Für ein optimales Druckergebnis sollten folgende Einstellungen vorgenommen werden:
Einstellungen -> Gesamtbild -> Schriftart: Dok. spezif. Schrifte, inkl. dyn.
Einstellungen -> Gesamtbild -> Farbe: nicht Ersetzen lassen
Seite einrichten: Oben 0, Unten 0, Links 0, Rechts 0 cm
Seite einrichten: nichts angekreuzt in Kopf-/Fußzeile/Seitenoptionen
Diese Einstellungen gelten für Firefox, Windows, Linux/Unix/BSD und Macintosh. Firefox: Ansicht 100%
Internet Explorer, deutsche Version (6.0 und höher):
Ansicht -> Optionen -> Allg. : Text schwarz, Hintergrung weiß
Datei -> Seite einrichten: DinA4, Links 0 Rechts 0 Oben 0 Unten 0 cm, Kopf-/Fußzeile ... : leer lassen
RTF Format, für Word (kontrolliert mit Word2000):
Datei -> Seite einrichten -> Seitenränder: Oben/Unten: 0 cm; Links: 0 cm, Rechts: 0 cm
Amnesty International Gruppe Miesbach (1431)
Jahresberichte:
Fälle:
Yasaman Aryani und Monireh Arabshahi (Iran)
Yew Wah HOO (Malaysia)
Zeitungsartikel:
Spuren im Land:
Eigentlich war für 2011 Feiern angesagt. Amnesty International wäre im Mai 50 Jahre alt geworden, und wir hätten gerne gesehen, dass die Welt in angemessener Form gratuliert hätte. Dem wird wohl aber nicht so sein. Wir erlebten sie am Jahresanfang eher so wie Lynn Ward in seinen Holzschnitten: drohend, unheimlich, übermächtig.
Aber wir wollen auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Wir in Deutschland saßen nicht in dieser Nussschale, sondern betrachteten das Geschehen vom Ufer aus, waren höchstens etwas verärgert, weil wir unseren Urlaub umbuchen mussten. Dennoch stimmen auch wir der Einschätzung zu, dass "man aus diesem Jahr gut auch drei oder vier Jahre hätte machen können". Katerstimmung auf dem Kontinent - würde dazu die Sunday Times (London) sagen, die eine andere Bilanz zieht: "Am Ende dieses Jahres kann man sagen, dass die Welt ein besserer Ort geworden ist."
Sie werden bei diesem "(etwas) anderen Jahresrückblick" manchmal am klaren Verstand des Verfassers zweifeln, denn dieser Rückblick ist oft widersprüchlich, wird immer wieder von den Ereignissen überholt und verdient sich nur in seiner Fehlerhaftigkeit die Spitzennote. Nun sind Zweifel am "klaren Verstand des Verfassers" nie ganz von der Hand zu weisen, aber der Hauptgrund für die fehlende Zuverlässigkeit (neudeutsch: Validität) ist ein anderer: Der Monatskalender ist eigentlich kein Rückblick, sondern eher ein Simultanbericht, jeweils verfasst etwa einen Monat nach den Ereignissen. Es steht zu hoffen, dass, wenn Sie unseren Tätigkeitsbericht im Januar/Februar 2012 in Händen halten, der Ärger über die falschen Prognosen von der Freude (oder dem Entsetzen) aus dem zeitlichen Abstand klüger (oder noch betretener) zu sein, überwogen wird. "Uff!" Der Satz hat Schweiß und Verstand gekostet!
Der "Wunsch "Ein Gutes Neues Jahr" kam uns heuer sehr zögerlich über die Lippen, wenn wir die Schlagzeilen lasen, die von Weihnachten an die Titelseiten der Zeitungen beherrschten. Noch vor dem christlichen Friedensfest wurde im Weißrussland Lukaschenkos ("Europas letzter Diktator") die Opposition, die gegen die Wahlfälschungen protestierte, mit aller Härte niedergeknüppelt, und noch am Wahltag landeten sieben der neun Gegenkandidaten hinter Schloss und Riegel.
In der Neujahrsnacht wurden 21 koptische Christen vor ihrer Kirche in Alexandria/Ägypten Opfer eines Anschlags, der die Handschrift des Terrornetzes "Islamischer Staat des Iraks" trug. Die Organisation hatte die Legende von den zwei Frauen, die zum Islam übertreten wollten und deswegen in einem koptischen Kloster festgehalten wurden, ausgegraben und "jeden Muslim, der sich um die Ehre seiner Schwestern sorgt" dazu aufgerufen, "während der Weihnachtsmessen" Christen in die Luft zu sprengen. Die Legende dürfte nur ein Vorwand sein, denn überall in den arabischen Ländern wächst die Gewalt gegen Christen, die als Verbündete des imperialistischen Westens gelten.
Die nächste Welle der Gewalt brach über Tunesien herein. Nach der Selbstverbrennung eines arbeitslosen Hochschulabsolventen, dem man die Lizenz für seinen Gemüseladen entzogen hatte, kam es zum "Aufstand einer verzweifelten Generation" gegen die "Mafia-Diktatur" des Präsidenten Ben Ali und seines kleptokratischen Familienclans. Nach acht Tagen und geschätzten 35 Toten setzten sich der Präsident und seine Frau mit 1,5 Tonnen Gold im Gepäck nach Dschidda/Saudi-Arabien ab. Man kann nur hoffen, dass ihm das Gold ausreicht, um bis zu seinem Lebensende die Palastmiete zu begleichen, denn die europäischen Banken haben seine Konten über geschätzte 10 Milliarden eingefroren, und zumindest von den viel gescholtenen Schweizer Banken ist zu erwarten, dass sie die Gelder (irgendwann einmal) an die Nachfolgeregierung zurück überweisen. Europas Politiker haben sich mit Stellungnahmen vornehm zurückgehalten. Lediglich die französische Außenministerin hat ihre Hilfe angeboten - dem Präsidenten wohlgemerkt, nicht den Demonstranten. Ansonsten waren uns die Vorgänge eher peinlich. Zu lange war man um die Autokraten vom Schlage Ben Alis auf Sammetpfötchen herumgeschlichen. Einzig und allein die EU-Außenbeauftragte Ashton hatte relativ früh gegen die Schüsse auf die Demonstranten protestiert.
(Mehr als nur) vornehm zurückhaltend waren auch die Aussagen zu den Menschenrechten, die sich Chinas Präsident Hu Jintao bei seinem spektakulären Besuch in Washington abrang. Er brachte das Kunststück fertig, mit einem Fuß die Türe einen Spalt zu öffnen und sie mit dem anderen wieder zuzuschlagen. China erkenne zwar die Universalität der Menschenrechte an, es gebe jedoch "spezielle nationale Umstände". Und obwohl es in seinem Land "noch viel zu tun gibt in Hinblick auf die Menschenrechte", gelte doch auch "das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten". Dass es vor dieser verwinkelten Äußerung zu einem Ausfall der Simultanübersetzung gekommen sein soll, ist kein Zufall. Da stößt die Sprache einfach an ihre Grenzen. Präsident Obama hingegen gelang, so ein Kommentar in der Süddeutschen, ein
"verbaler Doppelschlag. Erst bekannte er sich zur allgemeinen Gültigkeit der Menschenrechte, dann empfahl er seinem Gast listig deren Einhaltung als einen Weg, um den Aufstieg Chinas zu beschleunigen."
Aus dem "Lagerfeuer" in Tunesien wurde gleichsam über Nacht ein Flächenbrand, der die arabische Welt von Algerien bis zum Jemen überzog und im Lande der Pyramiden zum Sturz des Pharao Mubarak führte.
Über die Ursachen dieses Flächenbrandes wissen wir, im Nachhinein, bestens Bescheid:
"Man stecke 80 Millionen Menschen in einen Topf, schließe den Deckel und heize ein: soziale Ungerechtigkeit, Korruption, Nepotismus, Folter. Irgendwann fliegt das Ganze auseinander. Dann ist Revolution."
Eine kurze Chronik der Ereignisse: Am 1. Februar traten die Regimegegner zum "Marsch der Millionen" an, am 2. Februar erfolgte Mubaraks Gegenschlag mit Schlägertrupps und einigen Kameltreibern, die an den Pyramiden von Gizeh arbeitslos geworden waren.
Die Armee verhielt sich zunächst nach dem Motto: "Alles tun, um sich die Hände nicht schmutzig zu machen." Bald aber schien sich eine Kluft aufzutun zwischen der Generalität, der die angebotenen Reformen ausreichten und den unteren Rängen, die gegen Mubaraks Prügelhorden Stellung bezogen. Am 6. Februar kam es zu ersten Gesprächen zwischen Regime und Opposition: Vizepräsident Suleiman offerierte Tee – auch an die Muslimbrüder, die seit 1954 verboten waren. Am 11. Februar kam es zum "weichen Putsch": Mubarak wurde gegangen und setzte sich in einem Hubschrauber zu seinem Palast am Roten Meer ab. Zwar wäre ein Kamel das angemessenere Transportmittel gewesen, aber der Oberste Militärrat, der die Herrschaft übernahm, wollte sich nicht lumpen lassen. Schließlich hatte man Mubarak einiges zu verdanken.
Der Westen reagierte verschämt, erleichtert und überrascht zugleich. Ein Potentat, mit dem man lange Zeit verbündet war, stand nicht mehr zur Verfügung, der Islam hatte sich in einem weiteren Land als demokratiefähig erwiesen, und das ohne Nachhilfestunden von amerikanischen Präsidenten. Die Süddeutsche hat in einem Leitartikel die Botschaft des Tahrir-Platzes an den Westen wie folgt zusammengefasst: "Euer System mag das richtige sein, aber wir müssen es uns selbst erkämpfen." Konfrontiert mit einem hartleibigeren Diktator, sollte sich in Libyen die Selbstbefreiung als schwieriger bis unmöglich erweisen.
Natürlich gäbe es im Februar noch mehr zu berichten. Die Unruhen in Nordafrika erreichten Europa über die Flüchtlingsschiffe vor Lampedusa, in China riefen Dissidenten zu "Jasmin-Protesten" und "Spaziergängen" gegen das Regime auf (und holten sich dafür blutige Nasen), in der Türkei wurde die Feministin Pinar Selek, der man ein Bombenattentat aus dem Jahre 1998 unterschieben wollte (das Expertengutachten zufolge nie stattgefunden hat), jetzt schon zum 3. Mal freigesprochen, in Israel wurde die Journalistin Anat Kam, die geheime Dokumente über die (illegale) Tötung von militanten Palästinensern an eine Zeitung weitergegeben hatte, wegen Spionage verurteilt (und darf nach einem Geständnis hoffen, mit nur neun Jahren Haft davonzukommen), in Uganda wurde der Mörder eines Schwulenaktivisten dem Staatsanwalt vorgeführt, und in Dresden wurde nach einer Demonstration gegen den Aufmarsch der Neonazis das "Haus der Begegnung" (das dem eigentlichen Zielobjekt gegenüber lag), unter Einsatz einer Kettensäge durchsucht.
"Glückliches Bayern", kann man da nur sagen, wenn man die Konflikte betrachtet, die wir im Hofbräuhaus austragen.
Im März kamen etwa 100 Dokumente zusammen, die davon Zeugnis ablegten, wie Menschen an Mitmenschen handeln und wie schmerzlich wir vermissen, dass wir einige von unseren Zeitgenossen nicht auf Dauer "zum Mond schießen" können. Beginnen aber möchten wir mit dem Bild einer Welle, die uns die Natur beschert hat und die möglicherweise zu den folgenschwersten (oder folgenreichsten) Entwicklungen des Jahres 2011 führen wird. (Zur Validität der Prognose s.o.)
Das Bild der reißenden Welle passt leider auch zu den Ereignissen in Libyen: Es ging hin und her, rauf und runter und v.a. drunter und drüber. Die Schlagzeilen spiegelten die militärischen Entwicklungen in einer Weise wider, die einen unweigerlich an den Beatle-Song "Who wants yesterday's papers" ("Wer möchte die Zeitungen von gestern?") erinnern. Einige Kostproben: "Ein Staat zerfällt", "Gaddafi-Clan redet vom Sieg", "Aufständische feiern Rückeroberungen", "Rebellen auf der Flucht". Und über allem hing die Frage. "Wie weiter?"
Den Karikaturisten ging es nicht besser als den Leitartiklern. Noch im Februar kam es zu einer Fülle von Zeichnungen, die einen getretenen, gefesselten, wankenden und bröselnden Diktator zeigten, aber als Gaddafi zurück getreten hat, verschlug es ihnen die "Feder". Wir wissen nicht, ob es was hilft, aber aus Solidarität drucken wir eine Karikatur aus der Rebellenhauptstadt Bengasi ab.
Die wüsten Drohungen Gaddafis "Siedlung für Siedlung, Haus für Haus, Zimmer für Zimmer zu durchkämmen, die Ratten aufzuspüren und zu vernichten" (und diese Suchaktion durch Luftangriffe einzuleiten) hat dann dazu geführt, dass die UN zum Schutze der Zivilbevölkerung einer Koalition aus westlichen und (wenigen) arabischen Staaten erlaubte, ein Flugverbot durchzusetzen. Ein Kommentar in der ZEIT hat das Dilemma zwischen "Nie wieder Irak" und "Nie wieder Ruanda" auf den Punkt gebracht:
"Das Herz drängt einen zum Eingreifen, der Verstand rät Zurückhaltung an. Jede Entscheidung wird verflochten sein in Tragik. Doch wird uns ein Maximum an Brutalität auf jeden Fall zu einem Minimum an Reaktion zwingen."
Die Entscheidung des Sicherheitsrates kam überraschend, da man von Russland und China ein Veto (und nicht die Enthaltung) erwartet hatte. Deutschland war darüber so verdattert, dass es sich auch gleich der Stimme enthielt. Die Freunde waren stinksauer, aber ein anderer hat uns gelobt: "Die Deutschen haben uns gegenüber eine sehr gute Position eingenommen", sagte Gaddafi dem Fernsehsender RTL. Ob Sie es mit Joschka Fischer halten, der in der Entscheidung Deutschlands einen "skandalösen Fehler" sieht, oder ob Sie Guido Westerwelles Besorgnis teilen, auf eine "schiefe Ebene" zu geraten, bleibt Ihnen überlassen. Was aber den Diktatoren dieser Welt zu denken geben sollte, ist die Tatsache, dass das Prinzip der "nationalen Souveränität" in völkermordverdächtigen Situationen zusehends hinter das Prinzip der "responsibility to protect" ("Schutzverantwortung") zurücktritt. Und wer weiß? Wenn sich die Welt (mehrheitlich) einmal darüber einig ist, dass es nie mehr zu einem Ruanda kommen darf, mag es gelingen, Instrumente zu entwickeln, die punktgenauer sind als Präzisionsbomben, um ein zweites Ruanda (oder Libyen) zu verhindern.
Die Welt wurde im März nicht nur mit Nachrichten aus Japan und Libyen überflutet, und Gaddafi war nicht der einzige, den wir gerne "zum Mond geschossen" hätten. Im Syrien Baschar al-Assads wurden Demonstranten wechselweise niedergeschossen oder mit Versprechen abgespeist. In Pakistan dem "Land der Reinen" ermordeten Islamisten Shahbaz Batti, den (christlichen) Minister für Minderheiten, der Änderungen am (wahrhaft gotteslästerlichen) Blasphemiegesetz gefordert hatte. In den USA stand ein "Kill Team" vor Gericht, das aus reiner Mordlust drei Zivilisten in Afghanistan umgebracht hatte, und Bradley Manning, der Tatverdächtige in der Wikileaksaffäre, wird unter Haftbedingungen festgehalten, die einem Knast in Nordkorea, von den Mahlzeiten einmal abgesehen, alle Ehre machen würden. Im Mai verbesserten sich (nach Protesten) seine Haftbedingungen. Jetzt darf er (vermutlich) des Nachts wenigstens seine Unterwäsche anbehalten.
