es liegt uns ferne, solche Vorfälle herunter zu spielen, aber damit müssen wir leben – und haben es auch schon vor den Flüchtlingen tun müssen.

 

Gravierender erschien zunächst ein Vorfall in Holzkirchen, wo eine Frau behauptete, von drei Asylbewerbern vergewaltigt worden zu sein. Im August stellte sich heraus, dass ihre Geschichte erfunden war. Vielleicht war die Vergewaltigung eine „Auftragsarbeit“ der Facebook-Seite „Asyl Watch“, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, kriminelle Machenschaften von Asylbewerbern anzuprangern. Die Seite ist inzwischen (aber wohl nur vorläufig) wieder geschlossen, gegen das „Opfer“ wird wegen „Vortäuschung einer Straftat und Freiheitsberaubung“ ermittelt. Hoffentlich wird auch die Richtigstellung gelesen, die der „Merkur“ im Detail abgedruckt hat. Dem Mädchen wünschen wir, dass sie sich einmal unsterblich in einen Flüchtling verliebt!

 

Die Schlagzeilen

 

 

- Um eine dubiose Beziehungskiste und ihrer unbedachten Weiterverbreitung geht es auch bei einem Vorfall an einem Münchner Gymnasium. Dort wurde ein 12-jähriger Schüler gefeuert, weil er in der Pause das Gerücht aufgegriffen und einer (höchst) interessierten Zuhörerschaft unter seinen Mitschülern anvertraut hatte, eine Lehrerin würde ein Verhältnis zu einem Schüler der Oberstufe haben. Es ist nicht ganz klar, ob das Gerücht schon allseits bekannt, oder erst durch das Tratschen des Schülers großflächig gestreut wurde. Er wurde jedenfalls wegen „massiver Störung des Schulfriedens“ der Schule verwiesen, eine Entscheidung, die das Verwaltungsgericht als „rechtswidrig“ verwarf. Die Strafe mag unverhältnismäßig hart sein, aber beängstigend ist die Skandalbereitschaft der „Schulfamilie“/unserer Gesellschaft, mit der auf solche Gerüchte/Vorfälle reagiert wird. Da drängt sich natürlich das Gstanzl einer Freizeitdichterin auf, das der „Merkur“ im September abgedruckt hat:

 

„Und de Leit, de hot’s g’freit,

dass bei uns so weit feit.

Oba d’Leit wiss’n an Dreg,

so weit feit’s bei uns net.“

 

- Ein echter Skandal aber spielt sich derzeit in China ab. Dort wurde, kurz vor der WM der Leichtathleten, noch schnell eine Verfolgungswelle gegen Bürgerrechtsanwälte eingeleitet. Dabei spielten sich Szenen ab, die an den Drehtüreneffekt bei der Psychiatrie erinnern. Da wurde nach neun Monaten Haft ohne Anklage die chinesische Mitarbeiterin der „Zeit“ Zhang Miao freigelassen, aber dafür wird einen Tag nach ihrer „Freilassung“ ihr Anwalt Zhou Shifeng festgenommen und in einer Fernsehsendung vorgeführt wie in einem Schauprozess unter Mao oder Stalin. Das sollte ein Signal an seine Kollegen sein, oder wie ein chinesisches Sprichwort sagt: „Man muss ein Huhn töten, um die Affen zu erschrecken.“ Befremdlich war die Reaktion des Künstlers Ai Weiwei, dem das Regime schon mehr als einen Prügel zwischen die Beine geworfen hat. Er soll in einem Interview mit der „Zeit“ gesagt haben: „Ein paar Leute festzunehmen, ist doch keine große Sache. Es gibt viel Schlimmeres.“ Jetzt streitet er mit der Zeitung, ob er es tatsächlich so gesagt hat. Einer seiner früheren Anwälte zählt übrigens auch zu den Verhafteten.

 

- Viel zu wenig irritiert haben uns die neuen Enthüllungen über die Spionage des NSA gegen deutsche Spitzenpolitiker. Abgehört wurden nicht nur Merkel, sondern auch Ex-Kanzler Kohl und Schröder – und all das „seit Jahrzehnten“. Aber empört darüber war eher die Presse als die Politik. Die „SZ“ schrieb – zornig wie selten zuvor:

 

„ Deutschland hätte in der NSA-Affäre von Anfang an offensiver auftreten müssen. … Und es war ein Fehler, den Whistleblower Edward Snowdon Russland zu überlassen. Deutschland hätte ihm Asyl anbieten und ihn schützen müssen. … Vielleicht ist es, wenn Snowdon es noch wollte, (dafür) noch immer nicht zu spät.“

 

 

„O’zapft is!“

 

 

- Schließen wir den Monat mit einem Geburtstagskind. Zeitgleich mit der 145. Selbstverbrennung einer Tibeterin, einer Aktion, die er schon oft missbilligt hat, feierte der Dalai Lama seinen 80. Geburtstag. Und sein Credo sollten sich auch die Rechten in Freital, die Schüler am Münchner Gymnasium und die KP China hinter die Ohren schreiben:

 

„Wenn wir selbst glücklich sein wollen, sollten wir Mitgefühl üben, und wenn wir wollen, dass andere glücklich sind, sollten wir ebenfalls Mitgefühl üben. Wir alle sehen doch lieber lächelnde als finster Gesichter.“

 

Happy Birthday, Dalai Lama: 8 Wünsche zum 80. Geburtstag

 

Dalai Lama

 

 

 

August 2015

 

 

Der August ist für die Medien normalerweise der Monat der sauren Gurken. Das war aber nicht der einzige Grund, warum es AI gelungen ist, in der Tagesschau die Meldung Nummer 1 zu liefern. Der Beschluss auf der Internationalen Ratstagung unserer Organisation in Dublin hatte es schon in sich, und er ist manchem von uns sauer aufgestoßen. AI wird sich nämlich in Zukunft für eine „umfassende Entkriminalisierung aller Aspekte einvernehmlicher sexueller Beziehungen zwischen Erwachsenen gegen Entgelt“ einsetzen. Je nach Standpunkt des Betrachters geht es also um Sexarbeit bzw. um Prostitution. Die Kritik ließ nicht auf sich warten, und bisweilen war sie genauso blöd wie der Beschluss (in Teilen) selber. Da war von einem Sieg „der Freunde der Prostitution bei AI“ die Rede, da war zu hören, dass wir keine „Menschenrechtsorganisation“ mehr seien, sondern eine „Männerrechtsorganisation, die auf Frauenrechte pfeift“, und da unterstellte man den Delegierten, sie hätten dafür gestimmt, „Prostitution als Menschenrecht anzuerkennen“.

 

Leider fällt es nicht allzu leicht, der Kritik zu begegnen, da es (bisher) innerhalb der deutschen Sektion eine Art „Nachrichtensperre/Omertà“ gibt. Wir wissen nur, dass die obere Etage bei AI Deutschland in dieser Frage „gespalten“ ist, aber wir wissen beispielsweise nicht, wie die deutschen Delegierten in Dublin abgestimmt haben. Das verträgt sich nicht mit unserer Vorstellung von „Basisdemokratie“. Jedenfalls warten wir gespannt auf das nächste Amnesty Journal. Da kamen dann einige Beiträge, bei denen die „Verdauungsbeschwerden“ nicht zu verkennen waren.

 

Wenn man sich durch das Bürokratenenglisch des Originaltextes hindurchbeißt, dann ist das Knochenarbeit und ganz ohne Sex. Aber man merkt zumindest, dass man sich bei der Beschlussfassung Gedanken gemacht hat. In Ländern, wo Prostitution verboten oder in einem rechtlichen Niemandsland angesiedelt ist, werden die Frauen oft „wie der letzte Dreck“ behandelt, willkürlich verhaftet (oder weggesperrt), erpresst und schikaniert, müssen sie medizinische Zwangsuntersuchungen über sich ergehen lassen, oder wird ihnen (andererseits) der Zugang zu Gesundheitsversorgung oder zu Wohnraum verweigert. Dies alles aber passiert nicht nur staatlicherseits, sondern (und wahrscheinlich in höherem Maße) durch Freier, Zuhälter, Bordellbetreiber, letztere im Bericht etwas verniedlichend als „third parties/private individuals“ (Drittpersonen/private Individuen) bezeichnet. Und das ist der eigentliche Knackpunkt des Beschlusses: Es geht nicht nur um einen besseren Schutz und Rechtssicherheit für die Frauen – und das haben sie, wie gesagt, in manchen Ländern bitter nötig -, sondern auch um Straffreiheit für ihre „Arbeitgeber“, sofern sie sich ihre „Arbeitnehmerinnen“ nicht durch Menschenhandel beschaffen oder sie ausbeuten. Aber um letzteres zu kontrollieren, bräuchte man ein Polizeiaufgebot wie auf dem Hauptbahnhof zu Zeiten des Oktoberfestes. Der Zuhälter, der vor Jahren in Miesbach unter ehrlicher Anteilnahme seiner „Frauen“ beerdigt wurde, ist von der Regel eher die Ausnahme.

 

Allerdings muss man aus Fairnessgründen sagen, dass die „Sorge um die Drittpersonen“ direkt nur an einer kurzen Stelle im Text auftaucht. Da fordert der Text eine „Begrenzung der Verbote, die die organisatorischen Aspekte der Sexarbeit“ betreffen, sofern dabei kein Zwang ausgeübt wird. (Dazu s. „Polizeiaufgebot“!) Und er erinnert wiederholt daran, dass AI immer schon gegen Diskriminierung, Zwang, Ausbeutung und Menschenhandel (von Frauen) Position bezogen hat. (Dazu s. „Männerrechtsorganisation“!) Im Dezember hat man dann in München auf Einladung eines Frauennetzwerks „über das Leid, das die Sexindustrie für Betroffene bringt“ diskutiert. AI kam in dem Bericht über die Tagung nicht vor. Ist auch besser so!

 

Wir als Kreisgruppe werden weiterhin den „Miesbacher Weg“ beschreiten: Nicht alles mitmachen, was von oben kommt, z.B. bei der Sexarbeit.

 

 

 

Zurückkommen müssen wir in diesem Monat August natürlich auch auf die Flüchtlingskrise, aber da der Tsunami erst im September über uns hereinbrach, möchten wir an dieser Stelle eine Karikatur setzen, die die „Ruhe vor dem Sturm“ veranschaulicht und uns auf einige Ereignisse beschränken, die uns aufgefallen oder aufgestoßen sind, oder uns über das übliche Maß an Betroffenheit hinaus bewegt haben – und die sicher dazu beigetragen haben, dass Deutschland im September die Tore für Flüchtlinge weit geöffnet hat- „sperrangelweit“, wie ein Kommentator des „Merkur“ zu betonen nicht müde wird. Da waren die die 71 Flüchtlinge, die auf der Autobahn bei Wien in einem Lastwagen erstickt sind, und da war der dreijährige Bub, der wenige Tage später tot an den Strand von Bodrum/Türkei gespült wurde.

 

Da erlebt ein ungarischer Industriezweig einen Sonderboom, weil entlang der serbischen Grenze ein 175 km langer Zaun errichtet wurde und Verlängerungen nach Kroatien, Rumänien und Slowenien bereits angedacht oder in Bau sind. Man muss ja schon fast dankbar sein, dass noch kein Schießbefehl mit scharfer Munition existiert, und die ungarische Willkommenskultur erst aus Tränengas und Gummigeschossen besteht. In der Slowakei setzt man auf Selektion: wenn möglich keine Flüchtlinge, wenn überhaupt, dann nur Christen. Da trifft sich für die Slowakei gut, dass das derzeitige Hauptkontingent der Flüchtlinge aus Syrien kommt. Soweit die Nachbarn!

 

 

 

Hier in Deutschland fliegen weiterhin Brandsätze in Asylunterkünfte (Salzhemmendorf/Niedersachsen), was die „SZ“ zu der Bemerkung veranlasste, „Niedersachsen sei für sie (Flüchtlinge) auf einmal gefährlicher als Afrika“. In Heidenau/Sachsen wurde Angela Merkel, ihres Zeichen Bundeskanzlerin, als „Volksverräterin“ bezeichnet, was wiederum Sigmar Gabriel, seines Zeichens Vizekanzler, dazu brachte, die Randalierer als „Pack“ zu würdigen. Auch nicht die feine englische Art – auch wenn „rechtes Pack“ bei den 1000 Demonstranten stark vertreten war! Aber bei allen Kontroversen über Fluch und Segen der „Einwanderung“, eines geht nicht: die Flüchtlinge anzünden.

 

Deshalb hält sich unser Mitleid mit dem österreichischen Azubi in engen Grenzen, der gefeuert wurde, weil er ein Bild, auf dem die Feuerwehr an einem heißen Tag Flüchtlingskinder zur Kühlung mit dem Schlauch abspritzte, mit dem Kommentar versah, „ein Flammenwerfer wäre besser gewesen“. Er soll sich mittlerweile entschuldigt haben.

 

Aus der Mitte der Gesellschaft hingegen kam der Leserbrief eines Miesbacher Stadtrates. Er sprach von den „kräftigen jungen Männern, die mit dem Taxi zum Einkaufen … fahren, während sich alte Leute mit dem Rollator den Berg hinaufquälen“. Da muss man aber man schon lange vor den Supermärkten stehen, bis man die „kräftigen jungen“ Asylbewerber im Taxi ankommen sieht. Sie sind eher als Radfahrer zu fürchten. Auch seine Forderung, Verpflegung, Unterkunft und medizinische Versorgung nur in der „Grundform“ zu liefern, ist zum einen bereits Realität, zum anderen ein Zeichen von Knausrigkeit, die sich viele Ärzte, Gott sei Dank, nicht zu eigen machen. Im Oktober kam dann die Nachricht, dass der Landkreis Miesbach alle neu ankommenden Flüchtlinge impfen wird. Das sprengt zwar sicher die „Grundform medizinischer Versorgung“, ist aber in unser aller Interesse. Der Fairness halber ist hinzuzufügen, dass besagter Stadtrat im Herbst unseren Appell gegen die Todesstrafe in Malaysia mit unterschrieben hat. 300 Tage Ablass im Hl. Jahr 2016!

 

Schließen wir mit einem Sommerfest in der Bayernkaserne in München, zu dem 6000 Menschen kamen und sich „1200 Kugeln Eis, 1300 Burger und 20 000 Smoothies“ schmecken ließen.

 

 

Zur gleichzeitigen NPD-Demo am Rindermarkt tauchten gerade mal zwei Teilnehmer auf. Damit waren die Rindvieher, die sonst zu dritt als Bronzeskulpturen am Brunnen stehen, plötzlich zu fünft.

 

 

Die Schlagzeilen

 

 

- Zugeschlagen hat wieder einmal die russische Justiz, sofern man den Wurmfortsatz der Putin Regierung als Justiz bezeichnen kann. Zu 20 Jahren Haft wurde der Regisseur Oleg Senzow verurteilt, der Mitangeklagte Alexander Koltschenko zu 10 Jahren. Man warf ihnen vor, auf der Krim eine terroristische Vereinigung gegründet und einen Brandanschlag auf die Büros zweier russischer Organisationen durchgeführt zu haben. Beweise gab es keine, der Schuldspruch stützte sich auf Aussagen von Zeugen, die sich aber im Gerichtssaal davon distanzierten, weil sie unter Folter entstanden seien. Das wahre „Vergehen“ der Angeklagten: Sie waren mit der Annexion der Krim nicht einverstanden.

 

- Weiter östlich erlebte China seinen „Schwarzen Freitag“ am 10. Juli. Da begann eine Razzia gegen Bürgerrechtsanwälte und ihre Mitstreiter. Bis Anfang August wurden mehr als 250 von ihnen festgenommen. Da bleiben nicht mehr viele übrig. In dankbarer Erinnerung an Maos Kulturrevolution hat man auch den Pranger wieder eingeführt: Die Prominenz unter den Angeklagten wurde im Staatsfernsehen vorgeführt und musste sich „reuig, geständig und gebrochen“ gegenseitig denunzieren. Angesichts der einbrechenden Börsenkurse muss das Volk, wenn schon nicht bei Laune, doch bei der Stange (der Partei) gehalten werden. Ob Ai Weiwei nach wie vor der Meinung ist, dass das bisschen Festnahme „keine große Sache“ ist, wissen wir nicht.

 

- Kennen Sie die „Preisschildbewegung“? Das sind Leute vom radikalsten Rand der Siedlerbewegung in Israel, die dafür sorgen, dass für jedes „territoriale Zurückweichen“ (Abbau illegaler Siedlungen) der eigenen Regierung ein Preis zu zahlen ist, und zwar durch die Palästinenser. Für den Abriss eines Siedlerhauses durch die israelischen Behörden, auch das kommt vor, geht beispielsweise das Haus eines Palästinensers in Flammen auf. Als bei einem solchen Anschlag der „Hügeljugend“ ein 18-Monate altes Kind ums Leben kam,

 

 

 

 

war das Land geschockt, und selbst rechte Politiker sprachen von „jüdischen Terroristen“. Und ein Siedleraktivist wurde in „Administrativhaft“ genommen, in der Verdächtige ohne Anklage und Prozess festgehalten werden können. Dieses Verfahren wurde bisher nur bei Palästinensern angewandt und von AI immer als „Willkürakt“ kritisiert. Deshalb müssen wir Acht geben, dass wir uns nicht klammheimlich die Hände reiben, weil jetzt einmal die Gegenseite dran ist. Radikale Palästinenser schlugen Anfang Oktober zurück und töteten vier Israelis, darunter ein Siedlerehepaar, das mit dem Auto unterwegs war. Die Kinder saßen auf dem Rücksitz.

