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Amnesty International Gruppe Miesbach (1431)

Impressum

Gruppe Miesbach (1431)

Spuren im Land (11): "Ein Kind des Krieges"

Fussstapfen im Schnee

"Bayern und Frankreich: Wege und Begegnungen" lautete im 2006 der Titel einer Ausstellung der beiden Staatsarchive, und von verschlungenen Wegen und Begegnungen soll auch diese Folge unseres Textprojektes "Spuren im Land" handeln. Im Mittelpunkt stehen diesmal ein kleiner Franzosenbub und seine bayerische "Erstfamilie", die der 2. Weltkrieg und die Nachkriegszeit zusammengebracht und auch wieder getrennt hat. Es ist eine sehr persönliche Geschichte, weil sie bis in die Gegenwart hineinreicht, weil sich Gérard/Gerti P. und die Geschwister H. im Jahre 2009 nach 60 Jahren wieder getroffen haben, weil sie gemeinsam die Wege ihrer Kindheit abgeschritten sind und weil aus den Mosaiksteinchen ihrer Erinnerungen eine Geschichte entstanden ist, die der Krieg lange überschattet, aber bei der er nicht das letzte Wort gesprochen hat.

Wir schreiben November 1944. Im Krankenhaus in Miesbach hat eine Französin einen Sohn zur Welt gebracht. Den Vater, jüdisch-ukrainischer Abstammung und französischer Soldat in Kriegsgefangenschaft, hatte sie im Arbeitslager von Moosburg kennen gelernt. Fritz H. ist damals 12 Jahre alt. Eine Bekannte seiner Mutter und (vermutlich) der Französin nimmt ihn mit, um die junge Mutter zu besuchen. Es scheint eine schwere Geburt gewesen zu sein, denn die Frau weinte und brachte zum Ausdruck, dass sie das Kind nicht haben wollte. Fritz nahm das Baby in den Arm und brachte es seiner Großmutter Frau P., nach Aussagen aller Beteiligten eine fromme und herzensgute Frau. Die "Kindsentführung" fand übrigens unter dem wohlwollenden Lächeln der Schwester Ambrosia statt, die älteren Miesbachern sicher noch als resolute "Männerschwester" in Erinnerung ist. Ob die Schwester lächelte, weil sie glaubte, Fritz würde den Buben spazieren fahren oder weil sie schon ahnte, dass ihm "etwas Besseres als der Tod" allemal widerfahren würde, wissen wir nicht so genau.

Was Gérard/Gerti P. aber noch genau weiß ist, wie gut es ihm "in Feindesland" ergangen ist. In seinen Erinnerungen heißt es: "Aufgezogen in einer deutschen Familie, ... verwöhnt von einer Großmutter, die mich wahrlich wie einen Enkel behandelte, hatte ich Brüder und Schwestern, und meine Muttersprache war bayerisch. ... Ich erinnere mich noch an ein großes Haus am Fuße eines Abhangs, mit einer großen Treppe, die ins Freiland führte, wo ich mich manchmal niedersetzte, nachdem ich sie unzählige Male auf- und abgelaufen war. Und da waren die große Kirche und der Totenkerker, wo tausend Kerzen brannten. Oma war eine sehr fromme Frau und nahm mich jeden Tag, und oft auch zweimal am Tag, zum Beten mit. Und was mich noch heute ergreift und mir im Ohr verblieben ist, waren die Weihnachtslieder, die mit solcher Inbrunst gesungen wurden, dass mich noch heute ein wohliger Schauder ergreift. Und dann der lange Weg zum Kindergarten, den ich mit einem Freund zurücklegte. Kurz - ein echtes Familienleben!"

Dieses Nachkriegsidyll wurde jäh unterbrochen, als im Jahre 1949 ein Jeep mit amerikanischem Militär auftauchte und den Buben ohne Vorwarnung und nur mit der Kleidung, die er am Leibe trug (Lederhose und selbst genähtes Leinenhemd), in ein Kinderheim nach Bad Aibling brachte. Die Großmutter hatte gerade noch Zeit, ihm ein Kreuzzeichen auf die Stirn zu machen und ihm ein "Ich werde Dich nie aufgeben" zuzurufen, während sie weinend dem Jeep nachlief. Später sollte sich herausstellen, dass ihn die leibliche Mutter zurückgefordert hatte - weniger für sich als für Frankreich. Gerti, wie wir ihn hier noch einmal nennen, schreibt lakonisch: "Auf diese Weise habe ich die Familie verlassen, von der ich glaubte, sie sei meine eigene Familie. Und so habe ich auch Miesbach verlassen."

Nach seinem Besuch im Jahre 2009 haben wir uns ein wenig auf Spurensuche gemacht. Wir haben Nachbarn befragt, Altersgenossen, die mit ihm gespielt haben könnten oder mit ihm vielleicht im Kindergarten waren, aber bis jetzt haben wir niemand gefunden, der sich an ihn erinnern konnte. Dafür ist er seiner einstigen Pflegefamilie umso stärker im Gedächtnis geblieben, denn noch in den 50er Jahren versuchten sie, Gérard zu adoptieren.

Der Krieg war für den kleinen Gérard in Frankreich nicht wirklich vorbei. In der Schule war er wegen eines bayerischen Akzents (und seiner Lederhose) noch lange der "Schleu" oder der "Boche" (Schimpfnamen für Deutsche), eine Lehrerin, deren Mann von der Gestapo umgebracht worden war, machte ihm das Leben sauer, und seine Adoptiveltern enthielten ihm die Briefe vor, die aus Miesbach kamen. Ein Besuch in Miesbach im Jahre 1966 wurde für ihn zu einer "schrecklichen Prüfung". Zwar sah er die Großmutter wieder, aber als sich seine Adoptiveltern hinzugesellten, war der junge Mann durch die "Doppelung" emotional überfordert. Die Großmutter hat ihn wieder erkannt und gemeint, nun "könne sie in Frieden sterben".

Für Gérard kam die Zeit, als er seine Vergangenheit zu bewältigen suchte, indem er sie verdrängte und sich seiner Karriere widmete, und er brauchte 40 Jahre und die Ermutigung durch seine Frau, bis er sich ihr wieder stellte. Er schloss sich einer Vereinigung an, wo sich "Kinder des Krieges" gefunden hatten, er fand den Namen seines (verstorbenen) leiblichen Vaters heraus, erfuhr, dass seine jüdische Halbschwester in Auschwitz umgekommen war und traf dann, nach über 60 Jahren, wieder mit seiner leiblichen Mutter zusammen.

Jetzt war für ihn auch die Zeit gekommen, Miesbach einen weniger vorbelasteten Besuch abzustatten. Durch Vermittlung des hiesigen Stadtarchivars erhielt er die Adressen seiner Pflegegeschwister, und es war ein bewegender Moment, als er sich mit zwei von ihnen vor dem einstigen Heimathaus ablichten ließ. Der Krieg war (endgültig) vorbei; der Großmutter und seiner ersten Familie ist er heute noch dankbar.

Siehe Untertitel

Erinnerung an vergangene Tage: Gérard P. auf dem Schoß der Oma Anna P. (links) und zwischen seinen Pflegegeschwistern Anna P. und Fritz H. (rechts)

Folge 12: Der Klotz am Baum