Wenn's um Horrormeldungen geht, fordert natürlich auch der Nahe Osten seine Anteile ein, getreu dem Motto: "Wir sind schließlich auch noch da!" In einer jüdischen Siedlung im Westjordanland wurden fünf Mitglieder der Familie Fogel, das jüngste drei Monate alt, ermordet, im Gazastreifen fielen drei Jugendliche beim Fußballspiel dem Beschuss eines israelischen Panzers zum Opfer, in Jerusalem kam es seit sieben Jahren wieder zu einem Bombenanschlag, und in der Ukraine entführte der Geheimdienst Mossad einen Palästinenser aus dem Zug. Bei Alkoholikern sagt man, dass eine Therapie erst dann anschlägt, wenn der Leidensdruck stark genug ist. Das allerdings scheint bei vielen jungen Palästinensern der Fall zu sein, die auf einer Massendemonstration im Gazastreifen und im Westjordanland die Hamas und die Fatah aufforderten, sich sofort zu versöhnen.
Es ist höchste Zeit für leichtere Kost, und diese Kost kommt erneut aus Bayern. Die islamische Gemeinde Penzberg und ihr Imam Benjamin Idriz erscheinen weiter im Verfassungsschutzbericht des Freistaats, "obwohl keine neuen Erkenntnisse vorliegen". In Erding erhält Sebastian Frankenberger, der Initiator des Volksentscheids zum Nichtraucherschutz und Chef der ÖDP, Lokalverbot, vorgeblich aus Solidarität mit den in ihrer Existenz bedrohten Kleinkneipen. (Zur Ehrenrettung der Erdinger sei gesagt, dass die ÖDP "auf die Schnelle" eine andere Wirtschaft fand, und ein anderer Erdinger Wirt einen Monat später den Neonazis um Martin Wiese den Zutritt verwehrte.)
Mit großer Freundlichkeit hingegen, wenn auch nach strengen Sicherheitskontrollen, wurde Thilo Sarrazin (und Peter Gauweiler) in Holzkirchen empfangen zu einem Vortrag über "Deutschland und der Euro". Die anschließende Diskussion bezog sich dann "hauptsächlich auf Immigration" (Merkur), "kreiste wider Erwarten mehr um das Thema Finanzen als um die Immigrationsthesen aus seinem Buch" (Gelbes Blatt). Trotz der "imponierten Besucher im rappelvollen Saal" bleiben wir bei unserer Meinung, dass sein Buch viel Schaden angerichtet hat und sind eher stolz darauf, dass Max Fischer, der Sprecher der 15 Demonstranten, Mitglied unserer Gruppe ist. Im April ließ Sarrazin dann verlauten, dass er nicht vorhatte mit seinem Buch "Migranten zu diskriminieren". So geschehen bei der Anhörung zu seinem Parteiausschlussverfahren am Gründonnerstag. Hoffentlich hat man ihm da statt den Füßen den Kopf gewaschen.
Der Schluss dieses (viel zu) langen Monats aber sei einer tapferen jungen Frau gewidmet, die in der Männerwelt das Handtuch geschmissen hat. Marisol Valles, die mit 20 Jahren Mexikos jüngste Polizeichefin wurde, weil sie in ihrer Stadt die einzige war, die die Nachfolge es ermordeten Vorgängers antreten wollte, hielt den Morddrohungen der Drogenkartelle nicht mehr Stand und beantragte in Texas Asyl. Es wäre arg übertrieben zu sagen, dass sie damit vom Regen in die Traufe gekommen ist, aber wenn sie auf die Uni gehen möchte, sollte sie sich vorsehen. Texas bereitet nämlich ein Gesetz vor, das es Lehrern und Studenten erlaubt, auf dem Gelände Waffen zu tragen.
Der April war wettermäßig heuer eher ein Wonnemonat, zumindest bei uns, aber dennoch wollen wir den Rückblick so gestalten, dass wir seinem Ruf als meteorologischer Gemischtwarenhändler dahingehend gerecht werden, dass wir auch die politischen und sozialen Großereignisse in bunter Folge Revue passieren lassen, so als stünden sie in der Zeitung unter der Rubrik "Vermischtes".
In China wurde am 3. April der Aktionskünstler Ai Weiwei verhaftet, in München noch in lebendiger Erinnerung, weil bei seiner Ausstellung die Außenwand des "Hauses der Kunst" mit 6000 Schulranzen gepflastert war, die an die "Tofu-Schulen" erinnerten, deren Schüler im Erdbeben von Sichuan umgekommen waren. Seine Verhaftung führte auch in Deutschland zu lebhaften Kontroversen, zum einen, weil man dem Museumsdirektor von Dresden, Martin Roth, vorwarf, seine (angebliche) Äußerung "man solle die Hype um Weiwei nicht übertreiben, es gäbe auch noch andere politisch Verfolgte in China", sei "menschenverachtend", zum anderen aber auch, weil es für manche Feuilletonisten eine willkommene Gelegenheit war, Demonstranten ans (Stuhl)Bein zu bieseln. So kommentierte die Süddeutsche in einem bissigen Nebensatz eine Protestaktion vor dem chinesischen Konsulat in München: "Ansonsten ist eine Frühlingssonntagssitzung vor einem Konsulat nur Zwischenstation, bevor man vielleicht in den Biergarten weiterzieht." Und selbst wenn einige Demonstranten bei ihrer Aktion auch Durst bekommen haben, drucken wir (solidarisch) ihr Foto ab.
Vom Fernen Osten zurück in den Nahen. In Israel kommt Jubel auf, als Richard Goldstone, der einen kritischen Untersuchungsbericht zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg verfasst hatte, einige seiner Behauptungen relativieren musste. Insbesondere musste er die Anschuldigung zurücknehmen, die Armee hätte absichtlich Zivilisten getötet. Ob die 1400 getöteten Palästinenser aber ausschließlich Hamas-Kämpfer waren, sei einmal dahingestellt. Auch blieben andere Vorwürfe Goldstones, wie die gezielte Zerstörung der Infrastruktur und der Einsatz von weißem Phosphor, bestehen. "Barbarische Akte" sind allerdings auch von der Gegenseite zu vermelden. Der Italiener Vittorio Arrigoni, der auf seinen Blogs für die Palästinenser Sympathiewerbung betrieb, wurde von Salafisten, einer Gruppe, die sogar die Hamas noch als Schoßhündchen erscheinen lässt, grausam ermordet, weil Italien ein Land der Ungläubigen sei und seine Soldaten in muslimischen Ländern kämpfen. Der Merkur brachte die Meldung unter der Überschrift "Mord an einem Gutmenschen" und der Gutmensch hörte sich an wie "nützlicher Idiot". Auf jeglichen Kommentar aber verzichten wir bei der Schlagzeile, die es Ende des Monats auf die Titelseiten schaffte: "Palästinensische Versöhnung schockiert Israel."
Im Nachbarland Syrien werden weiterhin die Demonstranten beschossen, bevorzugt nach dem Freitagsgebet, weil sie einfach nicht zum Essen heimgehen wollen. In Libyen bricht Gaddafi nach jeder Nacht seine Zelte ab, weil die NATO gezielt (und in Überdehnung ihres ursprünglichen Mandats) auf Treibjagd geht, sehen sich die Rebellen Streubomben ausgesetzt, die von Spanien an Libyen geliefert worden waren, versuchen afrikanische Staatschefs durch Vermittlung einer Waffenruhe auf ihrem Kontinent wieder das Heft in die Hand zu bekommen. Zwischen Mohammed und Bruder Muammar ist noch nichts entschieden.
Was Misrata für Libyen ist, wird Lampedusa für Europa – ein Alptraum, aber dies vor allem für die Flüchtlinge. Wer von ihnen das rettende Ufer erreicht – und Hunderte saufen schon vorher ab – ist noch lange nicht gerettet, denn in Europa leben wir wieder in der "Zeit der Zäune", und das bis hinauf ins ferne Dänemark. In Deutschland suchen derweilen manche Branchen schon händeringend nach Arbeitskräften, aber für Realpolitiker führt kein Weg von Lampedusa auf den deutschen Arbeitsmarkt. "Flüchtlinge sind nicht kompatibel" und "Was tun mit ihnen in Krisenzeiten?" Jetzt werden auch wieder Vorschläge aus den Schubladen geholt, wie man die Verhältnisse in den Herkunftsländern verbessern kann, denn – so die Süddeutsche –
"solange europäische Butter in Marokko billiger ist als die einheimische, solange französisches Geflügel in Niger weniger kostet als das dortige, solange schwimmende Fischfabriken alles wegfangen was zappelt – so lange muss man sich über den Exodus aus Afrika nicht wundern."
Im April zu berichten wäre auch, dass in Stuttgart der erste Kriegsverbrecherprozess (nach Nürnberg 1945) auf deutschem Boden stattfindet. Angeklagt ist der ruandische Milizenführer Ignace Murwanashyaka, der jahrelang unbehelligt in Deutschland lebte und von seiner Wohnung in Mannheim aus per Telefon den Buschkrieg im Ostkongo steuern konnte. Der Fernsehjournalist Markus Frenzel schrieb über ihn und seinesgleichen ein für Deutschland wenig schmeichelhaftes Buch mit dem Titel: "Leichen im Keller – Wie Deutschland internationale Kriegsverbrecher unterstützt". In Argentinien dauert der Prozess der Gerechtigkeitsfindung noch etwas länger. Derzeit stehen in Buenos Aires die Generäle und Gefängnisaufseher vor Gericht, die für den Mord an Elisabeth Käsemann am 24. Mai 1977 verantwortlich waren. Auch in ihrem Fall zeichneten sich deutsche Politiker und Diplomaten durch aktives Wegschauen aus. Die Regierung von Kanzler Helmut Schmidt machte seinerzeit Rüstungsgeschäfte mit den Generälen, und der Botschafter Jörg Kastl soll gesagt haben: "Die Käsemann überquerte den Schießplatz und geriet in die Schusslinie, so einfach ist das." Ja, so einfach ist das!
Beenden wir unseren Monatsbericht wieder in Bayern, wo eine umstrittene Studie der Friedrich–Ebert-Stiftung den Freistaatlern im Vergleich zum Bundesdurchschnitt überhöhte Werte bei Überfremdungsangst, Antisemitismus, Verharmlosung des Nationalsozialismus unterstellt.
Und dann war da noch eine Ausgrabung in Tirol, die den "Blauen Kurfürsten" Max Emanuel, eine Ikone des bayrischen Patriotismus, in die Nähe des ruandischen Milizenführers rückt.
Der Monat begann mit zwei gezielten Kopfschüssen, die auch unserer krisengeschüttelten Kanzlerin wieder etwas Lebensfreude vermittelten. In Abbottbad/Nordpakistan erschossen amerikanische Elitesoldaten den Weltfeind Nummer 1, Osama Bin Laden. Die Kanzlerin hat sich "gefreut", wir waren eher erleichtert. Gefreut hätten wir uns, wenn es mit rechten (rechtmäßigen) Dingen zugegangen wäre, wie es beispielsweise die SZ in einem mutigen Artikel gefordert hat:
"Dennoch war es ein Fehler, Osama bin Laden … gezielt zu töten. Ihn festnehmen zu lassen, wäre für den Friedensnobelpreisträger Obama vielleicht ohne große Probleme möglich gewesen. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit hätte der Al-Qaida Chef dann einen ordentlichen Prozess und seine gerechte Strafe bekommen. Amerika hätte auf dem juristischen Weg Vergeltung üben können und wäre über allen Zweifel erhaben, es mit dem Völkerrecht nicht so genau zu nehmen."
Aber bei einem Prozess wäre womöglich die Frage aufgeworfen worden, woher die Amerikaner ihre Informationen hatten, und wahrscheinlich hätten sie sich nicht so leicht aus der Affäre ziehen können, wie der Leitartikler der Times, der da schrieb:
"Es gibt keine Beweise, dass die gute Arbeit der Nachrichtendienste das Ergebnis von geheimen Festnahmen, Misshandlung oder Folter war. Alles weist auf das Gegenteil hin."
Was alles auf das Gegenteil hinwies, sagte er nicht.
Da sich die Amerikaner in der Wahl der Mittel und Frau Merkel (etwas) in der Wahl der Worte vergriffen haben, erlauben auch wir uns, das Thema unseriös abzuschließen. In einem Internetbeitrag gab Bin Wachsam, Sicherheitsbeauftragter eines Betriebes, eine Warnung an alle Mitarbeiter heraus:
"In unserem Betrieb konnten bereits einige Terroristen identifiziert und gefasst werden. Es handelt sich dabei um die harmlosen Mitläufer Bin Da, Bin Spät, Bin Müde, Bin Kaffeetrinken, Bin Rauchen und Bin Essen. … Auch die äußerst gefährliche Terroristin Bin Schwanger konnte dingfest gemacht werden."
Nichts für ungut, aber sonst gab es in dem Monat auch nichts zu lachen. In Ägypten gerieten sich wieder Christen und Muslime in die Haare, in Mexiko tobte der Drogenkrieg munter weiter, im Mittelmeer ertranken von Mitte März bis Mitte Mai 800 Flüchtlinge und Assads Syrien bediente sich altbewährter Mittel, um die Proteste niederzuschlagen: Panzer gegen Zivilisten (Vorbild China), Folter in Fußballstadien (Vorbild Chile).
Kein Grund zum Lachen aber sehr wohl zur Freude war die Festnahme von Milorad Komadic. Sie kennen ihn nicht? Streichen Sie die ersten vier Buchstaben und manipulieren Sie etwas am Zunamen herum, dann ergibt sich Ratko Mladic. "Der Schlächter lebte auf einem Bauernhof", titelte der Merkur – ein Bauernhof übrigens, der nicht vom Getreideanbau lebte, sondern von Schweinezucht. Und Schweine in der Schweinezucht werden bekanntlich auch geschlachtet – wie die 8000 bosnischen Muslime in Srebrenica, die Mladic (mutmaßlich) auf dem Gewissen hat.
Der Brandstifter und der Biedermann
Mladic wurde übrigens zwei Tage vor dem 50. Geburtstag von Amnesty International festgenommen. Wir wurden zwar nicht gerade in Handschellen dem Haftrichter vorgeführt wie Mladic und Strauss-Kahn, aber der Kommentar, den die SZ unter der Überschrift "Vom Protestbrief zur Ersatzreligion" losließ, klang irgendwie anders als eine herkömmliche Geburtstagslobrede. Zwar war von einer "beispiellosen Erfolgsgeschichte" die Rede, aber dann las man von der Beliebigkeit der Themenwahl und vom "Gemischtwarenladen für Moral" und (ausführlicher als uns lieb war) von den Querelen in der Londoner Zentrale. Dass auch die deutsche Sektion von AI gefundenes Fressen für die Presse werden sollte, verlegen wir lieber in den Monat Juni.
Der Monat fiel Ihnen zu düster aus, wo doch ein 50. Geburtstag zu feiern gewesen wäre? In Miesbach wurde gefeiert – mit einem grandiosen Konzert der Band Hotline und dem Chor Rainbow Gospel Voices. "We shall overcome" Bin Laden, Mladic, Syrien, Mexiko – und (manchmal auch) Amnesty International.
Ein zorniger Zeitungsmann hat vor einigen Wochen einmal sinngemäß geschrieben, dass ihm "in diesem Jahr entschieden zu viel passiere". Wahrscheinlich hat er schon um seinen Jahresurlaub gezittert. Den hat er auch im Juni nicht antreten können, denn das annus horribilis ("das schreckliche Jahr") ging weiter wie gehabt. Aber immerhin – die Prophezeiung des US-Predigers Harold Camping, dass am 21. Mai die Welt untergegangen sei, hat sich, soweit wir das beurteilen können, nicht bewahrheitet. Wir werden auch in diesem Monat Dinge zusammentragen, die passiert sind, aber besser nicht passiert wären, aber auch solche, die uns befriedigt oder aufrichtig gefreut haben.