 

 

 

Das Kind von Duma

 

- Bleiben wir in der Nachbarschaft. Der IS hat die historische Stadt Palmyra eingenommen und sich an die Zerstörung der „Götzenbilder“ gemacht. Und den betagten „Herrn der Götzen“, den Chef-Archäologen Khaled Asaad (82), gleich mit eliminiert. Was sie mit seinem Leichnam gemacht haben sollen, wollen wir Ihnen ersparen. Sechs Wochen später war dann der antike Triumphbogen dran.

 

Der Triumphbogen in Palmyra

 

Der Triumphbogen von Palmyra – einst oder jetzt?

 

- „Sein Blut soll auf sie kommen“, hieße es dazu im Alten Testament, aber wer das zitiert hat, war der Schweizer Bischof Vitus Huonder, der auf dem Kongress „Freude am Glauben“ in Fulda das Zitat benutzte, um den Schwulen Beine zu machen, denn „schläft einer mit einem Mann, wie man mit einer Frau schläft, … werden beide mit dem Tode bestraft“. Dem Bischof wird die Freude am Glauben inzwischen etwas vergangen sein, weil der Dachverband der Schwulen in der Schweiz gegen ihn Anzeige erhoben hat. Zu seiner Ehrenrettung ist zu sagen, dass er kurz nach seinem Vortrag sein „Bedauern über das Missverständnis“ zum Ausdruck brachte, was doch schon fast einer Entschuldigung gleichkommt.

 

- Bewegen wir uns vorsichtig auf freundlichers Terrain vor. Freuen wir uns über die Befreiung von 180 Geiseln – 100 Kinder und fast 70 Frauen - aus den Händen der Boko-Haram/Nigeria und über die Entlassung der einst „jüngsten Mörder der USA“, die mit 12 und 13 Jahren wegen des Mordes an der Freundin ihres Vaters zu 18 Jahren Haft verurteilt worden waren – obwohl das Jugendstrafrecht eine Höchststrafe von drei Jahren vorgesehen hätte. Und schließlich noch über die Verleihung eines Friedenspreises an den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Un für seinen „Kampf gegen neokolonialistischen Imperialismus“. Nein, darüber freuen wir uns absolut nicht! Der soll zuerst seine Untertanen ernähren.

 

- In den USA hockt Chelsea (vormals Bradley) Manning im Gefängnis, der (damals noch ein Mann) Geheimdokumente über amerikanische Kriegsverbrechen im Irak veröffentlicht hatte, aber statt eines Ordens

35 Jahre Haft bekommen hatte. Jetzt hat man ihr (jetzt eine Frau) ein Disziplinarverfahren aufgebrummt, „weil sie eine Ausgabe von Vanity Fair (ein Kulturmagazin) in ihrer Zelle aufbewahrte, sowie Zahnpasta, deren Haltbarkeitsdatum überschritten war“. Jetzt gibt man ihr wohl den Playboy zu lesen, und sie darf sich eine Woche lang die Zähne gar nicht mehr putzen.

 

- Ihnen ist das Lachen vergangen? Jetzt dürfen Sie wieder! Eine Münchner Amtsrichterin verurteilte zwei Fans des TSV 1860 zu einer 15-monatigen Haftstrafe, weil sie „einem Anhänger des FC Bayern die Fankluft vom Leib gezerrt und sie mutwillig zerrissen“ hatten. Sie würden aber Haftverschonung erhalten, wenn sie „ihrem Opfer die Kluft ersetzen würden, und zwar im FC Bayern-Fanshop“. Es gibt noch Richter(innen) in Deutschland!

 

 

September 2015

 

 

Sie tragen sich schön langsam mit dem Gedanken, aus diesem Jahresbericht zu flüchten? Ich kann’s Ihnen nicht verdenken, weil es schon wieder um ein Thema geht, das uns schon im Juli und August beschäftigt hat – und das uns auch für den Rest des Jahres (und des Jahrzehnts, und des Jahrhunderts) beschäftigen wird. Sie haben beschlossen, weiter zu lesen – dann habe ich zwei Trostversuche parat: Sie können diesen Bericht geruhsam vom Schaukelstuhl aus lesen, die 300.000 Flüchtlinge, die im September durch Südosteuropa irrten, hatten es nicht so gemütlich. Und zusätzlich gebe ich Ihnen, leicht abgewandelt, den Satz von Ulrich Maly, Oberbürgermeister von Nürnberg, mit auf den Leseweg:

 

„Ich bin überzeugt davon, dass Sie es am Ende schaffen werden. Leicht wird’s nicht, aber wenn es leicht wäre, könnt’s ja jeder.“

 

 

 

Durch Südosteuropa „irrten“ ist das richtige Wort, denn die Festung Europa präsentierte sich als Labyrinth, dessen Stationen wir in chronologischer (wenn auch nicht geographischer) Folge abschreiten wollen

 

 

 

1. Station: München Hauptbahnhof

 

In der „Stadt der Bewegung“ war wieder mal was los. Nachdem Ungarn den Ostbahnhof in Budapest frei gegeben hatte, kamen am 1. September 2000 Flüchtlinge in München an. Sie riefen „Thank you, Germany“ und trafen auf eine Welle von freiwilligen Helfern, einen engagierten Oberbürgermeister mit einer effizienten Stadtverwaltung und eine souverän agierende Polizei.

 

 

Empfang am Münchner Hauptbahnhof

 

Der „Merkur“ kommentierte: „Es herrschte Ausnahmezustand am Bahnhof. Allerdings ein geordneter.“ Und die „SZ“ überschrieb ihren Leitartikel mit „München leuchtet“, betonte aber auch, dass sich die bayerische Staatsregierung eher im Dunkeln aufhielt bzw. die Balkanflüchtlinge im Abschiebezentrum (knallhart) daran erinnerte, dass „Sie wieder zurück müssen“.

 

2. Station: der Strand vor Bodrum/Türkei

 

Wurde schon kurz erwähnt: Zwischen der türkischen Halbinsel Bodrum und der griechischen Insel Kos kenterte ein Flüchtlingsboot. Unter den Toten drei Mitglieder der Familie Kurdi aus Kobane/Nordsyrien, der Stadt, die 2014 fast vom IS erobert worden wäre. Am Strand wird ein totes Bündel angeschwemmt: der dreijährige Aylan.

 

Flüchtlinge: Toter Junge von Bodrum - Ein Foto geht um die Welt. Für Aylan Kurdi endete die Flucht aus Syrien vor dem IS tödlich. (Quelle: Reuters/Nilufer Demir/DHA)

 

Am Strand von Bodrum

 

In der Presse konnte man lesen, dass das Foto die Flüchtlingspolitik verändern könnte. Hat es nicht!

 

 

 

3. Station: die „Zuschauer“

 

Da ist zunächst einmal „Freund Orban“. Er behauptet, „Flüchtlinge seien das Problem Deutschlands, nicht Europas“. Merkels „Wir schaffen das“ Rede hätte die Syrer „an den gedeckten Tisch“ eingeladen. Das mit dem „gedeckten Tisch“ ist nicht ohne Ironie, denn vermutlich wurde die Flüchtlingswelle auch dadurch ausgelöst, dass dem UN-Flüchtlingshilfswerk das Geld für die Lager in Grenznähe ausgeht. Und dass ein Flüchtling nicht im Ungarn Orbans bleiben will, ist ihm auch nicht zu verdenken! In der Sendung „Hart aber fair“ vom Januar 2016 hieß es dazu: „Wenn Deutschland damals nicht die Grenze geöffnet hätte, wären Zehntausende von Flüchtlingen auf dem Balkan verhungert.“

 

Almosen statt Geld kommen gerade von jenen Ländern, die es sich leisten könnten – von Saudi-Arabien und den Golfstaaten. Aber dafür nehmen sie ja Tausende von Flüchtlingen auf, die ihnen religiös und kulturell sowieso näher stehen als uns Europäern. Pustekuchen! Ihre Arbeitskräfte holen sie nach wie vor aus Südostasien, und Asyl gab es für verfolgte Araberbrüder noch nie. Könnten ja einen „revolutionären Geist“ einschleppen, und der könnte Gewinnbeteiligung verlangen! Da liefern sie lieber die Waffen, um den Krieg am Kochen zu halten.

 

Und dann gibt es noch einen Zuschauer, der nicht ganz unschuldig daran ist, dass sich der Nahe/Mittlere Osten zum Hexenkessel entwickelt hat. Als einsame Ruferin in der Wüste hat die ehemalige Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger darauf hingewiesen, dass „die USA … syrische Flüchtlinge in ganz anderem Umfang aufnehmen müsse“. Aber die fürchten auch eine Bombe in jeder Unterhose, die bei ihnen einreist!

 

4. Station: Prantl („SZ“) kontra Anastasiadis („Merkur“)

 

Es wäre interessant, sie in einer Talkshow zu erleben: den Repräsentanten der „Flüchtlingslobby“ bei der „SZ“ und den Chefpopulisten des „Merkur“. Wie sie z.B. den Ausbruch des Flüchtlingsstromes bewerten: Für Anastasiadis waren es die Bilder von der deutschen Willkommenskultur und die („einladenden“) Worte der Kanzlerin – „Asyl kennt keine Obergrenze“ -, die „vom Senegal bis Pakistan … ihre ganz eigene unwiderstehliche Magie entfalteten“. Für Prantl hingegen „war die Krise längst vorher da“, nur hat Deutschland sie lange „nicht zur Kenntnis genommen“, weil wir uns hinter dem Dublin-Abkommen verschanzen konnten. Und dann die Aussichten für die Zukunft: Anastasiadis ist uneingeschränkt für eine Verschärfung des Asylrechts und hat mehr als nur Verständnis für „die Urangst (der Deutschen) fremd im eigenen Land zu werden“, Prantl plädiert für ein menschenwürdiges Asylrecht für alle, „die uns brauchen“ (Richard von Weizsäcker) und ist zuversichtlich, dass wir es schaffen – „mit dem Münchner Elan“.

 

Unsere Antwort auf die Frage von Anastasiadis „Wessen Land?“ – mit aller Vorsicht: „Eher das von Prantl!“

 

 

Der Kampf der Warane

 

Das Foto zeigt den Kampf zweier Komodowarane um die Gunst der Damen, und wir konnten der Versuchung nicht widerstehen, damit das Duell zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer zu illustrieren. Zugegeben, Angela Merkel ist selbst ein Weibchen und als Siegespreis winkt die Deutungshoheit innerhalb der Unionsparteien, aber sonst? Der vermeintliche Sieger (rechts) zeigt sogar in Ansätzen das süffisante Grinsen unseres Ministerpräsidenten, das in einer Sendung der „Heute Show“ selbst ohne Worte zu einer Lachnummer geworden ist. Aber auch seine Worte haben es in sich: vom „grandiosen Scheitern der Politik“, der „Kapitulation des Rechtsstaates“ bis zum „Stöpsel, den man nicht mehr auf die Flasche bringt“. Nun, die Stöpsel wurden inzwischen angebracht: Grenzkontrollen, Abschiebezentren für Balkanflüchtlinge, Sachleistungen, weitere sichere Herkunftsstaaten. Die CSU hat bekommen, was sie wollte – und der Appetit ist damit noch gewachsen. Im Oktober wird es dann um Transitzonen gehen, und man wird nur noch darüber streiten, ob das eher ein „Freizeitpark“ oder doch eine „Haftanstalt“ ist. Angela Merkel, die noch zu Beginn des Monats stolz darauf war, dass „wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigten“, hängt derzeit etwas müde in den Seilen bzw. am Hals des Gegners und wird sich fragen müssen, wie sie ihr Land/ihre Partei wieder in den Griff bekommt. Wenn wir die Wahl haben, erhält sie das Bleiberecht, und Seehofer muss in die Transitzone.

 

 

6. Station: die Brandstifter

 

 

Die Pyromanen haben Blut geleckt. Während in der ersten Jahreshälfte noch präventiv gezündelt wurde (Häuser, die als Asylunterkünfte vorgesehen waren), geht man immer mehr auch gegen bewohnte Unterkünfte „zur Sache“. Bisweilen trieb da das Unwesen gar seltsame (Brand)Blüten. Beim Anschlag in Salzhemmendorf beispielsweise soll einer der Feuerwehrleute zuerst einen Molotowcocktail geworfen und dann

mitgeholfen haben, das Feuer zu löschen. Wie man sieht, kann man durchaus auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen. Inzwischen geraten auch die Helfer in die Schusslinie: In Neuhardenberg/Brandenburg wurden zwei Autos von Mitgliedern einer Flüchtlingsinitiative angezündet. Wenn wir in den USA lebten, würden wir vom Arbeitskreis Asyl uns schön langsam eine Waffe besorgen. Auch die Hassprediger auf Facebook kennen, wie die Flüchtlinge auf der Balkanroute, keine Grenzen mehr. So versah ein Berliner das Foto des ertrunkenen Aylan Kurdi mit dem Kommentar: „Wir trauern nicht, sondern wir feiern es.“ Gegen ihn läuft eine Ermittlung wegen „Verunglimpfung von Verstorbenen“. Wenn er dafür eine aufs Dach bekommt, ist die Reihe an uns zu feiern.

 

Es ist wieder einmal höchste Zeit, für etwas Entspannung zu sorgen. Wir kommen zur

 

7. Station: der Witz des Monats

 

Der CSU-Politiker Max Straubinger hat im Oktober einen weiteren sicheren Herkunftsstaat entdeckt: Syrien. Man könne durchaus nach Syrien abschieben, denn es gäbe dort auch Regionen, in denen man leben könne. „Nicht überall in Syrien wird gekämpft, Aleppo ist nicht Damaskus.“ Ob auf dem Foto die Leute sind, die dem Raublinger das geglaubt haben?

 

 

8. Station: das Oktoberfest

 

„Wenn der Bayer bei seinem traditionellen Saufgelage gestört wird, wird er ungemütlich“, hieß es auf einem Tweets. Deshalb hatte man auch Vorkehrungen getroffen, die „Besucherströme“ Wiesengeher und Flüchtlinge auf dem Hauptbahnhof zu trennen, die einen auf die Südseite zu verweisen, wo es sowieso zur Theresienwiese raus geht, die anderen auf der Nordseite zu empfangen. Verworfen wurden weiter reichende

Überlegungen, z.B. die Wiesengeher auf dem Ostbahnhof abzufangen und ihnen zum (und vom) Tatort einen Fußmarsch zu empfehlen oder die Flüchtlinge gleich auf einem der Verladebahnhöfe abzufertigen, da viele von ihnen ja sowieso weiterverschickt wurden. War dann alles nicht notwendig, denn die Flüchtlingszüge wurden umgeleitet, und so blieben als Probleme nur der Besucherrückgang und der Bierpreis übrig. Felix Bavaria/Glückliches Bayern!

 

 

Einige der Flüchtlinge sind in der Nähe weiter gezogen – nämlich aufs Oktoberfest!

 

Oktoberfest 2015

 

Eritrea haut den Lukas

 

Das Foto mit der Bierleiche haben wir uns erspart. Aber auch das hätte bewiesen, wie gut die Flüchtlinge nach Bayern passen.

 

Angesichts der Meldungen, die im Oktober die Nachrichten beherrschten, werden Sie vielleicht sagen, wir hätten das Trugbild eines „Goldenen Septembers“ gemalt. Das stimmt nur bedingt, aber es besteht kein Zweifel, dass sich die Lage im Oktober zugespitzt hat – für die Durchgangsländer, die bayerischen Grenzstädte, aber v.a. für die Flüchtlinge. Diese Eskalation schlägt sich auch in den Meinungsumfragen wieder: Sahen Anfang September noch 59% der Bundesbürger den Flüchtlingsstrom mit Gelassenheit, so war Ende Oktober schon eine knappe Mehrheit (48% gegen 45%) gegen die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Es wird für die Kanzlerin nur ein schwacher Trost sein, dass der andere „Waran“/Seehofer noch etwas schlechter wegkommt: 49% (gegen 41%) hielten sein Politik „für eher schlecht“. Aber im November war eine (leichte) Mehrheit schon auf Horsti-Kurs: An Bayerns Wesen soll das Reich genesen.

 

 

Die Schlagzeilen

 

 

- Beginnen wir mit einer echten Lachnummer: Saudi-Arabien stimmte der Agenda 2030 zu, in der „jede Form der Diskriminierung gegen Frauen und Mädchen“ zu beenden ist. Da tut sich ein Riesenmarkt für die deutsche Autoindustrie auf, wenn die Frauen in Saudi-Arabien ans Steuer dürfen. Und mit den Abgasnormen für Dieselmotoren wird man’s in der Wüste ja auch nicht so genau nehmen! Gar nicht zum Lachen aber ist das drohende Todesurteil gegen Mohammed al-Nimr, der zur „Tatzeit“ (Teilnahme an einer Demonstration) noch minderjährig war. Er soll enthauptet und sein Torso ans Kreuz geschnallt werden. Ja, das gibt’s noch im 21. Jahrhundert!