Im Mai haben wir geschrieben, dass wir auch "Amnesty International overcome(n)" werden. Etwa zeitgleich mit der Verhaftung von Ratko Mladic erreichte die deutschen AI-Mitglieder nämlich die Mitteilung, dass man die Generalsekretärin Monika Lüke wegen einer "grundlegenden Störung des Vertrauensverhältnisses von ihren Aufgaben freigestellt" hätte und eine endgültige Trennung ins Auge fassen würde. Uns hat diese Mitteilung aus heiterem Himmel erreicht, und ähnlich scheint es auch Frau Lüke ergangen zu sein, die der Freistellungsbescheid im Mutterschutz antraf. Die Jahresversammlung hat dann die Entscheidung des Vorstandes abgesegnet, aber da wir das Treffen wieder einmal geschwänzt haben, können wir nicht nachvollziehen, wie stichhaltig die Vorwürfe waren. Im Juni jedenfalls waren wir schockiert über die Desinformationsstrategie des Vorstandes.
Bleiben wir in Deutschland. Besser nicht passiert wären die Kriegsspiele der Kinder beim Offenen Tag der Gebirgsjäger in Bad Reichenhall. Besonders peinlich war, dass sie dabei auf ein Dorf namens "Klein-Mitrovica" zielten. Mitrovica liegt im Kosovo und war im 2. Weltkrieg im Kampf gegen Partisanen Schauplatz von Massakern an der Bevölkerung, an der Reichenhaller Gebirgsjäger beteiligt waren. Brigadegeneral Langenegger wies darauf hin, dass der Name gewählt wurde, weil Reichenhaller Soldaten dort im Kfor-Einsatz waren. Eine Verbindung zu den Pogromen des Weltkrieges bezeichnete er als "ungeheuren, ehrabschneidenden Vorwurf". Wir gehen davon aus, dass es in der Kaserne von Bad Reichenhall kein Internet gibt und nehmen ihm seine Deutung der Wahl des Ortsnamens einmal ab. Problematisch bleibt aber die Tatsache, dass Kinder und Jugendliche bei solchen Tagen mit echten Gewehren hantieren dürfen. Ob da schon der Voraussage unseres Verteidigungsministers de Maizière Rechnung getragen wird, dass "die Bundeswehr jetzt öfter mal raus muss".
Was Buben können, können wir auch, scheinen sich zwei Mädchen (14, 15 Jahre) in Zwiesel/Niederbayern gesagt zu haben, die via Facebook zu einer Schlägerei in den Stadtpark einluden und immerhin 100 neugierige "Schlachtenbummler" und die Polizei anlockten. Wir von AI sind ja strikt gegen Gewaltanwendung, aber wenn man die Blumen im Stadtpark mit ein paar Wasserwerfern (schwach dosiert) gegossen hätte, …
Nicht nur gezielt und gefacebooked, sondern scharf geschossen wurde weiterhin in Libyen und Syrien. Assad setzte Panzer, Elitesoldaten und (wahrscheinlich) auch iranische Milizionäre gegen Zivilisten ein und ließ (wahrscheinlich) 120 Polizeibeamte erschießen, die sich weigerten, auf die Opposition zu schießen. In Libyen wird Gaddafi jetzt nicht nur von den Flugzeugen der Nato, sondern auch vom Internationalen Strafgerichtshof gejagt. Der Chefankläger erließ einen Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Süddeutsche kommentierte ihn recht geringschätzig und nichtssagend (aber stilistisch ambitioniert) als Symbolhandlung für das "Wohlgefühl einer Wertegemeinschaft"; uns von AI jedoch käme es nicht ungelegen, wenn in Den Haag bald ein Doppelzimmer für diese beiden Herren freigemacht würde.
Was hat uns im Juni befriedigt und gefreut - aufrichtig oder mehr oder weniger? Da müssen wir zunächst nach China gehen. Soweit muss kommen! Nach zweieinhalb Monaten Haft wegen angeblicher Steuerhinterziehung wurde der Künstler Ai Weiwei freigelassen und einige Tage später erfolgte die Freilassung von Hu Jia. Er hatte eine dreieinhalbjährige Haftstrafe verbüßt, weil man ihm 2008 vorgeworfen hatte, die Olympischen Spiele in Peking zu stören. Da können die Garmischer Bauern aber von Glück reden, dass sie nicht in China leben. Hu Jia ist auch in Miesbach bekannt: Wir haben ihn vor drei Jahren bei der Eröffnung der (alternativen) Olympischen Spiele von Miesbach vorgestellt. Übrigens wurde er unmittelbar vor dem Besuch des Ministerpräsidenten Wen Jiabao in Berlin freigelassen, sodass Staatsminister Bernd Neumann allen Grund hatte, sich nachträglich auf die Schulter zu klopfen. Er hatte eine Woche zuvor im Falle Ai Weiweis dazu aufgerufen, "diesen barbarischen Akt immer wieder publik zu machen, da diktatorische Systeme die kritische Öffentlichkeit fürchten". Ob Wen Jiaboa unsere "kritische Öffentlichkeit" gefürchtet hat, oder eher um das 14-Milliarden-Geschäft besorgt war, sei einmal dahingestellt. Gespenstisch waren die Bilder, die die beiden Dissidenten in Freiheit zeigten. Man hatte ihnen Maulkörbe verpasst, die an die Wortkargheit der entlassenen KZ-Häftlinge des 3. Reiches erinnerten, wenn man sie (oft noch Jahre später) auf ihre Erlebnisse im Lager hin ansprach.
Abschließen aber möchten wir den Juni mit zwei Nachrichten, die auch in der Zeitung des ADAC stehen könnten. Die Teams der Formel 1 verzichteten auf eine Neuauflage des Rennens in Bahrain, allerdings weniger deswegen, weil man gegen das repressive Regime protestieren wollte, sondern weil man um den Rückgang der Werbeeinnahmen fürchtete. Lediglich Mark Webber hatte sich offen (d.h. aus politischen Gründen) gegen einen Start ausgesprochen. Wir wünschen ihm den Titel.
Ein Haus weiter, in Saudi-Arabien, dem Land, das voll damit beschäftigt ist, die Gegenrevolution zum Arabischen Frühling zu organisieren, droht höchste Gefahr aus den eigenen Reihen: die Frau am Steuer. Verzeihung für den Kalauer, liebe Leserinnen! In einer Internetbotschaft wurden die Frauen mit dem Appell: "Nehmt das Steuer. Fuß auf das Gaspedal", aufgefordert, gegen das geltende Fahrverbot zu protestieren. Sieben Frauen sollen unbehelligt durch Riad gefahren sein, die Organisatorin Amal al-Sharif allerdings landete für 10 Tage an einem Ort, wo sie nicht mehr Auto fahren konnte. Um entlassen zu werden, musste sie eine Erklärung unterschreiben, dass sie künftig ihre Solotouren unterlassen werde. Im Sudan, wo die Scharia noch strenger gehandhabt wird, hätte man ihr vielleicht ein Bein abgehackt.
Auch der Juli leistete seinen Beitrag zum "schrecklichen Jahr" 2011. Aus Somalia erreichten uns Bilder von verhungernden Kindern (und deren Müttern), die auch unsere vollen Mägen zum Knurren brachten, im friedlichen Norwegen brachte ein Attentäter mehr als 70 Menschen um und die Behauptung zu Fall, "dass alle Terroristen Muslime seien", und in einem Amnesty-Bericht zur Lage in Syrien wurde dokumentiert, dass Soldaten ihre Gefangenen dadurch zählten, dass sie ihnen brennende Zigaretten auf die Nacken drückten. Da braucht man über eine Antwort auf den Aphorismus von G.B. Shaw "Als Gott die Welt erschuf, sah er, dass alles gut war. Was würde er heute dazu sagen?" nicht lange nachzusinnen.
Gott sei Dank gibt es aber noch die Rubrik der nationalen "Katastrophen", die uns eine emotionale Halbzeitpause verschaffen. Die deutschen Fußballfrauen sind bei der Weltmeisterschaft schon im Viertelfinale ausgeschieden, gegen den späteren Weltmeister Japan, die den Erfolg heuer sicher nötiger haben als wir. Fußball ist ja eigentlich nicht unser Thema, aber im Iran – die Halbzeit ist schon wieder vorbei – ist der Sport ein Programmpunkt der Frauen in ihrem Kampf um die Gleichberechtigung. Sie dürfen jetzt zwar wieder spielen (vor weiblichem Publikum), aber nicht zuschauen (bei männlichen Akteuren), und sie müssen "islamisch korrekt" gekleidet auflaufen – mit Kopftuch und weiten Trainingsanzügen. Und dann sagt die FIFA, dass die Spielkleidung "keine politischen, religiösen oder persönlichen Botschaften" aufweisen darf und verbannt sie aus den großen Turnieren. Als ob die Damen mit dem "Hijab" nicht schon gestraft genug wären!
Aber jetzt halten Sie sich einmal fest! Da gibt es im Iran einen Mann namens Esfandiar Rahim Maschael. Der erklärte, dass der Hijab eine freiwillige Entscheidung der Frau sei und überdies forderte, das Verbot für Frauen, Fußballspiele im Stadium anzusehen, aufzuheben. Und jetzt halten Sie sich noch einmal fest! Der Mann ist kein Bannerträger der "Grünen Bewegung" sondern Freund und Berater von Staatschef Ahmadinedschad. Dass er als Freizeithistoriker auch noch herausgefunden hat, dass der Perserkönig Darius der Erfinder der Menschenrechte sei, weil er in seinem Testament dazu aufgerufen habe, "immer zu Gott zu beten und niemanden zu zwingen, deiner Religion zu folgen", ist zwar erfreulich, aber angesichts der Repression im Lande nicht überzeugend. Darius würde sich im Grabe umdrehen.
Abschließen wollen wir den Monat mit drei Einzelfällen: In Vietnam wurde einer der bekanntesten Demokratieaktivisten, der katholische Priester Thadeus Nguyen Van Ly, wieder festgenommen, nachdem man ihm ein Jahr Haftverschonung wegen eines Gehirntumors zugestanden hatte. Er ist ein Drehtürenhäftling und hat schon 15 Jahre hinter Gittern verbracht. Trotzdem hat man ihm noch nicht das Rückgrat gebrochen. Bei der letzten Gerichtsverhandlung musste man ihm den Mund zuhalten, weil er "Nieder mit dem Kommunismus" gerufen hatte.
Rais Bhuyian wurde 2001 bei einem Amoklauf in Dallas/USA schwer verletzt. Der Täter, Mark Stroman, hasste die Araber, schien sie aber nicht recht zu kennen, denn seine Opfer waren Asiaten. Stroman wurde zum Tode verurteilt. Man war schließlich in Texas. Bhuiyan startete - u.a. mit Amnesty -eine Internetkampagne für die Begnadigung des Täters. Er meinte, Stroman habe sich verändert und "könnte heute Positives zur Gesellschaft beitragen". Die Kampagne konnte Stromans Hinrichtung nicht verhindern. Dass er vor seinem Ende noch ein patriotisches Lied "Texas loud, Texas proud" zitierte, ist wohl schon der Wirkung der Giftspritze zuzuschreiben. In Virginia sitzt seit 25 Jahren die "deutsche Bestie" Jens Söring ein. Er wurde wegen eines Doppelmordes verurteilt und nur deswegen zu "zwei Mal lebenslänglich" begnadigt, weil er sich vor der Verhandlung nach London abgesetzt hatte und ihn die Amerikaner nur zurückbekamen, weil sie auf die Verhängung der Todesstrafe verzichteten. Inzwischen häufen sich, wie so oft, die Zweifel an seiner Schuld, aber am 24. Juli wurde auch sein 7. Gnadengesuch abgelehnt
"Arabellion" ist der Begriff, der inzwischen für die Ereignisse in Nordafrika und dem Nahen und Mittleren Osten verwendet wird, und diese Ereignisse überschlugen sich noch immer: In Kairo wurde Pharao Mubarak vor Gericht gestellt, während sich im Land die Fronten zwischen den (und innerhalb der) religiösen und nicht-religiösen Gruppen verhärteten; in Tripolis fiel die Festung Gaddafis und die Rebellen zielten triumphierend auf die goldene Maske des Diktators; nur in Syrien ließ Assad munter weiterschießen, mit Scharfschützen, Panzern und bei Bedarf auch von Kriegsschiffen aus.
Amnesty hatte, wie schon erwähnt, einen Bericht zur Lage in Syriens Gefängnissen veröffentlicht, wo schon mindestens 88 Demonstranten umgekommen sind und dabei oft Verletzungen aufwiesen, die man nicht beschreiben kann. "Die Todesfälle hinter Gittern erreichen riesige Proportionen und scheinen eine Ausweitung derselben brutalen Verachtung für das Leben zu sein, wie wir sie täglich auf den Straßen Syriens sehen." Leider wird auch dieser Bericht den UN-Sicherheitsrat nicht aufschrecken. Er konnte sich aus Erwägungen "knallharter Realpolitik" nicht einmal dazu durchringen, die Gewaltanwendung der Regierungstruppen zu verurteilen. Und als der türkische Außenminister Assad gegenüber eine "letzte Warnung" aussprach, soll der "knallhart" gekontert haben: "Wenn Sie wegen eines Kompromisses gekommen sind, lehnen wir ihn ab. Wenn Sie Krieg wollen, können Sie ihn haben – in der ganzen Region."
Bleiben wir beim Thema "Folter", aber gehen wir es zunächst unter der Rubrik "Kuriosa" an. Dem Kindsmörder Magnus Gäfgen wurde eine "billige Entschädigung" von 3000 Euro zugesprochen, weil er bei seiner Vernehmung mit Folter bedroht worden ist. Die Richter mögen im Einklang mit dem Buchstaben des Gesetzes – "Ausgleich für erlittenen Schaden" – ihr Urteil gesprochen haben, aber der Kommentar in der SZ meint zu Recht, dass Gäfgen bereits anderweitig (und ausreichend) "entschädigt" worden sei, nämlich durch die Schuldsprüche gegen zwei Ermittler und durch die Zurückweisung der Folterdrohung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Wir meinen dazu, dass es für diesen "Prozesshansel" höchste Zeit wäre, sich mit dem zu befassen, was er getan hat und nicht was ihm zugestoßen ist. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, der hessische Innenminister legte Berufung ein.
Dick Cheney, der ehemalige amerikanische Vizepräsident, wäre mit Gäfgen schon anders umgesprungen. Bei einer Androhung von Folter hätte er es nicht bewenden lassen; er hätte Gäfgen richtig reingetaucht. Befragt, ob er Waterboarding für angebracht hielte, meinte er, dass es eine Verhörmethode sei, die sich für Terroristen, aber nicht für amerikanische Staatsbürger eigne. Wer denkt da nicht an Orwells berühmten Satz aus "Die Farm der Tiere": "Alle Tiere sind gleich, aber manche Tiere sind gleicher als andere."
Vom Waterboarding zur Waschmaschine – mit diesem kühnen Sprung wollen wir den Monat August in Faschingsstimmung beenden. Eine Aussteigerinitiative für Neonazis schickte der thüringischen NPD 250 T-Hemden" (T-Shirts), die dann bei einem Rechtsrock-Konzert in Gera verteilt wurden. Dank eines geschickten Materialmixes veränderte sich der Aufdruck der T-Shirts nach dem ersten Waschgang. Schade, dass man die Köpfe nicht in die Waschmaschine stecken kann. Aber das wäre dann schon wieder Waterboarding!
Wie kann man einen bayrischen Jahresbericht im Monat September anders beginnen als mit einem Blick aufs Oktoberfest? Doch dieser Blick gab menschenrechtlich nicht viel her. Es landeten zwar wieder einige (hoffentlich leere) Maßkrüge auf den Köpfen von Tischnachbarn, die (beispielsweise) für die Rettung von Griechenland waren, aber das ist, bei allem Bedauern für die lädierten Köpfe, nicht AI-relevant. Wir müssen deshalb ins Rosenheimer Herbstfest ausweichen. Dort soll sich auf der Wiesenwache der Leiter der Polizeiinspektion einen 15-jährigen Buben, der in eine dubiose Schlägerei verwickelt war, persönlich "vorgenommen" haben. Der Merkur schrieb dazu lapidar: "Ist der 15-jährige Bub unversehrt in die Wache geführt worden und mit eingeschlagenen Zähnen wieder herausgekommen, ist die Polizei in großer Erklärungsnot." Diese Not wurde schließlich so groß, dass der Polizeichef vom Dienst suspendiert (und am Monatsende abgelöst wurde) und die Ermittlungen "auf Hochtouren" vorangetrieben werden. Das ist auch deshalb nötig, weil 14 Tage später Rosenheimer Polizeibeamte bei einer Hausdurchsuchung bei einer Familie so kräftig "hinlangten", dass die Notaufnahme des Klinikums Rosenheim wiederum Arbeit bekam. Der zweite Vorfall war mit Elementen angereichert, die ihm erst die richtige "Würze" verliehen: Eines der Opfer war selbst ein ehemaliger Polizist, die Fotos, die seine Frau vom Verhalten der beiden Beamten machten, wurden von denen gelöscht, konnten aber wiederhergestellt werden und die Staatsanwaltschaft Traunstein erhob Anklage – aber nicht gegen die beiden Ermittler, sondern gegen die Familie.
Im Landtag hatten die Vorfälle ein Nachspiel: Innenminister Herrmann erschien demonstrativ mit einem Polizei-Anstecker am Revers und verteidigte die Polizei so engagiert gegen die Kritik der Grünen, dass die betroffene Familie weinend die Besuchertribüne verließ. Einig waren sich die Parteien allerdings, dass Pauschalvorwürfe und Vorverurteilungen zu vermeiden und die Vorwürfe so schnell wie möglich aufzuklären seien. Amnesty fordert in einer laufenden Kampagne eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte, die es in einigen anderen Bundesländern schon gibt, und "unabhängige Kommissionen" wie in Großbritannien, die Übergriffe der Polizei untersuchen sollten. Die Vorfälle in Rosenheim gaben diesen Forderungen einen "Sitz im Leben". Nicht vergessen aber wollen wir an dieser Stelle den Polizisten, der einen Monat später in Augsburg erschossen wurde. Ihm und seiner Familie gilt unser tiefes Mitgefühl, und wenn bei seiner Trauerfeier der Innenminister mit einem Polizei-Anstecker erscheint, wird niemand etwas dagegen haben. Und der Fairness halber sollte man auch eine Statistik vom Jahresende erwähnen, wonach "die Zahl der Gewalttaten gegen (Polizei)Beamte dramatisch zunimmt".
In Bayern gibt es die Todesstrafe weder für prügelnde Polizisten noch für Polizistenmörder. Anders in Georgia/USA! Dort wurde, nach 20 Jahren in der Todeszelle, der mutmaßliche Polizistenmörder Troy Davis hingerichtet. Im Vorfeld hatte es weltweit Proteste gegeben, im Internet hatte man 700 000 Unterschriften für seine Begnadigung gesammelt, Papst Benedikt, Ex-Präsident Carter und Joan Baez hatten sich für ihn eingesetzt und während der Hinrichtung spielten sich vor dem Gebäude ergreifende Szenen ab. "Mutmaßlich" dürfte hier eher eine juristische Worthülse sein, denn es gab massive Zweifel an seiner Schuld: Es wurde nie eine Tatwaffe gefunden und sieben der neun Belastungszeugen haben inzwischen ihre Aussagen widerrufen. Unbeirrbar blieb, neben den Justizbehörden, nur die Tochter des Mordopfers. Sie glaubt, "die Todesstrafe sei die angemessene Form der Gerechtigkeit".
Wo immer Troy Davis jetzt ist, werden ihn zwei Meldungen eher zum Lachen bringen. In Texas soll die Henkersmahlzeit abgeschafft werden, weil sich ein Senator empört hatte, dass sich ein Todeskandidat ein opulentes Mahl bestellt und es dann nicht einmal angerührt hatte. Das erinnert ein wenig an unsere Kinderzeit: "Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Sonst … " Aber nach dem "sonst" kam nie eine Giftspritze! Auch die 2. Nachricht, die für etwas "Entspannung" beim Thema Todesstrafe sorgt, kam aus Texas. Unter dem makabren Titel "Nachhaltiges Brutzeln" berichtete die TAZ, dass der Bundesstaat für Hinrichtungen auf dem elektrischen Stuhl künftig Ökostrom verwenden würde. Sie meinen, Texas möchte ein Zeichen zur Rettung des Klimas setzen? Da liegen Sie falsch! "Wir müssen in der Hinrichtungs-Rushhour (!) unseren texanischen Haushalten eine solide Stromversorgung (mit konventioneller Energie) gewährleisten, während wir diese gottlosen Bastarde verdammt noch mal in die Hölle schicken", soll der Sprecher der Hinrichtungsbehörde gesagt haben.
Wahrhaft "gottlose Bastarde" sind die fünf Polen und Rumänen, die auf einem englischen Campingplatz Obdachlose aus England und Osteuropa über Jahre hinweg wie Sklaven gehalten haben. Sie mussten zum Teil in Hundezwingern schlafen, wurden zu unentgeltlicher Arbeit gezwungen und erhielten nur wenig zu essen. "Gottlose Bastarde", selbst wenn sie ihre Gebetszeiten einhalten, gibt es auch in den Reihen beider libyscher Bürgerkriegsparteien, denen ein Amnesty-Bericht massive Kriegsverbrechen vorhielt.
Genau so wenig wie der Krieg alle Mittel heiligt, tut es auch der Kampf gegen den Terrorismus. Da kam ein klares Wort von den katholischen Bischöfen in Deutschland, das auch in der Einleitung eines AI-Jahresberichts stehen könnte. Da hieß es,
"… freiheitliche und demokratische Staaten dürften sich nicht auf einen Wettlauf mit der Barbarei (der Terroristen) einlassen, gar Sondergesetze einführen oder das Folterverbot lockern. die Menschenrechte und die Menschenwürde stünden niemals unter einem Terroristenvorbehalt."
"Basta!" würde Ex-Kanzler Schröder sagen – wenn auch in einem anderen Zusammenhang.
Auch die letzte Meldung hat mit Terrorismus zu tun, aber auch mit zaghafter Versöhnung. Einer Israeli hatte ein palästinensischer Selbstmordattentäter 2002 "ihren Ehemann aus dem Leben gesprengt". Jetzt initiierte die Frau den Film "Nach der Stille" – über sich und der Familie des Attentäters. Die Dreharbeiten führten sie im April 2010 nach Dschenin/Westjordanland, zur Familie des Attentäters. Als einzige Bedingung hatte sie gestellt, dass das Bild des Attentäters abzuhängen sei. Dann aber "nahm sie die Hand seiner Mutter in ihre Hand und ließ sie nicht mehr los".
"Fröstelnd geht die Zeit spazieren …" Mit dieser Zeile fängt in Erich Kästners Gedichtsammlung "Die 13 Monate" der Oktober an. Und kalt es uns über den Rücken gelaufen, als man die letzten Fotos von Muammar al-Gaddafi sah, die wir Ihnen selbstredend ersparen wollen. Im Leben war er ein "Despot in Operetttenuniform", nach seinem Tod wischte man sich an seinem Kopf die Sohlen der Turnschuhe ab. So vergeht der Glanz der Welt!
Auch wenn sich unser Mitleid in Grenzen hält, ist AI gegen eine Problemlösung durch "gezielten Kopfschuss". Wir setzen auf den Rechtsweg, auch wenn er lange und beschwerlich ist. So wie in Argentinien, wo erst fast drei Jahrzehnte nach der Militärdiktatur deren Verbrechen geahndet werden. Im Oktober stand (mit anderen) Alfredo Astiz vor Gericht und erhielt lebenslänglich wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Astiz hatte sich mit seinen blonden Haaren und unschuldigen Augen als Bruder eines Dissidenten ausgegeben, um die Mütter der Plaza de Mayo auszuspionieren – und zu eliminieren. Eine der Gründerinnen der "Mütter", Azucena Villaflor, und zwei französische Nonnen starben auf den "Todesflügen", die Astiz und seine "Arbeitsgruppe" über Flüssen und dem Meer durchführten. Der "blonde Todesengel", wie er wegen seiner Brutalität genannt wurde, zeigte keinerlei Ansatz von Reue: "Ich habe die Verfassung erfüllt und im Kampf das Beste gegeben."
Neben dem Showdown in Libyen und dem Gerichtsverfahren in Argentinien gibt es aber auch noch einen dritten Ansatz zum Thema "Straffreihheit", einen Ansatz, der den Begriff ganz wörtlich nimmt. Er kommt aus Uruguay und von einem Mann, der in der Militärdiktatur viele Jahre im Gefängnis verbrachte. José Mujica, einst Guerillero, heute Staatspräsident, hält nichts von einer Aufarbeitung durch die Justiz – vom "gezielten Kopfschuss" allerdings noch weniger. Für ihn haben die Gerichtsverfahren nicht mit "Gerechtigkeit", sondern mit "Rache" zu tun, die obendrein auf Täter treffen, die unbelehrbar (und sehr alt) sind. Da fällt einem natürlich auch Deutschland ein, wo wir auch sehr lange/zu lange gebraucht haben, um Naziverbrecher vor Gericht zu stellen. Aber da gehören sie hin. Ob man sie mit 90 Jahren dann noch einsperren muss, ist eine andere Frage.
Zum Thema passend, aber weitgehend unbeachtet, verhallte die Forderung von AI, George W. Bush bei seinem Besuch in Kanada verhaften zu lassen. Immerhin hatte Bush genehmigt, Foltermethoden anzuwenden und Gefangene durch den CIA verschwinden zu lassen. Was fällt jetzt Ihnen dazu ein? Hat sich AI übernommen, war es "Effekthascherei", hängt man nur die Kleinen und die Großen lässt man laufen, wird ein Waffe stumpf, wenn man sie zu oft anwendet? So recht wissen wir es selber nicht, aber wir tun mal so, als sei der Fragenkatalog eine Aufforderung zum interaktiven Lesen.
Eine eindeutige Racheaktion und das im Rahmen einer Justizfarce spielte sich in der Ukraine ab. Julia Timoschenko, uns Altbayern sehr sympathisch, weil sie wie die Maria in unseren Weihnachtskrippen ausschaut, wurde wegen "Amtsmissbrauch" zu sieben Jahren Haft verurteilt. Sie soll von den Russen bei der Unterzeichnung eines Gas-Abkommens über den Tisch gezogen worden sein und habe dadurch dem Staat 140 Millionen Mehrkosten verursacht, aber geglaubt (oder glauben müssen) hat das nur der Richter. Nicht nur im Westen ist man der Meinung, dass sich Präsident Janukowitsch für die Wahlniederlage von 2004 rächen wollte. Ungleich Maria vor den hartherzigen Wirtsleuten, hat sich Frau Timoschenko aber vor Gericht nichts gefallen lassen. Sie hat bei der Urteilsverkündigung den Richter zweimal unterbrochen und einen Toast auf den "Ruhm der Ukraine" ausgebracht. Auf ihre kurzen Ansprachen waren weder der Richter noch die Bildregie vorbereitet gewesen.
Dazu (Gott sei Dank noch nicht passend) eine kurze Meldung aus dem Nachbarstaat Russland: "Vor fünf Jahren starb die Journalistin Anna Politkowskaja. Ihre Redaktion sucht immer noch nach dem Mörder." Aber wenn erst der Putin wieder Präsident ist, dann … !
Wir haben jetzt genug gefröstelt im sonnigen Oktober, wo doch selbst in Myanmar die Frostbeulen aufzubrechen scheinen. Lange Jahre zählte die dortige Militärdiktatur zu den Schurkenstaaten der 2. Reihe, d.h. politische Gegner wurden eingesperrt und nicht gleich zu Tode gehungert wie in Nordkoreas Straflagern. Seit einigen Monaten aber weht auch in diesem Land eine leichter "Wind des Wandels". Es gibt, zumindest formal, wieder eine Zivilregierung, man hat eine leibhaftige Menschenrechtskommission einberufen, die "Lady" Aung San Suu Kyi steht nicht mehr unter Hausarrest und wird voraussichtlich bei den Nachwahlen zum Parlament kandidieren und von den schätzungsweise 2100 politischen Gefangenen wurden jetzt etwa 220 freigelassen darunter auch Zarganar, der Chefkomiker des Landes. Die Zahl ist für AI allerdings "enttäuschend niedrig". Und wenn die amerikanische Außenministerin demnächst zu Besuch kommt, könnten auch die Sanktionen gelockert werden, die das Land in größere Abhängigkeit vom Nachbarn China getrieben haben. Ob Frau Clinton letzten Endes wegen Myanmar oder wegen China kommt, lassen wir einmal dahingestellt.
Anfang Dezember ist Frau Clinton tatsächlich eingeflogen, hat den Reformkurs des Präsidenten-Generals Thein Sein gelobt und der "Lady" ihre Aufwartung gemacht. Die wird sich über diesen Besuch aus Amerika sicher mehr gefreut haben, als über den des Amerikaners John Yettaw, der im Mai 2009 nächtlich und ungebeten zu ihr zum Fensterln geschwommen war und ihr eine Verlängerung des Hausarrests eingebracht hatte.
Aufgewärmt hat uns auch eine Nachricht aus Oslo. Der Friedensnobelpreis ging heuer an die richtigen Adressen: an Ellen Johnson-Sirleaf, die in Liberia nach einem blutigen Bürgerkrieg mit dem Motto "Die Männer haben unser Land zerstört, die Frauen bauen es wieder auf" als Präsidentschaftskandidatin antrat - und die Wahlen gewann; an Leymah Gboowee, die Christinnen und Muslima um sich scharte und mit Protesten und einem Sex-Streik (!) die Bürgerkriegsparteien in Liberia an den Verhandlungstisch zwang; und an Tawakkul Karman, die "Rebellin im Macho-Land" Jemen, die gewaltlos an den (schließlich erfolgreichen) Massenprotesten gegen Präsident Salih teilnahm und dafür sorgte, dass die protestierenden Frauen nicht von ihren männlichen Mitdemonstranten belästigt wurden.
PS.: Bei den Stichwahlen im November kam Frau Johnson-Sirleaf dann auf 90,8% der Stimmen. Ihr Hauptgegner hatte seine Kandidatur zurückgezogen. Die Frauen können weiterbauen.
Mit "Freude und Entsetzen" hat man in Israel die Freilassung von Gilad Schalit aufgenommen, der nach fünf Jahren Geiselhaft von der Hamas freigelassen worden war, im Austausch gegen 1027 Palästinenser, von denen 450 zu den "Sicherheitsgefangenen" zählten, die an Terrorakten beteiligt gewesen waren. Mit Jubel hat man in den Palästinensergebieten reagiert, auch wenn einige der Freigelassenen ins Exil mussten – wo sie aber wohl nicht lange bleiben werden.