 

 

Mohammed al-Nimr

 

 

 

- Präsident Obama ist dabei, sich seinen Nobelpreis von 2009 gewissermaßen „posthum“ zu verdienen. Neben seiner Annäherungspolitik gegenüber Kuba und seiner (späten) Einsicht, dass der Klimawandel kein Märchen ist, das man auss(chw)itzen kann, macht er einen letzten Versuch, Guantánamo zu schließen, wie er es kurz nach seinem ersten Amtseid im Januar 2009 versprochen hatte. Die „New York Times“ hat schon einmal zusammengezählt: von den 115 verbliebenen Gefangenen sollten 53 schon längst frei sein, haben aber keinen aufnahmewilligen Staat gefunden. Ein guter Rat unter Freunden: Wie wär’s mit den USA – gewissermaßen als Haftentschädigung? Und 52 werden auf Grund von fragwürdigen Notstandsverordnungen festgehalten, wobei die Beweislage so dünn ist, dass bisher keine Anklage erhoben wurde. Bleiben noch 10 übrig, die entweder angeklagt oder verurteilt sind. Und die könnte man doch preiswerter unterbringen!

 

- Die ehemalige und überaus effiziente (und vielleicht deshalb ehemalige) Chefanklägerin des UN-Tribunals in Den Haag, Carla del Ponte, sammelt fleißig Belastungsmaterial gegen die Hauptkriegsverbrecher in Syrien. Bisher tut sie es „für die Schublade“ und aus der Ferne, denn nach Syrien ließ Assad sie bisher nicht hinein. Aber auch für diese „Herren“ wird (vielleicht) einmal der Tag kommen, wie er für den Rebellenführer Ntaganda (Kongo) gekommen ist. Seine Grausamkeiten haben ihm den Spitznamen „Terminator“ eingebracht. Jetzt steht er Den Haag vor Gericht. In Dakar/Senegal wurde der Prozess gegen den vormaligen Diktator des Tschad Hissène Habré wieder aufgenommen, 25 Jahre nachdem er in den Senegal geflohen war. Auch er hat einen griffigen Spitznamen: Wegen seiner Verbrechen gegen die Menschlichkeit nannte man ihn „Afrikas Pinochet“.

 

- Aus Lateinamerika ertönt eine freundlichere Zukunftsmusik. Papst Franziskus hat souverän seinen Kuba-Besuch absolviert und dort gewissermaßen die Früchte seiner Vermittlungspolitik eingefahren. Er hat zwar keine Dissidenten getroffen, aber in deutlichen Worten Meinungs- und Religionsfreiheit eingefordert. Ob Präsident Raúl Castro wie versprochen alle Messen besucht hat, wissen wir nicht, aber das Foto mit seinem Bruder Fidel geht einem schon nahe – außer man hockt als politischer Gefangner in einem kubanischen Gefängnis.

 

 

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Jetzt kann Fidel Castro in Frieden sterben

 

 

 

- Versöhnungsgesten auch aus Kolumbien, wo das Land nach 50 Jahren Bürgerkrieg reif für den Frieden sein könnte. Wir beschränken uns auf den Händedruck zwischen den Kontrahenten und auf das Prinzip Hoffnung.

 

 

 

- Von den alten Männern zu den schönen Frauen,

 

 

Ashley Burnham – eine Cree-Indianerin wird Miss Universum

 

 

aber Ashley ist nicht nur schön, sondern auch mutig. Sie nutzte ihren Titelgewinn, um der kanadischen Regierung in Sachen Ureinwohner die Leviten zu lesen. Originalton Ashley:

 

„Glaubt ihr wirklich, dass ich jetzt nur dasitze und hübsch aussehe? … Ich habe eine Agenda und kann jetzt mitreden, wenn es um die Belange der Ureinwohner in Kanada geht.“

 

Sie hat auch dazu aufgerufen, die derzeitige Regierung abzuwählen, und das ist im Oktober tatsächlich passiert – wenn auch nicht wegen der Unterdrückung der „Indianer“. Aber immerhin soll der neue Premier Justin Trudeau „ein Indianer-Tattoo auf seinem Luxuskörper“ tragen.

 

- Wir haben jetzt schon derart an Niveau verloren, dass auch die letzte Meldung noch durchgehen könnte. Ein Landkreis in Indonesien hat die sofortige Zwangsheirat für Paare beschlossen, die nach 21 Uhr zu zweit erwischt werden. Was ist dann, wenn die beiden schon verheiratet waren: Zwangsscheidung? Gute Nacht, September.

 

 

Oktober 2015

 

 

Fangen wir den Oktober gleich wieder mit Indonesien an, aber auf einem anderen Niveau. In diesem Land fand vor 50 Jahren ein angeblicher Putschversuch der Kommunisten statt, bei dem sechs Generäle ermordet wurden. Militär und Milizen schlugen zurück und an die 500.000 Menschen wurden massakriert – „planvoll und organisiert“. Es wurde nie geklärt, wer die Generäle ermordet und den Putsch initiiert hat, aber die Historiker (außerhalb Indonesiens) sind sich heute einig, dass es nicht die Kommunisten waren. Wir erwähnen das Ereignis aus zwei Gründen: Zum einen gab man uns bei der Gründung der Miesbacher AI-Gruppe 1972 einen politischen Gefangenen aus Indonesien mit auf den Weg. Er hieß Karim Daeng Patopo, und wir haben nie etwas von ihm gehört, außer dass seine Haftbedingungen „unsäglich“ waren. Zum anderen, weil der Schriftsteller Salman Rushdie bei seiner flammenden Verteidigung der Freiheit des Wortes auf der Frankfurter Buchmesse aus dem Gedicht des Indonesiers Rivai Apin, der damals mehr als ein Jahrzehnt in einer Strafkolonie interniert war, folgende Zeilen vorgetragen hat:

 

Denke immer daran, wenn der Wind sich erhebt,

dass auf dem Land, das wir erträumten,

Tote waren, viele Tote.“

 

Die Flüchtlinge haben das Träumen aufgegeben und weil sie nicht sterben wollen, sind sie nach wie vor auf der Flucht, übers Mittelmeer und auf der „Balkanroute“: Letzteres klingt so, als wäre es eine Rallye für Biker, aber es ist ein Weg im Regen, durch Schlamm hindurch und am Stacheldraht entlang.

 

 

Die Flucht durch den Schlamm

 

Wie haben wir Zuschauer diesen Weg im Oktober erlebt? Da gab es weiterhin die Kommentare von Georg Anastasiades, der das Buch von Thilo Sarrazin („Deutschland schafft sich ab“) zitierte, aber für die „Abschaffung“ des Landes die Bundeskanzlerin verantwortlich machte – „wenn man sie denn lässt“. (Übrigens hat sein Redaktionskollege Dirk Walter eine Woche später ganz andere, unpopulistischere Töne angeschlagen.) Da gab es eine mutige Wortmeldung von Franz Müntefering, der auf den (langfristigen) Nutzen der Flüchtlinge für das geburtenschwache Deutschland hinwies und kategorisch feststellte, „dass es keine Entschuldigung dafür gibt, einen dieser Menschen nicht zu retten, obwohl wir ihn retten könnten“. Dann kamen die ersten Meldungen auf, dass sich unter die Flüchtlinge aktive oder abgesprungene IS-Kämpfer gemischt hätten, was bekanntlich nach den Attentaten in Paris zu der Äußerung von Minister Söder „Nicht alle Flüchtlinge sind IS-Terroristen. Aber …“ geführt hat. Dann kamen die Grenzkontrollen in Bayern, zur Freude der österreichischen Busunternehmen, die die Flüchtlinge im Shuttlebetrieb an die offiziellen Grenzübergänge (oder zur grünen Grenze) brachten.

 

 

 

Und natürlich konnte es nicht ausbleiben dass Forderungen laut wurden, mit Afghanistan ein Rückführungsabkommen auszuhandeln, denn da hätte doch die Bundeswehr im Norden des Landes ein befriedetes Gebiet geschaffen, wohin man abschieben könnte. „Die Besetzung von Kundus durch die Taliban Ende September? – War ja nach drei Tagen wieder beendet.“ Aber immerhin hat man jetzt großzügige Bleiberegelungen für Leute erlassen, die während des Einsatzes in Afghanistan für die Bundeswehr gearbeitet haben. Für deren Hinrichtung hätten drei Tage spielend ausgereicht. Und ab Allerheiligen dann die Serie von Koalitionsgipfeln, mit Registrierungszentren und verschärfter Residenzpflicht, Sachleistungen in der Erstaufnahme, Beschleunigung der Abschiebung – und lauter Siegern (mit Ausnahme der Flüchtlinge). Wir beschränken uns auf eine Karikatur zur Verhandlungsatmosphäre.

 

 

Als Sieger fühlen sich zusehends die Rechtsausleger in unserer Gesellschaft: Messerattacken auf eine Bürgermeisterkandidatin (Köln) und auf „Ausländerschweine“ (Münster), ein verhinderter Sprengstoffanschlag auf ein Balkanzentrum (Bamberg), ein dramatischer Anstieg von Angriffen auf Asylbewerberunterkünfte. Und

15.000 „Spaziergänger“ feierten in Dresden den ersten Geburtstag von Pegida. Auf der Kundgebung kam es zu einem Eklat: der deutsch-türkische Autor Akif Pirincci meinte, dass für bestimmte deutsche Politiker „andere Alternativen“ notwendig wären, und bedauerte, dass „die KZs derzeit leider außer Betrieb“ seien. Der Beifall war, von einigen Gröhlern und Gröhlerinnen abgesehen, eher verhalten. Und in München legten die Pegida-Anhänger einen Kranz nieder, und das nicht etwa am Königsplatz, sondern am Platz der Opfer des Nationalsozialismus. Von da aus ist es auch nicht weit zur Feldherrnhalle, auf die ein Pegida-Redner am 9. November mit den Worten Bezug nahm, dass „von diesem Platz schon einmal eine Bewegung ausgegangen sei“.

 

 

 

Die Schlagzeilen

 

 

- Die Bundesregierung hat die erste Lieferung der 62 Kampfpanzer vom Typ Leopard an Katar genehmigt. Das Emirat ist am Bürgerkrieg im Jemen beteiligt, aber ein Land im Bürgerkrieg fällt anscheinend nicht mehr unter Spannungsgebiet. Vielleicht brauchen sie auch die Dinger für die Fußball WM: Da ist zwar weniger ein Aufstand der Arbeitssklaven zu befürchten (die es nach Beckenbauer gar nicht gibt), aber wer weiß, wie die katarischen Fans reagieren, wenn ihre Nationalmannschaft wider Erwarten (immerhin steht sie an 92. Stelle in der FIFA-Rangliste) nicht Weltmeister wird?

 

Naiv wie wir sind, teilen auch wir die Hoffnung des Beamten aus dem Bundeswirtschaftsministerium.

 

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- Und wenn die Waffen eingesetzt werden, treffen sie nicht immer diejenigen, die gemeint sind. In Kundus wurde eine Klinik der „Ärzte ohne Grenzen“ Zielscheibe der US-Luftwaffe. 22 Menschen fanden den Tod, die zehn Patienten unter ihnen wurden buchstäblich „in ihren Betten bombardiert“. Dabei waren die Koordinaten des Krankenhauses bekannt, der Angriff hätte nicht einmal angeordnet werden dürfen. Eine Untersuchung durch die amerikanischen Streitkräfte nannte den Vorfall „einen tragischen und vermeidbaren Unfall, der durch menschliches Versagen verursacht wurde“. Die Opfer werden es mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen.

 

- Ein Opfer (un)menschlichen Versagens wurde der Amerikaner Shawn Whirl. Er war nach dem Mord an einem Taxifahrer in Chicago festgenommen und von einem Polizisten „mit Schlägen und einem Schlüsselbund“ so lange gefoltert worden, bis er ein Geständnis ablegte und 1991 zu 60 Jahren Haft verurteilt wurde. Obwohl er nie aufhörte, seine Unschuld zu beteuern, kam er erst frei, als auch andere Menschen von den Foltermethoden dieses Polizisten berichteten. Es wäre Whirl nicht zu verdenken, wenn er die nächsten

24 Jahre damit verbrächte, den Polizisten zu jagen. Aber der wird in Florida seinen Ruhestand genießen.

 

- Ein Geständnis spielte auch eine (unrühmliche) Rolle in einem anderen Justizskandal. In Georgia/USA wurde Kelly Gissendaner in den Tod gespritzt, in Georgia die erste Frau seit 70 Jahren. Sie hatte ihren Liebhaber angeheuert, ihren Ehemann zu töten. Der Mörder legte ein Geständnis ab und kam mit lebenslänglich davon – was in den Staaten auch kein Honigschlecken ist, weil man meist erst im Sarg wieder das Gefängnis verlässt. Die Frau weigerte sich, ihre Schuld einzugestehen und wurde zum Tode verurteilt. Nicht einmal der Papst konnte ihr helfen.

 

- Was die Amis können, können wir schon auch – wenn es um absurde Rechtsfragen geht. Da hat man nach 34 Jahren mit einer neuen Genanalyse einem mutmaßlichen Vergewaltiger und Mörder eines 17-jährigen Mädchens das Verbrechen nachgewiesen. Der Mann hat in einem Verfahren wegen Schadenersatz die Tat auch nicht bestritten, aber das sei, so das Gericht in Lüneburg, nicht einem Geständnis gleichzusetzen, was allein Voraussetzung für ein neues Mordverfahren gewesen wäre. Indirekt dürfe man ihn aber als Täter bezeichnen, denn „Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen“. Der Hl. Paulus würde sagen: „Wer es fassen kann, der fasse es.“

 

 

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Charlotte Umugwaneza (+)

 

 

 - In Burundi wurde der Körper von Charlotte Umugwaneza gefunden. Sie kämpfte gegen die Korruption im Lande und war eine „notorische Kritikerin des Regimes“, das Kritik mehr als nötig hat. Das Foto der Toten möchten wir Ihnen (wieder einmal) ersparen.

- Wissen sie, dass in Kalifornien bis zu einem Volksentscheid im Jahre 2012 das „Three Strike – Gesetz“ galt? Es besagte, dass eine dritte Straftat, egal wie banal, automatisch mit „lebenslänglich“ geahndet wurde. Also: einmal schwarzfahren, einmal im Wirtshaus rauchen und noch eine Zigarettenkippe auf der Straße entsorgen – dann ab ins Kittchen bis Ultimo.

 

- Es war im Oktober nicht einfach, positive Nachrichten zu vermelden. Eine davon ist zweifellos der Friedensnobelpreis für ein Quartett von Verbänden in Tunesien, das Land, das die „SZ“ als „die einzige Blume auf dem verdorrten Feld des Arabischen Frühlings“ bezeichnet hat. Tunesien taumelte im Sommer 2013 auf einen Bürgerkrieg zu, weil sich Islamisten und Säkulare im Parlament blockierten, Abgeordnete ermordet worden waren und die Arbeit an der neuen Verfassung nicht vorankam. Das Quartett aus Gewerkschaftsbund, Arbeitgeberverband, Menschenrechtsliga und Anwaltskammer initiierte einen „Nationalen Dialog“, der die zerstrittenen politischen Kräfte zur Zusammenarbeit und zu Kompromissen zwang. Es ist dem Land zu wünschen, dass es durch die Anschläge der Terroristen nicht aus der Bahn geworfen wird. Der Artikel in der „SZ“ schließt mit vorsichtigem Optimismus:

 

Ein Modell für den Nahen Osten lässt sich damit (dem Konsens zwischen den Lagern) nicht ableiten. Ein hilfreiches Symbol ist der Preis gleichwohl.“

 

Die Vorsicht im Optimismus war berechtigt, denn die Preisträger Arbeitgeber und Gewerkschaften waren bei der Preisverleihung im Dezember so zerstritten, dass sie in getrennten Flugzeugen nach Oslo reisten. Wir aber halten uns an das (optimistische) Motto unseres Jahresberichts: Vielleicht ist ein Tarifkonflikt auch ein Zeichen von Normalität.

 

Sei es wie es ist - bei diesen Preisträgern können wir auch verschmerzen, dass Angela Merkel (noch) nicht zum Zug gekommen ist. Die muss „es erst noch schaffen“ mit den Flüchtlingen und ihrer Union fertig zu werden.

 

 

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Wiedersehen nach 65 Jahren

 

 

 - Schließen wollen wir mit einem Treffen in Nordkorea. Nach längerer Pause kamen wieder ausgesuchte Familien zusammen, die durch den Koreakrieg getrennt worden waren. Eine Frau traf ihren Mann, den sie seit 65 Jahren nicht mehr gesehen hatte, ihr 65-jähriger Sohn stieß zum ersten Mal mit seinem Vater an. Und der greise Chae Hoon Sik aus dem Norden sagte zu seinem Sohn Hee Yang aus dem Süden: „Nach der Wiedervereinigung sehen wir uns wieder.“ Die Hoffnung stirbt zuletzt!

 

 

November 2015

 

 

An sich wollten wir den November konventionell beginnen – mit irgendeiner Bauernregel über Königskerzen und die Härten des Winters, aber dann kam ein Ereignis dazwischen, das es (fast) zum Foto des Monats gebracht hätte, bei dem die Kälte aber nicht von der Härte des Winters, sondern von der Härte eines Parteitages kam.

 

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Die Kanzlerin bei der „Schwesternpartei“

 

Obwohl das Intimverhältnis der Unionsparteien nicht unser Thema ist, erlauben wir uns, kurz über mögliche Reaktionen der Kanzlerin auf diese 10-minütige Standpauke zu spekulieren:

- Da wäre einmal, es handelt sich schließlich um christliche Parteien, die Reaktion, die auf dem „Aug um Aug“ Prinzip des Alten Testamentes beruht. Dann müsste man Herr Seehofer dringend empfehlen für den Parteitag der CDU im Dezember genügend Standfestigkeit aufzubringen.

- Oder sie hielte es mit Konrad Adenauer, dem ersten Kanzler der Bundesrepublik, der gesagt haben soll:

 

„Ich bin wie ich bin. Die einen kennen mich, die anderen können mich …“

 

- Wir hätten ihr den Rat eines Lesebriefschreibers gegeben, der gemeint hat:

 

 „Wenn die Bundeskanzlerin Format hätte, (Anmerkung der AI-Redaktion: Das hat sie!) wäre sie spätestens nach fünf Minuten von der Bühne gegangen und hätte sich Seehofers Ein- und Auslassungen von ihrem Stuhl aus angehört.“

 

Die CDU, es handelt sich schließlich um eine christliche Partei, die sich auch im Neuen Testament auskennt, hat bei ihrem Parteitag im Dezember dem Seehofer zwar einen kühlen Empfang bereitet, aber ansonsten „auf Rache verzichtet“. An einem Parteichef Rache zu nehmen, hat sie der SPD überlassen.

 

Wenn das Bild nur „fast“ das Foto des Monats geworden ist, und damit ist der muntere Plauderton schon wieder aus unserem Bericht gewichen, so ist das dem Irrsinn geschuldet, der die Dschihadisten zu den Terrorattacken in Paris getrieben hat.

 

 

 

 

 

 

 

Was wir den Terroristen wünschen: einen Daueraufenthalt im Dschahannam/Hölle bei Schweinsbraten und Alkohol und statt der Gesellschaft von schönen Huris die von verhutzelten Kreuzrittern.

 

Markus Söder hat auf seine Weise auf die Attentate reagiert. In einem Tweet hat er festgestellt, dass „nicht jeder Flüchtling ein Terrorist“ sei, aber das klang so, als ob doch eine ganze Menge darunter wären. (Anmerkung: s. Mugabe) Die Chefredakteurin des „Merkur“ hat dazu klare Worte gefunden.

 

„Wer Flüchtlinge unter Generalverdacht stellt, verkennt, dass die meisten von ihnen den Schlächtern des IS ja gerade zu entkommen versuchen.“

 

Damit sind wir wieder bei den Flüchtlingen „gelandet“, ein Wort, das auf viele von ihnen, die übers Mittelmeer kommen wollten, leider nicht zutifft. Für den November gilt die lakonische Aussage in der „SZ“: „Die Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen lässt nach, die Zahl der Bedenkenträger steigt.“ Sammeln wir einige Meldungen, die sich (weitgehend) selbst kommentieren:

 

- Der AfD-Scharfmacher – ja, AfD ist noch steigerungsfähig – Alexander Gauland hat die Flüchtlingshelfer als „nützliche Idioten“ bezeichnet.

 

- Die „Schnackseltante“ Gloria von Thurn und Taxis hat vor einer Völkerwanderung gewarnt, die dazu führe, „dass wir in Deutschland die schönsten Jahre jetzt hinter uns haben“. Aber das gilt wahrscheinlich weniger dem Land, als der Fürstin selber.

 

- Harsche Töne auch aus einigen CSU-Ortsverbänden. Ihr Kassier in Moosburg hat vom „Abschaum der Multikultigesellschaft“ gesprochen und die Parole auf seiner Facebook-Seite „Nicht an Zuwanderung interessiert“ mit „NAZI“ abgekürzt. Auf Druck von oben ist der Mann inzwischen zurückgetreten. Die Frage ist – Wohin tritt er zurück?

 

 

 

- Von ganz oben, von Wolfgang Schäuble, kam ein Vergleich, der einiges Rätselraten verursachte. Er meinte zur Flüchtlingswelle: „Lawinen kann man auslösen, wenn irgendein etwas unvorsichtiger Skifahrer an den Hang geht und ein bisschen Schnee bewegt.“ Er nannte keine Namen, und Angela Merkel geht auch keine Skitouren. Aber immerhin macht sie Langlauf.

 

 

Die Bedenkenträger des Landkreises haben sich bei einem Infoabend der CSU-Ortsverbände des Tegernseer Tals getroffen. Während einige Einlassungen recht gut in den Fasching gepasst hätten – „Die Bürgermeister hätten überlegt, Geld für einen Bus zu sammeln, der die ihnen zugewiesenen Flüchtlinge direkt zum Kanzleramt fährt“ -, kam dem Bürgermeister von Gmund im weiteren Verlauf seiner Rede die gute Laune abhanden. Er „sorge sich um die Zukunft seiner Kinder und Enkel“ und sagte eine baldige Wirtschaftskrise voraus. Der CSU-Fraktionsvorsitze im Landtag setzte noch einen drauf und beklagte, fast nach AfD-Manier, die „rot-grüne Meinungsdiktatur“ der Presse. Einen solchen Vorwurf wird sich sogar der Herr Anastasiades verbitten. Ein Leserbrief im „Merkur“ nannte die Veranstaltung „beschämend“.

 

- In beiden Reden auf dem „Gmunder Parteitag“ wurden die Wirtschaftsverbände angegriffen, die den Bevölkerungszuwachs nicht ausschließlich negativ bewerten. Es steht außer Zweifel, dass manche Flüchtlingsgruppen schwieriger zu integrieren sind als andere – „Ich nehme nur noch Syrer aber keinen Afrikaner mehr“ -, aber die Zeit heilt nicht nur Wunden sondern auch Defizite. Das meint auch die Studie des DIW (Deutsches Institut für Wirtschaft): „Langfristig werden die positiven wirtschaftlichen Impulse für Deutschland die Kosten übertreffen.“ Und für die Gastronomie im Tal gäbe es wohl schon kurzfristig Probleme, wenn die Ausländer fehlten.

 

- Schließen möchten wir mit einem Kompliment in Richtung Landratsamt Miesbach. Der dortige Jurist hatte Mitarbeiter gebeten, sich als Transporthilfen für Asylbewerber zur Verfügung zu stellen. Eine von ihnen hat daraufhin Asylbewerber ins Krankenhaus gebracht und danach gesagt: „Ich habe meine Meinung zu Asylbewerbern geändert. Die waren so nett.“ Und das ist auch die Erfahrung der „nützlichen Idioten“ von den Helferkreisen: „Wer die Flüchtlinge kennt, schimpft nicht mehr – oder wenn’s doch einmal nötig ist, nicht so unbedarft und nicht aus der Distanz.“

 

 

Die Schlagzeilen

 

 

- Von der Biermösl Gruppe, die sich jetzt leider getrennt durch’s Leben schlägt, gab es ein Lied unter dem Titel: „… - wie reimt sich das zusamm’? Das würde auch für die Saudis und den IS passen. Die beiden bekämpfen sich zwar, haben aber viel gemeinsam, u.a. die Freude an Hinrichtungen. In Saudi-Arabien wurden heuer so viele Todesurteile vollstreckt wie seit 20 Jahren nicht mehr (151), und der IS soll es in anderthalb Jahren in Syrien auf über 3500 Hinrichtungen gebracht haben.

 

- Von Donald Trump, dem Vollpfosten unter den republikanischen Präsidentschaftskandidaten, gab es ein bemerkenswertes Zitat zum Ertragswert des Waterboardings:

 

„(Die Wähler/Die Journalisten) können ihren Arsch verwetten, dass ich es wieder einführen werde. … Auch wenn es nicht hilft, sie (die Terroristen) verdienen es sowieso für das, was sie uns antun.“

 

- In Kabul/Afghanistan nahmen Tausende von Menschen, darunter viele Frauen, an einer Demonstration gegen Taliban und IS teil. Dabei wurden die Särge von sieben Zivilisten mitgetragen, die eine Woche zuvor von Extremisten geköpft worden waren. Der Aufstand der Zivilgesellschaft wäre sicher das bessere Rezept zur Bekämpfung der Dschihadisten als ausländische Truppen.

 

- Zu vorzeitigen Freilassungen aus medizinischen Gründen kam es in China und Aserbaidschan. In Peking wurde die Journalistin Gao Yu entlassen, die wegen Weitergabe eines internen Dokuments der KP zunächst sieben und später fünf Jahre bekommen hatte. Sie behauptet heute wieder, nachdem sie ein erzwungenes Geständnis widerrufen hatte, dass sie gar nicht wisse, um welches Dokument es sich handle. Jetzt darf sie ihre Strafe „außerhalb des Gefängnisses“ verbüßen – was immer das bedeutet. Der aserbaidschanische Menschenrechtler Arif Junus wurde „wegen Betrugs und Steuerhinterziehung“, - was hat ein Menschenrechtler sonst zu tun? - ebenfalls zu sieben Jahren verurteilt. In Freiheit sorgt er sich um seine Frau, die auch einsitzt und deren „Gesundheitszustand zehnmal schlechter“ sein soll.

 

 

 

Gao Yu

 

 

 

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Arif und Leila Junus

 

 

- Einen Aufstand gab es nicht nur in Afghanistan, sondern auch in Bayern. In einem offenen Brief an Horst Seehofer kritisierten 45 (!) Ordensobere die Flüchtlingspolitik des Freistaates und die Sprache der Politiker. „Wir appellieren an Sie, von einer Rhetorik Abstand zu nehmen, die Geflüchtete in ein zwielichtiges Licht stellt.“ Der „Klosteraufstand“ führte dann am 4. Dezember zu einem langen Gespräch mit dem Ministerpräsidenten, den die Ordensleute „viel differenzierter“ erlebten. Den zu erwartenden Nebensatz mit „als …“ haben sie leider nicht ergänzt.

 

 

 

 

 

Dezember 2015

 

 

Mit dem Eintritt Frankreichs, Großbritanniens und – randständig – auch Deutschlands, herrscht derzeit am Himmel über Syrien ein derartiges Gedränge an Kampfbombern, dass der Weihnachtsmann einige Mühe hätte, unbeschadet durchzukommen. Die deutschen Tornados sind darauf eher virtuell zu sehen, denn mehr als ein Drittel von ihnen ist nicht einsatzbereit.

 

 

 

Der Weihnachtsmann am Himmel über Syrien

 

 

Der Karikaturist Denis Metz hat seiner Zeichnung ein Zitat von Karl Valentin mitgegeben, dass ein gewisses Gegengewicht zu unserem Leitspruch auf dem Umschlagdeckel sein soll: „Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist.“ Wenn Sie wollen, können Sie das aber auch als Neujahrswunsch unsererseits betrachten.

 

An der „Flüchtlingsfront“, die „politisch ganz Korrekten“ würden uns für den Ausdruck gleich eine draufhauen, verlief es im Dezember „nicht so schlimm wie es schon ist“. Daran konnte auch Björn Höcke, der Vorsitzende der AfD in Thüringen, nichts ändern, der, in den Fußstapfen des Nazi-Rasentheoretikers Alfred Rosenberg wandelnd, seine Behauptungen zum Reproduktionsverhalten von Afrikanern und Europäern absonderte. Für Höcke ist der Afrikaner ein „Ausbreitungstyp“ (mit entsprechender Kinderzahl), der Europäer ein „Platzhaltertyp“. Damit ist er ein heißer Anwärter auf das Unwort des Jahres 2015. Seiner Partei war er zu heiß: Vor wichtigen Landtagswahlen sagt man so etwas nicht öffentlich.

 

Für Schlagzeilen der harmloseren Art sorgte der Vorstoß von Wirtschaftsministerin Ilse Aigner, für muslimische Frauen ein Burka-Verbot durchzusetzen. Das ist ein Thema, bei dem manche von uns so wenig durchblicken wie eine Muslima hinter dem Augengitter. Für den Staatsrechtler ist es ein Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht, für die Ex-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün ein „Ganzkörper-Gefängnis“. Neu in der Diskussion ist die Burka als Wirtschaftsfaktor: die Golftouristen und ihr weiblicher Anhang kaufen (wegen des Burka-Verbotes in Frankreich) jetzt nämlich nicht mehr in Paris, sondern in München ein – und würden nach Wien weiterziehen, wenn Bayern eine „Schleierfahndung“ gegen sie einleiten würde. „Irgendwie verbieten“, aber wie? Wie wär’s, wenn man Burkatägerinnen mit einem Shuttlebus vom Flughafen direkt in die Einkaufsstraßen und Hotels der Innenstädte befördern würde? Ich, für meine Person, erlaube mir, einen Punkt auf meiner „Wunschliste Integration“ zu wiederholen: „Ich hoffe, in Miesbach nie einer Frau mit Burka zu begegnen.“ Wenn möglich, ohne sie ihr per Gesetz zu verbieten!

 

 

 

Aber damit, Sie werden es nicht glauben, sind wir schon bei den erfreulichen Meldungen. Das Münchner Forum für Islam hat einen Bayern-Knigge für muslimische Flüchtlinge herausgegeben. Darin werden die Knackpunkte thematisiert, die das Zusammenleben belasten: Sonntags- und Nachtruhe (gilt auch für die Koranrezitation), Gleichberechtigung, Begrüßung („Grüß Gott ist eine Art bayrisches as-salamu aleikum“), Toleranz gegenüber anderen Religionen und eben auch die Burka (islamisch „nicht erforderlich“). Und: „Wie in allen Dingen … Exzesse und Übertreibungen sind zu meiden.“

 

 

Wir sind in der Vergangenheit den Gebirgsschützen nicht immer mit geziemendem Respekt begegnet. Deshalb nehmen wir die Gelegenheit gerne wahr, ein wenig Abbitte zu leisten.

 

 

Für uns ist die Botschaft dieses Bildes kein Geheimnis: „Wir brauchen jeden Mann, wenn uns eines Tages wieder die Österreicher überfallen.“

 

Gehen wir noch einmal von Waakirchen nach Vorra in Franken. Dort brannte im Januar ein Gebäude, das als Flüchtlingsunterkunft vorgesehen war. Jetzt sind 18 Flüchtlinge eingezogen und wurden mit dem Plakat „Asylbewerber sind willkommen in Vorra“ begrüßt, so wie es schon vor einem Jahr geplant war. Die Mitgliederzahl des Helferkreises hat sich verdoppelt, aber die Täter hat man noch nicht gefasst. Und im Internet ist Vorra immer noch der Ort, wo eine Asylunterkunft brannte.

 

Das passt zur „Predigt“, die Münchens Oberbürgermeister Reiter in der Erlöserkirche in München gehalten hat. Er beklagte die „seltene Größenordnung an Dummheit und Enthemmtheit“ in den sozialen Netzwerken. Und er fand auch klare Worte zum viel geschmähten „Wir schaffen das“ der Bundeskanzlerin: „Es wird uns gar nichts anderes übrig bleiben“, denn wenn Menschen in blanker Verzweiflung flüchten, könne man sie nicht aufhalten, „ohne auf sie zu schießen oder ihre Schiffe im Mittelmeer zu versenken“.

 

Und weil wir im November heftig auf die CSU geschossen haben, soll einer von ihnen lobend erwähnt werden. Der Integrationsbeauftragte der Staatsregierung Martin Neumeyer verlangte, ausreisepflichtige Asylbewerber nicht heimzuschicken „wenn sie schon länger hier leben, unsere Sprache beherrschen, sich gut integriert haben und hier arbeiten“. Da erinnert man sich unwillkürlich an die Einleitung der Asterixhefte: „Ganz Gallien/Die ganze CSU? Nein!“ Schauen wir einmal, wie Neumeyer Anfang Januar die Klausurtagung in Kreuth überlebt.

 

 

 

Reem Sahwil

 

 

Ein befristetes Aufenthaltsrecht erhielten die Palästinenserin Reem Sahwil und ihre Familie von der Ausländerbehörde in Rostock. Reem war berühmt geworden, weil sie in Tränen ausbrach, als Angela Merkel beim Bürgerdialog erklärte, nicht alle Flüchtlinge könnten in Deutschland bleiben. Jetzt wurde die Duldung bis Oktober 2017 verlängert. Wenn dazu ein Signal aus der Uckermark kam, haben wir nichts dagegen.