Bei der Berichterstattung blieb einiges unterbelichtet. Für Schalit muss der militärische Gruß ein Akt der Selbstüberwindung gewesen sein, denn zu diesem "Preis" hätte man ihn schon eher zurückhaben können. Und weitgehend verschwiegen wurde auch, dass neben den Mordbuben und Mordmädchen wohl auch Leute freikamen, die unter dubiosen Gründen in "Verwaltungshaft" saßen und deshalb Ziel von AI-Aktionen waren. Aber wir freuen uns mit Schalit und seinen Eltern, deren Hartnäckigkeit zu diesem "Deal unter Feinden" beigetragen hat. Und wir freuen uns auch für die Familien der Palästinenser und hoffen, dass sie ihre Kinder nicht mehr als Selbstmordattentäter losschicken.
Da militante Palästinenser drohten, sich einen anderen Schalit zu holen und von neuem Raketen auf israelische Grenzstädte abfeuerten, und da Israels Luftwaffe zurückschlug und Netanjahu weitere 2000 Wohnungen in Ostjerusalem in Auftrag gegeben hat, gingen wir eher wieder "fröstelnd" in den Monat November.
Beim Rückblick auf den November ist uns schmerzlich aufgefallen, dass wir unserem Versprechen untreu geworden sind, einen "anderen Jahresrückblick" anzubieten. Wir haben die Ereignisse in den Vordergrund gestellt, die sowieso auf oder in der Nähe der Titelseiten zu finden waren. Im November wollen wir uns wieder stärker auf das Geschehen konzentrieren, das es nicht in die großen Schlagzeilen geschafft hat. Deshalb verzichten wir auf einen Bericht über die Eskalation in Syrien und hoffen nur, dass Baschar al-Assads Traum, wieder "eine Augenklinik zu leiten" bald in Erfüllung geht. Die Klinik muss ja nicht unbedingt in Syrien sein. Wir verzichten darauf, näher auf die "Runde 2 der Arabellion" einzugehen, die sich wieder auf dem Tahrir-Platz in Kairo abspielte. Und wir verzichten (schweren Herzens) auf einen bissigen Kommentar zum Prozess gegen drei Führer der Roten Khmer, die zwei Millionen Kambodschaner auf dem Gewissen haben, aber nicht gerade von Gewissensbissen geplagt sind, sondern von "Übergangsproblemen" auf dem Weg zum kommunistischen Paradies schwafeln.
Eher auf den hinteren Seiten der Zeitungen zu finden, war das Schicksal einiger Menschen, die Gefahr laufen, bald zu den "vergessenen Opfern" zu gehören , wenn sie mit der Entsorgung der Zeitung aus unserem Gedächtnis verschwinden – und nicht Objekt einer Briefaktion von Amnesty & Co. werden. In Thailand, dem "Land des Lächelns", wurde Ampon Tangnoppakul wegen Majestätsbeleidigung zu 20 Jahren Haft verurteilt. Er soll sich in vier SMS drohend und abfällig über die Königin und die Monarchie geäußert haben, stritt aber die Vorwürfe ab, u.a. mit der Begründung, er wisse gar nicht, wie man auf dem Handy Kurznachrichten schreibe. Über die Begründung kann man lächeln, über das Urteil nicht. Ebenfalls in den Bereich der "traurigen Farce" gehört das Urteil über den weißrussischen Dissidenten Ales Bjaljatski: Er wurde zu viereinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt, weil er über polnische und litauische Banken Steuern hinterzogen haben soll. In Wirklichkeit wollte er die Gelder seiner Menschenrechtsorganisation dem staatlichen Zugriff entziehen. In Brasilien wurde der Indioführer Nísio Gomes vor den Augen seines Stammes erschossen. Die Guarani waren von Viehzüchtern vertrieben worden, aber Anfang November auf ihr angestammtes Land zurückgekehrt. Man braucht nicht dreimal zu raten, wessen schmutzige Klauen in diesen Mord verwickelt waren.
Vom Mord zum Selbstmord, oder, genauer gesagt, zu einer Selbstmordserie, die von einer mörderischen Politik verursacht wird. Seit März erschüttert eine Selbstmordserie tibetischer Mönche die chinesische Provinz Sichuan. Wiederum genauer gesagt: "Erschüttert" sind die Tibeter und die Weltöffentlichkeit; die Chinesen sprechen von Separatismus und verurteilen die "Helfershelfer" zu hohen Gefängnisstrafen. Insgeheim werden sie froh sein, dass sich die Tibeter selbst dezimieren! Das bisher letzte "Opfer" war die Nonne Palden Choetso, und ihre letzten Worte "Lang lebe der Dalai Lama" werden die Löscharbeiten eher verzögert haben. Nach einigem Zögern – er wollte der chinesischen Propaganda nicht das Material liefern, ihn als "Fadenzieher" im Hintergrund anzuprangern - hat der Dalai Lama die Selbsttötungen verurteilt und die chinesische Politik für die Verzweiflung vieler Tibeter verantwortlich gemacht. Bisher hat es 12 Fälle von Selbstverbrennungen gegeben; fünf von ihnen scheinen schwer verletzt überlebt zu haben und sind seither verschwunden.
Ampon Tangnoppakul
Ales Bjaljatski
Nísio Gomes
Palden Choetso
Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil, auf China gehören die USA. Barack Obama mag ja auch nicht mehr die Lichtgestalt von 2009 sein, aber im Vergleich zu seinen republikanischen Herausforderern glänzt er immer noch wie ein Christbaum in Las Vegas. Dass zwei von den dämlicheren Kandidaten jetzt (vorläufig) aus dem Rennen sind, stimmt Amnesty eher frohgemut, denn was Michele Bachmann und Rick Perry zum Thema Menschenrechte abgesondert haben, ließ Böses ahnen. Frau Bachmann kündigte an, sie werde als Präsidentin das "Waterboarding" bei der Vernehmung von Terrorverdächtigen wieder einführen, und Gouverneur Perry/Texas erklärte stolz, dass es ihm keine Probleme bereite, für den Tod eines Unschuldigen verantwortlich zu sein und dass er noch keinen der 232 Todesstrafenkandidaten seiner Amtszeit begnadigt hätte. Da kann man (für ihn) nur hoffen, dass Gott beim Jüngsten Gericht mit ihm etwas barmherziger verfährt.
Gnadenlos ist in Deutschland die Zwickauer Dreierbande mit ihren 10 Opfern verfahren, von denen neun als "Dönermorde" in den Polizeiannalen verzeichnet waren. Wir beschränken uns auf einen Teilaspekt des Problems: die (mutmaßliche) "Einäugigkeit" der Verfassungsschützer.
Die Einäugigkeit und das Messen mit zweierlei Maß hat in Deutschland Geschichte. Dazu ein Auszug aus einem Aufsatz in der SZ:
"Der Mathematiker Emil Julius Gumbel zählt 1922 für die ersten vier Jahre der (Weimarer) Republik 354 politische Morde von rechts und 22 Morde von links. Demgegenüber stellt er die ausgesprochenen Strafen: Nach Morden der Linken gibt es 10 Hinrichtungen und für jede Tat im Schnitt 15 Jahre Haft. Ein rechter Mörder kommt im Schnitt mit vier Monaten Gefängnis davon."
Der Bundestag hat für die Opfer eine Schweigeminute eingelegt, aber auch im Landkreis Miesbach und der näheren Umgebung hat man betroffen auf die Umtriebe des braunen Sumpfes reagiert. In Holzkirchen hat man bei der Eröffnung der Ausstellung "Demokratie schützen – Gegen Extremismus in Deutschland" ausdrücklich auf das Mördertrio Bezug genommen und mit Bestürzung und Unverständnis darauf reagiert, dass es "jahrelang nicht gelungen ist, die Mörderbande zu fassen". Machtvoll sind Schüler- und Lehrerschaft in Grafing aufgetreten, wo Unbekannte Schulwände mit Parolen wie "Heil dem Führer" und "Tod den Moslems" beschmiert hatten.
Wenn man den zeitlichen Ablauf der Demo betrachtet – Unterrichtsstopp in der ersten Stunde, Protestmarsch in der Pause, Fortsetzung der Kundgebung im Pausenhof – wird man natürlich festhalten müssen, dass hier "wertvolle Unterrichtszeit" einbezogen wurde, aber "vergeudet" war sie sicher nicht. Hoffen wir nur, dass dem Schulleiter nichts passiert, nicht durch die Nazis – oder vom Ministerium. Über die Präsenz der rechtsradikalen Szene in Miesbach sind die Ansichten geteilt. Einerseits glaubt man, die "Kameradschaft" habe sich aufgelöst, andererseits gibt es Informationen, dass der Landkreis derzeit als "Ruheraum" diene. Aber auch als "Schläfer" wollen wir die Nazis nicht.
Abschließen wollen wir den Monat mit dem Kommentar eines Juraprofessors, der nicht Gnade vor Recht, sondern Recht vor Recht ergehen lässt. Als Antwort auf das absolute Bettelverbot in einigen bayerischen Großstädten, schreibt Max-Emanuel Geis:
Wenn ein Bettler unaufdringlich und lediglich durch das Aufhalten der Hände an Passanten appelliere, sei dies zu dulden und sogar grundrechtlich geschützt. Das stille Betteln sei 'kommunikativer Gemeingebrauch' (was immer das ist), und dafür sei der öffentliche Raum da."
Wenn man einige Schlagzeilen aus der "staaden Zeit" betrachtet, fällt einem spontan das bayrische Weihnachtslied "Als Maria durch den Dornwald ging" ein, denn mehr als dornig war der Weg, den manche Frauen in diesem Monat zu gehen hatten. In Saudi-Arabien wurde eine Frau wegen "Hexerei" hingerichtet, in Ägypten wurden Demonstrantinnen ausgezogen und an den Haaren über den Asphalt geschleift, was die SZ mit dem Leitartikel "Schlachtfeld Frau" kommentierte und zum Tag der Menschenrechte erschien im Merkur ein ganzseitiger Artikel unter dem Titel "Braut wider Willen", der all die scheußlichen Praktiken erwähnt, denen Mädchen und Frauen in so genannten "traditionellen Gesellschaften" heute noch ausgesetzt sind.
Das Lied geht aber noch weiter: Aus den Dornen schlagen Rosen aus. Endlich und für viele zu spät will Japan die "Trostfrauen"/Zwangsprostituierte aus Südkorea entschädigen, von denen noch 63 am Leben sind. Und "rosige" Frauennachrichten kamen auch aus einem Land, von dem man es nicht erwartet hätte: In Afghanistan wurde eine Frau freigelassen, die vergewaltigt worden war, was aber in Afghanistan unter "außerehelicher Geschlechtsverkehr" läuft. Was weniger "rosig" ist: Der Aufenthalt von Gulnaz muss geheim gehalten werden, und sie steht vor der Entscheidung, ihren Vergewaltiger (als Zweitfrau) zu heiraten, um in Sicherheit leben zu können. Auch die zweite Meldung kam aus Afghanistan, und auch hier waren die Rosen von Dornen umwuchert. Die Taliban wollen ihre Angriffe gegen staatliche, insbesondere Mädchenschulen aufgeben, um ihre Regierungsfähigkeit zu beweisen. Als Goethe das gelesen hat, soll er gesagt haben: "Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube."
Im Dezember kamen zwei Männer in die Schlagzeilen, die nur den Tod gemeinsam hatten. In Tschechien starb Václav Havel, der Aufrührer und sanfte/samtene Revolutionär, der in den 80er Jahren von AI als gewaltloser politischer Gefangener adoptiert worden war. Mit dem anderen Toten hätte sich AI auch gerne befasst, allerdings um ihn vor Gericht zu stellen. In Nordkorea starb Kim Jong Il, und wer bei den Trauerparaden die fetten Köpfe der Generäle und des Nachfolgers gesehen hat, fragt sich, ob das Land je eine Hungersnot erlebt hat. Weinen mögen hätte man nicht über Kim Jong Il, wohl aber über die Weinkrämpfe, die sein Trauerzug bei der Bevölkerung ausgelöst hat. Und weil wir schon beim Sterben sind, eine Meldung aus den USA: Bei Mumia Abu-Jamal, "Symbolfigur für Gegner der Todesstrafe in den USA" hat man das Todesurteil (30 Jahre nach der Tat) in eine lebenslange Haft ohne Möglichkeit auf vorzeitige Entlassung umgewandelt. Die Begründung: Da es Zweifel an der Fairness des 1. Verfahrens gibt, sei entweder ein neues Verfahren anzusetzen oder das Todesurteil umzuwandeln. Müßig hinzuzufügen, dass es von Anfang an auch Zweifel an seiner Täterschaft gab. Ob die Weigerung der EU, in Zukunft kein Thiopental-Natrium für die amerikanischen Giftspritzen zu liefern, eine Rolle gespielt hat, ist eher unwahrscheinlich aber trotzdem zu begrüßen.
Aus der engeren Heimat wäre natürlich noch zu berichten, dass es am Gymnasium Grafing eine Bombendrohung gegeben hat, die weder von Islamisten noch von Antifa-Gruppen gekommen sein dürfte und dass auch ein SPD-Ortsverband im Schlierachtal auf den Listen des Zwickauer Trios stand.
Abschließen aber möchten wir mit einem Ausflug zu den Fundis in Israel, zum einen weil "Bethlehem im Lande Juda" als Schauplatz der Weihnachtsgeschichte geführt wird, zum anderen, weil wir damit den Kreis zu den Frauen im Dezember schließen können. Auch in nicht-traditionellen Gesellschaften haben Frauen ihre Probleme. Orthodoxe Juden fordern Geschlechtertrennung in der Öffentlichkeit: Frauen sollen sich beispielsweise in Supermärkten in einer getrennten Schlange an der Kasse anstellen und in Bussen und Straßenbahnen hinten sitzen. Da konnte es nicht lange dauern, dass auch Israel seine Rosa Parks hatte, die Frau, die 1955 in Montgomery/Alabama den Stein gegen die Rassenschranken in den USA ins Rollen brachte. Die Israeli heißt Tanya Rosenblit, und auch sie weigerte sich, ihren Sitzplatz hinter dem Fahrer aufzugeben. Zuerst hat man sie nur als "Shikse" bezeichnet, aber seit Januar 2012 erhält sie Morddrohungen, u.a. über Facebook. Dazu sind die Orthos offensichtlich nicht zu dumm. Tanya aber wünschen wir "Gute Fahrt!"
In einer fiktiven Talkshow mit Altkanzler Helmut Schmidt ließ dieser verlauten, das "das ganze Jahr 2011 katastrophal gescheitert sei". Wenn man die Weltläufe und Schicksalsschläge unseres "anderen Jahresrückblicks" betrachtet, kommt einem der Ausspruch gar nicht mehr so fiktiv vor. Es ist tatsächlich viel passiert, was besser nicht passiert wäre. Und deshalb ist es nicht verwunderlich, dass auch bei uns die Schrift "Empört Euch" des Franzosen (und gebürtigen Deutschen) Stéphane Hessel zum Bestseller geworden ist. Und was tat Amnesty in diesem "schrecklichen Jahr"? Feierte seinen 50. Geburtstag. Ja, warum eigentlich nicht? Auch Hessel hat sein zweites Büchlein nicht "Legt Euch schlafen" betitelt, sondern "Engagiert Euch". Das haben auch wir getan – als AI-Gruppe im Landkreis Miesbach.