 

Die Schlagzeilen

 

 

- „Es ist leicht, den Überblick zu verlieren angesichts der Vielzahl an Gerichtsverfahren, mit denen Chinas KP sich seit einiger Zeit ihrer Kritiker entledigt“,

 

so die „SZ“ in einem Bericht zum Prozess gegen den Anwalt Pu Zhiqiang, der nach 19 Monaten Untersuchungshaft zunächst wegen „Störung der öffentlichen Ordnung und Schüren ethnischen Hasses“ zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, dessen Strafe dann aber zur Bewährung ausgesetzt wurde. Allerdings kommt der Schuldspruch einem Berufsverbot gleich. Pu hatte in Weibo/Twitter-Kommentaren die Politik gegenüber Minderheiten kritisiert und das Abstimmungsverhalten einer Abgeordneten, die in 60 (!) Jahren nie gegen die Partei gestimmt hatte, als „gut simulierte Dummheit oder authentisch dumm“ bezeichnet. Dabei weiß man doch von früher: „Die Partei, die Partei, die hat immer Recht.“

 

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Protest gegen den Prozess

 

- Der russische Inlandsgeheimdient FSB darf künftig in Menschenmengen schießen, auch wenn sich dort Frauen und Kinder aufhalten. Als Begründung wurde „die Bedrohung durch Terroristen des IS“ genannt. Nun weiß man ja, dass es gerade die Islamisten sind, die seit Jahren in Russland Demonstrationen mit Frauen und Kindern veranstalten. Nein, stimmt nicht! Die Protestbereitschaft im Land ist so niedrig wie nie seit dem Ende der Sowjetunion. Aber der kluge Mann (Putin) baut vor. man erwartet soziale Proteste, wenn die Wirtschaftskrise andauert.

 

- Da können die Linksautonomen von Leipzig von Glück sagen, dass ihnen nicht der FBS gegenüberstand. Bei einem Protestaufmarsch gegen den Aufmarsch fremdenfeindlicher Gruppen (im alternativen Viertel der Stadt) gingen bis zu 1000 Vermummte auf Polizei und Feuerwehr los und verletzten 69 Beamte. Es gab Kritik, dass die Polizei an der Eskalation nicht ganz unbeteiligt war, aber ein Angriff mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern ist nicht nur „kontraproduktiv“ sondern „kriminell“.

 

- In der TAZ erschien nach dem Massaker in einer Behinderteneinrichtung in San Bernardino/Kalifornien ein Kommentar (oder Leserbrief), der die vorherrschende Tendenz der Berichterstattung – die Tat habe einen terroristischen Hintergrund – in Frage stellte. Trotz des sarkastischen Untertones möchten wir Ihnen den letzten Satz nicht vorenthalten:

 

„Wahrscheinlich handelt es sich um ganz normale Irre, die mit ihrem Geballer eindrucksvoll bewiesen haben, dass sich auch Muslime in der US-Gesellschaft bestens integrieren können.“

 

Und was sagt die Waffenlobby? „Wenn die Behinderten bewaffnet gewesen wären, …!“

 

 

- Unbarmherzig scheint die US-Militärjustiz mit dem vermeintlichen Deserteur Bowe Bergdahl umgehen zu wollen. Man wählte für seinen Prozess das Kriegsgericht, das die Höchststrafe „lebenslänglich“ aussprechen kann. Bergdahl hatte 2009 unter ungeklärten Umständen seinen Posten in Afghanistan verlassen, war von den Taliban gefasst, fünf Jahre lang von ihnen festgehalten und 2014 gegen fünf Talibankämpfer ausgetauscht worden. Wir sind entschieden der Meinung, dass fünf Jahre Haft bei den Gotteskriegern eine ausreichende Strafe für (angebliche) Desertion sind.

 

- In Frankfurt hat es einen ehemaligen Bürgermeister aus Ruanda erwischt. Er wurde in einem 2. Verfahren wegen Völkermordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Er soll für das Kirchenmassaker von Kiziguro im April 1994 verantwortlich sein, wo mindestens 400 Angehörige der Tutsi-Volksgruppe getötet wurden.

 

- Um Strafe geht es auch bei unserem Nikolausbeitrag. Hätten Sie geglaubt, dass im Tölzer Land ein Brüderpärchen sein Unwesen treibt, das „pro Jahr ein Kind mal kurz in den Sack steckt“? Nein, wir hätten es nicht geglaubt, aber uns „fehlt wahrscheinlich der Respekt vor dem Nikolaus“.

 

- AI hat im laufenden Monat zwei Berichte veröffentlicht. Der erste Bericht kritisiert die Behandlung von Flüchtlingen durch die Türkei, „Europas Türsteher“. So sollen Syrer und Iraker „freiwillig“ in ihre Heimatländer zurückgeschickt worden sein. Und die Aufnahmezentren, die auch mit EU-Geldern betrieben würden, seien eher mit Haftzentren zu vergleichen, wo Flüchtlinge ihre Handys abzugeben hätten und ihnen der Kontakt zu Angehörigen verweigert würde. Der 2. Bericht hat Russland „Kriegsverbrechen“ in Syrien vorgeworfen. Es wären Bomben auf Wohngebiete und Kliniken geworfen und 200 Zivilisten getötet worden. Moskau hat zwar die „Verlässlichkeit“ der Quellen angezweifelt, aber ansonsten eher „zurückhaltend“ reagiert. Human Rights Watch hat dann gleich noch eins „draufgesattelt“: Es gäbe Hinweise, dass Russland auch Streubomben eingesetzt habe. Das sind Dinger, die Hunderte von kleineren Bomben freisetzen oder als Blindgänger noch Jahre später explodieren können. Die meisten Länder haben sie verboten.

 

- „Eine Umkehr von historischer Dimension“ nannte die „SZ“ die Entschuldigung Japans wegen der Zwangsprostitution, der viele Südkoreanerinnen während des 2. Weltkriegs ausgesetzt waren. Gleichzeitig wurde der Entschädigungsfonds für die (noch lebenden) Frauen verzehnfacht.

 

 

„Trostfrauen“ beim Protest gegen Japan

 

Angesichts des Alters der Frauen ist das eine Geste, die sich Japan nach 70 Jahren leisten kann, ohne den Staatshaushalt über Gebühr zu belasten.

 

- Und dann gibt es eine frohe Botschaft aus Saudi-Arabien, obwohl die mit Weihnachten gar nichts am Hut haben. „Frauen an die Macht“, ist weit überzogen, aber immerhin gewannen sie ihre ersten Mandate in den Kommunalwahlen. In der Berichterstattungen überschlugen sich die Erfolgsziffern: Zunächst war von drei, dann von mindestens sechs Wahlsiegerinnen die Rede – und schließlich waren es 20. Und wenn es bei dieser Wahlbeteiligung bleibt, müssen sich die Männer in Zukunft warm anziehen – was in der Wüste unangenehm sein kann: Mit 82 gegen 44 Prozent hatten die Frauen die Nase deutlich vorn.

 

 

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Kommunalwahl in Saudi-Arabien

 

- Ein faustdickes Kompliment bekam Deutschland zum Jahresende von Robert Cohen, dem (überaus kritischen) Deutschland-Experten der New York Times. Er nannte die Aufnahme der Flüchtlinge „die außerordentlichste Erlösungstat einer europäischen Nation seit vielen Jahren“. Die „SZ“ liefert dazu eine Nummer kleiner:

 

„Aber leise stolz sein auf ein Land, das in der Krise über ziemlich viele seiner Schatten gesprungen ist – das dürfen sie (die Deutschen) schon.“

 

 

Dass beileibe nicht alle stolz auf unser Land sind, zeigte sich auf zwei Münchner Bahnhöfen in der Silvesternacht. Deswegen wünschen wir uns allen ein Sicheres Neues Jahr.

 

 

3. Der Tätigkeitsbericht: Das AI-Jahr im Landkreis Miesbach

 

 

Wenn Sie sich bei der Lektüre bis hierher durchgerafft haben, dürfen Sie sich (vorsichtig) etwas zurücklehnen, denn das AI-Jahr im Landkreis Miesbach hat die Turbulenzen der Weltgeschichte zwar bisweilen widergespiegelt, war aber nicht von ihnen betroffen. Wir waren keinen Terrorattacken ausgesetzt, und auch die chronischen Leserbriefschreiber der Heimatzeitung haben uns verschont, bzw. ignoriert. Wir zählen im Landkreis zu den Randgruppen, sind aber nicht auf Hartz IV angewiesen. Dabei waren wir nicht untätig – als Schreibtischtäter, Marktschreier und „Gruppentherapeuten“.

 

 

3.1 Schreibtischtaten

 

Zugegeben, das wird keine Lektüre, die es an knisternder Spannung mit dem „Tatort“ aufnehmen kann. Da ist viel von Fällen die Rede, von Briefaktionen und von der Zahl von Unterschriften, selten von Rückmeldungen oder gar „Erfolgen“. Aber sehen Sie die Sache mal so: Hinter den „Fällen“ stehen Menschen in Not, hinter den „Briefaktionen“ Menschen, die die Briefe aufgesetzt haben und hinter der „Zahl von Unterschriften“ Menschen, die sich anrühren ließen und sich Zeit für eine Unterschrift genommen haben – und das, obwohl sie oft eigentlich nur einkaufen wollten.

 

Gerechtigkeit für Paraskevi Kokoni (Januar)

 

Die Frau ist Roma und lebt in Griechenland, angesichts der Lage im Lande gleich ein doppelter „Geburtsfehler“. Sie wurde im Oktober 2012 auf der Straße angegriffen und verletzt. Die Täter wurden zwei Jahre später wegen schwerer Körperverletzung verurteilt. Trotzdem hat AI noch nachgelegt. Wir forderten, „Angriffe auf Roma auf rassistischen Tatmotive hin zu untersuchen und die Ergebnisse ggf. in das Urteil mit einfließen zu lassen“. Das werden wir bald auch für Deutschland fordern müssen.

 

 

Die Frauen von Mkhondo/Südafrika (Januar)

 

 

 

Mit einer Postkartenaktion hat AI auf einen Missstand hingewiesen, der dem Trend in der übrigen Welt eher gegenläufig ist: In der Gemeinde Mkhondo im Osten Südafrikas hat sich die Müttersterblichkeit seit 2011 verdoppelt. Grund ist die unzureichende Geburtsvorsorge wegen langer Wege, überlasteter Kliniken und schlecht ausgebildeten Personals. Wir haben 30 Karten an den Kinderschutzbund und eine Hebammenpraxis verteilt. Im März gab es eine Erfolgsmeldung: die Klinik hat die Wartezeiten drastisch gesenkt und kann jetzt auch am Wochenende aufgesucht werden. (Ungeborene Kinder können, wie man weiß, auch am Sonntag Probleme machen.) Die Frauen „waren von der internationalen Solidarität überwältigt“.

 

 

Petition an Präsident Obama (März)

 

Da ging es um die Foltervorwürfe gegen den CIA. Wir sind der Meinung, dass man sie strafrechtlich untersuchen und die Verantwortlichen vor Gericht stellen sollte. Donald Duck/Trump ist, wie bereits erwähnt, anderer Meinung. Schon deshalb wählen wir ihn nicht. Der Bibelkreis in Miesbach übrigens auch nicht: Er hat die Petition so zahlreich unterschrieben, dass uns die Listen ausgingen. Insgesamt brachten wir es auf

62 Unterschriften.

 

Brief nach Ägypten (März)

 

Die Studentinnen Abrar Al-Anay und Menatalla Moustafa und die Lehrerin Yousra Elkhateeb hatten 2013 an einer friedlichen Demonstration teilgenommen, diese aber nach Berichten von Augenzeugen bereits verlassen, bevor es zu Zusammenstößen mit Sicherheitskräften kam. Sie wurden nach der Demo festgenommen und 2014 zu Haftstrafen verurteilt. Im April hob das Kassationsgericht das Urteil auf und ordnete ein neues Verfahren an. Die zwei Studentinnen blieben bis November 2015 in Haft. Wenige Tage nach ihrer Entlassung entschied ein Gericht auf Freispruch der drei Frauen. Aber da hatten die zwei Studentinnen ihre zwei Jahre schon abgesessen. Die Lehrerin blieb wegen eines anderen „Vergehens“ in Haft. Von Haftentschädigung hat man bisher noch nichts gehört.

 

 

Die Mansoura-Frauen

 

 

 

Zwei christliche Pastoren im Sudan (Juni)

 

Den beiden Pastoren Peter Yen und Yat Michael warf man so ziemlich alles vor, was das sudanesische Strafgesetzbuch, das auf einer engen Auslegung der Scharia basiert, hergibt, u.a. „Spionage gegen das Land“ und „Schürung von Hass zwischen religiösen Gruppen. Reverend Michael hatte in einer Predigt im Dezember 2014 den Verkauf von Kirchengrundstücken (durch den Staat?) kritisiert und Bedenken über das Leben von Christen im Sudan geäußert. Nach der Predigt wurde er festgenommen. Reverend Yen ging es an den Kragen, weil er Informationen über die Inhaftierung seines Glaubensbruders gefordert hatte. Im August wurden sie in den meisten Anklagepunkten freigesprochen und durften Gefängnis und Land verlassen.

 

Ein Brief für den Neffen (September)

 

Im September 2015 verwarf ein Gericht in Jeddah/Saudi-Arabien das Gnadengesuch von Ali Mohammed Baquir al-Nimr. Der junge Mann hatte 2012, damals noch minderjährig, an den Protesten gegen das autoritäre Regime seines Landes teilgenommen und war zum Tode verurteilt worden. Wir forderten die Aufhebung des Todesurteils, ein faires Verfahren und die Untersuchung der Foltervorwürfe. Trotz unserer Drohung, nur noch Benzin aus iranischem Öl zu tanken, haben die Saudis darauf nicht reagiert, aber wenigstens war Ali nicht Opfer der Massenhinrichtung, die seinem Onkel Nimr al-Nimr im Januar 2016 das Leben kostete.

 

Der Nächste, bitte (November)

 

In einer ähnlichen Situation wie al-Nimr ist Salar Shadizadi/Iran. Auch er war zur Tatzeit minderjährig, wuchs hinter Gittern in die Volljährigkeit hinein und bekommt seit 2013 immer wieder seine Hinrichtung angekündigt. Er soll 2007 als 15-Jähriger einen Freund ermordet haben, sagt aber, dass das in einem „albernen Spiel“ passiert sei. Sei es, wie es ist, ein zur Tatzeit Minderjähriger ist nicht für den Strang. Im Dezember wurde seine Hinrichtung verschoben, weil „auf die Familie des Mordopfers eingewirkt werden soll, dem Täter zu verzeihen“ – sprich: Blutgeld zu akzeptieren.

 

 

3.2 Veranstaltungen, „… und Action!“

 

 

Sie werden in diesem Abschnitt einige Veranstaltungen finden, die wir nur durch unsere Anwesenheit „beehrten“, mitfinanzierten oder nur am Rande mitgestalteten, denn, Gott sei Dank, gibt es im Landkreis auch noch andere Gruppierungen, die sich mit Menschenrechten befassen. Wir möchten uns nicht mit ihren Federn schmücken, nehmen sie aber gern in unseren Veranstaltungskatalog auf.

 

Asylprojekt am Gymnasium Miesbach (Januar)

 

Mehrere Klassen und ein Grundkurs Kunst setzten sich mit der Asylproblematik auseinander, stellten eine Ausstellung zusammen, luden Asylbewerber ein und veranstalteten ein Fußballspiel zwischen Schülern und Asylbewerbern. Wer Sieger wurde, haben wir nicht erfahren, aber gewonnen, meinen wir, haben alle Beteiligten. Wir von AI sind froh, dass es an unserem „Geburtsort“ (1972!) in diesem Sinne weitergeht. In der Studentenrevolte von 1968 hieß das (in einem völlig anderen Zusammenhang): „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem wir krochen.“

 

Mahnwache des türkisch-islamischen Kulturvereins (Januar)

 

Man traf sich zwar nicht unter dem Motto „Wir sind Charlie“, aber es kam vor der Redaktion des „Merkur“ eine hochkarätig besetzte Versammlung mit etwa 100 Teilnehmern zusammen, die der (ersten) Morde von Paris gedachten. Die Botschaft der Veranstaltung war klar – und ist aktueller denn je: „Terror hat keine Religion und keine Nation.“ Gott ist kein Killergott, auch wenn sich die Terroristen auf ihn berufen und Charlie Hebdo ihn in der „Jubiläumsausgabe“ so darstellt.

 

 

 

Charlie Hebdo - Gott als Terrorist

 

 

Kompliment für Ihr Gedächtnis! Ja, über diese Veranstaltung haben wir schon berichtet, aber sie war es durchaus wert, ein zweites Mal erwähnt zu werden. (Im übrigen: s. Mugabe)

 

 

Reaktion auf den Jahresbericht 2015 (Februar)

 

Zeit zur Selbstbeweihräucherung! Wir werden gelesen. Die Rückmeldungen kommen zwar immer wieder von den gleichen „aufrichtigen Fans“, und es gibt auch Stimmen, die den Bericht mit einem Seufzer zur Hand nehmen, weil er immer länger wird. Aber wenn’s da heißt „Ich habe ihn in einem Zug gelesen wie sonst nur einen Kriminalroman“, dann fragen wir uns schon, ob an uns nicht ein Henning Mankell verloren gegangen ist. Nein, das ist nicht der Fall: Der Bericht lebt weniger von eigenen Ideen, sondern vom „Jagen und Sammeln“. Unser Finanzminister hebt deshalb eher den Beuteaspekt hervor: „Nach der Herausgabe des Jahresberichts wächst auch die Spendenbereitschaft.“

 

Besuch der Firmlinge (März)

 

Wir hatten die Ehre, als bevorzugtes Besuchsobjekt der Firmlinge gewählt worden zu sein, und wir versuchten, uns dieser Ehre würdig zu erweisen. Eine willkommene Verstärkung (weil Verjüngung) war Deborah Wiegert von der AI-Jugendgruppe, die ein Menschenrechtsquiz veranstaltete und den Jugendlichen von der Soliboot-Faltaktion von 2014 berichtete. Diesmal beherrschten die Buben das Feld, und so konnte nicht ausbleiben, dass die Frage nach dem Erfolg unsere Arbeit kam. Wir konterten u.a. mit dem schönen Spruch von Martin Buber „Erfolg ist keiner der Namen Gottes“, erzielten damit aber nicht die erhoffte Wirkung. Es kam auch eine Frage nach Kindersoldaten in Deutschland, aber als der Gruppensprecher die Hitlerjungen in dem Film „Die Brücke“ erwähnte, merkte man, dass diese Generation mehr von „Star Wars“ als vom 2. Weltkrieg geprägt ist. Und das ist gut so! Insgesamt war die Gruppe überaus geduldig und streckenweise recht interessiert.

 

 

Besuch der Firmlinge

 

Weltgebetstag der Frauen (März)

 

War für uns immer ein (gern geleisteter) Pflichtbesuch! Thema war dieses Jahr Bahamas, bekannt als Ferieninsel, unbekannt als Ort, wo Gewalt gegen Frauen weit verbreitet ist. Im Gottesdienst war von der Scham die Rede, die Frauen empfinden, wenn sie von Prügeln oder Vergewaltigung erzählen sollen, aber geschämt haben uns auch wir, weil der Tag von AI schmählich ignoriert worden ist. In meinem Zorn habe ich mir damals notiert: „Zu einem solchen Verein gehe ich nicht. Ich bin ja schon dabei.“

 

Treffen der Firmlinge mit Asylbewerbern (März)

 

Nur eine Woche später traten die Firmlinge noch einmal an. Zwei von ihnen fehlten wegen einer (wichtigen) Geburtstagsfeier, ein Mädchen kam zehn Minuten vor Schluss, weil sie ein Spezialtraining in irgendeiner Sportart zu bestreiten hatte. Bei den Anwesenden aber hielt sich der Spaßfaktor in Grenzen, wir trafen uns nämlich mit leibhaftigen Asylbewerbern: Eritreer, Afghanen, Syrer, Kongolesen, Somalier. Die Firmlinge stellten punktgenaue Fragen: „Warum seid ihr geflohen? Wollt ihr wieder zurück? Gibt es bei uns Menschen, die ihr nicht mögt?“ Die Asylbewerber berichteten ungeschönt von den Zerstörungen des Bürgerkrieges („In einer Minute war alles weg.“) und (etwas) geschönt vom Zusammenleben mit der deutschen Bevölkerung („lauter nette Leute“). Im Schlusswort forderten wir zur „Gegenrede“ auf: Wenn wieder einmal die alte Leier ertönt – „Sie wollen sich nur ein schönes Leben machen“ - sollten die Jugendlichen den Mut haben, zunächst mit einem „Na und, ist das verboten?“ zu kontern und dann auf das Schicksal vieler Asylbewerber hinzuweisen, die ihr Land verlassen haben, weil dort kein (Über)Leben mehr möglich war. „Mut zur Gegenrede“ – auch das ist Firmung.

 

 

Ostermarkt in Fischbachau (März)

 

Unser Stand war ein regional-orientalischer Basar: Ostereier aus Miesbach, Schnitzereien aus dem Grödnertal, Keramikhennen aus Fischbachau, Drechselarbeiten aus Hausham. Wir haben von den Leuten viel Lob für unsere schönen Sachen bekommen, und manche haben auch eingekauft. Geerntet haben wir wieder einmal da, wo wir nicht gesät haben, denn wir haben angeboten, was unsere „Lieferanten“ (die Damen Schreiber, Schmalhofer-Jacobi, Schneckenburger, die Herren Haller, Holzfurtner, Bracher und nicht zu vergessen unsere Mitglieder Helga Geh und Monika Wiegert) produziert und gestiftet haben. Unser Dank wird sie ewig verfolgen. Dieser Dank gilt natürlich auch dem Fischbachauer Missionsverein, die uns wieder kostenfrei zugelassen haben und der (Mit)Organisatorin Christa Winkler, die unsere Einnahmen durch eine großherzige Spende aufgerundet hat.

 

Tiefschürfende Gespräche über AI und die Menschenrechte haben wir nicht geführt, aber ein Besucher soll unaufgefordert (!) in unserem Jahresbericht geblättert und ihn auch mitgenommen haben. Und es ist stets ein aufbauendes Gruppenerlebnis, dass die Ablösung der Verkaufsschichten so gut klappt wie der Aufmarsch der Wachmannschaft vor dem Buckingham Palast in London.

 

 

Basarstimmung in Fischbachau

 

Konzert mit dem Machado Quartett (März)

 

„Die Finger tanzen wie Derwische über das Griffbrett, ein Jazzbesen touchiert den Korpus, ein Plektron streichelt die E-Saite im Pianissimo, und wo sitzt der Schlagzeuger? Eindeutig: an der Gitarre“.

 

So macht man Musik im Machado Quartett. Und da findet am gleichen Abend in der Oberlandhalle zum Almauftrieb das Frühjahrssingen statt. Eine übermächtige Konkurrenz, die uns leider nur 50 Besucher übrig ließ. Das war aber schon der einzige Wermutstropfen an einem großen Abend. Das Konzert wurde mit einem exzellenten Artikel von Agnes Veit angekündigt, den das „Gelbe Blatt“ in voller Länge abdruckte, das Gymnasium stellte uns die schöne neue Aula zur Verfügung, der Hausmeister Carlo Schäffer (Logistik) und die Schüler Florian und Konstantin (Tontechnik) sorgten für einen reibungslosen Ablauf, und die Abiturienten übernahmen den Pausenverkauf. (Auch ihnen hätten wir natürlich einen höheren Umsatz gegönnt.)

 

Und dann die Musik! Mitreißende Klänge vom Tango bis zu Boccerini und am Ende noch einen Strauß-Walzer, bei dem uns nur die Sitzordnung vom Mittanzen abhielt. Dazwischen clowneske Einlagen, Verfremdungseffekte und eine Stafettentechnik, die nach dem Prinzip funktionierte: „Ich mag jetzt nicht mehr, spiel’ gefälligst du weiter.“ Und es wurde weitergespielt – und alles aus dem Kopf! Wir bedanken uns bei allen Beteiligten von Herzen!

 

 

Ach ja, AI-Arbeit versuchten wir auch zu leisten. Wir legten Flugblätter auf die Sitze, die auch zu zwei Dritteln mitgenommen wurden, wir wurden einige Jahresberichte los und bekamen 16 Unterschriften auf die CIA-Petition an Präsident Obama , die Hälfte davon von AI-Mitgliedern.

 

Besuch in der Krankenpflegeschule Agatharied (März)

 

An sich ein Routinebesuch, aber jedes Mal anders. Vorweg: Vielleicht unser letzter Auftritt, weil die Menschenrechtserziehung in der Pflege im Lehrplan reduziert wurde, zu Unrecht, wenn man hört, dass eine verprügelte Frau in einer Notaufnahme mit einem „Hobt de net a so!“ empfangen wurde. Anders aber auch, weil wir seit Jahren zum ersten Mal den Film über Säureattentate in tadelloser DVD-Qualität zeigen konnten, was allerdings den „Nachteil“ hatte, dass die Verletzungen der Opfer nicht mehr hinter dem Dunstschleier der VHS-Kassette verschwammen. Die Schüler(innen) waren sichtlich betroffen. Die Diskussion war lebhaft, verlief aber nicht unbedingt in unserem Sinne. Die Täter seien nach Guantánamo zu verbringen oder zur Abschreckung hinzurichten. Entsprechend gering war das Interesse an der Petition an Präsident Obama. Die AI-Broschüre „Dossier Heilberufe“ allerdings fand guten Absatz.

 

Damit war der März zu Ende. Es wurde wieder ruhiger.

 

Filmvorführung: „First Class Asylum“ (April)

 

Die Veranstaltung wurde von den Frauen in Schwarz/Holzkirchen und AI ausgerichtet. Sie fand im Jugendzentrum „Goldene Parkbank“ in Miesbach statt, aber Jugendliche waren in der Minderheit. Der Film handelte vom Hungerstreik von 60 Asylbewerbern am Rindermarkt in München im Juni 2013, der von der Polizei aufgelöst wurde, als er zu einem (lebensgefährlichen) Durststreik eskalierte. Anwesend war Robert Secko, einer der Hungerstreikenden, sehr sympathisch, aber befremdend in seiner Konsequenz: „Dann wäre halt jemand gestorben – besser als so zu leben.“

 

Die Aktion wurde sowohl in der Parkbank wie auch in der AI-Gruppe sehr kontrovers diskutiert. Einerseits wurden die Maximalforderungen der Aktionisten („sofortige Anerkennung als Asylberechtigte/First Class Asylum“) und ihre Beratungsresistenz gegenüber Vermittlungsversuchen kritisiert, andererseits wurden als Folge des Hungerstreiks Erleichterungen verfügt, die „Pro Asyl“ schon seit Jahren eingeklagt hatte (Lockerung der Residenzpflicht, Taschengeld statt Essenspakete) – und die inzwischen teilweise wieder aufgehoben werden. Beängstigend war die Polarisierung der Beteiligten am Rindermarkt: Für manche Passanten waren die Asylbewerber „Grattler“, für ihre Antifa-Sympathisanten waren die Kritiker „Scheiß Nazis“.

 

VHS-Ausstellung: Nelson Mandela (April/Mai)

 

Wir wurden als Kooperationspartner eingeladen – und ließen uns nicht lange bitten, obwohl Mandela unsere Organisation in ihrer Frühzeit einer harten Zerreißprobe ausgesetzt hatte. Er hatte „sorgfältig eingesetzte Gewalt“ befürwortet und war damit aus dem AI-Mandat gefallen.

 

Vom Niveau der Vernissage konnten wir uns einiges abschneiden: ein leibhaftiger Generalkonsul aus München, ein Skype-Telefonat mit dem Fotografen in Südafrika, seine Agentin mit einfühlsamen Bildbeschreibungen und ein erlesenes Buffet.

 

Unser Beitrag waren drei Donnerstagvormittage, an denen wir durch die Ausstellung führten. Und da kam alles vor, außer Trinkgeld für den Führer. Gut, es gab das „Keine Zeit“ und „Lieber nicht“, das wir zu Genüge von unseren Infoständen kennen, und die Leute, die wir zum Besuch nötigen mussten. Aber am ersten Donnerstag kam eine 5. Klasse, die zwar von Mandela nichts (mehr) wusste, aber vor Wissensdurst geradezu übersprudelte. Und statt dem Trinkgeld gab’s Applaus. Am nächsten Donnerstag scheiterte die Führung an Parkproblemen: Zwei potentielle Kundinnen hatten entweder ihren Mann im Parkverbot stehen lassen oder nur mehr zehn Minuten auf der Parkscheibe. Gegen Strafzettel hatte Mandela keine Chance. Am dritten Donnerstag kam eine 10. Klasse vom Gymnasium Tegernsee: 28 Leute. Es wurde eng wie in Mandelas Zelle auf Robben Island, aber sie kamen voller Interesse, mit einem soliden Wissen vorbelastet und mit Arbeitsaufträgen ausgestattet. Da macht Führung Spaß, und es kostete mich keine Überwindung, bei ihren Selfies mitzulächeln. Für die Frauen von Mkhondo nahmen sie 23 Karten mit.

 

Berliner Compagnie: „Anders als du glaubst“ (April)

 

Auch hier waren wir nur „Zaungast“, allerdings ein (mit)zahlender Zaungast. Die Gruppe hatte vor Jahrzehnten mit einem eindrucksvollem Stück zum Asylthema in Miesbach gastiert, aber diesmal ging „der Riss (nicht nur) durch die Welt“ (so der Untertitel), sondern auch durch die Meinung der Zuschauer. Für die einen war es modern inszeniertes und fantasievolles Bekenntnistheater, für die anderen dick aufgetragener Agitprop, bei dem man Probleme hatte, einen roten Faden zu finden. Sei’s drum: Wir hatten Gesprächsstoff für die Heimfahrt und die Gruppensitzung.

 

Rederecht beim Mai-Empfang der SPD in Holzkirchen (Mai)

 

Bernard Brown konnte unseren aktuellen Iranfall Abolfazl Abedini Nasr vorstellen, der in mehreren Etappen zu 14,5 Jahren Haft verurteilt wurde, weil er in einer Gruppe von Menschenrechtsaktivisten tätig war, gegen Kinderarbeit vorging und versucht hatte, eine Gewerkschaft zu gründen. Gegenläufig zu unseren bisherigen Erfahrungen in der Iranarbeit, aber in Einklang mit dem Motto dieses Jahresberichtes, ermutigte Bernard die Genossen, uns bei unseren Eingaben zu unterstützen: „Sie helfen, dass Leute freigelassen werden, ehe man bemerkt, dass sie verschwunden sind.“

 

Wir haben übrigens beim CSU-Abgeordneten Alexander Radwan angefragt, ob wir nicht einmal beim Neujahrsempfang in Wildbad Kreuth auftreten könnten. Leider kam keine Antwort, obwohl er in der Vergangenheit durchaus positive Signale in Richtung AI ausgesandt hatte. Nun, wir gehen hin, wo man uns haben will – aber nicht zur AfD.

 

 

 

Auftritt der Jugendgruppe (Mai)

 

Hätten Sie geglaubt, dass Merkels „Wir schaffen das“ vom September auf eine Aktion der AI-Jugendgruppe in der evangelischen Kirche in Miesbach zurückgeht? Brauchen Sie auch nicht zu glauben, aber ein Hauch von Prophetie war schon dabei, als die Jugendlichen die an die Kanzlerin adressierte Petition „Erst Menschen schützen, dann Grenzen“ auslegten und immerhin 20 Unterschriften sammelten.

 

Infostand in Miesbach (Juni)

 

Obwohl der Tag auf die Siebenschläfer fiel, hielt das Wetter einigermaßen durch. Wir legten U-Listen für Raif Badawi/Saudi-Arabien aus, der im Januar seine ersten 50 Peitschenhiebe bekommen hatte, aber von den verbleibenden 950 Hieben bisher verschont blieb. Und es gab Postkarten an Steinmeier mit der (rhetorischen) Frage „Warum schweigen Sie, Herr Steinmeier?“ Es ging um Folter in Usbekistan, und unser Außenminister, der um wohlgesetzte Worte sonst nicht verlegen ist, hüllt sich in vornehmes Schweigen, obwohl Folter zur Erpressung von Geld oder Geständnissen dort an der Tagesordnung ist. „Rhetorisch“ ist die Frage, weil die Antwort klar ist: Deutschland unterhält dort einen Militärstützpunkt. Die Ausbeute hielt sich in Grenzen - 26 Karten und 27 Unterschriften -, aber zum ersten Mal seit langem war auch um 12.00 Uhr noch vereinzelt Publikumsverkehr.

 

Das erste Gespräch fand bereits beim Aufbau statt. Ein Vater erklärte seinen Söhnen das Anliegen von AI: „Menschen vor Gewalt retten.“ Ich nahm den Ball begierig auf, erklärten ihnen, das wir schon alt seien und dass sie einmal den Kampf gegen Gewalt weiterführen müssten. Ich hätte nie geglaubt, dass ich um 8.45 Uhr schon so salbungsvoll daherreden kann. Da hat vielleicht die Nachbarschaft auf mich eingewirkt, denn neben uns war ein Infostand der Zeugen Jehovas. Helga Geh führte mit ihnen ein freundliches Gespräch, erzählte, dass wir vor Jahren schon einmal einen Zeugen und Kriegsdienstverweigerer in Spanien betreut hätten und bot ihnen drei Postkarten an. Sie lehnten ab, weil sie „grundsätzlich nichts unterschrieben“. Und außerdem spiele Folter beim (nahen) Weltende sowieso keine Rolle mehr. Nein, letzteres haben sie nicht gesagt! Helga kam übrigens unkonvertiert an unseren Stand zurück.

 

 

 

Hochbetrieb am Infostand – Verzeihung das war 2014

 

 

 

 

Sommerpause (August, September)

 

Die Sommerpause fiel diesmal etwas länger aus. Wahrscheinlich mussten wir uns noch vom März erholen. Halt, das Sommerfest haben wir abgehalten, aber nicht am Münchner Hauptbahnhof. Da wäre kein Platz gewesen wegen der Völkerwanderungen weg aus Österreich und hin zum Oktoberfest.