Dabei sind wir aber weniger als "Benefizer in Abendgarderobe" sondern eher als "Hausierer in Alltagskleidung" aufgetreten, aber in dieser Rolle hat man von uns durchaus Notiz genommen – zumindest hierzulande. Wie stark unsere Briefe, Postkarten, Unterschriften dortzulande "eingeschlagen" haben, also in den Ländern, die Anlass für unsere Aktionen waren, entzieht sich weitgehend unserer Kenntnis. Da können wir nur darauf hoffen, dass "auf dieser Welt nichts vergebens ist, was die Bürde eines anderen leichter zu machen versucht". (Helen Keller)
Am 22. Februar 1943 wurden Sophie und Hans Scholl, Mitglied und Gründer der "Weißen Rose", hingerichtet. Im Film verlor Sophie nur einmal ihre Fassung, als man ihr sagte, dass ihr nicht einmal die gesetzlich vorgeschriebene Gnadenfrist von 99 Tagen gewährt wurde, sondern dass das Urteil noch am gleichen Tag vollstreckt werden sollte. Daran wurde man erinnert, als wir im Januar zu einer Briefaktion an den Präsidenten von Äquatorialguinea aufgefordert wurden. Unsere Aktion kam mit fünf Monaten Verspätung, ganz im Gegensatz zu einer Hinrichtungsserie vom August 2010, wo vier Gefangene, die man zuvor aus dem Nachbarland Benin entführt hatte, innerhalb einer Stunde nach Urteilsverkündung mit "atemberaubender Geschwindigkeit" exekutiert wurden. Es erübrigt sich fast zu erwähnen, dass alle Ingredienzen willkürlicher Gerichtsverfahren vorhanden waren: Geheimhaltung, Folter, erzwungene Geständnisse, dünne Beweislage, Militärgericht, befangene Pflichtverteidiger, Verweigerung einer Berufungsmöglichkeit, Begräbnis um Mitternacht ohne Einbeziehung der Familie. Präsident Teodoro Obiang Nguema hat auf unsere Briefe nicht reagiert. War wahrscheinlich damit beschäftigt, sein Geld zu zählen. Er soll zu den reichsten Staatsoberhäuptern der Welt gehören.
Obwohl er 34 Seiten hatte, wurde unser letztjähriger Tätigkeitsbericht auch gelesen – Tendenz eher steigend, was Seitenzahl und Leserzahl gleichermaßen anbelangt. Besonders gefreut hat uns die Karte des Ex-Schulleiters des Gymnasiums Miesbach, weil dort vor 39 Jahren die AI-Gruppe "ausgebrütet" wurde. Er bescheinigt uns darin "ein bewundernswertes Ausmaß an Vielfalt und Engagement hinsichtlich Intensität und friedfertiger Hartnäckigkeit". Da ist uns vielleicht der Kamm geschwollen!
Zwei Mitglieder unserer Gruppe sind damit ausgelastet, die Eilaktionen zu tätigen, die uns bei drohenden Hinrichtungen, unmenschlichen Haftbedingungen, Folter oder Morddrohungen zugeteilt werden. Im Februar ging es um eine Morddrohung gegen Marcelino Coache, einem Gewerkschaftler und Menschenrechtler aus der Provinz Oaxaca/Mexiko. Sein Sohn wurde auf dem Schulweg belästigt und erhielt eindeutige SMS: "Wegen deines Dreckskerls (von Vater) wirst du sterben." Obwohl in Mexiko derzeit der Teufel los ist, (wenn es denn einen gäbe), erhielten wir eine Antwort von der Menschenrechtsbeauftragten der Provinzregierung. Sie versprach uns darin, die Unversehrtheit der Coaches zu gewährleisten und reicherte ihr Schreiben mit einer Unzahl an Verfassungsartikeln und Gesetzesparagraphen an, die sie zu dieser Gewährleistung verpflichten. Wie gesagt, das Land ist derzeit vom Teufel besessen, aber es ist eines der ganz wenigen Länder, die auf AI-Appelle reagieren. Schon deswegen verdient es, dass der Spuk in Gestalt des Drogenkrieges bald ein Ende findet.
Natürlich ist sexuelle Gewalt generell abzulehnen. Aber in Nicaragua hat das Problem seinen eigenen (Brech)Reiz. Zum einen sind die Opfer der Vergewaltigungen extrem jung - in fast der Hälfte der angezeigten Fälle (9700 zwischen 1998 und 2008) waren die Mädchen 14 Jahre oder jünger. Zum anderen "behandeln die Behörden diese Menschenrechtsverletzungen noch immer nicht mit der Dringlichkeit, die erforderlich ist". Vorsichtig formuliert! Im Klartext: Es ist ihnen ziemlich Wurscht. Hinzukommt, dass Nicaragua 2008 alle Formen von Abtreibung kriminalisiert hat. Auch Mädchen, die durch eine Vergewaltigung schwanger wurden, haben keine legale Möglichkeit, die Schwangerschaft zu beenden.
Und da auf dieser Karte auch die Forderung stand, das Gesetz von 2008 abzuschaffen, hatten wir auch in Miesbach ein Problem. Von der Vorsitzenden einer Frauengruppe hörten wir: "Ich selber hätte kein Problem, die Karte abzuschicken, wohl aber unsere älteren Mitglieder." Und auf den Weltgebetstag der Frauen haben wir uns gar nicht hingetraut, was, aus der Rückschau, als "Feigheit vor dem Freund" zu werten ist. AI fordert kein Recht auf Abtreibung, aber in einer solchen Situation sollte sie nicht bestraft werden.
Umso mehr hat uns gefreut, dass an einem Ort, wo sich Frauen treffen, die "Ja" zu einem Kind gesagt haben (Hebammenpraxis), unsere Karten wie warme Semmeln weggingen. Unterstützung kam auch von den Grünen, und so wurden wir immerhin 25 Karten los und sammelten 100 Unterschriften. Am 28. September gingen dann die Frauen in Lateinamerika und der Karibik auf die Straße: Sie forderten ein Ende sexueller Gewalt und die "Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs".
Verstörend ist das Ergebnis einer Umfrage der Uni Münster, "dass die Deutschen gegenüber Muslimen und Juden deutlich intoleranter sind als andere Europäer … und nur 24% der Befragten Moscheen akzeptabel fänden". (Den 76% müsste man einmal die Moschee in Miesbach zeigen!) Umso mehr zu begrüßen war deshalb eine Initiative verschiedener Gruppierungen, das Thema "Integration" zum Schwerpunktthema eines ganzen Halbjahres zu machen. Für uns war es eine Ehre, beim Festabend unsere persönliche Wunschliste vorstellen zu dürfen, "deren Beachtung die Begegnung zwischen der deutschen Urbevölkerung, die man besser als Völkerwanderungsmigranten bezeichnen sollte, und den neuen Zuwanderern erleichtern könnte". Am Tonfall der Einleitung merken Sie schon, dass wir das Thema ernsthaft aber nicht tierisch ernst angegangen haben.
Hier noch zwei Kostproben: "Ich wünsche mir, dass die Redefolge 'Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aaaber …' aus unserem Sprachschatz verschwindet." Und: "Ich wünsche mir, dass in der Bayerischen Verfassung verankert wird, dass nach jedem Türken-, Polen und Ossiwitz auch ein Witz über Bayern erzählt werden muss."
Nachzutragen (für die Uni Münster) wäre vielleicht noch, dass bei diesem Festabend 50 Besucher kamen, während Thilo Sarrazin (und Peter Gauweiler) zwei Tage zuvor in Holzkirchen 400 Besucher angelockt hatten – vorgeblich zum Thema "Deutschland und der Euro".
Um es gleich vorwegzunehmen: eines der Glanzlichter unseres Jubiläumsjahres. Unser Beitrag war dabei eher "minimalinvasiv". Wir trommelten unsere bewährten Mitveranstalter zusammen (Frauenforum, Katholisches Bildungswerk, Volkshochschule), entwarfen ein attraktives Plakat,
legten Postkarten und Infomaterial aus und hielten den Referenten fünf kostbare Minuten von seinem Publikum fern, weil wir das Thema nutzten, um noch einmal an eine starke Frau im Kongo, Justine Masika Bihamba, zu erinnern, deren Fall wir im Dezember 2010 (einigermaßen) erfolgreich abschließen konnten.
Mit Dr. Roland Götz, dem Leiter der Bibliothek des Erzbistums, hatten wir einen hochkarätigen Referenten gewonnen, der vor 45 Besuchern, darunter auch einige "starke Männer", einen fundierten, anschaulichen und (überraschend) humorvollen Vortrag über zartbittere Frauenschicksale in widrigen Zeiten hielt. Da waren Frauen, wo der Kinderreichtum zur Last wurde, die der Hexerei bezichtigt wurden, denen man die Exkommunikation androhte und die gegen die Abhängung der Schulkreuze in der Nazizeit protestierten. Frauen also, die tapfer ihr Leid ertrugen, Bosheit, Dummheit und Engstirnigkeit erfuhren, Zivilcourage zeigten und Güte ausstrahlten – im Grunde genommen, lauter AI-Themen. Wenn Herr Götz seinen Vortrag gesungen hätte, hätten wir "Zugaben" verlangt.
Obwohl die Formulierung "… im Oberland" auch auf ein indigenes Volk Bezug nahm, wurden wir am Infoabend nur sieben Postkarten los. Die Aktion richtete sich an/gegen fünf Regierungen in den Anden und im Amazonasgebiet, wo die Rechte und Lebensgrundlagen indigener Völker von Politik und Wirtschaft bedroht sind. Aus der Gegenperspektive (von Politik und Wirtschaft) klingt das so: "Sie leben halt zur falschen Zeit am falschen Ort."
Gerne haben wir wieder der Einladung Folge geleistet, beim Infotag der Firmlinge zu erscheinen und aus unserer Sicht über Nächstenliebe und Engagement zu reden. Wir sind mit der geballten Kraft von Jugend und Erfahrung aufgetreten und haben ihnen begreiflich zu machen versucht, dass Nächstenliebe zwar in der näheren Umgebung beginnt, aber ein Engagement in einer weltweit agierenden Menschenrechtsorganisation nicht ausschließt. Auch gehöre zur Nächstenliebe, dass man seinen Egoismus durchbricht, dass man mit offenen Augen durchs Leben gehe und bei Missständen nicht wegschaue, sondern sich für bedrohte Mitmenschen einsetze. Die Firmlinge waren interessiert, hatten aber einige Probleme, "mit offenen Augen" durch das Treffen zu kommen. Wir waren an diesem Tag schon der vierte Interviewpartner und es "rauchten ihnen schon die Köpfe". Da war es gut, dass wir ihre Fragen zusammen mit der Feuerwehr beantworten durften. Das Treffen hatte übrigens ein handfestes Ergebnis. Es ist zwar nicht so, dass die drei Firmlinge heute AI-Mitglieder sind, aber immerhin können wir jetzt unsere Monatsbriefe im Gemeindeboten ankündigen.
Nur zwei Tage später waren wir dann noch einmal an der Reihe, interviewt zu werden. Radio Alpenwelle strahlte im Jahr des Ehrenamtes die Sendung "Von Menschen für Menschen" aus, und diesmal war keine Feuerwehr zur Verstärkung da. Die Redakteurin hatte uns einen umfangreichen Fragenkatalog zugeschickt, auf den wir uns vorbereiten konnten (oder auch nicht!) und den wir mit Hilfe unserer Notizen abzuackern gedachten. Denkste! Die Redakteurin wollte uns nämlich nicht textgebunden sondern spontan, lässig nicht verkrampft, zielstrebig nicht weitschweifig. Wir waren eher andersrum. Und bei Fragen wie "Wie schaute die Welt aus, wenn es AI nicht gäbe?" dauerte es einige Zeit, bis uns was Gescheites einfiel.
Am nächsten Tag versuchte ich, mit einem Mail an die Redakteurin den Schaden zu begrenzen. "Ich möchte Ihnen nicht verhehlen, dass bei mir eine gewisse Katerstimmung herrscht, weil ich das dumpfe Gefühl habe, dass das, was wir tun, nicht so richtig rüberkam. … Gut gemeint heißt halt nicht immer gut gelaufen."
Dann kam die Sendung und uns tropften die Augen. Wir kamen viel besser weg, als wir uns verkauft zu haben glaubten. Es gab keine "Ähs" und kaum Versprecher, die Redakteurin hatte zusätzliche Recherchen angestellt und präsentierte die Sendung mit einem überaus wohlwollenden Unterton. Unsere Gruppenmitglieder spendeten uns Beifall und am Ende glaubten wir selber, dass wir tolle Talker waren.
In dieser Hochstimmung begingen wir auch den 50. Geburtstag von Amnesty International. Wir hatten dazu die Rainbow Gospel Voices (Leitung: Andrea Wehrmann) und die Band Hotline gebeten und beide Gruppen machten ihrem Namen alle Ehre. Die Band Hotline heizte den 200 Besuchern tüchtig ein und bei den Rainbow Gospel Voices fanden sich bei ihrem Streifzug durch die weite Welt der Musik (Gospels und Spirituals, Lieder von Leonard Cohen und Michael Jackson, Ausflüge nach Israel und Afrika) die Schätze nicht nur an den beiden Enden des Regenbogens, sondern auf seiner ganzen Breite. Virtuose Musiker, eine dynamische Dirigentin, ein begeistertes Publikum – "Sing with us."
Von der zweiten Reihe aus haben wir auch als AI-Gruppe unseren Beitrag geleistet. Wir haben eine kleine Ausstellung über 50 Jahre AI aufgebaut, Infomaterial und Briefe nach Frankreich verteilt, mit einer Rede über Geschichte, Arbeitsweise, Erfolge und Probleme der Organisation das Konzert unterbrochen und in der Pause zu einem "Toast auf die Freiheit" eingeladen. Der Toast war kostenlos, aber das Publikum erwies sich als ausgesprochen freigiebig. Das Infomaterial landete zur Hälfte auf dem Boden, aber nach Frankreich gingen immerhin 14 Briefe weg. – "Michael, row the boat ashore."
Wir haben zu danken der Schulleitung des Gymnasiums, die uns den Saal wieder kostenlos zur Verfügung stellte, den Technikern aus Schüler- und Lehrerschaft und v.a. den Musikern und Chormitgliedern, die einen Abend gestalteten, der, man kann es nicht darunter sagen, in die Annalen der AI-Gruppe im Landkreis eingehen wird. – "O happy day."
In prophetischer Voraussicht kündigten wir unseren diesjährigen Infostand in der Zeitung wie folgt an: "Nach der Feier des 50. Geburtstages … und dem fulminanten Konzert … begibt sich die AI-Landkreisgruppe wieder in die Niederungen der Alltagsarbeit zurück." Das mit den "Niederungen" hätten wir gern symbolisch gemeint, aber der Verlauf des Infostandes führte dazu, dass der Begriff eher wörtlich zu nehmen war. Jedenfalls hatten wir mehr mit dem Wind zu kämpfen als mit dem Ansturm des Publikums.
Ausgelegt hatten wir Briefe nach Frankreich, wo der (dunkelhäutige) Franzose Lamba Soukouna von der Polizei mehr als unsanft behandelt worden war, Unterschriftslisten, mit denen gegen Folter in Ägypten protestiert werden sollte und Postkarten in den Iran, wo immer noch Menschen gesteinigt werden – und das wegen Vergehen (Ehebruch), die im Westen nicht gerade hoffähig sind, aber doch nicht vor den Richter kommen – höchstens vor den Scheidungsrichter. Dazu hatten wir Dinge in die Stadtlandschaft gelegt, die zwar wie Gebrauchsgegenstände aussahen (Kabelbinder, Steine, Stricke, ein Eimer mit Wasser), in anderen Ländern aber als Folterwerkzeuge Verwendung finden. Zum Einsatz sind sie bei uns nicht gekommen, aber gespielt haben wir schon mit dem Gedanken, denn ein Autofahrer hatte sein Fahrzeug stundenlang im Halteverbot geparkt und die Sicht auf unseren Stand verdeckt.
Nachzutragen ist der Fall von Sakineh Ashtiani, die im Juli 2010 abwechselnd zum Tod durch den Strang und zur Steinigung verurteilt worden war und die wir schon im Tätigkeitsbericht von 2010 erwähnt hatten. Nach weltweiten Protesten legte man das Urteil auf Eis, aber rechtzeitig zur (westlichen) Weihnachtszeit spricht man wieder vom Galgen, und das obwohl sie im Januar 2011 bereits zu einer 10-jährigen Haftstrafe "begnadigt" worden war.