 

Infoabend: „Menschenrechte im Wüstensand“ (Oktober)

 

Aus dem Überangebot von arabischen Ländern, wo die Menschenrechte nach dem „Arabischen Frühling“ wieder im Wüstensand verscharrt werden (oder dort vergraben blieben), wählten wir Saudi-Arabien und den Jemen aus, ersteres, weil es für die spektakulärsten Menschenrechtsverletzungen (Prügelstrafen, öffentliche Hinrichtungen, Unterdrückung der Frauen) verantwortlich ist, letzteres, weil dort ein „vergessener Krieg“ läuft, der aus einem Land, das die Römer als „Arabia Felix/Glückliches Arabien“ bezeichnet haben, das Armenhaus der Region gemacht hat.

 

Als Referentinnen hatten wir zwei kompetente AI-Mitglieder von den Ko-Gruppen Jemen und Kuwait gewonnen, die gut vorbereitet waren und denen das Thema offensichtlich am Herzen lag. Einigen der über 30 Zuhörer war es zu lang und ermüdend, aber bei der Diskussion waren alle wieder aufgewacht. Es ging, wie konnte es auch anders sein, um die Rolle des Westens (Waffenexporte), aber auch um die Fluchtmöglichkeiten der Jemeniten („Werden die auch noch kommen?“) und die Menschenrechtsaktivisten in Saudi-Arabien (von denen jetzt die meisten im Gefängnis sitzen). Für Mohammed al-Nimr hatten wir Briefe ausgelegt, 14 wurden mitgenommen.

 

Neben dem Katholischen Bildungswerk ist hier vor allem der VHS zu danken, die im Vorfeld ausführlich über diesen Abend berichtet hat, die uns Technik und Räumlichkeiten zur Verfügung stellt und auch noch die Kasse übernimmt. Wir haben es sehr bedauert, dass man sie in einer Lokalzeitung, die ansonsten sehr gewissenhaft über unsere Veranstaltungen berichtet, übersehen hat.

 

 

Infoabend – oder: ein Gruppensprecher von hinten

 

Infostand in Holzkirchen (Oktober)

 

Bei diesem Infostand schaffen wir traditionsgemäß die Todesstrafe ab, und so fügte es sich gut, dass der Tag heuer punktgenau auf den 10. Oktober fiel. Das ist nämlich der Internationale Tag gegen die Todesstrafe. Der ist leider nicht so bekannt wie Weihnachten. Diesmal war Malaysia an der Reihe, das für „Drogendelikte zwingend die Todesstrafe vorgeschrieben“ hat. Wir kamen auf über 60 Unterschriften und auf weitere 59 in den folgenden Wochen. Und mit dabei waren, wie erwähnt, der gesamte Stadtrat und die Bürgermeisterin von Miesbach. Wenn also irgendwann in der Zukunft auch in Malaysia massive Drogendelikte nur mit einer Haftstrafe geahndet werden, haben wir maßgeblich dazu beigetragen. Weniger erfreulich war dann die Ausbeute an Briefen für al-Nimr (27) und in den Iran (20).

 

Das Wetter entwickelte sich von Nebel zu Nieselregen, aber die Stimmung am Stand blieb trotz des bedrückenden Themas eigentümlich locker. Das fing schon beim ersten Gesprächspartner an, der auf unsere Bitte hin, gegen die Todesstrafe einen Brief abzuschicken, die Betonung im Satz leicht zu einem „Was, Brief gegen die Todesstrafe?“ abänderte. Das ging weiter mit den Leuten, die mit „Nein, danke!“ reagierten, obwohl wir ihnen gar nicht angeboten hatten, sie hinzurichten. Dann gab es eine junge Frau, die zuerst ihren Partner anschaute und nicht unterschrieb, nachdem der abgewunken hatte. Kommentar von Erika Brown:

 

 „Das im Zeitalter der Gleichberechtigung! Was haben die Frauen dafür gekämpft, und dann macht die junge Frau, was ihr Mann will. Echt krass!“

 

Und das endete mit einem Mann, der den CSU-Infostand suchte, um für (oder gegen) das Klima zu unterschreiben.

 

Zu unserer lockeren Stimmung aber trugen andere Erlebnisse bei: Ein junger Mann nahm gleich noch Briefe für seine Freunde mit, ein älterer Herr bedauerte uns, weil er (irrtümlich) meinte, wir hätten nur drei Unterschriften, und einige bedankten sich für die Arbeit von AI. Und dann kam Resi Riblinger, die Cousine meiner Frau, und versorgte die Standbesatzung mit frischen Brezen. Da hatten sie leicht lachen.

 

 

Infostand in Holzkirchen – das war der von 2015

 

VHS-Infoabend über Eritrea (November)

 

Die VHS lud uns zu einem Vortrag über Eritrea ein – und wir stellten fast die Hälfte der 30 Zuhörer. Das Land ist zu Unrecht ein weißer Fleck auf der Landkarte unserer Wahrnehmung, aber das gilt nicht für die Listen des BAMF/Bundesamt für Migranten und Flüchtlinge. Eritreer stellen nämlich nach Syrern und Afghanen das drittstärkste Kontingent bei den Asylbewerbern, und sie haben sehr viele gute Fluchtgründe: Repression im großen Stil, Reiseverbote und ein Wehrdienst nicht gerade „von der Wiege“ aber fast „bis zur Bahre“. Der Referent, Dr. Alexander Keller, einer der wenigen deutschen Experten für Ostafrika, bestach durch profunde Sachkenntnis und lieferte uns eindrucksvolles Bildmaterial. Nur unsere ständigen Zwischenfragen brachten ihn bisweilen aus dem Konzept.

 

Friedensgebet am Rathaus in Miesbach (November)

 

Wieder waren es Attentate in Paris, die in Miesbach zu einer massiven Demonstration gegen Gewalt und Terror führten. Das Netzwerk Integration hatte Bürger und Asylbewerber, Lokalpolitiker und Vertreter der muslimischen und christlichen Gemeinden eingeladen. Es gibt ein lustiges afrikanisches Sprichwort: „Gott weiß alles, doch tut er manchmal, als sehe er nichts.“ Die Demo am Christbaum in Miesbach kann er nicht übersehen haben.

 

 

Postkartenaktion zum Tag der Menschenrechte (Dezember)

 

Wir hatten den Fall von Yecenia Armenta/Mexiko aus dem diesjährigen AI-Briefmarathon ausgewählt. Die Frau „hat alles erlebt, was man als Frau in einem mexikanischen Gefängnis erleben konnte“. So kündigten wir den Fall in einer Lokalzeitung an. Aber leider fiel dieser Satz der Zensur zum Opfer. Nächstes Mal schreiben wir „brutal gefoltert, vergewaltigt und gezwungen mit verbundenen Augen ein „Geständnis“ zu unterschreiben“. Das Gottesdienstpersonal (Pfarrer, Gemeindereferentin) hatte unsere Aktion angekündigt, und wir wurden etwa 130 Karten los. Diesmal hatten die Protestanten die Nase vorn, aber wir lassen offen, ob es der bessere Glaube oder das Hochgefühl nach der Bachkantate waren, die sie veranlassten, Dorothee Strecker „die Karten förmlich aus der Hand zu reißen“. Geholfen hat uns natürlich die Freilassung von Moses Akatugba/Nigeria, der jahrelang von der Todesstrafe bedroht war und dessen Schicksal wir vor einem Jahr an den Kirchentüren thematisiert hatten.

 

 

 

Es kam zu lustigen Vorfällen, aber auch zu einem ernsten „Zwischenruf“. Einige Leute fragten nach unserer Sammelbüchse, denn in der Kirche wird nicht nur gebetet, sondern auch gesammelt. Zu denken aber gab uns die Aussage einer Frau: „Ich kann AI nicht mehr unterstützen, weil die Organisation das ‚Recht auf Abtreibung’ propagiert.“ Das ist zwar so (noch) nicht richtig, aber es gibt (leider) ein obskures AI-Dokument, wo es heißt: „Der Schutz des Rechts auf Leben … greift erst nach der Geburt.“ Die Frau hat trotzdem eine Karte mitgenommen. Und wir haben daraus gelernt, dass wir unter Beobachtung stehen – und das zu Recht!

 

Adventsmarkt in Miesbach (Dezember)

 

Die Jahreszeiten waren etwas durcheinander geraten: Bei herrlichem Frühlingswetter tranken die Besucher ihren Glühwein und kauften unverdrossen Weihnachtsgeschenke. Und von dieser Käuferlaune fiel einiges für uns ab. Wir hatten wunderschöne Sachen und bekamen sogar zu hören, dass unser Stand der schönste sei. Deshalb konnten wir unser sensationelles Verkaufsergebnis vom letzten Jahr wiederholen und fuhren € 1100 (in Worten: elfhundert Euro) ein. Unsere Spender und Produzenten brauchen wir nicht noch einmal zu nennen. Sie sind weitgehend identisch mit unseren „Lieferanten“ vom Ostermarkt. Ein zweites „Dankeschön“ ist aber sehr wohl angebracht, denn wir profitieren von ihrer Großzügigkeit, ihrem Ideenreichtum und ihrer Uneigennützigkeit nun schon seit Jahren. Dass die Qualität des Verkaufspersonals immer mehr der Qualität unseres Angebots entspricht, soll nicht unerwähnt bleiben. Das Foto hält einen (kurzen) Augenblick fest, wo unsere Belegschaft einmal unterbeschäftigt ist.

 

 

Adventsmarkt (1)

 

Asyl-Ausstellung in der Vitalwelt in Schliersee (Dezember/Januar)

 

Um uns den Namen „Ai-Kreisgruppe“ auch zu verdienen, griffen wir wieder einmal über unsere üblichen „Tatorte“ Miesbach und Holzkirchen hinaus und fragten bei der Leitung der Vitalwelt in Schliersee an, ob man den Leuten, die aus dem Alltagsstress in Sauna und Schwimmbad flüchteten, nicht einmal eine Ausstellung über „Flüchtlinge“ zumuten könnte. Die Zusage erfolgte umgehend, die Aufnahme war mehr als freundlich, die Dekoration unseres Infotischleins liebevoll.

 

 

Unseren herzlichen Dank an Herrn Schrön, Frau Riedel, den Hausmeister und das gesamte Personal. Und natürlich an Thomas Fischer, der das Plakat entworfen und die Ausstellung auf- und abgehängt hat. Im „Merkur“ erschien die Ankündigung an vorderster Stelle und wurde fast vier Wochen lang im Veranstaltungskalender wiederholt. Die Besucher waren etwas enttäuscht, weil wir wegen technischer Probleme nur acht Plakate hängen konnten. Und einer von ihnen erkundigte sich (etwas erregt), wer so etwas genehmigt hätte. Die Antwort der Angestellten hat uns sehr gefallen. Sie sagte. „Wir!“ Hoffentlich bleibt er Schliersee trotzdem als Kurgast erhalten.

 

Die Ausstellung war 2014 von „Pro Asyl“ konzipiert und vom „Café Zuflucht“ in Aachen auf den neuesten Stand gebracht worden. Wir haben den ursprünglichen Titel im Lichte der derzeitigen Diskussion um Einschränkung des Asylrechtes auf „Asyl ist (und bleibt) ein Menschenrecht“ abgeändert. Daran halten wir auch trotz der unseligen Vorkommnisse von Köln fest.

 

3.3 Die Fälle

 

 

Die WOZA-Frauen/Simbabwe

 

Es ist irreführend und aufschlussreich zugleich, dass im Internet beim Stichwort WOZA als erstes der Verweis auf eine englische Firma auftaucht, die Halsbänder für Hunde anbietet. „Irreführend“, weil wir als AI’ler zuerst an die Menschenrechtsgruppe „Frauen von Simbabwe steht auf“ denken, „aufschlussreich“, weil Präsident Mugabe sein Land tatsächlich wie ein Hundehalter regiert. Im September hat er übrigens im Parlament eine Rede gehalten, die er im August schon einmal gehalten hat. Er selber hat es nicht gemerkt, die Opposition hat still gehalten, denn sieben ihrer Abgeordneten hatten vorher Warnungen erhalten, die Rede nicht zu stören.

 

Bezeichnend ist aber auch, dass Wikipedia ihren Artikel über die Frauen- (inzwischen auch Männer) Bewegung mit dem Jahre 2008 schließt, als der Gruppe der Menschenrechtspreis von AI verliehen wurde. Auch bei AI ist derzeit Funkstille. Stephanie Fuchs, die in unserer Gruppe den Fall betreut, hat etwas resigniert geschrieben:

 

Es kommen kaum nützliche Informationen, die ich weitergeben könnte. Entweder sind die ‚Inhaftierten’ zu schnell wieder aus den Gefängnissen (wo sie leider die Folter trifft), oder es kommen gar keine Infos mehr nach.“

 

Wenn wir schon nichts von ihnen wissen, dann wenigstens ein Foto:

 

http://newsimg.bbc.co.uk/media/images/45941000/jpg/_45941894_woza.jpg

 

Frauenpower in Simbabwe

 

Laísa Santos Sampaio/Brasilien

 

Laísa wurde ein Fall für AI, weil sie in ihrem Engagement gegen die Abholzung des Regenwaldes wiederholt Morddrohungen ausgesetzt war. Die gute Nachricht zuerst: Sie lebt noch und ist (nach Auskunft des Menschenrechtsbüros der Präsidentin) schon 2013 in ein Schutzprogramm für bedrohte Menschenrechtler(innen) aufgenommen worden – oder auch nicht. Fall abgeschlossen!

 

Die schlechten Nachrichten: Der mutmaßliche Mörder von Laísas Schwester und Schwager ist immer noch auf freiem Fuß und lebt in Laísas Nachbarschaft. Fall noch nicht abgeschlossen – sollte man meinen!

 

Unsere Fallbetreuer Luise Volk und Thierry Nédélec haben den Brief des Menschenrechtsbüros an die Brasilien Ko-gruppe weitergeleitet, erhielten aber „Monate hinweg“ keine Antwort. Darauf haben sie die Gruppe in London „angeschwärzt“, und prompt kam die Antwort „ohne Entschuldigung oder Erklärung, sondern nur, dass der Fall ruhe, und wir später Informationen bekommen würden“. Unsere beiden Betreuer sind „frustriert“: Sie möchten den Fall auf Dauer ruhen lassen und einen anderen übernehmen. Laísa wünschen wir von Herzen viel Glück beim Überleben.

 

Abolfazl Abedini Nasr/Iran

 

„Wir bleiben dran, Ayatollah!“ haben wir letztes Jahr geschrieben, aber weder Ayatollah noch Justizminister, die wir immer wieder angeschrieben haben, ließen sich von dieser martialischen Drohung bewegen. Nasr hat inzwischen eine gewisse Prominenz erhalten: durch Vermittlung der „Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte“ übernahm die SPD-Bundestagsabgeordnete Ute Vogt für ihn eine politische Patenschaft. Und im September 2014 scheint er (für einige Zeit?) auf Hafturlaub gewesen zu sein. Wie wir die Brüder dort kennen, ist er wieder hinter Schloss und Riegel und sitzt die zweite Hälfte seiner 12-jährigen Haftstrafe ab. Was war doch der Grund? Ach ja, „Propaganda gegen das System“. Dafür müsste es ja eher eine Belohnung geben!

 

Unser Fallbetreuer Bernard Brown hat keine Probleme mit der zuständigen Ko-gruppe. Sie weiß, was sie an ihm hat und versorgt ihn auch mit anderen Iran-Fällen, sodass das Land inzwischen zum Schwerpunkt unserer Länderarbeit geworden ist.

 

 

3.4 Die Kampagnen

 

 

Die Stop-Folter Kampagne

 

Im Mittelpunkt dieser Kampagne steht die Forderung nach Schutzmaßnahmen für Menschen in Haft, die dafür sorgen sollen, dass das Folterverbot der UN-Konvention wirklich umgesetzt wird.

 

- Sie lief auch in diesem Jahr noch weiter, und das tat auch die Folter. Es begann mit dem Paukenschlag vom 9. Januar: die 50 Peitschenhiebe für Raif Badawi. Auf einer Petition sammelten wir 48 Unterschriften. Mit auf der Liste der Schwager und zeitweilige Rechtsanwalt Badafis, Waleed Abu al-Khair. „Zeitweilig“ deshalb, weil er jetzt ebenfalls im Gefängnis sitzt, zu 15 Jahren verurteilt, im Grunde, weil er eine Gruppe initiiert hatte, die Menschenrechtsverletzungen im Lande aufdeckte – ein klarer Fall von „Beleidigung des Islam“.

 

 

https://www.amnesty.org.uk/sites/default/files/imagecache/small_action_image/468x283_waleed_abu_al-khair.jpg

 

Waleed Abu al-Khair

 

 

 

 

Jerryme Corre

 

 

- Dann ging es weiter mit Jerryme Corre/Philippinen. Er wurde 2012 beschuldigt, einen Polizisten getötet zu haben, und entsprechend fielen die Verhörmethoden aus. Während man ihn traktierte, wurde er immer wieder mit „Boyet“ angeredet, aber als man merkte, dass man den falschen Mann verhaftet hatte, wandelte man die Anklage in „Drogenbesitz“ um. Im Januar 2015 war er „Gefangener des Monats“ und eine Abonnentin unserer Monatsbriefe erhielt sogar eine Antwort von der Botschaft: Man habe ein Verfahren gegen zwei Polizeibeamte eingeleitet. Ein Mitglied von AI-Philippinen konnte ihn im Februar 2015 im Gefängnis besuchen und ihm Tausende von Briefen überreichen, die eine Untersuchung der Foltervorwürfe forderten. Ob Jerryme inzwischen frei ist, haben wir nicht erfahren.