AI hatte 2010 im Rahmen der Kampagne "Mit Recht gegen Armut" gegen Zwangsvertreibungen und Wohnbedingen von Roma in Rumänien protestiert. Wir wollten dabei die Bürgermeister(innen) des Landkreises einspannen, haben uns aber eine Abfuhr geholt. Der Bürgermeister von Cluj-Napoca hat uns wenigstens geantwortet und auf knapp fünf Seiten dargelegt, dass es sich bei der Zwangsräumung um eine wohlwollende Umsiedlungsaktion gehandelt habe. Aber auch die neue Romasiedlung sollte demoliert werden, da die Eisenbahngesellschaft Ansprüche auf das Grundstück anmeldete. Im Oktober 2011 entschied dann das örtliche Gericht – gegen die Eisenbahngesellschaft. Auch aus Miercurea-Cinc, wo die Roma neben einer Kläranlage hausen, gibt es erfreuliche Signale: der Stadtrat entschied im Oktober über ein Projekt zur Verbesserung der Wohnbedingungen, die Roma "wünschen sich angesichts der möglichen neuen Entwicklung weniger öffentliche Aufmerksamkeit".
Gerne sind wir wieder dieser Einladung gefolgt, denn die Krankenpflegeschule gehört mit Abstand zu unseren treuesten Kunden. In der Einführung stellten wir einige Konfliktfelder zwischen Heil-/Pflegeberufen und Menschenrechten dar, u.a. die Mitwirkung von Ärzten bei Hinrichtungen oder "verschärften Befragungen". Im weiteren Verlauf haben wir wieder den Film über Säureopfer in Bangladesch gezeigt. Er ist zwar jetzt schon 10 Jahre alt, stellt aber eindrucksvoll die Behandlung der Opfer in den Mittelpunkt und geht damit (in Extremform) auf die zukünftige Tätigkeit unserer Zielgruppe ein. Auch kann man, wenn man den Film weiter erzählt, demonstrieren, dass sich Engagement "auszahlt": Die Zahl der Säureopfer soll durch die Arbeit von Monira Rahman und ihrer Organisation "Stiftung der Überlebenden von Säureattentaten" zurückgegangen sein (die Statistik ist widersprüchlich), und einigen Tätern hat man sogar den Prozess gemacht. Auf die Frage, wie das Mädchen, das in ihr Dorf zurückkehrt, mit den Männern weiterleben soll, die sie verunstaltet haben, hatten wir allerdings auch keine Antwort. Im letzten Teil bewegten wir uns dann punktgenau im Erfahrungsfeld der angehenden Schwestern und Pfleger: Fallbeispiele aus Krankenhaus und Altenheim, wo Menschenrechte mit der Wirklichkeit kollidieren. Im Gedächtnis blieb uns die Aufforderung einer Pflegedienstleiterin: "Gebt den alten Leuten am Hl. Abend je zwei Gläser Glühwein. Dann schlafen sie durch."
So richtig kamen wir diesmal nicht ins Gespräch und auch die Ausbeute bei Unterschriften, Postkarten und Infomaterial war eher bescheiden. Dafür wurde in Manuskripten gefummelt und sich mit Nachbarn ausgetauscht. Am Ende erfuhren wir, dass nach unserem Gastspiel eine Schulaufgabe zum Thema "Herz" anstand, und beim Herzen war auch ihr Kopf. Dafür hatten wir volles Verständnis. Der lautstarke Schlussapplaus galt jedenfalls nicht nur unserem Auftritt, sondern auch unserem Abtritt. Aber im nächsten Jahr sind wir schon wieder eingeladen.
Mit der Annonce in der diesjährigen Abiturzeitung betraten wir Neuland. Nun, so neu war das Land auch wieder nicht, denn an dieser Schule hatte in Miesbach alles begonnen – wie gesagt, vor 39 Jahren.
Zum 50. Geburtstag hatte die Zentrale ein hervorragendes Sonderheft herausgebracht, die Ausstellung aber war Schrott. Wir mussten sie uns weitgehend selber basteln, brachten aber immerhin acht Stellwände zusammen, deren Betrachtung und Lektüre mehrere Besuche erforderlich gemacht hätten.
Hier die Themen:
Zur Eröffnung hatten wir den Chor "Dissonanzen" (Leitung: Hans Peljak) eingeladen, dessen Namen zu unserer Ausstellung passte, dessen Lieder aber, mit Perfektion und Einfühlungsvermögen vorgetragen, die ernste Grundstimmung des Abends mittrugen, aber auch wohltuend aufhellten. Sie fanden für das Publikum "die richtigen Worte", "ließen ihre Trauer mit uns gehen" und forderten uns auf, "uns nicht zu fürchten" und, wie weiland Moses, dem Pharao die Faust unter die Nase zu halten. Unterbrochen haben wir die Lieder durch eine kurze Spielszene und mit Texten zu Todesstrafe, Flüchtlingen, Diskriminierung und politischen Gefangenen.
Es soll hier nicht verschwiegen werden, dass die "ernste Grundstimmung" des Abends durch die Besucherzahl eher noch verstärkt wurde. Es kamen nur 25 Leute – 10 AI'ler, 10 Bibelkreisler, 5 versprengte Sonstige (davon zwei Bibliothekarinnen). Dass sich die Stimmung nicht weiter verdüsterte, lag am weiteren Verlauf des Abends und der Resonanz in der Öffentlichkeit. Die Besucher (einschließlich der Chormitglieder) standen so dicht gedrängt vor den Schauwänden, dass uns Fotos gelangen, die wahre Menschentrauben widerspiegelten, in der Presse erschienen zwei ausführliche Artikel mit einem Foto des "Ortsgruppenleiters" Fritz Weigl, (der nicht beabsichtigt, der NPD beizutreten), und vor Beginn der Herbstferien konnten wir noch zwei Schulklassen durch die Ausstellung schleusen. Wie sie sonst besucht war, entzieht sich unserer Kenntnis. Wir haben lediglich von einer Frau erfahren, die "sich die Ausstellung nicht zumuten wollte". Wenn sie es getan hätte, wäre es vielleicht nicht bei diesem ehrenwerten Gefühl geblieben, sondern sie hätte gemerkt, dass man auch etwas gegen die Zumutungen unternehmen kann.
Wir bedanken uns artig bei der Stadtbücherei, dem Chor und dem bewährten Team der Ausstellungshänger.
Die 10. Klasse erwies sich als bestens präpariert, weil sie ein Jahr zuvor schon unsere Ausstellung über die Todesstrafe besucht hatte. Ein Mädchen wusste sogar, wer AI ist (was bei Erwachsenen nicht immer der Fall ist), und auch die übrige Klasse folgte (überwiegend) interessiert der Führung. Von einer Schülerin kam ein erhellender Hinweis auf ein Detail des Plakates zur Straflosigkeit: Warum steht der General vor einem Zentimetermaß? Erst als die Lehrerin zum Engagement aufrief, zuckte man etwas zusammen, und als man ihnen "Freilauf" anbot, kuschelten sie sich mit einer "Bravo" in die Leseecke, mit der rühmlichen Ausnahme von zwei Mädchen, die bedächtig noch einmal durch die Ausstellung gingen und nach Zusatzinformationen verlangten. Auch die 11. Klasse brachte einiges an Vorwissen mit. Sie kannten Artikel 1 des Grundgesetzes, der mir in ihrem Alter noch nicht geläufig war. Und auch sie gingen brav durch die Ausstellung, ließen aber die "Bravo" links liegen und blieben mit sichtlicher Betroffenheit vor einigen Fotos stehen.
Wir sind für solche Schulbesuche sehr dankbar, denn sie sind eine Chance, als AI-Gruppe den demographischen Wandel zu überstehen. Dafür akzeptieren wir gerne, dass für die Schüler(innen) solche Besuche zum Unterrichtsalltag gehören und man deshalb nicht immer in Höchstform auflaufen kann, v.a. wenn das Material in einer solchen Fülle und Dichte präsentiert wird. Den beiden Lehrerinnen (Frau Jooß, Frau Lang) gebührt jedenfalls unser herzlicher Dank.
Pünktlich zum Karnevalsbeginn im Rheinland, wurden wir zu einer Infostunde über die Todesstrafe ans Gymnasium eingeladen. Die Stunde konnten wir nicht mit der gewohnten Routine "durchziehen", zum einen weil das Thema doch sehr an die Nieren geht, zum anderen weil die Schüler einen sehr detaillierten Fragenkatalog zusammengestellt hatten, der uns zu einer gründlichen Vorbereitung des "Unterrichts" nötigte. Sie wollten beispielsweise wissen, welcher Fall uns am meisten getroffen hat, wie Gefangene im Todesstrakt eines US-Gefängnisses behandelt werden und wie lange Verurteilte in den einzelnen Staaten auf ihre Hinrichtung warten müssen. Sie waren dann sichtlich betroffen, als wir ihnen von Troy Davis erzählten, der trotz massiver Zweifel an seiner Schuld und Gnadenappellen von Papst Benedikt und Ex-Präsident Carter im September 2011 hingerichtet wurde, sie reagierten verhalten amüsiert über die Nachricht, dass in Texas die Henkersmahlzeit gestrichen wurde, weil ein Todeskandidat sie zwar bestellt, aber nicht gegessen hatte und sie waren erschüttert über das Schicksal des Japaners Hakamada Iwao, der nach 45 Jahren im Todestrakt inzwischen durchgedreht hat.
Die Schüler haben uns nach dem Besuch eine anrührende Karte geschrieben, deren Bild mit den"1000 bunten Smarties" sich wohltuend von der Appellpostkarte unterschied, die wir zu den Steinigungen im Iran verteilt hatten. (Die Smarties müssen Sie sich auf der Rückseite der Karte vorstellen.)
Wir haben uns zum zweiten Mal mit den "Frauen in Schwarz" verbündet und zu einer Filmreihe zum Thema "Menschenrechte" eingeladen. Bei der 1. Matinée wurde der Film "Huacho – Ein Tag im Leben" gezeigt, der den Tageslauf einer einfachen Familie in Chile beschreibt. Wir waren uns nachher nicht so recht einig, ob es ein Film über "Menschenrechte" war, aber zur AI-Kampagne "Ein Leben in Würde" hat er mit seiner Schilderung von Ausbeutung, Diskriminierung und Selbstbehauptung recht gut gepasst. Im Anschluss berichtete die Initiative La Ruka von der Situation der Mapuche-Indios, deren Unterdrückung heute noch "genauso andauert wie zu Zeiten Pinochets".
Der 2. Film "Der Albaner" hatte als Schwerpunkt das Thema Familienstruktur und Frauenrechte in Albanien; die Problematik des Schleusertums und der Illegalität war ein Teilaspekt, der auch uns in Deutschland näher betraf. Zur anschließenden Diskussion mit Hubert Heinhold (Pro Asyl, AI) blieben trotz vorgerückter Stunde noch 20 der 35 Besucher. Diskutiert wurde über die Lockerung der Meldepflicht im Kontakt mit Illegalen, ihre medizinische Versorgung und über die Sinnhaftigkeit einer Legalisierung ihres Status. Einig waren wir uns, dass wir weder Frau in Albanien, noch Illegaler in Deutschland sein möchten.
Bei beiden Filmveranstaltungen hatten wir einen Infotisch aufgebaut, unsere Restbestände an Appellpostkarten verteilt und Unterschriften auf einer Petition an Frau von der Leyen gesammelt, mit der sie gebeten wurde, das Zusatzprotokoll zum Sozialpakt zu unterzeichnen, das "es Betroffenen ermöglicht, sich an die UNO zu wenden, wenn sie sich in ihren sozialen Menschenrechten verletzt sehen und den nationalen Rechtsweg ausgeschöpft haben". Hoffentlich bekommt das die Familie in Chile mit. Für beide und die folgenden Filmveranstaltungen, die Reihe wird im Januar fortgesetzt, danken wir Frau Mittmann und Frau Seckau für die Auswahl der Filme und Herrn Zimmer vom FoolsKINO für die (weit) entgegenkommende Gastfreundschaft.
Nachdem wir mit der Stadt Miesbach relativ erfolgreich wegen der Gebühren für die Hütten gekämpft hatten und das Wetter erträglich war, hofften wir auf ein gutes Geschäft beim Adventsmarkt. Und diesmal wurden wir nicht enttäuscht. Wir wurden zwar unser (teuren) Prachtstücke nicht los, waren aber weniger als im letzten Jahr auf Soldaritäts- und Mitleidskäufer angewiesen, (auf die wir natürlich nicht verzichten wollen), konnten als Subunternehmer wieder am Weihnachtsmarkt in Fischbachau auftreten - und waren mit unserem reichhaltigem Angebot eine Attraktion des Marktes, der sonst in Chili con Carne erstickt und in Glühwein ertrunken wäre.
Zu danken für haben wir den Damen Schmalhofer-Jacobi, Schreiber, Rücker und van de Kooij, den Herren Haller und Schmucker, der Berufsschule Miesbach und dem Missionskreis Fischbachau, die dazu beitrugen, dass unser Stand aussah wie die Schatzkammer von Ali Baba.
Das Redaktionsteam des Pfarrbriefes hatte uns anlässlich des 50. Geburtstages volle zwei Seiten zur Verfügung gestellt, die wir mit einem Artikel über Geschichte, Erfolge, Probleme von AI und einem Abriss unserer Aktivitäten in Miesbach mehr als ausfüllten. Es war sogar Platz für ein Foto, das ein Gruppenmitglied bei der "Knochenarbeit" zeigte: den Miesbachern, die in Festeslaune die "Nacht der 1000 Lichter" begingen, eine Karte zur Abschaffung der Todesstrafe in Ghana anzudrehen.
Wir bedanken uns herzlich für den üppigen Freiraum, den man uns im Pfarrbrief zugestanden hat und haben im Abspann des Artikels schon eine Fortsetzung angedroht, wenn die AI-Gruppe im Landkreis Miesbach im nächsten Jahr 40 Jahre alt wird.
Es war in diesem Bericht schon einmal von "Niederungen" die Rede, aber während wir den Begriff vornehm übertragen gebrauchten, sind die Bewohner der Slums von Nairobi diesen Niederungen im wahrsten Sinne des Wortes ausgesetzt. Es fehlt an Latrinen und Toiletten, und der Weg zu den öffentlichen Einrichtungen ist des Nachts für Frauen und Mädchen sehr gefährlich. Da Kenia zu den weniger hartleibigen afrikanischen Staaten zählt und beispielsweise Leitlinien gegen rechtswidrige Zwangsräumungen erlassen will, hat diese Petition bessere Erfolgschancen als die folgenden Aktionen.
Wer das Buch "Der Drachenläufer" gelesen oder den Film gesehen hat, wurde von unserer Appellpostkarte ganz besonders berührt. Sie zeigt einen weißen Himmel voller bunter Drachen und richtete sich an den Sonderbeauftragten der Bundesregierung für Afghanistan, der im Dezember eine Afghanistan-Konferenz auszurichten hatte.
Das Drachensteigen ist eine beliebte (und jetzt wieder erlaubte) Freizeitbeschäftigung – für Buben. Mädchen fungieren nur als Zulieferer: Sie dürfen Drachen bauen, aber nicht fliegen lassen. Wenn die Taliban wieder an die Macht kämen, gingen für die Frauen allerdings wichtigere Rechte verloren, als das Privileg des Drachenbaus. Deshalb appellierten wir (mit immerhin 100 Postkarten) an die Konferenzteilnehmer, "die erreichten Fortschritte für Frauen und Mädchen in den Verhandlungen mit den Taliban nicht aufs Spiel zu setzen". Auf der Konferenz ging es vorrangig um eine Auszugsstrategie, aber auch die Frauenrechte wurden ausdrücklich erwähnt. Hoffentlich haben das auch die Taliban vernommen.
Wie prekär die Situation der Frauen in Afghanistan schon ohne Taliban in Regierungsverantwortung ist, zeigt die Einleitung zu einem Artikel der SZ: "Fausia Kufi … will Präsidentin werden. Kein Wunder, dass sie ihr Haus nur mit Leibwächtern verlassen kann."
Da ging es wieder voll in ein Dauerkrisengebiet. Militär und Milizen liefern sich seit Jahren ein Wettrennen, wer in Sachen Menschenrechtsverletzungen die Nase vorn hat. Es werden immer noch Kinder als Soldaten rekrutiert und Frauen "massenhaft" vergewaltigt. Wir werden die U-Listen erst im Februar absenden. Da ist Gras über die Wahlen (und den Wahlbetrug) im November gewachsen, und Präsident Kabila hat wieder Zeit, AI-Petitionen zu lesen.
Da ist unser Platz traditionsgemäß an den Kirchentüren. Bei den katholischen Gottesdiensten verteilten wir eine Postkarte, auf denen die Regierung Haitis aufgefordert wurde, die Frauen in den Lagern vor sexueller Gewalt zu schützen. Polizei und UN-Beamte machen des Nachts einen weiten Bogen um die Camps und überlassen das Terrain den Jugendbanden, die mit einer Brutalität vorgehen, die der Gewalt des Erdbebens nicht nachsteht. Wir haben im Gemeindeboten auf die Aktion hingewiesen, sind 88 Karten losgeworden, haben selten ein "Nein, danke" gehört und bei einer Stichprobe nach dem Gottesdienst auch keine Karten auf den Bänken liegen sehen. Etwas (aber nur etwas!) amüsiert hat uns die Reaktion zweier Frauen, die ein "Wie bei uns auch" vor sich hinbrummten. Wenn es bei uns wie in Haiti wäre, würden sie am Abend nicht mehr in die Kirche gehen.
Auch von den evangelischen Geistlichen wurden wir freundlich angekündigt, und auch dort betraf unsere Postkartenaktion Frauen aus Lateinamerika. Zwei indigene Frauen aus Mexiko zogen nach ihrer Vergewaltigung durch Soldaten vor den Interamerikanischen Gerichtshof, der mit einer Entscheidung zugunsten der beiden Frauen den mexikanischen Staat aufforderte, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Wir verteilten 30 Karten und leisteten damit dem Interamerikanischen Gerichtshof wertvolle Schützenhilfe.
Wir wurden von der Grundschule Bad Wiessee eingeladen, eine Schulstunde zum Thema Kinderrechte zu halten. So kamen wir am 16.12.2011 zu zweit zum Unterricht in die vierte Klasse und erzählten zunächst etwas über Menschenrechte allgemein und über Amnesty International, dann über Kinderrechte. Die Kinder arbeiteten sehr interessiert mit, brachten auch schon viel Vorwissen ein und stellten viele Fragen, so dass wir mit dem Thema gar nicht "durchkamen“. Die Kinder kannten schon die meisten Menschen- und Kinderrechte, sogar Geschichtsdaten dazu waren ihnen bekannt. Wir waren wirklich sehr beeindruckt! Zum Schluss bekamen die Kinder noch Informationsmaterial über eine Zusammenfassung der wichtigsten Kinderrechte und über kindgerechte Homepages dazu von uns mit, die wir vom Deutschen Kinderhilfswerk zugesandt bekommen hatten. Uns hat es viel Spaß gemacht, anscheinend den Kindern auch, so dass wir dies gern wiederholen (und das nächste Mal mindestens zwei Schulstunden einplanen) würden.
Im Magazin "Bad Wiessee im Blick" wurde die "außergewöhnliche Stunde" auf der Seite für Eltern und Kinder lobend erwähnt.
Unseren Weihnachtsschaukasten hatten wir unter das Thema "Mutmacher und Lichtblicke" gestellt. Provozierend hatten wir auch ein "Kuckucksei" dazu gelegt: ein Bild vom Shooting/Preisschießen des Scottsdale Gun Club in Arizona, prächtige junge Burschen und Mädchen mit Schnellfeuergewehren, Christbaum und einem Weihnachtsmann, der ein Baby in den Armen hält. Soll wohl Jesus the Gunkid sein! Am Hl. Abend ist dann in einer Kleinstadt bei Seattle/USA eine Familie von sechs Personen erschossen worden. Vom Präsidenten und den Präsidentschaftskandidaten hat man auch nach diesem Massaker zum Thema Waffenkontrolle noch nichts gehört.
Dem Foto wurde zuviel der Ehre zuteil, denn im Mittelpunkt standen eigentlich andere Situationen und Personen. Wir haben an den Tod von Vaclav Havel erinnert, dem die deutsch-tschechischen Beziehungen soviel verdanken, an das farbenfrohe Trio der drei Gewinnerinnen des Nobel-Friedenspreises, an den Abzug der Amerikaner aus dem Irak, an die Häuserlbauer von Antananarivo/Madagaskar die aus dem Müll das Baumaterial gewinnen und natürlich an die wackeren Gymnasiasten in Grafing.
Wir dürfen uns bei dieser Gelegenheit wieder bei der Stadt Miesbach bedanken, die uns diesen Schaukasten kostenlos zur Verfügung stellt. Wir versprechen, uns zu bemühen, dass er auf dem neuesten Stand gehalten wird.
Im Dezember kamen wieder Asylbewerber nach Miesbach. Sie wurden von der Bürgermeisterin persönlich begrüßt, was, so die Betreuerin, "eher selten ist". In Miesbach blieb die Krippe nicht leer.
Um ein paar Seiten, so dachten wir, dürfen wir bei einer Geburtstagsnummer schon überziehen. Aber da der Bericht bereits Taschenbuchstärke hat, wollen wir die verbleibenden Aktivitäten und Befindlichkeitsbeschreibungen auf einige Stich(el)wörter beschränken.
Zum ersten Mal seit Menschengedenken hatten wir wieder einen Fall aus der "Nachbarschaft". In einem Vorort von Paris geriet im Mai 2008 ein farbiger Franzose in eine Polizeirazzia. Die Aktion der Polizei richtete sich gegen eine Gruppe von Jugendlichen, aber Lamba Soukouna scheint den Polizisten irgendwie im Wege gestanden zu sein. Hier die Vorgänge in Stichworten: Fußtritte durch einen Polizisten, Festnahme, als er sich beschweren wollte, Verweigerung von Medikamenten auf dem Polizeirevier, Krankenhausaufenthalt, Anklage wegen "Beamtenbeleidigung und Aggression", Ablehnung seiner Beschwerde als "gegenstandslos" –also ein durchwachsener AI-Fall, wenn die Berichte stimmen. Im Mai schrieben wir dann an den Justizminister und forderten eine unparteiische Untersuchung des Falles. Dann ging die Sache etwas den Bach hinunter. Der Justizminister geruhte, nicht zu antworten, die zuständige Koordinationsgruppe hüllte sich in Schweigen, und gegen Jahresende kam die Nachricht, dass der Fall für nicht-französische AI-Gruppen geschlossen sei – und das seit September. Wir erfuhren nichts davon, angeblich weil wir bei unseren Anfragen eine falsche Gruppennummer angegeben hatten. Der zuständige Fallbetreuer scheint selbst gemerkt zu haben, dass seine Ausrede etwas fadenscheinig war, denn am Ende seines Mails hat er sich entschuldigt. Auf eine Entschuldigung von der französischen Polizei wartet H. Soukouna bisher vergeblich.
In Sack und Asche müssen wir bekennen, dass auch mit unserem Iranfall Ossanlu etwas schief gelaufen ist, aber, Gott sei Dank, nicht für Ossanlu. Der tapfere Gewerkschaftler wurde im Juni 2011 wegen seiner angegriffenen Gesundheit freigelassen, ein Jahr vor Ablauf seiner Strafe – wenn die deutsche Zeitrechnung stimmt. Er soll jetzt wieder bei guter Gesundheit sein. Unsere Aktivitäten sind eingestellt, weil Haftverschonung noch keine endgültige Freilassung bedeutet und man "schlafende Hunde nicht wecken soll". Wir in Miesbach haben von der Entlassung erst jetzt erfahren, weil wir (angeblich) nicht im Verteiler der Iran-Koordinationsgruppe waren. Aber wenn H. Ossanlu unbehelligt bleibt und wieder Fuß im Leben fasst, können wir das leicht verschmerzen.
Unseren Monatsbriefen, die immerhin 60 Abonnenten erreichen, haben wir im April ein Blatt beilegen können, die auf Erfolge der Eilaktionen und der Briefe gegen das Vergessen verwiesen. Es seien hier nur einige Schlagzeilen genannt:
Im August haben wir dann wieder Post aus Mexiko erhalten, die sich auf einen Fall vom April 2010 bezog. Man versprach uns wortreich, dass der Fall in kürzester Zeit behandelt würde, der Rechtsweg garantiert wäre und eine Lösung im Rahmen der Gesetze zu finden sei. Aber diese Textbausteine kennen Sie ja schon aus dem Brief vom Februar. Unsere Monatbriefe dürfen wir dankenswerterweise in den beiden Kirchen auslegen und deshalb haben wir uns im Weihnachtspfarrbrief ein ironisches PS erlaubt: "Im Ferienmonat August gingen bei den Katholiken immerhin vier Brief (von 10) weg, und ein Schuft ist, wer denkt, das seien nur Touristen gewesen." Auf den Pfarrbriefartikel hin hat sich das Engagement deutlich verstärkt. Im Dezember wurden wir sechs Briefe los. Und das können keine Touristen gewesen sein!
Unseren treuen Übersetzerinnen Rachel Bull und Irene Scherm und den jahrzehntelangen Abonnenten herzlichen Dank. Und ein herzliches Willkommen allen Abonnenten, die 2012 hinzukommen. Als Werbegeschenk gibt's einen Kugelschreiber aus den Wahlkampfbeständen der Parteien.
An Eilaktionen nehmen wir etwa zweimal/Monat teil. Allerdings schützen sich die Empfänger unserer Mails oft durch eine Fehlermeldung. Das ist jetzt die elektronische Form des traditionellen Papierkorbs. Die Auswertung der Ergebnisse gibt Grund zum Optimismus, und wir hoffen, dass dieser Optimismus nicht nur auf Wunschdenken beruht. Die "Erfolgsquote" bei Eilaktionen soll nämlich zwischen 30 % und 50 % betragen.
Die beiden Großkampagnen, an denen wir teilnehmen – "Mit Recht gegen Armut" und "Abschaffung der Todesstrafe" – haben wir bereits in unseren Jahresrückblicken erwähnt. Nachzutragen bleiben nur zwei widersprüchliche Meldungen zur Todesstrafenstatistik: Im März verzeichnete ein AI-Bericht einen weltweiten Rückgang bei den Hinrichtungszahlen (527 Menschen in 23 Ländern), allerdings mit dem Vorbehalt, dass die Zahlen aus China geheim sind und wohl in die Tausende gehen. Gleichzeitig wurde aber aus dem Iran eine dramatische Steigerung der vollstreckten Todesurteile bekannt. So sollen an manchen Tagen im Evin-Gefängnis in Teheran bis zu acht Menschen gehängt worden sein!
Bei der Abfassung dieses Abschnitts ist der Verfasser immer einer strengen Zensur durch den "Finanzminister" der Gruppe unterworfen. Er darf die Lage nicht so positiv darstellen, wie sie (schon seit Jahren) ist. Ob beispielsweise der Satz durchgeht, "dass wir die Eurokrise unbeschadet überstanden haben", muss sich erst noch bei der Drucklegung erweisen. Wir haben selbst durch unsere Aktivitäten, die nicht zuletzt darin bestanden, die Kreativität von Musikern und Marktlieferanten abzuschöpfen, einiges zu unserem Jahresbeitrag beigesteuert. Unser zweites Standbein aber sind die Spender(innen) und Förder(innen), deren Beständigkeit an "ein geläufiges Schlagwort" erinnert, das eine Form bedingungsloser, emotionaler … Treue bezeichnet". Da aber die Nazis mit diesem Schlagwort ihr Schindluder getrieben haben, und da bei der Definition in der Auslassung ein "potenziell verhängnisvoll" steht, getraue ich mich nicht, das Schlagwort in diesem Zusammenhang zu verwenden, auch wenn "bedingungslose und emotionale Treue" bei Ihnen den Nagel auf den Kopf träfe. Ein "potenzielles Verhängnis" wird Ihnen aus Ihrer Unterstützung für AI nicht erwachsen. Herzlichen Dank.
An dieser Stelle gehen unsere Gedanken an eine Förderin, die heuer verstorben ist. Möge der liebe Gott Frau Schrön all das Gute vergelten, das sie uns und anderen getan hat!
Die deutsche AI-Sektion hat sich heuer von ihrer bisherigen Generalsekretärin Monika Lüke getrennt, und das in einer Weise, die manchen Mitgliedern wie eine "Nacht und Nebel Aktion" vorkam. Die Jahresversammlung hat dann die Ablösung auf einem "turbulenten Treffen" mit breiter Mehrheit gebilligt. Wer Frau Lüke schon selber (als sympathisch und aufgeschlossen) erlebt hat, dem bleibt im Munde ein bitterer Nachgeschmack. Tut mir leid! Das wurde schon einmal erwähnt. Ist halt der Nachteil von einer Simultanberichterstattung, dass man sich wiederholt. Aber vielleicht hatten Sie es auch schon vergessen.
Nun, von unserer Gruppe wird man nicht gefeuert, aber zu Trennungen ist es leider auch gekommen. Zwei unserer fünf Mitglieder, die unter 30 sind, haben uns zu Studienzwecken verlassen, ein Mitglied hat wegen zeitlicher Mehrbelastung aufgehört. Auch wenn schwer vorstellbar ist, dass es, in Abwandlung des Bayern-Zitates, "ein wahres Leben außerhalb unserer AI-Gruppe gibt", bedanken wir uns von Herzen für ihre Mitarbeit und wünschen ihnen, dass sie (auch "außerhalb") gut weiterleben können.
Wie Sie sehen, sind Plätze für Sie freigeworden. Der rote Teppich ruht auslegbereit in einer Garage und als Eintrittsgeschenk gibt's auch für Sie den besagten Kugelschreiber aus Wahlkampfbeständen.
Wie bereits erwähnt (oder angedroht) haben wir heuer schon wieder ein Jubiläum: AI (im Landkreis) Miesbach wird 40. Das ist kein Alter für einen Traditionsverein, aber letzteres können und wollen wir auch gar nicht sein. Geplant sind bis jetzt ein Infoabend am 21. März mit einem Reisebericht aus dem Iran von Christa Ortmann (Frauen in Schwarz), ein "Festabend" am 20. Oktober, hoffentlich mit Gerd Ruge (Mitbegründer von AI Deutschland) und sicher mit den Musikern Martina Eisenreich und Andreas Hinterseer, und, wenn's das Archiv hergibt, eine Ausstellung zur "Vereinsgeschichte", unter günstigen Umständen mit einem Überraschungsgast aus Neuhaus.
Wir hoffen zwar Spuren im Lande hinterlassen zu haben, haben aber heuer kein Material für unser Textprojekt "Spuren im Land" gefunden. Wir möchten Ihnen dafür einen Text von Erich Kästner präsentieren, dem man höchstens an der Sprache ansieht, dass er schon einige Jahre auf dem Buckel hat.
Fritz Weigl (Gruppensprecher)
Wallenburger Str. 28d
83714 Miesbach
Tel. 08025 3895
Fax 08025 998030
Email : Fritz.Weigl@gmx.de
Bernard Brown
Carl-Weinberger-Str. 5
83607 Holzkirchen
Tel. 08024 3502
Mail: bernard.brown@web.de
Homepage: www.amnesty-miesbach.de
Wir danken für Ihr Interesse und Ihre Unterstützung.