 

- Usbekistan hat uns im Sommer auch noch einen Einzelfall geliefert, Muhammad Bekzhanov, ehemals, und d.h. vor 16 Jahren, Chefredakteur einer verbotenen Oppositionszeitung und einer der am längsten inhaftierten Journalisten der Welt. Unter Folter wurde er gezwungen, ein Geständnis zu unterschreiben, dass er in „staatsfeindliche Aktivitäten“ verwickelt gewesen sei. Seinen Zustand beschreibt er wie folgt:

 

„Ich liege in meinem eigenen Blut … und versuche, mich an all die guten Dinge in meinem Leben zu erinnern – meine Kinder, meine Frau.“

 

 

Muhammad Bekzhanov

 

 

Dazu sollte man nicht schweigen, Herr Steinmeier, Militärstützpunkt hin oder her!

 

- Im November kam aus der Ecke eine erfreuliche Nachricht: Murad Dzhuraev, politischer Aktivist  ist nach 21 Jahren Haft freigelassen worden, kurz bevor seine Haftzeit abgelaufen wäre. Er war offensichtlich schon so in Vergessenheit geraten, dass im Internet nicht einmal sein Foto zu finden ist.

 

- Bahnhof Miesbach: Da wurde natürlich nicht gefoltert. Nein, da hing ein großformatiges Stop-Folter Plakat von AI, und die Reisenden, die gespannt auf die Ankunft der verspäteten BOB warteten, konnten sehen, was Folter wirklich ist.

 

- Und als „harmonische“ Ergänzung zu Donald Trumps Aussagen über das Waterboarding zitieren wir Marco Rubio, welcher der „letzte gemäßigte Republikaner unter den Präsidentschaftskandidaten“ sein soll. Der scheint von den Terroristen gesagt haben:

 

„… und wenn wir einen von ihnen lebendig fangen, dann kriegt er eine Fahrkarte nach Guantánamo, wo wir alles herauskriegen, was er weiß.“

 

Wie? Das möchten wir mit dieser Kampagne stoppen.

 

- Wir danken Erika Brown, Helga Geh, Sylvia Schaffner und Anneliese Lintzmeier, die diese Kampagne betreuen.

 

Todesstrafe – nein, danke!

 

Eleonore Mittmann und der Gruppensprecher behielten ihr Abo im Aktionsnetz Todesstrafe bei und brauchten leider nicht über Arbeitsmangel zu klagen.

 

- Es fing an mit widersprüchlichen Meldungen im Fall von Saman Naseem/Iran. Er war in eine „Prozessfarce“ wegen Mitgliedschaft in einer verbotenen Partei, Verwicklung in eine bewaffnete Auseinandersetzung mit den Revolutionsgarden und, wie könnte es anders sein, wegen „Feindschaft zu Gott“ zum Tode verurteilt worden und wurde nach einer Meldung eines türkischen Nachrichtensenders am 19. Februar hingerichtet. Im Juli allerdings war er noch quicklebendig, d.h. so lebendig wie man nach fünf Monaten an einem unbekannten Aufenthaltsort im Iran noch sein kann. Aus diesem Monat stammt die Nachricht, dass man seinen Fall gerichtlich überprüfen möchte. Damit war die Vollstreckung der Todesstrafe (zunächst) aufgehoben.

 

Sein Kommentar zur Behandlung im Gefängnis: „Am Ende schwebte ich zwischen Wahnsinn und Bewusstlosigkeit.“

 

 

http://iranhr.net/media/content/images/saman-naseem31.jpg

 

Saman Naseem

 

 

 

http://i.dailymail.co.uk/i/pix/2015/04/29/16/28191DC200000578-3060871-Mary_Jane_Fiesta_Veloso_from_the_Philippines_during_the_trial_in-m-13_1430321160352.jpg

 

Mary Jane Veloso

 

 

- Im April fand in Indonesien eine Asien-Afrika Konferenz statt. Mit der (halben) Welt zu Gast konnte man sich keine Blöße geben. Deshalb wartete der Generalstaatsanwalt das Ende der Konferenz ab, bis er eine internationale Auswahl an Drogendelinquenten (Australier, Brasilianer, Nigerianer, Indonesier) hinrichten ließ. Die Philippinin Mary Jane Veloso kam mit dem Leben davon, weil sich in ihrer Heimat eine Frau stellte, die zugab, Mary als Drogenkurier missbraucht zu haben. So schmal ist oft der Grat zwischen Irrtum und Erschießungskommando. Am Tag, wo mein Protestbrief abgehen sollte, war die Meldung über den Vollzug in der Zeitung. Der Brief ging trotzdem ab, und das nicht nur, weil schon die Briefmarke darauf klebte. Aber er war nicht so höflich abgefasst wie gewöhnlich. (Und noch einmal: s. Mugabe)

 

- Den Stadtrat von Miesbach, wo wir mit Hedi Schmid wortgewaltig vertreten sind, haben wir noch einmal eingespannt. Für die AI-Aktion „Menschenrechte in die Rathäuser“ haben wir 25 Briefe abgegeben, die zum Protest gegen die Anklage von zwei kongolesischen Aktivisten der Jugendbewegung „Filimbi“, Fred Bauma und Yves Makwambala, aufriefen. Die beiden hatten an einer Pressekonferenz teilgenommen und werden jetzt des „Hochverrats, Putschversuchs und versuchter Tötung eines Staatsoberhauptes“ bezichtigt, also aller Vergehen, die man auf einer öffentlichen Pressekonferenz so ausheckt. Bei Schuldspruch droht ihnen die Todesstrafe.

 

Fred Bauma und Yves Makwambala: © Amnesty International

 

AI-Aktion für Fred Bauma und Yves Makwamba

 

Wir haben zuverlässige Rückmeldung erhalten, dass unsere Briefe auch abgeschickt worden sind und legen deshalb Wert auf die Feststellung, dass der Titel der AI-Aktion nicht suggerieren möchte, dass es bisher in den Rathäusern keine Menschenrechte gab. In Miesbach jedenfalls können wir uns nicht beklagen.

 

- Da die Bilanz des Jahres hinsichtlich der Todesstrafe, dem Trend der letzten Jahre gegenläufig, eher negativ ausfällt, präsentieren wir zum Schluss eine Meldung, die erfreuliches Potential erhält, wenn die Maßnahme auch umgesetzt wird. Ein Großteil der Hinrichtungen im Iran ist auf Drogendelikte zurückzuführen, und dagegen gab es bisher keine Berufungsmöglichkeit. In der neuen Strafprozessordnung wurde dieses Recht auf Berufung jetzt eingeführt. Vielleicht hat man zu viele kiffende Revolutionsgardisten erwischt.

 

 

3.5 Die Finanzen

 

 

Am liebsten würde ich es wie Robert Mugabe machen - Sie erinnern sich? Das war der Präsident, der eine Rede zweimal gehalten hat. – und einfach wiederholen, was wir letztes Jahr über unsere „Schwarze Über-Null“ geschrieben haben. Und es wäre auch am ehrlichsten, weil wir dank unseres Großspenders aus München, unserer vielen Einzelspender und eigener Anstrengungen bei Veranstaltungen und Märkten wieder unbeschwert der Insolvenz entgangen sind. Allen Beteiligten, einschließlich unseres ewigen „Finanzministers“ Siegfried Komm, der die Gelder brav nach Berlin schickte und sie nicht auf den Kaimann-Inseln bunkerte, sei herzlich gedankt.

 

Es ist eine echte Ermutigung, wenn bei einer Veranstaltung mit 30 Besuchern in unserer (dezent platzierten) Sammelbüchse 60 Euro landeten und wir über unseren Gruppenbeitrag hinaus in einen Sonderfonds für die Behandlung traumatisierter Flüchtlinge einzahlen konnten. Ein Trauma anderer Natur verfolgt übrigens demnächst die deutsche AI-Sektion: Auf Grund eines neuen Beitragssystems muss sie zusätzliche 1,3 Millionen an die Zentrale nach London überweisen. Und da der Vorstand nicht sein Privatvermögen einbringt und wir keine Aktionäre belasten können, wird es wohl auch die Gruppen treffen. Deshalb lautet die Botschaft an unsere Spender: „Bitte weiter so!“

 

 

3.6 Die Gruppe

 

 

Von der Struktur der Gruppe hat sich 2015 nichts geändert. Wir haben nach wie vor an die 25 erwachsene Mitglieder, die nicht alle zu unserer Gruppensitzung kommen, von denen sich aber ein Großteil irgendwann im Laufe des Jahres zu Spezialaufgaben einteilen ließ. Und wenn einmal im Jahr von Berlin aus nachgefragt wird, ob jemand seine Mitgliedschaft aufkündigen möchte, dann lautet die Antwort des Gruppensprechers regelmäßig: „Bestand unverändert und gesichert.“ Der Anwesenheitsrekord bei einer Gruppensitzung lag bei elf Teilnehmern. Da wurden die Stühle knapp, nicht aber die Getränke zum „gemütlichen Teil“.

 

Ja, den gibt es auch! Da klingt die erste und ernste Runde mit ihren Terminabsprachen und Grundsatzdiskussionen, ihrem Papierkram und ihrer Aufgabenverteilung gemächlich aus. „Gemächlich“ heißt hier nicht „ruhig“. Es wird laut, aber nicht weil es etwas zu streiten, sondern weil es viel zu lachen gibt. Da geht’ s dann, wie auch beim Sommerfest, nicht um AI-Themen, sondern um Gott und die Welt.

 

Ich glaube, Sie haben meine Absicht schon durchschaut? Natürlich ist das ein Werbetext. Auch Sie haben in unserer Gruppe Platz: Da gibt es Protestanten, Katholiken und Agnostiker, Mitte und Halblinke, Frauen und Männer, Rentner und Rentenbeitragszahler, Fans vom FC Bayern und vom TSV 1860.

 

Und dann gibt es unsere Jugendgruppe. Und das immer noch und hoffentlich noch lange! Sie haben heuer wieder selbständig gearbeitet, sich trotz ihrer vielen anderer Termine gelegentlich/regelmäßig getroffen und etwas geschafft, was wir noch nicht geschafft haben, nämlich einen Flüchtling aus Sierra Leone anzuwerben, der am Adventsmarkt ein Verkaufsmagnet war.

 

 

Adventsmarkt (2)

 

 

3.7 Vermischtes

 

Sie sehen am Titel: Wir nähern uns dem Ende.

 

Bezirksrundbrief Oktober 2015

 

Das Presseorgan des AI-Bezirks München/Oberbayern erwähnen wir deshalb, weil im Oktober vier der neunzehn Seiten mit unserer Gruppe zu tun hatten. Es gab ein langes Interview mit dem Gruppensprecher, wo die erste Frage war: „Was hat dich motiviert, bei AI mit zuarbeiten?“ Meine Antwort gehört zwar schon ins Archiv, aber ich möchte Sie Ihnen nicht vorenthalten:

 

„Ich komme aus der katholischen Jugend, habe aber dann die Studentenrevolte von 1968 mit Studieren verschlafen. Die Revolte wollte ich (gemäßigt und gemeinnützig) nachholen.“

 

Auf einer Seite des Rundbriefes berichtete ein Gruppenmitglied von unserer Postkartenaktion vom Dezember 2014 zu Moses Akatugba/Nigeria und lobte die ausführliche Berichterstattung über seine Freilassung. Ihr Leserbrief wurde vollständig und mit der Kopie der handschriftlichen Vorlage veröffentlicht. Die Verfasserin meinte dazu, dass ein geschriebener Brief heute so exotisch sei, dass man bei der Redaktion glaubte, das sei schon Grund genug, ihn eigens abzudrucken. Vielleicht haben sie sich aber auch so über das Lob gefreut, dass sie es gleich zweimal bringen wollten.

 

Schaukasten und Homepage

 

Am Titel sehen sie schon, dass wir die Kommunikationsmittel von zwei Jahrhunderten nutzen. Die Stadt Miesbach hat uns dankenswerterweise einen Schaukasten in der Fußgängerunterführung am Stadtplatz zur Verfügung gestellt, nicht zuletzt in der Hoffnung, dass wir in Sachen Updating etwas Schwung in den etwas musealen Charakter einiger anderer Schaukästen bringen würden. Der Schaukasten ist in den guten Händen von Monika Wiegert.

 

 

Schaukasten an Weihnachten

 

Eine Homepage haben wir natürlich auch. Sie wird von Thierry Nédélec professionell betreut, aber, seiner Ansicht nach, von den Mitgliedern zu selten besucht. Deswegen stellt er uns des Öfteren Fangfragen, ob wir seine Einträge schon gelesen hätten. Ich bin jetzt noch schnell auf die Homepage gegangen und habe mit Genugtuung gesehen, dass unsere Veranstaltungen bis zum Februar 2016 aufgenommen sind. Dass wir aber noch zu Nordkorea arbeiten, gehört der Vergangenheit an. Jetzt werde ich Thierry die Fangfrage stellen, ob er das schon weiß.

 

Brief gegen das Vergessen

 

Das sind unsere Monatsbriefe, die wir inzwischen in fünf verschiedenen Sprachen verfassen, bzw. von einem mehrköpfigen Schreiberteam verfassen lassen. Unser Dank gilt Rachel Bull, Irene Scherm und Frau Wähner, die uns bei dieser Arbeit sehr entlasten – und das (mehrheitlich) schon seit Jahren und Jahrzehnten.

 

Zu diesem Thema haben wir an die AI-Jahresversammlung 2015 einen Antrag gestellt, zum 2. Mal in unserer Gruppengeschichte und mit dem gleichen Inhalt wie vor ca. 10 Jahren. Wir wollten Informationen über das Schicksal der Menschen, für die wir diese Briefe abschicken und über die Wirkung (oder Wirkungslosigkeit), die wir mit ihnen erzielt haben. Im Herbst kam dann eine 1. Bilanz im Amnesty Journal, genauso, wie wir uns das vorgestellt hatten, wenn auch leider nicht immer eine Erfolgsgeschichte.

 

 

indonesien – filep karma (Juni 2015)

Rückblick: Der ehemalige Beamte Filep Karma verbüßt

derzeit eine 15-jährige Haftstrafe, weil er 2005 bei einer

Zeremonie eine papuanische Unabhängigkeitsflagge hochgehalten

haben soll. Er wurde in Haft misshandelt und wird als gewaltloser

politischer Gefangener betrachtet.

 

Update: Filep Karma bedankt sich bei allen, die sich für ihn

einsetzen. »Ich möchte meine Dankbarkeit gegenüber meinen

Freunden bei Amnesty International und meinen Freunden, die

diese Petition in zahlreichen Ländern unterzeichnet haben, zum

Ausdruck bringen. Ich möchte euch von ganzem Herzen danken!

Ich kenne euch nicht und ihr seid dennoch so besorgt um

mich und um das, wofür ich stehe. Nochmals vielen Dank und

ich bete für euch.«

 

 

4. Schluss

 

 

Wenn AI als organisation in der 2. Jahreshälfte ihre Existenzberechtigung herausstellen wollte, hat man gerne Moses Akatugba/Nigeria hergenommen. Er wurde gewissermaßen unser „Mann des Jahres“ weil seine Freilassung im Mai ausdrücklich mit dem Einsatz von AI (über 800.000 Briefe und Unterschriften) verbunden wurde, aber wohl auch, weil er sich überschwänglich bei uns bedankt und versprochen hat, ins Boot zu steigen. Da wir unsere Organisation in diesem Bericht bisweilen sehr „stiefmütterlich“ behandelt haben, (was sie bisweilen auch verdient hat), treten wir mit Moses zu ihrer Ehrenrettung an. Er schreibt:

 

„Ich bin überwältigt. Ich danke Amnesty International … für die große Unterstützung, die mir geholfen hat, aus dieser Situation gestärkt hervorzugehen. In meinen Augen sind die Mitglieder von Amnesty International Heldinnen und Helden. Ich verspreche, dass ich mich für die Menschenrechte einsetzen und anderen helfen werde.“

 

Jetzt hören wir aber auf, denn wie sagte schon Ralph Waldo Emerson: „Jeder Held wird auf Dauer ein Langweiler“.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kontaktadressen und Kontonummer

 

Fritz Weigl, Wallenburger Straße 28 d, 83714 Miesbach

Tel.: 08025/3895, Fax: 08025/998030,

Mail:fritz.weigl@gmx.de

 

Bernard Brown, Carl-Weinberger-Str. 5, 83607 Holzkirchen

Tel.: 08024/3502,

Mail:bernard.brown@web.de

 

Homepage: http://www.amnesty-miesbach.de

 

Bank für Sozialwirtschaft (BfS) Köln, BLZ 370 205 00

Konto-Nr. 80 90 100, Gruppe 1431 (Gruppennummer unbedingt mit angeben)